Parlamentskorrespondenz Nr. 489 vom 11.05.2022

EU-Ausschuss des Bundesrats berät über Bekämpfung von Gewalt gegen Frauen und häuslicher Gewalt

Kontroverse Diskussion über Novelle des Schengen-Kodex

Wien (PK) – Der EU-Ausschuss des Bundesrats diskutierte heute einen Richtlinienvorschlag der Europäischen Kommission zur Bekämpfung von Gewalt gegen Frauen und häuslicher Gewalt. Der Vorschlag wurde grundsätzlich begrüßt. Die Bundesrät:innen interessierten sich insbesondere für den verbundenen Änderungsbedarf im nationalen Recht sowie für die Beweisführung. Laut Justizministerium sei kein "Systembruch" notwendig. An mehreren Stellen müsste aber adaptiert werden, um dem Richtlinienvorschlag zu entsprechen. Ein von den SPÖ-Bundesrät:innen eingebrachter Antrag auf Stellungnahme, der zu einem raschen Abschluss der europäischen Verhandlungen führen soll, wurde mehrheitlich angenommen.

Zudem widmeten sich die Bundesrät:innen der Überarbeitung des Schengener-Übereinkommens auf Basis des Verordnungsvorschlags der Kommission. Ziel dabei sind einheitliche Maßnahmen an den Außengrenzen im Fall einer Bedrohung der öffentlichen Gesundheit.

Bekämpfung von Gewalt gegen Frauen und häuslicher Gewalt auf EU-Ebene

Die EU beschäftige sich derzeit intensiv mit der Bekämpfung geschlechtsbezogener und häuslicher Gewalt und habe dazu einen Vorschlag zu einer Richtlinie vorgelegt, informierte ein Vertreter des Justizministeriums den EU-Ausschuss des Bundesrats (94566/EU XXVII.GP).

In der Richtlinie werden unter anderem Vergewaltigung, weibliche Genitalverstümmelung, nicht-einvernehmliche Weitergabe von Pornos, Cyberstalking und Cybermobbing thematisiert. Inhaltlich stellt die Kommission bei Vergewaltigung auf die fehlende Zustimmung der Frau ab. Strafbar sind demnach nicht-einvernehmliche sexuelle Handlungen an einer Frau durch vaginale, anale oder orale Penetration mit einem Körperteil oder Gegenstand.

Ein Staatsanwalt, der dem Ausschuss als Auskunftsperson zur Verfügung stand, erklärte, dass die in der Richtlinie genannten Bestimmungen in Teilbereichen über die österreichischen Bestimmungen zur Vergewaltigung hinaus gehen. Neu im Vergleich zum österreichischen Recht sei die Strafbarkeit der Herstellung sogenannter Rachepornos.

Die EU sehe einheitliche Mindesthöchststrafen vor, diese betragen beispielsweise 8 Jahre bei allen Formen der Vergewaltigung. Der Richtlinienvorschlag liege in englischer Sprache und deutscher Arbeitsübersetzung vor, hob der Staatsanwalt sinnverändernde Abweichungen zum englischen Text hervor.

Breite Zustimmung zu Richtlinienvorschlag

Das Justizministerium schätzt den Vorschlag der Kommission positiv ein und unterstützt ihn auf europäischer Ebene. Die Verhandlungen stehen noch am Beginn, sodass einige Bestimmungen noch einer Analyse und Diskussion unterzogen werden müssen. Zu beachten sei, dass die Rechtsgrundlage im Gemeinschaftsrecht umstritten ist, betonte der Vertreter des Justizministeriums. Zudem habe Österreich in den letzten Jahren auf nationaler Ebene bereits zahlreiche praktische und legislative Maßnahmen zur Bekämpfung von Gewalt im häuslichen Bereich ergriffen. Diese müssten adaptiert werden, obwohl ein funktionierendes System bestehe. Bei Anstiftung, Beihilfe und Versuch sehe der Richtlinienvorschlag Mindesthöchststrafen vor, die den österreichischen Strafrahmen deutlich übersteigen, analysierte der Experte, anerkannte aber die Bedeutung eines solchen Rechtsakts auf europäischer Ebene.

Breite Zustimmung gab es auch bei den Abgeordneten. Aus Sicht der SPÖ ist der Richtlinien-Vorschlag sehr zu begrüßen, betonte Elisabeth Grossmann (SPÖ/St). Der Vorschlag gehe über die Istanbul-Konvention hinaus, da Cyberkriminalität stärker berücksichtigt werde. Angriffshandlungen gegenüber Frauen hätten im Netz neue Formen angenommen und der rechtliche Rahmen hinke hinterher. Mit einem Antrag auf Stellungnahme machte sich Grossmann für einen raschen Abschluss der europäischen Verhandlungen stark. Grossmann trat darin auch für einen Beitritt der Europäischen Union zur Istanbul Konvention ein. Der Antrag wurde von den Bundesrät:innen mehrheitlich angenommen. Dagegen stimmte nur die FPÖ.

Andrea Eder-Gitschthaler (ÖVP/S) begrüßte den Vorstoß der EU, da der Schutz von Frauen höchste Priorität habe. Österreich habe bereits einen hohen Schutzstandard. Unterstützt werde die Richtlinie, sofern faktische Verbesserungen für den österreichischen Rechtsbestand erzielt werden. Bestehende österreichische Standards seien bei den Verhandlungen zu verteidigen, verlangte sie. Bei sprachlichen Abweichungen forderte Eder-Gitschthaler, sensibel vorzugehen. Die ÖVP unterstütze den SPÖ-Antrag auf Stellungnahme, um gemeinsam ein starkes Zeichen zu setzen, betonte die Bundesrätin.

Für Adi Gross (Grüne/V) ist es erschreckend, dass sich viele EU-Staaten sich dagegen wehren, Strafbestimmungen bei Gewalt gegen Frauen einzuführen, wie er sagte. Daher sei es zu befürworten, dass nun die EU eingreife. In Österreich sei ein sehr guter Rechtsrahmen vorhanden, so Gross, der sich dafür aussprach die vorhandenen Standards zu schützen. Auch Bundesrat Karl-Arthur Arlamovsky (NEOS/Wien) sah darin einen Schritt in die richtige Richtung, EU-Standards würden den Schutz und die Prävention erhöhen.

FPÖ dagegen: Keine Kompetenzgrundlage, massive strafrechtliche Änderungen erforderlich

Aus gutem Grund gehöre das Strafrecht zum nationalen Recht und nicht zum Gemeinschaftsrecht, vertrat Johannes Hübner (FPÖ/W) eine gänzlich andere Sichtweise. Der Vorschlag beinhalte "massive strafrechtliche Änderungen, die nicht in die Kompetenz der EU fallen", argumentierte er. Andere Mitgliedstaaten sollen zur Umsetzung von Rechtsbestimmungen gezwungen werden, die nicht dem nationalen Willen entsprechen. Hübner sah in der Auslegung der Rechtsgrundlage "eine Aushebelung der EU-Verfassung". Dass bei einer Vergewaltigung auf die fehlende Zustimmung der Frau abgestellte werde, würde zu Beweisproblemen führen. In diesem Fall müsste sich ein Mann stets die Zustimmung schriftlich geben lassen, was nicht der Praxis entspreche, argumentierte er.

Zustimmung zum Geschlechtsverkehr durch aktives Handeln der Frau

Demgegenüber argumentierte der Staatsanwalt, dass das Gericht anhand der Beweiswürdigung entscheide. Auch eine schriftliche Zustimmungserklärung könne jederzeit wiederrufen werden und der Richter bzw. die Richterin entscheide anhand der Glaubwürdigkeit der Personen. Der Staatsanwalt wies insbesondere darauf hin, dass Schweigen laut Kommission nicht als Zustimmung angesehen wird. Bei der Zustimmung gehe die Kommission von einem "aktiven Handeln der Frau" aus.

Kommission will Schengen-Kodex überarbeiten

Anschließend widmete sich der EU-Ausschuss des Bundesrats einem Änderungsvorschlag der Europäischen Kommission zum Schengener Grenzkodex (Verordnung über einen Unionskodex für das Überschreiten der Grenzen durch Personen). Die EU-Kommission zieht darin Lehren aus Krisen wie der Pandemie, Terroranschlägen sowie der Instrumentalisierung von Migrantinn:en und will den Schengen-Raum stärken. Den Vorschlägen zufolge sollen Kontrollen im eigentlich grenzkontrollfreien Schengen-Raum wieder die Ausnahme werden (89350/EU XXVII.GP).

Im Zentrum der Novelle steht die einheitliche Anwendung von Maßnahmen an den Außengrenzen im Fall einer Bedrohung der öffentlichen Gesundheit. Bei Bedrohungen, von denen die Mehrheit der Mitgliedstaaten gleichzeitig betroffen ist, soll ein Notfallplan erstellt werden. Konkret schlägt die EU-Kommission unter anderem vor, dass die EU-Staaten im Falle einer Bedrohung der öffentlichen Gesundheit verbindliche Reisebeschränkungen an den Außengrenzen einführen können. Bei Gefahr für die öffentliche Gesundheit oder durch Terror könnten die EU-Staaten auch Kontrollen innerhalb des Schengen-Raums einführen. Bei Wiedereinführung von Grenzkontrollen an den Binnengrenzen soll es Verfahrenskontrollen geben. Die Möglichkeit zur Verlängerung der Binnengrenzkotrollen wird auf einen Höchstzeitraum von insgesamt zwei Jahren ausgeweitet.

Zugleich will die EU-Kommission sicherstellen, dass schengen-interne Kontrollen die Ausnahme bleiben. Das betroffene Land soll diesen Schritt genauer begründen als bisher. Alternative Methoden sollen bevorzugt werden. Mit der Überarbeitung soll sichergestellt werden, dass die Wiedereinführung von Kontrollen an den Binnengrenzen nur als letztes Mittel eingesetzt wird, unterstrich ein Vertreter des Innenministeriums.

Forderungen nach Handlungsspielraum für Mitgliedstaaten

Das Innenministerium begrüße grundsätzlich die Kernelemente des Vorschlags, insbesondere die Möglichkeit, Binnengrenzkontrollen für einen längeren Zeitraum einführen zu können. Aber auch die Anerkennung von Sekundärmigration als Bedrohung und daher als einer der Gründe für die Wiedereinführung von Binnengrenzkontrollen wird positiv gesehen. Wichtig sei, dass die Mitgliedstaaten ausreichend Handlungsspielraum behalten, um autonom auf eventuelle Bedrohungen reagieren zu können.

Die FPÖ stand dem Vorschlag kritisch gegenüber. Hübner knüpfte dabei an die Möglichkeit zur Verlängerung der Binnengrenzkotrollen auf maximal zwei Jahre an. Da bestimmte Bedrohungslagen über mehr als zwei Jahre bestehen bleiben können, sah er diese Beschränkung als nicht gerechtfertigt an. Die Beurteilung der Notwendigkeit zur Einführung von Binnengrenzkontrollen müsse den Mitgliedstaaten überlassen bleiben, wollte Hübner die Restsouveränität nicht zuletzt wegen steigender Einwanderungszahlen behalten. Mit einem Antrag auf Stellungnahme forderte die FPÖ daher, dass jeder Mitgliedstaat unbefristet Kontrollen an seinen nationalstaatlichen Grenzen durchführen können darf. Dies sei zumindest solange vonnöten, bis ein uneingeschränkter EU-Außengrenzschutz gewährleistet ist, begründete Hübner. Der Antrag blieb jedoch in der Minderheit.

Gross (Grüne/V) sah zusätzliche Maßnahmen im Grenzmanagement als heikel an. Eine Bedrohungslage wegen massiver Zuwanderung sah er im Gegensatz zur FPÖ nicht. Das Asylrecht sei jedenfalls ein fundamentales Grundrecht, das nicht verletzt werden dürfe. Dem Antrag der FPÖ hielt Gross entgegen, dass der nationale Ermessensspielraum mit der Novelle erweitert werden soll.

ÖVP und FPÖ für längere Frist bei Binnengrenzkontrollen

Schengen sei bei den EU-Bürger:innen jene Regelung, die am meisten gespürt werde. Es trage dazu bei, die Akzeptanz der EU bei den Mitgliedern zu stärken und zu erhalten, führte Bundesrat Peter Raggl (ÖVP/T) aus. Daher sei es wichtig, die Schengen-Maßnahmen weiterzuentwickeln und zu harmonisieren. Dabei sollen die Mitgliedstaaten aber ausreichend Handlungsspielraum behalten. Bei der maximalen Frist von zwei Jahren ohne anschließende Möglichkeit, die Binnengrenzkontrollen vorübergehend zu verlängern, schloss Raggl sich jedoch der Sichtweise der FPÖ an. Eine Gefahrenlage müsse nicht nach zwei Jahren enden. Bei vorliegender Gefahrenlage müsse es eine Verlängerungsmöglichkeit geben, forderte Raggl.

Dem hielt der Vertreter des Innenministeriums eine Entscheidung des Europäischen Gerichtshofs entgegen. Der EuGH habe die Personenfreizügigkeit als so hohes Gut bewertet, dass eine Befristung eingeführt werden müsse. Daher müssten die Mitgliedstaaten innerhalb der Zweijahresfrist der Bedrohungslage Herr werden. Eine Verlängerung sei danach nicht möglich. Bei einer neuen Gefährdung könnte jedoch neuerlich wiedereingeführt werden.

SPÖ für Europa ohne Grenzen

Erasmus+ und das Schengen-Abkommen seien die beiden großen Errungenschaften der EU, unterstrich Stefan Schennach (SPÖ/W). Beides gelte es zu verteidigen und wieder herbeizubringen. Schennach trat daher für ein Europa ohne Grenzen ein und wollte "zum alten Schengenprinzip mit uneingeschränkter Mobilität zurückkehren". Karl-Arthur Arlamovsky (NEOS/W) konnte Teilen der Positionen von SPÖ und FPÖ zustimmen. Seine Kritik galt der derzeitigen Regelung. Seiner Ansicht nach können Grenzkontrollen derzeit ohne ausreichende Begründung eingeführt werden. (Schluss EU-Ausschuss des Bundesrats) gla


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