Parlamentskorrespondenz Nr. 1440 vom 09.12.2021

Bundeskanzler Nehammer setzt auf Dialog zur Pandemiebekämpfung

Sondersitzung des Nationalrats: Opposition spricht sich für Neuwahlen aus

Wien (PK) – Wichtig sei es, "nun rasch in die Arbeit einzusteigen und den Dialog zu führen". Er wolle "die Kultur des Miteinandersprechens" weiter fortsetzen, betonte Bundeskanzler Karl Nehammer im Rahmen seiner Amtsantrittserklärung in der heutigen Sondersitzung des Nationalrats zur Regierungsumbildung. Nehammer richtete sich auch direkt an ungeimpfte Menschen und bat diese, das Gespräch mit dem Arzt oder der Ärztin des Vertrauens zu suchen.

In Bezug auf die Regierungsumbildung betonte Vizekanzler Werner Kogler in seiner Wortmeldung, dass das "Staatsganze" trotz der turbulenten und überraschenden Ereignisse in keiner Minute gefährdet gewesen sei. Was die künftigen Schwerpunkte der Regierungsarbeit betrifft, ist für Kogler das Motto "Transformation statt Depression" zentral.

Während die VertreterInnen der Oppositionsparteien sich mit unterschiedlicher Vehemenz und Dringlichkeit für Neuwahlen aussprachen, betonten ÖVP und Grüne, gemeinsam gegen die Pandemie ankämpfen und das Gemeinsame vor das Trennende stellen zu wollen.

Aufgrund des Ausscheidens von Staatsekretärin Claudia Plakolm sowie von Sebastian Kurz wurden zu Sitzungsbeginn die ÖVP-PolitikerInnen Andrea Holzner und Irene Neumann-Hartberger als Abgeordnete im Nationalrat angelobt.

Nehammer: Rasch in die Arbeit einsteigen und Dialog weiterführen

"Es ist ein großes Privileg und eine Ehre heute vor Ihnen zu stehen", begann Bundeskanzler Karl Nehammer seine Erklärung im Nationalrat. Wichtig sei es, nun rasch in die Arbeit einzusteigen und den Dialog zu führen. Er wolle "die Kultur des Miteinandersprechens" weiter fortsetzen und bedankte sich bei den Oppositionsparteien, Landeshauptleuten, Sozialpartnern sowie bei den ExpertInnen für die "vertrauensvollen Gespräche". Was die aktuelle Pandemiesituation betrifft, hielt Nehammer fest, dass man das Versprechen vom Ende des Lockdowns mit 12.12.2021 einlösen wolle. Dies geschehe aber mit einem "Sicherheitsgurt", da man ein Mindestmaß an Schutzmaßnahmen von Seiten des Bundes definiert habe. Dies betreffe etwa die 2-G-Regelung bzw. 3-G-Regelung am Arbeitsplatz, die FFP2-Maskenpflicht, den Lockdown für Ungeipmfte sowie die Sperrstunde um 23.00 Uhr. "Das Virus ist nach wie vor da, gefährlich und unberechenbar, weshalb es flexibles Handeln brauche, so der Bundekanzler. Zudem kenne COVID-19 keine Landes- oder Parteigrenzen, einzig die Impfung sei "der Schlüssel für das Zurückerlangen unserer Freiheit". Nehammer wandte sich in diesem Zusammenhang direkt an bis dato ungeimpfte Personen: "Mir ist bewusst und es ist spürbar, dass Sie Angst haben, diese Entscheidung zu treffen. Suchen Sie das Gespräch mit den Ärztinnen und Ärzten Ihres Vertrauens", so die Bitte des Bundeskanzlers.

Trotz den Herausforderungen durch die Pandemie habe die Bundesregierung den Anspruch, wichtige Maßnahmen für Österreich voranzutreiben. Nehammer sprach von fünf zentralen Punkten. Das betreffe einerseits die weitere Förderung des Wirtschaftsstandorts sowie die steuerliche Entlastung der Bevölkerung. Dazu stehe aktuell die Umsetzung der ökosozialen Steuerreform im Vordergrund. Als weiteren Themenkomplex nannte der Bundeskanzler die Bereiche Bildung, Integration und Digitalisierung, die in den Mittelpunkt des politischen Handelns rücken müssten. Beim Bereich soziale Sicherheit und Pflege stünden die Finanzierung und die Möglichkeiten der häuslichen Pflege im Vordergrund. Als weitere wichtige Aspekte nannte der Kanzler die Herausforderungen am Arbeitsmarkt, die eng mit der Corona-Krise verbunden seien, sowie das Vorantreiben der Politik der Europäischen Union. "Die EU ist die strategische und zentrale Schlüsselfrage, wenn es darum geht, Österreichs Interessen in der Welt und in Europa weiterentwickeln und durchsetzen zu können", so Nehammer. Das gelte vor allem beim Bereich Asyl und Migration, wo es europäische Lösungen brauche.

Kogler: Transformation statt Depression

"Das Staatsganze war trotz der turbulenten und überraschenden Ereignisse in keiner Minute gefährdet und ungelenkt", hielt Vizekanzler Werner Kogler in seiner Wortmeldung im Nationalrat fest. Kogler zollte der ÖVP Anerkennung, dass man die parteiinterne Krise schnell bereinigt habe. Es gehe nun darum, das Gemeinsame vor das Trennende zu stellen und den Kompromiss zu suchen. Bei allem Verständnis für den Dialog gelte es jedoch festzuhalten, dass die "Spaltung als Prinzip der politischen Auseinandersetzung", teilweise absichtlich betrieben werde". Man müsse sich zur Wehr setzen, "wenn Staatsverweigerer, Neonazis und Demokratiefeinde in unseren Städten herumspazieren", so der Vizekanzler. Nicht alles, aber vieles sei in der Pandemiebekämpfung gelungen, darauf gelte es nun aufzubauen. Kogler richtete ebenfalls einen Impfapell an die Bevölkerung. "Die Impfung ist mit Abstand das Beste, was wir haben, auch wenn der Schutz schneller als erwartet zurückgeht. Genau deshalb ist die Vollimmunisierung mit dem dritten Stich so wichtig".

Was die künftigen Schwerpunkte der Regierungsarbeit betrifft, ist für Kogler das Motto "Transformation statt Depression" zentral. Neben der Bekämpfung der wirtschaftlichen Folgen der Pandemie gehe es um die Modernisierung der Wirtschaft, Digitalisierungsfortschritte sowie um eine Neuaufstellung des Steuern- und Abgabensystems, wobei man mit der ökosozialen Steuerreform schon wichtige Schritte gesetzt habe. Klimafreundliches Verhalten werde dadurch günstiger, umweltschädliches Verhalten teurer. Mit dem Ziel, bis 2040 klimaneutral zu sein, Reformen in Bildung und Pflege sowie Investitionen zur Stärkung der Justiz, sprach Vizekanzler Kogler weitere, für ihn zentrale Aspekte an.

Rendi-Wagner: Neuwahlen in der ersten Jahreshälfte 2022

Innerhalb von 59 Tagen gebe es bereits die zweite Regierungserklärung, dazwischen sei viel passiert, betonte SPÖ-Klubobfrau Pamela Rendi-Wagner. Die vierte Corona-Welle sei selbst verschuldet gewesen und habe viele Kranke und Tote sowie ein "mutloses Zaudern bei der Explosion der Infektionszahlen durch die Bundesregierung gebracht". Es habe der Mut zu unpopulären Maßnahmen gefehlt, kritisierte Rendi-Wagner. Mitten in dieser Krisensituation sei nicht nur der ÖVP-Chef, sondern auch der Bundeskanzler sowie der Finanz- und Bildungsminister zurückgetreten. Der nun angekündigte "Fleckerlteppich" der unterschiedlichen Öffnungsschritte der Bundesländer sei "der Beweis für die Selbstaufgabe der Bundesregierung".

Die SPÖ nehme jedoch ihre Verantwortung für Österreich wahr, egal ob Opposition oder Regierungsverantwortung. Deshalb werde man alle sinnvollen Maßnahmen zur Entlastung des Gesundheitssystems unterstützen. Dazu zähle auch die Unterstützung der Impfpflicht, die aufgrund der niedrigen Impfquote "unausweichlich" sei. Weitere dringliche Maßnahmen sind laut der SPÖ-Klubobfrau die Bekämpfung der Teuerung und des Pflegenotstandes. Grundsätzlich brauche es eine stabile und handlungsfähige Regierung, "türkis-grün" fehle jedoch die Kraft, "die wichtigen Weichen für die Zukunft zu stellen". Rendi-Wagner plädiert deshalb für Neuwahlen in der ersten Jahreshälfte 2022, "damit die ÖsterreicherInnen über die Zukunft des Landes entscheiden können".

Wöginger: In kurzer Zeit handlungsfähige Regierung aufgestellt

"Heute ist ein wesentlicher Tag in der österreichischen Innenpolitik. Ich bin froh, dass wir in so kurzer Zeit eine handlungsfähige Regierung aufgestellt haben", erklärte August Wöginger. Der ÖVP-Klubobmann sprach sich gegen Neuwahlen aus und ortete dazu unterschiedliche Ansichten innerhalb der SPÖ, da sich auch der Wiener Bürgermeister dagegen ausgesprochen habe. Das gemeinsame Ansinnen der Bundesregierung sei, die "beste Arbeit für Österreich" zu leisten. Dazu gelte es, gemeinsam gegen COVID-19 anzukämpfen und das Gemeinsame vor das Trennende zu stellen. Dies sei im Sinne von Bundeskanzler Nehammer, der als "Verbinder und Brückenbauer" auf Dialog mit den Parteien und Bundesländern setze.

Wöginger bedankte sich für die Zusammenarbeit mit der SPÖ und den NEOS bei der Impfpflicht und rief dazu auf, die Gräben in der Gesellschaft abzubauen. In Richtung Freiheitliche appellierte der ÖVP-Klubobmann, keine Medikamente zu empfehlen, "die zum Tot führen können", keine Falschinformationen über die Lage in den Krankenhäusern zu verbreiten sowie keine "Propaganda" gegen die Impfung zu betreiben. Auch in der FPÖ würde es konstruktive Kräfte geben.

Kickl: Regierung ist Gefahr für die Demokratie und den Rechtsstaat

"Das Kommen und Gehen von politischen Positionen ändert nichts am Grundproblem dieser Regierung. Man kann ihnen kein Wort mehr glauben", attestierte FPÖ-Klubobmann Herbert Kickl. Die Regierung "sei eine Gefahr für die Demokratie und den Rechtsstaat". Vom Zuschütten der Gräben könne keine Rede sein, da zugleich der Lockdown für Ungeimpfte fortgesetzt werde. Laut Kickl wird die Spaltung der Gesellschaft durch den kommenden "Impfzwang" weiter verstärkt. Ungeimpfte Personen würden so zum "Sündenbock" gemacht. Die FPÖ sei die einzig verbliebene Oppositionspartei, wobei nicht sie, sondern die Regierung durch ihre Politik "hunderttausende Menschen" auf die Straße treibe.

In seiner Fundamentalkritik ortete Kickl "chronische, moralische und rechtsstaatliche Defizite" der Bundesregierung. Seitens des Bundeskanzlers und des Vizekanzlers habe es heute keine Worte der Entschuldigung gegeben. Die einzige Lösung seien Neuwahlen, davor hätten die Koalitionsparteien jedoch "politische Angst".

Maurer: Wer Neuwahlen verlanget, denkt egoistisch

"Diese Regierungsumbildung ist eine weitere große Zäsur in dieser Legislaturperiode", hielt Grünen-Klubobfrau Sigrid Maurer fest. Die Grünen würden die Verantwortung für die BürgerInnen ernst nehmen und im Parlament und in der Regierung "alles tun", um Österreich voranzutreiben und den Fortschritt zu gewährleisten. Wer nun Neuwahlen verlange, denke egoistisch, es gehe darum, das Leben für die Menschen einfacher und besser zu machen. Laut Maurer geht es um den Wiederaufbau von Vertrauen in die Politik, dazu reiche man allen im Hohen Haus die Hand. Teil davon sei jedoch auch, unpopuläre Entscheidungen zu treffen. Dies sei in der Vergangenheit nicht immer der Fall gewesen.

Die Förderung des Zusammenhalts in der Gesellschaft stehe nun an erster Stelle. Egal ob Pandemie oder Klimakrise, die Grünen würden sich dabei an den Erkenntnissen der Wissenschaft orientieren.

Meinl-Reisinger: Stabilität, Tatkraft und Handlungsfähigkeit zur Bekämpfung der Pandemie

NEOS-Klubobfrau Beate Meinl-Reisinger sprach von "Chaos" und verlorenem Vertrauen der Bevölkerung in die Politik der Bundesregierung. Es brauche nun Stabilität, Tatkraft, Handlungsfähigkeit und entschlossenes Vorgehen zur Bekämpfung der Pandemie. Bei den dazu notwenigen Maßnahmen müsse das Leitmotiv gelten, die Einschränkungen der Freiheit zu begründen und nicht umgekehrt. Zudem müsse Schluss mit dem Motto "Koste es, was es wolle" sein, da dies keine zukunftsfähige Wirtschaftspolitik sei, so Meinl-Reisinger.

Die Corona-Krise habe Schwachstellen aufgezeigt, die jedoch das vor der Pandemie entstandene Regierungsprogramm nicht abdecke. Laut der NEOS-Klubobfrau braucht es Innovations-, Liberalisierungs- und Deregulierungsmaßnahmen sowie die Beseitigung von "Bürokratiemonstern". Das "Drehen an kleinen Schräubchen" reiche nicht mehr aus. Sollte das nicht gelingen, spricht sich Meinl-Reisinger mittelfristig für Neuwahlen aus. (Fortsetzung Nationalrat) med

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