Parlamentskorrespondenz Nr. 764 vom 22.06.2021

Politik am Ring: Schafft der Tourismus ein fulminantes Comeback?

Parlamentsfraktionen diskutierten über Grünen Pass, Hilfsmaßnahmen, Arbeitskräftemangel und Planungssicherheit

Wien (PK) – Die Corona-Pandemie hat sich nachhaltig auf die Tourismusbranche ausgewirkt und stellt diese vor große Herausforderungen. Gingen vor der Pandemie die Zahlen fast ausnahmslos stetig und steil nach oben, durchlebt der Tourismus in Österreich derzeit die größte Krise seit Jahrzehnen. Nach über einem halben Jahr der Schließung haben die Betriebe nun wieder unter zahlreichen Auflagen und Restriktionen seit Mai geöffnet. Die sinkenden Infektionszahlen und die steigende Durchimpfung der Bevölkerung sowie das breitflächige Testangebot erzeugen in der Tourismuswirtschaft große Hoffnungen auf das Sommergeschäft. Die TouristInnen kehren langsam zurück, auch wenn Urlaubsreisen eine große organisatorische Herausforderung darstellen.

Was kann und soll die Politik tun, damit der Tourismus den Weg aus der Krise schafft? Welche Probleme hat die Tourismusbranche zu lösen? Welche Aussichten gibt es für diesen Sommer? Wie sieht die Zukunft des Tourismus im Allgemeinen aus? Darüber wie über den "Grünen Pass", das Instrument der Kurzarbeit, den Arbeitskräftemangel, systemische Fragen wie jene der Eigenkapitalquote, die Auszahlung der Hilfsgelder und die Finanzierungsagentur Cofag diskutierten gestern in der Internet-TV-Sendung Politik am Ring unter der Leitung von Gerald Groß VertreterInnen der fünf Parlamentsfraktionen, Norbert Kettner von WienTourismus sowie Sonja Wimmer vom Hotel "The Harmonie" in Wien.

Positive Aussichten für das Sommergeschäft?

Ein zentrales Thema der Diskussion war, wie der nun beginnende Sommer für die Tourismusbranche werden würde. Trotz großer Herausforderungen wie fehlender TouristInnen insbesondere aus Übersee hofft man auf ein fulminantes Comeback. So zeigte sich Gabriel Obernosterer, ÖVP-Mitglied im Tourismusausschuss und selbst Hotelier, etwa optimistisch, was die Sommersaison betrifft. Der "Grüne Pass" wie die 3G-Regeln würden allen Sicherheit bieten. Die SPÖ-Abgeordnete und Bereichssprecherin für Tourismus Melanie Erasim warnte allerdings davor, dieselben Fehler wie im vergangenen Sommer zu machen. Sollte im Herbst eine vierte Welle kommen und diese zu radikalen Schließungen führen, würden das viele im Tourismus nicht überleben.

Abgeordneter Gerald Hauser, Bereichssprecher der FPÖ für Tourismus, vertrat die Meinung, dass es Schuld der Regierung mit ihrem "permanenten Dauerlockdown" sei, dass die Tourismusbranche nun "vor dem Ruin steht". Man müsse den Tourismus arbeiten lassen, die Politik solle sich endlich heraushalten, hielt er fest. Diese Ansichten führten zu hitzigen Antworten der anderen Abgeordneten. Abgeordnete Barbara Neßler, Bereichssprecherin für Tourismus von den Grünen, kritisierte, die FPÖ würde Profit über Leben stellen.

Planungssicherheit als ein wesentliches Element für den Wiederaufbau der Branche

Als grundlegend für den Neustart des Tourismus bezeichnete SPÖ-Abgeordnete Erasim Planungssicherheit und kritisierte diesbezüglich die Regierung. "Ich glaube, dass es in diesem Bereich einer der größten Fehler der Regierung war, dass da teilweise wirklich ein Beliebtheitswettbewerb vonstattengegangen ist, bei dem Marketing oft wichtiger als gutes Krisenmanagement war", sagte sie. Auch NEOS-Abgeordnete Fiona Fiedler betonte die Wichtigkeit dieses Elements: "Wir brauchen ganz klare Ansagen, was wir im Herbst tun, wenn wieder ein Infektionsgeschehen kommt. Wir brauchen ganz klare Richtlinien." Obernosterer entgegnete auf diese Vorwürfe, dass die Pandemie eine völlig neue Situation dargestellt hätte und man im Nachhinein gesehen natürlich vieles hätte anders machen können. Man habe aber einfach oft nur kurzfristig vorgehen können, könnte aber nun aus den gemachten Fehlern lernen.

Diskussionen über den "Grünen Pass" und die 3G-Regeln

Unterschiedlich beurteilt wurde auch der "Grüne Pass". Während Grün-Abgeordnete Neßler hervorhob, dass der Pass Sicherheit im Tourismus geben und gesundheitlich und wirtschaftlich Sinn machen würde, da man bei einem Cluster nicht schließen müsste, kamen von den Oppositionsfraktionen kritische Äußerungen dazu. SPÖ-Abgeordnete Erasim sprach die Verzögerungen an, woran nicht die EU, sondern die Regierung schuld wäre, und hob hervor, dass es die SPÖ gewesen sei, die dem Gesetzentwurf vor allem im Bereich des Datenschutzes "die Zähne gezogen hat". Digitalisierungsprojekte, so NEOS-Mandatarin Fiedler, wären für die Regierung nicht einfach zu bewerkstelligen, man hätte das auch viel simpler mit einer App lösen können. Gegen Nachweise wie den "Grünen Pass" und die 3G-Regeln sprach sich FPÖ-Tourismussprecher Hauser aus, der darauf beharrte, dass es keinen ehrlichen Diskurs über die Corona-Pandemie geben würde. "Man kann doch nicht permanent von einem gesunden Menschen verlangen, dass er sich ausweist. Da werden ja die Logik und die Grundrechte auf den Kopf gestellt", machte er geltend.

Kurzarbeit und Arbeitskräftemangel in der Tourismusbranche

Mehrfach von Seiten der ParlamentarierInnen betont wurde, dass die Kurzarbeit wichtig gewesen sei und positive Wirkungen gezeigt habe. Nach Meinung von NEOS-Abgeordneter Fiedler müsste man sie nun aber beenden. Die nun durchgeführte Verlängerung sei angesichts der vielen offenen Stellen "ein Wahnsinn", da die Menschen wegen der Kurzarbeit Stellenangebote nicht annehmen würden.

Was den Arbeitskräftemangel im Tourismus betrifft, sprach Norbert Kettner, Geschäftsführer von WienTourismus, von einer dramatischen Lage. Es würde in diesem Bereich zu vielen Änderungen kommen, weswegen man langfristige Konzepte bräuchte, um damit umzugehen. ÖVP-Abgeordneter Obernosterer warf ein, dass man bei diesem Problem zusammenhelfen müsste, und kritisierte in diesem Zusammenhang SPÖ-Abgeordnete Erasim, die seiner Meinung nach erneut Stereotypen über die angeblich schlechten Arbeitsbedingungen in der Branche verbreiten würde. "Wir haben ordentliche, gute Arbeitsverhältnisse", ist er überzeugt. Sowohl Erasim als auch Grün-Abgeordnete Neßler sprachen von der Notwendigkeit der Attraktivierung der Jobs im Tourismus, um den Fachkräftemangel zu beseitigen.

Brauchen die Tourismusbetriebe eine höhere Eigenkapitalquote?

Das wichtigste Element, um der Krise zu begegnen, stellt für FPÖ-Abgeordneten Hauser das Eigenkapital dar. Dieses müsste man unbedingt stärken, da das Eigenkapitel durch die Krise stark reduziert worden wäre. Der Kritik, wonach die Regierungsparteien diesbezügliche Anträge der FPÖ "abgeschmettert" hätten, widersprach Grün-Abgeordnete Neßler und betonte, dass man betreffend Eigenkapitalquote in Verhandlungen stünde. Es gebe eine negative Eigenkapitalquote, das heißt, der Tourismus stehe auf sehr wackeligen Beinen. Man müsste aber, so die Abgeordnete, auch auf Wettbewerbsausgleich und einen Ausgleich des Investitionsdrucks setzen, um die Branche, die man zu lange sich selbst überlassen hätte, krisenfit zu machen.

Hilfsmaßnahmen und die Finanzierungsagentur Cofag

Sonja Wimmer, seit Anfang 2020 Leiterin des Hotels "The Harmonie" in Wien, erklärte ausführlich die Probleme, die sich in ihrem Fall bei der Beantragung sowie der Auszahlung von Hilfsgeldern ergeben hätten. Sie habe noch kaum Geld bekommen, da wegen einer Umgründung eine Berechnungsbasis fehle. Wimmer kritisierte auch die Finanzierungsagentur Cofag: "Wir hatten wirklich das Gefühl, es ist eine Odyssee", meinte sie und sprach von einer "Blackbox". Diese Kritik an der Cofag äußerten auch die VertreterInnen der Oppositionsparteien. Man hätte die Hilfsgelder über das Finanzamt abwickeln sollen, "weil es einfach einfacher, einheitlicher, treffsicherer, transparenter und auch mit einer Kontrolle durchs Parlament gegangen wäre", so NEOS-Abgeordnete Fiedler.

Wie sieht die Zukunft des Tourismus aus?

Experte Kettner sagte, dass man nach den enormen Rückgängen von 75 % in manchen Bereichen nicht vor zwei bis drei Jahren mit einer Erholung auf dem Niveau von 2019 rechnen könnte. Die Gastronomie und der Tourismus wären aber eine zivilisatorische Errungenschaft, die sich die Menschen nicht würden wegnehmen lassen. Zudem sei man es gewohnt, mit schwierigen Rahmenbedingungen umzugehen. Wichtig für die Zukunft des Tourismus ist für ihn, die lokale Bevölkerung wieder mit einzubeziehen, Stichwort Overtourism und den zum Beispiel Wien betreffenden Hochfrequenztourismus. Wenn die Bevölkerung nicht davon profitiere und den Tourismus nicht anerkenne, würde dieser nicht funktionieren.

Auch FPÖ-Abgeordneter Hauser betonte, dass man die breite Bevölkerung beim Tourismus mitnehmen müsste. Das Heimische und die regionalen Lebensmitteln zu stärken, sieht ÖVP-Abgeordneter Obernosterer als ein wichtiges Element an, um diese Akzeptanz bei der Bevölkerung zu erreichen. Die Wertschöpfung müsste in der Region bleiben und man sollte sich darüber im Klaren sein, dass Qualitätstourismus seinen Preis habe. In dieselbe Richtung argumentierte Hauser. Man müsste weg von der Globalisierung hin zur Regionalisierung, die Bevölkerung müsste wieder vom Tourismus profitieren. Grün-Abgeordnete Neßler erwähnte die Klimakrise als die große Herausforderung gerade für den Städtetourismus. Man müsste nun dringend die "Vorerkrankungen" der Branche angehen, "weil Probleme in der Branche schon ewig liegen geblieben sind", und den Tourismus krisen- und zukunftsfit machen.

Die nächste Sendung von Politik am Ring findet am Montag, dem 20. September 2021 statt. Sie wird wieder live ab 21 Uhr in der Mediathek der Website des Parlaments übertragen. (Schluss) gst

HINWEIS: Fotos von der Diskussionssendung Politik am Ring finden Sie auf der Website des Parlaments. Die Sendung ist außerdem als Video-on-Demand in der Mediathek des Parlaments abrufbar.