Parlamentskorrespondenz Nr. 1372 vom 03.12.2020

Corona-Krise: FPÖ wirft Bundesregierung Totalversagen vor

Dringliche Anfrage im Bundesrat an Bundeskanzler Kurz

Wien (PK) – Die FPÖ hat heute eine Dringliche Anfrage im Bundesrat an Bundeskanzler Sebastian Kurz für einen Rundumschlag gegen die Regierungspolitik genutzt. Die Bundesregierung habe im Kampf gegen die Corona-Krise völlig versagt und ein Chaos verursacht, ist sich der neue Fraktionsvorsitzende der FPÖ in der Länderkammer Christoph Steiner mit seinen ParteikollegInnen einig. Von "haarsträubendem Dilettantismus" in so gut wie allen betroffenen Ressorts, einem "Todesstoß" für den Tourismus durch die geplante Verlängerung des Lockdowns und einer chaotischen Vorgangsweise bei Schulschließungen und -öffnungen ist in der Anfrage unter anderem die Rede. Zudem rückte Steiner Kurz bei der Begründung der Dringlichen Anfrage in die Nähe des in den 1930er-Jahren diktatorisch regierenden Bundeskanzlers Engelbert Dollfuß und bezeichnete ihn mehrfach verächtlich als "Heiland".

Die Ausführungen Steiners veranlassten Bundesrats-Vizepräsidentin Elisabeth Grossmann dazu, sich das Stenographische Protokoll bringen zu lassen, um einen Ordnungsruf zu prüfen. Kurz selbst ging auf den massiven Rundumschlag nicht direkt ein. Er appellierte neuerlich an die Bevölkerung, an den bevorstehenden Massentests teilzunehmen, die er als wirksames Mittel zur Bekämpfung der Pandemie sieht. Zum verlängerten Lockdown merkte er an, die Regierung habe sich den Weg nicht gewünscht, es gebe dazu aber keine Alternative. Nach wie vor zuversichtlich ist Kurz, dass man bis zum Sommer nächsten Jahres dank des raschen Fortschritts bei der Entwicklung von Impfstoffen zur Normalität zurückkehren wird können.

FPÖ kritisiert Einschränkung von Grund- und Freiheitsrechten

Für die FPÖ ist jedenfalls klar, dass die Regierung bei der Bekämpfung der Krise dilettantisch agiert. Zigtausende bisher erfolgreiche Betriebe seien in ihrer Existenz bedroht und dadurch hunderttausende Arbeitsplätze gefährdet, wird unter anderem in der Dringlichen Anfrage festgehalten. Mit der geplanten Erstreckung des Lockdowns bis zum 7. Jänner würde nicht nur Gastronomie- und Hotelbetrieben, sondern auch der Veranstaltungsbranche der "Todesstoß" versetzt.

Besonders kritisch sieht Steiner die Einschränkung von Grundrechten im Zuge der Bekämpfung der COVID-19-Pandemie. Es seien unzählige rote Linien überschritten worden, ist er überzeugt. Parlamentarismus, Demokratie, Freiheitsrechte und Eigenverantwortung würden "mit den Füßen getreten". Ergebnis sei eine "totale Corona-Diktatur". Wer nicht der Meinung der Regierung sei, werde als Verschwörer, Gefährder oder zumindest "als Trottel abgestempelt", so Steiner. Indirekte Folgen des Lockdowns wie eine steigende Selbstmordgefahr würden ignoriert.

Wenig hält der Tiroler Bundesrat auch von den geplanten Massentests. Diese würden nach Meinung von ExpertInnen nichts bringen und noch dazu ohne gesetzliche Grundlage erfolgen, machte er geltend. Zudem glaubt Steiner, dass diese nur eine Vorhut für "Zwangsimpfungen" seien, und ortet in diesem Zusammenhang "Hinterlist". Auch Geschäftemacherei in der Corona-Krise prangerte er an und stellte den Verdacht in den Raum, dass das Bundeskanzleramt Einfluss auf Beschaffungsprozesse genommen habe. Empört sind Steiner und sein Fraktionskollege Josef Ofner (FPÖ/K) überdies über den ausgeschriebenen Werbeetat der Bundesregierung in der Höhe von rund 200 Mio. €.

Die Forderung nach einem Verbot von "Zwangsimpfungen" und "Zwangstests" unterstrich die FPÖ mit einem Entschließungsantrag, der bei der Abstimmung jedoch keine Mehrheit fand.

Kurz: Gesetzte Maßnahmen sind alternativlos

Bundeskanzler Sebastian Kurz verteidigte eingangs der Beantwortung der Dringlichen Anfrage die verhängten Ausgangsbeschränkungen und die weiteren Restriktionen. Die Regierung habe sich den Weg nicht gewünscht, er sei aber ohne Alternative, bekräftigte er. Es habe vor dem Lockdown ein stark exponentielles Wachstum bei den COVID-19-Infektionen gegeben, man sei knapp vor der Überlastung der intensivmedizinischen Kapazitäten gestanden. Nun zeige sich, dass der Lockdown wirke.

Mit der geplanten Verlängerung einiger Einschränkungen und den bevorstehenden Massentests hofft Kurz, die Zahl der Infektionen unter Kontrolle halten zu können. Je mehr Menschen mitmachen, desto eher würden die Maßnahmen wirken und die Ausbreitung von COVID-19 eindämmen, betonte er und appellierte in diesem Sinn an die Bevölkerung, rege an den Massentests teilzunehmen. Ziel sei es, Weihnachtsfeiern zu ermöglichen, ohne dass es gleich wieder zu einem exponentiellen Wachstum komme. Dass Österreich bis zum Sommer nächsten Jahres zur Normalität zurückkehren kann, hält Kurz nach wie vor für eine realistische Perspektive, zumal wohl schon bald die ersten ÖsterreicherInnen geimpft werden könnten.

Zur Kritik an der Einschränkung von Freiheitsrechten merkte Kurz an, derartige Eingriffe würden auch der Regierung "keine Freude machen". Der "andere Weg" würde aber noch mehr Tote und eine derartige Überlastung der Intensivmedizin bedeuten, dass auch HerzinfarktpatientInnen oder Unfallopfer nicht mehr adäquat behandelt werden könnten.

Massentests kosten laut Kurz weniger "als ein Tag Lockdown"

Im Zuge der Beantwortung der einzelnen Fragen der Dringlichen Anfrage hielt Kurz unter anderem fest, dass die Kosten für den Assistenzeinsatz des Heeres bei den Massentestungen aus dem COVID-19-Krisenbewältigungsfonds getragen werden. Der Umfang des Einsatzes lasse sich noch nicht genau quantifizieren, der Kanzler rechnet aber zu Spitzenzeiten mit der Beteiligung von bis zu 6.000 Heeresangehörigen.

Was die Kosten des Massentests betrifft, machte Kurz geltend, dass diese insgesamt weniger kosten würden "als ein Tag Lockdown". Die verwendeten Tests würden "zu den besten am Markt" gehören. Würde man Tests mit nur einem halben Prozent höherer Fehleranfälligkeit einsetzen, würde das Tausende falsche Testergebnisse bewirken.

Impfungen gegen COVID-19 sollen laut Kurz möglichst dezentral durchgeführt werden. Es solle dort geimpft werden, wo die Menschen leben, meinte er. Eine Impfpflicht schloss Kurz weiter aus, gab aber zu bedenken, dass Impfungen das beste Mittel gegen die Verbreitung des Coronavirus seien. Er könne nur appellieren, dass möglichst viele Menschen die Impfmöglichkeit wahrnehmen.

Die geplanten Reiserestriktionen begründete Kurz mit den Erfahrungen aus dem Sommer. Ein Drittel der Ansteckungen im Sommer seien durch Heimkehrer aus dem Ausland verursacht worden, gab er zu bedenken. Zudem würden internationale Beispiele zeigen, dass man das Risiko einer Einschleppung und Weiterverbreitung von COVID-19 durch Quarantäneanordnungen massiv reduzieren könne. Verteidigt wurde von Kurz auch die Maskenpflicht für SchülerInnen ab der Unterstufe: Diese ermögliche die Rückkehr an die Schulen und würde von ExpertInnen als unproblematisch gesehen.

Die Zahl seiner medienöffentlichen Termine seit Beginn der Corona-Pandemie bezifferte Kurz mit 55, davon acht im Anschluss an den Ministerrat. Der von der FPÖ angesprochene Werbeetat sei nur ein Rahmen, es brauche aber einen Vertrag mit einer professionellen Agentur. Schließlich sei es zu Beginn der Pandemie nur mit Hilfe des Roten Kreuzes möglich gewesen, sich mit der Kampagne "Schau auf mich, schau auf dich" an die Bevölkerung zu wenden.

ÖVP und Grüne weisen Kritik der FPÖ zurück

Im Rahmen der Debatte betonte Harald Himmer (ÖVP/W), dass Menschenleben das seien, "was am wertvollsten ist". Er hob zudem die Notwendigkeit hervor, in einer Krise einen kühlen Kopf zu bewahren und verschiedene Interessen unter einen Hut zu bringen. Die Regierung habe in diesem Sinn die richtige Strategie, erklärte er.

Wenig anfangen können Himmer und der Grüne Bundesrat Marco Schreuder mit der aus ihrer Sicht völlig undifferenzierten Kritik der FPÖ. Die Dringliche Anfrage beginne "wie ein Facebook-Hassposting", sagte Schreuder, es werde nur "geschimpft" und kein einziger konstruktiver Vorschlag gemacht. Er kann auch keinerlei Einschränkung der Meinungsfreiheit oder diktatorische Tendenzen in Österreich erkennen. Es gebe kein Grundrecht auf die Ansteckung anderer Menschen, hielt ergänzend dazu Karl Bader (ÖVP/N) fest.

Generell meinte Schreuder zur Pandemie-Bekämpfung, man habe mangels einschlägiger Erfahrungen "ins kalte Wasser springen müssen". Mit den Milliardenhilfen für die Wirtschaft und anderen Corona-Hilfen sowie den beschlossenen Investitionen in den Klimaschutz sei aber viel gelungen.

SPÖ kritisiert Vorbereitung der Massentests, NEOS urgieren langfristigen Plan

Seitens der SPÖ übte Ingo Appé (SPÖ/K) Kritik an der organisatorischen Vorbereitung der Massentests durch den Bund. Diese sei konfus und dilettantisch, meinte er. Damit würde die "Pleiten- Pech- und Pannenserie" der Regierung fortgeführt. Leidtragende seien die Länder und Gemeinden sowie die freiwilligen HelferInnen, die die Tests durchführen müssten. Die Regierung trage aber die Verantwortung für das Funktionieren. Fraglich ist für Appé außerdem, ob der zweite Lockdown nicht zu spät verordnet wurde. Auf die Bedeutung einer hohen Impfrate wies Stefan Schennach (SPÖ/W) hin, während er gleichzeitig die "Inszenierung" des Kanzlers beklagte.

Der Wiener NEOS-Abgeordnete Karl-Arthur Arlamovsky rief dazu auf, die geplanten Maßnahmen kritisch zu hinterfragen. Auch in der Oberstufe müsse möglichst bald wieder ein Regelunterricht stattfinden, mahnte er. Zudem sei es notwendig, Planungssicherheit für die Wirtschaft zu schaffen und einen langfristigen Plan vorzulegen, der über einen Zeitraum von 14 Tagen hinausgehe. Die Regierung vermittle den Eindruck eines Schachspielers, der nur bis zum nächsten Zug denkt, bemängelte er. Auch die angekündigten Reiseregelungen sind für ihn nicht konsistent. (Fortsetzung Bundesrat) gs


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