Parlamentskorrespondenz Nr. 1233 vom 20.11.2020

Nationalrat beschließt Ethikunterricht für die Oberstufen

Außerdem Debatten zu Sexualerziehung und coronabedingten "Schulschließungen"

Wien (PK) – Für Schülerinnen und Schüler der Oberstufen mittlerer und höherer Schulen, die sich vom Religionsunterricht abmelden, soll es ab dem Schuljahr 2021/22 einen Ethikunterricht im Ausmaß von zwei Wochenstunden geben. Das sieht ein von der Bundesregierung eingebrachter und heute im Nationalrat debattierter Gesetzesentwurf vor, der mehrheitlich angenommen wurde.

Einen verpflichtenden Ethikunterricht für alle SchülerInnen zusätzlich zum Religionsunterricht schlägt die SPÖ gegenüber dem von der Regierung forcierten Modell vor. Eine Umfrage würde belegen, dass sich der Großteil der österreichischen Bevölkerung (70,1%) für einen allgemeinen Ethikunterricht ausspricht, so die Begründung des Entschließungsantrags.

Die Sexualerziehung an Schulen soll nicht von externen, sondern durch die an den Schulen tätigen Pädagoginnen und Pädagogen altersgerecht und weltanschaulich neutral erfolgen, fordert die FPÖ in ihrem Entschließungsantrag. Damit wird eine bereits im Vorjahr vom Nationalrat angenommene, aber nicht umgesetzte Entschließung zum Thema wieder aufgegriffen.

Die Entschließungen von SPÖ und FPÖ wurden im Plenum abgelehnt, ebenso ein weiterer, im Zuge der Debatte von der FPÖ eingebrachter Entschließungsantrag, mit dem diese von der Bundesregierung die "Sicherstellung eines regulären Unterrichts ab Montag, 23.11.2020" forderte.

SPÖ fordert "Ethik für alle", ÖVP und Grüne loben "ersten Schritt"

Für die SPÖ ergriff Abgeordnete Nurten Yılmaz das Wort und bekräftigte den Wunsch ihrer Fraktion nach "Ethik für alle". Der Zugang der SPÖ sei "die beste Bildung für alle Kinder, ohne ein Kind zurückzulassen". Yılmaz lobte die neue Zusammenarbeit mit NEOS in dieser Frage auf der landespolitischen Ebene, während ÖVP und Grüne "spalten, segregieren, abwerten und die Kinder weiter nach Klassen und in Klassen trennen" würden. Mit dem heute beschlossenen "Schrumpfethikunterricht" werde noch weiter getrennt, so Yılmaz, die im Gegensatz "Räume, wo man gemeinsam und miteinander den Umgang mit Pluralität und Vielfalt lernt", forderte.

Konziliant gab sich Abgeordneter Rudolf Taschner (ÖVP) in Richtung SPÖ, deren Gedanken er nachvollziehen könne. Taschner verwies auf "laizistische Staaten wie Frankreich", lobte aber die Vorzüge des österreichischen Modells. Diese lägen darin, dass "Religionsunterricht in der Schule und nicht außerhalb" stattfinde. Das wolle man "bei bestimmten Religionen nicht haben". Außerdem sei jeder Mensch "irgendwie gläubig", referierte Taschner. So habe Giordano Bruno an die Natur, Lenin an die Geschichte und ein Vorgänger des Bürgermeisters Ludwig an Bacchus geglaubt. Taschner bekräftigte, dass der Glaube selbst privat sei, die Religionsgemeinschaften aber in der Öffentlichkeit stünden und daher eine Beziehung zum Staat hergestellt werden müsse. Religions- und Ethikunterricht müssten den Idealen der Aufklärung verpflichtet sein, ohne missionarisch zu sein oder nur ein zeitgeistkonformes Verhalten zu predigen.

Bundesminister Heinz Faßmann unterstreicht Vorteile des Ethikunterrichts

Seinen Eindruck, man wolle einander nicht verstehen, äußerte Bildungsminister Heinz Faßmann. Zugleich unterstrich er, dass er die gewählte Vorgangsweise beim Ethikunterricht für vernünftig halte. Nach jahrzehntelangen Schulversuchen habe auch der Rechnungshof die Überführung in das Regelschulwesen empfohlen und bereits 2011 habe es eine Enquete zur Realisierung des Ethikunterrichtes gegeben. Der Mittelweg, so der Minister, werde nun beschritten zwischen den Positionen Ethik, ohne Ergänzung und Begleitung der Religionen beziehungsweise alleinigen Religionsunterricht. In Zukunft sei der Ethikunterricht nicht isoliert sondern würde mit dem Religionsunterricht interagieren, wozu sich auch die Religionsvertreter bekennen würden. Faßmann legte dar, dass in der Lehrplangestaltung Religions- und Ethikunterricht parallel stattfinden sollen, sodass Teamteaching möglich und gefördert werde.

Abgeordnete Sibylle Hamann (Grüne) zeigte sich froh über die Einführung des Ethikunterrichts, man sei sich darüber weitgehend einig. Auch die Grünen würden sich "Ethik für alle" wünschen, die "Ethik für einige" sei ein erster Schritt auf dem Weg dorthin. Es gelte nun, PädagogInnen auszubilden, denn ein guter Ethikunterricht werde auch dem Religionsunterricht etwas bringen. In der Schule brauche es einen verbindenden Raum zwischen den verschiedenen Bekenntnissen, für übergreifende Projekte und eine Zusammenarbeit der Lehrkräfte, so Hamann.

Abgeordnete Gertraud Salzmann (ÖVP) verwies auf ihre langjährigen Erfahrungen mit dem Schulversuch zum Ethikunterricht in ihrem Heimatbundesland Salzburg. Obwohl seit 2011 "die Fakten auf dem Tisch" lägen, sei bis jetzt nichts geschehen. Gemeinsam mit den Grünen setze man nun den Ethikunterricht ab Herbst 2020/21 um. Salzmann schloss eine spätere Erfassung der Sekundarstufe 1 nicht aus, es gebe bisher aber nur Erfahrungen mit der Oberstufe. Schon jetzt gebe es im Schulversuch viele gemeinsame Projekte zwischen Ethik- und Religionsunterricht. Da auch im konfessionellen Religionsunterricht viel an Menschen- und Persönlichkeitsbildung gemacht werde, sei Ethik für alle bereits vorhanden, argumentierte Salzmann. Der Religionsunterricht dürfe nicht an den Rand gedrängt werden, nur so werde der "Einfluss von Hinterhofpredigern" zu verhindern.

Im Gegensatz zu den Regierungsfraktionen sprach Abgeordnete Martina Künsberg Sarre (NEOS) von einer "vergebenen historischen Chance". Gebraucht werde Ethik für alle ab der ersten Klasse Volksschule, unabhängig von der Konfession. Den Religionsunterricht gebe es ja schließlich auch. Die Vermittlung von demokratischen Grundwerten, Dialogfähigkeit, Toleranz, Offenheit, Gleichheit von Mann und Frau sei umso nötiger nach dem Terroranschlag in Wien, sagte Künsberg Sarre. Stattdessen komme nun eine "typisch österreichische Lösung", denn wenn einmal ein Gesetz da sei, komme danach lange nichts. Den Grünen unterstellte sie damit einen weiteren "Umfaller wie beim Dominospiel".

Taferlprotest "gegen Schulschließungen" von FPÖ; NEOS unterstützen die Forderung

Weniger zur Tagesordnung als zu den aktuellen Corona-Maßnahmen äußerten sich die Abgeordneten der FPÖ, allen voran Hermann Brückl. Dieser forderte im Plenum den Bundeskanzler auf "die Schulen wieder aufzusperren". Den Ethikunterricht werde die Freiheitliche Partei mittragen, zudem fordere man in einem eigenen Antrag einen weltanschaulich neutralen Sexualunterricht ohne schulfremde PädagogInnen. Diese Themen, so Brückl, rücken aber "in den Schatten". Er verwies unter anderem darauf, dass Angstzustände und Schlafstörungen bei Kindern immer öfter vorkämen, sowie auf die seiner Ansicht nach geringe Bedeutung von Kindern beim Infektionsgeschehen.

Ebenso nutzte Abgeordneter Gerald Hauser (FPÖ) die Debatte, um für die Forderung seiner Partei nach Abhaltung von Präsenzunterricht an den Schulen während des COVID-19-Lockdowns zu werben. Hauser berief sich anhand der Tagesordnung auf das zur Debatte stehende Schulorganisationsgesetz und auf ein Schreiben des Bundesministeriums für Bildung, wonach neue Inhalte im Fernunterricht nicht vermittelbar seien. An den anwesenden Minister appellierte Hauser, sich diesbezüglich "nicht von Bundeskanzler Kurz overrulen" zu lassen.

Für "offene Schulen" plädierte auch NEOS-Abgeordnete Martina Künsberg Sarre. Es sei eine Frage der Haltung, welchen Stellenwert ein Land der Bildung zuschreibe. Künsberg Sarre verwies auf Irland, wo man auf kleinere Gruppen, größere Räume und Masken setze.

FPÖ-Antrag zur Sexualpädagogik - "Let's talk about sex"

Mit einer Reminiszenz an den Song "Let's talk about sex" aus dem Jahr 1990 eröffnete Abgeordnete Ewa Ernst-Dziedzic (Grüne) ihren Beitrag zum Thema Sexualerziehung. "Heute gibt es das Internet ohne Filter, wo sich Kinder alles reinziehen können, was mit Sexualität zu tun haben könnte", so Ernst-Dziedzic. Unverständnis äußerte sie über den FPÖ-Antrag, die externe Sexualpädagogik aus den Schulen zu bringen. Nach der Debatte um "Teamstar" sei über neutrale Sexualpädagogik diskutiert worden, es gebe nun klare Kriterien und Akkreditierungsverfahren. Die Sexualpädagogik gebe Infos auf Basis von wissenschaftlichen Erkenntnissen, nehme Ängste und eröffne Räume. Die SchülerInnen könnten Fragen und Erfahrungen diskutieren, was sie aus Scham mit dem eigenen Lehrer eventuell nicht tun würden. So stärke Sexualpädagogik den gesunden Selbstwert, leiste einen Beitrag für einen respektvollen Umgang mit dem eigenen Körper und sei ein Beitrag zur geschlechtlichen und sexuellen Vielfalt, erläuterte Ernst-Dziedzic. Vor einer Sexualpädagogik an den Schulen müsse man sich nicht fürchten, wenn diese von guten externen PädagogInnen komme.

Für die ÖVP versuchte sich Abgeordneter Nico Marchetti zum Thema Sexualunterricht als Vermittler zwischen FPÖ und Grünen. Letztlich eine sie der Wunsch nach einem weltanschaulich neutralen Sexualunterricht. Ein qualitätsgesichertes Akkreditierungsverfahren könne diesen sicherstellen. _Noch zu schaffen sei ein "National Competence Center für Sexualpädagogik", so Marchetti, der den Antrag der FPÖ als "utopisch" bezeichnete. Da Sexualkunde in der LehrerInnenausbildung nur ein freiwilliges Modul sei, sei es nicht möglich, dass die PädagogInnen diesen Unterricht selbst flächendeckend durchführen. (Fortsetzung Nationalrat) cke

HINWEIS: Sitzungen des Nationalrats und des Bundesrats können auch via Live-Stream mitverfolgt werden und sind als Video-on-Demand in der Mediathek des Parlaments verfügbar.


Themen