Parlamentskorrespondenz Nr. 870 vom 08.07.2021

Beschaffungsvorgänge in der COVID-19-Pandemie: Nationalrat diskutiert Bericht des kleinen Untersuchungsausschusses

Debatte geprägt durch gegenseitige Vorwürfe, es mit der Wahrheit nicht ernst zu nehmen

Wien (PK) – Heftige Debatten im heutigen Nationalrat löste einmal mehr die COVID-19-Pandemie aus. Konkret ging es um die damit in Verbindung stehenden Beschaffungsvorgänge des Bundes. Grundlage dafür bot aufgrund eines Verlangens von SPÖ und NEOS der Bericht des Ständigen Unterausschusses des Rechnungshofausschusses, des sogenannten kleinen Untersuchungsausschusses. Geprüft wurde unter anderem die Zusammenarbeit mit dem Roten Kreuz, die Verteilung der Gratismasken für die Bevölkerung über 65, die Massentestungen, die Impfstoffbeschaffung, die Corona-APP und die Medienkampagnen der Bundesregierung. Der Bericht wurde bei der Abstimmung mit Mehrheit zur Kenntnis genommen.

Die Beurteilung all dieser Vorgänge erfolgte von den beiden Regierungsfraktionen ÖVP und Grünen und von der Opposition von SPÖ, FPÖ und NEOS diametral. Daher haben die Oppositionsparteien auch einen eigenen Minderheitsbericht vorgelegt. Diese unterschiedlichen Einschätzungen prägten auch die äußerst kontroversen Debattenbeiträge im Plenum. Die Opposition fokussierte ihre Kritik vor allem auf die ÖVP. So warfen Karin Greiner (SPÖ) und Douglas Hoyos-Trauttmansdorff (NEOS) insbesondere Bundeskanzler Kurz und Finanzminister Blümel vor, es mit der Wahrheit nicht immer ernst zu nehmen, an Transparenz nicht interessiert gewesen zu sein und die Verantwortung immer wieder abzuschieben. Die FPÖ bezeichnete die Türkisen als "Corona-Korruptionspartei", wofür Wolfgang Zanger (FPÖ) vom Vorsitz führenden Präsidenten Norbert Hofer auch einen Ordnungsruf erhielt. Laurenz Pöttinger von der ÖVP konterte mit dem Vorwurf an die Opposition, es selbst nicht ernst mit der Wahrheit zu nehmen und statt an Wahrheitsfindung vielmehr an Skandalisierung interessiert zu sein. Sibylle Hamann (Grüne) hingegen meinte, man habe am Beginn der Pandemie unter Zeitdruck Entscheidungen treffen müssen, und da sei selbstverständlich nicht alles perfekt gelaufen. Der Bericht zeige das alles detailliert und deutlich auf, skandalisiere aber nicht. Die Erfahrungen seien aber für die Zukunft nützlich.

Ein Ausschuss unterschiedliche Wahrnehmungen

Während ÖVP und Grüne die Kooperation mit dem Roten Kreuz aufgrund dessen internationaler Erfahrung auf diesem Gebiet und der damaligen Notsituation verteidigen und in ihrem Bericht bekräftigen, dass die Vergaberegeln eingehalten worden seien, hält die Opposition den Beschaffungsvorgang im Sinne einer "Notvergabe" für intransparent und nicht nachvollziehbar. Beim Projekt "Corona-App" orten SPÖ, FPÖ und NEOS ebenfalls Kompetenzwirrwarr und Intransparenz. Ähnlich bewerten sie die Auftragsvergabe für Massentestungen (Antigen-Tests) als fragwürdig und bezeichnen die Anschaffung der Masken von der umstrittenen Firma Hygiene Austria als ein Musterbeispiel für eine intransparente Vergabepraxis. Insgesamt wurden 18 Millionen Gratis-FFP2-Masken an 1,8 Millionen Empfängerinnen und Empfänger postalisch zugesandt. Die Gesamtkosten des Projekts betrugen laut Ausschussbericht insgesamt 13.967.324 €.

Eine zentrale Rolle nahm im Ausschuss die Impfstoffbeschaffung ein. Die Opposition wirft Finanzminister Blümel vor, bei der Budgetierung eine Deckelung von 200 Mio. € vorgenommen zu haben und auf einen Anteil der Impfstoffe verzichtet zu haben. Die Impfstrategie der Bundesländer war nach Ansicht von SPÖ, FPÖ und NEOS undurchsichtig. Anstatt aber diese Fehler zuzugeben, habe der Bundeskanzler Impfkoordinator Clemens Martin Auer zum Hauptschuldigen erklärt. Demgegenüber führten Regierungsvertreter im Ausschuss ins Treffen, dass die Republik Österreich einen Impfstoffbedarf für acht Millionen Menschen angemeldet habe. Bundeskanzler Kurz blieb auch bei seiner Sicht der Dinge, dass immer vereinbart gewesen sei, den entsprechenden Anteil gemäß der Bevölkerung zu erhalten. Der zuständige Beamte habe das – aus welchen Gründen auch immer – anders gehandhabt, verteidigte Kurz die Ablöse Auers als Impfkoordinator.

Finanzminister Blümel hat zudem im Ausschuss darauf hingewiesen, dass das Budget für die Impfstoffbeschaffung von 200 auf 388 Mio. € erweitert worden sei und dass es keinerlei starre Grenzen gegeben habe. Es lägen in den Ministerratsvorträgen explizite Hinweise darauf vor, dass auch aus dem COVID-Fonds, wenn es mehr Geld brauche, Geld abgerufen werden kann.

Die Oppositionsparteien halten in ihrem Minderheitsbericht auch fest, dass sie die Instrumentarien des Ständigen Unterausschusses des Rechnungshofausschusses als unzureichend empfinden und regen in diesem Sinne auch eine Änderung der Geschäftsordnung an. So fordern sie unter anderem eine Stärkung der Minderheitenrechte in dem Sinn, dass analog zum parlamentarischen Untersuchungsausschuss ein Minderheitenrecht bezüglich der Ladung von Auskunftspersonen eingeführt werden soll. Zudem treten sie dafür ein, die derzeit geübte Praxis der pauschalen Aktenklassifizierung zu überdenken.

Der Ausschuss hat seit Jänner 2021 in 11 Sitzungen mit 21 Auskunftspersonen – darunter u.a. Bundeskanzler, Finanzminister, ExpertInnen der Ministerien, der Bundesbeschaffungsagentur und des Roten Kreuzes – die Beschaffungsvorgänge und Auftragsvergaben der Bundesregierung in Zusammenhang mit der COVID-19-Pandemie geprüft.

SPÖ fordert Wahrheitspflicht auch für den kleinen Untersuchungsausschuss

Die ÖVP habe sich der Transparenz und der Aufklärung nicht verpflichtet gefühlt, resümierte Karin Greiner (SPÖ) über den Sitzungsablauf des sogenannten kleinen Untersuchungsausschusses. Vor allem hätten sich Bundeskanzler Sebastian Kurz und Finanzminister Gernot Blümel der Wahrheit nicht verpflichtet gefühlt. Das sei irritierend und inakzeptabel, sagte sie, weshalb die SPÖ nun auch die Wahrheitspflicht für diesen Ausschuss einfordert. Dies wurde auch von ihrem Klubkollegen Christian Drobits bekräftigt, der dazu anmerkte, die Wahrheitspflicht würde die Glaubwürdigkeit der Politik stärken. Er unterstützte zudem die Passage im Minderheitsbericht zur Stärkung der Minderheitsrechte im sogenannten kleinen Untersuchungsausschuss.

Sowohl Drobits als auch seine Klubkollegin Petra Oberrauner kritisierten die Art der Diskussion und den Umgang mit den anderen Abgeordneten im Ausschuss seitens der ÖVP. Nach Meinung von Drobits hat die ÖVP im Ausschuss eine Verteidigungsstrategie gefahren und versucht, alles gut und schön zu reden. Es wäre aber besser gewesen, aus den Fehlern zu lernen und Konsequenzen zu ziehen, meinte Oberrauner und regte unter anderem Überlegungen zur Kompetenzverteilung an.

Was die konkreten Untersuchungsgegenstände betrifft, so kritisierte Greiner insbesondere die Zusammenarbeit der Regierung mit der Hygiene Austria, die der Schwarzarbeit und des Betrugs verdächtigt wird, und prangerte die auffallende Nähe der Firmenleitung zum Kabinett des Bundeskanzlers an. Für brisant erachtet es Greiner auch, dass die Spitze der Bundesregierung mit der Firma Exklusivverhandlungen geführt hat. Als einen folgenschweren Fehler bezeichnete sie die Kostendeckelung von 200 Mio. € für die Impfstoffbeschaffung. Auch wenn der Finanzminister dies immer wieder in Abrede stelle, so würden die Akten anderes sprechen, betonte Greiner. Österreich habe auch freiwillig auf Impfstoff verzichtet und dann habe der Kanzler die Schuld auf den Impfkoordinator geschoben. Das sei "billig", so Greiner. Drobits ortete allgemein ein Chaos bei den Impfungen.

FPÖ ortet Korruption der ÖVP

Harsch fiel auch die Wortmeldung von Wolfgang Zanger (FPÖ) aus, der Korruption hinter den Beschaffungsvorgängen ortet. Die "türkise Familie" habe die Corona-Krise genutzt, um das Beschaffungswesen zu korrumpieren, die Profiteure stammten ausschließlich aus dem türkisen Netzwerk, stellte Zanger fest. Die Beauftragung der Hygiene Austria sah er ebenso kritisch wie Karin Greiner. Zudem warf er der Regierung vor dem Hintergrund eines Werbe-Etats von 200 Mio. € Manipulation statt Information der Bevölkerung in der Corona-Krise vor. Aus seiner Sicht ist mit dem Abschluss eines Werkvertrags mit dem Roten Kreuz auch das Bundesvergabegesetz umgangen worden.

Wie die SPÖ zeigte sich Zanger mit den Aussagen einzelner Regierungsmitglieder unzufrieden. Deren Agieren bezeichnete er als "verwerflich, abgehoben und arrogant".

NEOS sehen Notwendigkeit, noch genauer zu prüfen

Rund um die Corona-Beschaffung gebe es noch viel aufzuklären, hielt Douglas Hoyos-Trauttmansdorff aus seiner Sicht fest. Ziel des Ausschusses sei es gewesen, aus der Krise zu lernen. Dieses Interesse sei nur bei vier Fraktionen sichtbar gewesen, nicht aber bei der ÖVP, war sich der NEOS-Abgeordnete einig mit seinen KollegInnen von SPÖ und FPÖ. Er habe das Gefühl, dass die im Ausschuss geladenen Verantwortungsträger wie der Bundeskanzler und der Finanzminister die Wahrheit "sehr weit definieren", wie er es ausdrückte.

Hoyos-Trauttmansdorff gab zu bedenken, dass viele Dinge nicht optimal, zum Teil sehr schlecht gelaufen seien. Der Bundeskanzler habe viel versprochen, was er dann nicht halten konnte. Konkret nahm der Mandatar auch das PR-Budget von 200 Mio. € ins Visier, womit man 80.000 Impfdosen hätte kaufen können. Im Hinblick auf die Testungen forderte er einen effizienteren Einsatz der Mittel. Was die Hygiene Austria betrifft, kritisierte er ebenfalls das Naheverhältnis zum Kanzlerbüro und die Exklusivverhandlungen.

ÖVP: Die Opposition skandalisiert und ist nicht an Wahrheit interessiert

Den Vorwurf, nicht an der Wahrheit interessiert zu sein, gaben Laurenz Pöttinger und Andreas Kühberger seitens der ÖVP an die Opposition zurück. Was er in Pressekonferenzen und heute von den OppositionsvertreterInnen gehört habe, sei für ihn ungeheuerlich, da deren Aussagen nicht der Wahrheit entsprächen, so Pöttinger. Er forderte daher eine Wahrheitspflicht für Abgeordnete.

In seinem Rückblick auf den Ausschuss hielt Pöttinger aus seiner Sicht fest, dass die Beschaffung und Auftragsvergabe korrekt durchgeführt worden seien und dankte dem Roten Kreuz für dessen Beschaffungsmanagement am Beginn der Pandemie. Der ÖVP-Mandatar unterstrich die Wichtigkeit und Notwendigkeit einer Überprüfung, da niemand fehlerlos agiere, schon gar nicht in solchen Ausnahmesituationen. Er lehne es aber ab, Skandale zu erfinden und Befragungen wie ein Verhör durchzuführen. Die Befragungen seien stellenweise von Aggression, Unterstellungen und Skandalisierungen geprägt gewesen, sie seien eher einem Drehbuch entsprungen aber nicht der Bemühung um Wahrheitsfindung, so der Eindruck Pöttingers. Die Opposition habe vergessen, dass sie es mit Menschen zu tun gehabt habe. Diese Vorwürfe wurden von Christian Drobits (SPÖ) nachdrücklich zurückgewiesen.

Kühberger bekräftigte einmal mehr, dass es keine Deckelung bei der Impfstoffbeschaffung gegeben habe, das sei lediglich eine Grundlage für das Budget gewesen. Aus dem Covid-Fonds hätte man immer Geld dafür zur Verfügung gehabt. Kühberger bedauerte, dass in der größten Krise nach dem Zweiten Weltkrieg die Opposition politisches Kleingeld schlagen wolle, obwohl die Regierung gute Arbeit für die Wirtschaft und Gesundheit der Menschen leiste. Ähnlich argumentierte Andreas Hanger (ÖVP), der die Beschaffungsvorgänge als hochprofessionell und korrekt bezeichnete. Er bedankte sich insbesondere beim Roten Kreuz, das durch seine internationalen Kontakte ein ungemein wichtiger Partner gewesen sei, bei der Bundesbeschaffung GmbH, die für die Einhaltung der vergaberechtlichen Vorgaben gesorgt habe, sowie bei der Finanzprokuratur. Sein Dank galt auch den Ländern und Gemeinden, die die Impfstrategie und Teststrategie umgesetzt und dafür gesorgt haben, dass Österreich in diesen Bereichen Spitzenposition einnimmt.

Grüne: Erfahrungen für zukünftige Krisen nützen

Sie habe den Ausschuss als sehr konstruktiv empfunden, stellte Sibylle Hamann (Grüne) ihre Sicht der Dinge dar. Sie habe Ernsthaftigkeit gespürt, die Akten seien schnell geliefert worden, die Ladungslisten im Einvernehmen erstellt worden und es seien auch alle Auskunftspersonen gekommen und hätten detailliert berichtet.

Hamann ersuchte, bei der Beurteilung auch die Dramatik der damaligen Zeit zu berücksichtigen. Man habe unter Zeitdruck Strukturen aus dem Boden stampfen und Entscheidungen treffen müssen. Da sei selbstverständlich nicht alles perfekt gelaufen. Bei den Masken war der Markt leergefegt, die Preise waren hoch, erinnerte Hamann. Man habe über die Mengen und den Verteilungsschlüssel bei den Impfstoffen entscheiden müssen, ohne zu wissen, wie sich die Pandemie entwickelt. Der Ausschussbericht zeige das alles sehr deutlich auf, er lasse nichts aus, skandalisiere aber nicht. Hamann plädierte eindringlich dafür, diese Erfahrungen für eine kommende Krise zu nützen. (Fortsetzung Nationalrat) jan

HINWEIS: Sitzungen des Nationalrats und des Bundesrats können auch via Livestream mitverfolgt werden und sind als Video-on-Demand in der Mediathek des Parlaments verfügbar.