Parlamentskorrespondenz Nr. 1408 vom 03.12.2021

Corona, Klima, Konflikte: Österreichs Außenpolitik vor zahlreichen globalen Herausforderungen

Linhart legt Außen- und Europapolitischen Bericht 2020 vor

Wien (PK) - 2020 sei in jeder Hinsicht ein außergewöhnliches Jahr gewesen. Die sogenannte westliche Welt sei in Zusammenhang mit COVID-19 diesmal nicht Zuschauer oder außenstehender Beobachter einer Krise, sondern von ihrer vollen Wucht getroffen worden. Während Europa mit den gesundheitlichen, gesellschaftlichen und wirtschaftlichen Folgen des Virus gekämpft habe, sei das außenpolitische Rad aber nicht stehen geblieben. Im Gegenteil stünden Österreich und die Welt vor einer Vielzahl an Herausforderungen, die weit über COVID-19 hinausreichen, so der Befund von Außenminister Linhart im Außen- und Europapolitischen Bericht 2020 (III-482 d.B.), der dem Nationalrat vorliegt.

Linhart nennt dabei etwa den islamistischen Terror oder die aufflammende Rechtsstaatlichkeitsdebatte in der EU. Darüber hinaus zeige sich, dass eine Pandemie nicht nur keine Krisen und Konflikte scheut, sondern vielfach sogar als Brandbeschleuniger wirke. "Europa ist von einem Ring aus Feuer umgeben, es brennt an allen Ecken und Enden um unseren Kontinent herum", konstatiert der Außenminister angesichts von Konflikten und Krisenherden wie in Belarus, in Berg-Karabach, in Syrien, im Libanon, im Iran, im östlichen Mittelmeer, in Libyen und im Horn von Afrika. Hinzu komme, dass die globalen Herausforderungen wie der Klimawandel, der Umgang mit neuen Technologien, die Abrüstung, die Migration, der Kampf gegen den Terrorismus und Extremismus bis hin zu den geopolitischen Spannungen zwischen den USA und China nicht nachgelassen hätten. Geopolitische Spannungen würden zudem stärker als zuvor auch im Cyberraum ihren Niederschlag finden.

Für den Außenminister hat die Pandemie dabei mehr als deutlich gemacht, dass ein Land wie Österreich auf ein starkes, eigenes, internationales Interessens-Netzwerk nicht verzichten kann. Ziel der österreichischen Diplomatie bleibe, "für unsere Werte, die Wahrung der Grundrechte und des Völkerrechtes in der Welt einzutreten". In Zeiten, in denen nur noch 25% der UN-Mitgliedsstaaten dieselben Grundwerte teilen, müsse Österreich mehr denn je Engagement dafür zeigen, erklärt der Minister im Bericht. Es gelte, eine Allianz mit jenen Staaten zu schaffen, die dieses Wertemodell teilen. Im Zentrum stehen laut Bericht dabei die Partnerschaft im Rahmen der Europäischen Union und die transatlantischen Beziehungen. Es brauche einen gemeinsamen Einsatz für eine regelbasierte Weltordnung mit den Vereinten Nationen im Zentrum und eine gemeinsame Stimme für den Erhalt des Multilateralismus und die Stärkung des Völkerrechts.

Österreich als Sitz internationaler Organisationen

Als Priorität seiner Außenpolitik führt das Außenressort eine dynamische und zukunftsorientierte Amtssitzpolitik an, was sich auch im Budget für 2022 widerspiegelt. Als Standort für internationale Organisationen wirke Österreich als Drehscheibe für zwei große Themenbereiche, nämlich die Förderung von Frieden und Sicherheit sowie die nachhaltige Entwicklung im Spannungsfeld mit Energie- und Umweltfragen. Dabei zählt Wien laut Angaben des Ressorts mit 40 internationalen Organisationen und einer zunehmenden Anzahl von NGOs zur Spitzengruppe der internationalen Amtssitz-Städte neben New York, Brüssel, Genf und Den Haag. Die Ansiedelung internationaler Organisationen in Österreich ist allerdings nicht nur außenpolitisch bedeutsam. So würden laut einer Studie jährlich rund 19.000 Arbeitsplätze in Österreich gesichert und der jährliche Bruttowertschöpfungseffekt von WirtschaftsforscherInnen mit rund 1,35 Mrd. € beziffert. Die  Abrüstungsgespräche zwischen den USA und Russland im vergangenen Sommer seien ein aktueller Beleg dafür, dass die Rolle Österreichs als Gastgeber internationaler Konferenzen sowie als Ort des Dialogs und multilateraler Diplomatie weiterhin gefragt und geschätzt ist.

Herausforderung Terrorismus

Das Außenressort führt im Bericht mit Verweis auf den Terroranschlag in Wien des Weiteren aus, dass Österreich "keine Insel der Seligen" in Bezug auf Terrorismus und Extremismus sei. Der Anschlag habe einmal mehr deutlich gemacht, wie wichtig die Vernetzung und Zusammenarbeit mit europäischen und internationalen Partnern sei. Vor diesem Hintergrund sei die Zusammenarbeit mit dem Büro der Vereinten Nationen für Drogen- und Verbrechensbekämpfung (UNODC) sowie mit der Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa (OSZE) in Wien und dem Büro für Terrorismusbekämpfung (UNOCT) in New York vertieft worden.

Grundsätzlich sei mit der Zerstörung der territorialen Strukturen der Terrormiliz Islamischer Staat 2019 im Irak und in Syrien ein wichtiges Etappenziel erreicht worden. Nach dem Ende des Kalifats verfolge die Terrormiliz nun ihre Aktivitäten jedoch in neuen Regionen wie Afghanistan, der Sahelzone, Westafrika und Südostasien. Demnach besteht dem Außenministerium zufolge weiterhin eine Gefährdung durch RückkehrerInnen, NachahmerInnen  und EinzeltäterInnen. Auch die weniger auf dem Radar der Öffentlichkeit stehende Terrororganisation Al-Qaida sei im Nahen und Mittleren Osten, in Teilen Afrikas und Asiens bei lokalen Aufstandsbewegungen weiterhin aktiv.

EU-Beitrittsprozess des Westbalkans

Wichtig in der österreichischen Außenpolitik bleibt die EU-Beitrittsperspektive für den Westbalkan. Für eine friedliche und stabile Entwicklung Südosteuropas sei eine klare EU-Perspektive zentral und unverzichtbar. Aus diesem Grund setzt sich Österreich innerhalb der EU weiterhin intensiv für ein Vorantreiben des EU-Beitrittsprozesses der sechs südosteuropäischen Staaten ein, wie aus dem Bericht hervorgeht. Um die notwendige Glaubwürdigkeit des EU-Beitrittsprozesses zu gewährleisten, muss die EU aus Sicht Österreichs die Leistungen der Beitrittskandidaten mit der Anerkennung der Fortschritte im Beitrittsprozess würdigen. Wien bedaure, dass im Fall der "wohlverdienten und raschen Aufnahme" von Beitrittsverhandlungen mit Nordmazedonien und Albanien vom Rat der EU keine entsprechende Entscheidung getroffen worden sei. Diese "erneute Verzögerung" stelle ein Versäumnis dar, das das Vertrauen auf die Verlässlichkeit der EU in den Staaten Südosteuropas beschädige und zu erheblicher Verunsicherung in der Region geführt habe.

In Bezug auf die Türkei bleibt Österreich laut Bericht bei seiner Linie für einen Abbruch der EU-Beitrittsverhandlungen. Angesichts der zentralen Rolle des Landes etwa in den Bereichen Wirtschaft, Sicherheit und Migration tritt das Außenressort für die Ausarbeitung eines europäisch-türkischen Nachbarschaftskonzepts ein.

Österreichs Entwicklungszusammenarbeit und humanitäre Hilfe

Ein wesentlicher Pfeiler in Österreichs Interessens- und Außenpolitik stellen dem Bericht zufolge Entwicklungszusammenarbeit und humanitäre Hilfe dar, zumal diese Instrumente einen fundamentalen Beitrag zur Sicherheit, Prosperität und Stabilität in der näheren und weiteren Nachbarschaft leisten würden. Die öffentlichen Entwicklungshilfeleistungen (ODA) beliefen sich demnach 2020 laut ODA-Vorausmeldung auf 1,113 Mrd. € bzw. 0,29 % des Bruttonationaleinkommens (BNE). Im Fokus der österreichischen Entwicklungszusammenarbeit stehen unter anderem Geschlechtergleichstellung, Wasser und Siedlungshygiene, nachhaltige Energie, Ernährungssicherheit und nachhaltige ländliche Entwicklung sowie Friedensförderung und Konfliktprävention.

Im Bereich der bilateralen Entwicklungszusammenarbeit verweist der Bericht auf die schwerwiegenden Folgen für Entwicklungsländer durch die COVID-19-Pandemie. Es sei mit großen Rückschritten in der wirtschaftlichen Entwicklung und Armutsbekämpfung zu rechnen. Das gelte auch für die 11 EZA-Schwerpunktländer und –regionen der österreichischen Entwicklungszusammenarbeit (OEZA) wie Äthiopien, Burkina Faso, Uganda oder Mosambik, die seit Beginn der Krise etwa durch Projektfinanzierungen, Fonds oder im Rahmen von globalen Maßnahmen und jenen der EU unterstützt worden seien. Seit Ausbruch der COVID-19-Pandemie hat Österreich den Informationen des Außenressorts zufolge zum Berichtszeitpunkt über 200 Mio. € für den internationalen Kampf gegen COVID-19 zur Verfügung gestellt.

In Bezug auf UNO-Friedenmissionen stellte Österreich 2020 rund 200 SoldatInnen, darunter Missionen im Libanon, im Nahen Osten, in der Westsahara, in Zypern, in Mali sowie im Kosovo. (Schluss) keg