Parlamentskorrespondenz Nr. 1117 vom 14.10.2021

Nationalrat setzt sich für Schutz von unbegleiteten minderjährigen Flüchtlingen ein

Verstärkte Hilfe vor Ort in Afghanistan gefordert

Wien (PK) – Der Nationalrat sprach sich heute für eine Verbesserung von Schutz und Rechtsstellung unbegleiteter minderjähriger Flüchtlinge aus. Außerdem fordern die Abgeordneten verstärkte Hilfe vor Ort in Afghanistan sowie die Evakuierung der verbliebenen ÖsterreicherInnen bzw. afghanischer Staatsangehöriger mit gültigem Aufenthaltstitel in Österreich. Anträge von SPÖ und FPÖ für eine Ausweitung des Schulstartgeldes blieben in der Minderheit.

Schutz und Rechtsstellung von unbegleiteten minderjährigen Flüchtlingen sollen verbessert werden

Die Abgeordneten bekannten sich mehrheitlich zu einer schnellen Obsorge für unbegleitete minderjährige Flüchtlinge und zu einem besonderen Augenmerk auf Kindeswohl im Asylverfahren. Der Entschließungsantrag von ÖVP und Grünen fordert die Regierung auf, den Schutz und die Rechtsstellung der Kinder noch weiter zu verbessern.

Ausgangspunkt für die Initiative der Regierungsfraktionen war ein Entschließungsantrag der SPÖ für besseren Schutz und Betreuung für geflüchtete Minderjährige. Die SozialdemokratInnen thematisierten darin das Verschwinden unbegleiteter minderjähriger Flüchtlinge und forderten, dass jedes unbegleitete Kind, das in Österreich ankommt, ab dem ersten Tag in die Zuständigkeit der Kinder- und Jugendhilfe übergeben wird. Der Antrag fand keine Mehrheit.

Eine Flucht berge immer große Gefahren, besonders für unbegleitete Kinder und Jugendliche, sagte Petra Wimmer (SPÖ). Die meisten der Betroffenen würden in Österreich aber nicht von der Kinder- und Jugendhilfe betreut, rund 700 seien gar verschwunden, prangerte sie an. Wimmer drückte ihre Zustimmung zum Antrag von ÖVP und Grünen aus, wenngleich sie konkrete Mittel statt Absichtserklärungen forderte. Katharina Kucharowits (SPÖ) kritisierte, dass die Obsorge ab dem ersten Tag im Antrag der Regierungsfraktionen nicht gefordert werde.

Kein Verständnis für die Initiative hatte Christian Lausch (FPÖ). Man mache damit Schleppern die Tür auf und erschwere die Arbeit der Polizei im Grenzschutz, so Lausch. Schließlich würden viele Erwachsene vorgeben, minderjährig zu sein. Er sprach sich für Hilfe für "wirkliche Kinder" bis 14 Jahre aus.

Als "Themenverfehlung" bezeichnete Barbara Neßler (Grüne) die Äußerungen des FPÖ-Mandatars. Es gehe im Antrag nicht um einen Aufenthaltstitel, sondern um Betreuung. Auch Kinder, die geflüchtet sind, seien "wirkliche Kinder", die versorgt werden müssen, betonte sie. Ihre Fraktion werde sich für Obsorge ab dem ersten Tag für geflüchtete Kinder und Jugendliche einsetzen. "Der Geburtsort ist kein Leistungsnachweis und er darf auch kein Schicksalsurteil sein", so Neßler.

Von der ÖVP bezeichnete es Lukas Brandweiner als "außer Frage", dass seine Fraktion unbegleitete minderjährige Flüchtlinge im Land schützen wolle. Sie müssten schnell in Obsorge der Kinder- und Jugendhilfe gebracht werden. Dazu brauche es aber auch Schulungsangebote für das Betreuungspersonal und die verfahrensführenden ReferentInnen, was durch den Antrag gefordert werde. Sein Parteikollege Norbert Sieber sagte in Richtung des FPÖ-Abgeordneten Lausch, dass laut UN-Kinderrechtskonvention alle Kinder und Jugendlichen bis 18 Jahre als Kinder zu behandeln seien und man sich darüber nicht hinwegsetzen könne. Missbrauch müsse selbstverständlich geahndet werden, so Sieber.

Afghanistan: Hilfe vor Ort und Evakuierung gefordert

Mit breiter Mehrheit sprach sich der Nationalrat auch für verstärkte Hilfe in Afghanistan vor Ort aus. Die Abgeordneten fordern vom Außenminister, die zielgerichtete Verwendung österreichischer Hilfsmittel zur Unterstützung der Zivilbevölkerung sicherzustellen, auch wenn das eine beschränkte Zusammenarbeit mit den Taliban erfordert. Die EU-Mindeststandards zum Schutz der Grund- und Freiheitsrechte müssten beim Umgang mit den Taliban allerdings gewahrt werden. Außerdem solle sich der Außenminister weiterhin für die Evakuierung der verbliebenen ÖsterreicherInnen bzw. afghanischer Staatsangehöriger mit gültigem Aufenthaltstitel in Österreich einsetzen.

Harald Troch (SPÖ) thematisierte vor allem die Situation der Frauen in Afghanistan. Richterinnen, Journalistinnen und Menschenrechtsaktivistinnen müssten sich unter Todesangst verstecken, seit die Taliban an der Macht seien. Zu diesem Antrag habe seine Fraktion einen Antrag eingebracht, der im Ausschuss vertagt wurde und somit nicht in der heutigen Sitzung behandelt wird. Das wertete er als Zensur. Selma Yildirim (SPÖ) äußerte ebenfalls Kritik, kündigte jedoch die Zustimmung ihrer Fraktion an, weil Österreich eine internationale Verantwortung habe und es viele menschliche Stimmen im Land gebe.

Auch Stephanie Krisper (NEOS) drückte Zustimmung aus, wenngleich der Antrag "nichtssagend" sei. Sie kritisierte, dass Österreich keine Menschen aus Afghanistan über Resettlement-Programme aus dem Land holen wolle und dass an den EU-Grenzen illegale Pushbacks stattfinden, die im Antrag nicht thematisiert werden.

Hannes Amesbauer (FPÖ) sah zwar einige unterstützenswerte Punkte im Antrag, fand jedoch unverständlich, dass man auch afghanische StaatsbürgerInnen mit Aufenthaltstitel in Österreich evakuieren wolle. Wer "Heimaturlaub" im angeblichen Fluchtland mache, obwohl es eine Reisewarnung gebe, habe in Österreich nichts mehr verloren. Das sei ein Missbrauch des Asylrechts, so Amesbauer. Zudem habe Österreich bereits genug Menschen aus Afghanistan aufgenommen. Seiner Meinung nach herrsche unter den AfghanInnen eine hohe Kriminalitätsrate und Gewaltbereitschaft. Er plädierte für eine Aussetzung des Asylrechts, Grenzschutz und außereuropäische Asylzentren. Auch Axel Kassegger (FPÖ) war der Ansicht, dass Österreich bereits seinen Beitrag geleistet habe. Die Verantwortung für die Situation in Afghanistan liege bei anderen Staaten.

Ewa Ernst-Dziedzic (Grüne) ortete angesichts dieser Wortmeldungen "Populismus und rassistische Polemik" bei den Freiheitlichen und vermisste Lösungsvorschläge. Denn Afghanistan befinde sich im freien Fall in Bezug auf Sicherheit, Frauenrechte und Menschenrechte. Hinzu komme eine Wirtschaftskrise und eine humanitäre Katastrophe. Wenn man nicht vor Ort helfe, würden sich die Menschen zwangsläufig auf den Weg machen, so Ernst-Dziedzic.

Auch Reinhold Lopatka (ÖVP) unterstrich, dass aufgrund der drohenden großen Armut in Afghanistan mit Flüchtlingsbewegungen zu rechnen sei. Deshalb gelte es, vor Ort zu helfen und die Region zu stabilisieren. Das sei die richtige Positionierung der internationalen Staatengemeinschaft und die Linie der österreichischen Bundesregierung. Gudrun Kugler (ÖVP) stellte klar, dass die im Antrag angesprochenen afghanischen StaatsbürgerInnen mit Aufenthaltstitel in Österreich bereits aufgenommen seien. Es handle sich also nicht um zusätzliche Personen. Dass man diesen Menschen helfe, verstehe sich von selbst. Wenn jemand mit einem Aufenthaltstitel ins Herkunftsland reist, sei es möglich, dass der Titel aberkannt wird, so Kugler. Das habe aber nicht die FPÖ zu entscheiden, sondern im Sinne der Rechtsstaatlichkeit die Behörden. In Richtung des Abgeordneten Troch erklärte sie die Vertagung des SPÖ-Antrags im Ausschuss damit, dass dieser in weiten Teilen obsolet sei. Der ÖVP-Grünen-Antrag gehe tiefer und sei aktueller.

Initiativen von SPÖ und FPÖ zum Schulstartgeld ohne Mehrheit

Keine Zustimmung gab es für Anträge der SPÖ und der FPÖ zur Ausweitung des Schulstartgeldes. Die SPÖ setzte sich für eine Verdopplung auf 200 € ein, die rückwirkend für das Schuljahr 2021/2022 ausbezahlt werden sollte. Die FPÖ plädierte dafür, die Auszahlung des Schulstartgelds, das derzeit nur Kinder im Alter von sechs bis 15 Jahren erhalten, auf alle SchülerInnen der Sekundarstufe auszudehnen. (Fortsetzung Nationalrat) kar

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