Parlamentskorrespondenz Nr. 913 vom 21.09.2020

Debatte um Moria im EU-Hauptausschuss: Hilfe vor Ort versus Aufnahme von minderjährigen Flüchtlingen

Ausschussmitglieder sprachen im Vorfeld des EU-Gipfels zum Thema Wettbewerbsfähigkeit mit Bundeskanzler Kurz

Wien (PK) – Nach dem Brand im griechischen Flüchtlingslager Moria bekräftigte Bundeskanzler Sebastian Kurz im heutigen EU-Hauptausschuss gegenüber den Nationalratsabgeordneten seine Sicht der Dinge: Es sei wichtig, vor Ort zu helfen, wobei Österreich ihm zufolge bereits einen substantiellen Beitrag leiste. Außerdem würde Österreich EU-weit die zweithöchste Pro-Kopf-Zahl bei der Aufnahme von unbegleiteten Flüchtlingskindern verzeichnen, replizierte der Kanzler auf die von der Opposition aufgeworfene Kritik.

SPÖ und NEOS hatten nämlich die Aufnahme von Kindern und unbegleiteten Minderjährigen aus den griechischen Flüchtlingslagern als humanitäre Notmaßnahme gefordert. Mit den jeweiligen Anträgen auf Stellungnahme konnten sie sich jedoch nicht durchsetzen. Der FPÖ-Klub hingegen forderte dazu auf, keine "Moria-Migranten" aufzunehmen. Auch diese Initiative blieb in der Minderheit.

Angenommen wurde mit breiter Mehrheit stattdessen ein Antrag von Grünen und ÖVP bezüglich eines umfassenden Aktionsplans für Menschenrechte und Demokratie. Die Bundesregierung soll sich demnach auf EU-Ebene für einheitliche Sanktionen bei schwerwiegenden Verstößen gegen die Menschenrechte einsetzen. Nur die FPÖ lehnte dies ab.

Die Opposition wandte sich ferner mit Vorschlägen hinsichtlich des Beitrags zum EU-Haushalt (FPÖ) sowie zum EU-Sanktionsregime (NEOS) an den Bundeskanzler. Die beiden Anträge auf Stellungnahme wurden allerdings abgelehnt.

EU-Gipfel zum Thema Wettbewerbsfähigkeit der EU

Der Hauptausschuss in Angelegenheiten der Europäischen Union war im Vorfeld des außerplanmäßig einberufenen EU-Gipfels der Staats- und Regierungschefs am 24. und 25. September in Brüssel zusammengetreten, bei dem die Themen Binnenmarkt und Wettbewerbsfähigkeit sowie die Wirtschaftsbeziehungen der Union mit China und der Türkei auf der Tagesordnung stehen. Die COVID-19-Pandemie habe die Bedeutung der internationalen Zusammenarbeit, aber auch der großen Abhängigkeit der EU von Drittmärkten aufgezeigt, sagte Bundeskanzler Kurz. Er werde sich im Zuge der EU-China-Debatte für einen fairen Marktzugang heimischer Unternehmen einsetzen. Über die völkerrechtlichen Entwicklungen in der Türkei zeigte sich Kurz besorgt. Er trete für eine konsequente Linie gegenüber dem Land sowie für den Abbruch der EU-Beitrittsverhandlungen ein, sagte er. Beim EU-Gipfel werde er sich auch dafür einsetzen, dass die Mittel des Wiederaufbaufonds für Investitionen in Klima und Digitalisierung verwendet werden, so der Ausblick des Bundeskanzlers.

Moria: SPÖ und NEOS pochen auf Aufnahme von geflüchteten Kindern

Abseits von "Symbolpolitik" wollte SPÖ-Mandatar Jörg Leichtfried die Diskussion rund um das abgebrannte griechische Flüchtlingslager starten. Es ginge vielmehr um menschliche Hilfe und um einen konstruktiven Zugang zu den Verhandlungen über ein neues Asylsystem, sagte er unter Bezugnahme auf das Anliegen seiner Fraktion, Kinder aus den griechischen Flüchtlingslagern in Österreich aufzunehmen. Auch Katharina Kucharowits (ebenfalls SPÖ) sah die Notwendigkeit unmittelbarer Hilfe als eine menschliche Verpflichtung an. In diesem Zusammenhang warf sie dem Kanzler vor, dass die finanziellen Hilfsmittel vor Ort nicht ankommen würden. Dieser widersprach, durch den österreichischen Beitrag könnten 2.000 wintersichere Quartiere errichtet werden, so Kurz. Man dürfe nicht ausblenden, wie viel Österreich in dieser Hinsicht leiste, meinte dazu Reinhold Lopatka (ÖVP), und auch ÖVP-Fraktionskollege Rudolf Taschner entgegnete der Oppositionskritik, Österreich würde in seiner Verantwortungsethik vorbildhaft und konstruktiv handeln.

Zur Aufnahme von 100 besonders notleidenden Kindern rief Helmut Brandstätter (NEOS) auf. Es sei eine Schande, dass es eines Brandes bedarf, damit endlich etwas gegen die Lage auf den griechischen Inseln getan werde, meinte er. Laut seines NEOS-Fraktionskollegen Douglas Hoyos-Trauttmansdorff würde die Problemsituation auf langfristige Verfehlungen in Bezug auf die Hilfe bei Konfliktherden zurückgehen. Eine konträre Ansicht vertrat FPÖ-Mandatar Reinhard Eugen Bösch. Mit "gezielter Aggression" dürfe man sich keinesfalls den Eintritt in die EU erzwingen können, meinte er hinsichtlich des Antrags seiner Fraktion.

Auf die Bedeutung gemeinsamen Handelns zur Bewältigung derartiger Krisen wies Ewa Ernst-Dziedzic (Grüne) hin. Das Europa der Demokratie, der Menschenrechte und des Rechtstaats gelte es zu stärken, weshalb die Bundesregierung die EU-Bestrebungen des Aktionsplans "Menschenrechte und Demokratie 2020 – 2024" unterstütze, sagte die Mandatarin. Der Aktionsplan – für deren Umsetzung sich die Bundesregierung aufgrund des angenommenen Antrags auf Stellungnahme einsetzen werde - habe unionsweite Regelungen bei Verstößen gegen Menschenrechte zum Ziel, erläuterte Ernst-Dziedzic.

Von den Abgeordneten Reinhold Lopatka (ÖVP) und Michel Reimon (Grüne) auf den neu geplanten EU-Migrationspakt angesprochen, wollte sich Bundeskanzler Kurz vor dessen offizieller Präsentation noch nicht äußern.

NEOS-Vorschlag zu EU-Sanktionsmechanismus

Den Umgang mit EU-Sanktionen brachten die NEOS zur Sprache. Sie schlugen zum Schutz der Menschenrechte die Auseinandersetzung mit einem neuen Regime in Anlehnung an den sogenannten "Magnitsky Act" vor. Wie Helmut Brandstätter (NEOS) ausführte, geht es dabei darum, explizit die "Machtmissbraucher" mit Sanktionen zu belegen, nicht aber die BürgerInnen des Landes. Der entsprechende Antrag, der einerseits ein Einreiseverbot gegen Personen, die an der Unterdrückung friedlicher Proteste beteiligt sind, zum Ziel hat, andererseits die Gewährung von temporären Schutz für Personen, die aufgrund von friedlichen politischen Aktivitäten verfolgt werden, wurde nur von der SPÖ unterstützt. Angesichts der aktuellen Lage in Belarus brachte der heute im Ausschuss anwesende Abgeordnete zum Europäischen Parlament Andreas Schieder (SPÖ) sein Unverständnis über die lange Dauer dieses Sanktionsmechanismus zum Ausdruck.

FPÖ sieht Gefahr der "Schuldenunion" durch COVID-19-Hilfszahlungen

Das Thema Corona-Bonds bzw. Hilfszahlungen wurde von FPÖ-Abgeordneter Petra Steger (FPÖ) aufgeworfen. Da der Mehrjährige Finanzrahmen für die Jahre 2021-2027 mit dem COVID-19-Aufbaupaket verknüpft werden soll, sprach sich ihr Klub dafür aus, Österreich in der Rolle als Nettozahler zu entlasten. Abgeordnete Steger zeigte sich aufgrund der Aufnahme von Krediten im Zuge des Wiederaufbaus besorgt, dass Schulden nun zur Dauereinrichtung in der Union werden könnten. Der FPÖ-Antrag, der die Regierungsspitze dazu auffordert, Maßnahmen zur Einführung weiterer EU-Eigenmittel abzulehnen, die Hilfsmittel auf die Abfederung der Corona-Krise zu beschränken und sich für die Verschlankung der Verwaltungsstrukturen einzusetzen, wurde von keiner anderen Fraktion bejaht. Bundeskanzler Sebastian Kurz sprach von einer "einmaligen Aktion" und zeigte sich erfreut, dabei einen "Rabatt" für Österreich zustande gebracht zu haben. (Schluss EU-Hauptausschuss) fan