Parlamentskorrespondenz Nr. 725 vom 01.07.2020

Blümel und Edtstadler für Konditionalität und sinnvolle Verwendung von künftigen EU-Geldern

EU-Unterausschuss des Nationalrats debattiert EU-Finanzrahmen im Zeichen der Corona-Krise

Wien (PK) – Keine geringeren Themen als den aktuellen und künftigen Mehrjährigen Finanzrahmen der Europäischen Union im Zeichen der Corona-Krise, ein "Recovery Instrument" der EU als Maßnahme nach der Pandemie, ein Eigenmittelsystem zur Finanzierung des EU-Haushalts sowie die Einrichtung einer Aufbau- und Resilienzfazilität debattierten die Abgeordneten heute im EU-Unterausschuss des Nationalrats mit Finanzminister Gernot Blümel und der für Europapolitik zuständigen Kanzleramtsministerin Karoline Edtstadler.

Darüber hinaus ging es um zwei EU-Vorschläge, mit denen die Kommission in Form eines Solvenzhilfeinstruments die Kapitalbasis von grundsätzlich gesunden Unternehmen stärken und ein InvestEU-Programm für strategische Investitionen zur Stärkung der Autonomie der EU errichten will.

Was den EU-Finanzrahmen und den Recovery-Plan betrifft, betonten sowohl Blümel als auch Edtstadler, die Verhandlungen darüber würden Mitte Juli wieder aufgenommen. Aus Sicht von Edtstadler gelte es, eine tiefergehende Debatte darüber zu führen, das Geld zielgerichtet einzusetzen und Europa besser und leistungsfähiger aufzustellen. Darüber zu verhandeln, in welcher Form und Höhe Gelder ausbezahlt werden, sei etwa im Hinblick auf Steuerbelastungen künftiger Generationen mehr als legitim, so die Ministerin. Außerdem gelte es, unter anderem die Ökologisierung und Digitalisierung nicht außer Acht zu lassen.

Finanzminister Blümel unterstrich ebenso wie Edtstadler, dass die Fragen klarer Eingrenzung und zeitlicher Befristung wesentliche seien. Als wichtigen Schritt im Kampf gegen das Corona-Virus habe man auf EU-Ebene gemeinsam ein Sofortpaket von 540 Mrd. € auf den Weg gebracht. Zum aktuell vorliegenden Recovery-Plan gebe es allerdings noch Gesprächsbedarf, was die Höhe, Zusammensetzung, die vorliegende Form und auch die Frage der Vergemeinschaftung von Schulden betreffe. Es gehe dabei auch um eine Konditionalität, etwa betreffend Ausbau von Infrastruktur und des jeweiligen Gesundheitssystems, so Blümel, damit das Geld nicht versickere.

Ein Antrag auf Stellungnahme der FPÖ, womit Österreich etwa gegen jede Erhöhung des EU-Nettobeitrags ein Veto einlegen und sich gegen die Einführung von EU-Steuern aussprechen solle, fand keine Mehrheit.

EU-Vorschläge zu Mehrjährigen Finanzrahmen, Recovery Plan und Eigenmittelsystem

Die Europäische Kommission legte Ende Mai 2020 ein Paket mit Maßnahmen zur Bekämpfung der COVID-19-Krise vor. Ein Großteil dieser Maßnahmen betrifft den Mehrjährigen Finanzrahmen (MFR) 2021-2027 sowie das Aufbauinstrument (Recovery Instrument), das ebenfalls Anfang 2021 starten soll.

Der nunmehr überarbeitete Kommissionsvorschlag umfasst beim MFR 2021-2027 eine Ausgabenhöhe von 1.100 Mrd. € (zu Preisen 2018). Dieser orientiere sich am Kompromiss des Präsidenten des Europäischen Rats Charles Michel vom Februar, so die Erläuterungen des Finanzministeriums. Im Detail komme es aber zu Umschichtungen: So werde etwa der Bereich Verwaltung, aber auch Verteidigungsausgaben gestärkt. Die Europäische Kommission schlägt weiters großzügigere Obergrenzen für die Anpassung der Strukturfondsmittel 2025 sowie für höhere Sonderinstrumente außerhalb des MFR vor.

Um weitere Maßnahmen auch schon 2021 durchführen zu können, schlägt die Europäische Kommission zur Überbrückung auch eine Anhebung der Rubrikenobergrenzen im Finanzrahmen 2014-2020 für das Jahr 2020 vor. Dabei geht es etwa um eine Anhebung von 5 Mrd. € für die Schaffung des neuen Solvenzhilfeinstruments für Unternehmen, von 500 Mio. für die Aufstockung des Kapitalanteils der Europäischen Kommission am Europäischen Investitionsfonds, weiteren 5 Mrd. € für Strukturfondsmittel sowie 1,04 Mrd. € für das Garantieinstrument im Außenhilfebereich.

Aus Sicht des österreichischen Finanzressorts ist das vorgeschlagene Niveau des MFR 2021-2027 weiterhin zu hoch und sollte durch Kürzungen u.a. in Bereichen, die nicht dem wirtschaftlichen Wiederaufbau dienen, angepasst werden. Es bestehe weiters erheblicher Grund zur Skepsis, da eine Flexibilisierung grundsätzlich auf Kosten der Haushaltsdisziplin gehe und die Krisen der vergangenen Jahre bewiesen hätten, dass die eingebauten Flexibilitäten ausreichen. Der Eigenmittelbeschluss stelle einen wesentlichen Teil des Pakets zum Mehrjährigen EU-Finanzrahmen 2021-2027 dar. Österreich strebe dabei einen modernen EU-Haushalt und eine Stabilisierung des österreichischen Beitrags an. Was den Finanzrahmen 2014-2020 betrifft, werde derzeit einer kritischen Prüfung unterzogen, ob der von der Europäischen Kommission gemeldete Überbrückungsbedarf in dieser Höhe besteht.

Ein weiterer Kommissionsvorschlag zur Schaffung eines Aufbauinstruments nach der COVID-19-Pandemie als "Recovery Instrument " soll den Verwendungszweck der Mittel regeln, die die Europäische Kommission über das Eigenmittelsystem auf den Finanzmärkten aufnehmen könnte. Mit 500 Mrd. € seien zwei Drittel der Mittel für nicht zurückzuzahlende Zuschüsse und den Fonds für Garantien vorgesehen, ein Drittel von 250 Mrd. € für rückzahlbare Darlehen (alles zu Preisen 2018). Der Vorschlag sieht eine kontinuierliche Rückzahlung der auf den Finanzmärkten aufgenommenen Mittel von 2028 bis 2058 durch den EU-Haushalt vor. Ohne neue Einnahmequellen müssten notwendigerweise die EU-Beiträge steigen, heißt es von österreichischer Seite. Für Österreich würde dies eine Erhöhung des Beitrags um 16 Mrd. € bedeuten, somit eine durchschnittliche zusätzliche Belastung von rund 500 Mio. € pro Jahr über drei Jahrzehnte. Österreich tritt daher für einen geringeren Gesamtbetrag ein, der so dimensioniert ist, dass bis Ende 2022 alle Mittel auch abgerufen werden können. Weiters soll die Mittelvergabe an die Erfüllung von bestimmten Bedingungen geknüpft werden, insbesondere der Einhaltung des Stabilitäts- und Wachstumspakts, von Klimazielen und der Rechtsstaatlichkeit.

Ein geänderter Vorschlag für ein Eigenmittelsystem zur Finanzierung des EU-Haushalts sieht außerdem vor, dass die Europäische Kommission von 2021 bis 2027 750 Mrd. € (zu Preisen von 2018) "ausschließlich zur Bewältigung der Auswirkungen der COVID-19-Krise" auf den Finanzmärkten aufnehmen kann. Die Rückzahlung soll 2028 bis 2058 erfolgen und durch neue, laut Finanzressort seitens der Kommission noch nicht vorgeschlagene Eigenmittel finanziert und im EU-Haushalt veranschlagt werden. Die Zinszahlungen würden ebenfalls eigenmittelfinanziert ab 2021 über den EU-Haushalt bereitgestellt.

Debatte über EU-Steuern, rasche Hilfen und "Geiz" in den Verhandlungen

Finanzminister Blümel unterstrich in der Debatte die von Karlheinz Kopf und Carmen Jeitler-Cincelli (beide ÖVP) thematisierte Bedeutung einer Konditionalität für die künftigen Mittel. Geld, das 33 Jahre zurückgezahlt werden müsse, dürfe nicht einfach versickern, so Blümel. Mit den vorliegenden Paketen samt Aufbauinstrument würde sich der EU-Beitrag Österreichs mehr als verdoppeln, rechnete Blümel in Richtung Petra Steger (FPÖ) vor. Was etwaige EU-Steuern bzw. Eigenmittel betrifft, kann sich der Finanzminister gemeinsame Ansätze im Bereich Online- bzw. Digitalsteuern vorstellen, aber auch eine Art Co2-Zoll in bestimmten Fällen. Auch die etwa von Josef Schellhorn (NEOS) aufgeworfene Plastikabgabe sieht er für Österreich von Vorteil.

Darüber hinaus stelle die ökologische Komponente einen guten und wichtigen Hebel dar, so Blümel gegenüber Michel Reimon (Grüne). Was eine von Reimon, Gabriela Schwarz (Grüne) und EP-Abgeordnetem Andreas Schieder (SPÖ) thematisierte rasche Auszahlung von Hilfsgeldern bzw. eine nächste Lösung betreffe, verwies der Minister etwa darauf, dass 540 Mrd. € umgehend auf den Weg gebracht wurden. Hier könne das Geld bereits fließen. In Richtung Ewa Ernst-Dziedzic (Grüne), betreffend Sorgen um Ungleichbehandlung, strich Blümel hervor, dass Österreich etwa auch beim europäischen Kurzarbeitergeld mitgemacht habe.

Ministerin Edtstadler betonte gegenüber Eva-Maria Holzleiter (SPÖ) im Hinblick auf das Erasmus-Programm, dass sich die Mittel mehr als verdoppelt haben. Was einen ebenso von Holzleitner thematisierten "Britenrabatt" auch für Österreich betreffe, gebe es unabhängig vom Brexit eine Diskussion darüber, ob jene Länder, die mehr einzahlen, einen Rabatt erhalten sollen, so Edtstadler. Zur Kritik an den "geizigen" bzw. "sparsamen Vier" aus Mitgliedsländern, womit auch Österreich gemeint sei, was die nunmehrigen Verhandlungen zum Finanzrahmen betrifft, betonte die Ministerin, es gelte, die EU voranzubringen, indem das Steuergeld richtig eingesetzt wird, um treffsicher und rasch zu helfen. Wieviel und in welchem Umfang sei keine Frage von "Geiz", sondern eine der Bemühungen um die sinnhafte Verwendung der Gelder.

Aufbau- und Resilienzfazilität, EU-Instrumente zur Solvenzhilfe und Stärkung der Autonomie

Mit dem Ziel der Unterstützung der Implementierung kohärenter Reform- und Investitionspakete der Mitgliedstaaten zur Eindämmung einer Zunahme der wirtschaftlichen Divergenzen in der EU infolge der COVID-19-Krise sieht ein weiterer Vorschlag der Kommission für eine Aufbau- und Resilienzfazilität (RRF) 310 Mrd. € an Zuschüssen und 250 Mrd. € an rückzahlbaren Darlehen vor (zu Preisen 2018). Die Fazilität soll über das Eigenmittelsystem durch Schuldenaufnahme erfolgen. Der Allokationsschlüssel für die Zuschüsse basiere allerdings auf Bevölkerungsanteil, BIP pro Kopf und Arbeitslosenrate 2015-2019 und sei von österreichsicher Seite inakzeptabel, weil er in keinem Verhältnis zur Betroffenheit von der COVID-19-Krise stehe, so das Finanzressort. Vielmehr müsse das Anreizsystem überdacht und sichergestellt werden, dass die Programme wachstumsfördernde Reformen beinhalten. Eine striktere Implementierung des Stabilitäts- und Wachstumspakts sowie des Verfahrens wegen makroökonomischer Ungleichgewichte sei notwendig, so das Ressort von Finanzminister Blümel.

Im Rahmen des European Funds for Strategic Investment (EFSI) soll außerdem ein neues "Fenster", das Solvenzhilfeinstrument, geschaffen werden. Das Instrument bezweckt die Stärkung der Kapitalbasis von grundsätzlich gesunden Unternehmen. Die Unternehmen sollen von Eigenkapitalfinanzierungen direkt durch die Europäische Investitionsbank (EIB) oder indirekt, u.a. über Nationale Förderinstitutionen, aber auch von darlehensbasierter Unternehmensfinanzierung durch die EIB profitieren. Vor allem die von der Krise am stärksten betroffenen Sektoren und Mitgliedsstaaten, die über keine vergleichbaren nationalen Unterstützungsschemata verfügen, stehen im Fokus des Solvenzhilfeinstruments. Um Verzerrungen im Binnenmarkt zu reduzieren und die Funktionsweise von Wertschöpfungsketten sicherzustellen, sollen durch Kofinanzierungen 300 Mrd. € zur Verfügung stehen.

Ziel eines weiteren Programms, "InvestEU", ist die Stärkung der Autonomie der EU. Die wesentliche Neuerung dabei ist die Schaffung eines Fensters für strategische Investitionen. Dabei geht es um die Finanzierung von Investitionsvorhaben, insbesondere zur Stärkung strategischer Wertschöpfungsketten, sowie strategisch wichtiger Vorhaben. Dies betrifft vor allem kritische Gesundheitsvorsorge, kritische physische und virtuelle Infrastruktur, transformierende und digitale Technologien und Innovation, Massenproduktion für IKT-Hardware sowie die Sicherstellung des Angebots und Lagerung von kritischen Inputs (z.B. Rohstoffe). Außerdem soll das bisherige InvestEU-Fenster für Nachhaltige Infrastruktur erhöht werden, auch um einen fairen Übergang im Sinne des Green Deals zu ermöglichen. Damit sollen 1.000 Mrd. € im Unterschied zu bisher 650 Mrd. € an Investitionen mobilisiert werden, 150 Mrd. € davon durch das Fenster für strategische Investitionen.

Grundsätzlich begrüßt das österreichische Finanzministerium die beiden letzten Instrumente als zukunftsorientierte Programme in der Erholungsphase nach der COVID-19-Pandemie und sieht auch die relevanten Schwerpunktsetzungen. Kritisch wird der tatsächliche Bedarf, vor allem was die Absorptionskapazität betrifft, gesehen. Das Finanzressort betont, dass Fragen im Zusammenhang mit dem EU-Haushalt und den Wiederaufbauinstrumenten auf horizontaler Ebene gelöst werden müssen. Eine Paketlösung werde dabei angestrebt. (Schluss) mbu/med