Parlamentskorrespondenz Nr. 782 vom 09.07.2020

Nationalrat: Ministerin Raab will Frühwarnsystem betreffend Bildung von Parallelgesellschaften einrichten

Dokumentationsstelle für politischen Islam, Integrationsprobleme und Frauenpolitik im Fokus der Fragestunde

Wien (PK) – Die Ausschreitungen in Favoriten seien unter anderem Ausdruck einer "jahrzehntelangen, verfehlten Integrationspolitik", erklärte Bundesministerin Susanne Raab in der heutigen Fragestunde des Nationalrats. Eine Antwort darauf sei die Dokumentationsstelle für politischen Islam, die "mehr Licht ins Dunkel" bringen soll, was Extremismus, Einflussnahme aus dem Ausland und Vereinsstrukturen betrifft. Um die Bildung von Parallelgesellschaften hintanzuhalten, soll zudem ein Frühwarnsystem eingerichtet werden, kündigte sie an. Auch das Thema Altersarmut war der Frauenministerin ein großes Anliegen, die sich deshalb für ein automatisches Pensionssplitting aussprach.

Vor Eingang in die Fragestunde kam Nationalratspräsident Wolfgang Sobotka nochmals auf den gestrigen Feueralarm in der Hofburg zu sprechen. Neben einer Überarbeitung der Sicherheitspläne, die ein geordnetes Räumen des Saales gewährleisten sollen, kündigte er auch die Durchführung eines "Übungsalarms" im Herbst an.

Integration: Neue Dokumentationsstelle soll "blinden Fleck in der Extremismusforschung" abdecken

Österreich dürfe nicht Austragungsort von ausländischen Konflikten sein, betonte Bundesministerin Susanne Raab, die damit auf zahlreiche Fragen Bezug nahm, die sich um die Ende Juni stattgefundenen Ausschreitungen in Favoriten drehten. Gewalttätige Auseinandersetzungen mitten in Wien, bei denen es um Probleme der türkischen Innenpolitik geht, haben Raab zufolge keinen Platz in unserem Land. Was man daraus lernen müsse, sei aber auch, dass man frühzeitig gegen die Bildung von Parallelgesellschaften vorgehen müsse. Denn wenn hunderte gewaltbereite Jugendliche mit Migrationshintergrund bei Demonstrationen türkische Fahnen schwingen, dann gebe es ein Integrationsproblem, schloss sie sich der Meinung des Abgeordneten Ernst Gödl (ÖVP) an.

In einem ersten Schritt habe sie nun gemeinsam mit dem Innenminister einen Aktionsplan gegen Radikalisierung ausgearbeitet, der auf drei Ebenen ansetze und sowohl außenpolitische, als sicherheitspolitische und präventive Maßnahmen enthalte. Da die Fronten zwischen den türkischen Gruppierungen derart verhärtet seien, konnte eine von ihr einberufene Krisensitzung nicht stattfinden, bedauerte die Ministerin für Integration und Frauen. Dennoch werde man den türkischen Vereinen gegenüber, die nun einzeln zu Gesprächen eingeladen werden, die österreichische Position klar zum Ausdruck bringen. Im Vordergrund stehe dabei die Botschaft, dass die rechtsstaatlichen, demokratischen Prinzipien geachtet und die Grundwerte vermittelt und gelebt werden müssen. Dies könne auch im Rahmen von Kursen mit der Polizei geschehen.

Einen wichtigen Beitrag werde jedenfalls die Dokumentationsstelle für politischen Islam leisten, die in den nächsten Wochen eingerichtet wird, zeigte sie sich gegenüber den Abgeordneten Yannick Shetty und Henrike Brandstötter (beide NEOS) überzeugt. Sie soll primär den Nährboden für Gewalt, Segregation und radikales Gedankengut auf allen Ebenen ausforschen, skizzierte die Ministerin das Aufgabengebiet der neuen Einrichtung. Dies gelte natürlich auch für den Schulsektor, teilte Raab der Abgeordneten Rosa Ecker (FPÖ) mit, die sich angesichts einer zunehmenden "islamistischen Jugendkultur", die sich die Scharia zum Vorbild nimmt, besorgt zeigte.

Raab wies Abgeordnete Dagmar Belakowitsch (FPÖ) darauf hin, dass sich der Zugang zum Thema Integration in den letzten Jahren deutlich verändert habe. Es gebe mittlerweile eine Integrationspflicht, die bei Nichtbeachtung auch zu einer Kürzung von Sozialleistungen führen könne. Außerdem habe man 2017 im Integrationsgesetz das Prinzip "Fördern und Fordern" verankert und einen restriktiven Migrationskurs eingeschlagen, zeigte sie gegenüber Abgeordneter Romana Deckenbacker (ÖVP) auf. Damit wurde die jahrelang vorherrschende "romantische Vorstellung von Multikulturalität" abgelöst, die zu massiven Problemen geführt habe. Ihr Ansatz sei es, die Selbstverantwortung einzufordern, denn sonst funktioniere es nicht, richtete sie der Abgeordneten Nurten Yılmaz(SPÖ) aus. Sie habe aber den Eindruck, dass es in Wien, wo 45% der Bevölkerung einen Migrationshintergrund haben, immer noch an Problembewusstsein mangle.

Durch die Strategie, einerseits Herausforderungen klar beim Namen zu nennen und gleichzeitig darzustellen, wo Integration gelingt, könne man auch der Islamophobie besser begegnen, war die Ressortchefin überzeugt. Durch viele gute Programme wie z.B. die Entsendung von Integrationsbotschaftern in die Schulen sollen positive Beispiele vor den Vorhang geholt werden. Ein großes Anliegen sei ihr auch die Stärkung von jungen Mädchen und Frauen mit Migrationshintergrund, merkte sie gegenüber Abgeordneter Faika El-Nagashi (GRÜNE) an, da sie oft mit patriarchalen und traditionalisierten Rollenbildern konfrontiert seien. Ein budgetärer Schwerpunkt liege auch auf der kulturell bedingten Gewalt an Frauen, die von der Kinderehe bis zur Genitalverstümmelung reicht; dafür stehen rund 2 Mio. € zur Verfügung.

Opposition fordert Ausgleich für Corona-bedingte Mehrfachbelastungen der Frauen

Bundesministerin Susanne Raab pflichtete Abgeordneter Gabriele Heinisch-Hosek (SPÖ) bei, dass viele Frauen während der COVID-19-Krise enormen Mehrfachbelastungen ausgesetzt waren und es auch noch sind. Auch Abgeordnete Rosa Ecker (FPÖ) gab zu bedenken, dass Frauen in Stresssituationen oft auf die "tend-and-befriend"-Strategie setzen, was bei vielen in der Corona-Zeit zu einem Burn-out geführt habe. Die Ministerin nahm jedoch für die Regierung in Anspruch, dass bei allen getroffenen Maßnahmen auch immer die Frauen- und Mütterperspektive mitgedacht wurde. Als Beispiele führte sie die Sonderbetreuungszeit, den Kinderbonus, den Familienkrisenfonds oder den Corona-Familienhärteausgleichsfonds an, aus dem bis zu 3.600 € für drei Monate ausbezahlt wurden. Eine Palette von Unterstützungsleistungen gebe es auch für Ein-Personen-Unternehmen, wo der Frauenanteil bei 52% liege.

Was die seelische Gesundheit betrifft, so habe sie bereits im April gemeinsam mit den Krankenkassen ein spezifisches Angebot zur Bewältigung der außergewöhnlichen Belastungen ins Leben gerufen. Darunter falle etwa ein erleichterter Zugang zu Psychotherapie und mentaler Unterstützung. Weitere Schritte seien noch notwendig, um vor allem pflegende Angehörige, noch besser zu entlasten. Da viele Eltern vor den Sommerferien oft schon ihren Urlaub verbraucht haben oder generell Betreuungsprobleme haben, wurden zudem im Rahmen des Gemeindepakets bis zu 30 Mio. € für den Ausbau der kostenlosen Kinderbetreuung zur Verfügung gestellt. 

Auf eine weitere Frage der Abgeordneten Gabriele Heinisch-Hosek (SPÖ) machte sie klar, dass Sexismus in der Gesellschaft keinen Platz habe. Neben der Stärkung des Rechtsschutzes, wie z.B. in Form der Gleichbehandlungsanwaltschaft in ihrem Ressort, setze sie auf ein Maßnahmenpaket zum Kampf gegen Hass im Netz, das sie gemeinsam mit den Ministerinnen Edtstadler und Zadic schnüren wolle.

Frauenpolitik: Automatisches Pensionssplitting, Gendermedizin und spezifische Angebote für ältere Frauen

Bundesministerin Raab stimmte mit Abgeordneter Sybille Hamann (Grüne) darin überein, dass Altersarmut bei Frauen ein großes Thema sei, zumal sie durchschnittlich um 43% weniger Pension erhalten als Männer. Durch das von ihrem Ressort initiierte Projekt TRAPEZ soll mehr Bewusstsein dafür geschaffen werden, wie die eigene finanzielle Absicherung im Alter ausschaut und welche Möglichkeiten es für pflegende Angehörige gibt. Im Sinne der Gerechtigkeit werde sie sich auch intensiv für das automatische Pensionssplitting einsetzen, versicherte sie der Abgeordneten Elisabeth Pfurtscheller (ÖVP). Außerdem soll gemeinsam mit dem Gesundheitsminister ein spezifischer Plan für ältere Frauen erarbeitet werden. Ebenso wie Abgeordneter Norbert Sieber(ÖVP) zeigte sich Raab erfreut darüber, dass erstmals seit zehn Jahren das Frauenbudget um 2 Mio. € erhöht werden konnte. Damit können vor allem die Frauen- und Mädchenberatungsstellen, die während der Corona-Krise eine großartige Arbeit geleistet haben, unterstützt und der Bereich Gewaltschutz deutlich ausgebaut werden. Mittlerweile gebe es nun in jedem Bundesland eine Fachberatungsstelle für sexualisierte Gewalt.(Fortsetzung Nationalrat) sue

HINWEIS: Sitzungen des Nationalrats und des Bundesrats können auch via Live-Stream mitverfolgt werden und sind als Video-on-Demand in der Mediathek des Parlaments verfügbar.