Parlamentskorrespondenz Nr. 158 vom 16.02.2021

Nationalrat: Rücktrittsforderungen der Opposition an Finanzminister Blümel

Misstrauensanträge gegen Blümel und Nehammer sowie Entschließungen der Opposition in Sondersitzung abgelehnt

Wien (PK) – Mit Rücktrittsforderungen der Opposition an Finanzminister Gernot Blümel gestaltete sich die Debatte in der heutigen Sondersitzung des Nationalrats entsprechend kontrovers. Grundlage war die Dringliche Anfrage der FPÖ an den Finanzminister unter dem Titel "Blümel hat sich verzockt - das Spiel der ÖVP ist aus" (siehe auch Parlamentskorrespondenz Nr. 156/2021) aus Anlass einer von der Wirtschafts- und Korruptionsstaatsanwaltschaft angeordneten Hausdurchsuchung bei Finanzminister Blümel.

Während Abgeordnete der ÖVP darauf pochten, dass dem Finanzminister im Hinblick auf Fakten, Daten und Zahlen das klare Vertrauen auszusprechen sei, zeigte sich die Opposition empört über die aktuellen Entwicklungen. SPÖ und NEOS fehlt es an politischer Verantwortung, die der Finanzminister zu übernehmen habe, und zwar mittels Rücktritt. Die FPÖ ortet drüber hinaus ein ganzes "ÖVP-Universum" an Netzwerken etwa zur Firma Novomatic und brachte zusätzlich zur Dringlichen Anfrage einen Misstrauensantrag gegen Blümel ein, der allerdings keine Mehrheit fand. Ebenso abgelehnt wurde ein weiterer Misstrauensantrag der FPÖ gegen Innenminister Karl Nehammer.

Die Grünen kritisierten ihren Koalitionspartner ÖVP zwar heftig für "Attacken", die gegenüber der unabhängigen Justiz "geritten" würden, der Beschuldigtenstatus des Finanzministers stelle aber kein Urteil dar. Aus derzeitiger Sicht sei die Faktenlage nicht so, dass es für eine Zustimmung zu einem Misstrauensantrag ausreiche.

Auch alle weiteren Entschließungsanträge der Opposition blieben in der Minderheit. So wollte die SPÖ, dass die Justizministerin die "Blümel-Neumann-Chats" veröffentlicht. Alle drei Oppositionsparteien forderten, die Drei-Tages-Berichtsfrist in clamorosen Fällen im Berichtspflichtenerlass der OStA Wien in jenen Fällen, in denen bloß aufgrund der Funktion des/der Verdächtigen im öffentlichen Leben ein öffentliches Interesse besteht, abzuschaffen. Die Freiheitlichen wiederum traten für die Abberufung des ÖBAG-Vorstands Thomas Schmid ein. Mit gleich fünf Entschließungen versuchten die NEOS einige ihrer Anliegen durchzubringen. Sie sprachen sich dafür aus, die Kompetenz für den Spielerschutz dem Bundesministerium für Soziales, Gesundheit, Pflege und Konsumentenschutz zu übertragen und für die restlichen Bereiche des Glückspielwesens eine unabhängige und weisungsfrei gestellte Behörde zu schaffen. Zudem drängten sie auf mehr Transparenz bei parteinahen Vereinen, auf die Einführung eines Straftatbestands "illegale Parteienfinanzierung" und auf die volle Kontrolle der Parteifinanzen durch den Rechnungshof. Schließlich legten sie auch ihre Forderung nach einem weisungsfreien, unabhängigen Bundesstaatsanwalt vor.

Der Einrichtung eines unabhängigen Bundesstaatsanwalts diente auch  ein Fristsetzungsantrag der SPÖ. Sie wollte dem Verfassungsausschuss zur Vorbehandlung ihres Antrags eine Frist bis zum 23. Februar 2021 setzen. Dieser Fristsetzungsantrag erhielt ebenso wenig die erforderliche Mehrheit wie der Wunsch aller drei Oppositionsparteien, dem Geschäftsordnungsausschuss ebenfalls eine Frist bis zum 23. Februar 2021 zu setzen, um die Vorberatung ihres Antrags zur Einrichtung eines eigenen COVID-19-Unterausschusses mit weitgehenden Prüfbefugnissen abzuschließen.

FPÖ ortet ein "ÖVP-Universum"; Misstrauensanträge gegen Blümel und Nehammer

Von einem ganzen "ÖVP-Universum" im Zusammenhang mit Netzwerken sprach Christian Hafenecker (FPÖ), der in der Anfragebeantwortung durch den Finanzminister eine "Generalamnesie wie im Untersuchungsausschuss" ortete und etwa auch Nationalratspräsident Wolfgang Sobotka vorwarf, Novomatic würde bei verschiedenen Gelegenheiten die "Kreditkarte ziehen". Außerdem ging es Hafenecker um die Frage, ob und wie Blümel vorab Kenntnis von der Akte zu Ermittlungen aus dem Untersuchungsausschuss erlangt haben könnte. Im Zuge der Debatte brachten die Freiheitlichen aber nicht nur gegen den Finanzminister einen Misstrauensantrag ein, sondern auch gegen Innenminister Nehammer.

In die gleiche Kerbe schlugen Michael Schnedlitz und Susanne Fürst (beide FPÖ). Fürst ortete ein gestörtes Verhältnis der ÖVP zur Verfassung und stellte sich vor die Wirtschafts- und Korruptionsstaatsanwaltschaft WKStA. Schnedlitz sprach von einem "Kriminalroman". Er prangerte die "PR-Maschinerie und Inszenierung" der ÖVP an und vermutete, dass für die ÖVP im Wahlkampf viel mehr Geld geflossen sei, als bisher bekannt ist.

ÖVP: Klares Vertrauen für Finanzminister und Kritik an der WKStA

Andreas Hanger (ÖVP) sieht die Argumente der FPÖ demgegenüber auf einer "Kabarettbühne" verortet, wie er sagte. Er wandte sich in einem Appell an die Freiheitlichen, bei Fakten, Daten und Zahlen zu bleiben. Selbige könne er im Misstrauensantrag als Grundlage nicht erkennen. Insbesondere im Hinblick auf die hervorragende Arbeit in der Pandemie sei dem Finanzminister das klare Vertrauen auszusprechen. So liege Österreich mit 32 Mrd. € an Wirtschaftshilfen, die seit Beginn der Pandemie zur Verfügung gestellt worden seien, etwa in Europa an der Spitze in der Unterstützung zur Bewältigung der Krise.

Kritik an der Arbeit der WKStA seitens der ÖVP äußerten vor allem Michaela Steinacker und Christian Stocker. Steinacker vermisste Objektivität im Ermittlungsverfahren und ortete "handwerkliche Fehler", die nicht zu akzeptieren seien. So habe Blümel aus den Medien über seinen Status als Beschuldigter erfahren und durch die Leaks würden die Beschuldigtenrechte enorm beschnitten, argumentierte sie. Auch die Basis für die Hausdurchsuchung hält sie für nicht ausreichend. Die WKStA nimmt Einfluss auf Entscheidungen der Politik, erläuterte Stocker das mangelnde Vertrauen der ÖVP in Teile der WKStA und erinnerte in diesem Zusammenhang unter anderem an heimliche Tonbandaufzeichnungen und Anzeigen gegen unliebsame Medienberichterstattung seitens der Behörde. Die Hausdurchsuchung bei Minister Blümel wäre nicht die letzte, die rechtswidrig sein könnte, meinte er. 

SPÖ: Missachtung von Demokratie und Rechtsstaat durch "türkise ÖVP"

Jörg Leichtfried (SPÖ) warf der "türkisen ÖVP", ihren Regierungsmitgliedern und dem Bundeskanzler eine politische Entwicklung vor, die gekennzeichnet sei durch "Missachtung der parlamentarischen Demokratie, Missachtung des Rechtsstaates und Missachtung des Anstands". Für den Finanzminister gelte die Unschuldsvermutung, es brauche aber eine politische Verantwortung und einen Finanzminister, der handlungsfähig ist, vor allem in der Zeit der aktuellen Krise. "Was bilden Sie sich eigentlich ein, noch im Amt zu bleiben", erboste sich Leichtfried gegenüber Finanzminister Blümel.

Ebenso wie die anderen Parteien, einschließlich der Grünen, wies Christoph Matznetter (SPÖ) die Kritik der ÖVP an der WKStA zurück und stellte klar, dass das Strafrecht und die politische Verantwortung zwei verschiedene Dinge seien. Selma Yildirim (SPÖ) warnte davor, die Justiz zu beschädigen, und warf der ÖVP vor, gegen die WKStA tendenziös vorzugehen. Seitens der SozialdemokratInnen befürchtet man, dass Finanzminister Blümel sich nunmehr in erster Linie mit seiner Vergangenheit beschäftigen müsse, anstatt sich der Zukunft zu widmen, um die größte Wirtschaftskrise seit 1945 zu bewältigen. Blümel hat in den Augen der SPÖ noch zu viele Fragen unbeantwortet gelassen, wie etwa Karin Greiner (SPÖ) ausführte. 

NEOS kritisiert Sittenbild eines "Anfütterns" und fordert Rücktritt

Ähnlich wie die SPÖ kritisierte Beate Meinl-Reisinger (NEOS), dass Finanzminister Blümel angesichts der Situation mangels Rücktritt keine Verantwortung übernehme und stattdessen in der größten Krise der Republik die Staatsanwaltschaft angreife. Österreich sei bisher zudem viel schlechter durch die Krise gekommen als andere Länder, entgegnete sie Wortmeldungen der ÖVP. Meinl-Reisinger sprach aber auch von einem "Staatsdrama" in den letzten Jahren und meinte: "Die Novomatic zahlt alle drei: SPÖ, FPÖ und ÖVP" - wobei die ÖVP "mittendrin statt nur dabei" sei. Das Sittenbild einer Art von "systematischen Anfütterns" von PolitikerInnen und Parteien, das sich ihr im Zusammenhang mit dem Ibiza-Untersuchungsausschuss in den letzten Monaten biete, sei die Gemengelage, in der besagte Chats oder Konversationen auftauchen. Insgesamt müsse die Opposition jetzt klar sagen: "Das Vertrauen fehlt - treten Sie zurück, Herr Blümel." Zumindest müsse der Minister umgehend die Aufsicht über das Glücksspiel abgeben, forderte Meinl-Reisinger.

Ihre Klubkollegin Stephanie Krisper nahm die WKStA voll in Schutz. Es wäre eine Verfehlung gewesen, wenn die WKStA dem Verdacht nicht nachgegangen wäre, sagte sie. Eine Hausdurchsuchung finde nur dann statt, wenn schwerwiegende Vorwürfe im Raum stehen, widersprach sie ÖVP-Abgeordneter Steinacker. "In Österreich wird nicht die Korruption bekämpft, sondern die Korruptionsermittlung", lautete ihr Resümee. Helmut Brandstätter (NEOS) ortete im Hinblick auf das "Projekt Ballhausplatz" die türkise Partei unter Kurz in der Nähe von Orban und Berlusconi. Aus diesem Grund forderte Nikolaus Scherak (NEOS) ein ernst zu nehmendes Transparenzpaket und Parteienfinanzierungsgesetz ein. Er verlangte volle Einsichts- und Prüfrechte des Rechnungshofs bei den Parteifinanzen, echte Sanktionen bei Überschreitung der Wahlkampfkostenobergrenze sowie deren Senkung und die Schaffung eines Straftatbestands "illegale Parteienfinanzierung". Auch sollten alle parteinahen Vereine berücksichtigt werden, um Umgehungen des Gesetzes zu vermeiden.

Grüne: Faktenlage reicht nicht für Zustimmung zum Misstrauensantrag gegen Blümel

Für die Grünen seien Rechtsstaat, Verfassung und die Unabhängigkeit der Justiz zentrale Anliegen, betonte Sigrid Maurer (Grüne). Leider habe sie den Eindruck gewonnen, dass es beim Koalitionspartner ein zwiespältiges Verhältnis zum Rechtsstaat gebe, etwa im Hinblick auf "Attacken" seitens der ÖVP gegen die Korruptionsstaatsanwaltschaft. Für eine Zustimmung zum Misstrauensantrag reiche die Faktenlage nicht, so Maurer. Sollte sich diese jedoch erhärten, wäre der Rücktritt notwendig, meinte sie. Der Rechtsstaat gelte im Übrigen auch für diese Situation: Blümel werde als Beschuldigter geführt, das stelle aber kein Urteil dar. Es gelte nun, auch insgesamt an Transparenz weiterzuarbeiten, kündigte Maurer baldige Vorschläge zur Informationsfreiheit und für strengere Regeln bei der Parteienfinanzierung an.

Er tue sich schwer, heute gegen den Misstrauensantrag zu stimmen, gab David Stögmüller (Grüne) zu. Er wolle aber, dass das versprochene Transparenzpaket umgesetzt wird und man die Sachverhalte unabhängig aufarbeiten kann. Die Angriffe des Bundeskanzlers auf die WKStA bezeichnete er als "erschreckend", sie zeigten für ihn nur die Nervosität der ÖVP. Er werde im Untersuchungsausschuss auf jeden Fall die Akten und die SMS genau prüfen, betonte Stögmüller, vor allem die Akten zum "Projekt Ballhausplatz". Georg Bürstmayr (Grüne) warnte davor, das Vertrauen in die Justiz und damit in eine zentrale Institution seitens der Politik zu untergraben, und wies auf die Entwicklung in den USA hin. Die Grünen würden das nicht zulassen, bekräftigte er, sie würden sich immer vor die Justiz stellen. Für den Finanzminister gelte aber wie für jeden anderen auch die Unschuldsvermutung. (Schluss Nationalrat) mbu/jan

HINWEIS: Sitzungen des Nationalrats und des Bundesrats können auch via Livestream mitverfolgt werden und sind als Video-on-Demand in der Mediathek des Parlaments verfügbar.