Parlamentskorrespondenz Nr. 1340 vom 01.12.2020

Häusliche Gewalt: Staat übernimmt Kosten für Präventionsberatung von Tätern

Innenausschuss stimmt außerdem für Verlängerung zahlreicher COVID-19-Sonderregelungen im Fremdenrecht

Wien (PK) – Kurz vor den letzten Nationalratswahlen haben ÖVP und FPÖ ein umfangreiches, nicht ganz unumstrittenes Gewaltschutzpaket verabschiedet. Zur Gewaltprävention wurde mit diesem Paket auch eine verpflichtende Beratung für weggewiesene GewalttäterInnen eingeführt. Nun wird die Umsetzung dieser Maßnahme um ein halbes Jahr auf Juli 2021 verschoben und eine verpflichtende Zahl von sechs Beratungsstunden festgelegt. Ein entsprechender Antrag der Koalitionsparteien wurde heute vom Innenausschuss des Nationalrats einstimmig gebilligt. Zudem werden die Kosten für die Beratung nun doch nicht vom – meist männlichen – Gewalttäter selbst übernommen werden müssen, sondern vom Bund getragen.

Ebenfalls den Innenausschuss passiert hat ein Koalitionsantrag, der auf die Verlängerung verschiedener Corona-Sonderregelungen im Fremdenrecht abzielt. Dabei geht es etwa um die Verlängerung von Aufenthaltstiteln und die Möglichkeit eines schriftlichen Gelöbnisses für Neo-ÖsterreicherInnen. Den Oppositionsparteien ist es unter anderem ein Anliegen, die parlamentarische Kontrolle der heimischen Geheimdienste auszuweiten, Ehrenzeichen wieder aberkennen zu können und besseres Datenmaterial in bestimmten Bereichen zu erhalten. Sie konnten sich mit ihren Anträgen aber – zumindest vorerst – nicht durchsetzen.

Mehr Beratungsstunden für weggewiesene GewalttäterInnen

Ziel der ab Mitte 2021 geltenden Beratungspflicht für aus der Wohnung weggewiesene bzw. mit einem Annäherungsverbot belegte GewalttäterInnen ist es, weiteren Gewalttaten vorzubeugen und auf eine Deeskalation der Situation insgesamt hinzuwirken. Der – überwiegend männliche – Gefährder hat sich demnach binnen fünf Tagen nach der Anordnung eines derartigen Verbots mit einer Beratungsstelle in Verbindung zu setzen.

Dass die Kosten für diese Beratung gemäß der vorliegenden SPG-Novelle (1107/A) nun vom Staat übernommen werden, soll nach Meinung von ÖVP und Grünen die Akzeptanz dieser Maßnahme vor allem in einkommensschwachen Schichten erhöhen. Gerade bei einer ohnehin schon angespannten familiären Budgetlage könnte es sonst zu einer Verstärkung bestehender Spannungen kommen, geben die AntragstellerInnen Karl Mahrer (ÖVP) und Georg Bürstmayr (Grüne) zu bedenken. Zudem erwarten sie sich davon eine Verringerung des administrativen Aufwands und mehr finanzielle Sicherheit für die Beratungsstellen.

Die Verschiebung um ein halbes Jahr begründete ÖVP-Abgeordnete Romana Deckenbacher damit, dass es im Zuge des Ausschreibungsverfahrens zu wenige Bewerbungen gab und daher keine zeitgerechte flächendeckende Beauftragung von Beratungsstellen möglich sei. Viele Einrichtungen hätten befürchtet, dass sie um ihr Geld umfallen, und sich daher erst gar nicht beworben, hielt Grün-Abgeordneter Bürstmayr dazu fest. Er sieht auch vor diesem Hintergrund die Kostenübernahme durch den Staat für sinnvoll. Es gehe nicht darum, Täter gegenüber Opfern zu bevorzugen, bekräftigte er, sondern opferorientierte Täterarbeit zu ermöglichen. Von der nunmehr zumindest sechsstündigen Beratung erwartet sich Deckenbacher einen höheren Wirkungsgrad.

Geeinigt haben sich die Koalitionsparteien außerdem auf eine Evaluierung des Gewaltschutzgesetzes bis Mitte 2022, wobei ein von ÖVP, SPÖ, Grünen und NEOS gemeinsamer eingebrachter und bei der Abstimmung mitberücksichtigter Abänderungsantrag vorsieht, in die Evaluierung auch Opferschutzeinrichtungen mit einzubeziehen.

Opposition stimmt geschlossen zu

Zustimmung zur Novelle kam auch von der Opposition, wiewohl sich Birgit Schatz (SPÖ) etwas irritiert darüber zeigte, dass Opferschutzeinrichtungen für die Beratung von Opfern nur fünf Stunden Beratungszeit zugestanden würde, während für Täter nunmehr sechs Stunden vorgesehen seien. Auch Opferarbeit brauche Unterstützung, hob sie hervor. Stephanie Krisper (NEOS) wies darauf hin, dass ihre Fraktion schon bei der Beschlussfassung des Gesetzes kritisiert habe, dass die Täterarbeit vom Täter zu bezahlen sei. Christian Ries (FPÖ) ist zwar nach wie vor der Meinung, dass eine Übernahme der Kosten durch den Gefährder angebracht wäre, er und seine ParteikollegInnen stimmten der Initiative dennoch zu.

Dass in der Statistik zuletzt ein sprunghafter Anstieg bei Betretungs- und Annäherungsverboten ausgewiesen wurde, führt Innenminister Karl Nehammer auf eine geänderte Zählweise zurück. Früher habe man auf die Täter abgestellt, nun würden alle betroffenen Familienmitglieder einzeln gezählt, erläuterte er. Meist gebe es ja mehrere Opfer. Laut Nehammer soll die neue Zählweise aber noch einmal überdacht werden.

SPÖ urgiert Datenübermittlung bei Stalkingfällen

Vom Ausschuss vertagt wurden die Beratungen über einen Entschließungsantrag der SPÖ (932/A(E)) betreffend die Weiterleitung von Daten bei Stalkingfällen. Es würde den Opferschutzeinrichtungen die Arbeit erleichtern, wenn sie von der Polizei über einschlägige Anzeigen informiert würden, sind Selma Yildirim und ihre FraktionskollegInnen überzeugt. Auch NEOS-Abgeordnete Stephanie Krisper unterstützte die Forderung.

Innenminister Karl Nehammer wies darauf hin, dass es grundsätzlich eine enge Zusammenarbeit zwischen der Polizei und den Opferschutzorganisationen gebe. Auch das vorliegende Anliegen wollen ÖVP und Grüne prüfen, wobei sowohl Christian Stocker (ÖVP) als auch Georg Bürstmayr (Grüne) die Notwendigkeit hervorhoben, Datenschutzbestimmungen einzuhalten.

Verlängerung von Corona-Sonderregelungen im Fremdenrecht

Einstimmig wurde vom Innenausschuss ein Antrag der Koalitionsparteien (1106/A) angenommen, mit dem zahlreiche fremdenrechtliche Sonderbestimmungen, die mit den COVID-19-Maßnahmengesetzen geschaffen wurden, bis Ende Juni 2021 verlängert werden. Das betrifft die Verlängerung von Visa nach dem Ausländerbeschäftigungsgesetz, die Möglichkeit der schriftlichen Abgabe des Gelöbnisses bei der Verleihung der österreichischen Staatsbürgerschaft, die Einbringung von Niederlassungs- und Asyl-Verlängerungsanträgen auf postalischem oder elektronischem Wege sowie die Verbringung minderjähriger AsylwerberInnen in Regionaldirektionen und deren Außenstellen.

Mit dem Gesetzesantrag würden keine neuen Bestimmungen geschaffen, sondern jeweils nur die "Sunset Clause" nach hinten verschoben, betonte Christian Stocker (ÖVP).

BVT-Reform: Opposition fordert Ausweitung der parlamentarischen Kontrollrechte

Vom Innenausschuss mit ÖVP-Grünen-Mehrheit vertagt wurde ein gemeinsamer Oppositionsantrag (1072/A), der auf eine Stärkung der parlamentarischen Kontrollrechte gegenüber dem Bundesamt für Verfassungsschutz und Terrorismusbekämpfung (BVT) hinausläuft. Demnach sollen die Berichtspflichten des Innenministers gegenüber dem zuständigen Geheimdienst-Unterausschuss des Nationalrats ausgeweitet werden und die Abgeordneten ein Einsichtsrecht in einschlägige Unterlagen erhalten. Bereits ein Viertel der Abgeordneten soll dabei die Bereitstellung von Dokumenten erwirken können, eine Verweigerung wäre nur in Ausnahmefällen und mit Begründung möglich.

Begründet wird die gemeinsame Oppositionsinitiative zur Änderung des Polizeilichen Staatsschutzgesetzes damit, dass die bestehenden Kontrollmöglichkeiten ineffektiv seien. Der parlamentarische Unterausschuss hätte in der Vergangenheit in mehreren Fällen frühzeitiger und umfassender unterrichtet werden müssen, sind sich NEOS, SPÖ und FPÖ einig.

In der Debatte hob Stephanie Krisper (NEOS) hervor, dass sich die vorgeschlagene regelmäßige Berichtspflicht des Ministers an der Regelung in Deutschland orientiere. Der Ausbau der parlamentarischen Kontrollrechte sei wichtig, unabhängig von der BVT-Reform, bekräftigte sie.

Sowohl SPÖ-Abgeordneter Reinhold Einwallner als auch FPÖ-Abgeordnete Dagmar Belakowitsch mahnten eine sachliche Diskussion über den Antrag ein und kritisierten in diesem Zusammenhang eine Presseaussendung des Vorsitzenden des Innenausschusses Karl Mahrer (ÖVP), in der unter anderem von einem "Oppositionstheater" die Rede war. Dieser verteidigte seine Vorgangsweise allerdings und betonte, dass es vereinbart gewesen sei, sich zunächst auf die Reform des BVT zu konzentrieren und erst danach über eine Ausweitung der Kontrolle zu diskutieren, was jedoch von der Opposition bestritten wurde.

Entgegenkommen signalisierten Manfred Hofinger (ÖVP) und Georg Bürstmayr (Grüne). Der Antrag enthalte positive Punkte, sagte Hofinger. Man müsse aber darauf achten, Ermittlungen nicht zu gefährden oder zu behindern. Insofern sieht er noch Gesprächsbedarf. Auch Bürstmayr glaubt nicht, dass der Gesetzesvorschlag "so eins zu eins beschlossen werden kann". Er versichert aber, dass den Grünen die parlamentarische Kontrolle der Geheimdienste ein besonders Anliegen sei, und zeigte sich "vorsichtig optimistisch, dass wir in den nächsten Wochen etwas zusammenbringen".

Auch Innenminister Karl Nehammer ist zuversichtlich, was die Reform des BVT betrifft. Das Projekt werde mit viel Engagement vorangetrieben, erklärte er. Hält der Zeitplan, soll die neue "Aufbauorganisation" bereits im ersten Quartal 2021 stehen.

Ehrenzeichen sollen wieder aberkannt werden können

Über einen Antrag der NEOS (76/A) zum Thema Aberkennung von Ehrenzeichen soll der Verfassungsausschuss weiter beraten. Die Zuständigkeit für Ehrenzeichen liege im Bundeskanzleramt und nicht im Innenministerium, begründete Wolfgang Gerstl (ÖVP) die angestrebte Weiterleitung. Inhaltlich kann er der Initiative durchaus etwas abgewinnen, es gebe in gewisser Form eine Gesetzeslücke, sagte er.

Die NEOS haben den Antrag bereits zu Beginn der Legislaturperiode eingebracht. Demnach soll es möglich sein, sowohl die verschiedenen Ehrenzeichen für Verdienste um die Republik Österreich als auch sonstige besondere Auszeichnungen wie das Ehrenkreuz für Wissenschaft und Kunst wieder abzuerkennen, und zwar nicht nur zu Lebzeiten des Geehrten, sondern auch posthum. Es gehe dabei um Extremfälle, erläuterte Stephanie Krisper.

NEOS mahnen Bericht über Cybersicherheit ein

Vertagt wurden die Beratungen über die Forderung der NEOS (735/A(E)) nach der Erstellung eines jährlichen Berichts über aktuelle Bedrohungen der Cybersicherheit in Österreich und mögliche Auswirkungen auf die nationale Sicherheit und Wirtschaft. Die NEOS gehen von Schwachstellen in der Sicherheitsarchitektur der Republik aus und wollen, dass der Nationalrat regelmäßig über maßgebliche Entwicklungen in diesem Bereich informiert wird. Der jährliche Bericht soll auch Bewertungen neuer Technologien sowie Angaben über Aktivitäten und die Zusammenarbeit mit anderen Ländern inkludieren. Douglas Hoyos-Trauttmansdorff erwartet sich vom Bericht nicht zuletzt auch einen Beitrag zur Bewusstseinsbildung.

Unterstützt wurde der Antrag sowohl von FPÖ-Abgeordnetem Christian Ries als auch von SPÖ-Abgeordnetem Reinhold Einwallner. Cyberkriminalität sei stark im Vormarsch, gab Ries zu bedenken. Eva Maria Himmelbauer (ÖVP) hegt allerdings Vorbehalte, was die Erstellung eines neuen Berichts betrifft. Schließlich gebe es schon viele Berichte wie den Sicherheitsbericht, den Cyber-Sicherheitsbericht des BKA und den Datenschutzbericht, die verschiedene Aspekte abdeckten.

Polizei soll Gesundheitsbehörden bei Kontrolle von Corona-Auflagen unterstützen

Zunehmende Eingriffe in Grund- und Freiheitsrechte in Zusammenhang mit der Bekämpfung der COVID-19-Pandemie ortet die FPÖ. Sie fordert daher mit einem Entschließungsantrag (866/A(E)) einen Bericht von Innenminister Karl Nehammer, der über sämtliche einschlägigen Amtshandlungen der Exekutive informieren soll. Zudem sollten die gesetzlich normierten Polizeibefugnisse evaluiert werden.

Auch dieser Antrag wurde von den Koalitionsparteien in die Warteschleife geschickt. Es mache wenig Sinn, mitten in der Pandemie Ressourcen für Datenerhebungen zu binden, argumentierte David Stögmüller (Grüne), zeigte sich aber für eine Evaluierung der Maßnahmen nach der Pandemie aufgeschlossen.

Von FPÖ-Abgeordneter Dagmar Belakowitsch auf die in Diskussion stehenden neuen Polizeibefugnisse bei der Kontrolle von Corona-Auflagen angesprochen, bekräftigte Innenminister Karl Nehammer, dass sich die Kontrollermächtigung auf Betriebsstätten, Arbeitsstätten und öffentliche Verkehrsmittel beschränke und Privaträumlichkeiten davon nicht umfasst seien. Zudem könne die Exekutive ausschließlich auf entsprechendes Ersuchen der Bezirksverwaltungsbehörden hin tätig werden. Dass die Polizei bei den Kontrollen aushelfen soll, begründete er mit der dünnen Personaldecke bei den Gesundheitsbehörden.

FPÖ fordert statistische Daten über Angriffe auf ExekutivbeamtInnen

Mit den Stimmen der Koalitionsparteien lehnte der Innenausschuss schließlich einen Antrag der FPÖ (868/A(E)) ab, der darauf abzielt, tätliche Übergriffe auf ExekutivbeamtInnen statistisch zu erfassen und die Daten in den Sicherheitsbericht aufzunehmen. Die Hemmschwelle gegenüber der Polizei sei "im Sinkflug begriffen", hier müsse man gegensteuern, mahnte Christian Ries. Auch Reinhold Einwallner (SPÖ) und Stephanie Krisper (NEOS) können der Forderung etwas abgewinnen, wiewohl sie die Begründung der Entschließung hinterfragten.

Georg Bürstmayr (Grüne) wertete die Begründung der Entschließung hingegen als Beleg dafür, dass die FPÖ die Daten nur dazu nutzen wolle, um mit dem Finger auf bestimmte Gruppen zu zeigen und sie so "vor ihren politischen Karren zu spannen". Auch Hermann Gahr (ÖVP) kann keinen Zusatznutzen von weiteren Datenerhebungen erkennen.

Grundsätzlich würden die Daten bereits erfasst und seien an verschiedenen Stellen dem Sicherheitsbericht zu entnehmen, hatte zuvor ein Vertreter des Ministeriums betont. Aus den Zahlen der letzten zehn Jahre lässt sich ihm zufolge außerdem nicht herauslesen, dass die Zahl gewalttätiger Angriffe auf PolizistInnen gestiegen sei. Durchschnittlich werden demnach jedes Jahr rund 2.100 bis 2.200 PolizistInnen im Dienst verletzt, darunter 900 bis 1.000 durch fremde Gewalt. Durch die COVID-19-Pandemie gestiegen sei aber die Zahl der Fälle von fahrlässiger Gemeingefährdung. (Fortsetzung Innenausschuss) gs