Parlamentskorrespondenz Nr. 974 vom 20.09.2022

"Politik am Ring": Was tun gegen die hohe Inflation?

Wifo-Experte Baumgartner erwartet weitere Preisanstiege bei Gas und Strom

Wien (PK) – Steigende Energie- und Lebensmittelpreise – die Inflation auf Rekordhöhe. In Österreich und Europa geraten derzeit viele Menschen finanziell unter Druck. Die Bundesregierung antwortet mit Entlastungszahlungen, die Europäische Zentralbank mit Zinserhöhungen. Expertinnen und Experten zufolge ist ein Ende der Teuerung nicht in Sicht. Im Gegenteil: Sie rechnen mit einem weiteren Anstieg der Preise. Wie kann die österreichische Politik diesen Entwicklungen entgegenwirken? Sind die bisher geschnürten Anti-Teuerungs-Pakete ausreichend? Und sind sie auch treffsicher? Darüber diskutierten gestern Abend Vertreter:innen aller fünf Parlamentsfraktionen mit den Ökonomen Josef Baumgartner (Wifo) und Michael Ertl (Arbeiterkammer Wien) in der Sendung "Politik am Ring".

Muchitsch fordert Preisdeckel für Mieten, Nahrungsmittel, Energie und Sprit

Die Meinungen zwischen den Diskussionsteilnehmer:innen gingen dabei durchaus auseinander. So kritisierte etwa SPÖ-Sozialsprecher Josef Muchitsch, dass sich die bisherigen Entlastungspakete auf Einmalzahlungen fokussiert hätten. Einmalzahlungen seien zwar schön, aber nicht die Lösung, meinte er. Durch die Maßnahmen der Bundesregierung würde kein einziges Produkt billiger. Die Unterstützungen würden nicht wirken, das belegten auch die immer länger werdenden Schlangen vor den Sozialmärkten.

Nach Ansicht von Muchitsch wäre es vielmehr notwendig, auf Mieten, Nahrungsmittel, Energie und Sprit "einen Deckel draufzusetzen" und diesen von einer funktionierenden Preiskommission zu überwachen. "Die Preise müssen runter!", bekräftigte er. Dass viele mittlerweile gezwungen seien, zu den billigsten Produkten zu greifen, wirke sich auch nachteilig auf österreichische Produzent:innen und den österreichischen Wirtschaftsstandort aus.

Doppelbauer: Förderungen nicht mit der Gießkanne verteilen

Widerspruch erntete Muchitsch für seine Ausführungen nicht nur von Seiten der Koalitionsparteien, sondern auch von NEOS-Budgetsprecherin Karin Doppelbauer. Preisdeckel würden nichts bringen, ist sie überzeugt. Aber auch von "Einmalzahlungen und Gutscheinen" hält die NEOS-Abgeordnete grundsätzlich wenig. Diese seien nicht nachhaltig, mahnte sie, zumal die Regierung viele Förderungen mit der "Gießkanne" verteile, statt Geringverdiener:innen gezielt zu unterstützen. Schon im Zuge der Corona-Hilfen habe Österreich "unglaublich viel Geld ausgegeben" und dieses äußerst ineffizient eingesetzt, so Doppelbauer.

Nachhaltiger wären nach Meinung der Abgeordneten Steuer- und Lohnnebenkostensenkungen. Zudem plädierte sie dafür, die "kalte Progression" rückwirkend mit dem Jahr 2022 abzuschaffen. Gleichzeitig müsse man den Ausbau erneuerbarer Energieträger beschleunigen und "Energie sparen, wo es geht". Insgesamt erwartet Doppelbauer schwierige nächste Jahre: Man werde nicht mehr zu einer Zeit zurückkehren, wo russisches Gas billig zur Verfügung steht.

Koza: Regierung hat früh mit Entlastungsmaßnahmen begonnen

Grünen-Sozialsprecher Markus Koza hielt Muchitsch entgegen, dass die Regierungsparteien bereits relativ früh, nämlich schon im Herbst 2021, erste Entlastungsmaßnahmen für besonders vulnerable Bevölkerungsgruppen beschlossen hätten, nachdem die Teuerung bereits damals angezogen habe. Zudem machte er geltend, dass die bisherigen Anti-Teuerungs-Pakete nicht nur Einmalzahlungen umfasst hätten. So seien etwa mit der Senkung der Energieabgabe und dem Aussetzen der Ökostromabgabe auch inflationsdämpfende Maßnahmen gesetzt worden.

Auch den Vorwurf der mangelnden Treffsicherheit der Entlastungspakete ließ Koza nicht gelten. Man könne über die Treffsicherheit einzelner Maßnahmen streiten, räumte er ein, man müsse den Maßnahmenmix aber als Ganzes betrachten. Dabei zeige sich, dass man mit den Hilfen die Preissteigerungen für das unterste Einkommensfünftel vollständig abgefangen habe. Zudem verwies Koza auf die künftige jährliche Inflationsanpassung zahlreicher Sozial- und Familienleistungen.

Weidinger: Einmalzahlungen werden durch strukturelle Maßnahmen ergänzt

Dass von der regelmäßigen Inflationsanpassung Arbeitslosengeld und Notstandshilfe nicht umfasst sind, wie Muchitsch kritisierte, begründete ÖVP-Abgeordneter Peter Weidinger damit, dass die Koalition eine langfristige Reform des Arbeitslosengeldes anstrebe, um unter anderem Menschen wieder schneller in Arbeit zu bringen. Er sei ein Optimist in dieser Frage, meinte er.

Wie Koza hob Weidinger überdies hervor, dass die Anti-Teuerungs-Maßnahmen der Regierung weit über Einmalzahlungen hinausgingen. Einmalzahlungen seien ein erster wichtiger Schritt gewesen, "aber dabei sind wir nicht stehengeblieben". Es gebe auch viele strukturelle Maßnahmen wie die Abschaffung der kalten Progression und die Valorisierung von Sozial- und Familienleistungen. Zudem hob er die Forcierung erneuerbarer Energieträger hervor, wobei er in diesem Bereich Verfahrensbeschleunigungen für notwendig erachtet. Skeptisch ist Weidinger, was weitreichende Preisdeckel betrifft: Diese könnten zu Versorgungsschwierigkeiten führen.

Hafenecker für Evaluierung der Russland-Sanktionen und Verzicht auf CO2-Steuer

FPÖ-Abgeordneter Christian Hafenecker machte zum einen die "verhunzte" Corona-Politik der Regierung und zum anderen die Sanktionen gegen Russland für die aktuelle Teuerung verantwortlich. Letztere hätten aus seiner Sicht nicht den erwünschten Erfolg gebracht und sollten evaluiert werden, forderte er. Es sei weder ein Ende des Krieges in Sicht noch gebe es darüber Verhandlungen. Angesichts anderer problematischer Regime, von denen Gas bezogen wird, sprach der Abgeordnete außerdem von einer "Scheinmoral".

Die steigenden Energiepreise seien überdies nicht der einzige Preistreiber, machte Hafenecker geltend. In vielen Bereichen seien auch Gebühren erhöht worden. Zudem verwies er auf die bevorstehende Einführung der CO2-Steuer. Von der EU erwartet Hafenecker keine Hilfe, Österreich müsse eigene Lösungen finden. Er selbst plädierte unter anderem für Steuersenkungen und eine "Zugewinnsteuer" für Unternehmen mit hohen Profiten, überdies sollte man auf die CO2-Steuer verzichten.

Eine Sondersteuer auf Zufallsgewinne von Unternehmen wertete auch Koza durchaus für überlegenswert: Hier sollte man zunächst jedoch die Vorschläge der EU abwarten.

Konsens über Hilfen für Unternehmen

Was die von der Wiener Gastwirtin Christina Hummel in einem eingespielten Beitrag geschilderten dramatischen Energiekostensteigerungen für Unternehmen betrifft, verwies Weidinger auf die geplanten Energiekostenzuschüsse. Die konkreten Vorschläge würden dieser Tage zur Notifikation nach Brüssel geschickt. Je kleiner der Betrieb ist, desto einfacher und unbürokratischer werde es sein, einen Energiekostenzuschuss zu bekommen, erklärte Weidinger. Je größer der Betrieb, desto mehr Nachweise werde man brauchen. Auch die Vertreter:innen der anderen Fraktionen sprachen sich für eine Unterstützung von Unternehmen aus, wobei Muchitsch Wert darauf legte, dass alle die gleiche Chance haben müssten, einen Energiekostenzuschuss zu erhalten.

Baumgartner erwartet weitere Preisanstiege bei Gas und Strom

Von Seiten der Experten erachtet es Josef Baumgartner, Senior Economist am Wirtschaftsforschungsinstitut, als vorrangig, die Gaspreise in Europa zu senken, indem man etwa den Gaspreis für große Verbraucher und Energieerzeuger staatlich subventioniert. Das könnte zwar teuer für die Staatskasse werden, damit würde man jedoch die Preis-Überwälzungseffekte auf Strom und andere Produkte unterbrechen. Was die Abschaffung des Merit-Order-Systems betrifft, ist Baumgartner dagegen eher skeptisch, das werde kurzfristig nicht gehen, glaubt er.

Allgemein erwartet Baumgartner noch weitere Preisanstiege bei Gas und Strom, wobei der Höhepunkt seines Erachtens im März/April nächsten Jahres erreicht werden könnte. Auch durchgerechnet werde Gas und Strom 2023 teurer sein als heuer, prophezeite er. Man werde sich für die nächsten Jahre auf hohe Energiepreise einstellen müssen. Das werde nicht nur die Inflation weiter in die Höhe treiben, sondern auch energieintensive Produktionssparten unter Druck bringen und zu Einbußen bei der Wettbewerbsfähigkeit – etwa gegenüber den USA oder Australien – führen. Noch im laufenden September könnte nach Einschätzung Baumgartners ein größerer Inflationsschub im Ausmaß von mehr als 10% drohen.

Was die Treffsicherheit der Anti-Teuerungs-Pakete anlangt, bemängelte Baumgartner, dass bei der Strompreisbremse die Haushaltsgröße keine Rolle spielt. Mit zusätzlichen Förderungen wie zum Beispiel in Niederösterreich könnte die Stromrechnung damit sogar niedriger ausfallen als vorher, gab er zu bedenken. Damit werde der Anreiz zum Sparen in den Haushalten stark untergraben. Um die Unterstützung sozial treffsicherer zu machen, könnte man sie seiner Meinung nach außerdem zumindest grob an das Einkommen binden und so steuerpflichtig machen.

Ertl: Mietanpassungen begrenzen

Michael Ertl von der Arbeiterkammer Wien machte darauf aufmerksam, dass es nicht nur bei den Energiepreisen eine Spirale nach oben gebe. Auch Mieten würden enorm steigen und Vermieter:innen von automatischen Valorisierungen massiv profitieren. Zudem gebe es Trittbrettfahrer:innen, die Preise ohne sachliche Rechtfertigung erhöhen würden. Entgegenwirken könnte man dieser Entwicklung seiner Meinung nach etwa durch die Begrenzung von Mietanpassungen. Zudem plädierte er dafür, Profiteure wie Energieversorgungsunternehmen durch Sondersteuern zur Finanzierung der Hilfsmaßnahmen mit heranzuziehen.

Bestätigt wurde von Ertl die Aussage Kozas, wonach die Zusatzausgaben für das unterste Einkommensfünftel durch die Anti-Teuerungs-Maßnahmen "grosso modo" ausgeglichen würden. Allerdings würde das nicht für alle Einzelfälle gelten. Zudem wäre es nach Meinung des Ökonomen sinnvoller, Leistungen wie das Arbeitslosengeld generell anzuheben statt Einmalzahlungen zu gewähren. Ein wesentlicher Punkt ist für Ertl auch die Entkoppelung von Gas- und Strompreisen, in diesem Punkt waren sich die Diskutant:innen auch weitgehend einig.

Durch die Diskussion führte wie bei den vorangegangenen Sendungen Gerald Groß. Die nächste Sendung von Politik am Ring findet am Montag, dem 17. Oktober 2022, statt. Sie wird wieder live ab 21 Uhr in der Mediathek des Parlaments  übertragen. Alle Folgen von Politik am Ring sind dort dauerhaft abrufbar. (Schluss) gs

HINWEIS: Fotos von der Sendung finden Sie auf der Website des Parlaments.