2253/AB-BR/2006

Eingelangt am 16.11.2006
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BM für Justiz

Anfragebeantwortung

 

 

 

 

 

 

DIE  BUNDESMINISTERIN
           FÜR  JUSTIZ

BMJ-Pr7000/0059-Pr 1/2006

 

An den

                                      Herrn Präsidenten des Bundesrates

                                                                                                                           W i e n

 

zur Zahl 2449/J-BR/2006

 

Die Bundesräte Jürgen Weiss, Edgar Mayer, Ing. Reinhold Einwallner, Kolleginnen und Kollegen haben an mich eine schriftliche Anfrage betreffend „Tilgungsfristen bei Sexualstraftätern“ gerichtet.

Ich beantworte diese Anfrage wie folgt:

Zu 1 bis 3:

Die Tilgung einer Verurteilung dient der Rehabilitierung des Verurteilten und damit der Spezialprävention. Nach dem Tilgungsgesetz hängt die Tilgungsfrist von der Dauer der im konkreten Fall ausgesprochenen Strafe ab, wobei im Fall einer Verurteilung zu einer lebenslangen Freiheitsstrafe keine Tilgung möglich ist. Da die im konkreten Fall ausgesprochene Strafe von der gesetzlichen Strafdrohung abhängig ist, fließt die Wertung des Gesetzgebers über die Schwere der Tat in die Strafzumessung ein, welche wiederum für die Tilgungsfrist ausschlaggebend ist. Das System der Tilgungsfristen knüpft ausschließlich und unabhängig von der Deliktsgruppe an die Höhe der verhängten Strafe (und die Anzahl der Verurteilungen) an. Daher kann auch eine Verurteilung wegen Mordes unter den im Gesetz bezeichneten Voraussetzungen getilgt werden, sofern der Täter nicht zu lebenslanger Freiheitsstrafe verurteilt wurde. Die Einführung von Sonderbestimmungen für Sexualdelikte hinsichtlich der Tilgungsfrist würde also einen Systembruch innerhalb des Tilgungsrechts darstellen, der sachlich kaum zu rechtfertigen wäre und damit in einem Spannungsverhältnis zum verfassungsrechtlichen Gleichheitsgrundsatz (Art. 7 Abs. 1      B-VG; Art 2 Staatsgrundgesetz) stünde.

Darüber hinaus gebe ich zu bedenken, dass die Tilgungsfristen nicht kurz bemessen sind: Wurde jemand nur einmal verurteilt, so beträgt die Tilgungsfrist zehn Jahre, wenn er zu einer Freiheitsstrafe von mehr als einem Jahr und höchstens drei Jahren verurteilt worden ist (§ 3 Abs. 1 Z 3 TilgungsG), jedoch fünfzehn Jahre, wenn er zu einer mehr als dreijährigen Freiheitsstrafe verurteilt oder seine Unterbringung in einer Anstalt für geistig abnorme Rechtsbrecher nach § 21 Abs. 1 StGB angeordnet worden ist (§ 3 Abs. 1 Z 4 TilgungsG). Wird jemand hingegen rechtskräftig verurteilt, bevor eine oder mehrere frühere Verurteilungen getilgt sind, so tritt die Tilgung aller Verurteilungen nur gemeinsam ein (§ 4 Abs. 1 TilgungsG). Die Tilgungsfrist ist in diesem Fall unter Zugrundelegung der Summe der aufgrund aller noch nicht getilgten Verurteilungen verhängten Strafen nach § 3 TilgungsG zu bestimmen, sie muss aber mindestens die nach § 3 TilgungsG bestimmte Einzelfrist, die am spätesten enden würde, um so viele Jahre übersteigen, als rechtskräftige und noch nicht getilgte Verurteilungen vorliegen. Die zuletzt rechtskräftig gewordene Verurteilung ist mitzuzählen (§ 4 Abs. 2 TilgungsG). Schließlich können Verurteilungen zu lebenslanger Freiheitsstrafe nicht getilgt werden und schließen auch die Tilgung aller anderen Verurteilungen aus.

Die Strafdrohung für das Delikt des schweren sexuellen Missbrauchs von Unmündigen (§ 206 StGB) beträgt alleine in seiner Grundform ein bis zehn Jahre Freiheitsstrafe. Die Tilgungsfrist für eine entsprechende Verurteilung wird danach grundsätzlich entweder zehn Jahre (§ 3 Abs. 1 Z 3 TilgungsG) oder fünfzehn Jahre (§ 3 Abs. 1 Z 4 TilgungsG) betragen. Die Tilgungsfrist (§ 2 Abs. 1 TilgungsG) beginnt zudem erst, sobald alle Freiheits- oder Geldstrafen und die mit Freiheitsentzug verbundenen vorbeugenden Maßnahmen vollzogen sind, als vollzogen gelten, nachgesehen worden sind oder nicht mehr vollzogen werden dürfen. Im Falle einer zur Gänze unbedingt ausgesprochenen Freiheitsstrafe beginnt die Tilgungsfrist demnach erst mit deren vollständiger Vollstreckung. Im Falle einer bedingten Nachsicht eines Teils der Strafe, insbesondere aber in dem - im gegebenen Zusammenhang wesentlicheren - Fall einer bedingten Entlassung aus einer Freiheitsstrafe beginnt die Tilgungsfrist ohnedies nur dann im Zeitpunkt der bedingten Entlassung bzw. der Vollstreckung der Teilfreiheitsstrafe zu laufen, wenn der Täter innerhalb der Probezeit nicht neuerlich straffällig geworden ist.

Im Hinblick auf diese Berechnungsmodalitäten erscheinen mir die Tilgungsfristen ausreichend bemessen zu sein. Darüber hinaus ist zu berücksichtigen, dass die Aussicht auf Tilgung einer Verurteilung und damit zukünftige Unbescholtenheit spezialpräventiv für den Täter eine Motivation darstellt, keine weiteren (einschlägigen) Straftaten mehr zu begehen. Dieser Anreiz für den Täter sollte durch unverhältnismäßige Verlängerung der Tilgungsfrist, die faktisch wohl eine Untilgbarkeit der Verurteilung zur Folge hätte, nicht aufgegeben werden.

Daher gibt es im Bundesministerium für Justiz derzeit auch keine Überlegungen, bei gerichtlichen Verurteilungen wegen Sexualstrafdelikten die Tilgungsfristen anzuheben.

Zu 4:

Ich stimme mit den Anfragestellern überein, dass es vordringliches Ziel einer geordneten Strafrechtspflege sein muss, die Rückfallsgefahr so weit wie möglich zu vermindern. Ich verweise hier etwa auf die Begutachtungsstation für Sexualstraftäter in Wien-Floridsdorf (Außenstelle der Justizanstalt Wien-Mittersteig), die dazu beigetragen hat, Prognosen für die Entscheidung über eine bedingte Entlassung auf eine sicherere, wissenschaftlich fundierte Grundlage zu stellen. Ich trete für einen Ausbau dieser Begutachtungsstation ein, damit tatsächlich alle Sexualstraftäter behandelt und begutachtet werden können. Es wird Aufgabe der zukünftigen Bundesregierung sein, hier auch die erforderlichen Vorkehrungen für eine entsprechende Dotierung im Haushalt des Justizressorts vorzusehen.

Das Vorhaben, der Rückfallsgefahr bei Sexualstraftätern entgegenzuwirken, geht über Österreichs Grenzen hinaus. Im Rahmen der dritten Säule der EU wurden einschlägige Initiativen vorgelegt, die sich mit der gegenseitigen Anerkennung von Berufsverboten befassen (Entwurf eines Rahmenbeschlusses des Rates betreffend die Anerkennung und Vollstreckung in der Europäischen Union von Berufsverboten aufgrund von Verurteilungen wegen Sexualstraftaten gegen Kinder, Dok. 14207/04 COPEN 133 + ADD 1; Mitteilung der Kommission an den Rat und das Europäische Parlament über Rechtsverluste infolge strafrechtlicher Verurteilungen in der Europäischen Union vom 21.2.2006 KOM(2006) 73 endgültig). Wie schwierig sich die Verhandlungen auf diesem Gebiet erweisen, zeigt der Umstand, dass über eine einschlägige Initiative Dänemarks aus dem Jahr 2002 (ABl. C 223 vom 19.9.2002, S. 17) im Rat keine Einigung erzielt werden konnte.

Neben diesen Vorhaben für einen verstärkten Austausch von Informationen aus den einzelstaatlichen Registern zur Erfassung von Verurteilungen und Rechtsverlusten, insbesondere bei Sexualstraftätern, verpflichtet aber bereits der Rahmenbeschluss 2004/68/JI des Rates zur Bekämpfung der sexuellen Ausbeutung von Kindern und der Kinderpornografie die Mitgliedstaaten, die erforderlichen Maßnahmen zu treffen, um sicherzustellen, dass eine natürliche Person, die wegen einer im Rahmenbeschluss erwähnten Straftat verurteilt wurde, vorübergehend oder dauerhaft daran gehindert werden kann, eine die Beaufsichtigung von Kindern einschließende berufliche Tätigkeit auszuüben (Artikel 5 Absatz 3). Dies bedeutet nicht, dass ein Strafurteil dieser Art stets eine Aberkennung von Rechten nach sich ziehen, dass aber jeder Mitgliedstaat die Aberkennung von Rechten als mögliche Sanktion in seinem Strafkatalog vorsehen muss (siehe die Regelung des Amtsverlustes nach § 27 StGB). 

Ich ziehe daher grundsätzlich eine Ausweitung von Verständigungspflichten und Berufsverboten einer Ausdehnung der Tilgungsfristen vor.

. November 2006

 

(Maga. Karin Gastinger)