Parlamentskorrespondenz Nr. 1029 vom 28.09.2021

Rechnungshofausschuss zu ÄrztInnen im niedergelassenen Bereich

Mückstein: Unbesetzte Kassenarztstellen keine Frage des Geldes

Wien (PK) – Um das Thema ärztliche Versorgung im niedergelassenen Bereich spannte sich heute eine breit gefächerte Diskussion des Rechnungshofausschusses. Kritisiert wurde neben unbesetzten Kassenarztstellen auch der Mangel an Primärversorgungseinrichtungen (III-396 d.B.). Seitens der Österreichischen Gebietskrankenkasse (ÖGK) nahm Generaldirektor Bernhard Wurzer dazu Stellung.

Ebenfalls diskutiert wurde über die Invaliditätspension Neu. Der Rechnungshof berichtete im Rahmen seiner Follow-Up-Überprüfung von nicht umgesetzten Empfehlungen (III-178 d.B. ). Beide Berichte wurden einstimmig zur Kenntnis genommen.

Genereller Ärztemangel in Österreich oder bloß zu wenig KassenärztInnen?

Die Überprüfung wurde auf Beschluss des Nationalrats durchgeführt und betraf die Jahre 2013 bis 2019, betonte Rechnungshofpräsidentin Margit Kraker. Eine Übersicht über die offenen Planstellen nach Fachgebiet und Region sei zur Zeit der Prüfung nur bedingt verfügbar gewesen. Aufgrund der fehlenden Daten erhob der Rechnungshof mit der Österreichischen Gesundheitskasse (ÖGK) die besetzten und unbesetzten Planstellen zum Jahresende 2019. Demnach waren Ende 2019 österreichweit von 7.142,4 Planstellen 138,3 – also 1,9% – freigehalten. 189 Planstellen (2,6%) konnten entgegen der Planung nicht besetzt werden. Insgesamt lag der Anteil der unbesetzten Planstellen bei 4,6%. Bevorstehende Pensionierungswellen könnten dieses Thema verschärfen, warnte Andreas Kollross (SPÖ) unisono mit der Rechnungshofpräsidentin.

Ralph Schallmeiner (Grüne) brachte zur Diskussion, ob in Österreich genereller Ärztemangel herrsche oder ob sich bloß zu wenig ÄrztInnen für Kassenarztpositionen finden lassen. Mückstein sah keinen absoluten Medizinermangel in Österreich. Vielmehr will er die Kassenarztplätze durch neue Arbeitszeitmodelle attraktivieren. Auch aus Sicht der ÖGK gibt es den Mangel vorwiegend bei den KassenärztInnen, insbesondere bei AllgemeinmedizinerInnen und KinderärztInnen. Dort, wo Kassenarztstellen nicht besetzt werden können, will Wurzer stärker auf Kooperationen mit den Ambulanzen in Spitälern setzen, um die Versorgung der Bevölkerung sicherzustellen. Gerhard Kaniak (FPÖ) hielt dem lange Anfahrtswege entgegen und plädierte grundsätzlich für eine Erhöhung der Planstellen.

"Medizin wird immer weiblicher" - Kassensystem für Jungärztinnen attraktivieren

Nur wenige Planstellen können für längere Zeit nicht besetzt werden, so Kraker. Die unbesetzten Planstellen teilen sich in jene, die freigehalten werden – beispielsweise für Gruppenpraxen – und jene, die mangels BewerberInnen nicht besetzt sind. Geht es nach dem Rechnungshof, so soll die ÖGK eine Strategie zur Besetzung von Planstellen entwickeln, die über die bestehenden Maßnahmen hinausgeht. Die geringe Anzahl an BerufseinsteigerInnen oder die Abwanderung von ÄrztInnen ins Ausland könnten Ursachen für unbesetzte Planstellen sein, wies die Rechnungshofpräsidentin hin. Besonders schwierig ist laut Gerhard Kaniak (FPÖ) die Besetzung von Planstellen in struktur- und einwohnerschwachen Regionen. Positiv entwickelt hätten sich ausschließlich die Wahlärzte und Wahlärztinnen, unterstrich er.

Dem Ärztemangel bei den KassenärztInnen werde entgegengewirkt unterstrich Gesundheitsminister Wolfgang Mückstein und verwies dabei auf Honorarsteigerungen von bis zu 30 Prozent und die Auszahlung von Niederlassungsprämien. Die Entscheidung gegen eine Kassenarztstelle liege aber meist nicht an der Frage des Geldes, betonte er. Vielmehr liege es an unattraktiven Arbeitsbedingungen.

Um die offenen Planstellen für Kassenärzte zu besetzen, will Werner Saxinger (ÖVP) das Kassensystem für junge Menschen attraktivieren. Als besondere Herausforderung stellte Saxinger dar, dass vermehrt Frauen in medizinische Berufe treten. Diese haben aufgrund von Betreuungspflichten besondere Anfordernisse an die Arbeitsbedingungen, sagte er. In Folge würden sie sich häufig als Wahlärztinnen niederlassen. Auch Wurzer anerkannte diese Thematik. Viele Ärztinnen würden ein Anstellungsverhältnis einer selbstständigen Tätigkeit - die mit viel Bürokratie und Organisationsaufwand verbunden ist - vorziehen. Daher will er bei der unternehmerischen Last ansetzen und diese zu senken versuchen.

Seitens der Grünen regte Eva Blimlinger zum Umdenken an. Die Arbeitssituation der Kassenärztinnen gehöre grundsätzlich verändert, argumentierte sie anhand des negativen Images eines männlichen Landarzts, der 24 Stunden pro Woche erreichbar sei. Sie will an der Work-Life-Balance der Kassenstellen arbeiten und neue Arbeitszeitmodelle schaffen. Kraker forderte eine systematische Erhebung der Bedürfnisse der PatientInnen.

Nur 29 von 75 geplanten Primärversorgungseinrichtungen realisiert

Geplant war bis Ende 2021 österreichweit zumindest 75 Primärversorgungseinheiten zu realisieren. Im Dezember 2019 waren lediglich 16 umgesetzt; in Kärnten, Salzburg, Tirol und Vorarlberg waren zum überprüften Zeitraum gar keine Primärversorgungseinheiten in Betrieb, stellte Kraker fest. Heute ist der Stand auf 29 angewachsen, informierte der Gesundheitsminister. Gerald Loacker (NEOS) und Andreas Kollross (SPÖ) machten sich für die Einleitung weiterer Primärversorgungszentren stark.

Kraker kritisierte auch, dass das Angebot der ärztlichen Leistung im niedergelassenen Bereich mit den Daten von Gesundheitsministerium, Krankenversicherungsträgern, Dachverband und Österreichischer Ärztekammer nicht valide erfasst werden konnte. Beispielsweise wurde bei der Anzahl der abrechnenden ÄrztInnen nicht die Kooperation mehrerer ÄrztInnen in Gruppenpraxen berücksichtigt. Bei der Zahl der tätigen ÄrztInnen wurde nicht das Ausmaß ihrer Tätigkeit erfasst. Weiters fehlte dem Rechnungshof ein aussagekräftiger Vergleich der Öffnungszeiten. Kraker empfahl daher dem Gesundheitsministerium und der ÖGK eine sektorenübergreifende, bundesweite Erfassung der tatsächlichen Öffnungszeiten von VertragsärztInnen und Spitalsambulanzen.

Die Feststellung des Rechnungshofs zu fehlenden Daten führte auch zu zahlreicher Kritik unter den Mitgliedern des Rechnungshofausschusses. Wurzer hielt dem entgegen, dass es eine Fülle an Informationen bei allen Institutionen gebe.

Rechnungshof überprüfte erneut "Invaliditätspension Neu" – Zahlreiche Empfehlungen nicht umgesetzt

Im August 2019 führte der Rechnungshof eine Folgeüberprüfung zur "Invaliditätspension Neu" durch. Ziel des 2012 eingeführten Systems war die Ablösung der befristeten Invaliditätspension. Mit der Reform wurden Geldleistungen bei Invalidität umgestaltet, mit dem Case Management eine neue Betreuungsform errichtet, der Rechtsanspruch auf medizinische Rehabilitation eingeführt und die Parameter für die berufliche Rehabilitation geändert. Im Rahmen der Follow-Up-Überprüfung musste der Rechnungshof feststellen, dass das Sozialministerium von den acht Empfehlungen des Vorberichts zwei teilweise und sechs nicht umgesetzt hatte.

Bei der Implementierung rechnete die Regierung mit Einsparungen in Höhe von 649 Mio. € in den Jahren 2014 bis 2018. Bereits 2015 sollten etwa 4.000 Personen in medizinischer Rehabilitation und etwa 2.700 in beruflicher Rehabilitation betreut werden. Tatsächlich seien 2018 21.200 Personen im Rehabilitationsgeld und 120 Personen in beruflicher Rehabilitation bzw. im Umschulungsgeld gewesen, heißt es in dem Prüfbericht. Dennoch fand keine finanzielle Neubewertung und Neuausrichtung der Reform statt, so die Kritik des Prüforgans.

Mückstein räumte eine Reihe von Fehleinschätzungen zu den Zielen der Invaliditätspension Neu ein. Der Anteil der beruflichen Rehabilitation wurde stark überschätzt, sagte er, die Bezugsdauer des Reha-Geldes wurde hingegen unterschätzt. Als "totalen Flop" bezeichnete Loaker die Reform. Er regte an, die Definition der Zielgruppe zu überdenken und pochte auf eine Gesetzesnovelle. Auch die FPÖ forderte eine Reform des Reha-Geldes, nicht zuletzt aufgrund der großen Anzahl an Personen, die an Long-COVID leiden.

In Bezug auf eine Reform der Invaliditätspension verwies Mückstein auf das Regierungsprogramm 2020-2024. Er will vorrangig auf Prävention setzen und dafür die Vorsorgeuntersuchungen weiterentwickeln. Auch auf typische gesundheitliche Risiken bestimmter Berufe soll eingegangen werden. Laurenz Pöttinger (ÖVP) sprach sich für ein gerechteres Reha-Geld aus. Dabei seien aber die Ursachen für die Invalidität nicht zu übersehen, unterstrich Michael Seemayer (SPÖ). Der Anteil jener Personen, die wegen psychischen Krankheiten Reha-Geld beziehen, sei in den letzten Jahren signifikant gestiegen, erfuhr Schallmeiner. Dies gelte es künftig im Vorfeld abzufedern, unterstrich Wurzer, da oft eine Rückführung in den Arbeitsmarkt zu diesem Zeitpunkt nicht mehr möglich sei.

Rechnungshof empfiehlt Definition der Zielgruppe für das Rehabilitationsgeld

Darüber hinaus hatte der Rechnungshof dem Sozialministerium, der Pensionsversicherungsanstalt (PVA) und der Oberösterreichischen Gebietskrankenkasse (ÖGK) in seinem Vorbericht empfohlen, gemeinsam die Definition der Zielgruppe für das Rehabilitationsgeld und das Case Management zu verbessern. Dies sei bis zur Follow-Up-Überprüfung nicht erfolgt, erneuerte Kraker die Empfehlung. Weiters bemängelten die PrüferInnen, dass der Rechnungshof dem Sozialministerium in seinem Vorbericht bereits empfohlen hatte, für die Bemessung des Rehabilitationsgelds einen längeren Zeitraum zu definieren und auf eine Gesetzesänderung hinzuwirken. Auch an dieser Stelle wurde die Empfehlung erneut ausgesprochen. Darüber hinaus sollten bei Anwendung der Mindestgrenze bei der Berechnung des Rehabilitationsgelds sowohl bedarfserhöhende als auch bedarfssenkende Faktoren berücksichtigt werden, warnte Kraker vor sozialen Härtefällen.

PVA trägt Kosten für Case Management bei Reha-Geld

Zur Zeit der Gebarungsüberprüfung bestand nach wie vor keine Klarheit bezüglich der Kostentragung des Case Managements im Zusammenhang mit dem Rehabilitationsgeld. Es war weder die Höhe der Verwaltungskosten abgestimmt noch gab es eine Einigung bezüglich der Aufteilung der Kosten, wie aus dem Prüfbericht hervorgeht. Laut Gesundheitsminister Mückstein gibt es bereits eine diesbezügliche Lösung: Die PVA werde die anteiligen Kosten für das Case Management an die ÖGK bezahlen.

Kraker zeigte sich zufrieden darüber, dass nun eine Lösung für den Kostenersatz in Sicht sei. Sie sah darin die Sinnhaftigkeit der Follow-Up-Überprüfung bestätigt. David Stögmüller (Grüne) wollte grundsätzlich das Zusammenspiel zwischen Pensionsversicherungsanstalt und Gesundheitskasse verbessert wissen. Dabei stieß er auf offene Ohren bei ÖGK-Generaldirektor Wurzer, der sich für einen intensiveren Austausch und stärkere Zusammenarbeit aussprach.

Die Rechnungshofberichte betreffend Geburtshilfe-Versorgung in Niederösterreich und Wien (III-221 d.B.), Psychiatrische Versorgung in Krankenanstalten in Kärnten und Tirol (III-14 d.B.), ausgewählte Steuerungsbereiche in der Krankenversicherung (Follow-up-Überprüfung) (III-16 d.B.), Rolle des Bundes in der österreichischen Krankenanstaltenplanung (Follow-up-Überprüfung) (III-17 d.B.), interne Revision und Kontrollversammlung bei den Sozialversicherungsträgern SVA und VAEB (III-19 d.B.), psychosoziale Angebote in den Ländern Salzburg und Steiermark (III-25 d.B.), System der Finanzzielsteuerung im Gesundheitswesen (III-72 d.B.), IT-Projekt ZEPTA (III-12 d.B.) sowie IT-Projekt ZEPTA der Pensionsversicherungsanstalt und nachfolgendes Standardprodukt ePV (Follow–up–Überprüfung) (III-250 d.B.) wurden vom Ausschuss einstimmig zur Kenntnis genommen.

Vertagt wurden die Rechnungshofberichte zu COVID-19 — Struktur und Umfang der finanziellen Hilfsmaßnahmen (III-342 d.B.), Tagesbetreuung von Schülerinnen und Schülern, Follow-up-Überprüfung) (III-361 d.B.), Anpassung an den Klimawandel in der Stadt Linz (III-372 d.B.), Umsatzsteuer bei internationalen digitalen B2C-Dienstleistungen (III-371 d.B.), Härtefallfonds – Förderabwicklung (III-388 d.B.) sowie Management der IT-Sicherheit in der Verwaltung ausgewählter Bundesministerien (III-410 d.B.) (Schluss Rechnungshofausschuss) gla