Parlamentskorrespondenz Nr. 475 vom 21.04.2021

Corona-Demos: Harter Schlagabtausch im Nationalrat über Polizeieinsätze und geplanten Parlamentssturm

Kurze Debatte über Anfragebeantwortung durch Innenminister Nehammer

Wien (PK) – Die Anti-Corona-Demonstrationen waren heute abermals Thema im Nationalratsplenum, und zwar jene vom 31. Jänner 2021. Dabei gab es zwischen ÖVP und FPÖ gegenseitig schwere Vorwürfe, die politische Stimmung in Österreich anzuheizen und die Gesellschaft spalten zu wollen. Die SPÖ wiederum übte scharfe Kritik, dass sich der Innenminister in erster Linie inszeniere, statt an einer neuen Sicherheitsarchitektur zu arbeiten, und die NEOS vermuten, dass die ÖVP gezielt Leaks streue, wenn es für sie opportun ist. Seitens der Grünen ortete man "viel heiße Luft" in der Anfrage.

Konkret werfen die Freiheitlichen im Zusammenhang mit der Demonstration Ende Jänner Innenminister Karl Nehammer vor, er habe in einer Medien-Stellungnahme die in den Augen der FPÖ falsche Behauptung aufgestellt, dass es bei dieser Kundgebung eine versuchte Stürmung des Parlaments gegeben habe. Nicht hinnehmen wollen es die Freiheitlichen, dass der Minister zudem in "ungeheuerlicher Weise" sogar einen Vergleich zu den Vorgängen im US-Kapitol in Washington, D.C. gezogen hat. Hannes Amesbauer (FPÖ) bezeichnete diesen Vergleich als "abenteuerlich" und nannte die Demonstration eine Großkundgebung von Menschen, die ihren berechtigten Unmut über den Kurs der Regierung kundtun wollten.

Der Innenminister konterte scharf und bezichtigte die FPÖ, insbesondere auch Herbert Kickl, seinen Vorgänger im Amt, als Brandstifter zu agieren. Das Demonstrationsrecht sei ein wichtiges und schützenswertes Recht, so Nehammer, es sei aber nicht dazu da, missbraucht zu werden und Gewalt zu verherrlichen. Der Innenminister wies vor allem darauf hin, dass Alt- und Neo-Nazis, Identitäre und Hooligans Proteste der BürgerInnen missbrauchen würden. Diese Heterogenität mache den Einsatz für die PolizistInnen so schwierig, weil die Verhältnismäßigkeit der Maßnahmen gewahrt werden müsse. Im Übrigen bekräftigte Nehammer, der geplante Sturm auf das Parlamentsgebäude werde durch die Funk-Protokolle nachgewiesen.   

Amesbauer (FPÖ) wirft Nehammer und ÖVP vor, Gesellschaft spalten zu wollen

Beweise für seine Behauptungen sei Innenminister Nehammer bislang schuldig geblieben, so Amesbauer in seiner schriftlichen Anfrage vom 11. Februar 2021. Die Beantwortung der 42 konkreten Fragen zu dieser Causa durch den Innenminister waren für die FPÖ in keiner Weise zufriedenstellend, weshalb es dazu heute eine Kurzdebatte gab.

Auch im zahlreich vorhandenen Bild- und Videomaterial fänden sich nicht einmal in Ansätzen verdächtige Vorgänge, stellte Amesbauer fest. Außerdem könne es sich laut FPÖ – wenn überhaupt – nicht um das Parlament gehandelt haben, sondern nur um das Parlamentsgebäude, das seit dreieinhalb Jahren renoviert wird und in dem sich zum Zeitpunkt der Kundgebung keine Personen befunden haben. Es habe keine Versuche gegeben, in das Areal des Parlamentsgebäudes einzudringen, sagte Amesbauer, es sei auch zu keiner Eskalation gekommen. Bei der von KundgebungsteilnehmerInnen erwähnten Parlamentsrampe könnte es sich ja auch nur um eine Ortsangabe gehandelt haben und nicht um einen Aufruf, diese zu stürmen.

Zweifel hegen die Freiheitlichen auch an dem am 2. Februar in der "Kronen-Zeitung" veröffentlichten Bericht, der suggeriere, dass die Darstellung des Innenministers durch ein Funk-Protokoll der Polizei belegt werde. Von diesem habe die Zeitung unter "krone.at" auch Auszüge veröffentlicht, die jedoch nicht sehr aussagekräftig seien, betonte Amesbauer. Die Geschichte Nehammers sei frei erfunden, war sich Amesbauer mit seiner Fraktionskollegin Dagmar Belakowitsch (FPÖ) einig. In ihren Augen will der Innenminister und mit ihm die ÖVP die Gesellschaft in Gut und Böse spalten und ein bestimmtes Stimmungsbild erzeugen. Belakowitsch sprach in diesem Zusammenhang sogar von der "Nehammer-Heimwehr", worauf die Vorsitz führende Zweite Nationalratspräsidentin Doris Bures ankündigte, das Protokoll ihrer Rede genau prüfen zu wollen.

Innenminister Nehammer: Demonstrationen waren nicht harmlos

Innenminister Karl Nehammer zeigte sich "erstaunt" darüber, dass Abgeordneter Amesbauer und mit ihm die Freiheitlichen die Demonstration vom 31. Jänner 2021 als harmlos bezeichnet, zumal dabei 4 Polizisten zum Teil schwer verletzt wurden und ein Gewalttäter bereits verurteilt wurde. Bei dieser Demonstration habe es 1.800 Anzeigen gegeben, berichtete der Minister. Auch bei der Demonstration vom 6. Februar 2021, wo es weitere verletzte PolizistInnen und einen schwer verletzten Unbeteiligten gegeben habe, seien 3.200 Anzeigen erstattet worden und es seien 42 Festnahmen erfolgt, darunter auch wegen des Verstoßes gegen das Verbotsgesetz. Nehammer bezichtigte seinen Amtsvorgänger Herbert Kickl, dabei als Brandstifter agiert zu haben.

Insgesamt habe es bei Anti-Corona-Demonstrationen 249 Festnahmen gegeben, 17 PolizistInnen seien verletzt worden, die Zahl der Anzeigen betrage 13.500, rechnete Nehammer vor. Die PolizistInnen hätten bislang 220.000 Überstunden leisten müssen, nur weil die FPÖ meine, Politik nicht im Parlament, sondern auf der Straße machen zu müssen, so der Vorwurf Nehammers in Richtung Freiheitliche.

Nehammer blieb bei seiner Darstellung, dass ein Sturm auf das Parlament geplant gewesen sei, das könne durch die Funk-Protokolle nachgewiesen werden. In der Anfragebeantwortung hielt er dazu fest, dass weder er noch die Landespolizeidirektion Wien Funkprotokolle an die Medien übermittelt hätten. Er könne auch aus datenschutzrechtlichen Gründen, weiters auf Grund der Verpflichtung zur Amtsverschwiegenheit sowie aus sicherheitspolizeilichen bzw. einsatztaktischen Überlegungen das gesamte Funk-Protokoll, wie in der Anfrage gewünscht, nicht veröffentlichen.

Der Innenminister weist in seiner Anfragebeantwortung zudem auch darauf hin, dass sich die Hinweise auf eine mögliche "Stürmung" des Parlaments erst im Zuge des ungeplanten Vorbeimarsches von VersammlungsteilnehmerInnen ergeben habe, sodass eine unverzügliche Video-Dokumentation nicht möglich gewesen sei. Außerdem sei die von den Kriminalbeamten wahrgenommene Ankündigung einer Gruppe von DemonstrationsteilnehmerInnen, sich zum Baustellengelände des historischen Parlaments zu begeben, durch sofortige Sicherungsmaßnahmen unmöglich gemacht worden.

Mahrer (ÖVP): FPÖ heizt die politische Stimmung in Österreich an

Die Kritik an Ex-Innenminister und nunmehrigem FPÖ-Klubobmann Herbert Kickl wurde seitens des Sicherheitssprechers der ÖVP, Karl Mahrer, bekräftigt. Kickl stehe nicht für Lösungen, er sei das Problem und heize die politische Stimmung in Österreich an, so Mahrer. Die Freiheitlichen würden die Menschen gegeneinander aufhetzen. Das könne auch zu Gewalttaten führen, aber auch zur Stürmung symbolträchtiger Gebäude, warnte Mahrer.

Auch Mahrer unterstrich das Grundrecht der Demonstrationsfreiheit und zeigte Verständnis für die Ängste und Sorgen der BürgerInnen. Sorgen bereitet ihm aber, dass sich darunter auch Rechtsextreme, Staatsverweigerer und Hooligans mischen, die die Kundgebungen dazu missbrauchen, ihre Botschaften zu verbreiten.

Bürstmayr (Grüne): Wahnwitzige Ideen nicht unterschätzen

Man müsse all die wahnwitzigen Ideen, die auch in österreichischen Foren kursieren, ernst nehmen, warnte auch Georg Bürstmayr von den Grünen im Hinblick auf den Sturm auf das Kapitol. Die Anfrage der FPÖ bezeichnete er als "einen Kubikmeter heiße Luft".

Einwallner (SPÖ): Kein politisches Schauspiel auf dem Rücken der Polizei

Reinhold Einwallner (SPÖ) nützte die Kurzdebatte, um Kritik an der Amtsführung Nehammers zu üben. Er vermisste vor allem Maßnahmen im Sicherheitsbereich und meinte, man lobe zwar die PolizistInnen für deren Einsatz, tue aber nichts für sie. Konkret kritisierte er, dass die Impfungen für die PolizistInnen bereits drei Mal verschoben worden seien. Er forderte zudem unter anderem eine steuerfreie Prämie und die Erhöhung der Gefahrenzulage. Die gegenwärtige Debatte zwischen ÖVP und FPÖ nannte er ein "politisches Schauspiel auf dem Rücken der Polizei" und meinte, man brauche mehr Seriosität und weniger Aufgeregtheit. Einwallner sprach sich für eine neue Sicherheitsarchitektur und weniger Inszenierung aus. Außerdem kritisierte er scharf die Art, wie Nehammer parlamentarische Anfragen beantwortet.

Krisper (NEOS): Leaks aus ÖVP-Ressorts, wenn diese der ÖVP nützen

Dem schloss sich auch Stephanie Krisper von den NEOS an. Die "Nichtbeantwortung" durch den Minister hält sie für eine Verhöhnung des Parlaments.

Krisper konzentrierte sich jedoch auf den Aspekt, wie Informationen aus dem Ressort - in diesem Fall die Funk-Protokolle - an die Medien gelangen. Sie vermisste, dass der Innenminister dazu etwas sagt oder versichert, derartige Sicherheitslücken zu schließen. Krisper stellte daher – auch unter Hinweise auf Ergebnisse aus dem Ibiza-Untersuchungsausschuss – die Vermutung in den Raum, dass viele Leaks aus den ÖVP-Ministerien gestreut werden, und zwar dann, wenn sie für die ÖVP opportun sind. Einmal mehr nahm sie die WKStA in Schutz, der die ÖVP immer wieder vorwerfe, Informationen aus der Hand zu geben. "Unfundiert anpatzen", das mache die ÖVP dann, wenn ihr nichts anderes mehr einfällt, folgerte Krisper. (Fortsetzung Nationalrat) jan

HINWEIS: Sitzungen des Nationalrats und des Bundesrats können auch via Livestream mitverfolgt werden und sind als Video-on-Demand in der Mediathek des Parlaments verfügbar.