Parlamentskorrespondenz Nr. 391 vom 28.04.2020

Nationalrat: Gerichte nehmen schrittweise Betrieb wieder auf

Möglichkeit für Video-Einsatz bei Verhandlungen wird erweitert

Wien (PK) – Mit Mehrheit passierten im Justizblock der heutigen Sitzung auch das 8. und das 15. COVID-19-Gesetz den Nationalrat. Zum einen geht es darum, die Einschränkungen für die Verhandlungen bei Gericht wieder zu lockern und dabei den Einsatz der Videotechnologie zu erweitern, zum anderen um Erleichterungen für die Selbstablesung bei Heizkostenverteilern.

SPÖ, FPÖ und NEOS befürchten Verletzung des Grundsatzes der Unmittelbarkeit im Strafprozess

Mit dem 8. COVID-19-Gesetz, das heute nach getrennter Abstimmung in Zweiter Lesung mit den Stimmen von ÖVP, SPÖ, Grünen und NEOS in Dritter Lesung gebilligt wurde, soll der Gerichtsbetrieb nun schrittweise wieder hochgefahren werden. Im Zuge der Corona-Maßnahmen ist es im Justizbereich, vor allem aber bei den Zivilprozessen, zu einem enormen Rückstau gekommen. Die dafür benötigten großen Verhandlungssäle stehen allerdings nicht ausreichend zur Verfügung. Daher sieht der vorliegende Gesetzesvorschlag die Möglichkeit vor, auch die verpflichtenden mündlichen Verhandlungen bei Zivilprozessen per Videotechnologie durchzuführen.  

Voraussetzung ist, dass die Verfahrensparteien zustimmen und die nötige Ausstattung haben, wobei sie laut Erläuterungen nicht dazu verpflichtet sind, diese anzuschaffen. Auch technische Störungen werden den Verfahrensbeteiligten nicht angelastet. Außerdem wird es möglich sein, die Zahl der Personen im Verhandlungsraum durch Zuschaltungen aus anderen Räumen im selben Gerichtsgebäude zu minimieren. Auch die Video-Befragung von Zeugen, Sachverständigen, DolmetscherInnen und anderen Beteiligten wird mit der Novelle gestattet.

Die Regelungen wurden für den Zivilprozess zwar auch von der Opposition begrüßt, Kritik gab es jedoch daran, dass die Videotechnologie mittels einer mit Ende Mai befristeten Verordnung auch bei Strafprozessen möglich sein soll, was in ihren Augen dem Grundsatz der Unmittelbarkeit, die besonders in strafrechtlichen Verhandlungen wichtig ist, widerspricht. Justizministerin Alma Zadić wies darauf hin, dass man seitens ihres Ressorts sehr sorgsam die Verhältnismäßigkeit abgewogen habe, es sich dabei auch nur um eine Kann-Bestimmung handle, man auch das Recht auf eine angemessene Frist für die Verhandlungen berücksichtigen müsse und die Bestimmung mit Ende Mai 2020 befristet sei. Dann wolle man evaluieren.

Ein von der Opposition eingebrachter Entschließungsantrag, wonach für die "Zuschaltung" der in Untersuchungshaft befindlichen Angeklagten per Videokonferenz in strafrechtlichen Hauptverhandlungen zwingend und bei sonstiger Nichtigkeit deren ausdrückliche Zustimmung erforderlich ist, erhielt jedoch keine ausreichende Unterstützung.

Petra Bayr (SPÖ) bekräftigte die Forderungen des Entschließungsantrags, zumal es in Strafprozessen oft um schwere Straftaten gehe und diese für die Angeklagten mit schwerwiegenden Konsequenzen für das ganze Leben endeten. Daher sei im Interesse des Gebots der Unmittelbarkeit die Zustimmung des Angeklagten zu Videoaufnahmen notwendig, sagte sie. Ebenso argumentierte Harald Troch (SPÖ). Für die Wahrheitsfindung sei die Unmittelbarkeit von enormer Wichtigkeit. In gleicher Weise wies ihre Fraktionskollegin Selma Yildirim auf das Spannungsverhältnis zu Art. 6 EMRK hin. Sie begründete die Zustimmung ihrer Fraktion trotz dieser Bedenken mit dem Hinweis darauf, dass die Vorteile des Gesetzesvorschlags überwiegen. Sie verwies auf den Rückstau vor allem bei den Zivilprozessen. Die BürgerInnen hätten aber Anspruch darauf, zu ihrem Recht zu kommen.

In gleicher Weise unterstrich NEOS-Abgeordneter Johannes Margreiter die Wahrung des Grundsatzes der Unmittelbarkeit im Strafprozess, zumal dort LaienrichterInnen säßen. Im Schwurgereicht sei Platz genug, um die Vorsichtsmaßnahmen gegen Corona einzuhalten, stimmte er mit Petra Bayr überein.

Auch der FPÖ gehen die Möglichkeiten von Video im Strafprozess zu weit. Christian Lausch stellte die Frage in den Raum, wie das denn bei Geschworenenverhandlungen funktionieren soll. Schwierigkeiten sieht er auch deshalb, weil rund 70 Prozent der Angeklagten einen Dolmetscher brauchen. Lausch befürchtet eine Flut von Einsprüchen wegen Nichtigkeit.

ÖVP und Grüne weisen auf genaue Grundrechtsabwägung hin

Es seien nicht alle Gerichtssäle dafür geeignet, die Schutzmaßnahmen einzuhalten, verteidigten die ÖVP-MandatarInnen Gudrun Kugler und Christian Stocker, die Möglichkeit, Video auch im Strafprozess einzusetzen. Die Bestimmung sei sehr restriktiv, man habe sehr sorgfältig eine Grundrechtsabwägung vorgenommen und die Verhältnismäßigkeit geprüft. Außerdem handle es sich nur um eine Kann-Bestimmung, führte Kugler ins Treffen. Stocker ging genauer auf das in Art. 6 der EMRK verankerte Unmittelbarkeitsgebot ein, in dem aber auch festgelegt ist, dass die Verhandlungen in einer angemessenen Frist stattfinden müssen. Außerdem wies er darauf hin, dass im Interesse des Opferschutzes eine kontradiktorische Vernehmung möglich sei, und auch das eigentlich dem Prinzip der Unmittelbarkeit widerspreche. Stocker unterstrich nochmals die Kann-Bestimmung, ferner die Befristung bis Ende Mai und merkte an, dass es für das richterliche Ermessen einen Leitfaden gebe.

Unterstützt wurden die Neuerungen auch von Agnes Sirkka Prammer (Grüne). Sie ging aber noch weiter, indem sie unterstrich, man verlege damit "die Schienen vor dem fahrenden Zug". Konkret meinte sie damit, dass die derzeitigen Maßnahmen nicht genügen würden, vielmehr seien personelle und finanzielle Aufstockungen im Justizbereich darüber hinaus notwendig. Die Justiz brauche zielgerichtete Investitionen, nachdem das System Jahrzehnte lang heruntergefahren worden sei. Es werde nicht reichen, den Stand vor Corona wiederherzustellen, sagte sie.

Justizministerin Zadić: Möglichkeiten werden sehr restriktiv gehandhabt

Justizministerin Alma Zadić ging in ihrer Replik auf die Bedenken der Opposition ein. Man habe im Hinblick auf die Verhältnismäßigkeit und den Grundsatz der Unmittelbarkeit sehr genau geprüft, gab sie zu bedenken, leider sei nicht jeder Gerichtssaal für die Einhaltung der Schutzmaßnahmen geeignet. Es gebe auch den Anspruch auf ein Verfahren in angemessener Frist. Außerdem sei ein Zuschalten per Video nur dann erlaubt, wenn es sich um einen Angeklagten in U-Haft handle. Die Bestimmung sei eine Kann-Bestimmung, und auch die RichterInnen würden eine Verhältnismäßigkeitsprüfung vornehmen, so die Justizministerin. Die Bestimmungen würden sehr restriktiv gehandhabt, versicherte auch sie. Die Angeklagten müssen auch vor, in und nach der Verhandlung ungestört mit ihren AnwältInnen reden können, hielt Zadić fest. Sie müssen auch im Verhandlungsraum alle sehen können.

Zadić wies allgemein darauf hin, dass es normale Gerichtsverhandlungen angesichts des Corona-Virus nicht von heute auf morgen werde geben können.

Unterhaltsvorschüsse, Erleichterungen für große Vereine und Bestimmungen für MediatorInnen einhellig begrüßt

Unbestritten auch von der Opposition blieben die weiteren Regelungen der Novelle. Das betrifft die Verlängerung, dass Unterhaltsvorschüsse bis Ende Juni auch dann zu gewähren sind, wenn zuvor kein entsprechender Exekutionsantrag des Kindes bei Gericht gestellt wurde. Ebenso unbeanstandet blieb, dass große Vereine ihre Versammlungen, welche üblicherweise alle fünf Jahre anzusetzen sind, bis Ende 2021 verschieben können. Auch die Frist für den Nachweis für Weiterbildungsmaßnahmen von Zivilrechts-MediatorInnen wird verlängert.

Selbstablesung bei Heizkostenverrechnung wird befristet erleichtert

Ebenfalls auf mehrheitliche Zustimmung stieß das von den Regierungsparteien vorgeschlagene 15. COVID-19-Gesetz, das eine Novellierung des Heizkostenabrechnungsgesetzes zum Gegenstand hat. Demnach kann die Ablesung von Heizkostenverteilern, sogenannten "Verdunstern", anstatt durch Ablesefirmen kurzfristig auch im Wege einer Selbstablesung durch den Wärmeabnehmer erfolgen. Sofern die Erfassung der Verbrauchsanteile nicht möglich ist, soll befristet auch ein höherer Anteil als 25% an der beheizbaren Nutzfläche hochgerechnet werden können.

Auch wenn Ruth Becher seitens der SPÖ den Grundgedanken des Gesetzes positiv bewertete, hielt sie dessen Ausgestaltung für falsch. Ihrer Meinung nach ist es eher von der Sorge getragen, dass die Firmen ihr Geld bekommen, obwohl diese überhöhte Preise verlangen. Ihr Abänderungsantrag zielte daher darauf ab, den tatsächlichen durchschnittlichen Verbrauchsanteil hochzurechnen. Leistungen, die tatsächlich nicht erbracht wurden, sollten auch nicht verrechnet werden dürfen.

Der Antrag fand jedoch keine ausreichende Unterstützung. Mitgetragen wurde er aber von der FPÖ. Für Philipp Schrangl ist es unverständlich, dass dafür Sorge getragen wird, dass die zwei Unternehmen, die sich den Markt teilen, ihr Geld bekommen. Er meinte, die Menschen hätten es sich verdient, einmal nichts zu zahlen.

Anders sehen dies ÖVP und Grüne. Es sei im Interesse des Schutzes der Gesundheit wichtig, dass fremde Personen nicht die eigene Wohnung betreten, argumentierten Carina Reiter (ÖVP) und Ulrike Fischer (Grüne). Das Gesetz sei ohnehin mit Ende 2020 befristet. Das Gesetz betreffe außerordentlich viele Personen, allein in Wien rund 200.000, sagte Fischer. (Fortsetzung Nationalrat) jan