Parlamentskorrespondenz Nr. 1390 vom 10.12.2020

Kampf gegen Gewalt an Frauen als gemeinsames europäisches Anliegen

Aktuelle Europastunde im Nationalrat zum Thema Gewaltschutz

Wien (PK) – Der Schutz der Frauen vor Gewalt muss ein gemeinsames europäisches Anliegen sein, betonten heute im Nationalrat alle Fraktionen. In einer Aktuellen Europastunde unterstrichen die Abgeordneten ebenso wie Justizministerin Alma Zadič die Bedeutung der Istanbuler Konvention zur Bekämpfung von Gewalt gegen Frauen und riefen zu verstärkter Koordination auf EU-Ebene auf. Im Zentrum der Debatte stand aber auch Kritik an Polen und Ungarn, denen ÖVP, Grüne und SPÖ Rückschritte in der Frauen- und Gleichstellungspolitik vorwarfen. Die FPÖ wiederum sprach von einem Zusammenhang zwischen der Gewalt gegen Frauen und der jüngsten Migrationsbewegung.

Grüne setzen auf Istanbuler Konvention

Grünen-Mandatarin Meri Disoski schickte voraus, ihre Fraktion habe am letzten Tag der Kampagne "16 Tage gegen Gewalt an Frauen" dieses Thema für die Europastunde ausgewählt, um auf die Dimension der geschlechtsspezifischen Menschenrechtsverletzungen hinzuweisen. Allein in der EU sei jede dritte Frau von Gewalt betroffen, erinnerte sie und unterstrich vor diesem Hintergrund die Bedeutung der Istanbuler Konvention als wichtigstes Rechtsinstrument zur Bekämpfung von Gewalt gegen Frauen. In Österreich habe bei der Umsetzung lange Zeit Nachholbedarf bestanden, nun habe man aber wesentliche Lücken geschlossen. Entscheidend sind für Disoski aus dieser Sicht das Paket gegen Hass im Netz, die Möglichkeit der juristischen und psychosozialen Prozessbegleitung für Kinder und Jugendliche, die Zeugen von Gewalt wurden, die Erhöhung der Mittel für Gewaltschutz und Opferschutz sowie die opferschutzorientierte Täterarbeit. In anderen Ländern Europas würde es hingegen zu Rückschritten kommen, klagte die Frauensprecherin der Grünen und sprach in Anspielung auf das Abtreibungsverbot in Polen von "Auswüchsen des politischen Katholizismus".

EP-Abgeordnete Monika Vana (Grüne) lenkte den Blick auf das Engagement des Europäischen Parlaments und meinte, auf europäischer Ebene brauche es nun vor allem eine sofortige Ratifizierung der Istanbuler Konvention durch die EU, eine Stärkung der Opferrechte sowie die Aufnahme von geschlechtsspezifischer Gewalt in die Liste der EU-Crimes. Faika El-Nagashi (Grüne) warnte vor antimuslimischem Rassismus, dessen Opfer vornehmlich muslimische Frauen seien, die ein Kopftuch tragen. Ihr Fraktionskollege Michel Raimon stellte fest, in Österreich bestehe kein Grund, mit dem Finger auf andere Länder zu zeigen. Gewalt von Vätern gegen Kinder sei hierzulande erst seit den Siebzigerjahren, Vergewaltigung in der Ehe gar erst seit Ende der Achtzigerjahre strafbar, gab er zu bedenken und führte zahlreiche Erfolge in der Frauenpolitik auf das Engagement Johanna Dohnals zurück.

ÖVP unterstreich Bedeutung des Opferschutzes

Elisabeth Pfurtscheller (ÖVP) begrüßte die Maßnahmen Österreichs zur Umsetzung der Istanbuler Konvention und sprach mit Besorgnis von Rückschritten in Polen und Ungarn. Gewalt gegen Frauen gehe uns alle an, steht für Michaela Steinacker (ÖVP) fest, die zu weltweiter Solidarität mit den Opfern aufrief. Was Österreich betrifft, sind für die Justizsprecherin der ÖVP vor allem der Schutz vor Gewalttätern und der Zugang der Frauen zu Unterstützung entscheidend. Die Regierung habe zahlreiche Maßnahmen gesetzt, man sei aber noch lang nicht am Ziel. "Nur schwache Männer schlagen Frauen, starke Männer unterstützen sie", betonte Angelika Winzig (ÖVP). Die EP-Mandatarin rief zu Bewusstseinsschärfung und Zivilcourage auf und meinte überdies, wichtig sei es auch, europaweit entsprechendes Datenmaterial zum Thema Gewalt gegen Frauen zu sammeln.

SPÖ-Kritik an Entwicklungen in Polen und Ungarn

Auch Petra Bayr (SPÖ) würdigte die Istanbuler Konvention als das weltweit beste Instrument, um gegen Gewalt an Frauen vorzugehen, klagte aber, dass einige Staaten dem Übereinkommen noch nicht beigetreten sind bzw. einen Austritt überlegen. Die Konvention habe nichts mit Gendern oder der gleichgeschlechtlichen Ehe zu tun, wie dies vielfach behauptet werde, ihr Ziel sei es vielmehr, Frauen vor Gewalt zu schützen, stellte sie klar. Scharf ging Bayr mit Polen ins Gericht, dessen Abtreibungsverbot sie als Rückschritt in der Frauenpolitik bezeichnete. Angesichts der Entwicklungen in Polen und Ungarn sieht Sabine Schatz (SPÖ) Österreich aufgerufen, klare Positionen zu beziehen. Handlungsbedarf bestehe aber auch innerstaatlich, meinte sie und forderte zusätzliche Budgetmittel für Gewaltschutzmaßnahmen. "Österreich darf nicht Polen und Ungarn werden", pflichtete ihr EP-Abgeordnete Evelyn Regner (SPÖ) bei, die für Gewaltschutzprogramme für Frauen und Mädchen auf europäischer Ebene eintrat und darüber hinaus auf die Aufnahme von Gewalt an Frauen in die Liste der EU-Crimes pochte.

FPÖ warnt vor Zunahme von Gewalt an Frauen im Gefolge der Migrationsbewegung

In der westlichen Welt bestehe ein allgemeiner Konsens hinsichtlich der Ablehnung von Gewalt gegen Frauen, vieles habe sich zum Besseren gewendet, stellte Roman Haider (FPÖ) fest. Zu Rückschlägen sei es allerdings im Gefolge der Migration der letzten Jahre gekommen, meinte der freiheitliche EP-Mandatar und warf vor allem den Grünen vor, diesen Aspekt auszublenden. Haider sprach in diesem Zusammenhang von "linken Pro-Migrations-Fetischisten", die mit ihrer Politik die Tore für eine Flut an Gewalt gegen Frauen geöffnet hätten. Für Gewalt gegen Frauen gebe es keine Rechtfertigung, weder traditioneller noch religiöser Natur, stellte seine Fraktionskollegin Susanne Fürst klar. Die Maßnahmen auf EU-Ebene hielt sie als bloße Willenserklärungen für unzureichend. Österreich wiederum warf Fürst Säumigkeit vor, so etwa bei der Schaffung von Frauenhausplätzen. Zu Polen und Ungarn bemerkte sie, deren Kritik an der Istanbuler Konvention würde sich nicht gegen die Vorgaben, sondern vielmehr gegen die Ideologie richten, von der das Übereinkommen getragen sei.

NEOS: Corona-Pandemie führt zu Zunahme an Gewalt gegen Frauen

Gewalt an Frauen habe keinen Pass, hielt Henrike Brandstötter (NEOS) der FPÖ entgegen. In Europa würden jeden Tag zehn Frauen getötet, weil sie Frauen sind, rechnete sie vor und wies auf eine Zunahme der häuslichen Gewalt als Folge der Corona-Pandemie hin. Dies bestätigte auch ihre Fraktionskollegin vom Europäischen Parlament, Claudia Gamon, die für eine bessere Koordinierung und für die Einbindung der Zivilgesellschaft auf europäischer Ebene plädierte. Für Johannes Margreiter (NEOS) gilt es, das Virus der Gewalt gegen Frauen durch Prävention zu besiegen, die bereits in der Schule ansetzen sollte. Wichtig wäre es auch, Frauen wirtschaftlich zu stärken, dies etwa durch eine Reform des Unterhaltsrechts.  

Zadič begrüßt Ausbau von Opferschutz und Prozessbegleitung

Gewalt gegen Frauen sei allgegenwärtig und real, schlug Justizministerin Alma Zadič Alarm, wobei sie das Ausmaß des Phänomens mit dem Hinweis untermauerte, die Hälfte aller Frauen und Mädchen in Europa seien bereits Opfer von sexuellen Belästigungen oder Übergriffen geworden. Die Europäische Union räume nun dem  Kampf gegen Hass im Netz, einer Strategie für Opferrechte sowie dem Schutz von vulnerablen Personen Priorität ein, diskutiert werde auch über die Möglichkeit eines Gesamtbeitritts der EU zur Istanbuler Konvention. Die Ressortchefin sieht aber auch Handlungsbedarf auf nationaler Ebene, zumal der Lockdown zu einer Zunahmen von Gewalt gegen Frauen geführt habe. Wichtig sind für Zadič in diesem Zusammenhang die nunmehr ins Dauerrecht übernommene Möglichkeit der Beantragung einer einstweiligen Verfügung auf elektronischem Weg durch die Opferschutzorganisationen sowie die Ausweitung der juristischen Prozessbegleitung auf Kinder. Zudem gehe es darum, gegen die wirtschaftliche Abhängigkeit der Frauen anzukämpfen, betonte die Ministerin, die überdies auf Bildung und Zivilcourage setzt. (Fortsetzung Nationalrat) hof

HINWEIS: Sitzungen des Nationalrats und des Bundesrats können auch via Live-Stream mitverfolgt werden und sind als Video-on-Demand in der Mediathek des Parlaments verfügbar.