Parlamentskorrespondenz Nr. 113 vom 04.02.2021

FPÖ übt in Sondersitzung des Nationalrats heftige Kritik an Verbot von Demonstrationen gegen Corona-Maßnahmen

Innenminister Nehammer: Grundrecht der Versammlungsfreiheit gewahrt, Verbote kommen nur als Ultima Ratio zur Anwendung

Wien (PK) – Eine lebhafte Debatte über die Corona-Strategie der Bundesregierung führte der Nationalrat in einer auf Verlangen der FPÖ für heute einberufenen Sondersitzung. Im Mittelpunkt der Debatte, die unter dem von den Freiheitlichen gewählten Titel "Für die Freiheit – Gegen Zwang, Willkür und Rechtsbruch!" geführt wurde, stand die Frage, inwieweit die Corona-Pandemie auch Einschränkungen des Demonstrationsrechts rechtfertigt.

Die FPÖ-Fraktion übte dabei scharfe Kritik an der Bundesregierung und insbesondere an Innenminister Karl Nehammer. Sie sah die zuletzt erfolgten Verbote von Demonstrationen gegen die Corona-Maßnahmen als nicht akzeptable Eingriffe in die Freiheitsrechte der österreichischen BürgerInnen. Aus Sicht der FPÖ handelt es sich bei der COVID-19-Notmaßnahmenverordnung des Gesundheitsministers um eine niederrangigere Rechtsvorschrift. Mit ihr lassen sich daher die zuletzt erfolgten Eingriffe in ein verfassungsmäßig verbürgtes Recht, wie es die Versammlungsfreiheit darstellt, nicht rechtfertigen, sind die Freiheitlichen überzeugt.

Vor diesem Hintergrund stellte Klubobmann Herbert Kickl eine Dringliche Anfrage an den Innenminister, in der er unter anderem umfassende Auskünfte über die für 30. und 31. Jänner angemeldeten Demonstrationen sowie über die Gründe einforderte, die letztlich zur Untersagung der Veranstaltungen führten. Kickl wollte von Innenminister Nehammer auch wissen, was er zu unternehmen gedenke, um das verfassungsrechtlich garantierte Versammlungsrecht zu verteidigen und die aus freiheitlicher Sicht durch die COVID-19-Maßnahmen unzulässig eingeschränkte Versammlungsfreiheit wieder in Kraft zu setzen. Die Freiheitlichen forderten schließlich die Abgeordneten der anderen Fraktionen auf, gemeinsam mit ihnen dem Innenminister das Misstrauen auszusprechen. Im Zuge der Debatte brachte auch die SPÖ einen Misstrauensantrag ein.

Innenminister Karl Nehammer betonte, dass es von Seiten der Politik keine Weisungen zur Untersagung von Demonstrationen gegeben habe. Ein Verbot von Versammlung sei immer nur die Ultima Ratio, wenn eine sehr konkrete Gefährdung der öffentlichen Gesundheit und Sicherheit zu erwarten sei. Grundsätzlich würden die Grundrechte des Schutzes der Gesundheit und der Versammlungsfreiheit sehr sorgfältig gegeneinander abgewogen, um die Versammlungsfreiheit auch während der Pandemie maximal zu gewährleisten, unterstrich der Innenminister in seiner Beantwortung der Anfrage.

Kickl sieht inakzeptable Einschränkungen des Versammlungsrechts

Kickl wollte in seiner Dringlichen Anfrage vom Innenminister insbesondere erfahren, wie viele Demonstrationen für den 30. und 31. Jänner angekündigt worden waren, welche davon letztlich untersagt und welche Untersagungsgründe dafür angegeben wurden. Er interessierte sich auch dafür, wie viele Personen während der "Spaziergänge" am 31. Jänner 2021 auf der Wiener Ringstraße angezeigt, festgenommen oder verhaftet wurden und welche Begründungen es dafür gab. Vor allem wollte der Freiheitliche Klubobmann wissen, welche genauen Gründe zur Untersagung der von der FPÖ am 29. Jänner 2021 angezeigten Versammlung zum Thema: "Allgemeine Information der FPÖ" geführt hätten. Er fragte auch, ob hinter den Untersagungen Weisungen des Innenministers oder anderer PolitikerInnen standen.

Die Freiheitlich würden unterdessen als einzige echte Oppositionspartei für Freiheit und gegen Zwang, Willkür und Rechtsbruch kämpfen, sagte Kickl in der mündlichen Begründung seiner Dringlichen Anfrage. Es gelte, der Bundesregierung den Spiegel über ihr Vorgehen vorzuhalten. Angst gelte zwar als schlechter Ratgeber, scheine aber unterdessen der einzige Ratgeber der Bundesregierung und vor allem des Innenministers zu sein. Die Regierung habe Angst vor der Wahrheit, den Fakten, der Freiheit und letztlich Angst vor dem Volk. Aus dieser Angst heraus habe der Bundesminister am vergangenen Wochenende "einen Großangriff auf die Freiheit durchgeführt", sagte Kickl in Hinblick auf die Untersagung der Demonstrationen. Damit sei ein "unglaublicher Tabubruch" erfolgt, meinte Kickl. Das Vorgehen stehe im völligen Widerspruch zu den demokratischen Idealen, welche die ÖVP stets hochhalte.

Das Demonstrationsrecht sei in der Verfassung stark abgesichert, eine Untersagung brauche daher einen klaren Nachweis der Verhältnismäßigkeit der Maßnahme. Die Feststellung einer nur möglichen Gefahr sei hingegen nicht hinreichend für eine Einschränkung dieser Rechte. Die Gründe, die von der Landespolizeidirektion Wien für die Untersagung der Demonstration der FPÖ angeführt habe, seien nicht stichhaltig. Kickl vermutete hinter diesem Schritt eine Weisung des Innenministers. Offenbar habe man so sicherstellen wollen, dass missliebige Stimmen nicht gehört werden, mutmaßte Kickl. Er sehe hier eine sehr bedenkliche Entwicklung, nachdem das Bundeskanzleramt noch vor Kurzem betont habe, dass die Versammlungsfreiheit ein hohes Gut sei und auch in der Pandemie nicht eingeschränkt werden dürfe.

Kickl vermutete, die Demonstrationen seien verboten worden, weil sie den steigenden Unmut der Bevölkerung über die verfehlten Corona-Maßnahmen der Bundesregierung zum Ausdruck gebracht hätten. Tatsächlich gebe es immer mehr Evidenz dafür, dass die aktuelle Corona-Strategie und vor allem die Lockdowns nichts bringen würden. Auch die Ausweitung der PCR-Tests trage ebenso wie das Tragen von FFP2-Masken nichts zur Gesundheit der Bevölkerung bei. Diese erkenne gleichzeitig immer deutlicher, dass es hier nur mehr um Kontrolle gehn. Statt die Strategie zu wechseln, verschärfe die Bundesregierung ihre Gangart und auch die Polizei für Kontrolle und Überwachung missbrauchen, sagte Kickl. Die Einsatzkräfte seien am vergangenen Sonntag glückicherweise nicht auf die Eskalationsstrategie des Innenministers eingegangen, er danke ihnen dafür ausdrücklich. Der angebliche "Sturm auf das Parlament" habe nicht stattgefunden und sei eine mediale Erfindung, sagte Kickl. Der Innenminister habe sich den Misstrauensantrag der FPÖ "redlich verdient" und sei an der Spitze des Ressorts nicht mehr tragbar. Er forderte die anderen Oppositionsparteien und die Grünen auf, sich dem Misstrauensantrag der FPÖ anzuschließen.

Nehammer: Untersagung einer Versammlung immer nur Ultima Ratio

Innenminister Karl Nehammer ortete in der Begründung der Anfrage von Ex-Innenminister Kickl "viel Frustration und gekränkte Eitelkeit". Kickl habe einige unwahre Behauptungen getätigt, er stelle die Situation insgesamt nicht richtig dar und seine Verteidigung der Versammlungsfreiheit sei nicht glaubwürdig. Die Pandemie sei eine sehr ernste Angelegenheit, doch werde die Versammlungsfreiheit hochgehalten. Von 63 während der Pandemie angemeldeten Versammlungen seien 44 durchgeführt worden, betonte Nehammer. Die Untersagung einer Versammlung erfolge stets nach eingehender Prüfung seitens der Polizei und der Gesundheitsbehörden und bedürfe einer genauen Gefährdungsprognose. Nur wenn tatsächlich die Gesundheit der Menschen auf dem Spiel stehe, werde die Versammlung untersagt, betonte Nehammer. Das sei in den angeführten Fällen stets der Fall gewesen. Kickl unterstelle daher in seiner Anfrage den Behörden und ihm als Innenminister völlig unbegründeter Weise Amtsmissbrauch.

Des Weiteren sprach Nehammer von einer "unheiligen Allianz der FPÖ mit Corona-Leugnern". An den "Spaziergängen" vergangenen Sonntag hätten sich nachweislich Neonazis, Rechtsextreme, so genannte Staatsverweigerer und Hooligans beteiligt. Bei Identitätsfeststellungen hätten gewaltbereite DemonstrantInnen PolizistInnen verletzt, das sei eine Tatsache. Vergangenen Sonntag seien von PolizistInnen in ganz Wien mehr als 1.700 Anzeigen wegen Gefährdung der Gesundheit und öffentlichen Sicherheit erstattet worden, allerdings lasse sich nicht sagen, wieviel davon im Bereich der Ringstraße stattfanden. Bei den "Spaziergängen" am Sonntag seien elf Festnahmen durchgeführt worden, um die Sicherheit der Bevölkerung zu gewährleisten. Das Recht auf Gesundheit und die Versammlungsfreiheit seien Grundrechte, die stets genau gegeneinander abgewogen würden, betonte Nehammer.

Klar zurückweisen müsse er jede zynische Verwendung des Freiheitsbegriffs, sagte der Innenminister. BürgerInnen, die ihren Protest zum Ausdruck bringen wollen, dürften nicht mit extremen Gruppierungen in Verbindung gebracht und für deren Ziele missbraucht werden. Nehammer warnte davor, Öl ins Feuer zu gießen. In der derzeitigen Situation seien Klarheit und Hilfe für die Betroffenen gefordert, keine Verschwörungstheorien. Die Verfassung und Grund- und Freiheitsrechts seien ein hohes Gut und müssten geschützt werden. Die derzeitige Situation dürfe jedenfalls nicht dazu benützt werden, weitere Verunsicherung zu verbreiten.

Was die konkreten Fragen betreffe, so seien für den 30. Jänner vierzehn Versammlungen angemeldet und zehn davon wegen Gefährdung des öffentlichen Wohls und der Gesundheit untersagt worden. Für 31. Jänner seien mit derselben Begründung von vierzehn angemeldeten Versammlungen zwölf untersagt worden. Von seiner Seite oder von Seite anderer PolitikerInnen habe es jedenfalls keine diesbezüglichen Weisungen gegeben. Die Untersagungen seien immer erst nach intensiven Überprüfungen seitens der Polizei und der Gesundheitsbehörden erfolgt. 

Entgegen den Behauptungen Kickls sei ein Sturm auf die Parlamentsrampe nachweislich geplant worden und habe nur aufgrund des sofortigen Reagierens der Polizei vor Ort verhindert werden können. Dabei sei ein Aktivist wegen Widerstands gegen die Staatsgewalt festgenommen worden, dabei seien auch mehrere PolizistInnen ernsthaft verletzt worden. In diesem Fall würden die üblichen Ermittlungen geführt. Grundsätzlich könne die Untersagung der Versammlung immer nur die Ultima Ratio sein und müsse auf einer sehr konkreten Gefährdungsprognose beruhen. Eine allgemeine Feststellung eines Gefährdungspotenzials reiche nicht aus. Das Grundrecht auf Gesundheit sei jedoch ebenso schützenswert wie die Versammlungsfreiheit, es erfolge daher stets eine genaue Abwägung dieser Rechtsgüter, betonte der Innenminister. (Fortsetzung Nationalrat) sox

HINWEIS: Sitzungen des Nationalrats und des Bundesrats können auch via Livestream mitverfolgt werden und sind als Video-on-Demand in der Mediathek des Parlaments verfügbar.