Parlamentskorrespondenz Nr. 256 vom 09.03.2021

Rechnungshofausschuss: Assistenzeinsatz des Bundesheeres und Reform des Wehrdienstes auf dem Prüfstand

Kritik an fehlender Projektorganisation, umfassender Evaluierung und transparenter Kostendarstellung

Wien (PK) – Mit einer Debatte über den Assistenzeinsatz des Bundesheeres im Rahmen des Grenzmanagements in den Jahren 2015 bis 2017 sowie über die ab dem Jahr 2013 in die Wege geleitete Reform des Wehrdienstes startete heute der Rechnungshofausschuss seine Beratungen. Rechnungshofpräsidentin Margit Kraker nahm beide Prüfgegenstände zum Anlass, um eine gesamthafte, umfassende Evaluierung der Wirkungen und Nutzen im Verhältnis zu den eingesetzten Ressourcen einzumahnen. Vor allem bei großen, komplexen Vorhaben sei es von entscheidender Bedeutung, dass im Vorfeld eine eigene Projektorganisation mit einheitlicher Leitung eingerichtet werde.

Assistenz– und Unterstützungsleistungen des Bundesheeres beim Grenzmanagement

Die Migrationskrise von 2015 stellte Österreich vor große Herausforderungen, alleine in diesem Jahr kamen knapp 740.000 Flüchtlinge ins Land. Um die Folgen dieser Situation zu bewältigen, wurde das österreichische Bundesheer zu einem unbefristeten sicherheitspolizeilichen Assistenzeinsatz insbesondere im Rahmen des Grenzmanagements entsandt und mit zahlreichen Unterstützungsleistungen (Verpflegung, Beförderung, etc.) beauftragt. Die Kosten dafür beliefen sich im Zeitraum 2015 bis 2017 auf 272,92 Mio. €, wobei das Ministerium für Landesverteidigung knapp zwei Drittel davon aus dem jährlichen Regelbudget finanzieren musste, erläuterte Rechnungshofpräsidentin Margit Kraker.

Der Rechnungshof überprüfte von Dezember 2017 bis Juni 2018 sowohl im Innen- als auch im Verteidigungsministerium die rechtlichen Grundlagen dafür und beurteilte die Abwicklung, Kosten, Nutzen und Auswirkungen der Assistenz– und Unterstützungsleistungen. Dabei wurde als zentrale Empfehlung festgestellt, dass der Grenzmanagementeinsatz einer gesamthaften, umfassenden Evaluierung unterzogen und der Nutzen im Verhältnis zu den eingesetzten Ressourcen analysiert werden sollte. Wichtig wäre zudem, derartige Einsätze in Hinkunft zu befristen und Gründe für eventuell erforderliche Verlängerungen nachvollziehbar zu belegen. Im Auge müsste man zudem behalten, welche Auswirkungen sich daraus auf die militärische Ausbildung sowie auf die Rekrutierung von SoldatInnen für Auslandseinsätze ergeben, gaben die RH-PrüferInnen zu bedenken. Während das Bundesministerium für Landesverteidigung eine Evaluierung der Unterstützungsleistungen durchführen müsste, sollte das Innenministerium aus Sicht des Rechnungshofs weitere organisatorische Maßnahmen setzen, um das im Assistenzeinsatz stehende Bundesheer durch eigenes Personal abzulösen. (III-191 d.B.).

Assistenzeinsatz des Bundesheers: Von der Migrations- bis zur Corona-Krise

Abgeordnete Karin Greiner (SPÖ) griff die kritischen Anmerkungen im Bericht des Rechnungshofs auf und erkundigte sich unter anderem nach der fehlenden Evaluierung des Einsatzes, dem Kostenersatz, der Durchführung einer Kosten-Nutzen-Rechnung bezüglich der Grenzschutzübung "Pro Borders" im Juni 2018 in Spielfeld sowie danach, ob Einsparungen in anderen Bereichen aufgrund des Assistenzeinsatzes erforderlich waren.

Abgeordneter David Stögmüller (Grüne) gab zu bedenken, dass die vom Bundesheer übernommenen Objektschutzaufgaben wesentlich günstiger vom Innenressort durchgeführt werden könnten. Wichtig war ihm eine qualitätsvolle Ausbildung der Grundwehrdiener, weshalb es ein gutes Betreuungsverhältnis in diesem Bereich brauche. Sein Fraktionskollege Georg Bürstmayr (Grüne) wies auf die hohen Kosten hin, die beim Einsatz des Bundesheers an der Grenze anfallen.

Schon während der Regierungsbeteiligung der FPÖ habe man auf die Befristung des Assistenzeinsatzes gedrängt, erinnerte der freiheitliche Mandatar Reinhard Eugen Bösch (FPÖ). Als Gründe dafür führte er die Finanzierungsfrage sowie die Auswirkungen auf die Ausbildungsqualität der SoldatInnen an.

Bundesministerin Klaudia Tanner war überzeugt davon, dass das Bundesheer bei den Fluchtbewegungen des Jahres 2015 einen ganz wichtigen Beitrag geleistet hat. Ihr Ressort nehme die Empfehlungen des Rechnungshofs sehr ernst, versicherte Tanner, die Federführung für die Evaluierung obliege allerdings dem Innenministerium. Im Rahmen der Unterstützungsleistungen war das Bundesheer in Kooperation mit den Landespolizeidirektionen, den Österreichischen Bundesbahnen sowie Hilfsorganisationen für die Beförderung von insgesamt einer Million Flüchtlingen durch Österreich betraut. Wenn die Assistenz des Bundesheers angefordert werde, wie etwa bei der Überwachung der Staatsgrenze, dann habe man diese Aufgabe zu erfüllen, stellte Tanner grundsätzlich fest. Auch im letzten Jahr gab es zahlreiche Anforderungen, sowohl im sicherheitspolizeilichen Bereich als auch für den Katastropheneinsatz. Derzeit stehe die Bewältigung der COVID-19-Pandemie im Vordergrund; insgesamt seien aktuell über 4.000 Personen im Einsatz. Die mit der Corona-Krise verbundenen Kosten bezifferte Tanner mit 63,7 Mio. €.

Auf eine Frage des Abgeordneten Douglas Hoyos-Trauttmansdorff (NEOS) merkte die Ressortchefin an, dass im Rahmen der Bewachung von Botschaften noch 223 SoldatInnen im Einsatz sind. Der furchtbare Terroranschlag in Wien im November habe gezeigt, dass eine Bedrohungslage bestehe und dass die Angehörigen des Bundesheeres eine wichtige Entlastung für die Arbeit der Polizeikräfte dargestellt haben. Ein großes Anliegen sei ihr auch eine qualitätsvolle Ausbildung der Grundwehrdiener. Nach der Umstellung der Unteroffiziersausbildung konnte das Betreuungsverhältnis auf 1 zu 10,2 verbessert werden.

Was die Veranstaltung und Leistungsschau in Spielfeld anbelangt, so habe man nur die budgetwirksamen Mehrkosten des Verteidigungsministeriums, die sich auf 244.000 € beliefen, dargestellt. Eine Vollkostenrechnung wäre mit einem zu großen Aufwand verbunden gewesen. Der SPÖ-Abgeordneten Greiner gegenüber bekräftigte Tanner weiters, dass nirgends der Sparstift angesetzt wurde. Das Gegenteil sei der Fall – es wurde zwei Mal eine Erhöhung des Landesverteidigungsbudgets im Parlament beschlossen. 

Der Bericht wurde einstimmig zur Kenntnis genommen.

Reform des Wehrdienstes: Fehlende Projektorganisation und keine detaillierten Kostenabschätzungen

Am 20. Jänner 2013 sprach sich die österreichische Bevölkerung im Rahmen einer Volksbefragung mehrheitlich für die Beibehaltung der allgemeinen Wehrpflicht aus. Zwei Tage danach setzte die Bundesregierung eine politische Arbeitsgruppe ein, um noch vor dem Sommer 2013 ein Konzept für die Wehrdienstreform zu erarbeiten. Primäres Ziel dabei war es, den Grundwehrdienst attraktiver zu machen: Dies reichte von der Optimierung der Stellung über Ausbildungsangebote bis hin zur Sanierung und zum Bau von Unterkünften und Sportanlagen. In seiner den Zeitraum 2013 bis 2016 umfassenden Prüfung beurteilte der Rechnungshof den Reformprozess selbst, dessen Finanzierung und die Umsetzung in ausgewählten Bereichen, wie Ausbildung und Dienstbetrieb, Stellung und Kontingentierung sowie Rahmenbedingungen für Soldatinnen (III-22 d.B.).

Trotz des umfangreichen Reformvorhabens mit 180 Maßnahmen richtete das Ministerium keine eigene Projektorganisation ein, gab Rechnungshofpräsidenten Margit Kraker zu bedenken. Dies erschwerte aufgrund der Aufteilung der Zuständigkeiten auf eine Vielzahl von Dienststellen die Steuerung und Koordination beträchtlich. Obwohl das Ministerium dem Projekt höchste Priorität einräumte, wurden auch keine detaillierten Kostenabschätzungen vorgenommen. Es wäre auch notwendig gewesen, die primär betroffenen Organisationseinheiten frühzeitig einzubinden und die Zuständigkeiten für die Umsetzung der Reformmaßnahmen nach Möglichkeit zu bündeln.

Probleme orteten die PrüferInnen auch im Bereich des Rechnungswesens, zumal die jeweiligen Auszahlungen im Zusammenhang mit der Wehrdienstreform mangels budgetärer Zuordnung nur lückenhaft auswertbar waren. Überdies fehlte ein budgetärer Gesamtüberblick. Was die Finanzierung der Wehrdienstreform angeht, so konnte diese erst nach Beschluss eines Sonderinvestitionsprogramms im Dezember 2014 in der Höhe von 30 Mio. € jährlich als gesichert angesehen werden. Die noch ausständige gesamtstaatliche Evaluierung der Reform sollte – allenfalls unter Einbindung des Bundesministeriums für Inneres – durchgeführt werden, um die Kosten der Reform dem damit erzielten Nutzen gegenüberstellen zu können.

Ausbildung der Grundwehrdiener, Umgangsformen beim Kaderpersonal und Frauenanteil

Weiters war das Ressort im Zuge der Wehrdienstreform bestrebt, die Rahmenbedingungen für Soldatinnen zu verbessern. Dazu erstellte es ein Arbeitspaket aus unterschiedlichen Maßnahmen, wobei jedoch nur vereinzelt auf die ressorteigene Fachexpertise der Arbeitsgruppe für Gleichbehandlungsfragen und des Teams für Gender Mainstreaming zurückgegriffen wurde. Das Ziel, den Anteil der Soldatinnen im Bundesheer mittelfristig auf 10% zu steigern, erreichte das Ministerium nicht. Der Frauenanteil erhöhte sich seit Beginn der Wehrdienstreform lediglich von 2,33 % (Jänner 2013) auf 2,86 % (Jänner 2017), der Frauenanteil ohne Bundesheer–Leistungssportlerinnen verringerte sich sogar auf 2,32 %, ist im Bericht nachzulesen.

Eine der vielen Einzelmaßnahmen der Reform war die Flexibilisierung der Ausbildung der Grundwehrdiener, die neben den beiden Basismodulen nun auch die Module "Militärische Spezialisierung" als Vorbereitung auf einen freiwilligen Auslandseinsatz sowie "Schutz und Hilfe" mit den Schwerpunkten Objektschutz, Grenzüberwachung und Katastrophenhilfe wählen können. Mit der Reform sollten auch die Umgangsformen des Kaderpersonals verbessert werden. Laut Befragungen gelang dies auch: Bis zu 83% der Grundwehrdiener waren mit dem Umgang durch Vorgesetzte und Ranghöhere zufrieden. Allerdings nahm die Zufriedenheit im Laufe des Grundwehrdienstes um bis zu zehn Prozentpunkte ab. Das Ministerium richtete im ersten Quartal 2015 zudem eine Arbeitsgruppe ein, um das System der Tauglichkeitskriterien zu adaptieren. Anforderungsprofile für bestimmte Funktionen im Grundwehrdienst sollten dabei überprüft und allenfalls angepasst werden

Auch beim vorliegenden Bericht des Rechnungshofs hob Abgeordneter Robert Laimer (SPÖ) hervor, dass eine umfassende Evaluierung fehle. Weitere Fragen bezogen sich auf die Tauglichkeitsstufen sowie den Frauenanteil beim Bundesheer.

Abgeordneter Hermann Gahr (ÖVP) sprach vor allem die Umsetzung der Empfehlungen, die Einführung der Teiltauglichkeit, die Evaluierung der Kaderausbildung sowie geplante Infrastrukturvorhaben an.

Man dürfe nicht nachlassen, die Ausbildung der Grundwehrdiener weiter zu attraktivieren, zumal viele Bedürfnisse noch nicht erfüllt seien, führte Abgeordneter Reinhard Eugen Bösch (FPÖ) ins Treffen.

Bundesministerin Klaudia Tanner wies darauf hin, dass die im Bericht über die Reform des Wehrdienstes enthaltenen 36 Empfehlungen zum Großteil umgesetzt werden konnten. Es sei bekannt, dass das Bundesheer im Vorjahr ein Maßnahmenpaket zur Attraktivierung des Grundwehrdienstes gestartet habe, das unter dem Titel "Mein Dienst für Österreich" firmiere. Es gebe nun unter anderem die Möglichkeit, nach der sechsmonatigen Grundausbildung den Dienst freiwillig um drei Monate zu verlängern. In diesen drei Monaten können die Rekruten ihre militärische Grundausbildung festigen und im Rahmen eines Assistenzeinsatzes in der Praxis anwenden. Außerdem könne zwischen verschiedenen Ausbildungsmodulen gewählt werden. Geplant sei auch eine Aufwertung der Stellungsstraßen durch Angebote im Bereich Gesundheitsvorsorge.

Auf weitere Fragen führte Tanner aus, dass die Zahl der Funktionssoldaten reduziert wurde, eine laufende Modernisierung der Infrastruktur erfolge und die Wehrdienstreform evaluiert werde. Außerdem werden jährliche Umsetzungsberichte vorgelegt. Tanner verteidigte auch die Einführung der Teiltauglichkeit ab dem heurigen Jahr für alle Geburtsjahrgänge ab 2003, weil damit sichergestellt werde, dass volltaugliche Personen primär für militärische Angelegenheiten eingesetzt werden können. Noch nicht zufrieden zeigte sich die Ministerin bezüglich des Frauenanteils, der derzeit bei 4,3% bzw. 680 SoldatInnen liege. Um das Ziel von 15% zu erreichen, würden die Maßnahmen des Frauenförderplans konsequent umgesetzt. (Fortsetzung Rechnungshofausschuss) sue