2590/AB-BR/2011

Eingelangt am 29.04.2011
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BM für Justiz

Anfragebeantwortung

 

 

DIE  BUNDESMINISTERIN
           FÜR  JUSTIZ

BMJ-Pr7000/0062-Pr 1/2011

 

An den

                                      Herrn Präsidenten des Bundesrates

                                                                                                                           W i e n

 

zur Zahl 2798/J-BR/2011

 

Der Bundesrat Mag. Reinhard Pisec und weitere Bundesräte haben an mich eine schriftliche Anfrage betreffend „Verfahrensdauer in Zivilrechtssachen“ gerichtet.

Zu 1 und 2:

Die Kommission für die Effizienz der Justiz (CEPEJ) des Europarates veröffentlicht alle zwei Jahre (zuletzt 2010) einen Bericht über die Evaluierung der europäischen Gerichtssysteme. Dieser Bericht enthält 2 Mio. Daten von 45 europäischen Ländern und liefert Analysen und Trends zu den europäischen Justizsystemen (im Internet abrufbar:  http://www.coe.int/t/dghl/cooperation/cepej/evaluation/default_en.asp). Daraus ergibt sich für Österreich sehr Erfreuliches:

Die Leistungen der österreichischen Justiz sind im europäischen Vergleich hervorragend; das betrifft ganz besonders die kurzen Erledigungszeiten im streitigen Zivilverfahren, und das bei gleichzeitig geringem Budgetaufwand.


Alle Leistungsdaten der Justiz sind im europäischen Spitzenfeld zu finden. Die österreichische Justiz arbeitet so schnell wie sonst kaum eine andere in Europa. Österreich muss daher kaum Verurteilungen im Sinne des Art. 6 der EMRK auf Grund der Länge von Verfahren hinnehmen.

Exemplarisch wird vom Europarat die „errechnete Verfahrensdauer in streitigen Zivilsachen“ und die „gemessene Verfahrensdauer in streitigen Scheidungssachen“ untersucht:

Errechnet man die Anhängigkeitsdauer, so ergibt sich für Österreich ein äußerst positives Bild: Nur in der Russischen Föderation, Aserbaidschan, Litauen, Moldawien, Georgien und Albanien sind streitige Verfahren kürzer anhängig. Dazu ist anzumerken, dass diese Länder teilweise über eine ausgeprägte Friedensgerichtsbarkeit verfügen und Verfahren der ordentlichen Gerichtsbarkeit, auf deren Beweisergebnissen aufbauend, erst im Anschluss stattfinden. Alle Länder West- und Mitteleuropas weisen eine teils signifikant längere Anhängigkeitsdauer von Zivilverfahren aus als Österreich:


Auch der Rechnungshof hat bei seiner diesbezüglich letzten Prüfung der Verfahrensdauer in zivilgerichtlichen Verfahren (Bericht: Bund 2009/12 vom 3. November 2009) festgestellt, dass Österreich (schon) im Jahr 2008 mit seiner durchschnittlichen Dauer streitiger zivilgerichtlicher Verfahren im internationalen Vergleich an fünfter Stelle von insgesamt 28 Staaten lag.

Diese erfreuliche internationale Vergleichslage ist ein Ansporn, den internationalen Spitzenplatz zu wahren und weiter an Verbesserungen zu arbeiten. So setzt sich das Bundesministerium für Justiz (BMJ) bei jeder Gelegenheit und besonders im Rahmen der Budgetverhandlungen gegenüber dem Bundeskanzleramt und dem Bundesministerium für Finanzen mit allem Nachdruck für eine angemessene Personaldotation der Justiz ein. Dabei wird darauf hingewiesen, dass

-       im Kernbereich der Hoheitsverwaltung gesetzlich vorgegebene, nicht steuer- oder reduzierbare Aufgaben wahrzunehmen sind;

-       neue Gesetze zu vollziehen sind, wie beispielsweise die Vorverfahrensreform und das strafrechtliche Kompetenzpaket (sKp);

-       den Maßnahmen zur Verfahrensbeschleunigung (z.B. verstärkter Einsatz von „Sprengelrichtern“) Priorität zukommt;

-       hohe Rechtssicherheit der Entscheidung, Einzelfallgerechtigkeit und Transparenz sowie der Zugang zum Recht weiterhin zu gewährleisten sind, ebenso ein humaner und sicherer Straf- und Maßnahmenvollzug.

 

Der Erfolg dieser Bemühungen zeigt sich darin, dass die Justiz von den – die meisten Ressorts treffenden – Einsparungsvorgaben weitgehend ausgenommen wurde, ja insbesondere zur Bekämpfung der Wirtschaftskriminalität, Stärkung der Wirtschaftskompetenz und damit des Wirtschaftsstandorts Österreich sowie für die Familiengerichtsbarkeit sogar zusätzliche Kapazitäten erwirken konnte. So wurde trotz der Sparzwänge in intensiven Verhandlungen erreicht, dass entgegen den ursprünglichen Einsparungsvorgaben (Reduktion von rund 170 Planstellen bis zum Jahr 2014) der Personalstand im Ressort bis zum Jahr 2013/2014 gehalten werden kann. Zu diesem Zweck konnte bereits 2010 eine unterjährige Anpassung des Personalplans 2010 erreicht werden (4. BFG-Novelle 2010), mit der insgesamt 151 zusätzliche Planstellen (darunter Planstellen für Richter, Staatsanwälte, Richteramtsanwärter, Beamte und Vertragsbedienstete) der Justiz zugewiesen werden konnten. Im Jahr 2011 wird die Zahl der Richter um weitere 3, jene der Staatsanwälte um 9 sowie die Zahl der Richteramtsanwärter sogar um 58 angehoben. Dies bedeutet, dass ungeachtet einiger weniger Anpassungen im Infrastrukturbereich die Anzahl der Justizplanstellen 2011 (im Vergleich zu 2010) um saldiert 47 steigt. 2010 und 2011 zusammengerechnet ergibt dies eine Steigerung um 198 Planstellen. Rechnet man die Personalpläne 2010 und 2011 zusammen, ergibt dies eine Steigerung um 198 Planstellen.

Die Ressourcen werden innerhalb der Justiz gerecht und nachvollziehbar aufgeteilt. Auf die Entwicklung der Auslastungssituation in den verschiedenen Bereichen wird dabei Bedacht genommen.

Zudem soll das Budgetbegleitgesetz 2011 zu Entlastungen der Justizmitarbeiter beitragen (z.B. Entfall der Protokollierung von Rechtsmitteln; verbesserte Einsatzmöglichkeiten für Richteramtsanwärter; noch stärkere Nutzung des elektronischen Rechtsverkehrs).

Insoweit ein Defizit an Personal bei den Schreibabteilungen der Gerichte angesprochen wurde, konnte diesem durch die elektronische Schreibgutverwaltung (ESGV), also die Herstellung von Protokollen und Entscheidungsentwürfen durch Heimschreibkräfte, erfolgreich entgegengesteuert werden. Im Jahr 2010 wurde auf diesem Wege Schreibgut von zusätzlich 209 externen Schreibkräften erstellt.

Dass sich alle diese Maßnahmen und Bemühungen der Justiz nicht nur in der Statistik niederschlagen, sondern auch von der Bevölkerung wahrgenommen werden, zeigt der Umstand, dass auch Anfragen der Volksanwaltschaft zur (langen) Verfahrensdauer rückläufig sind, also Beschwerden in diesem Bereich zurückgehen.

Zu 3:

Es ist (auch budgetär) dafür Vorsorge getroffen, dass – der bisherigen Praxis entsprechend – bei besonders geeigneten Rechtspraktikanten/innen, die für eine Aufnahme in den richterlichen Vorbereitungsdienst in Betracht kommen, die ab 1. Juli 2011 vorgesehene Frist von fünf Monaten verlängert werden kann, bis sich die Frage einer allfälligen Aufnahmemöglichkeit in den Justizdienst klären lässt. Für eine Ausbildung dieser Rechtspraktikanten auf hohem Niveau soll daher weiterhin Sorge getragen werden können.

Im Übrigen liegt der Verkürzung der Dauer der Gerichtspraxis auch die Überlegung zugrunde, dass, soweit es sich nicht um Personen handelt, die später auf eine Justizplanstelle übernommen werden, Ausbildungsleistungen für Dritte (wie Rechtsanwälte, Notare, Unternehmen) ohne jedwede finanzielle Abgeltung für die Justiz erbracht werden.


Zu 4 bis 6:

Die zu den Fragepunkten 1 und 2 beschriebenen Maßnahmen sollen zu einer Stärkung des Personaleinsatzes im Rechtsprechungs- und Infrastrukturbereich (einschließlich Schreibdienste) beitragen, damit aber auch der Wirtschaft und der Attraktivität des Wirtschaftsstandorts Österreich zugute kommen. Im internationalen Vergleich weist Österreich – wie betont – hervorragende Daten zur Verfahrensdauer auf. Die Gründe für die wenigen Fälle mit einer überdurchschnittlichen Verfahrensdauer sind in der Regel vielfältiger Natur; sie sind häufig durch den betreffenden Verhandlungsrichter kaum beeinflussbar (so wie etwa Parteienanträge auf Beiziehung weiterer Sachverständiger, lange Bearbeitungsdauer des Aktes beim Gutachter, Rechtshilfevernehmungen im Ausland u.a.m.). Eine budgetäre Bezifferung der Auswirkungen wäre daher kaum bzw. wenn überhaupt nur mit einem unvertretbar hohen – im Rahmen einer Anfragebeantwortung nicht leistbaren – Aufwand möglich. In den wenigen Fällen, in denen Gründe für Verzögerungen im Bereich der Justiz liegen, werden umgehend die jeweils erforderlichen dienstaufsichtsbehördlichen Maßnahmen ergriffen. Es liegen mir jedenfalls keinerlei Hinweise vor, dass Investitionen in den Wirtschaftsstandort Österreich wegen angeblicher Versäumnisse der Justiz unterblieben wären; im Gegenteil, der Wirtschaftsstandort Österreich und seine hohen rechtsstaatlichen Standards gelten nach wie vor als vorbildlich.

 

. April 2011

 

(Dr. Beatrix Karl)