Parlamentskorrespondenz Nr. 1098 vom 22.10.2020

Familienausschuss: Neuer Aufwind für Verschwörungstheorien durch die Corona-Krise

Debatte über Sektenbericht und zusätzliche Mittel für Familien und Beratungsstellen

Wien (PK) – Mit dem jährlichen Sektenbericht, der über aktuelle Entwicklungen im Bereich religiöse und weltanschauliche Gemeinschaften sowie Angebote informiert, befassten sich heute die Mitglieder des Familienausschusses. Neben den "klassischen" Themen wie Extremismus, religiöser Fundamentalismus, Staatsverweiger oder Esoterik fanden auch die Auswirkungen der Corona-Krise und damit zusammenhängende Verschwörungstheorien Eingang in die Publikation. Der Bericht wurde einstimmig angenommen und gilt somit als enderledigt.

Im ersten Teil der Sitzung standen zudem Entschließungsanträge der Opposition auf der Agenda, in denen es einerseits um – die von der SPÖ geforderte - Erhöhung des Schulstartgeldes auf 200 € und eine Auszahlung dieses Betrags im August ging, und andererseits um die von SPÖ und NEOS beantragte Aufstockung des Budgets für die Familienberatungsstellen auf 15 Mio. € pro Jahr. Beide Anliegen wurden vertagt. Abgelehnt wurde hingegen die Forderung der FPÖ nach einer Auszahlung des Kinderbonus in der Höhe von 360 € auch an jene Familien, die im Referenzmonat September keine Familienbeihilfe bezogen haben.

Sektenbericht: Weiterer Anstieg bei Beratungen und Medienanfragen; neue Themen aufgrund der Corona-Krise

Die Bundesstelle für Sektenfragen, an die sich im Jahr 2019 insgesamt 1.706 Personen gewandt haben, steht seit 22 Jahren als zentrale Service- und Anlaufstelle allen Privatpersonen, Institutionen und staatlichen Einrichtungen zur Verfügung. Aufgrund des hohen Interesses an bestimmten Themen stieg die Zahl der Medienanfragen nochmals deutlich an und bildete somit einen wichtigen Arbeitsschwerpunkt, ist dem Bericht zu entnehmen (III-175 d.B.). Was den Personalstand angeht, so sei die Situation aufgrund der finanziellen Kürzungen in den vergangenen Jahren weiter angespannt. Das Team umfasst fünf MitarbeiterInnen, wobei zwei vollzeit- und drei teilzeitbeschäftigt sind, informierte der Geschäftsführer der Bundesstelle German Müller. 

Für besondere Aufmerksamkeit sorgten im Jahr 2019 etwa die Ereignisse rund um eine kleine in Isolation gehaltene Gemeinschaft in Ruinerwold (Niederlande), die sogenannten Armbrust-Morde in Deutschland innerhalb einer Gruppe, die sich als "Welterneuerer oder Welterschaffer" bezeichnet hat, oder auch die Vorwürfe zum wissenschaftlich nicht anerkannten Spielkonzept "Original Play". Der große Prozess rund um den "Staatenbund Österreich" hielt das mediale Interesse an "souveränen Bewegungen" aufrecht. Ebenso führte der Tod eines 13-jährigen Mädchens in Niederösterreich, dessen Krankheit aus religiösen Gründen nicht behandelt worden war, zu zahlreichen Anfragen an die Bundesstelle zu den Themen Freikirchen und häuslicher Unterricht. Der Bereich "Kindeswohlgefährdung und Kinderrechte" stand im Berichtsjahr 2019 auch im Mittelpunkt der Vernetzungsarbeit mit anderen Einrichtungen.

Aufgrund der Aktualität und der massiven Auswirkungen auf die Gesellschaft wurden die Auswirkungen der Corona-Krise bereits in den Bericht 2019 aufgenommen und in einem eigenen Schwerpunkt zusammengefasst. Verschwörungstheoretische Deutungen in einer Krisensituation seien aus Sicht der Sektenstelle nichts Neues, sie seien geradezu erwartbar. So kursierten etwa relativ bald Behauptungen, dass der Virus in einem Labor entstanden sei. In der Regel wurde dabei dem "chinesische Regime" unterstellt, das Virus bewusst freigesetzt zu haben. Als weiterer Übeltäter wurde das "5G-Mobilfunknetz" ausgemacht, das – je nach Argumentation – entweder per se zu Krankheiten wie COVID-19 führen würde oder dessen katastrophale Auswirkungen auf Mensch und Tier durch die Freisetzung des Virus verschleiert werden sollten. In mehreren europäischen Ländern kam es seit Anfang April 2020 auch zu Vandalismus und Brandanschlägen gegen Mobilfunkmasten.

Bereits vor Beginn der Pandemie war von einem "Adrenochrom-Skandal" die Rede, was mittlerweile als Sammelbegriff für Verschwörungstheorien rund um einen angeblich in großem Stil organisierten Kindesmissbrauch durch eine geheime "Elite" verwendet wird. Diese Kinder sollen zu Hunderttausenden in unterirdischen Einrichtungen wie etwa in stillgelegten oder geheimen U-Bahn-Schächten oder Tunneln – etwa unter dem New Yorker Central Park – gefangen gehalten und gefoltert werden. Das aus ihrem Adrenalin gewonnene Adrenochrom soll von der Elite als eine Art "Verjüngungsdroge" genutzt werden. Dahinter steht angeblich ein Netzwerk mit der Bezeichnung "QAnon" oder oft auch nur "Q" genannt. In ähnliche Richtung geht die Verschwörung bezüglich der "Neuen Weltordnung". Demnach sollen geheime Mächte am Werk sein, die Maßnahmen gegen das Coronavirus nur als Vorwand nehmen, um die Versklavung der Menschheit zu betreiben. Auch der Pharmaindustrie wird vorgeworfen, das Virus vorsätzlich in Umlauf gebracht zu haben, um mit längst entwickelten Impfstoffen Milliarden zu verdienen. Eine besondere Rolle komme dabei Bill Gates zu, der bereits im Jahr 2015 davor gewarnt haben soll, dass Viruskrankheiten für die Welt eine größere Gefahr darstellen als ein Nuklearkrieg.

Breite Themenpalette: Von "QAnon" bis "Weihnachten im Schuhkarton"

Abgeordnete Gudrun Kugler (ÖVP) bedankte sich – ebenso wie die VertreterInnen der anderen Fraktionen – für den umfassenden Bericht und den Umstand, dass darin auch bereits die Auswirkungen der Corona-Krise abgebildet wurden. Ein kleiner Kritikpunkt aus ihrer Sicht sei jedoch die Aufnahme jener Organisation, die für die Aktion "Weihnachten im Schuhkarton" verantwortlich zeichne und von vielen prominenten Menschen unterstützt werde. Es sei für jedermann im Internet ersichtlich, wer der Träger der Initiative ist, gab Kugler zu bedenken. Sie sollte daher nicht im gleichen Atemzug mit einer Sri-Chinmoy-Bewegung oder Scientology genannt werden.

Die SPÖ-Abgeordneten Eva Maria Holzleitner und Petra Wimmer interessierten sich vor allem dafür, welche konkreten Maßnahmen ergriffen werden können, um Kinder und Jugendliche besser vor dem Einfluss von Sekten zu schützen. Ein Problem bestehe auch darin, dass es im Fall von häuslichem Unterricht kaum Kontrollmöglichkeiten gebe. Auch SPÖ-Mandatar Maximilian Köllner sah diesbezüglich Handlungsbedarf. Als für die politische Arbeit sehr hilfreich erachtete Julia Herr (SPÖ) das Kapitel, in dem konkrete Empfehlungen für den Umgang mit Menschen gegeben werden, die an Verschwörungstheorien glauben.

Barbara Neßler (Grüne) erkundigte sich nach den Zusammenhängen zwischen Corona-Verschwörungstheorien und der rechtsextremen Szene, während ihre Fraktionskollegin Ulrike Fischer die "Organische Christus Generation" konkret ansprach.

Michael Bernhard (NEOS) machte auf die schwierige budgetäre Situation der Bundesstelle aufmerksam, deren Mittel in den letzten Jahren um 20% gekürzt wurden. Weiters sprach er die Staatsverweigerer-Szene sowie den Schutz von Kindern und Jugendlichen an, die Zielgruppe von Missionierungen im privaten Umfeld seien. Douglas Hoyos-Trauttmansdorff (NEOS) befasste sich mit dem Thema "QAnon", das mittlerweile auch in Europa immer mehr an Brisanz gewinne. Er habe den Eindruck, dass verschiedene AkteurInnen immer wieder auftauchen und nur die "Gefäße" wechseln.

Fragen zu der Gruppe der Staatsverweigerer stellte FPÖ-Mandatarin Edith Mühlberghuber. Kritische Worte kamen vonseiten des Abgeordneten Wolfgang Zanger, der vor allem beim Corona-Thema eine bewusste Vermischung von sachlicher Kritik mit Thesen von "Wahnsinnigen" ortete, die den Erreger leugnen.

Müller: Verschwörungstheorien machen auch vor Bildung nicht halt

Die Bundessstelle freue sich natürlich über jede zusätzliche Unterstützung, erklärte deren Leiter German Müller in Bezug auf die Fragen zur budgetären Lage. Da die Zahl an Beratungen und Medienanfragen zugenommen habe, seien die Anforderungen an die fünf MitarbeiterInnen weiter gestiegen. Im Vordergrund stünden für ihn aber die inhaltliche Unterstützung der Arbeit durch die Politik und dass die fachlichen Ideen aufgegriffen werden. Müller pflichtete den Abgeordneten bei, dass die Medienkompetenz bei Kindern und Jugendlichen forciert werden müsse. Darauf weise man in Gesprächen mit dem Unterrichtsministerium, den SchulpsychologInnen und den Bildungsdirektionen auch immer wieder hin. Generell können Kinder und Jugendliche Zielgruppe für Missionierung und für diverse Angebote, die auf einem religiösen oder weltanschaulichen Hintergrund beruhen, sein, oder auch direkt Betroffene.

Was das Projekt "Weihnachten im Schuhkarton" betrifft, das auf eine Initiative im evangelikalen Umfeld ("Samaritan´s Purse") zurückgeht, so habe er Verständnis für die Meinung der Abgeordneten Kugler. Nachdem diese Aktion aber auch in Schulklassen beworben werde, sollte es für die Eltern transparent gemacht werden, welche Organisation dahinter stehe.

Die Gegner von Corona-Maßnahmen seien im Vergleich zu den Staatsverweigerern, die seit einer Gesetzesänderung nun weniger in der Öffentlichkeit auftreten, breiter aufgestellt, urteilte Müller. So finde man dabei etwa auch ImpfgegnerInnen, die teilweise sogar über eine ärztliche Ausbildung verfügen. Dies zeige, dass Verschwörungstheorien, die aus einfachen Lösungen und klaren Schuldigen bestehen, auch nicht vor der Bildung halt machen. Auffällig sei auch ein "Demonstrationstourismus", der professionell organisiert werde. Generell schlug Müller ein Bündel an Maßnahmen vor, um gegen Verschwörungstheorien vorzugehen; ein Wundermittel gebe es nicht.

Aschbacher setzt auf Präventionsarbeit und sieht Budget für 2021 abgesichert

Bundesministerin Christine Aschbacher war überzeugt davon, dass auf die Präventionsarbeit insbesondere bei Kindern und Jugendlichen ein Fokus gelegt werden müsse. Es gebe auch eine breite Palette an Angeboten, die von zielgruppenorientierten Informationen auf dem Jugendportal, Webinaren zu den verschiedensten Themen bis hin zur Plattform Elternbildung reichen. Eine enge Kooperation bestehe auch mit den Beratungsstellen zu "Hass im Netz" sowie zu Extremismus. Weiters verwies sie auf die Taskforce Jugendbeschäftigung und den Ausbau der "digital skills". Was das Budget der Bundesstelle angeht, so wurde es von 2019 auf 2020 um 10.000 € erhöht; dies werde auch im nächsten Jahr fortgeschrieben.

FPÖ: Sonderzahlung für alle Familien in der Höhe von 360 €

Da sich viele Menschen infolge der COVID-19-Krise in einer schwierigen finanziellen Situation befinden, haben sich die Regierungsfraktionen auf eine Sonderzahlung zur Familienbeihilfe in der Höhe von 360 € geeinigt, führte die freiheitliche Abgeordnete Edith Mühlberghuber unter Bezugnahme auf einen Antrag (885/A(E)) ihrer Fraktion aus. Dieser Betrag, der im September ausbezahlt wurde, sei aber nicht allen Betroffenen zugutegekommen. All jene Familien, deren Kind bzw. Kinder in diesem Monat keine Familienbeihilfe erhalten haben, seien nämlich um diesen Zuschuss umgefallen.

Abgeordnete Elisabeth Scheucher-Pichler (ÖVP) sprach von einer guten und wichtigen familienpolitischen Maßnahme, die zum richtigen Zeitpunkt – also genau zu Schulbeginn – ausbezahlt wurde. Ebenso wie Barbara Neßler von den Grünen hob sie vor allem die schnelle und unbürokratische Abwicklung hervor. NEOS-Vertreter Michael Bernhard plädierte generell für einen zielgerichteten Ansatz bei Förderungen; die Verteilung von Geldern mit der "Gießkanne" halte er nicht für sinnvoll. - Der Antrag wurde mehrheitlich abgelehnt.

SPÖ tritt für Erhöhung des Schulstartgeldes auf 200 € und eine Auszahlung im August ein

Laut Erhebung der Arbeiterkammer fallen rund 855 € pro Kind an durchschnittlichen Kosten für ein Schuljahr an, zeigt Eva-Maria Holzleitner (SPÖ) auf (879/A(E)). Von sozialer Gerechtigkeit im Bildungssystem könne daher keine Rede sein, zumal Kinder aus einkommensschwachen Familien nicht annähernd die gleichen Startbedingungen wie ihre MitschülerInnen aus finanziell gut situierten Verhältnissen hätten. Neben der finanziellen Belastung sei der Schulstart aufgrund des reduzierten Unterrichts in den ersten Tagen und der notwendigen Besorgungen für viele Eltern noch mit einer größeren zeitlichen Belastung verbunden. Im Sinne einer besseren Planbarkeit und einer finanziellen Entlastung der Familien treten die SozialdemokratInnen daher für eine Verdoppelung des Schulstartgelds von 100 € auf 200 € ab Herbst 2021 sowie eine Auszahlung bereits im August ein. Damit alle Beteiligten einen stressfreien Schulanfang haben können, sollte zudem ein Sonderurlaubstag für alle Eltern mit Volksschulkindern eingeführt werden.

Man dürfe nicht vergessen, dass Österreich ein Vorreiter sei, was die Leistungen für Familien angeht, betonte Abgeordneter Nikolaus Prinz (ÖVP). Barbara Neßler (Grüne) sagte der Antragstellerin zu, dass man sich die Auszahlungsmöglichkeit per August näher ansehen werde; das mache ihrer Meinung nach durchaus Sinn. Der Antrag wurde mehrheitlich vertagt.

SPÖ und NEOS fordern mehr Budget für Familienberatungen

Ebenso vertagt wurde eine gemeinsame Initiative von SPÖ und NEOS, in der sich die Abgeordneten mit Nachdruck für eine Erhöhung des Budgets für den Bereich Familienberatung auf zumindest 15 Mio. € aussprachen (581/A(E)). Nur dann könne eine umfassende, psychosoziale Versorgung von Eltern und Kindern sichergestellt werden. Obwohl im aktuellen Regierungsprogramm ein Ausbau der Familienberatungsstellen versprochen wurde, finde dies im Budget keinen Niederschlag. Gerade vor dem Hintergrund der Corona-Krise, die zu einem verstärkten Beratungsbedürfnis geführt habe, sei dies völlig unverständlich. Der Dachverband Familienberatung erhielt am 15. Mai 2020 seitens des Ministeriums die Nachricht, dass für 2020 12,6 Mio. € budgetiert seien. Von einer Erhöhung, wie es den Familienberatungsstellen versprochen wurde, könne somit keine Rede sein, hielt Abgeordnete Petra Wimmer (SPÖ) der Ministerin entgegen. Auch die Vertreter der NEOS, Michael Bernhard und Douglas Hoyos-Trauttmansdorff, schlossen sich den Forderungen der SPÖ an, die im Grunde von allen Fraktionen mitgetragen werden müssten.

Das Budget sei abgesichert und werde fortgeführt, meinte Abgeordnete Maria Großbauer (ÖVP), viele Angebote habe man zudem auf Online-Formate umgestellt.

Sie habe sich sehr für eine Aufstockung der Mittel eingesetzt, betonte Bundesministerin Christine Aschbacher, die Corona-Krise stelle jedoch für alle Ressorts eine große Herausforderung dar. Ebenso wie Großbauer wies die Ressortchefin auf die teilweise Verlagerung des Angebots auf digitale Services hin, weshalb auch die IT besser ausgestattet wurde. Insgesamt leisteten die über 380 Familienberatungsstellen eine hervorragende Arbeit. (Fortsetzung Familienausschuss) sue