Parlamentskorrespondenz Nr. 850 vom 08.07.2022

Gasversorgung: Nehammer setzt auf strategische Reserven

Energiekrise dominiert Fragestunde mit Bundeskanzler im Nationalrat

Wien (PK) – Die EU wolle zur Sicherung der Energieversorgung bei einem möglichen russischen Gaslieferstopp zusammenhelfen, betonte heute Bundeskanzler Karl Nehammer im Nationalrat bei einer Fragestunde mit den Abgeordneten. Die EU-Energieplattform arbeite jedoch noch nicht, daher müsse Österreich durch strategische Gasreserven schon jetzt für Versorgungssicherheit im Land sorgen. Russland nutze die Drohung eines Energielieferstopps als Waffe bei seinem Angriffskrieg auf die Ukraine, so Nehammer. Von Reinhard Eugen Bösch (FPÖ) auf die Haltung Österreichs zum Krieg angesprochen, sagte er: "Wir sind neutral und aus meiner Sicht bleiben wir das auch". Ungeachtet dessen müsse ein Aggressor, der ein anderes Land überfällt, als solcher benannt werden. Die Solidarität Österreichs gelte der Ukraine.

Neben dem Ukraine-Krieg und seinen Folgen am Energiemarkt waren die auch damit verbundenen Preissteigerungen beherrschendes Diskussionsthema. Von Wolfgang Gerstl (ÖVP) und Jakob Schwarz (Grüne) auf die Auswirkungen der Anti-Teuerungspakete auf die Bevölkerung befragt, erklärte Nehammer, mit aktuellen "Sofortmaßnahmen" im Umfang von 6 Mrd. € würden schon jetzt Personen mit geringen Einkommen entlastet, beispielsweise mittels der 300 €-Hilfen. Außerdem helfe man mit einer Vielzahl von Maßnahmen den Familien. Von strukturellen Maßnahmen, besonders von der Abschaffung der kalten Progression, werde dann die breite Bevölkerung profitieren.

Konsum soll Abschaffung der kalten Progression gegenfinanzieren

Österreich habe trotz steigender Inflation ein weiterhin gutes Wirtschaftswachstum und eine Rekordbeschäftigung bei fortgesetztem Schuldenabbau, unterstrich Bundeskanzler Nehammer. Mit dem Ziel, die Kaufkraft der Konsument:innen zu erhalten, werde die schleichende Steuererhöhung, vulgo "kalte Progression", 2023 zu 100% abgeschafft. Zwei Drittel würden über die Tarifstufen bei der Lohn- und Einkommenssteuer automatisch zurückgegeben, erläuterte er, das restliche Drittel sollte gezielt für sozial schwache Gruppen zur verstärkten Entlastung eingesetzt werden. Die Steuereinnahmen aus dem Konsum könnten dann zur Gegenfinanzierung der Maßnahme dienen.

Die von SPÖ und FPÖ als zielführendere Hilfen ins Treffen geführten Preisobergrenzen bei Energie und Lebensmittel nannte Nehammer "verführerisch", er warnte aber, dadurch würde sich das Angebot der Wirtschaft aufgrund höherer Produktionskosten verringern und erst recht negative Auswirkungen auf den Konsum haben. Besser sei es daher, mit Einmalzahlungen rasch direkt zu helfen, verwies er unter anderem auf den 500 €-Teuerungsbonus und die zusätzliche Familienbeihilfe von 180 €.

Energiekrise: Österreich an EU-Kooperation beteiligt

Für Helmut Brandstätter (NEOS) wäre ein gemeinsamer, europäischer Gaskauf am internationalen Gasmarkt eine vorausschauende Möglichkeit, der angespannten Lage am Energiemarkt beizukommen. Zur europäischen Koordination im Fall eines Gaslieferstopps, etwa bei der Verteilung von Speicherplatz, sei auf EU-Ebene eine eigene Energieplattform eingerichtet worden, die allerdings noch nicht operativ tätig sei, berichtete Nehammer. Österreich habe dort 50 Terrawattstunden (TWh) eingemeldet, in einem "energieintensiven Monat" würden 10 TWh Gas benötigt. Flüssiggasimporte in die EU nähmen stark zu, europaweit werde daher die Infrastruktur entsprechend ausgebaut, um den Verlust russischer Produkte auszugleichen. Das Füllen der heimischen Gasspeicher ist ihm zufolge jedenfalls im Gange, die OMV verzeichne derzeit bereits 72% Füllmenge mit steigender Tendenz, war der Kanzler zuversichtlich, bis zum Winter die notwendigen 80% zu erreichen.

Bei den Strompreisen sei Österreich mit seinem äußerst vernetzten Strommarkt abhängig von den festgelegten Höchstpreisen, hielt Nehammer fest. Die EU-Kommission wolle aber die Preisfestlegung neu gestalten, und zwar abhängig von den Produktionsarten, da ja Energieträger wie Wind und Wasser weniger kostenintensiv produzierten als Gaskraftwerke. Zur Abfederung der aktuellen Preissteigerungen erhielten energieintensive Unternehmen in Österreich Strompreiskompensationen vom Staat, zudem helfe man der Wirtschaft mit Maßnahmen bei der Elektrizitäts- und Erdgasabgabe sowie durch Lohnnebenkostensenkungen.

Neutralität als Basis für Friedensgespräche

An Finnland und Schweden erkenne man den sicherheitspolitischen Paradigmenwechsel, so Nehammer mit Hinweis auf den angestrebten NATO-Beitritt beider Länder. Die österreichische Neutralität wird vom Kanzler dennoch nicht in Frage gestellt. Sie sei eine gute Basis für Friedensbemühungen, immerhin befänden sich über 800 österreichische Soldaten in Friedensmissionen, bemerkte Nehammer, der sich dafür stark machte, die "Interoperabilität" mit anderen Ländern in diesem Bereich auszubauen. Um die Selbstverteidigungsfähigkeit Österreichs gewährleisten zu können, müsse das Bundesheer fraglos finanziell besser ausgestatten werden.

Zutiefst beeindruckt zeigte sich Nehammer von der Hilfsbereitschaft der österreichischen Bevölkerung gegenüber geflüchteten Ukrainer:innen, von denen zur Zeit 180.000 in Österreich betreut würden. Angesichts der zahllosen Angriffe auch auf Zivilist:innen verurteilte er die "Kriegslogik" des russischen Machthabers Wladimir Putin, der "nach sowjetischem Muster" handle. Dennoch müssten "Gesprächsebenen offen gehalten werden", um einen dritten Weltkrieg abzuwenden.

Umfragen: SPÖ sieht weitere Verdachtsfälle

Innenpolitisch brisante Themen warf die SPÖ mit Fragen zum Rechnungshofbericht über die Mehrkosten bei der Krankenkassenreform unter der ÖVP-FPÖ-Regierung sowie zu den Vorwürfen der Medienkorruption rund um Ex-Kanzler Sebastian Kurz auf. Julia Elisabeth Herr (SPÖ) wollte im Detail wissen, welche Umfrageergebnisse Nehammer und seine Amtsvorgänger von jenen Meinungsforscher:innen erhielten, die mutmaßlich mit Steuergeld finanzierte Studien zum politischen Vorteil der Auftraggeber erstellten. Nehammer warf der SPÖ daraufhin "Pauschalverdächtigungen" vor und verwies auf laufende Ermittlungen. Konkret zur Frage meinte er, bei sämtlichen Umfragen seines Vollzugsbereichs habe es keine Aufträge im genannten Umfeld gegeben. Jedoch räumte er ein, die bei der Nationalratssitzung vom 15. Juni 2022 in diesem Zusammenhang gestellte Dringliche Anfrage der FPÖ an ihn hätte besser beantwortet werden müssen. Staatsekretärin Claudia Plakolm hatte den Bundskanzler in der Sitzung vertreten, die Verantwortung dafür liege aber bei ihm selbst, so Nehammer. Er werde dem Nationalrat die Antworten schriftlich übermitteln.

Zur Vereinheitlichung der Bundesländer-Gebietskrankenkassen in der Österreichischen Gesundheitskasse (ÖGK) gab Nehammer zu bedenken, die umfassende Strukturbereinigung der ehemals "28 Krankenkassen und 9 Gebietskrankenassen" samt Leistungsharmonisierung bedinge eine "hohe Anschubfinanzierung". Kostentreibend sei auch die Corona-Pandemie gewesen. Letztlich werde es aber Effizienzsteigerungen und schnellere Entscheidungsfindungen im Sinne der Patient:innen geben, ist er sicher. (Fortsetzung Nationalrat) rei

HINWEIS: Sitzungen des Nationalrats und des Bundesrats können auch via Livestream mitverfolgt werden und sind als Video-on-Demand in der Mediathek des Parlaments verfügbar.