Parlamentskorrespondenz Nr. 732 vom 16.06.2021

Verzögerte Aktenlieferungen an U-Ausschuss: Opposition blitzt mit Forderung nach Ministeranklage gegen Finanzminister Blümel ab

Auch Wirtschaftsministerin Schramböck muss sich nicht vor VfGH verantworten

Wien (PK) – Finanzminister Gernot Blümel muss sich wegen der verzögerten Lieferung von E-Mails an den Ibiza-Untersuchungsausschuss nicht vor dem Verfassungsgerichtshof (VfGH) verantworten. Der Nationalrat lehnte heute erwartungsgemäß eine von der Opposition beantragte Ministeranklage ab. Diese sei unberechtigt, es liege kein Rechtsbruch vor, machte ÖVP-Abgeordneter Christian Stocker geltend, wiewohl sein Parteikollege Wolfgang Gerstl Versäumnisse des Ministers einräumte. Auch die Grünen stimmten gegen die gemeinsame Oppositionsinitiative. Nina Tomaselli ließ es sich allerdings nicht nehmen, ebenfalls Kritik an Blümel und der ÖVP zu üben.

Vorangegangen war der Abstimmung eine zum Teil emotionale Debatte. Schon eingangs der Sitzung hatten SPÖ und FPÖ unisono beklagt, dass sich die Diskussion über die Ministeranklage aufgrund der eingeschobenen Erklärungen von Kanzleramtsministerin Karoline Edtstadler und Umweltministerin Leonore Gewessler unnötig nach hinten verschiebe. Offenbar habe die ÖVP größtes Interesse daran, dass so spät wie möglich darüber debattiert werde, dass der Finanzminister die Verfassung gebrochen habe, mutmaßte Jörg Leichtfried (SPÖ). Wohl in der Hoffnung, dass die BürgerInnen dann vielleicht schon im Schwimmbad seien, ergänzte Dagmar Belakowitsch (FPÖ). Auch Kai Jan Krainer (SPÖ) und Susanne Fürst (FPÖ) warfen der ÖVP vor, die Verfehlungen Blümels "verstecken" zu wollen. Die beiden Fraktionen konnten sich mit ihrer Forderung, die Tagesordnung umzureihen, aber nicht durchsetzen.

Gegen den Antrag, die EU-Erklärung hinter die Debatte über die Ministeranklage zu verschieben, stimmten nicht nur die Koalitionsparteien, sondern auch die NEOS. Er verstehe die Einwendungsdebatte nicht ganz, schließlich sei der Antrag auf Ministeranklage sehr weit vorne auf der Tagesordnung und die Debatte über die Zukunft Europas wichtig, sagte Nikolaus Scherak. Zumal heute auch einige Europaabgeordnete anwesend seien. Grünen-Klubobfrau Sigrid Maurer wies darauf hin, dass es parlamentarische Usance sei, Erklärungen von Regierungsmitgliedern an die Spitze der Tagesordnung zu stellen und wertete die Einwendungen in diesem Sinn wie ÖVP-Abgeordneter Christian Stocker als "Show".

Für Kritik bei SPÖ und FPÖ sorgte außerdem der Umstand, dass Finanzminister Blümel nicht zur Debatte erschienen war. Das sei "unglaublich respektlos gegenüber dem Parlament", urteilte Leichtfried. Demgegenüber hielt ÖVP-Klubobmann August Wöginger fest, dass Kanzleramtsministerin Karoline Edtstadler für Verfassungsangelegenheiten zuständig und auch im Plenum anwesend sei.

Eine Ministeranklage gehört zu den schärfsten Instrumenten des Parlaments zur Kontrolle der Regierung – entscheidet der VfGH im Falle einer Anklage doch über eine Amtsenthebung des betroffenen Regierungsmitglieds.

SPÖ und FPÖ legen Finanzminister Blümel Rücktritt nahe

Begründet hatten SPÖ, FPÖ und NEOS den gemeinsamen Antrag auf Ministeranklage damit, dass Finanzminister Blümel die Verfassung schuldhaft verletzt habe, indem er die vom Ibiza-Untersuchungsausschuss angeforderten E-Mails trotz Aufforderung von Seiten des Verfassungsgerichtshofs erst nach einem Exekutionsantrag übermittelt hat. Wie die Opposition in den Erläuterungen festhält, steht zudem der Verdacht des Amtsmissbrauchs im Raum.

Diese Kritik wurde heute unter anderem von den SPÖ-Abgeordneten Leichtfried, Krainer und Andrea Kuntzl bekräftigt. So erinnerte Krainer daran, dass die erste Aufforderung an das Finanzministerium zu Aktenlieferungen bereits im Jänner 2020 erging. Nach mehreren Nachforderungen habe man im Jänner dieses Jahres eine Rüge ausgesprochen und sich danach an den Verfassungsgerichtshof gewendet, schilderte er. Aber auch nach dessen Entscheidung zugunsten des Untersuchungsausschusses habe Blümel die angeforderten Unterlagen nicht geliefert, sondern sie nur ausdrucken lassen und "im Keller versteckt". Die Übermittlung an das Parlament sei erst nach dem Exekutionsantrag beim Bundespräsidenten erfolgt, Krainer zufolge allerdings mit einer rechtswidrigen Geheimhaltungsstufe versehen und nach wie vor unvollständig. Blümel habe keinen Respekt vor dem Parlament und der Demokratie, keinen Respekt vor der Verfassung und dem Rechtsstaat und keinen Respekt vor dem Bundespräsidenten und der Bevölkerung, schlussfolgert er.

Für Leichtfried ist die Vorgangsweise Blümels und dessen "Überheblichkeit" bezeichnend für den seiner Ansicht nach zweifelhaften Umgang der ÖVP mit rechtsstaatlichen Prinzipien, Demokratie und Parlamentarismus. Dieser zweifelhafte Umgang habe mit der Bemerkung von Bundeskanzler Kurz begonnen, wonach Einwände gegen verfassungswidrige Verordnungen "juristische Spitzfindigkeiten" seien, und hätte zuletzt mit Attacken gegen Staatsanwälte geendet, erklärte er. Zudem zeugt die ständige Vertagung von Oppositionsanträgen seiner Meinung nach von mangelndem Respekt gegenüber dem Parlament. Den Grünen warf die SPÖ vor, beim "Zudecken und Verdunkeln" zu helfen und Blümel die Stange zu halten, obwohl es ihrer Ansicht nach Zeit ist, dass dieser gehe.

Auch die FPÖ legte Blümel den Rücktritt nahe. Dieser sei als Finanzminister "nicht mehr zu halten", auch wenn ihm die ÖVP nach wie vor "die Mauer macht", zeigte sich Dagmar Belakowitsch überzeugt. Ihrer Meinung nach kann man über den klaren Verfassungsbruch des Finanzministers nicht hinwegsehen. Das sehen auch ihre Fraktionskollegen Christian Hafenecker und Michael Schnedlitz so. Blümel habe das Recht mit Füßen getreten, indem er die Aufforderung des VfGH, die angeforderen Akten zu liefern, zunächst missachtet habe, sagte Hafenecker und warf der ÖVP auch insgesamt vor, "Recht zu beugen, wo es geht". Für Schnedlitz sind die verzögerten Aktenlieferungen nur ein Steinchen in einem ganzen Mosaik von "Peinlichkeiten", "Respektlosigkeiten" und "Undurchschaubarkeiten".

NEOS warnen vor Angriffen auf Institutionen

Nikolaus Scherak (NEOS) hielt den Verteidigern von Blümel entgegen, dass es nie darum gegangen sei, Persönlichkeitsrechte und Gesundheitsdaten von MitarbeiterInnen zu schützen. Das Finanzministerium hätte genug Zeit gehabt, um die E-Mails nach entsprechenden Kriterien zu filtern, gab er zu bedenken. Vielmehr zeuge die Vorgangsweise des Finanzministers von einer Respektlosigkeit gegenüber Institutionen wie dem Verfassungsgerichtshof und dem Parlament, die seiner Ansicht nach "gang und gäbe geworden sind", seit die ÖVP "die Macht übernommen hat". "Sie tanzen den Institutionen auf der Nase herum", beklagte Scherak und hob die Notwendigkeit hervor, sich mit aller Kraft dagegen zu wehren. Maßgebende Institutionen würden in einer Art und Weise angegriffen, die für den Staat und das Gemeinwesen gefährlich seien, mahnte auch sein Parteikollege Johannes Margreiter.

ÖVP ortet "Anpatzversuche"

Kein Verständnis für die Kritik der Opposition zeigten die ÖVP-Abgeordneten Gabriela Schwarz, Christian Stocker und Wolfgang Gerstl. Die Ministeranklage sei unberechtigt, es liege kein Rechtsbruch vor, machte Stocker bereits in der Einwendungsdebatte geltend, auch wenn Gerstl später Versäumnisse von Seiten des Finanzministers einräumte. Gerstl gab der Opposition allerdings Mitschuld an der Eskalation der Lage, schließlich habe diese die Lösung bestehender Rechtsprobleme im Konsensweg ausgeschlagen.

Gerstl und Schwarz sind darüber hinaus überzeugt, dass es SPÖ, FPÖ und NEOS in erster Linie darum geht, durch Diskreditierungen und Vorverurteilungen Bundeskanzler Sebastian Kurz zu Fall zu bringen. Das Motto "Kurz muss weg!" werde aber nicht erfolgreich sein, betonte Schwarz und versicherte: "Kurz bleibt da!"

Sowohl Schwarz als auch Stocker äußerten darüber hinaus die Befürchtung, dass die ihrer Meinung nach überschießende Kritik der Opposition insgesamt ein schlechtes Licht auf die Politik wirft. Man solle sich überlegen, welches Bild das Parlament in der Öffentlichkeit abgebe, meinte Schwarz und verwendete in diesem Zusammenhang unter anderem den Ausdruck "letztklassig". Wie solle man jungen Menschen noch erklären, dass es sich auszahle, in die Politik zu gehen, fragte sie und mahnte gegenseitigen Respekt und Anstand ein. Auch Stocker sieht das Vertrauen der Bevölkerung in das Parlament gefährdet.

Ausdrücklich lobten Stocker und Gerstl die Finanz- und Wirtschaftspolitik der Regierung: Österreich prosperiere und sei aufgrund der Hilfen besser durch die Krise gekommen als die meisten anderen Länder der Welt, hob Stocker hervor und wertete das nicht zuletzt als Verdienst des Finanzministers.

Grüne erwarten Entschuldigung von Finanzminister Blümel

Grün-Abgeordnete Nina Tomaselli wertete eine Entschuldigung des Finanzministers aufgrund der verzögerten Aktenlieferungen hingegen als "überfällig". Die Grünen würden die Eskalationsstufen nicht verstehen, betonte sie. Entscheidungen des Verfassungsgerichtshofs seien zu vollziehen, niemand stehe über dem Gesetz. Zudem erwartet sich Tomaselli, dass Blümel kommende Woche im Untersuchungsausschuss die an ihn gerichteten Fragen beantworten wird und erklärt, wieso er die gelieferten Akten zunächst mit einer derart hohen Geheimstufe versehen habe.

An den ÖVP-Fraktionsführer im Untersuchungsausschuss Andreas Hanger appellierte Tomaselli, die "haltlosen Angriffe gegenüber der Justiz" zu unterlassen, was diesen zur Replik veranlasste, dass er kein einziges Mal die Justiz pauschal angegriffen, sondern nur einzelne Staatsanwälte kritisiert habe. Auch Kritik an Entscheidungen des Verfassungsgerichtshofs müssten möglich sein, bekräftigte Hanger und bat diesen künftig um vollziehbare Vorgaben. Kritisch beurteilte er die Weitergabe von Akten mit Geheimhaltungsstufe 2 an Medien und pochte auf den Schutz von Persönlichkeitsrechten und der Privatsphäre.

Zweimal mit Ordnungsrufen einschreiten musste Zweite Nationalratspräsidentin Bures: Sowohl FPÖ-Abgeordnete Dagmar Belakowitsch als auch ÖVP-Klubobmann August Wöginger wurden für den gegenseitigen Vorwurf der Lüge gerügt.

"Kaufhaus Österreich": Opposition macht Schramböck für "Flop" verantwortlich

Auch für einen zweiten Antrag auf Ministeranklage fand sich im Nationalrat keine Mehrheit. Die SPÖ wollte Wirtschaftsministerin Margarete Schramböck wegen des "Flops" rund um das Web-Projekt "Kaufhaus Österreich" vor den Verfassungsgerichtshof bringen, konnte für das Anliegen aber nur die anderen beiden Oppositionsparteien gewinnen. Die Grundlage für eine Ministeranklage sei mehr als dünn, gab Christian Stocker (ÖVP) zu bedenken. Schließlich müsse dafür nicht nur eine Rechtsverletzung vorliegen, sondern diese auch schuldhaft erfolgt sein. Auch die Grünen sehen keine Veranlassung für eine Ministeranklage, wiewohl Elisabeth Götze die Plattform als gescheitert beurteilte.

SPÖ-Abgeordneter Christoph Matznetter pochte hingegen auf eine Ministeranklage. Seiner Meinung nach sind öffentliche Gelder für ein Projekt verwendet worden, welches bei korrekter rechtlicher Prüfung nicht beauftragt werden hätte dürfen. Zudem stünden die gelieferten Leistungen in einem groben Missverhältnis zu den Kosten von rund 1,26 Mio. €, argumentiert er. Es könne nicht sein, dass Geld der SteuerzahlerInnen zum Fenster hinausgeworfen werde und diese für die "Realsatire" rund um das "Kaufhaus Österreich" bezahlen müssten. ÖVP und Grünen sollten sich einer Entscheidung des Verfassungsgerichtshofs nicht verschließen, appellierte Matznetter.

Von einem "Bauchfleck" der Wirtschaftsministerin sprachen Christian Drobits (SPÖ) und Douglas Hoyos-Trauttmansdorff (NEOS). Es handle sich um einen der größten Fehler der Regierung in den letzten Monaten, meinte Hoyos-Trauttmansdorff. Es sei zwar notwendig, österreichische HändlerInnen zu unterstützen, damit sie besser gegen Amazon bestehen könnten, meinte er, dafür ein staatliches Unternehmen zu gründen, erachtet er aber als absurd. Man habe 1,3 Mio. € "einfach so beim Fenster herausgeschmissen". Auch viele andere Digitalisierungsprojekte sind seiner Ansicht nach schiefgelaufen. Sein Parteikollege Helmut Brandstätter (NEOS) sprach in Zusammenhang mit dem "Kaufhaus Österreich" von einem PR-Schmäh und hielt fest, dass die Wirtschaftsministerin ein PR-Projekt umsetzen habe müssen, das in dieser Form nicht umsetzbar gewesen sei.

Verschiedene Rechtsübertretungen wie die Negierung von Ausschreibungskriterien ortet Christian Ragger (FPÖ). Zudem stellte er den Verdacht der Untreue in den Raum und wollte auch Korruption nicht ausschließen.

Grüne: Ziel des Projekts ist richtig gewesen

Dass das Projekt gescheitert ist, räumte auch Grün-Abgeordnete Götze ein. Das Ziel des Projekts sei aber begrüßenswert gewesen. Es sei notwendig, heimische Betriebe in ihrer digitalen Präsenz zu stärken, bekräftigte sie. Schließlich wandere im Online-Einkauf derzeit viel Geld ins Ausland ab. Heimische Unternehmen hätten kaum Chancen, gegen Amazon mitzuhalten.

Dezidiert verteidigt wurde Schramböck von den ÖVP-Abgeordneten Stocker und Andreas Minnich. Der vorliegende Antrag mache ihn "wütend", sagte Minnich und appellierte an die Opposition, "die peinlichen Spielchen zu lassen" und politische Verantwortung zu übernehmen. Schließlich stehe man an einem entscheidenden Punkt beim notwendigen Herausmanövrieren aus der Krise. Nur wer viel ausprobiere, habe Chancen auf Erfolg, die Regierung habe diesen Mut, sagte Minnich. Die SPÖ sollte sich besser fragen, wieviel Geld sie in ihrer Regierungszeit "versenkt" habe, anstatt Regierungsmitglieder ständig zu diskreditieren und anzuzeigen, unterstrich Stocker. (Fortsetzung Nationalrat) gs

HINWEIS: Sitzungen des Nationalrats und des Bundesrats können auch via Livestream mitverfolgt werden und sind als Video-on-Demand in der Mediathek des Parlaments verfügbar.