Parlamentskorrespondenz Nr. 806 vom 28.06.2021

Neu im Innenausschuss

BVT soll zur "Direktion Staatsschutz und Nachrichtendienst" mit verstärkter parlamentarischer Kontrolle werden

Wien (PK) – Eine umfassende Neuaufstellung des Bundesamtes für Verfassungsschutz und Terrorismusbekämpfung (BVT) soll das Vertrauen der Bevölkerung und der internationalen Partnerdienste in dieses wiederherstellen. Dazu wurde eine Regierungsvorlage (937 d.B.) ausgearbeitet, die vor allem Änderungen des Polizeilichen Staatsschutzgesetzes und des Sicherheitspolizeigesetzes betrifft. Die Gesetzesnovelle wurde dem Innenausschuss zur weiteren Behandlung zugewiesen. Kernpunkte sind die Trennung der Bereiche Staatsschutz und Nachrichtendienst, ein Ausbau der Präventionsaufgaben durch die Einführung von Fallkonferenzen für den Staatsschutz, verstärkte GefährderInnenansprache zur Deradikalisierung, die Beobachtung von GefährderInnen im Rahmen einer Meldeverpflichtung, die Einrichtung einer Meldestelle Extremismus und Terrorismus, die Erweiterung der Berichtspflichten an den ständigen Unterausschuss des Ausschusses für Innere Angelegenheiten sowie die Einführung einer unabhängigen und weisungsfreien Kommission zur begleitenden strukturellen Kontrolle der Tätigkeit des Verfassungsschutzes.

Neue Struktur: Trennung von Nachrichtendienst und Staatsschutz

Der Gesetzesentwurf sieht eine klare strukturelle Trennung in eine Komponente für Nachrichtendienst und eine für Staatsschutz innerhalb eines reformierten BVT vor. Dem Bereich Nachrichtendienst soll die Gewinnung und Analyse von Informationen sowie die erweitere Gefahrenerforschung obliegen. Dies dient der Beurteilung von verfassungsschutzrelevanten Bedrohungslagen, insbesondere aufgrund von Informationen nationaler und internationaler Behörden und Organisationen.

Der Bereich Staatsschutz soll Aufgaben zum vorbeugenden Schutz vor verfassungsgefährdenden Angriffen sowie die Fallkonferenzen Staatsschutz umfassen. Daneben soll dieser die klassischen sicherheitspolizeilichen Aufgaben im Zusammenhang mit verfassungsgefährdenden Angriffen wahrnehmen sowie die damit verbundenen Ermittlungen führen.

Das BVT soll künftig den Namen "Direktion Staatsschutz und Nachrichtendienst" tragen. Den bisherigen Landesämtern für Verfassungsschutz und Terrorismusbekämpfung soll künftig ausschließlich die Aufgabe des Staatsschutzes zukommen. Die Direktion wird eine größere Rechtsabteilung erhalten. Akzente werden auch im Bereich der Aus- und Weiterbildung gesetzt. Diese soll ein breites Spektrum an Inhalten aufweisen. Dabei werden bedingt durch die zunehmenden Herausforderungen im Cyberbereich die Vermittlung von technischem Wissen und Analysekenntnissen wichtiger werden.

Meldestelle Extremismus und Terrorismus

Die Direktion betreibt bereits zwei Meldestellen, bei denen über nationalsozialistische oder antisemitische Betätigungen oder Online-Inhalte sowie extremistische und radikale Videos informiert werden kann. Während die "Meldestelle NS-Wiederbetätigung" bereits gesetzlich abgebildet ist, soll sich auch die "Meldestelle Extremismus und Terrorismus" künftig ausdrücklich im Gesetz wiederfinden. Ihre Aufgabe umfasst die Entgegennahme von Hinweisen über extremistische oder terroristische Inhalte.

Fallkonferenz Staatsschutz

Neben der bereits bestehenden sicherheitspolizeilichen Fallkonferenz soll eine "Fallkonferenz Staatsschutz" eingeführt werden. Daran sollen Behörden, Bildungseinrichtungen und Einrichtungen, die mit Deradikalisierung, Extremismusprävention oder sozialer Integration betraut sind, teilnehmen. Solche Fallkonferenzen verfolgen das Ziel, Maßnahmen unterschiedlicher AkteurInnen zur Vorbeugung verfassungsgefährdender Angriffe möglichst effizient aufeinander abzustimmen. Die Einberufung einer Fallkonferenz Staatsschutz soll möglich sein, wenn anzunehmen ist, dass ein bestimmter Mensch einen verfassungsgefährdenden Angriff begehen wird.

Deradikalisierungsarbeit durch Zivilgesellschaft

Die sogenannte Deradikalisierungsarbeit mit radikalisierten Personen wird in Österreich vorwiegend von Organisationen aus der Zivilgesellschaft betrieben. Diese wenden sich für ihre Arbeit regelmäßig an die Verfassungsschutzbehörden, um Unterstützung bei Risikoeinschätzungen radikalisierter Personen zu erhalten. Eine Unterstützung ist aber mit den aktuellen rechtlichen Rahmenbedingungen meist nicht möglich. Dies kann dazu führen, dass Gefährdungspotentiale von den Verfassungsschutzbehörden nicht in ausreichendem Maße an diese Stellen kommuniziert werden dürfen. Es soll daher die Möglichkeit einer Präventionsaufgabe neu geschaffen werden, damit die Verfassungsschutzbehörden bestimmte Einrichtungen zur Deradikalisierung, Resozialisierung oder Reintegration von Personen mit extremistisch radikalisiertem Umfeld auf deren Ersuchen im Einzelfall bei ihrer Entscheidungsfindung hinsichtlich bestimmter KlientInnen unterstützen können.

GefährderInnenansprache und Meldeverpflichtung

Die bereits derzeit bestehende Möglichkeit der GefährderInnenansprache und der Meldeverpflichtung wird nun exklusiv den Organen des Verfassungsschutzes zugewiesen. Bei der GefährderInnenansprache klären speziell ausgebildete PräventionsbeamtInnen über die Rechtsfolgen anhaltender Radikalisierung auf und bieten die Vermittlung von Deradikalisierungsangeboten an. Durch eine Meldeverpflichtung werden Betroffene zur Anwesenheit in einer Dienststelle zu einer bestimmten Zeit verpflichtet. So soll regelmäßiger Kontakt sichergestellt werden.

Parlamentarische Kontrolle

Die Berichtspflichten an den Ständigen Unterausschuss des Innenausschusses des Nationalrats sollen Erweiterungen erfahren. So soll die Direktion jährlich einen Bericht erstellen. Dieser soll neben allgemeinen Informationen über die Tätigkeit der Direktion und der für Staatsschutz zuständigen Organisationseinheiten der Landespolizeidirektionen auch zusätzliche, vertiefende Einblicke, insbesondere in die durch den Verfassungsschutz beobachteten Gruppierungen, enthalten. Außerdem soll die anlassbezogene Berichtspflicht um Informationspflichten bei wesentlichen Organisations- oder Aufgabenänderungen im Bereich der Direktion ergänzt werden. Die bislang lediglich periodisch bestehende umfassende Berichtspflicht an den Ständigen Unterausschuss (etwa über Lagebilder zu strategischen Bedrohungen) wird vom Umfang künftig gesetzlich demonstrativ konkretisiert. Informationen sollen künftig anlassbezogen dem Ständigen Unterausschuss zu berichten sein.

Unabhängige Kontrollkommission Verfassungsschutz

Zum Zweck der Sicherstellung der gesetzmäßigen Aufgabenerfüllung der künftigen Direktion soll eine unabhängige Kontrollkommission Verfassungsschutz eingerichtet werden. Diese soll systemische Mängel und Optimierungsbedarf in der Organisation aufzeigen. Die Kontrollkommission kann entweder aus eigenem oder über konkretes Ersuchen des Innenministers oder des Ständigen Unterausschusses tätig werden. Daneben soll die Kontrollkommission auch als Anlaufstelle für Whistleblower dienen und eingebrachten Vorwürfen nachgehen. Die Kontrollkommission hat jährlich einen Bericht über die Tätigkeit und Empfehlungen an den Bundesminister für Inneres und den Ständigen Unterausschuss zu erstatten. Zur Verdeutlichung der Unabhängigkeit der Kontrollkommission sollen die Mitglieder auf Vorschlag des Hauptausschusses vom Nationalrat für eine Funktionsperiode von zehn Jahren gewählt werden.

Unbefugte Einsichtnahme sensibler Daten

2019 hat der Nationalrat die Bundesregierung aufgefordert, eine Gesetzesinitiative vorzulegen, die sicherstellt, dass sensible nachrichtendienstliche Aufzeichnungen oder Datenträger im Falle des Widerspruchs eines Betroffenen auf geeignete Art und Weise gegen unbefugte Einsichtnahme oder Veränderung zu sichern und zu hinterlegen seien. Die Entscheidung, ob die beschlagnahmten Aufzeichnungen oder Datenträger verwertet werden dürfen, solle von einem Gericht getroffen werden. Ein Ministerialentwurf hinsichtlich der Erlangung von behördlichen Aufzeichnungen und Datenträgern im Strafverfahren kam dieser Aufforderung des Nationalrats nach und verwies grundsätzlich auf das System der Amtshilfe. Im Begutachtungsverfahren stieß dieses Vorhaben jedoch weitgehend auf Kritik, weil es als Einschränkung der Praxis empfunden wurde. Um staatsanwaltschaftliche Ermittlungsbefugnisse nicht zu beschränken, soll das Vorhaben in der jetzt vorliegenden Regierungsvorlage nicht weiterverfolgt werden.

Im Einklang mit den Stellungnahmen im Begutachtungsverfahren ist bei der Erlangung behördlicher Schriftstücke und Datenträger im Sinne der Verhältnismäßigkeit auf die Möglichkeit eines Vorgehens im Wege der Amtshilfe Bedacht zu nehmen. Im Sinne der Entschließung des Nationalrates 2019 soll jedoch ein Widerspruchs- und gerichtliches Sichtungsverfahren eingeführt werden, um den Schutz bestimmter sensibler Informationen zu gewährleisten. Widerspruchsberechtigte sind von der Sicherstellung betroffene Behörden oder öffentliche Dienststellen. Als Widerspruchsgrund gilt unter anderem, wenn es sich um klassifizierte nachrichtendienstliche Informationen handelt, deren Geheimhaltung das Interesse an der Strafverfolgung im Einzelfall überwiegt. (Schluss) pst