Parlamentskorrespondenz Nr. 386 vom 30.03.2021

ÖBAG-Chatprotokolle: SPÖ wirft Bundeskanzler "Korruptionssumpf" vor

Kurz stellt sich vehement gegen Korruptionsvorwürfe der Opposition, Länderkammer spricht sich für Abberufung Schmids aus

Wien (PK) – Nach den veröffentlichten Chatprotokollen rund um die Bestellung von ÖBAG-Alleinvorstand Thomas Schmid stellte die SPÖ im Bundesrat heute eine Dringliche Anfrage an Bundeskanzler Sebastian Kurz. Die Oppositionsfraktion wirft dem Kanzler auch vor dem Hintergrund anderer Vorkommnisse wie die jüngst durchgeführte Hausdurchsuchung bei Finanzminister Gernot Blümel in Zusammenhang mit Ermittlungen wegen des Verdachts der illegalen Parteienfinanzierung durch die Novomatic einen "Korruptionssumpf" vor. Die ÖBAG-Chatprotokolle würden zeigen, dass der Kanzler über Postenbesetzungen informiert gewesen sei, nur seine "Freunde" im Kopf gehabt und letztlich auch selbst über die Besetzungen entschieden habe.

Kurz stellte sich vehement gegen die Korruptionsvorwürfe. Personalentscheidungen würden neben inhaltlichen Entscheidungen zu den Aufgaben einer Regierung gehören. Ein Entschließungsantrag zur Abberufung von Thomas Schmid als ÖBAG-Alleinvorstand wurde nach einer namentlichen Abstimmung mit 31-Ja-Stimmen zu 27-Nein-Stimmen (58 abgegebene Stimmen) angenommen. Die Mehrheit in der Länderkammer sprach sich mittels FPÖ-Entschließung zudem für eine Entlassung von Finanzminister Gernot Blümel aus. 

SPÖ: Türkises Kartenhaus beginnt einzubrechen

Bereits seit längerem sei klar, dass der "Neue Stil", den Kanzler Kurz 2017 beschworen habe, in Wirklichkeit "der Gestank eines Sumpfes aus Korruption, Postenschacher, Überheblichkeit und Anstandslosigkeit ist", machte die SPÖ in ihrer Dringlichen geltend. Nicht zuletzt die

regelmäßigen Enthüllungen im Ibiza-Untersuchungsausschuss hätten diesen Eindruck in den letzten Monaten verfestigt.

Die nun aufgetauchten ÖBAG-Chats sieht die SPÖ als "nur ein Teil des türkisen Kartenhauses, das nun einzubrechen beginnt." Sie mutmaßte in der Dringlichen beispielsweise über einen "ÖVP-Novomatic-Deal", wodurch es etwa im Zuge der Steuerreform zu einem Aufbrechen des staatlichen Glücksspielmonopols und zur Ausschreibung von Online-Glücksspielkonzessionen kommen hätte sollen.

Die SPÖ sieht demnach "überall dasselbe Muster": Kanzler Kurz habe sich aus Geldnot bei der Finanzierung seines Wahlkampfes an die "reichen Milliardäre" gewandt. Insofern sei es keine Überraschung, dass seine Politik seinen SpenderInnen schütze, machten die SPÖ-AnfragestellerInnen Korinna Schumann, Stefan Schennach und Elisabeth Grossmann in ihrer Dringlichen geltend. Während der Kanzler Familien in Notlage die soziale Unterstützung gestrichen, älteren Arbeitslosen die Perspektive entzogen und Tausende mit Angst um ihren Job vertröstet habe,

hätten die SpenderInnen Steuersenkungen, Milliardenhilfen und gelockerte Kontrollen gefeiert, so ihr weiterer Vorwurf.

In nicht weniger als 72 Fragen wollte die SPÖ demnach vom Bundeskanzler Erklärungen zu Postbesetzungen in der ÖBAG, der OMV, der Telekom Austria und den Casinos Austria sowie zu möglichen ÖVP-Verbindungen und etwaigen Kontakten zur Novomatic bzw. insbesondere zu Ex-Novomatic-Chef Harald Neumann und Novomatic-Gründer Johann Graf, dem Industriellen Sigi Wolf, dem Unternehmer Rene Benko und Ex-Wirecard-CEO Markus Braun. Zudem wollten die SozialdemokratInnen wissen, welche E-Mail-Adressen der Kanzler verwendet, wie viele Mails er am Tag persönlich verfasst und ob er einen Laptop hat. Auch Hintergründe rund um das Ibiza-Video waren Teil der Anfrage.

Das Sittenbild, das sich zeige, gebe tiefe Einblicke in die moralische Haltung der türkisen ÖVP, machte Korinna Schumann (SPÖ/W) in der Debatte geltend, Österreich erlebe gerade den Niedergang des "türkisen Systems". Auf der einen Seite gestehe man bei der Arbeitslosigkeit keine höheren Leistungen zu, versage in der COVID-19-Krisenbewältigung und greife die Justiz an. Auf der anderen Seite würden "Lieblinge versorgt" und der Staat untereinander aufgeteilt. Kurz wisse nicht, wie man Politik für "echte Menschen" mache. Er habe alle Hemmungen fallen gelassen, Posten geschaffen und türkis umgefärbt, als auch moralische Grenzen verschoben und Österreich auch im Ausland alles andere als einen Gefallen getan, sagte Schumann. Bezugnehmend auf die Chatprotokolle, in denen unter anderem in Zusammenhang mit Frauen über eine "Scheiß Quote" gesprochen werde, thematisierte Schumann zudem "sexistische und frauenverachtende Aussagen" im Umfeld des Kanzlers. "Sie und Ihre Mannen haben ein Problem mit Frauen", so die SPÖ-Bundesrätin an die Adresse des Kanzlers.

Kurz: Personalentscheidungen gehören neben inhaltlichen Entscheidungen zu Aufgaben der Regierung

Bundeskanzler Sebastian Kurz stellte sich in seiner Anfragebeantwortung vehement gegen die Vorwürfe der SPÖ. Man müsse sich in der Politik etwa neben Morddrohungen und ständiger Kritik an vieles gewöhnen, den Vorwurf von Korruption und strafrechtlich relevanten Handlungen werde er aber nicht akzeptieren und sich nicht gefallen lassen, so Kurz.

Klar sei, dass es zu den Aufgaben von demokratisch gewählten VertreterInnen gehöre, neben inhaltlichen Entscheidungen auch Personalentscheidungen zu treffen. Das gehöre zum Wesen einer repräsentativen Demokratie. Es würden von einer Regierung – egal welcher Couleur - unzählige Personalentscheidungen getroffen und diese seien legitim, wenn die ausgewählten Personen die notwendigen Kompetenzen mitbringen, ein Vertrauen in diese Personen sei darüber hinaus vorteilhaft. So seien etwa mit den Grünen bisher über 100 Personalentscheidungen getroffen worden. Das sei weder strafbar noch anrüchig, sagte der Kanzler, sondern ein absolut normales Vorgehen. Er verwehre sich zudem auch dagegen, dass seitens der SPÖ jede Personalentscheidung einer linken Partei als Segen und jede Personalentscheidung einer bürgerlichen oder rechten Partei als Verbrechen dargestellt werden.

Was die ÖBAG betrifft, habe die SPÖ ebenfalls für das ÖBAG-Gesetz gestimmt. Zudem würden die Chatprotokolle zeigen, dass auch die SPÖ massiv in alle Entscheidungsprozesse eingebunden gewesen sei. Im ÖBAG-Aufsichtsrat, der Thomas Schmid einstimmig als Alleinvorstand zugestimmt habe, würden nämlich auch VertreterInnen "mit SPÖ-Parteibuch" sitzen.

In Bezug auf den Vorwurf der SPÖ, dass Kurz Politik für ParteispenderInnen und nicht für "die kleinen Leute" mache, verwies der Kanzler auf Steuerentlastungen für kleine und mittlere Einkommen, den Familienbonus und Pensionsanpassungen, die in seiner Zeit höher ausgefallen seien, als unter den sozialdemokratischen Bundeskanzlern davor.

Hinsichtlich der 72 Fragen sagte Kurz, dass er als Bundeskanzler grundsätzlich Kontakte mit vielen Unternehmen und Wirtschaftstreibenden habe. Die Themenbreite reiche von allgemeinen politischen Fragen bis hin zu konkreten Fragestellungen der jeweiligen Unternehmen. Zu einem Treffen mit Novomatic-Gründer Johann Graf sei es allerdings nicht gekommen. Bezüglich der ÖBAG-Besetzungen verwies der Kanzler zudem darauf, dass die Bestellung des ÖBAG-Aufsichtsrates in der Verantwortung des Finanzministeriums liege.

ÖVP sieht Ablenkungsmanöver der SPÖ

Rückendeckung für den Bundeskanzler kam vom niederösterreichischen ÖVP-Bundesrat Karl Bader. Auch Bader betonte, dass die Bestellung von Thomas Schmid zum ÖBAG-Alleinvorstand mit Zustimmung der SPÖ-Aufsichtsräte erfolgt sei. Zudem handle es sich bei den Vorwürfen der SozialdemokratInnen um ein Ablenkungsmanöver von ihrem eigenen internen Zerwürfnis, das außerdem nicht dazu beitrage, die größte Gesundheitskrise in der Zweiten Republik zu bekämpfen. Die Anschüttungen und Unterstellungen seien zurückzuweisen, "sprechen wir über Fakten, statt Fakes", so Bader.

Grüne: Schuldzuweisungen sind eine Unkultur

Politische Schuldzuweisungen seien eine Unkultur, die sich in Österreich breit gemacht habe, bemerkte Marco Schreuder (Grüne/W) seitens der grünen Bundesratsfraktion. Für die Aufklärung von Korruption sei eine unabhängige Justiz zuständig, für die politische Verantwortung ein Untersuchungsausschuss und der Bundesrat für Gesetze, die Transparenz schaffen und Korruption verhindern, versuchte Schreuder den Fokus auf Maßnahmen für Transparenz in den Vordergrund der Diskussion zu stellen. So habe die Regierung etwa das Informationsfreiheitsgesetz mit der Abschaffung des Amtsgeheimnisses erarbeitet. Das Ibiza-Video, in dem sich die "Fratze der Korruption" wirklich gezeigt habe, würde ihn umso mehr motivieren, nun eine Regierung zu verteidigen, die einen unabhängigen Bundesanwalt und ein Informationsfreiheitsgesetz schaffe. Nicht das gegenseitige Anpatzen, sondern Korruptionsbekämpfung müsse im Mittelpunkt stehen. 

FPÖ beantragt Entlassung von Finanzminister Blümel

    

Seitens der Freiheitlichen ortete Johannes Hübner (FPÖ/W) eine Täuschung der Öffentlichkeit in Zusammenhang mit Personalbesetzungen im staatsnahen Bereich. Den Leuten werde etwa mit Ausschreibungsgesetzen vorgegaukelt, dass es dabei um Objektivität gehe. In der Causa Schmid habe es die Ausschreibung nur zum Schein gegeben, die Antworten vom Kanzler würden an der Sache vorbeigehen, kritisierte Hübner die Anfragebeantwortung von Kurz unisono mit der SPÖ. Das Bundesgesetz über Transparenz bei der Stellenbesetzung im staatsnahen Unternehmensbereich sehe ausschließlich eine fachliche Qualifikation vor, es spiele aber keine Rolle, ob eine Person das Vertrauen der Regierung genießt, stellte der Bundesrat klar. Die Frage sei, ob man dieses Politiksystem wie bisher wolle oder nicht.

NEOS: Sittenbild eines zutiefst korrupten Systems

Starke Kritik kam auch von NEOS-Bundesrat Karl-Arthur Arlamovsky. Hier gehe es um ein Sittenbild eines "zutiefst korrupten Systems von Macht" unter der Führung des Bundeskanzlers. Nach dem Bekanntwerden der ÖBAG-Chatprotokolle dürfe man nicht zur Tagesordnung übergehen, so  Arlamovsky. Die wichtigste Beteiligungsgesellschaft des Bundes dürfe keine "private Spielwiese" oder ein "Selbstbedienungsladen" für die türkise ÖVP bzw. den Kanzler und seinen "Inner Circle" sein. Die Chats würden zeigen, wie die Republik zu einer Kurz-AG umgebaut werde, so Arlamovsky. Die NEOS hätten zudem dem ÖBAG-Gesetz damals als einzige Fraktion mit dem Verweis nicht zugestimmt, dass es nicht im Interesse des Landes sein könne, einen Alleinvorstand zu installieren. (Fortsetzung Bundesrat) keg

HINWEIS: Sitzungen des Nationalrats und des Bundesrats können auch via Livestream mitverfolgt werden und sind als Video-on-Demand in der Mediathek des Parlaments verfügbar.


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