Parlamentskorrespondenz Nr. 1311 vom 21.11.2021

Hauptausschuss genehmigt bundesweiten Lockdown für alle

Gesundheitsminister Mückstein: Es geht darum, den Kollaps des Gesundheitssystems zu verhindern

Wien (PK) – Von Montag, 22. November 2021, 00:00 Uhr, bis zum Ablauf des 1. Dezember 2021 gilt der nunmehr vierte österreichweite Lockdown – für Geimpfte wie Ungeimpfte gleichermaßen. Dafür wurde am Sonntagabend im Hauptausschuss mit den Stimmen der Regierungsfraktionen ÖVP und Grünen sowie jenen der SPÖ das Einvernehmen hergestellt. "Zur Verhinderung eines Zusammenbruchs der medizinischen Versorgung", wie es in der 5. COVID-19-Notmaßnahmenverordnung heißt, gelten wieder die aus früheren Lockdown-Verordnungen bekannten Ausgangs- und Betretungsregelungen. Mit Inkrafttreten dieser Verordnung wird die 5. COVID-19-Schutzmaßnahmenverordnung (Lockdown nur für Ungeimpfte) obsolet.

Mückstein: Intensivstationen am Anschlag - es geht um Menschenleben

Gesundheitsminister Mückstein betonte im Hauptausschuss nachdrücklich die Notwendigkeit der Verordnung. Er habe in den vergangenen Tagen zahlreiche Gespräche mit ExpertInnen, VertreterInnen der Parteien und der Bundesländer geführt, und sei gemeinsam mit ihnen zu dem Schluss gekommen, dass ein dreiwöchiger, bundesweiter "Wellenbrecherlockdown" für alle alternativlos sei. Eine Entscheidung, die ihm sehr schwer gefallen sei und die er nicht leichtfertig getroffen habe, da sie massive Freiheitseinschränkungen für die BürgerInnen mit sich bringe. Die Verordnung sei jedoch kein Selbstzweck, sondern diene dem Schutz der Menschen, der Entlastung der Intensivstationen und des Gesundheitspersonals. Als Gesundheitsminister sei er für die Stabilität des Gesundheitssystems verantwortlich und dieses operiere bereits jetzt "am Anschlag", speziell auf den Intensivstationen, wo hauptsächlich Ungeimpfte liegen würden. Es gehe darum, einen Kollaps zu verhindern und Menschenleben zu retten. Er ersuchte alle Parteien, dafür an einem Strang zu ziehen. Der Lockdown habe für die geimpfte Bevölkerung ein Ablaufdatum, würde jedoch für die Ungeimpften weiter fortgesetzt.

Mückstein ging auch auf die Demonstrationen von Corona-MaßnahmenkritikerInnen am Vortag ein und drückte sein Verständnis für die Verunsicherung und Frustration der Menschen aus. Er verurteilte jedoch die teilweise aggressiven Handlungen und die Verstöße gegen das Verbotsgesetz durch einige TeilnehmerInnen. Er kritisierte auch die FPÖ, die durch das Verbreiten von Falschinformationen diese Verunsicherung schüren würde. Aufgrund der Fake News würden Corona-PatientInnen oft bis zum starken Ausbrechen der Krankheit zu Hause bleiben und erst im letzten Moment die Rettung rufen. Auch die bereits erfolgten Vergiftungen durch eine hohe Dosis von "Ivermectin" würden auf das Konto der Freiheitlichen gehen, so Mückstein. Die angeblich "massiven Nebenwirkungen" der COVID-19-Impfungen, von denen FPÖ-VertreterInnen oftmals sprechen würden, seien nicht existent und mit Nebenwirkungen anderer, bekannter Impfstoffe vergleichbar. Der Gesundheitsminister bedankte sich bei der SPÖ für die Zustimmung und plädierte auch an die anderen Fraktion, jetzt "einen Strich darunter" zu machen und gemeinsam an einem Strang zu ziehen.

Freiheitliche gegen "unverhältnismäßige und autoritäre" Maßnahmen

Der Dritte Nationalratspräsident Norbert Hofer (FPÖ) warf ein, dass man vorsichtig sein sollte mit dem Vorwurf von Falschinformationen und er erinnerte an frühere Aussagen von Regierungsmitgliedern, dass die Pandemie bereits überstanden sei oder dass man auf einen "Sommer wie damals" hoffen könne. Falsche Ankündigungen wie diese würden zum Vertrauensverlust der BürgerInnen in die Politik und zu verständlicher Verunsicherung führen. KritikerInnen der Maßnahmen seien nicht grundsätzliche Rechtsextreme oder "Schwurbler", sondern "ganz normale Menschen", die sich um künftige Entwicklungen sorgen, da sie den Eindruck hätten, sich auf nichts verlassen zu können. Bei den von Gesundheitsminister Mückstein angesprochenen Demonstrationen sei es zwar zu abzulehnenden Handlungen gekommen, wie Gewalttätigkeiten und Holocaust-Verharmlosungen, der Großteil der DemonstrantInnen habe jedoch aus besorgten BürgerInnen bestanden. Diese seien es gewohnt gewesen, in einem Land zu leben, in dem man sich nicht vor staatlichen Zwangsmaßnahmen fürchten müsse, aber dies habe sich nun geändert.  Hofer wies hin auf die seiner Ansicht nach schwerwiegenden Folgen des Lockdowns für die Wirtschaft und für den Bildungsbereich. Auch den Sorgen vieler BürgerInnen aufgrund der angekündigten Impfpflicht solle man mit Verständnis entgegentreten und nicht "mit dem Finger auf sie zeigen". Hofer drückte seine Zweifel aus, ob eine Impfpflicht europarechtskonform sei und sprach ihr jedenfalls ihre Verhältnismäßigkeit ab. Es gehe darum, das Vertrauen in der Bevölkerung wiederherzustellen, wobei "autoritäre Maßnahmen" dafür ungeeignet seien.

Hofers Fraktionskolleginnen Dagmar Belakowitsch (FPÖ) und Petra Steger (FPÖ) widersprachen Mückstein vehement, was seine Charakterisierung der Demonstrationen des Vortags betraf. Medien und Regierungsparteien würden sich Einzelfälle heraussuchen, um Schlagzeilen zu produzieren und die gesamte Demonstration zu verunglimpfen. Steger verwies als Sportsprecherin ihrer Partei auf die Folgen der Einschränkungen bei den Möglichkeiten zur sportlichen Betätigung auf die physische und psychische Gesundheit vor allem junger Menschen. Gerade bei Kindern würde es zu "massiven Kollateralschäden" kommen, die sich auch später auswirken würden.

Belakowitsch stieß sich speziell an dem aus ihrer Sicht massiv eingeschränkten Besuchsrecht für Angehörige von PatientInnen in Krankenhäusern. Sie bezeichnete dies als "zynisch und menschenverachtend", was zu einer hitzigen Debatte über die Details der Verordnung führte. Ralph Schallmeiner von den Grünen führte entsprechende Ausnahmeregelungen in der Verordnung ins Treffen. Belakowitsch stellte diese jedoch in Abrede.

Belakowitsch bezweifelte auch die Wirkung und damit den Mehrwert der Corona-Impfung. Diese biete keinen ausreichenden Schutz gegen die Delta-Variante des Virus.  Viele ÄrztInnen, mit denen sie gestern bei den Demonstrationen in Wien gesprochen habe, wüssten das, würden jedoch einen "Maulkorb" verpasst bekommen. Mittlerweile sei evident, dass viele PatientInnen in den Intensivstationen doppelt geimpft seien. Gesundheitsminister Mückstein stellte in Abrede, dass ÄrztInnen einen "Maulkorb" verpasst bekommen hätten. Er relativierte auch die Erläuterung Belakowitsch' in Bezug auf Geimpfte auf den Intensivstationen. Bei diesen Menschen handle es sich um solche mit Risikofaktoren wie etwa Fettleibigkeit.

NEOS: Lockdown zeigt Totalversagen der Bundesregierung bei der Pandemiebekämpfung

NEOS-Mandatar Nikolaus Scherak stimmte Gesundheitsminister Mückstein zu, dass es angesichts der zugespitzten Pandemielage Maßnahmen brauche. Die in der Verordnung festgehaltenen halte er jedoch nicht für sinnvoll. Geimpfte würden dadurch als "die Dummen" dastehen und Menschen, die sich an sämtliche Vorgaben im Rahmen der Pandemiebekämpfung gehalten haben, müssten nun wieder um ihre Existenz bangen. Der Handel beispielsweise müsse nun auf wesentliche Wochen für seinen Umsatz verzichten, obwohl nichts dagegen spreche, diesen mit einer 2G+-Regelung und FFP2-Maskenpflicht weiter offen zu halten. Auch die Gastronomie könnte so weiter den Betrieb aufrecht erhalten, doch man habe die Vorschläge der NEOS nicht ernst genommen, so Scherak. Er lobte die Landesregierungen von Wien und des Burgenlands,  die mit restriktiven Maßnahmen entschlossen gehandelt hätte, und nun äußerst vorteilhaft dastünden. Auch Spanien und Portugal hätten gezeigt, dass es eine Chance gegeben hätte, die vierte Welle zu verhindern. Die Bundesregierung hätte jedoch nichts dergleichen unternommen, meinte Scherak und sprach von einem "Totalversagen".

Scherak bezweifelte auch, dass die Verordnung auf einer stabilen Rechtsgrundlage stehe und stellte in den Raum, dass diese bald wieder vom Verfassungsgerichtshof aufgehoben werden könnte. Im Bildungsbereich würden unklare Bestimmungen im Schulbetrieb Verwirrung stiften. Die Pandemie werde "auf dem Rücken der Kinder" bekämpft.

ÖVP, SPÖ, Grüne: Maßnahmen alternativlos

Der Sozialdemokrat Kai-Jan Krainer widersprach Scherak dahingehend, dass die Geimpften nun nicht "die Dummen" seien, sondern diejenigen, die einen Beitrag zu Pandemiebekämpfung geleistet haben.  Er drückte die Unterstützung seiner Fraktion für die Lockdown-Verordnung aus, wünsche sich jedoch klare Kennzahlen und Zielsetzungen.

Mückstein benannte diese damit, dass er das Ziel erreicht sehe, wenn die Auslastung der Intensivstationen wieder auf ein normales Maß gesenkt sei. In Oberösterreich beispielsweise sei die Auslastung mit einem Anteil von 33% COVID-19-PatientInnen "katastrophal". Das gebe keinen Spielraum mehr für Akutfälle etwa nach schweren Verkehrsunfällen. Zudem müsste die Zahl der Neuinfektionen in Richtung 2.000 pro Tag gedrückt werden. Als drittes Ziel nannte Mückstein die mittelfristige Hebung der Impfrate auf 80 Prozent. Er betonte, es gebe keine Alternative zur Impfung. Auch die zugelassenen neuen und in großen Mengen bestellten Mittel zur Bekämpfung einer SARS-Cov-2-Erkrankung seien keine Alternative. Sie seien für jene PatientInnen gedacht, für die eine Impfung aufgrund von Vorerkrankungen bzw. eines geschwächten Immunsystems nicht möglich sei. Zu behaupten, ein Pferdeentwurmungsmittel wie Ivermectin stelle eine Alternative zur Impfung dar, bezeichnete der Gesundheitsminister in Richtung FPÖ als verantwortungslos.

Ralph Schallmeiner von den Grünen betonte ebenfalls die Notwendigkeit der Maßnahmen und verwies auf die "erschreckende Lage" auf den oberösterreichischen Intensivstationen, wo sich "unvorstellbare Dramen" abspielten und die mit über 33% ausgelastet seien. Dieses Problem würde immer mehr auf ganz Österreich übergreifen. Deshalb sehe er wie Gesundheitsminister Mückstein keine Alternative zum Lockdown für alle.

Werner Saxinger (ÖVP) merkte an, niemand habe einschneidende Maßnahmen wie diese gewollt, es habe aber keine andere Wahl gegeben. Auch er verwies auf die dramatische Situation des Gesundheitssystems, das wieder "auf der Kippe" stehe. Saxinger drückte seine Hoffnung aus, dass in Zukunft kein weiterer Lockdown notwendig sein werde und plädierte an alle Fraktionen, die Maßnahmen nun zu unterstützen, damit "wir den Alltag wieder in den Griff bekommen".

Die 5. Covid-19-Notmaßnahmenverordnung

Als Ausnahmegründe von den generellen ganztägigen Ausgangsbeschränkungen sieht die 5. COVID-19-Notmaßnahmenverordnung die Abwendung einer unmittelbaren Gefahr für Leib, Leben und Eigentum vor, die Betreuung von unterstützungsbedürftigen Personen, die Ausübung familiärer Rechte und Pflichten, die Deckung der notwendigen Grundbedürfnisse des täglichen Lebens sowie religiöser Grundbedürfnisse, die Versorgung von Tieren, berufliche- und Ausbildungszwecke, den Aufenthalt im Freien zur körperlichen und psychischen Erholung, die Wahrnehmung unaufschiebbarer behördlicher und gerichtlicher Wege, die Teilnahme an gesetzlich vorgesehenen Wahlen, das Betreten von bestimmten Kundenbereichen und die Teilnahme an bestimmten Zusammenkünften, wie Begräbnissen und Demonstrationen. Erlaubt ist weiterhin der Kontakt mit engsten Angehörigen, wichtigen Bezugspersonen, mit denen in der Regel mehrmals wöchentlich Kontakt gepflegt wird oder dem bzw. der nicht im gemeinsamen Haushalt lebenden LebenspartnerIn.

In geschlossenen Räumen, auch am Arbeitsplatz, ist eine FFP2-Maske zu tragen, sofern keine anderen geeigneten Schutzvorrichtungen vorhanden sind. Ebenso verhält es sich in Fahrgemeinschaften mit haushaltsfremden Personen, sowie in Massenbeförderungsmitteln und den dazugehörigen U-Bahn-Stationen, Bahnsteigen, Haltestellen, Bahnhöfen und Flughäfen. Für den Arbeitsplatz und generell für "Orte der beruflichen Tätigkeit" gilt eine generelle Homeoffice-Empfehlung. Wo dieser nicht nachgekommen werden kann, ist ein 3G-Nachweis zu erbringen.

Betriebsstätten des Handels sowie körpernaher Dienstleistungen, Freizeit- und Kultureinrichtungen dürfen nicht betreten werden. Kundenbereiche für nicht körpernahe Dienstleistungen (z. B.: Tierarztbesuch) dürfen nur mit FFP2-Maske und nach Vorlage eines 2-G-Nachweises betreten werden. Ausnahmen bilden Betriebsstätten der Grundversorgung, wo nur Waren angeboten werden dürfen, die dem typischen Warensortiment der Betriebsstätte entsprechen. Geöffnet bleiben zudem Apotheken, Drogerien, Banken, Trafiken, Postdiensteanbieter und Tankstellen, wo ebenfalls die FFP2-Maksenpflicht gilt. Gastro-Betriebe dürfen nur für die Abholung von Speisen und Getränken betreten werden. Der Konsum von Speisen und Getränken ist jedoch in einem Umkreis von 50 Metern nicht gestattet. Advent- und Weihnachtsmärkte dürfen derzeit nicht geöffnet haben. Auch das Betreten von Hotels und Pensionen (Beherbergungsbetrieben) sowie Sportstätten (ausgenommen Spitzensportler) ist untersagt.

BewohnerInnen von Alten- und Pflegeheimen sowie von stationären Wohneinrichtungen der Behindertenhilfe dürfen von höchstens zwei Personen pro BewohnerIn pro Tag besucht werden. Diese müssen über einen 2-G-Nachweis  verfügen und über einen negativen PCR-Test, dessen Ergebnis nicht älter als 72 Stunden ist. (Schluss Hauptausschuss) wit