Parlamentskorrespondenz Nr. 596 vom 20.05.2021

EU-Klimaneutralität bis 2050: EU-Hauptausschuss spricht sich für faire Lastenverteilung auf alle Mitgliedsstaaten aus

Kurz hofft bei EU-weitem Grünen Pass auf rasche Einigung mit dem Europäischen Parlament

Wien (PK) – Die EU-Klimapolitik, die europaweiten Corona-Maßnahmen zur Bewältigung der Pandemie sowie die europäischen Beziehungen zu Russland und Großbritannien standen im Fokus des EU-Hauptausschusses des Nationalrats, der heute im Vorfeld der Sondertagung des Europäischen Rates am 24. und 25. Mai zusammentrat. Geht es nach ÖVP, Grünen, SPÖ und den NEOS, soll sich Bundeskanzler Sebastian Kurz in Brüssel für eine faire Lastenverteilung auf alle Mitgliedstaaten zur angepeilten EU-Klimaneutralität bis 2050 einsetzen. Der Kanzler bekommt damit den Rücken gestärkt. Die europäischen Klimaschutzziele seien gut, es sei aber nicht der Zugang Österreichs, Mitgliedsländer mit hoher Wirtschaftsleistung mehr als andere in die Pflicht zu nehmen, erklärte der Bundeskanzler im Parlament. "Alle Länder müssen ihren Beitrag leisten", so Kurz, denn "dem Klima ist es egal, wo die Emissionen entstehen."

Konkret soll sich Kurz im Rahmen der sogenannten Effort-Sharing-Verordnung in Brüssel dafür einsetzten, dass bis 2030 alle Mitgliedstaaten wirksame nationale Maßnahmen setzen. Die zur Diskussion stehende Verknüpfung der Lastenverteilung mit dem BIP bzw. der Wirtschaftsleistung eines jeweiligen Mitgliedstaats als einziges Berechnungskriterium soll zudem vonseiten Österreichs abgelehnt werden. Stattdessen soll auch der Anteil erneuerbarer Energien eine Rolle spielen und die Ausgangssituationen und individuellen Möglichkeiten der Mitgliedstaaten sollen ebenso Berücksichtigung finden wie bereits getätigte Klimaschutzmaßnahmen.

Ein entsprechender Antrag auf Stellungnahme von der ÖVP und den Grünen wurde im EU-Hauptausschuss mit Ausnahme der Freiheitlichen unterstützt. Die FPÖ habe ernsthafte Sorge, in der Klimaschutzfrage auf EU-Ebene überschießend zu sein, sagte Abgeordneter Axel Kassegger. Hier müsse im Verhältnis zwischen erneuerbarer Energie, Leistbarkeit und Wirtschaftlichkeit ausgewogene und ernsthafte Politik gemacht werden und das Treibhausgasreduktionsziel in die richtige Relation gebracht werden, zumal der EU-Anteil an weltweiten Emissionen 8%, jener Chinas aber 28% und jener der USA 20% betrage. Die EU starte ein Projekt, das Milliarden koste und die Industrie zerstöre, so Kassegger.

Auch Bundeskanzler Kurz sprach von möglichen Kollateralschäden, die es trotz guter Klimaziele zu vermeiden gelte. Etwa müsse die Wettbewerbsfähigkeit Europas aufrecht bleiben. Thema sei auch die Frage der Energieerzeugung. Nicht zuletzt werde etwa Atomstrom in jüngsten Debatte positiv bewertet, was aus österreichischer Sicht bedenklich sei. Es könne nur in Richtung erneuerbare Energie gehen.

Österreich wolle sich nicht aus der Verantwortung stehlen, das würden nationale Klimamaßnahmen und –ziele bestätigen, allerdings dürfe die Lastenverteilung nicht ausschließlich auf der Wirtschaftsleistung eines Mitgliedstaates basieren, sagte Lukas Hammer von den Grünen. Wenn Länder wie Bulgarien oder Polen weiterhin keinen Anreiz haben, ihre Emissionen deutlich zu senken, würden weiter fossile Kraftwerke in Europa gebaut, die dann Jahrzehnte am Netz hängen. Damit sei das 2050-Ziel nicht erreichbar. 

Grüner Pass: Kurz hofft auf schnelle Einigung mit dem Europäischen Parlament

Geht es um den geplanten EU-weiten "Grünen Pass", der das Reisen innerhalb der Union während der Pandemie erleichtern soll, hofft der Kanzler auf eine schnelle Einigung mit dem Europäischen Parlament. Angesprochen von NEOS-Abgeordnetem Nikolaus Scherak auf etwaige Gerüchte, wonach der Europäische Rat den "Grünen Pass" auch ohne EU-Parlament umsetzen wolle, sagte Kurz, dass es in jedem Fall zu einer Regelung an den Grenzen kommen müsse. Wenn mit dem EU-Parlament keine einheitliche EU-weite Regelung zustande kommt, müssten die Staats- und Regierungschefs versuchen, beispielsweise bilaterale Vereinbarungen zu treffen. Österreich stehe als Tourismusland jedenfalls für pragmatische Lösungen ein. An die Adresse von FPÖ-Abgeordnetem Peter Wurm, der das Vorhaben kritisiert und unter anderem Datenschutzbedenken geäußert hatte, erklärte der Kanzler, dass niemand Interesse daran hätte, Gesundheitsdaten weiterzugeben oder zu verteilen.

Europaministerin Karoline Edtstadler äußerte sich prinzipiell zuversichtlich, wenn es um eine Einigung für den "Grünen Pass" geht. Österreich sei in dieser Frage ein Vorbild. Vonseiten der Grünen warnte Ralph Schallmeiner vor "stumpfem Nationalismus" in der Frage von europaweiten Corona-Maßnahmen.

SPÖ für Aufhebung des Patentschutzes bei Corona-Impfstoffen

Sorgen bereitet der SPÖ die ungleiche weltweite Impfstoffversorgung, insbesondere in Ländern des globalen Südens. Die Oppositionsfraktion wollte daher dem Kanzler die Verhandlungsposition mit nach Brüssel geben, sich vonseiten Österreichs für eine Aufhebung des Patentschutzes bei Corona-Impfstoffen auszusprechen. Zudem sollte sich Kurz aus Sicht der SozialdemokratInnen in allen internationalen Gremien für einen weltweit fairen, transparenten und leistbaren Zugang zu COVID-19-Impfstoffen, -Medikamenten und -Diagnostiken einsetzen.

"Impfnationalismus ist nicht vernünftig oder rational, weil es sich bei Corona um ein globales Phänomen handelt", rief SPÖ-Abgeordnete Petra Bayr ins Bewusstsein. Man müsse auch dem Süden die Möglichkeit geben, Corona-Impfstoffe selbst zu produzieren, wenn der Norden nicht dazu bereit ist, welche zur Verfügung zu stellen. Der entsprechende Antrag auf Stellungnahme der SPÖ erhielt von keiner anderen Parlamentsfraktion eine Zustimmung.

Die NEOS würden das Ziel einer globalen Impfstoffversorgung natürlich unterstützen, der Vorschlag der SPÖ greife aber zu kurz, sagte Nikolaus Scherak. Wenn man beginne, den Patentschutz auch nur zeitweilig auszusetzen, stelle er sich die Frage, wie die Pharmaindustrie arbeiten soll. Auch Martin Engelberg (ÖVP) stellte sich gegen die Aufhebung des Patentschutzes. Dies sei der falsche Ansatz, zudem würde es jahrzehntelanger Verhandlungen bedürfen, so Engelberg. Er könne sich vorstellen, Exportbeschränkungen aufzuheben und in dieser Frage "agiler" zu werden.

Kurz meinte, dass ein Hauptproblem in den Produktionskapazitäten liege. Er hoffe, dass es gelingt, weltweit bald jeden zu impfen, der sich impfen lassen will. Man müsse sich ansehen, wo es wirklich hakt. Österreich beteilige sich jedenfalls am COVAX-Programm.  

Kurz: Klare Haltung aber Dialog mit Russland

Die EU-Führungsspitze wird sich in Brüssel nächste Woche auch mit den Beziehungen zwischen der EU und Russland sowie Großbritannien auseinandersetzen. Im Fall von Russland meinte Kurz, dass er hoffe, eine möglichst gemeinsame Stellungnahme abgeben zu können, zumal die Positionen zwischen den Mitgliedsstaaten sehr unterschiedlich seien. Seitens Österreichs gebe es jedenfalls eine klare Haltung zur territorialen Integrität beispielsweise der Ukraine sowie bei den Menschenrechten und im Fall von Alexej Nawalny. Gleichzeit glaube er daran, dass es den Dialog braucht und Kanäle offen gehalten werden müssen.

FPÖ-Abgeordneter Axel Kassegger sieht die Rolle Österreichs in einem Brückenbauer zu Russland, zumal das Land sowohl geopolitisch als auch wirtschaftlich ein "extrem wichtiger Partner" sei. Projekte wie Nord Stream 2 und der Fall Nawalny hätten miteinander nichts zu tun.

Anders sieht das Helmut Brandstätter (NEOS). "Die Art und Weise, wie Putin auftritt, erfordert schon eine heftige Reaktion der Europäischen Union", so der Abgeordnete. Nur eine starke EU werde Putin erklären können, dass Europa ernst zu nehmen sei. Deshalb sprechen sich die NEOS weiterhin für die Abschaffung des Einstimmigkeitsprinzips in der EU im Bereich der EU-Außenpolitik aus. Auch die Spaltungsversuche Chinas in der Union seien offensichtlich, so Brandstätter. Ein entsprechender Antrag auf Stellungnahme blieb ohne Unterstützung einer weiteren Parlamentsfraktion in der Minderheit.

Was das Verhältnis zu Großbritannien nach dem Brexit betrifft, sagte Kurz, dass es nur gemeinsam funktionieren könne und nicht gegeneinander. Er habe großes Interesse an einer intensiven Zusammenarbeit etwa in Sicherheits- und Wirtschaftsfragen aber auch beim Thema Jugendliche.

Konferenz zur Zukunft Europas: Abgeordnete sprechen sich für Einbindung nationaler Parlamente aus

Im Hinblick auf die gestartete Konferenz zur Zukunft Europas sprachen sich ÖVP-Abgeordneter Reinhold Lopatka, Eva Maria Holzleitner (SPÖ) und Nikolaus Scherak (NEOS) für eine starke Einbindung der nationalen Parlamente aus. Laut Informationen von Europaministerin Karoline Edtstadler werden im Plenum der Zukunftskonferenz 108 VertreterInnen aus nationalen Parlamenten vertreten sein. Die Zukunftskonferenz finde in verschiedenster Form unter Beteiligung aller Mitgliedsstaaten statt, so Edtstadler. Auch in Österreich gebe es Veranstaltungen und Unterstützung für die Zivilgesellschaft. (Schluss) keg