Parlamentskorrespondenz Nr. 1119 vom 14.10.2021

Nationalrat: Kontroverse Debatte über ökosoziale Steuerreform und Weichenstellungen durch das Budget 2022

Ex-Kanzler Kurz hält seine erste Rede als Abgeordneter im Plenum

Wien (PK) – Auch im weiteren Verlauf der Nationalratsdebatte über den Budgetentwurf für das Jahr 2022 fiel das Urteil der Fraktionen erwartungsgemäß sehr unterschiedlich aus. So waren die VertreterInnen der ÖVP davon überzeugt, dass mit dem Voranschlag die richtigen Weichen für die Zukunft gestellt werden. Insbesondere Ex-Kanzler Sebastian Kurz nutzte seine erste Rede im Plenum, um die wichtigsten Eckpunkte des Voranschlags von der Entlastung der kleinen und mittleren EinkommensbezieherInnen sowie der PensionstInnen bis hin zum schrittweisen Einstieg in die Ökologisierung des Steuersystems hervorzustreichen. Für die Grünen handle es sich um das größte Klimabudget aller Zeiten, durch das etwa in Form der CO2-Bepreisung ein grundlegender Systemwandel eingeleitet werde. Außerdem würden durch die Einführung des Klimabonus, die Senkung der Krankenversicherungsbeiträge und die Erhöhung des Kindermehrbetrags gerade all jene entlastet, die keine oder wenig Steuern zahlen.

Aus Sicht der SPÖ würden vor allem die Vermögenden und großen Konzerne profitieren, für arbeitende Menschen und PensionistInnen sei hingegen nur ein kleines Paket geschnürt worden. Von einer "öko-asozialen" Steuerreform sprachen die RednerInnen der Freiheitlichen, die auf die zahlreichen Belastungen von der NoVA-Erhöhung, der "CO2-Strafsteuer" bis hin zur geplanten Abschaffung der Pendlerpauschale sowie des Dienstwagen- und des Dieselprivilegs hinwiesen. Wenig Lob kam auch von Seiten der NEOS, die statt eines dringend notwendigen Neustarts ein "Comeback zu einer gewohnt uninspirierten Haushaltsplanung" sowie einen Reformstau orteten.

Nach Ende der sogenannten Ersten Lesung wurde die Regierungsvorlage zur weiteren Behandlung dem Budgetausschuss zugewiesen.

ÖVP: Zukunftsbudget im Sinne der Absicherung des Wirtschaftsstandorts und der Arbeitsplätze

Abgeordneter Gabriel Obernosterer war überzeugt davon, dass mit dem vorliegenden Budget die Zukunft gestaltet und nicht nur verwaltet werde. Es sei nicht richtig, dass – wie von der Opposition behauptet – den Millionären das Geld geschenkt werde. Die Senkung der Körperschaftssteuer, die in Summe 700 Mio. € ausmache, komme nämlich auch den vielen kleinen Gesellschaften zugute, die weniger als 100.000 € Gewinn im Jahr machen. Statt die kalte Progression abzuschaffen, was nur rund 500 Mio. € gebracht hätte, habe man sich für eine rasche Entlastung der SteuerzahlerInnen entschieden, damit wirklich "jedem mehr Geld im Sack bleibt". Am Ende der Periode im Jahr 2025 werde ein Volumen von 7,8 Mrd. € erreicht, das könne sich wohl sehen lassen. Dieser Einschätzung schloss sich auch sein Fraktionskollege Peter Haubner an, der vor allem die Bedeutung der vielfältigen Maßnahmen im Budget für die Absicherung des Wirtschaftsstandorts Österreich sowie der heimischen Arbeitsplätze hervorhob. Das Budget diene auch der weiteren Digitalisierung und damit der Investition in die Zukunft, sagte etwa Michael Hammer (ÖVP).

Die Vorwürfe, die Steuerreform bringe keine Lenkungseffekte, wiesen die beiden ÖVP-Mandatare Georg Strasser und Peter Weidinger zurück. Die CO2-Vergütung für die Landwirtschaft sei wesentlich für die Aufrechterhaltung der Wettbewerbsfähigkeit, argumentierte Strasser. Wie Kurt Egger wandten sie sich auch gegen "Klassenkampfrhetorik" und verteidigten die Senkung der Körperschaftssteuer als einen Beitrag dazu, Innovation zu fördern und mehr Betriebe nach Österreich zu holen und damit auch Arbeitsplätze zu sichern.

Die ÖVP-RednerInnen verteidigten Ex-Bundeskanzler Kurz auch gegen den Vorwurf, er habe den Rechtsanspruch auf Nachmittagsbetreuung im Interesse seines eigenen parteiinternen Fortkommens verhindert. Diese Frage liege im Vollzug der Bundesländer, weshalb man dafür die Bundesländer brauche. Unter Kurz seien 1,6 Mrd. € in die Kinderbetreuung geflossen, unterstrichen sie, außerdem sei unter Kurz viel für die Familien – siehe Familienbonus – getan worden. Eine verpflichtende Ganztagsschule sei für die ÖVP keine Option, man trete für Wahlfreiheit ein. Im Hinblick auf die Vorwürfe der Medienkooperation mit der Zeitung "Österreich" führte man seitens der ÖVP immer wieder ins Treffen, dass die Stadt Wien mehr Geld für Inserate ausgebe als alle anderen Bundesländer zusammen.

Grüne: "Größtes Klimabudget aller Zeiten" und Entlastung für ArbeitnehmerInnen in der Höhe von 20 Mrd. €

Auch Abgeordneter Jakob Schwarz von den Grünen bezeichnete den Voranschlag 2022 als Zukunftsbudget, das durch einen großen Umwelt- und Klimafokus geprägt sei. Zu der jährlichen Klimamilliarde würden jetzt noch 700 Mio. € hinzukommen. Zentraler Inhalt des Budgets sei die ökosoziale Steuerreform mit einer Gesamtsumme von 18,6 Mrd. €, wobei die CO2-Bepreisung schon abgezogen wurde. Das Entlastungsvolumen sei somit noch um einiges höher, hob Schwarz hervor, wobei 3 Mrd. € den UnternehmerInnen und 20 Mrd. € für ArbeitnehmerInnen zugutekommen werden. Dies sei somit um ein Vielfaches höher als man durch die Abschaffung der kalten Progression erreichen hätte können. Wichtig war den Grünen auch, dass all jenen mehr in der Geldbörse bleibt, die keine oder wenig Steuern zahlen, unterstrich Schwarz. Aus diesem Grund werde der Klimabonus eingeführt, Krankenversicherungsbeiträge gesenkt und der Kindermehrbetrag erhöht. In eine ähnliche Richtung ging auch die Wortmeldung seines Fraktionskollegen Lukas Hammer, der auf viele Einzelmaßnahmen im Umweltsektor detailliert einging. Generell gehe es darum, alle Systeme in Richtung CO2-Neutralität und erneuerbare Energie zu transformieren. Dafür stehe auch das "historisch höchste" Budget für die Bereiche Umwelt, Klima und Energie zur Verfügung, nämlich 1,2 Mrd. €. Dies sei mehr als das Vierfache jenes Betrags, das in der letzten Regierung unter Beteiligung der SPÖ dafür vorgesehen war, gab er in Richtung der SozialdemokratInnen zu bedenken.

Mit dem Budget versuche man, die Herausforderungen für die Zukunft und die Probleme nach der Pandemie zu bewältigen, hielt Abgeordneter Markus Koza fest. Zentrale Themen dabei seien unter anderem Soziales, Bildung und Arbeitsmarktpolitik. Agnes Sirkka Prammer (Grüne) führte die Erhöhung des Justizbudgets und insbesondere die Personaloffensive in diesem Bereich ins Treffen, während ihre Fraktionskollegin Meri Disoski die Aufstockung des Frauenbudgets, vor allem auch im Bereich Gewaltschutz, hervorhob. Von Sibylle Hamann kam großes Lob für die Digitalisierungsoffensive im Bildungsbereich. Als positiv merkte sie zudem an, dass Förderstunden ausgebaut und ein zusätzlicher Stundentopf für die Deutschförderung eingerichtet werde. Auch was die Pflegereform betrifft, sei der Sozialminister in intensiven Gesprächen mit den Ländern, merkte Bedrana Ribo an. Über das Budget für Kunst und Kultur freute sich vor allem die Kultursprecherin der Grünen, Eva Blimlinger. Es gebe eine Steigerung von 12%. Für die Grünen sei insbesondere das Fair-Pay wichtig, sagte sie. Auch für Wissenschaft und Forschung bringe der neue Haushalt viel, meinte Blimlinger und führte die 140 Mio. € für die Nationalstiftung und die 400 Mio. € für die Klimaforschung an.

SPÖ übt Kritik an "Millionengeschenken für Konzerne" und am "unsozialen Klimabonus"

SPÖ-Finanzsprecher Kai Jan Krainer hinterfragte die von der Regierung gewählten Bezeichnungen für das Budget 2022, das als große Entlastung und als ökosozial verkauft werde. Groß sei das Paket nämlich nur für ein paar hundert Gesellschaften, die massiv von der Senkung der Körperschaftssteuer profitieren und 80% der Millionenbeträge lukrieren würden. Für alle jene Personen, die von Arbeit leben müssen, sei das Paket jedoch klein und nur halb so groß wie die Steuerreform, die 2015 von SPÖ und ÖVP beschlossen wurde. Auch beim Klimabonus könne von ökosozial keine Rede sein, da es nicht darauf ankomme, wieviel jemand verdiene oder wie umweltfreundlich man sich verhalte. In der Praxis bedeute dies, dass eine "Mindestrentnerin in Wien" nur 100 € bekommt, während ein "Superverdiener am Land" den doppelten Betrag erhält. Auch die Wirkung auf den CO2-Ausstoß sei kaum messbar, beklagte Krainer. Abgeordnete Eva-Maria Holzleitner (SPÖ) hielt es für besonders bedauerlich, dass die Anliegen von Frauen, Kindern und Jugendlichen im Budget de facto nicht berücksichtigt werden. Es fehle abermals der Rechtsanspruch auf Kinderbetreuung, der schon im Jahr 2017 auf Betreiben des Ex-Kanzlers Kurz "den Kindern gestohlen worden ist". Wenig Fortschritte seien auch in den Bereichen Gewaltschutz und bei den Frauenberatungsstellen, die noch immer über keine Basisfinanzierung verfügen, erkennbar.

Ein weiterer Kritikpunkt der SPÖ betraf die kalte Progression, die auch mit diesem Budget nicht abgeschafft wird. Damit bezahlen die ArbeitnehmerInnen, die zu 85% die Steuerlast tragen, die Steuerreform selbst, meinten Josef Muchitsch, Rainer Wimmer und Karin Greiner unisono. Maximilian Lercher rief dazu auf, die kalte Progression sofort abzuschaffen. Petra Wimmer bezeichnete es als beschämend, dass es nicht geplant sei, die Armutsgefährdungsquote zu verringern und vertrat die Auffassung, dass der Familienbonus nur gut verdienenden Vätern zugutekomme. Sie sprach sich demgegenüber für eine Erhöhung der Familienbeihilfe oder eine Ausweitung von Sachleistungen aus. Kein Lob gab es zudem seitens der SPÖ für die Arbeitsmarktpolitik. Die angekündigte Arbeitsmarktoffensive spiegle sich im Budget nicht, meinte etwa Wimmer. Ebenso vermissten Muchitsch und Greiner die Pflegereform. Greiner forderte ferner eine Kindergartenmilliarde und mehr Transparenz bei der Verwendung von Steuergeld.

Negativ beurteilte die SPÖ auch die geplante CO2-Bepreisung als eine "Massensteuer ohne Lenkungseffekt". Christopf Matznetter sprach von einem "Reförmchen" und beanstandete die unterschiedliche Höhe des Ökobonus je nach Region. Julia Herr und Maximilian Lercher argumentierten, dass bei der CO2-Bepreisung Großbetriebe und der Agrarsektor verschont blieben, es werde zu einer Emissionsreduktion von nur 1% kommen, befürchten sie. Was die Umstellung der Heizungen betrifft, will Herr die ImmobilienbesitzerInnen in die Pflicht nehmen und nicht die MieterInnen. Sie forderte ein Klimaschutzgesetz.

FPÖ warnt vor massiven Belastungen der Bevölkerung und mahnt strukturelle Reformen ein

Es sei richtig, dass der Voranschlag viele Punkte enthalte, die schon unter der ÖVP-FPÖ-Regierung ausverhandelt wurden, stellte  Abgeordneter Hubert Fuchs (FPÖ) fest. Was jetzt hinzugekommen sei, sei jedoch der "ökö-asoziale" Aspekt, da das Paket viele Belastungen enthalte. Dies reiche von der NoVA-Erhöhung, der "CO2-Strafsteuer" bis hin zur geplanten Abschaffung der Pendlerpauschale sowie des Dienstwagen- und des Dieselprivilegs. Als großen Kritikpunkt führte Fuchs zudem an, dass keine strukturellen Reformen eingeleitet werden. Beim viel beschworenen Bürokratieabbau und dem Digitalisierungsschub würde es sich daher nur um Lippenbekenntnisse handeln. Gerald Hauser (FPÖ) zog als Tourismussprecher seiner Partei vor allem einen Vergleich mit der Schweiz, die, wie er sagte, nach dem ersten Lockdown gelernt habe und im zweiten Lockdown unter Einhaltung von Sicherheitsvorschriften die Hotels offengelassen habe. Der Wertschöpfungsverlust sei daher nur bei 30% gelegen. Auch hätten durch die heimische Politik viele MitarbeiterInnen die Betriebe verlassen und würden nun fehlen. Wolfgang Zanger (FPÖ) kritisierte allgemein die Impfpolitik und im Besonderen den Impfaufruf von Finanzminister Blümel in seiner Budgetrede.

NEOS: Chance für Neustart wurde vertan und Strukturreformen weiter aufgeschoben

Im Budget sei nicht das drinnen, was draufsteht, urteilte NEOS-Vertreterin Karin Doppelbauer, denn es würden die Zukunftsideen fehlen. Es handle sich abermals um einen Schuldenrucksack, der auf Kosten der jungen Menschen gehe und der noch dazu in den nächsten Jahren ständig wachsen werde. Während etwa die Schweiz bereits einen Haushaltsüberschuss aufweise, plane Finanzminister Blümel noch Budgetdefizite bis 2025. Vor dem Hintergrund eines guten Wirtschaftswachstums und einem niedrigen Zinsumfeld sei dies besonders bedauernswert, da eine große Chance für einen Neustart und für einen Reformturbo vertan worden seien. Dringend ansetzen hätte man laut Doppelbauer etwa beim Föderalismus müssen, wo es im Sinne einer Einnahmen- und Ausgabenverantwortung eine Entflechtung des Finanzausgleichs gebraucht hätte. Aus Sicht der UnternehmerInnen sei es zudem besonders schmerzhaft, dass die Lohnnebenkosten wieder nicht abgesenkt wurden. Im EU-Vergleich bleibe den arbeitenden Menschen auch nach der Reform am drittwenigsten von ihrem hart verdienten Geld. Massiven Handlungsbedarf ortete sie ebenso wie ihr Fraktionskollege Gerald Loacker zudem beim Thema Pensionen, eine Anpassung des faktischen an das gesetzliche Pensionsalter sei unbedingt notwendig. Wenn man diesen großen Brocken, der ein Viertel des Budgets verschlinge, endlich einmal anfassen würde, hätte man genug Geld etwa für Bildung oder Gratis-Kinderbetreuung, zeigte Loacker auf.

Für Michael Bernhard hat sich die ÖVP insbesondere beim ökologischen Ansatz durchgesetzt. Die CO2-Bepreisung werde lediglich zu einer Emissionssenkung von 1% führen, rechnete er vor. Bernhard warnte in diesem Zusammenhang auch davor, dass man zusätzliche Zertifikate werde kaufen müssen und das belaste den Staatshaushalt zwischen 5 und 9 Milliarden Euro. Des Weiteren vermisste er die Abschaffung klimaschädlicher Subventionen. Generell sprachen sich die NEOS dafür aus, das gesamte Steuersystem zu revolutionieren. Man müsse die Steuern zuerst massiv senken und dann die Preise für CO2-Emissionen mit sozialer Absicherung erhöhen, mit dem Ziel einer echten Entlastung der Mitte der Gesellschaft und einer Emissionsvermeidung, erklärte Bernhard.

Ex-Bundeskanzler Kurz: Budget für 2022 ist guter Mix aus Entlastung und verantwortungsvollem Agieren

In der insgesamt 45 RednerInnen umfassenden Debatte über die Erstbeurteilung des Budgetentwurfs für das Jahr 2022 meldete sich auch Ex-Bundeskanzler und nunmehriger ÖVP-Klubobmann Sebastian Kurz zu Wort. Unter seiner Kanzlerschaft wurde in der Koalitionsregierung das gegenständliche Bundesfinanzgesetz ausverhandelt.

Kurz ging nochmals auf die Pandemie ein, die allen, wie er sagte, vieles abverlangt habe. Auch wenn die Impfung die Möglichkeit geschaffen habe, zur Normalität zurückzukehren, wieder ein Wirtschaftswachstum von 4% bis 5% zu erzielen und die Arbeitslosigkeit so zu senken, dass sie niedriger ist als in Vorkrisenzeiten, sei die Situation noch immer volatil. Mit dem Budgetentwurf habe man einen guten Mix aus Entlastung und verantwortungsvollem Agieren geschafft, betonte er, alle sollten von dem Wirtschaftsaufschwung profitieren. Die Schuldenquote werde wieder gesenkt, damit man bei einer etwaigen neuen Krise weiterhin handlungsfähig bleibe.

Der ÖVP-Klubobmann streifte die geplante Steuerreform und hob mit Hilfe einiger Beispiele hervor, dass kleinere und mittlere Einkommen sowie die Familien entlastet würden, aber auch die PensionistInnen, die das Land groß gemacht hätten, mehr bekommen. Gegenüber SPÖ verteidigte er die Senkung der Körperschaftssteuer als eine Maßnahme zur Stärkung und Attraktivierung des Wirtschaftsstandorts, was Arbeitsplätze im Land sichere und schaffe. Die Ökologisierung gehe man nicht mit dem Holzhammer an, sagte Kurz, es gehe darum, mittelfristig Lenkungseffekte zu erzielen. (Fortsetzung Nationalrat) sue/jan

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