Parlamentskorrespondenz Nr. 786 vom 28.06.2022

Sozialausschuss: Neuer Fachdienst soll Arbeitsmediziner:innen unterstützen

Auch Novelle zum Lohn- und Sozialdumping-Bekämpfungsgesetz ist auf dem Weg ins Plenum

Wien (PK) – Der Sozialausschuss des Nationalrats hat heute den Weg für die Einrichtung eines neuen "arbeitsmedizinischen Fachdienstes" geebnet. Neben den Koalitionsparteien stimmten auch FPÖ und NEOS der von der Regierung vorgeschlagenen Novelle zum ArbeitnehmerInnenschutzgesetzes und begleitenden Gesetzesänderungen zu. Damit will die Politik dem bestehenden Mangel an Arbeitsmedizinerinnen und Arbeitsmedizinern Rechnung tragen. Speziell ausgebildetes Gesundheitspersonal soll die Arbeitsmediziner:innen demnach künftig unterstützen und bestimmte Aufgaben übernehmen können. Für die SPÖ ist das allerdings keine geeignete Lösung.

Ebenfalls den Sozialausschuss passiert hat eine Novelle zum Lohn- und Sozialdumping-Bekämpfungsgesetz, die der Umsetzung einer EU-Richtlinie und eines Abkommens mit Großbritannien dient. Dabei geht es um grenzüberschreitende Güter- und Personentransporte im Straßenverkehr und damit verbundene Entsenderegelungen für Berufskraftfahrer:innen. Dieser Beschluss fiel gegen die Stimmen der SPÖ und der NEOS. Die SPÖ pochte auf höhere Strafen für Lohn- und Sozialdumping und eine Aufstockung der Arbeitsinspektion, konnte sich mit zwei Anträgen allerdings nicht durchsetzen.

Neuer arbeitsmedizinischer Fachdienst (AFa)

In der Regierungsvorlage zum arbeitsmedizinischen Fachdienst (1510 d.B.) wird darauf hingewiesen, dass manche Unternehmen bereits Schwierigkeiten haben, ihre gesetzlichen Verpflichtungen im Bereich der arbeitsmedizinischen Präventivversorgung wegen des Fehlens von Arbeitsmediziner:innen zu erfüllen. Vor diesem Hintergrund sollen künftig auch Angehörige anderer Gesundheitsberufe wie etwa diplomierte Krankenpfleger:innen oder Physiotherapeut:innen mit mindestens zweijähriger Berufserfahrung für bestimmte Aufgaben wie die regelmäßige Begehung von Büroarbeitsplätzen herangezogen werden dürfen. Voraussetzung ist eine arbeitsmedizinische Spezialausbildung im Ausmaß von mindestens 208 Stunden. Zudem hat die Tätigkeit grundsätzlich unter der Fachaufsicht von Arbeitsmediziner:innen zu erfolgen, um die Qualität der Präventionsmaßnahmen sicherzustellen.

NEOS stimmen Novelle zu, SPÖ lehnt sie ab

Es sei zu begrüßen, wenn man sich der Realität stelle, begründete NEOS-Abgeordneter Gerald Loacker die Zustimmung seiner Fraktion. Man hätte vielleicht noch weitergehen und die arbeitsmedizinischen Präventivdienste auf 25% bis 30% heruntersetzen können, meinte er. Die Arbeitswelt habe sich gewandelt, die gesundheitlichen Belastungen seien zurückgegangen.

Wenig von der Novelle hält hingegen die SPÖ. Alois Stöger sieht es als "falschen Zugang", zu versuchen, den bestehenden Mangel an Arbeitsmediziner:innen durch einen arbeitsmedizinischen Fachdienst zu beheben. Damit werde nur der Druck auf die Pflege erhöht, wo ebenfalls Personalmangel herrsche. Als eine Ursache für das Fehlen von Arbeitsmediziner:innen ortet Stöger den beschränkten Zugang zum Medizinstudium. Vielfach würden Allgemeinmediziner:innen nebenher im Bereich der Arbeitsmedizin tätig sein.

Arbeits- und Wirtschaftsminister Martin Kocher wies darauf hin, dass die Novelle in Abstimmung mit den Arbeitsmediziner:innen ausgearbeitet worden sei. Diese hätten den arbeitsmedizinischen Fachdienst als gute Unterstützung bewertet.

SPÖ drängt auf Personalaufstockung beim Arbeitsinspektorat

Mitverhandelt mit der Regierungsvorlage wurde ein bereits im vergangenen Jahr eingebrachter Antrag der SPÖ (327/A(E)), mit dem SPÖ-Sozialsprecher Josef Muchitsch eine deutliche Personalaufstockung beim Arbeitsinspektorat fordert. Die im Außendienst tätigen Arbeitsinspektor:innen sind ihm zufolge wegen Personalmangels überlastet, außerdem werde nicht einmal die Mindestvorgabe der Internationalen Arbeitsorganisation (ILO) – ein Aufsichtsbeamter bzw. eine Aufsichtsbeamtin pro 10.000 Beschäftigten – erfüllt.

ÖVP und Grüne ließen diese Kritik allerdings nicht gelten und hielten der SPÖ entgegen, dass das Arbeitsministerium seit seinem Bestehen umfangreiche Maßnahmen zur Erhöhung des Personalstandes der Arbeitsinspektion gesetzt habe. Zudem seien im Rahmen der dienstrechtlichen Möglichkeiten wesentliche Schritte ergriffen worden, um die Erfüllung der Aufgaben der Arbeitsinspektion auch bei steigender Beschäftigung garantieren zu können, heißt es in einer auch mit Zustimmung der NEOS angenommenen Ausschussfeststellung. Auch auf die hohe Wirksamkeit der österreichischen Arbeitsinspektorate wird in dieser Stellungnahme hingewiesen. Angesichts weiterer mit Arbeitnehmerschutz befassten Institutionen und Kontrollbehörden geht der Sozialauschuss darüber hinaus davon aus, dass internationale Vorgaben eingehalten werden.

Gerald Loacker begründete die Zustimmung seiner Fraktion zur Ausschussfeststellung damit, dass die Arbeitsinspektion offenbar genug Personal habe. Sonst hätte sie nicht während der Corona-Pandemie Personalchefs zu vor-Ort-Begehungen einbestellt, obwohl alle Mitarbeiter:innen im Homeoffice gewesen seien, meinte er.

Als "lachhaft" wertete hingegen SPÖ-Abgeordneter Alois Stöger die Ausschussfeststellung. Er fragte sich etwa, wie die AUVA mehr Präventivarbeit leisten können solle, nachdem ihr zuletzt 9% ihrer Mittel weggenommen worden wären.

Adaptierte Entsendereglungen für grenzüberschreitende Güter- und Personentransporte

Mit der von der Regierung vorgelegten Novelle zum Lohn- und Sozialdumping-Bekämpfungsgesetz (1488 d.B.) wird eine neue EU-Richtlinie und eine darauf basierende Vereinbarung mit dem Vereinigten Königreich in Bezug auf grenzüberschreitende Transporte im Straßenverkehr und damit verbundene Entsendungen von Berufskraftfahrer:innen umgesetzt. Ziel der Richtlinie ist es, bestehende Diskrepanzen bei der Auslegung von Entsendevorschriften in den einzelnen EU-Staaten zu beseitigen und damit Wettbewerbsverzerrungen zu vermeiden. Zudem soll die Durchsetzung von Sanktionen erleichtert und der Verwaltungsaufwand für Verkehrsunternehmen reduziert werden. Die neuen Sonderbestimmungen gelten grundsätzlich sowohl für den Güter- als auch für den Personenverkehr, lediglich für Großbritannien und Nordirland beschränkt sich der Geltungsbereich auf Gütertransporte.

Konkret wird im Lohn- und Sozialdumping-Bekämpfungsgesetz nun ausdrücklich klargestellt, welche – insbesondere bilateralen – Beförderungen sowie damit zusammenhängende Beförderungstätigkeiten keine Entsendung darstellen und damit nicht meldepflichtig sind. Zudem werden für die von der EU-Richtlinie bzw. vom Abkommen umfassten Verkehrsunternehmen spezielle Vorgaben für Entsendemeldungen gelten. Dabei geht es etwa um die Verwendung eines EU-weit einheitlichen Formulars, die Bereithaltung von Unterlagen im Fahrzeug und deren Übermittlung an die zuständigen Kontrollorgane. Im Sinne einer besseren grenzüberschreitenden Zusammenarbeit der jeweiligen Behörden wird das Amt für Betrugsbekämpfung überdies ausdrücklich zur Amtshilfe verpflichtet. Diese soll über das zentrale Binnenmarkt-Informationssystem (IMI) abgewickelt werden.

Ebenso in das Gesetz aufgenommen werden spezielle Strafbestimmungen, die sich allerdings weitgehend an die schon jetzt geltenden Strafdrohungen anlehnen. Demnach drohen Verkehrsunternehmen, die gegen die Meldepflicht von Entsendungen verstoßen, Verwaltungsstrafen von bis zu 20.000 €. Noch teurer können mit einer Maximalstrafe von 40.000 € Kontrollvereitelungen kommen. Belangt werden können laut Entwurf auch die Berufskraftfahrer:innen selbst, sie müssen im Falle einer Nichtmitführung der Unterlagen allerdings mit einer deutlich geringeren Strafe von maximal 1.000 € rechnen.

Nicht unter die neuen Sonderbestimmungen fällt der Schienenverkehr. Hier kommen weiterhin die schon jetzt geltenden allgemeinen Regelungen gegen Lohn- und Sozialdumping für mobile Arbeitnehmer:innen im Transportbereich zum Tragen. Gleiches gilt für Personen- und Güterbeförderungen durch in der Schweiz bzw. in den EWR-Staaten Island, Liechtenstein und Norwegen ansässige Verkehrsunternehmen.

Opposition beurteilt Novelle unterschiedlich

Seitens der NEOS begründete Gerald Loacker die Ablehnung der Regierungsvorlage damit, dass die Unternehmerschaft des benachbarten Auslands "schikaniert" werde. Er glaubt insbesondere, dass die Vorgaben für das Mitführen von Unterlagen überschießend sind und nicht der EU-Richtlinie entsprechen.

Die SPÖ vermisst demgegenüber einen angemessenen Sozialschutz für Berufskraftfahrer:innen, wie Ausschussvorsitzender Josef Muchitsch (SPÖ) erklärte. Die EU-Richtlinie sei "verunglückt" und "zahnlos", meinte er, zumal es keine Mindeststrafen und keine Sanktionsmöglichkeiten über Grenzen hinweg gebe. Strafen würden "im Papierkorb landen". Zudem seien die neuen Regeln noch aufwendiger für Unternehmen und für Kontrollpersonal.

Zustimmung zur Novelle kam hingegen von der FPÖ. Diese sei zwar nicht "das Gelbe vom Ei", aber besser als nichts, erklärte Dagmar Belakowitsch.

SPÖ und FPÖ fordern höhere Strafen für Lohn- und Sozialdumping

Die Debatte im Ausschuss drehte sich insgesamt allerdings weniger um die vorliegende Novelle als um den Kampf gegen Lohn- und Sozialdumping generell. Nach Meinung der SPÖ und der FPÖ sind die geltenden Gesetzesbestimmungen unzureichend. Die SPÖ hat daher bereits vor einiger Zeit eine Verschärfung des Lohn- und Sozialdumping-Bekämpfungsgesetzes beantragt (1810/A). Demnach sollen etwa bei Unterentlohnung und bei beharrlicher Kontrollvereitelung deutlich höhere Strafdrohungen im Gesetz verankert werden. Zudem ist es der SPÖ ein Anliegen, dass Arbeitnehmer:innen bereits bei einmonatigen Entsendungen nach Österreich Anspruch auf den hier geltenden jeweiligen Mindestlohn haben.

SPÖ-Sozialsprecher Muchitsch übte im Ausschuss vor allem Kritik an Slowenien. Dieses sei "der Umschlagplatz Nr. 1 für illegale Entsendungen" und würde die Entsenderichtlinie "missbrauchen", hielt er fest. So komme ein Großteil der aus Slowenien nach Österreich entsendeten Bauarbeiter:innen nicht aus der EU und würde zum Teil von Briefkastenfirmen beschäftigt. Ein weiteres Problem sind laut Muchitsch Scheinselbstständige: Firmen würden hunderte "Einzelmeister" anbieten, die dann nebeneinander ohne Arbeitnehmer:innenschutz auf Baustellen arbeiteten. Das könne nicht so weitergehen, die österreichischen Unternehmen bräuchten einen fairen Wettbewerb, bekräftigte er.

Der Kritik der SPÖ schloss sich auch FPÖ-Abgeordnete Belakowitsch an. Ihre Partei zeige schon seit vielen Jahren die Lohn- und Sozialdumping-Problematik auf, betonte sie. Das Problem werde aber nach wie vor unterschätzt. Alle Maßnahmen und Gesetze seien zahnlos, wenn es nicht zu "drakonischen Strafen" komme, so Belakowitsch.

Der SPÖ-Antrag wurde von den Koalitionsparteien allerdings neuerlich vertagt. Markus Koza (Grüne) begründete das damit, dass die Zeit viel zu kurz sei, um zu bewerten, wie die neuen, seit September 2021 geltenden Bestimmungen wirken. Damals wurden die Strafbestimmungen in Folge eines EuGH-Urteils geändert und das Kumulationsprinzip abgeschafft.

Kocher: Durchsetzung von Strafen im Ausland ist besser geworden

Auch Arbeitsminister Martin Kocher hielt fest, dass es noch viel zu früh sein, um die Zahlen zu interpretieren. Es gebe derzeit nur eine "anekdotische Evidenz", konstatierte er. Man müsse auf den Kontrollbericht 2022 warten. Auch einen Strafvergleich zwischen 2020 und 2021 erachtet Kocher nicht als zweckmäßig. Schließlich hätten die Behörden schon 2021 keine höheren Strafen verhängt, die aufgrund des EuGH-Urteils nicht durchsetzbar gewesen wären. Entscheidend ist auch für ihn ein fairer Wettbewerb.

Besser geworden ist Kocher zufolge die Durchsetzung von Strafverfügungen im Ausland. Er führt das nicht zuletzt auf die vor eineinhalb Jahren gegründete Europäische Arbeitsagentur in Bratislava zurück. Auch der zuständige EU-Kommissar sei für das Problem Lohn- und Sozialdumping sensibilisiert, ist er überzeugt. In Richtung von NEOS-Abgeordnetem Loacker hielt der Minister fest, die Bestimmungen über das Mitführen von Unterlagen seien im vorliegenden Gesetz eins zu eins aus der EU-Richtlinie umgesetzt. (Fortsetzung Sozialausschuss) gs