2734/AB-BR/2013

Eingelangt am 26.08.2013
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BM für Justiz

Anfragebeantwortung

BMJ-Pr7000/0176-Pr 1/2013


Republik Österreich
die bundesministerin für justiz

 

 

Museumstraße 7

1070 Wien

 

Tel.: +43 1 52152 0

E-Mail: team.pr@bmj.gv.at

 

 

Herr
Präsident des Bundesrates

 

 

Zur Zahl 2952/J-BR/2013

Die Bundesräte Marco Schreuder, Kolleginnen und Kollegen haben an mich eine schriftliche Anfrage betreffend „Justiz und homophobe Gewalt“ gerichtet.

Ich beantworte diese Anfrage wie folgt:

 

Zu 1:

Zunächst verweise ich darauf, dass sich diese Frage auf Strafsachen bezieht, die nach Abschluss der staatsanwaltschaftlichen Ermittlungen zu keinem Hauptverfahren geführt haben und das Ermittlungsverfahren gemäß § 12 StPO nicht öffentlich ist, weshalb mir eine Beantwortung nur soweit möglich ist, als Persönlichkeitsrechte von Verfahrensbeteiligten nicht verletzt werden. Soweit höchstpersönliche Details zu den Lebensumständen von Verfahrensbeteiligten betroffen sind, ist ferner auf meine Verpflichtung zum Datenschutz hinzuweisen.


Die Vorgangsweise der Staatsanwaltschaften Wien im Verfahren 118 BAZ 1304/12a und der Staatsanwaltschaft St. Pölten im Verfahren 30 BAZ 1026/12k ist aufsichtsbehördlich nicht zu beanstanden. In keinem der beiden Fälle haben die Ergebnisse des Ermittlungsverfahrens Anhaltspunkte zur Unterstellung eines homophoben Motives für die Verweisung der Festbesucher aus dem Veranstaltungsgelände bzw. die Tätlichkeiten ergeben, sodass die in der Frage vorgenommene Verknüpfung der Verfahrenserledigung der Staatsanwaltschaften mit der Erfüllung der staatlichen Pflicht zum Schutz der Opfer homophober Gewalt jeglicher Grundlage entbehrt.

Das Ergebnis der aufsichtsbehördlichen Prüfung der Vorgangsweise der Staatsanwaltschaften Wien und St. Pölten ist seriöser Weise nicht im Hinblick auf die in der Anfrageeinleitung dargelegten „konkreten Umstände der beiden Fälle“, sondern den in den angesprochenen Ermittlungsverfahren nach Durchführung umfangreicher Ermittlungen, insbesondere der Einvernahme zahlreicher Zeugen, festgestellten Lebenssachverhalt zu begründen.

Dabei ist festzuhalten, dass sich die Darstellung der Vorfälle in der Anfrageeinleitung als einseitig an den Angaben der Veranstaltungsbesucher „J.E.“ und „R.M“ orientiert erweist, die im Verfahren 30 BAZ 1026/12k der Staatsanwaltschaft St. Pölten mit der Beweislage im Ermittlungsakt nicht in Einklang zu bringen waren und im Verfahren 118 BAZ 1304/12a der Staatsanwaltschaft Wien zumindest entscheidungswesentliche Tatsachen außer Acht lassen.

Zu 2 und 7:

Derzeit sehe ich – zumal im Lichte der Systematik des österreichischen Strafgesetzbuches insgesamt, aber eben auch im Lichte des existierenden § 33 Abs. 1 Z 5 StGB im Besonderen –  keine Veranlassung, die Schaffung einer eigenen Kategorie von aus Hass begangenen Delikten (welcher Art auch immer) vorzuschlagen. Ich habe jedoch aus Anlass des 40jährigen Bestehens des Strafgesetzbuches eine Gruppe aus Expertinnen und Experten aus Wissenschaft und Praxis mit der Prüfung der Angemessenheit insbesondere der Strafdrohungen betraut, deren Ergebnisse im kommenden Jahr vorliegen sollen. Ich weiß, dass in dieser Gruppe über die Strafdrohungen hinaus auch über die Angemessenheit der Strafzumessungsregeln insgesamt diskutiert werden wird, sodass dort auch Fragen wie die hier aufgeworfenen Berücksichtigung finden können.

Im Lichte der in der Anfragebegründung zitierten Judikatur des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte (EGMR) einerseits, der die sexuelle Orientierung ungeachtet des Umstands, dass sie dort nicht ausdrücklich genannt ist, in den Anwendungsbereich des Art. 14 EMRK fallend betrachtet (und es daher im Fall X gegen die Türkei zu einer Verletzung auch des Art. 14 EMRK gekommen ist), sowie im Hinblick auf die (gleichfalls) demonstrative Aufzählung der besonders   verwerflichen   Beweggründe  in  §  33 Abs.  1  Z  5  StGB  und  den  Katalog  der geschützten Gruppen in § 283 StGB andererseits,  wird  man  wohl  davon  ausgehen können,


dass Homophobie schon de lege lata ein besonders verwerfliches Motiv im Sinne des § 33 Abs. 1 Z 5 StGB darstellt. Die Frage, ob die derzeitige Aufzählung des § 33 Abs. 1 Z 5 StGB überhaupt und gegebenenfalls um welche weiteren Beispiele für besonders verwerfliche Motive erweitert werden soll, erscheint mir zum jetzigen Zeitpunkt gleichfalls am besten in der „Expertengruppe für das StGB 2015“ aufgehoben.

Wie gesagt, sollen die Ergebnisse der Expertengruppe noch im Jahr 2014 vorliegen, sodass die politische Diskussion darüber mit Bezug auf das 40-Jahr-Jubiläum stattfinden kann.

Zu 3:

Ganz grundsätzlich möchte ich darauf verweisen, dass im Strafverfahren der in § 3 StPO verankerte Grundsatz der Objektivität und materiellen Wahrheitsforschung gilt und es daher nicht angemessen ist, wenn homophobe Motive bei der Ermittlung und Beurteilung von Sachverhalten von wem auch immer ausgeblendet werden, wenngleich das Motiv bei der Einordnung der Gewalttat keine Rolle spielt.  

Dennoch kann nur aufgrund einer umfassenden Aufklärung samt den dahinterstehenden Motiven eine Abwägung im Hinblick auf die Schwere der Schuld vorgenommen werden.

Zu 4:

Diesem Punkt ist in der Anfrage keine Frage zugeordnet.

Zu 5 und 6:

Die bestmögliche Aufklärung des Sachverhaltes ist in weiterer Folge auch wesentlich, um entscheiden zu können, ob einem Beschuldigten/einer Beschuldigten eine Diversionsmaßnahme in Aussicht gestellt werden kann oder diese aus spezial- und generalpräventiven Gründen nicht möglich ist. Eine allgemein gültige Antwort kann in diesem Zusammenhang aber nicht gegeben werden, zumal es für die Beantwortung dieser Einschätzung auf eine ganzheitliche Abwägung aller unrechts- und schuldrelevanten Tatumstände ankommt und letztlich die Schwere der Schuld, die eine Diversion ausschließen könnte, im Einzelfall beurteilt werden muss, wofür auch die Berücksichtigung sämtlicher Begleitumstände und Motive Voraussetzung ist. Einen generellen Ausschluss der Diversion für einzelne Motive erachte ich aber nicht als zielführend, zumal diversionelles Vorgehen ohnedies nur möglich ist, wenn die Straftat nicht in die Zuständigkeit des Landesgerichts als Schöffen- oder Geschworenengericht fällt, die Schuld des Beschuldigten nicht als schwer (§ 32 StGB) anzusehen wäre und die Tat nicht den Tod eines Menschen zur Folge gehabt hat. Grundsätzlich kann homophobe Gewalt, wie auch jede andere denkbare Form von Gewalt, als besonders verwerflicher Beweggrund unter den besonderen Erschwerungsgrund des § 33 Abs. 1 Z 5 StGB subsumiert werden.

Zu 8:

Bei einem Vorgehen der Staatsanwaltschaft oder des Gerichts nach dem  XI.  Hauptstück  der


StPO (Diversion) sind stets die Interessen der Opfer zu prüfen und im größtmöglichen Ausmaß zu fördern. Dies gilt für alle Opfer; Sonderregelungen für Opfer rassistischer, homophober oder ähnlicher Gewalttaten stehen nicht zur Disposition. Gemäß § 206 Abs. 1 StPO hat das Opfer auch das Recht, eine Vertrauensperson beizuziehen und es ist jedenfalls so bald wie möglich umfassend über seine Rechte und über geeignete Opferschutzeinrichtungen zu informieren. Derzeit ist die Schaffung von Sonderregelungen für Opfer von homophober Gewalt nicht geplant.

Zu 9:

Insofern hier das Institut der Grundrechtsbeschwerde nach dem Grundrechtsbeschwerdegesetz (GRBG) angesprochen ist, so darf ich darauf verweisen, dass jeder, der durch eine strafgerichtliche Entscheidung oder Verfügung in seinem Grundrecht auf persönliche Freiheit betroffen ist, nach Erschöpfung des Instanzenzuges den Obersten Gerichtshof anrufen kann. Durch diese Beschwerde ist tatsächlich nur dieses eine und besonders wichtige Grundrecht geschützt. Dies stellt aber aus meiner Sicht keine Ungleichbehandlung gegenüber den Opfern dar. Opfern stehen im Strafverfahren ebenso Rechte, Rechtsmittel und Rechtsbehelfe zu. Zu nennen wäre zum Beispiel der Antrag auf Fortführung nach § 195 StPO, aber auch der Einspruch wegen Rechtsverletzung nach § 106 StPO, wenn im Ermittlungsverfahren die Ausübung eines Rechts nach der StPO verweigert wird.

Darüber hinaus möchte ich betonen, dass mir der Schutz der Opfer ein besonderes Anliegen darstellt und aus diesem Grund auch der ständige Austausch mit den Opferschutzeinrichtungen gepflogen wird, um die Situation stetig zu verbessern. In diesem Sinne werden selbstverständlich auch die mit der Anfrage verbundenen Anregungen aufgegriffen und zum Anlass genommen werden, bei den Rechtsanwenderinnen und ‑anwendern in der Praxis noch mehr Bewusstsein und Sensibilität im Hinblick auf diese Erscheinungsform der Gewalt zu schaffen.

Zu 10:

Das Phänomen der Begehung von Straftaten aus diskriminierenden, geschlechts- und sexualitätsbezogenen Motiven ist unter verschiedenen Gesichtspunkten Gegenstand zahlreicher Fortbildungsveranstaltungen.

So befasst sich etwa die Kriminologie mit Ursachen und Erscheinungsformen von Kriminalität und umfasst somit auch das Phänomen der Diskriminierung anderer Menschen als mögliches Motiv von Straftaten. Mit Kriminologie und somit dem Thema Diskriminierung beschäftigen sich  zahlreich  angebotene  Veranstaltungen,  wie  etwa der bundesweit jährlich veranstaltete Grundrechtstag, regelmäßig abgehaltene Strafrechtsseminare, die jährlich stattfindende Jugendrichtertagung, etc. Bei diesen Veranstaltungen werden auch Fragen der

Strafzumessung, die ein gewichtiges Kriterium bei Hasskriminalität darstellt,  sowie  Antworten


des Strafrechts auf neue Formen kriminellen Verhaltens und aktuelle Entwicklungen im Strafrecht behandelt.

Um die Ahndung von Diskriminierung als Tatmotiv seitens der Richterinnen, Richter, Staatsanwältinnen und Staatsanwälte sicherzustellen, sind aber Grund- und Menschenrechte einschließlich des Antidiskriminierungsrechts seit dem Jahr 2008 auch Prüfungsstoff für die Richteramtsprüfung (§ 16 Abs. 4 Z 4 RStDG). Während ihrer Ausbildung haben daher alle angehenden österreichischen Richterinnen, Richter, Staatsanwältinnen und Staatsanwälte verpflichtend ein dreitägiges Grundrechtsmodul „Curriculum Grundrechte“, in dem auch Antidiskriminierungsfragen behandelt werden, zu absolvieren. Neben diesem verpflichtenden Grundrechtsmodul besteht zusätzlich die Möglichkeit einer Studienreise zum Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR) zur vertiefenden Behandlung dieses Themenkomplexes, um zur Sensibilisierung der Teilnehmerinnen und Teilnehmer in strafrechtlichen Entscheidungen beizutragen.

Darüber hinaus werden laufend Fortbildungsveranstaltungen für Richterinnen, Richter, Staatsanwältinnen und Staatsanwälte durchgeführt, die sich mit den unterschiedlichsten Formen der Antidiskriminierung befassen und bereits von zahlreichen Justizangehörigen besucht wurden. Beispielsweise vermittelt das Seminar „Gleichbehandlungsrecht“ aktuellste Entwicklungen im Gleichbehandlungsrecht.

Schließlich besteht zur weiteren Sensibilisierung aller Richterinnen, Richter, Staatsanwältinnen und Staatsanwälte sowie der Richteramtsanwärterinnen und -anwärter die Möglichkeit, an einschlägigen Fortbildungsprogrammen ausländischer Veranstalter (z.B. Europäische Rechtsakademie u.a.) teilzunehmen, um so das Thema auch aus einem internationalen Blickwinkel betrachten und erörtern zu können.

Hingewiesen wird auch auf die verstärkt eingesetzte Möglichkeit der Vernetzung mit diversen Opferschutzeinrichtungen bei Fortbildungsveranstaltungen sowie den vermehrten Einsatz von Vortragenden aus diesem Bereich in interdisziplinären Veranstaltungen.

Trotz dieses bereits sehr vielfältigen Angebots an Veranstaltungen wird aufgrund der Wichtigkeit dieser Thematik bei der Planung des Fortbildungsprogramms laufend verstärkter Wert auf diesen Themenbereich gelegt, um durch gezielte Maßnahmen der Aus- und Fortbildung in Form von ständiger Vertiefung und Eingehen auf aktuelle Entwicklungen eine erhöhte Sensibilisierung zu fördern und dadurch sämtlichen Formen der Diskriminierung entgegenzuwirken.

 

Wien,        . August 2013

 

Dr. Beatrix Karl