Parlamentskorrespondenz Nr. 189 vom 24.02.2021

Arbeitsmarkt für Menschen mit Behinderung: Volksanwaltschaft ortet unbefriedigende und unzulässige Situation

Kontroverse Debatte im Nationalrat über Bestellung und Abberufung von Kommissionsmitgliedern

Wien (PK) – Die schwierige arbeits- und sozialrechtliche Situation von Menschen mit Behinderung stand im Mittelpunkt der Debatte im Nationalratsplenum über einen Sonderbericht der Volksanwaltschaft (VA). "Unbefriedigend und unzulässig" lautet das negative Resümee der Volksanwälte, dem auch die Abgeordneten unisono beipflichteten. Die Opposition legte direkt in der Sitzung Entschließungen vor, die jedoch keine Mehrheit fanden. ÖVP und Grüne haben demgegenüber einen selbständigen Antrag eingebracht, der im Sozialausschuss behandelt werden soll. Der Sonderbericht der Volksanwaltschaft wurde einhellig zu Kenntnis genommen.

Mit breiter Mehrheit passierte ein Antrag der Koalitionsparteien zum Volksanwaltschaftsgesetz das Plenum, der zum Ziel hat, Klarheit im Hinblick auf die Bestellung und Abberufung der Kommissionen, welche die Volksanwaltschaft bei der Kontrolle über die Einhaltung von Menschenrechten unterstützen, herzustellen. Die Einsetzung der Kommissionen sowie die Bestellung und Abberufung der Kommissionsmitglieder sind laut Gesetzesantrag der Gesetzgebung zuzurechnen. Es müssen daher keine Bescheide bei der Abberufung ausgestellt werden. Die NEOS sehen in dem Schritt eine weitere Verpolitisierung der Volksanwaltschaft.

Abgeordnete drängen auf Maßnahmen zur Verbesserung der Situation von Menschen mit Behinderung am Arbeitsmarkt

Der Sonderbericht der Volksanwaltschaft zur Lage der Menschen mit Behinderung am Arbeitsmarkt zeigt ein tristes Bild: mangels inklusiven Arbeitsmarkts müssten die Betroffenen in Werkstätten für ein Taschengeld und ohne eigenen Anspruch auf Sozialversicherung arbeiten. Dadurch werde ihnen eine Abhängigkeit von der Sozialhilfe und ein Leben auf unterstem Existenzsicherungsniveau aufgezwungen, auch junge Personen würden häufig allzu schnell als nicht arbeitsfähig qualifiziert. Mit Hinweis auf die 2020 anstehende Überprüfung Österreichs durch den UN-Ausschuss für die Rechte von Menschen mit Behinderung empfiehlt die Volksanwaltschaft der Bundes- und der Landespolitik mehrere Maßnahmen, die auf einen besseren Arbeitsmarktzugang für Menschen mit Behinderung samt gerechter Entlohnung und Versicherung abzielen.

Die Abgeordneten waren sich darin einig, dass dringender Handlungsbedarf besteht – sowohl seitens des Bundes, in dessen Kompetenz das Sozialversicherungsrecht fällt, als auch seitens der Länder, die für das Behindertenrecht zuständig sind. Als nicht mehr tragbar wurde in der Debatte vor allem die Tatsache kritisiert, dass Menschen mit Behinderung keinen Lohn für ihre Arbeit in Tagesstrukturen oder in den Werkstätten erhalten, nicht selbständig sozial- und pensionsversichert sind und mehr oder weniger immer als Kind gelten. Sie seien mit den Eltern mitversichert und stünden mit der Waisenrente am Existenzminimum. Das entspreche nicht der UN-Behindertenrechtskonvention.

Als entscheidenden Punkt nannten Kira Grünberg (ÖVP) und Heike Grebien (Grüne) die Kriterien, mit denen Arbeitsfähigkeit bzw. dauerhafte Arbeitsunfähigkeit attestiert wird. Dabei orientiere man sich ausschließlich am medizinischen und nicht am sozialen Modell, kritisierte Grebien. Mit dem Befund der dauerhaften Arbeitsunfähigkeit hätten die Betroffenen auch keinen Zugriff auf das bedarfsgerechte und ausdifferenzierte Netzwerk der beruflichen Assistenz, stellte Grünberg fest. Die beiden Behindertensprecherinnen der Koalitionsparteien informierten daher über ihren diesbezüglichen selbständigen Antrag, der im Sozialausschuss behandelt werden soll. Im Kern geht es darum, dass die Feststellung der Arbeitsfähigkeit bzw. der dauernden Arbeitsunfähigkeit dem Paradigma des sozialen Modells entsprechen muss. Im Vordergrund müsse die Kompetenz der betreffenden Personen stehen, so Grünberg und Grebien.

Die drei Oppositionsparteien legten ebenfalls einen Antrag vor, der jedoch in der Sitzung abgestimmt wurde und nicht die erforderliche Mehrheit erhielt. Darin forderten Rudolf Silvan (SPÖ), Christian Ragger (FPÖ) und Fiona Fiedler (NEOS) die Bundesregierung auf, Artikel 27 der UN-Behindertenrechtskonvention umzusetzen, wonach alle Menschen das Recht haben, in einem richtigen Arbeitsverhältnis zu arbeiten und damit ihren Lebensunterhalt bestreiten zu können. Dieses Recht soll sowohl im Behindertengleichstellungsgesetz als auch im Bundesbehindertengesetz verankert werden. Ebenso müsse dies in den Zielsetzungen der Behindertengesetze der Länder fixiert werden. Weitere Forderungen betreffen unter anderem den Entfall der Figur der Arbeitsunfähigkeit im Sozialrecht, den Einbau der Legalvermutung, dass alle Menschen mit Behinderungen bis zum Nachweis des Gegenteils als arbeitsfähig gelten, ferner die Schaffung eines erweiterten, durchlässigen Arbeitsmarktes für Menschen mit Behinderungen, den Zugang zu Leistungsangeboten für alle Menschen mit Behinderungen zu den Leistungen des Sozialministeriumservice sowie des Ausgleichstaxfonds und schließlich den Zugang zu sozialversicherungspflichtiger Beschäftigung in inklusiven Betrieben im Rahmen des Arbeitsrechts auf Grundlage einer kollektivvertraglichen Entlohnung.

Ebenso wenig kam Edith Mühlberghuber seitens der FPÖ mit der Forderung nach Einrichtung einer Bundesgenossenschaft für Pflege und Betreuung durch. Die Freiheitlichen wollen damit unselbständige Pflege und Betreuung für die Betroffenen erleichtern.

Klare Rechtslage für Kommissionsmitglieder der Volksanwaltschaft

Kontrovers gestaltete sich die Debatte über den Antrag von ÖVP und Grünen bezüglich der Rechtslage für Mitglieder der Prüfungskommissionen der Volksanwaltschaft. Diese Kommissionen unterstützen die Volksanwaltschaft bei ihrer Aufgabe, die Einhaltung von Menschenrechten in Österreich in Einrichtungen wie Haftanstalten, Kasernen oder Pflegeheimen zu kontrollieren.

Die Art der Bestellung und Abberufung wurde in der Vergangenheit von Verfassungs- und Verwaltungsgerichtshof juristisch unterschiedlich ausgelegt. So ließ der Verfassungsgerichtshof (VfGH) zuletzt etwa offen, wie mit einer angefochtenen Abberufung umzugehen sei, während der Verwaltungsgerichtshof (VfGH) diese als Bescheid auslegte. Wie Volksanwalt Werner Amon erklärte, habe der VfGH dargelgt, dass die Kommissionsmitglieder eine Kontrolle der Verwaltung durchführen und daher der Gesetzgebung zuzurechnen seien.

Der Antrag der Koalitionsparteien stellt nun im Sinne der Rechtsprechung des Verfassungsgerichtshofs durch die Ergänzung des Volksanwaltschaftsgesetzes klar, dass die Einsetzung der Kommissionen sowie die Bestellung und Abberufung der Kommissionsmitglieder der Gesetzgebung zuzurechnen ist. Daraus folgt insbesondere, dass die Mitglieder der Kommissionen von Verfassung wegen - wie bereits bisher - nicht mit Bescheid bestellt oder abberufen werden müssen.

Die NEOS sehen darin die Aushöhlung des Rechtsschutzes, wenn keine Bescheide ausgestellt würden. "Die Parteipolitisierung nimmt damit ihren Lauf" spitzte Stephanie Krisper (NEOS) ihre Kritik zu und verwies dabei auch auf den Bestellungsmodus der drei VolksanwältInnen, wonach den drei mandatsstärksten Parteien das Vorschlagsrecht zukommt. Dieser politische Einfluss werde nun ausgedehnt, da bei einer Abberufung eines Kommissionsmitglieds kein Bescheid erlassen werden muss, befürchtet sie. Damit könne man auch keine Beschwerde dagegen einlegen. Ihr Abänderungsantrag, die Bestellung und die Abberufung der Mitglieder der Kommissionen als Bescheid zu erlassen, erhielt jedoch nicht die erforderliche Mehrheit.

Seitens ÖVP argumentierte Peter Weidinger, dass es die Möglichkeit gebe, zivilrechtlich gegen eine Abberufung zu klagen. Österreich verfüge über ein ausgezeichnetes Rechtssystem und einen ausgezeichneten Instanzenzug. Die Volksanwaltschaft sei ein Organ des Parlaments, auch die Kommissionen seien demnach der Gesetzgebung zuzuordnen und daher müssten sie auch nicht mit Bescheiden arbeiten, hielt Rudolf Silvan (SPÖ) fest. Ebenso wies Eva Blimlinger von den Grünen darauf hin, dass es sich beim vorliegenden Gesetzesantrag um eine Klarstellung handle. Sie zeigte sich ihrerseits aber bereit, über den Bestellungsvorgang der VolksanwältInnen und den Rechtscharakter der Kommissionen grundsätzlich zu diskutieren.

Volksanwalt Werner Amon begrüßte auch im Namen seiner beiden Amtskollegen die gesetzliche Klarstellung. Er wies in Richtung der NEOS darauf hin, dass eine Abberufung nur schriftlich und begründet erfolge, wie es das Volksanwaltschaftsgesetz vorsieht, und darüber hinaus die Geschäftsordnung festlege, dass dies nur nach vorheriger Anhörung des Menschenrechtsbeirats erfolge. Daran ändere sich nichts, unterstrich er. (Fortsetzung Nationalrat) jan

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