Stenographisches Protokoll

706. Sitzung des Bundesrates der Republik Österreich

 

 

 

Donnerstag, 11. März 2004

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 


Stenographisches Protokoll

706. Sitzung des Bundesrates der Republik Österreich

Donnerstag, 11. März 2004

Dauer der Sitzung

Donnerstag, 11. März 2004: 9.01 – 21.21 Uhr

*****

Tagesordnung

1. Punkt: Wahl eines Schriftführers für den Rest des 1. Halbjahres 2004

2. Punkt: Bundesgesetz über die Universität für Weiterbildung Krems (DUK-Gesetz 2004)

3. Punkt: Vereinbarung gemäß Art. 15a B-VG zwischen dem Bund und dem Land Niederösterreich über den Ausbau des Universitätszentrums für Weiterbildung (Donau-Universität Krems) samt Anlage

4. Punkt: Übereinkommen zwischen der Republik Österreich, der Republik Bulgarien, der Republik Kroatien, der Tschechischen Republik, der Republik Ungarn, der Republik Polen, Rumänien, der Slowakischen Republik und der Republik Slowenien zur Förde­rung der Zusammenarbeit auf dem Gebiet der Hochschulbildung im Rahmen des Cent­ral European Exchange Programme for University Studies („CEEPUS II“)

5. Punkt: Kulturbericht 2002 der Bundesministerin für Bildung, Wissenschaft und Kul­tur

6. Punkt: Bundesgesetz, mit dem das Konsulargebührengesetz 1992 geändert wird

7. Punkt: Rahmenabkommen zwischen der Republik Österreich und der Slowakischen Republik über die grenzüberschreitende Zusammenarbeit von Gebietskörperschaften

8. Punkt: Europa-Mittelmeer-Abkommen zur Gründung einer Assoziation zwischen den Europäischen Gemeinschaften und ihren Mitgliedstaaten einerseits und der Arabi­schen Republik Ägypten andererseits samt Anhängen, Protokollen und Schlussakte

9. Punkt: Europa-Mittelmeer-Assoziationsabkommen zwischen der Europäischen Ge­meinschaft und ihren Mitgliedstaaten einerseits und der Libanesischen Republik ande­rerseits samt Anhängen, Protokollen und Schlussakte

10. Punkt: Europa-Mittelmeer-Abkommen zur Gründung einer Assoziation zwischen der Europäischen Gemeinschaft und ihren Mitgliedstaaten einerseits und der Demokra­tischen Volksrepublik Algerien andererseits samt Anhängen, Protokollen und Schluss­akte

11. Punkt: Außenpolitischer Bericht 2001 der Bundesregierung

12. Punkt: Außenpolitischer Bericht 2002 der Bundesregierung


Bundesrat
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706. Sitzung / Seite 2

13. Punkt: Bundesgesetz, mit dem die Strafprozessordnung 1975 neu gestaltet wird (Strafprozessreformgesetz)

14. Punkt: Bundesgesetz, mit dem das Allgemeine Sozialversicherungsgesetz, das Gewerbliche Sozialversicherungsgesetz und das Bauern-Sozialversicherungsgesetz geändert werden (Sozialversicherungs-Änderungsgesetz 2004 – SVÄG 2004)

*****

Inhalt

Bundesrat

Schreiben des Präsidenten des Steiermärkischen Landtages betreffend Mandats­verzicht der Bundesrätin Johanna Schicker ........................................................................................................... 8

Angelobung des Bundesrates Günther Prutsch ......................................................... 9

Erklärung des Landeshauptmannes von Vorarlberg Dr. Herbert Sausgruber ge­mäß § 38 Abs. 3 der Geschäftsordnung – Bekanntgabe ................................................................................... 9

Verlangen auf Durchführung einer Debatte gemäß § 38 Abs. 4 der Geschäftsord­nung                   9

Landeshauptmann Dr. Herbert Sausgruber ............................................................... 9

Debatte:

Ilse Giesinger ................................................................................................................ 12

Albrecht Konecny ........................................................................................................ 13

Christoph Hagen ...................................................................................................  15, 22

Stefan Schennach ........................................................................................................ 18

Dr. Erich Gumplmaier ................................................................................................. 21

Dr. Renate Kanovsky-Wintermann ............................................................................ 23

1. Punkt: Wahl eines Schriftführers für den Rest des 1. Halbjahres 2004 ................... 44

Personalien

Verhinderungen ................................................................................................................ 8

Ordnungsruf ................................................................................................................. 145

Fragestunde (100.)

Bildung, Wissenschaft und Kultur ............................................................................. 24

Josef Saller (1306/M-BR/04); Dr. Renate Kanovsky-Wintermann, Dr. Ruperta Lichtenecker, Dr. Elisabeth Hlavac

Johann Giefing (1310/M-BR/04); Michaela Gansterer, Ing. Gerd Klamt, Elisabeth Kerschbaum

Dr. Renate Kanovsky-Wintermann (1305/M-BR/04); Eva Konrad, Werner Stadler, Karl Bader

Martina Diesner-Wais (1307/M-BR/04); Ing. Gerd Klamt, Elisabeth Kerschbaum, Adelheid Ebner


Bundesrat
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706. Sitzung / Seite 3

Theodor Binna (1311/M-BR/04); Martina Diesner-Wais, Dr. Renate Kanovsky-Wintermann, Dr. Ruperta Lichtenecker

Eva Konrad (1314/M-BR/04); Helmut Wiesenegg, Hans Ager, Dr. Peter Böhm

Dr. Georg Spiegelfeld-Schneeburg (1308/M-BR/04); Dr. Peter Böhm, Eva Kon­rad, Werner Stadler

Dr. Franz Eduard Kühnel (1309/M-BR/04); Mag. John Gudenus, Stefan Schenn­ach, Albrecht Konecny

Dr. Erich Gumplmaier (1313/M-BR/04); Franz Wolfinger, Dr. Renate Kanovsky-Wintermann, Eva Konrad

Nationalrat

Beschlüsse und Gesetzesbeschlüsse .......................................................................... 43

Ausschüsse

Zuweisungen .................................................................................................................. 43

Dringliche Anfrage

der Bundesräte Roswitha Bachner, Kolleginnen und Kollegen an den Bundes­minister für soziale Sicherheit, Generationen und Konsumentenschutz betreffend Pensionspolitik-Desaster der Bundesregierung (2157/J-BR/04) .......................................................................................................................... 112

Begründung: Roswitha Bachner ................................................................................ 113

Bundesminister Mag. Herbert Haupt ....................................................................... 117

Debatte:

Johann Kraml ............................................................................................................. 128

Josef Saller ................................................................................................................. 133

Dr. Ruperta Lichtenecker .......................................................................................... 134

Ing. Gerd Klamt .......................................................................................................... 135

Harald Reisenberger .................................................................................................. 138

Paul Fasching ............................................................................................................. 142

Stefan Schennach ...................................................................................................... 146

Christoph Hagen ........................................................................................................ 148

Dr. Erich Gumplmaier ............................................................................................... 150

Verhandlungen

Gemeinsame Beratung über

2. Punkt: Beschluss des Nationalrates vom 25. Februar 2004 betreffend ein Bun­desgesetz über die Universität für Weiterbildung Krems (DUK-Gesetz 2004) (385 d.B. und 408 d.B. sowie 6987/BR d.B.) ............................................................................................................................... 44

Berichterstatterin: Herta Wimmler ................................................................................ 45

3. Punkt: Beschluss des Nationalrates vom 25. Februar 2004 betreffend eine Vereinbarung gemäß Art. 15a B-VG zwischen dem Bund und dem Land Nieder­österreich über den Ausbau des Universitätszentrums für Weiterbildung (Donau-Universität Krems) samt Anlage (386 d.B. und 409 d.B. sowie 6988/BR d.B.) ................................................................................................................. 44

Berichterstatterin: Herta Wimmler ................................................................................ 45


Bundesrat
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706. Sitzung / Seite 4

4. Punkt: Beschluss des Nationalrates vom 25. Februar 2004 betreffend ein Übereinkommen zwischen der Republik Österreich, der Republik Bulgarien, der Republik Kroatien, der Tschechischen Republik, der Republik Ungarn, der Re­publik Polen, Rumänien, der Slowakischen Republik und der Republik Slowenien zur Förderung der Zusammenarbeit auf dem Gebiet der Hochschulbildung im Rahmen des Central European Exchange Programme for University Studies („CEEPUS II“) (345 d.B. und 410 d.B. sowie 6989/BR d.B.)          ............................................................................................................................... 44

Berichterstatterin: Herta Wimmler ................................................................................ 45

Redner:

Johann Höfinger ........................................................................................................... 45

Johann Giefing ............................................................................................................. 48

Dr. Renate Kanovsky-Wintermann ............................................................................ 50

Elisabeth Kerschbaum ................................................................................................ 52

Eva Konrad ................................................................................................................... 53

Bundesministerin Elisabeth Gehrer .......................................................................... 55

Annahme des Antrages der Berichterstatterin zu Punkt 2, gegen den vorliegen­den Beschluss des Nationalrates keinen Einspruch zu erheben .................................................................. 56

Annahme des Antrages der Berichterstatterin zu Punkt 3, gegen den vorliegen­den Beschluss des Nationalrates keinen Einspruch zu erheben .................................................................. 57

Annahme des Antrages der Berichterstatterin zu Punkt 4, gegen den vorliegen­den Beschluss des Nationalrates keinen Einspruch zu erheben .................................................................. 57

5. Punkt: Kulturbericht 2002 der Bundesministerin für Bildung, Wissenschaft und Kultur (III-254-BR/2004 d.B. sowie 6990/BR d.B.) ...................................................................................................... 57

Berichterstatterin: Herta Wimmler ................................................................................ 57

Redner:

Anna Schlaffer .............................................................................................................. 57

Herwig Hösele .............................................................................................................. 58

Mag. John Gudenus ..................................................................................................... 61

Albrecht Konecny ........................................................................................................ 64

Stefan Schennach ........................................................................................................ 67

Bundesministerin Elisabeth Gehrer .......................................................................... 69

Annahme des Antrages der Berichterstatterin, den Kulturbericht 2002 zur Kennt­nis zu nehmen             ............................................................................................................................... 72

Gemeinsame Beratung über

6. Punkt: Beschluss des Nationalrates vom 25. Februar 2004 betreffend ein Bun­desgesetz, mit dem das Konsulargebührengesetz 1992 geändert wird (355 d.B. und 393 d.B. sowie 6991/BR d.B.)                        72

Berichterstatter: Paul Fasching .................................................................................... 73

7. Punkt: Beschluss des Nationalrates vom 25. Februar 2004 betreffend das Rahmenabkommen zwischen der Republik Österreich und der Slowakischen Re­publik über die grenzüberschreitende Zusammenarbeit von Gebietskörperschaf­ten (344 d.B. und 394 d.B. sowie 6992/BR d.B.) ........................... 72

Berichterstatter: Paul Fasching .................................................................................... 73


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706. Sitzung / Seite 5

8. Punkt: Beschluss des Nationalrates vom 25. Februar 2004 betreffend das Europa-Mittelmeer-Abkommen zur Gründung einer Assoziation zwischen den Europäischen Gemeinschaften und ihren Mitgliedstaaten einerseits und der Ara­bischen Republik Ägypten andererseits samt Anhängen, Protokollen und Schlussakte (255 d.B. und 395 d.B. sowie 6993/BR d.B.) ................................................................. 72

Berichterstatter: Paul Fasching .................................................................................... 73

9. Punkt: Beschluss des Nationalrates vom 25. Februar 2004 betreffend Europa-Mittelmeer-Assoziationsabkommen zwischen der Europäischen Gemeinschaft und ihren Mitgliedstaaten einerseits und der Libanesischen Republik andererseits samt Anhängen, Protokollen und Schlussakte (388 d.B. und 396 d.B. sowie 6994/BR d.B.) ............................................................................................... 72

Berichterstatter: Paul Fasching .................................................................................... 73

10. Punkt: Beschluss des Nationalrates vom 25. Februar 2004 betreffend das Europa-Mittelmeer-Abkommen zur Gründung einer Assoziation zwischen der Europäischen Gemeinschaft und ihren Mitgliedstaaten einerseits und der Demo­kratischen Volksrepublik Algerien andererseits samt Anhängen, Protokollen und Schlussakte (389 d.B. und 397 d.B. sowie 6995/BR d.B.) ............................................ 72

Berichterstatter: Paul Fasching .................................................................................... 73

Redner:

Dr. Vincenz Liechtenstein ........................................................................................... 74

Anna Elisabeth Haselbach .......................................................................................... 75

Stefan Schennach ........................................................................................................ 76

Bundesministerin Dr. Benita Ferrero-Waldner .................................................  78, 82

Mag. John Gudenus ............................................................................................... ..... 80

Annahme des Antrages des Berichterstatters zu Punkt 6, gegen den vorliegen­den Beschluss des Nationalrates keinen Einspruch zu erheben .................................................................. 82

Annahme des Antrages des Berichterstatters zu Punkt 7, 1. gegen den vorlie­genden Beschluss des Nationalrates keinen Einspruch zu erheben und 2. dem Beschluss des Nationalrates im Sinne des Artikels 50 Abs. 1 zweiter Satz B-VG die verfassungsmäßige Zustimmung zu erteilen ................. 83

Annahme des Antrages des Berichterstatters zu Punkt 8, gegen den vorliegen­den Beschluss des Nationalrates keinen Einspruch zu erheben .................................................................. 83

Annahme des Antrages des Berichterstatters zu Punkt 9, gegen den vorliegen­den Beschluss des Nationalrates keinen Einspruch zu erheben .................................................................. 83

Annahme des Antrages des Berichterstatters zu Punkt 10, gegen den vorliegen­den Beschluss des Nationalrates keinen Einspruch zu erheben .................................................................. 83

Gemeinsame Beratung über

11. Punkt: Außenpolitischer Bericht 2001 der Bundesregierung (III-235-BR/2002 d.B. sowie 6996/BR d.B.)     ............................................................................................................................... 83

Berichterstatter: Paul Fasching .................................................................................... 83

12. Punkt: Außenpolitischer Bericht 2002 der Bundesregierung (III-246-BR/2003 d.B. sowie 6997/BR d.B.)     ............................................................................................................................... 83

Berichterstatter: Paul Fasching .................................................................................... 83


Bundesrat
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706. Sitzung / Seite 6

Redner:

Albrecht Konecny ........................................................................................................ 84

Mag. Harald Himmer .................................................................................................... 88

Harald Reisenberger .................................................................................................... 90

Mag. John Gudenus ..................................................................................................... 94

Stefan Schennach ........................................................................................................ 97

Hans Ager ..................................................................................................................... 99

Herwig Hösele ............................................................................................................ 102

Bundesministerin Dr. Benita Ferrero-Waldner ...................................................... 104

Roswitha Bachner ...................................................................................................... 108

Annahme des Antrages des Berichterstatters zu Punkt 11, den Außenpolitischen Bericht 2001 zur Kenntnis zu nehmen .................................................................................................................... 109

Annahme des Antrages des Berichterstatters zu Punkt 12, den Außenpolitischen Bericht 2002 zur Kenntnis zu nehmen .................................................................................................................... 109

13. Punkt: Beschluss des Nationalrates vom 26. Februar 2004 betreffend ein Bundesgesetz, mit dem die Strafprozessordnung 1975 neu gestaltet wird (Straf­prozessreformgesetz) (25 d.B. und 406 d.B. sowie 6999/BR d.B.) ............................................................................................................... 109

Berichterstatter: Ing. Gerd Klamt ............................................................................... 109

Redner:

Dr. Elisabeth Hlavac ................................................................................................... 109

Martina Diesner-Wais ................................................................................................ 153

Stefan Schennach ...................................................................................................... 155

Dr. Peter Böhm ........................................................................................................... 157

Bundesminister Dr. Dieter Böhmdorfer .................................................  160, 168, 173

Johanna Auer ............................................................................................................. 163

Ferdinand Tiefnig ....................................................................................................... 165

Dr. Ruperta Lichtenecker .......................................................................................... 166

Dr. Georg Spiegelfeld-Schneeburg .......................................................................... 169

Wolfgang Schimböck ................................................................................................ 171

Annahme des Antrages des Berichterstatters, gegen den vorliegenden Be­schluss des Nationalrates keinen Einspruch zu erheben .................................................................................................. 175

14. Punkt: Beschluss des Nationalrates vom 25. Februar 2004 betreffend ein Bundesgesetz, mit dem das Allgemeine Sozialversicherungsgesetz, das Gewerb­liche Sozialversicherungsgesetz und das Bauern-Sozialversicherungsgesetz ge­ändert werden (Sozialversicherungs-Änderungsgesetz 2004 – SVÄG 2004) (335/A und 401 d.B. sowie 6986/BR d.B. und 6998/BR d.B.) ...................................... 175

Berichterstatter: Josef Saller ...................................................................................... 175

Redner:

Wolfgang Schimböck ................................................................................................ 175

Franz Wolfinger .......................................................................................................... 178

Bundesminister Mag. Herbert Haupt ....................................................................... 181

Dr. Ruperta Lichtenecker .......................................................................................... 185

Ing. Gerd Klamt .......................................................................................................... 187

Ferdinand Tiefnig ....................................................................................................... 188

Annahme des Antrages des Berichterstatters, gegen den vorliegenden Be­schluss des Nationalrates keinen Einspruch zu erheben .................................................................................................. 189


Bundesrat
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706. Sitzung / Seite 7

Eingebracht wurden

Anfragen der Bundesräte

Elisabeth Kerschbaum, Kolleginnen und Kollegen an den Bundesminister für Ver­kehr, Innovation und Technologie betreffend Pläne der NÖ Landesverwaltung für die Rücknahme der B 303 und der B 8/B 8a in die Bundesverwaltung (2153/J-BR/04)

Elisabeth Kerschbaum, Kolleginnen und Kollegen an den Bundesminister für Ver­kehr, Innovation und Technologie betreffend Ausbau der Schnellbahnlinie S 2 (2154/J-BR/04)

Albrecht Konecny, Kolleginnen und Kollegen an den Bundeskanzler betreffend Miss­achtung des Datenschutzgesetzes 2000 durch die Personeninitiative „Wir für Öster­reich – Wir für Benita“ (2155/J-BR/04)

Christoph Hagen, Ilse Giesinger, Jürgen Weiss, Kolleginnen und Kollegen an den Bundesminister für Finanzen betreffend Gewährleistung eines ordnungsgemäßen Grenzkontrolldienstes und einer funktionierenden Zollabfertigung an den Grenzüber­gängen zur Schweiz (2156/J-BR/04)

Roswitha Bachner, Kolleginnen und Kollegen an den Bundesminister für soziale Sicherheit, Generationen und Konsumentenschutz betreffend Pensionspolitik-Desaster der Bundesregierung (2157/J-BR/04)

Jürgen Weiss, Christoph Hagen, Ilse Giesinger, Kolleginnen und Kollegen an den Bundesminister für Verkehr, Innovation und Technologie betreffend Finanzierung des öffentlichen Personennahverkehrs (2158/J-BR/04)



Bundesrat
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706. Sitzung / Seite 8

Beginn der Sitzung: 9.01 Uhr

 


Präsident Jürgen Weiss: Ich eröffne die 706. Sitzung des Bundesrates.

Das Amtliche Protokoll der 705. Sitzung vom 13. Februar 2004 ist aufgelegen, unbean­standet geblieben und gilt daher als genehmigt.

Als verhindert gemeldet sind die Mitglieder des Bundesrates Engelbert Weilharter, Manfred Gruber, Karl Boden, Gottfried Kneifel, Reinhard Todt und Dr. Andreas Schni­der.

Anwesend ist der Herr Präsident des Nationalrates Dr. Andreas Khol, den ich herzlich begrüße.

Mandatsverzicht und Angelobung

 


Präsident Jürgen Weiss: Eingelangt ist ein Schreiben des Präsidenten des Steier­märkischen Landtages betreffend den Mandatsverzicht von Frau Bundesrätin Johanna Schicker mit Ablauf des 29. Februar 2004.

Auf ihr Mandat rückt das an gleicher Stelle gereihte Ersatzmitglied Günther Prutsch nach.

Hinsichtlich des Wortlauts dieses Schreibens verweise ich auf die im Sitzungssaal verteilte Mitteilung, die dem Stenographischen Protokoll dieser Sitzung angeschlossen wird.

Das Schreiben hat folgenden Wortlaut:

Reinhold Purr

Präsident des Steiermärkischen Landtages

Herrn

Jürgen Weiss

Präsident des Bundesrates

Dr. Karl-Renner-Ring 3

A-1017 Wien

Graz, am 27. Februar 2004

Sehr geehrter Herr Präsident!

Mit Schreiben vom 23. Februar 2004 (eingelangt am 24. Februar 2004) hat Bundes­rätin Johanna Schicker mitgeteilt, dass sie auf ihr Bundesratsmandat mit Ablauf des 29. Februar 2004 verzichtet.

Ich beehre mich, Ihnen dies zur Kenntnis zu bringen und verbleibe

mit freundlichen Grüßen

Reinhold Purr

Beilage

*****

 



Bundesrat
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706. Sitzung / Seite 9

Präsident Jürgen Weiss: Das neue Mitglied des Bundesrates ist im Hause anwesend. Ich werde daher sogleich seine Angelobung vornehmen.

Nach Verlesung der Gelöbnisformel durch die Schriftführung wird die Angelobung mit den Worten „Ich gelobe“ zu leisten sein.

Ich ersuche um Verlesung der Gelöbnisformel.

 


Schriftführerin des Bundesrates Ilse Giesinger: „Sie werden geloben unverbrüch­liche Treue der Republik Österreich, stete und volle Beobachtung der Verfassungs­gesetze und aller anderen Gesetze sowie gewissenhafte Erfüllung Ihrer Pflichten.“

 


Bundesrat Günther Prutsch (SPÖ, Steiermark): Ich gelobe.

 


Präsident Jürgen Weiss: Ich begrüße Sie recht herzlich in unserer Mitte. (Allgemeiner Beifall.)

Ankündigung einer Erklärung des Landeshauptmannes von Vorarlberg gemäß § 38 Abs. 3 der Geschäftsordnung

 


Präsident Jürgen Weiss: Ich gebe bekannt, dass mir der Landeshauptmann von Vor­arlberg Dr. Herbert Sausgruber mitgeteilt hat, eine Erklärung gemäß § 38 Abs. 3 der Geschäftsordnung des Bundesrates zum Thema „Österreich-Konvent und Finanzaus­gleich aus der Sicht des Landes Vorarlberg“ abgeben zu wollen.

Ich gebe weiters bekannt, dass mir ein schriftliches Verlangen von fünf Bundesräten vorliegt, im Anschluss an diese Erklärung eine Debatte durchzuführen.

Da das von mir erwähnte Verlangen genügend unterstützt ist, werde ich diesem ent­sprechen.

Ich erteile nun Herrn Landeshauptmann Dr. Herbert Sausgruber das Wort.

Erklärung des Landeshauptmannes von Vorarlberg zum Thema „Österreich-Konvent und Finanzausgleich aus der Sicht des Landes Vorarlberg“

 


9.04

Landeshauptmann von Vorarlberg Dr. Herbert Sausgruber: Sehr geehrter Herr Präsident! Werte Damen und Herren Bundesräte! Herr Nationalratspräsident! Frau Ministerin! Meine Damen und Herren! Der europäische Integrationsprozess und im Zuge des wirtschaftlichen Wettbewerbs sinkende Abgabenquoten und damit knappe staatliche Finanzen werfen neue Fragen der Zusammenarbeit zwischen großen und kleinen staatlichen Einheiten auf, nicht nur innerhalb Österreichs, sondern auch in Europa. Das ist eines der wesentlichen Themen der Konvente.

Im Wettbewerb um Wirtschaftsstandorte geht es zunächst um großräumige Regelun­gen von Rahmenbedingungen, europaweit, in manchen Bereichen national. Aber es geht auch – und das ist mein Anliegen – um regionale Spielräume, um die Chance zu bieten, in den Regionen Stärken weiterzuentwickeln.

Für Österreich kommt dazu, dass die regionale Zusammenarbeit über die Grenze eine völlig neue Dimension bekommt. Wir werden in wenigen Wochen in Vorarlberg die ein­zige europäische Außengrenze Österreichs haben – ein Stück auch noch in Tirol –, im Übrigen keine europäische Außengrenze mehr. Das bedeutet nach Ablauf von Über­gangsbestimmungen beachtliche Möglichkeiten der Gestaltung über die Grenze, und dazu brauchen die Regionen in einem bestimmten Rahmen Spielraum.


Bundesrat
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706. Sitzung / Seite 10

Wir haben in unserem Land – mit anderen Ländern – in den vergangenen Jahrzehnten sehr um diese Spielräume gerungen, für Länder und Gemeinden; nicht aus Ideologie oder um damit einen Selbstzweck zu verfolgen, sondern aus vieljähriger Erfahrung, die uns beweist, dass richtig verstandener Föderalismus im Sinne von Spielraum zur Gestaltung mehr Leistungsfähigkeit, auch mehr Bürgerverantwortung, mehr Innovation, schlanke staatliche Strukturen und die Chance zum praktischen Überwinden von Grenzen bedeutet.

Für die Zukunft kommt dazu – diese Seite von Spielraum der Regionen wird an Bedeu­tung gewinnen –, dass es Dienstleistungen gibt, die für Menschen wichtig sind, die dar­auf angewiesen sind, dass neben dem professionellen Dienst und Familienleistungen auch ehrenamtliche Leistungen in einem Netzwerk entwickelt werden. Dieses Netz­werk kann nur im Nahraum organisiert werden; die Zentralen haben diese Chance nicht.

Was wir also für die regionale Gestaltung in vielen Bereichen brauchen, ist Spielraum – natürlich im Rahmen – und nicht noch mehr Reglementierung, Vereinheitlichung. Die Vereinheitlichung erleben wir häufig nicht als vernünftigen Rahmen, sondern als büro­kratische Einschränkung.

Professor Kramer hat in den vergangenen Tagen eine Studie über die ökonomischen Aspekte der Bundesstaatsreform im Auftrag unseres Instituts für Föderalismus der Öffentlichkeit vorgestellt und dabei einige sehr interessante Feststellungen getroffen:

Zunächst, dass ein Qualitätswettbewerb zwischen den Bundesländern Sinn macht. Dieser ist nur möglich, wenn Spielraum vorhanden ist.

Weiters – was auch in der Diskussion im Konvent etwas zu wenig berücksichtigt wird –, dass die Konzeption der Trennung von Kompetenzen auf Grund der stärkeren Mobilität in einer modernen Welt weniger als im 19. Jahrhundert funktioniert.

Professor Kramer kommt zu dem Schluss: Es ist eine Ausnahme, wenn eine Kompe­tenz für einen größeren Aufgabenbereich einer bestimmten staatlichen Ebene gänzlich und effizient zugeordnet werden kann. Vielmehr ergibt sich aus der intensiven Wirt­schaftsverflechtung, der höheren Mobilität und den grenzüberschreitenden Umweltphä­nomenen eine mehrstufige Verantwortung. Prinzipien und grundsätzliche Strategien sollten auf der obersten, also der europäischen Ebene angesiedelt sein. Die Ausfor­mung und Präzisierung soll auf der nationalen beziehungsweise regionalen Ebene erfolgen, ihre Umsetzung auf der regionalen beziehungsweise lokalen Ebene.

Dann stellt er fest: Der Ebene der Länder kommt in erster Linie die Initiative und Ver­antwortung für die Gestaltung und die Regelung der täglichen Lebensbedingungen und der kulturellen Bedürfnisse der Bevölkerung sowie für die Raumordnung und Ansied­lung der Wirtschaft – Standortpolitik – und in der Vollziehung zu.

Für die Ebene der Gemeinden empfiehlt sich der Ausbau der kommunalen Zusammen­arbeit über Gemeindeverbände.

Weiters: In absehbarer Zukunft werden die Anforderungen an das System der Pflege älterer Menschen rapid ansteigen. Diese Aufgabe wird nicht allein von staatlichen Ein­richtungen bewältigt werden können, sondern erfordert eine gezielte Mobilisierung der menschlichen Kapazitäten der Zivilgesellschaft. Die Verantwortung und Initiative dafür ist am besten auf den Ebenen der Länder und Gemeinden angesiedelt.

Angesichts des Bedeutungsverlusts nationaler Grenzen rücken die Regionen auch ökonomisch immer mehr in das Blickfeld der Interessen. Dies gilt umso mehr, wenn man die schleichende Entfremdung von Bevölkerung und Politik durch Zentralisie­rung – und Europäisierung – als bedenklich ansieht. Aus wirtschaftlicher Sicht ist zu


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706. Sitzung / Seite 11

bemerken, dass die Identifizierung mit einem überschaubaren Lebensumfeld eine höhere Kapazität für wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Fortschritt annehmen lässt. – Interessante Feststellungen eines Ökonomen, die unserer Sicht der Dinge sehr nahe kommen.

Die Studie spricht Wesentliches an: Gesundheit, Altenpflege. Es trifft aber auch zu für weite Bereiche der Bildung, der Kinderbetreuung und der Pflege des Standortprofils von Regionen. Es gibt große Aufgaben, die durch die demographische Entwicklung, vor allem bei der Altenpflege, massiv zunehmen. Das sollte man würdigen, und man sollte den Ländern und Gemeinden den dazu notwendigen gestalterischen Spielraum geben und ihnen natürlich auch die notwendige Finanzmasse lassen, das heißt im Sinne eines fairen Finanzausgleichs.

Ein fairer Finanzausgleich ist ein Finanzausgleich, der diese Finanzmasse der Ebene Gemeinden, der Ebene Länder respektiert und nicht über die durch die Steuerreform verursachte Reduktion der Finanzmasse hinaus weitere einseitige künstliche Verschie­bungen vornimmt. Finanzmasse ist Finanzmasse, dazu gehört auch die Wohnbau­förderung. Das heißt daher aus unserer Sicht: Finger weg von diesen Geldern!

Ich hoffe, meine Damen und Herren, dass der Österreich-Konvent in den nächsten Mo­naten nicht nur in der Lage sein wird, den Text der Bundesverfassung zu vereinfachen und einige Doppelgleisigkeiten in der Bundesverwaltung, vor allem in der bundesun­mittelbaren Verwaltung in den Ländern zu beseitigen, sondern auch die Kraft aufbringt, einen Beitrag zur Reduktion der Regelungsdichte zu liefern.

Artikel 18 und seine Auslegung durch die Entscheidungen des Verfassungsgerichts­hofes sind zu eng gefasst. Es wäre gut, dieses Niveau dem europäischen Niveau anzupassen.

Aus meiner Sicht wäre es ein großer Gewinn, wenn es gelänge, die Gesetzesvorberei­tung auf Regierungsebene beim Bund so zu zentralisieren, dass sie mit einer Vorgabe, einfacher Sprache, weniger Paragraphen ein vernünftiges Maß an Regelungsdichte produziert. Wir haben in unserem Bereich mit dieser Technik gute Erfahrungen gemacht.

Weiters sollte die Abrundung einiger Kompetenzbereiche gelingen.

Ihnen ist das derzeit in Diskussion stehende Drei-Säulen-Modell bekannt. Interessant ist dort vor allem der Bereich der gemeinsam zu gestaltenden Kompetenzen und das Mitwirkungsrecht der Länder in diesem Bereich. Ich vertrete die Auffassung, dass es nur die Qualität echter Mitentscheidung sein kann – nicht nur ein bisschen verzögern, sondern echte Mitentscheidung, gestaltet durch den Mehrheitswillen der Länder! Alles andere würde dazu führen, dass, insofern die dritte Säule aus Landeskompetenzen gespeist wird, ein Zentralisierungsprozess in Gang gesetzt würde, und das wäre nicht in unserem Sinne.

Geschätzte Mitglieder des Bundesrates! Bund, Länder und Gemeinden haben interes­sante Herausforderungen zu bewältigen. Ziel sollte es sein, die Kräfte für Innovationen neu zu bündeln und das richtige Maß zwischen einheitlichem Rahmen und regionalem Spielraum zu finden. Die Kunst des richtigen Maßes zwischen der Produktion von Standards, Grundsätzen auf europäischer Ebene, auf nationaler Ebene und eines ver­nünftigen Spielraums, der Wettbewerb, neue Ideen und Kreativität zulässt, diese Kunst zu entwickeln ist wichtiger als weitere Trennungen von Kompetenzen. Es werden jene Standorte erfolgreicher sein, die die Vorteile der Größe mit den Vorteilen der Kleinheit in kluger Form verbinden können. Das braucht einen gewissen Spielraum zur Gestal­tung und auch ein gewisses Maß an Geld, und das auch für eine bestimmte Dauer.


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Ich plädiere daher für einen fairen Finanzausgleich, der die Finanzmasse von Ländern und Gemeinden respektiert, und hoffe, dass wir in beiden Fragen bis zum Ende des Jahres sowohl beim Konvent als auch beim Finanzausgleich zu guten, jedenfalls zu brauchbaren Ergebnissen kommen. (Allgemeiner Beifall.)

9.16

 


Präsident Jürgen Weiss: Ich danke für die Ausführungen.

Wir gehen in die Debatte ein.

Als erster Rednerin erteile ich Frau Bundesrätin Giesinger das Wort. – Bitte.

 


9.17

Bundesrätin Ilse Giesinger (ÖVP, Vorarlberg): Sehr geehrter Herr Präsident! Sehr geehrter Herr Landeshauptmann! Sehr geehrte Frau Ministerin Gehrer! Hoher Bundes­rat! Ich kann das, was unser Landeshauptmann gesagt hat, voll und ganz unterstützen.

Österreich besteht aus neun Bundesländern. Auf Grund meiner Erfahrungen hier im Bundesrat, vieler Gespräche und Beobachtungen kann ich sagen: Es ist sehr, sehr schwierig, neun verschiedene Bundesländer unter einen Hut zu bringen, denn jedes Bundesland hat seine Schwächen und Stärken, seine differenzierten Landschaften. Auch die Menschen in den einzelnen Bundesländern sind ganz verschieden, haben unterschiedliche Erfahrungen sowie Lebens- und Arbeitsgewohnheiten. Das ist einer­seits eine große Chance für unser Heimatland Österreich, andererseits aber auch eine große Herausforderung, um gemeinsam die Zukunft positiv zu gestalten.

Als konkretes Beispiel zum oben Gesagten erwähne ich die Darlehen der Krankenkas­sen. Ich möchte das heute nicht näher erläutern, weil ich dies in meiner diesbezüg­lichen Rede hier im Bundesrat bereits gründlich dargelegt habe.

Ich persönlich finde es auch sehr gut, dass jedes halbe Jahr ein anderes Bundesland die Präsidentschaft im Bundesrat sowie den Vorsitz der Landeshauptmännerkonferenz hat, gibt dies doch gleichzeitig die Chance, in diesem halben Jahr die Einzigartigkeit eines bestimmten Bundeslandes, die Ideen und Taten in den Verhandlungen verant­wortungsvoll einzusetzen.

Daher möchte ich es heute nicht verabsäumen, zu erwähnen, dass gerade unser Bun­desland Vorarlberg in vielem eine Vorreiterrolle innehat. Ich denke dabei zum Beispiel an die leistungsorientierte Krankenhausfinanzierung, die Vorsorgeuntersuchungen, das Modell des Vorarlberger Gesundheitsfonds, das Kinderbetreuungsgeld bis zum vierten Lebensjahr des Kindes und auch das Pflegegeld. Diese Dinge, die in Vorarlberg bereits praktiziert wurden, wurden später bundesweit eingeführt, um hier nur einige Beispiele zu nennen.

Vorarlberg hat eine Grenze mit Deutschland, aber auch mit der Schweiz – eine EU-Außengrenze, die noch bestehen bleiben wird. Die Vorarlberger Wirtschaft hat schon früh erfolgreich exportiert und sich in der ganzen Welt behauptet. Dies ist mit ein Grund dafür, dass wir uns so sehr dafür einsetzen, dass die Zollämter bleiben und dass genü­gend Personal zur Verfügung steht.

Der Fleiß der Bevölkerung Vorarlbergs, deren Ideenreichtum und Kreativität sowie der Wille, Notwendiges anzupacken, haben wesentlich zum Wohlstand unseres Landes beigetragen. Dazu kommt, dass das Vorarlberger Landesbudget seit über 20 Jahren keine Neuverschuldung aufweist, was selbst für uns Vorarlberger nicht einfach und leicht ist, aber letzten Endes hat doch die Vernunft über die Begehrlichkeit gesiegt. Es ist eine alte Binsenweisheit, dass nicht mehr ausgegeben werden kann, als was im Prinzip eingenommen wird.


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Abschließend möchte ich nochmals wiederholen, was unser Landeshauptmann schon gesagt hat. Es geht darum, dass Bund und Länder gemeinsam – ich betone: gemein­sam die Weichen für die Zukunft stellen, gemeinsam die Probleme anpacken, und zwar als gleichwertige Partner in der Verantwortung und in den finanziellen Mitteln. (Beifall bei der ÖVP und den Freiheitlichen.)

9.21

 


Präsident Jürgen Weiss: Als Nächstem erteile ich Herrn Professor Konecny das Wort. – Bitte. (Bundesrat Bieringer: Der neue Vorarlberger! – Bundesrat Konecny – auf dem Weg zum Rednerpult –: Leih-Vorarlberger!)

 


9.21

Bundesrat Albrecht Konecny (SPÖ, Wien): Herr Präsident! Herr Landeshauptmann! Ich glaube, es ist eine angenehme Erfahrung, dass ein Landeshauptmann zwar mit einem Fotografen, aber nicht mit Schärpenträgern zu uns kommt, uns etwas Inhalt­liches zu wesentlichen Themen dieser Republik sagt und nicht eine lange Selbst­beweihräucherung von sich gibt.

Der Herr Landeshauptmann hat wesentliche Fragen der aktuellen Politik angespro­chen – und ich gehe gerne darauf ein –, aber ich möchte diesen Sachverhalt noch weiter kommentieren. Kollegin Giesinger hat schon wieder hinter mir Platz genommen; das ist offensichtlich auch ein Stück Vorarlberger Zurückhaltung, für das ich ehrlich gesagt sehr, sehr dankbar bin und das ich ein paar anderen Landeshauptleuten, deren Auftritte wir hier erlebt haben, zur Nachahmung empfehlen würde.

Sie, Herr Landeshauptmann, haben mit Recht angeschnitten, dass es eine faktische Abänderung des Finanzausgleichs durch eine Reihe von gesetzgeberischen und administrativen Maßnahmen gibt und dass hier – ich möchte das betonen – die Länder, aber, wie wir wissen, insbesondere die Gemeinden Aufgaben zu übernehmen hatten, die ihnen in keiner Form abgegolten werden, die aber dadurch, dass sie auf die Gemeinden oder auf die Länder transferiert wurden, dem Bund unechte Einsparungen zu Lasten Dritter ermöglichen.

Ich halte das für eine mit Sicherheit unzulässige Umgangsweise miteinander. Ich hätte mir da vielleicht ein paar schärfere Worte von Ihrer Seite gewünscht, Herr Landes­hauptmann, aber es ist sicher richtig, dass diese Praxis der letzten zweieinhalb Jahre Gegenstand der Finanzausgleichsverhandlungen zwischen dem Bund und seinen Part­nern sein muss – auch hinsichtlich der stattgehabten Belastungen – und dass es wich­tig erscheint, den politischen Konsens so zu organisieren, dass eine solche Vorgangs­weise in Zukunft nicht mehr möglich ist.

Zu den Dingen, die ich besonders betrüblich finde, gehört, dass die Praxis zeigt, dass der so genannte Konsultationsmechanismus ein absolut zahnloses und unwirksames Gebilde ist, gewissermaßen eine Art föderalistisches Salzamt der Republik, zu dem man zwar gehen kann, wo man aber mit Sicherheit nichts bekommt, schon gar nicht eine Abgeltung von finanziellen Belastungen, die den Beschwerdeführer getroffen haben.

Ich halte das für eine wichtige Frage. Wenn wir den Föderalismus ernst nehmen, dann kann es nicht so sein, dass die eine Seite die andere Seite ohne entsprechenden Kon­sens belastet. Wir hatten jahrzehntelang die Diskussion darüber – und in diesem Fall bin ich persönlich durchaus auf der Seite der Argumentation wechselnder Innenminis­ter gestanden –, dass es eine unzulässige Belastungsverschiebung ist, wenn landes­gesetzlich der Sicherheitsexekutive Aufgaben übertragen werden, die Arbeit verur­sachen, die den Personalstand nach oben hin beeinflussen müssen, für die aber ebenfalls keine Abgeltung erfolgt ist. Ob es beispielsweise sinnvoll gewesen wäre, das


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damals noch ziemlich dicht geknüpfte Netz der Sicherheitsexekutive auch für andere Aufgaben, die primär den Ländern dienen, zu nutzen, ist eine andere Frage. Aber es kann weder durch die landesgesetzliche Einseitigkeit eine Belastung geben noch um­gekehrt, wie wir es in den letzten Jahren erlebt haben, durch eine bundesgesetzliche Regelung, gegen die die Länder nur eine sehr begrenzte Möglichkeit haben, sich zur Wehr zu setzen.

Wenn es also einen neuen Finanzausgleich gibt – und es wird ihn geben müssen –, dann kann er nicht nur darin bestehen, dass unter Berücksichtigung zwischenzeitlich eingetretener Entwicklungen, wie das üblich ist, einzelne Steuerkategorien bis zur dritten Kommastelle hinter dem vollen Prozentsatz auf die einzelnen Finanzausgleichs­partner aufgeteilt werden, sondern es muss auch eine wirkungsvolle, eine wirkungs­vollere Regelung hinsichtlich der Vermeidung einseitiger Belastungen anderer Partner geben. In aller Bescheidenheit gesagt: Da könnte – und damit bilde ich auch die Brücke zum zweiten von Ihnen angeschnittenen Thema – die Länderkammer eine be­sondere Rolle spielen, weil sich eben der Konsultationsmechanismus in seiner gegen­wärtigen Form als wirkungslos erwiesen hat.

Der Herr Landeshauptmann hat mit Recht auf die Notwendigkeit verwiesen, im Kon­vent zu Ergebnissen zu kommen, die eine schlankere Verwaltung, eine Straffung des Verfassungstextes und auch die Durchsetzung konsensfähiger neuer, grundlegender Ideen ermöglichen. So wie Sie, Herr Landeshauptmann, gehöre ich dem Konvent an und habe auch in drei Arbeitsausschüssen detaillierte Arbeit mitgeleistet. Ich sage ganz offen, dass ich sehr, sehr skeptisch bin, und zwar deshalb, weil es eine wenig fruchtbare Vermengung von gesellschaftspolitischen Grundsatzpositionen auf der einen Seite und wichtigen, aber letztlich technischen Regelungsbedürfnissen auf der anderen Seite gibt.

Es scheint mir nicht so zu sein, dass das Projekt des Konvents in seinem Ablauf zielorientiert durchdacht ist. Es hat das Präsidium den Arbeitsausschüssen – darunter auch einem, der sich mit dem Finanzausgleich zu beschäftigen hat – Themata, Aufga­benkataloge vorgegeben, aber dies in völlig offener Form. Wir sind jetzt in der Phase, in der diese Arbeitsausschüsse dem Plenum ihre Berichte vorlegen, und dort gibt es auch Debatten darüber.

Aber die Grundfrage ist natürlich nicht beantwortet. Erstens – Sie haben ein vor allem für die Länder und damit auch für den Bundesrat wichtiges Thema herausgegriffen –: Wie kann man diese Zahnräder zusammenfügen? – Die Idee, ein Drei-Säulen-Modell der Kompetenzen zu entwickeln, hat etwas Faszinierendes an sich. Es besteht Konsens im Konvent – „Konsens“ ist allemal übertrieben, aber es gibt eine relativ breite Unterstützung für diese Idee –: ausschließliche Bundeskompetenzen auf der einen Seite, ausschließliche Landeskompetenzen auf der anderen Seite und eben – „ge­mischte“ würde ich gar nicht sagen – freie Kompetenzen in der Mitte. Dort gilt zunächst einmal das „Recht des ersten Bisses“: Wer die Regelungsnotwendigkeit empfindet, regelt. Eine bundeseinheitliche Regelung über Landesregelungen sollte nur in einem besonderen, den Konsens der Länder im besonderen Maße erfordernden Verfahren möglich sein.

Aber der Grundgedanke dieses zunächst theoretischen Konstrukts fragt und muss danach fragen, welche Kompetenzen in dieser mittleren Säule angesiedelt sind. Sie haben das Bedenken ausgesprochen, Herr Landeshauptmann – und das teile ich nach manchen Diskussionsverläufen –, dass außer der Verfügung über das Landeswappen und die Landesfahne nichts mehr in den ausschließlichen Länderkompetenzen übrig bleibt. Alles rutscht in die mittlere Säule. – Das ist zwar nicht im Sinne der Erfinder, aber eine Idee, die man ausgesprochen hat, hat keinen Eigentümer mehr; an dieser dürfen auch andere „herumbosseln“. Das darf es nicht geben.


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Das ist ein Beispiel dieser Zahnradfrage. Die Idee ist hervorragend, so finde ich, aber die Frage, was man in die mittlere Säule gibt, ist gleichrangig wichtig. Wenn die einen zustimmen, weil sie sich denken, da nehmen wir den Ländern die Kompetenzen weg, und die anderen aus dem gegenteiligen Grund zustimmen, weil sie meinen, dass es Bundeskompetenzen gibt, die man dort ansiedeln kann, dann ist das kein wirklicher Konsens.

Es gibt bei dem wenigen, bezüglich dessen wir überhaupt Konsens erzielt und wo wir uns über die Widersprüche, die hinter der allgemeinen Zustimmung stehen, hinweg­geschwindelt haben, zu viele offene Fragen. Ich fürchte, dass Ihre Annahme des Zeitrahmens bis Jahresende für ein ernstes Produkt ein bisschen optimistisch gewählt ist. Nicht, dass ich sage: Zurück an den Start! – Nein. Ich plädiere jedoch für eine Zwi­schenphase, in der man versucht – und dazu gehören sicher auch politische Gesprä­che –, über gewisse Grundelemente Einigung zu erzielen. Wenn das geklärt ist, wer­den sich auch die Arbeitsausschüsse mit der Klärung der Details leichter tun.

Herr Landeshauptmann! Am Schluss möchte ich Folgendes bemerken: Sie stehen vor Landtagswahlen. Ich werde mich als landesfremdes Subjekt mit Sicherheit nicht in diese Debatten, die sich langsam abzeichnen, einmengen – schon gar nicht als Wie­ner! Aber die Bemerkung sei mir doch gestattet, dass ich mir gewünscht hätte, dass Sie auch ein paar Worte zu dem sagen, was Sie sagen wollten, wie Sie am Wochen­ende oder nach diesem Wochenende angekündigt haben.

Sie kündigten an, dass Sie nach Wien fahren und dort Tacheles reden würden. Wenn ich mir die öffentlichen Mitteilungen über jene Sitzung anschaue, bei der Sie angekün­digt haben, Tacheles zu reden, dann fällt mir nur – Sie haben das Wort in Umlauf ge­bracht – ein alter jiddischer Witz ein, dessen Pointe heißt: Wenn das die Tacheles sind, was sind dann die Lozelach? (Heiterkeit und Beifall bei der SPÖ und den Grünen.)

9.33

 


Präsident Jürgen Weiss: Nächster Redner ist Herr Bundesrat Hagen. – Bitte.

 


9.33

Bundesrat Christoph Hagen (Freiheitliche, Vorarlberg): Sehr geehrter Herr Präsident! Sehr geehrte Frau Bundesministerin! Sehr geehrter Herr Landeshauptmann! Hohes Haus! Es freut mich außerordentlich, dass der Herr Landeshauptmann aus Vorarlberg heute die Gelegenheit ergriffen hat, sich hier im Bundesrat zu Wort zu melden und seine Sicht der Dinge darzulegen. Es fällt mir aber schwer, wenn ich darüber nach­denke, dass eigentlich Gleiches mit Gleichem vergolten werden sollte.

Die Freiheitliche Partei Vorarlberg fordert seit langem ein Rederecht für Bundesräte im Landtag zu gewissen Themen, die den Bundesrat oder jene Angelegenheiten betref­fen, die über die Grenzen hinausgehen. Das wurde von Ihrer Partei bisher erfolgreich verhindert, Herr Landeshauptmann.

Ich würde mir wünschen, dass Sie von Ihrem Besuch in Wien den Gedanken mit­nehmen, dass auch Bundesräte die Gelegenheit bekommen sollten, im Vorarlberger Landtag zu diversen Themen, die sie betreffen, das Wort zu ergreifen. Das wäre ein richtiger Schritt in Richtung gut gelebten Föderalismus. (Beifall bei den Freiheitlichen.)

Herr Landeshauptmann, ich glaube, Sie sitzen auch im Konvent. Nein, ich glaube es nicht nur, es ist so. Ich hätte auch eine Bitte an Sie betreffend den Bundesrat: Im Moment ist der Bundesrat leider in gewissen Bereichen in seinem Aufzeigen relativ schwach. Die gesetzlichen Grundlagen wären zwar teilweise da, aber es wird von verschiedenen Klubs verhindert, dass hier wirklich für die Länder aufgetreten werden kann. Wenn man das tut, tut man sich sehr schwer dabei. Ich habe das bei der von Kollegin Giesinger angesprochenen Abgabe von Krankenkassengeldern nach Wien


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beziehungsweise an den Bund erlebt. Ich habe damals als einziger Vorarlberger Frei­heitlicher dagegen gestimmt und habe das dann ab und zu zu hören bekommen. Dennoch halte ich es für gut, dass ich das gemacht habe. Ich stehe dazu. Es war der richtige Schritt.

Herr Landeshauptmann, bitte vergessen Sie im Konvent nicht meine Bitte, dass eine Stärkung des Bundesrates zur Durchsetzung der Länderrechte ein ganz wichtiger Schritt wäre. Ich glaube, Sie sind, wie man so salopp sagt, ein alter Hase in der Politik. Sie wissen, wie wichtig es gerade für ein kleines Bundesland ist, hier stärker aufzu­treten und wirklich etwas durchsetzen zu können. Meine Bitte ist folgende: Nehmen Sie diese Bitte mit! (Beifall bei den Freiheitlichen.)

Von Ihnen wurde auch die Angelegenheit der Grenzüberwachung zur Schweiz ab dem 1. Mai betreffend Zoll und Gendarmerie angesprochen. Dies beinhaltet ein großes Pro­blem, das da auf Vorarlberg zukommt. Ich möchte hier nicht verhehlen, dass ich vor­hatte, heute zu diesem Thema eine Dringliche Anfrage an den Finanzminister einzu­bringen, da diesbezüglich wirklich der Schuh drückt und die Zeit drängt. Es war leider nicht möglich, in diesem Punkt mit Ihrer Fraktion im Koordinationsausschuss Überein­stimmung herzustellen. Dieses Anliegen wurde dort blockiert, was mir außerordentlich Leid tut.

Ich werde jetzt aber trotzdem die Gelegenheit nutzen, darüber zu berichten, warum dieses Thema so sehr unter den Nägeln brennt, warum es so wichtig ist, in diesem Punkt Maßnahmen zu setzen und den Finanzminister auch von Ihrer Seite massiv aufzufordern, tätig zu werden.

Ich möchte zunächst ein bisschen zu den Hintergründen des Ganzen Folgendes bemerken: Wir wissen, dass mit 1. Mai Vorarlberg die einzige EU-Außengrenze Öster­reichs haben wird und dort die Grenzkontrolle durchzuführen hat. Es ist vorgesehen, 1 030 Zollwachebeamte vom Finanzministerium an das Innenministerium zu überstel­len. Diese 1 030 Beamten, wenn möglich sogar mehr, werden vom Innenministerium dringend benötigt. Das sind fix ausgebildete Beamte, die den Sicherheitsdienst an der Grenze vollziehen würden. Leider muss ich sagen, dass das in Vorarlberg nicht wie in den anderen Bundesländern funktioniert.

Fakt ist, dass letztes Jahr 100 Beamte vom Zoll zur Gendarmerie beziehungsweise zur Polizei in das Innenministerium überstellt worden sind. Fakt ist auch, dass eine Liste im Finanzministerium existiert, wo für 850 Zollbeamte bereits festgeschrieben ist, auf welche Dienststellen sie versetzt werden sollen – ausgenommen Vorarlberg. Jetzt stellt sich die Frage: Warum ist Vorarlberg ausgenommen?

Wenn man sich ein bisschen mit der Materie befasst hat oder ein bisschen weiß, worum es hiebei geht, dann stellt sich die Situation wie folgt dar: Vorarlberg hat, wie gesagt, eine EU-Außengrenze zur Schweiz. Dort werden angeblich noch Zollwache­beamte für die Grenzsicherung, aber auch für die Zollabfertigung benötigt. Es war beabsichtigt, die Zollabfertigung nur mehr auf drei Zollämtern durchzuführen. Das würde bedeuten, dass diese Zollämter eine Kumulierung des ganzen Warenverkehrs gehabt hätten. Dies wäre für die Anrainer, die jetzt schon vom Verkehr unheimlich belastet sind, untragbar.

Ein weiterer Punkt wäre gewesen, dass es für den kleinen Warenverkehr zwischen der Schweiz und Österreich dadurch große Probleme gegeben hätte, da sich lange Warte­zeiten ergeben hätten und sich die Zollabfertigung verlangsamt hätte. Deswegen ist man dann auf den Gedanken gekommen, dass anstatt der beabsichtigten 180 Zoll­wachebeamten – wenn man die Rechnung von vorhin ausführt – nur mehr 80 über­treten sollen.


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Der Finanzminister hat immer von 70 gesprochen, die er zurückbehalten will. Aber wenn ich eins und eins zusammenzähle ergibt sich Folgendes: 850 plus 100 sind 950. Und dann sind es nur noch 80 bis wir 1 030 haben. Mehr will der Herr Finanzminister nicht hergeben.

Ich sehe da ein sehr großes Problem auf uns zukommen: Die Grenzsicherung kann mit diesen 80 Zollwachebeamten nicht mehr zur vollen Zufriedenheit durchgeführt werden, das ist nicht mehr möglich, das System bricht zusammen.

Wir wissen, dass bei der Exekutive, bei der Gendarmerie in Vorarlberg ebenfalls ein akuter Personalmangel herrscht, und zwar seit langem. Wir haben jetzt zwar einige Kurse im Laufen – ich habe immer schon darauf hingewiesen, man hat leider nicht auf mich gehört, weder unter einem roten Innenminister noch unter einem schwarzen Innenminister; Fakt ist, dass es jetzt endlich geklappt hat –, aber es ist relativ spät, denn der 1. Mai steht vor der Türe und diese Leute fehlen.

Wenn man bedenkt, dass Vorarlberg derzeit einen Minusstand von 15 Prozent bei der Gendarmerie hat und statt dieser 180 Beamten nur noch 80 vom Zoll herüberkommen, man aber dieselbe Anzahl wie jetzt an der Zollaußengrenze zur Schweiz stehen haben muss, dann stellt man fest: Es vergrößert sich das Loch.

Der Bezirk Bregenz, der größte Bezirk in Vorarlberg, hat – das hat mir der Bezirks­gendarmeriekommandant vor ein paar Tagen gesagt – derzeit einen Minusstand von 30 Prozent. Wie soll man die Zollämter bestücken, wenn man keine Leute hat? Da ist der Finanzminister gefordert, und da ist auch der Landesrat für Sicherheit, Herr Schwärzler, gefordert! Auch Sie, Herr Landeshauptmann, sind da gefordert, nämlich dazu aufgerufen, beim Finanzministerium dementsprechend Druck dahin gehend zu machen, dass die Grenzsicherung zur Schweiz gewährleistet ist.

Fakt ist auch, dass der Drogenhandel von der Schweiz nach Vorarlberg im Steigen ist. Das ist die Hauptroute. Wenn ich bedenke – und ich darf da jetzt ein bisschen ausho­len –, dass Marihuana, normalerweise mit einer Stärke von 2 THC, in der Schweiz, wo das offiziell gehandelt wird und gehandelt werden darf und auch angepflanzt werden darf, eine Stärke bis zu 40 THC hat, dann kann ich mir vorstellen, was da auf uns zukommt.

Da ist die Grenzsicherung und die Sicherung der Grenzkontrolle und der Warenkon­trolle äußerst wichtig. Doch wenn man keine Leute hat, kann man nicht kontrollieren.

Man kann eines machen: Man kann die Grenzen zusperren, aber dann wird natürlich der ganze Warenverkehr behindert und dann werden auch die Pendler behindert, die in die Schweiz fahren, und, und, und.

Man kann ein Zweites machen: Man kann schauen, dass man genügend Personal hat. Das wäre ja da, aber das gibt der Finanzminister nicht her. Das ist meiner Meinung nach ein sehr, sehr großes Problem, und da sind Sie gefordert, Herr Landeshaupt­mann, da haben Sie dem Finanzminister, der ja Ihrer Fraktion angehört, zu zeigen, wo es langgeht.

Es gibt diesbezüglich einen Selbständigen Antrag aller vier Parteien im Vorarlberger Landtag betreffend „Gewährleistung eines ordnungsgemäßen Grenzkontrolldienstes und einer funktionsfähigen Zollabfertigung“. Dieser Antrag wurde vom Vorarlberger Landtag einstimmig beschlossen, und Sie werden darin aufgefordert, dafür Sorge zu tragen, dass die Sicherung dieser Grenzen gewährleistet ist.

Ich habe mir erlaubt, die Dringliche Anfrage, die ich an den Finanzminister stellen wollte, gemeinsam mit den Kollegen Weiss und Giesinger in schriftlicher Form einzu­bringen, in der Hoffnung, dass Sie innerhalb von 14 Tagen, wie man mir gesagt hat,


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beantwortet wird. Es drückt da wirklich der Schuh, da muss gehandelt werden. Ich hoffe, dass das auch tatsächlich geschehen wird. – So viel zu unserem Problem.

Ich erwarte mir da von Ihnen die volle Unterstützung. Es kann nicht sein, dass diese hundert Zollwachebeamten zurückbehalten werden, denn – und das muss man sich auf der Zunge zergehen lassen – ein Zollwachebeamter im exekutiven Dienst hat eine Ausbildung mit einer Dauer von zwei bis drei Jahren, je nachdem, was er macht, und ein ziviles Zollorgan hat eine Ausbildung mit einer Dauer von drei bis sechs Monaten. Das heißt, wenn man die Zollwachebeamten, die man bei der Exekutive dringend braucht, für den exekutiven Grenzdienst nicht heranziehen darf, dann muss man zwei bis drei Jahre lang Leute ausbilden. Das ist ein Kostenfaktor, den man sich natürlich auch vor Augen führen muss. Wenn man bedenkt, dass diese Leute überqualifiziert sind dafür, dass sie ein paar Papiere kontrollieren und abstempeln, dann muss ich sagen: Ich glaube, dass das der falsche Schritt ist, dass das falsch verstandene „Soli­darität“ – unter Anführungszeichen – mit den zivilen Zollwachebeamten ist.

Faktum ist aber auch – das ist mir zu Ohren gekommen –, dass der zivile Zollverkehr dort derzeit von zehn exekutiven Zollwachebeamten durchgeführt wird, und der Rest sind zivile. Also es funktioniert sehr wohl so. Das heißt, man braucht 10, und 36 Zoll­wachebeamte würden ohnehin bei der Zollverwaltung bleiben. Also irgendwie stimmt die Rechnung nicht ganz, stimmen die Argumente, mit welchen hier operiert wird, nicht ganz.

Ich ziehe daraus den Schluss – und es ist mir auch gesagt worden, dass es angeblich so sein soll –, dass da hohe Gewerkschafter in Positionen sitzen, und wenn sie diese Leute verlieren, dann verlieren sie auch diese ihre Funktionen. Man kann sich auch vorstellen, was geschieht, wenn diese hohen Gewerkschafter, unter denen diese vielen Leute stehen, dann ihre Funktionen und gut bezahlten Posten verlieren würden, wenn diese Gewerkschafter der richtigen Partei angehören, nämlich der des Finanzministers. (Beifall bei den Freiheitlichen.)

9.46

 


Präsident Jürgen Weiss: Nächster Redner ist Herr Bundesrat Schennach. Ich erteile ihm das Wort.

 


9.46

Bundesrat Stefan Schennach (Grüne, Wien): Sehr geehrter Herr Präsident! Sehr geehrte Frau Bundesminister! Sehr geehrter Herr Landeshauptmann! Das Land Vorarl­berg ist etwas Besonderes, je nachdem, aus welchem Blickwinkel man es betrachtet. Dieses ferne Land, entweder hinter dem Arlberg oder vor dem Arlberg, ist immerhin so etwas wie ein Gralshüter des österreichischen Föderalismus geworden, und der Abge­sandte des Grals ist quasi der jeweilige Landeshauptmann – aber auch der derzeit amtierende Bundesratspräsident –, der die Aspekte des Föderalismus in einer ganz besonderen Weise hier einbringt.

Insofern ist Vorarlberg jetzt wieder etwas Besonderes geworden, denn wer hätte sich vor zehn Jahren gedacht, dass die einzige Außengrenze jemals da im fernen Westen sein würde? Vor zehn Jahren war alles noch in Richtung Osten, in Richtung der österreichischen Ostgrenzen orientiert, und zwar vom militärischen Konzept her, vom Sicherheitskonzept her und so weiter, und jetzt ist es Vorarlberg. Vorarlberg ist jetzt das einzige Land mit einer Außengrenze.

Ich denke, lieber Herr Kollege Hagen, es wird nicht Sinn der Politik und der europäi­schen Integration sein, möglichst hohe Grenzen zur Schweiz und zu Liechtenstein zu errichten, sondern es wäre sinnvoll, das möglichst in einem gemeinsamen europäi­schen Prozess geringer, kleiner zu gestalten, durch möglichst viele Übereinkommen.


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Aber nachdem im gesamten Bundesgebiet im Bereich des europäischen Integrations­prozesses sehr, sehr viel Personal freigesetzt wurde, ist, so denke ich mir, das Vorarlberger Problem, was den Zoll betrifft, mit ein bisschen gutem Willen innerhalb der Bundesregierung lösbar. So riesig ist die Grenze nicht, so feindlich ist das Umland nicht! Es handelt sich da um ein äußerst befreundetes Land und von den wirtschaft­lichen und persönlichen Beziehungen her um einen äußerst engen Raum, was schon alleine die vielen Pendler und auch die Wirtschaftsflüsse zeigen. (Bundesrat Dr. Böhm: Drogenroute!)

Mein Gott na! Wissen Sie, meine Herren von der FPÖ, ich weiß nicht, irgendwann hat man einen Balken vor dem Kopf oder so! (Zwischenruf bei den Freiheitlichen.) Bitte, in der Schweiz sitzt kein linksradikales Regime! (Bundesrat Dr. Aspöck: Na eh nicht!) Bekanntlich ist das Frauenwahlrecht dort erst mit mühsamer Kleinarbeit in den siebzi­ger Jahren eingeführt worden. Das ist ein ganz, ganz konservatives Land, und dieses ganz, ganz konservative Land hört ganz besonders aufmerksam auf den wissenschaft­lichen Rat, und der wissenschaftliche Rat sagt, dass im Drogenbereich Verfolgen, Einsperren und Kriminalisieren der falsche Weg ist. (Bundesrat Dr. Böhm: Davon reden wir ja nicht!) Es ist doch möglich, dass man einmal hinhört und nicht nur immer die Scheuklappen aufhat!

Sie zeichnen hier ein solches Bild, und Präsident Weiss fährt demnächst auf einen offiziellen Besuch in die Schweiz. Bitte nehmen Sie nicht die Botschaft mit, dass für die FPÖ die Schweiz das Kolumbien Europas ist! Das ist es nicht. (Beifall und Heiterkeit bei den Grünen und der SPÖ.)

Es wäre ein unfreundlicher Staatsbesuch. (Allgemeine Heiterkeit. – Bundesrat Hagen: Die Schweizer haben keine Entwicklungshilfe nötig!)

Meine Damen und Herren! Der Herr Landeshauptmann hat zu Recht das angespro­chen, was dieser Tage auch Gegenstand der Debatte ist, nämlich die Frage der Neu­gestaltung des Finanzausgleiches und überhaupt der kommende Finanzausgleich.

Vielleicht hat der Landeshauptmann das in seiner bescheidenen Art getan, aber man muss einfach sagen: Wir haben Steuerreformen – Sie haben es hier mit Mehrheit verabschiedet –, die in erster Linie von den Ländern und von den Gemeinden bezahlt wurden, und jetzt steht man da und fragt – und wir haben es am Beispiel der Stadt Linz vorgerechnet –: Wie finanzieren wir die Alten- und Pflegeheime und so weiter?

Da muss ich sagen: Wenn man einerseits den Pensionisten und Pensionistinnen das Geld aus der Tasche nimmt, andererseits den Gemeinden und den Ländern, dann gerät die gesamte soziale Grundversorgung in eine Krise.

An dieser Stelle vielleicht noch eine Klammerbemerkung: Es ist vielleicht gut, dass der Landeshauptmann schon im Vorwahlkampf-Fieber ist, denn dann kann er jetzt als Vorsitzender der Landeshauptleutekonferenz zu einer Art King Arthur werden, der jetzt kämpfen muss (Zwischenruf bei der SPÖ) – vom „Gralshüter“ ist das eine Ableitung – und der irgendetwas an Erfolg einbringen kann. Dass 1 Milliarde € zu Lasten der Länder und Gemeinden gestrichen wird und auch noch die gesamten Belastungen der letzten drei Jahre dazukommen, so kann es wohl nicht sein!

Ich weiß, ich habe Probleme mit diesem „Wundergremium“ Österreich-Konvent, und Sie wissen, dass ich jedes Mal, wenn ich hier am Rednerpult stehe, eine kleine süffisante Bemerkung darüber mache, aber sei’s drum, doch über eine Frage kommen wir trotzdem nicht hinweg, nämlich: Bleibt die Zukunft Österreichs hinsichtlich seiner Finanzhaushalte im Einnahmen-Zentralismus des Bundes oder nicht? Meiner Meinung nach müssten wir Steuermöglichkeiten und Abgabemöglichkeiten sowohl den Ländern als auch den Gemeinden geben.


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Dass die Hundesteuer und die Kommunalabgabe alles sind, worauf sich heute die österreichischen Gemeinden und Städte einnahmenseitig konzentrieren (Ruf bei der SPÖ: Und die Grundsteuer!) – und die Grundsteuer –, das kann es ja nicht sein! Dann hört auch das Spiel auf: Der „böse Bund“, die „tapferen Länder“, die „guten Länder“, und wieder der „böse Bund“. Der „böse Bund“ sagt: Schaut, was die Länder mit dem Geld machen! Die Gemeinden werden überhaupt, auch von den Landeshauptleuten, in der Regel etwas stiefmütterlich behandelt, oft auch übers Haxl gehauen.

Aber gehen wir doch in die Richtung, zu sagen: Wir wollen klare Bundesgesetze, und wir wollen klare Landesgesetze! Geben wir den Ländern und auch den Gemeinden die Möglichkeit, Abgaben und Steuern einzuheben und sich dafür auch vor ihrer eigenen Bevölkerung zu verantworten! Dann sind diesem Megabasar Österreichs, den wir seit den fünfziger Jahren haben, nämlich dem Finanzausgleich, etwas die Zähne gezogen.

Herr Kollege Hagen, Sie haben gemeint – und Sie haben damit sicherlich Recht –, wenn in Vorarlberg auf drei Zollämter reduziert wird, dann wächst die Verkehrslawine. Das ist jetzt ein Punkt, wo ich mir, als heimatlich an Vorarlberg Angrenzender, doch erlaube, etwas zur vorarlbergerischen Innenpolitik zu sagen.

Wenn Sie beklagen, der Verkehr nehme zu und für die Bevölkerung sei die damit verbundene Belastung untragbar, dann frage ich mich, weshalb die Landespolitik – und dafür trägt der Landeshauptmann die Verantwortung – weiterhin unbeirrt und ohne Berücksichtigung der verkehrspolitischen Debatten, etwa aus Tirol, aus Salzburg, aus Ostösterreich, an den großen, großen Straßenbauprojekten festhält. 205 Millionen € gehen in den Straßenbau.

Ich meine, ein Kennzeichen des Ländle ist ja, dass es nicht nur eine extreme Verhütte­lung aufweist, sondern extrem kleinräumig ist. Dieser Ausbau dort: zweiter Pfänder­tunnel, Arlberg Schnellstraße und, obwohl man versucht hat, die „NATURA 2000“ zu umgehen, die S 18, wird weitergeführt. Sie halten unbeirrt an diesen Konzepten fest, meine Damen und Herren, und dafür tragen Sie, Herr Landeshauptmann, die Mitver­antwortung.

Wenn Sie sagen – angesichts der kleinen Wohnbaustruktur Vorarlbergs auch verständ­lich –, die Wohnbauförderung solle bleiben, dann sagen wir auch, wenn es so ist: Wir bekennen uns damit zu einer Mittelstandsförderung!, aber dann versehen wir diese auch in einem Bundesland mit klaren Kriterien. Zum Beispiel: Wenn die Wohnbau­förderung auch weiterhin existiert – und das mag Sinn machen –, dann soll sie etwa mit dem Kyoto-Ziel vereinbar sein, dann soll mit der Wohnbauförderung auch eine Steuerungsfunktion, zum Beispiel nach ökologischen Kriterien, verbunden sein.

Das scheint mir richtig zu sein. Gerade angesichts der Tatsache, dass Vorarlberg immer und immer wieder für die Wohnbauförderung eingetreten ist – ich kann es verstehen, auch wenn man dazusagen muss, dass es auch einen Ausgleich, dass es auch andere Förderungen geben muss, wenn schon der Mittelstand so stark gefördert wird –, ist diese, bitte, mit einer Steuerungsfunktion zu versehen.

Sehr geehrter Herr Landeshauptmann, Sie haben in den nächsten Stunden einige Kämpfe auszutragen, was die Beratungen über den Finanzausgleich betrifft. Ich kann Ihnen nur eines sagen: Sie haben ja im September Wahlen, und wenn die Zeche der Länder und der Gemeinden zu deutlich ausfällt und wenn die Finanzierung des sozia­len Systems auf Grund der Steuerreform und der Belastung der Länder und Gemein­den aus der Spur gerät, dann wird sich das möglicherweise auch in einem Vorarlberger Wahlergebnis niederschlagen. Deshalb kann ich Ihnen dringendst ... (Zwischenrufe bei der ÖVP.) – Seid ein bisschen leiser nach diesem Sonntag, nur ein bisschen leiser! (Beifall bei den Grünen und der SPÖ.)


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Ich verstehe, mein Tiroler Freund hat ja noch lachen können, obwohl auch schon ein paar Tränen dabei waren, weil der Fünfziger noch nicht drübergekommen ist, aber in Innsbruck sind schon Sturzbäche von Tränen herausgekommen. Aber bitte, Herr Lan­deshauptmann, denken Sie daran, dass das, was jetzt beschlossen und mit der Regie­rung verhandelt wird, auch Ihr Wahlergebnis mit beeinflussen wird. – Danke. (Beifall bei den Grünen und bei Bundesräten der SPÖ.)

9.58

 


Präsident Jürgen Weiss: Nächster Redner ist Herr Bundesrat Dr. Gumplmaier. Ich erteile ihm das Wort.

 


9.58

Bundesrat Dr. Erich Gumplmaier (SPÖ, Oberösterreich): Sehr geehrter Herr Präsi­dent! Sehr geehrter Herr Landeshauptmann! Sehr geehrte Frau Bundesministerin! Die­sen Vorarlberger Vormittag oder Morgen können wir einleiten oder haben wir einge­leitet bekommen mit sehr allgemeinen Appellen, denen man zustimmen kann, bei denen sich auf Grund ihrer Unkonkretheit kaum Widerspruch auftut.

Ich habe einige Fragen an Sie, Herr Landeshauptmann.

Die Erste: Sie werden jetzt oder sind bereits Vorsitzender der Landeshauptleutekonfe­renz. Wie werden Sie sich nennen: Vorsitzender der Landeshauptfrauen- und Landes­hauptmännerkonferenz? – Das wäre eigentlich verfassungsmäßig eine Möglichkeit, hier der Realität Rechnung zu tragen. (Bundesrat Fasching: Das ist „wichtig“! „Bravo“!)

Sie haben die ökonomische Bedeutung der Regionen betont und haben einen verstärk­ten Spielraum für die Regionen verlangt. Dem ist durchaus zuzustimmen, allerdings immer aus dem Blickwinkel einer sich globalisierenden Wirtschaft, die gleichzeitig politische und gesellschaftliche Antworten braucht und Regelungsmechanismen für die Demokratie verlangt.

Wenn Sie einen fairen Finanzausgleich fordern, dann muss ich sagen: Das braucht Grundlagen, das braucht konkrete Maßnahmen!

Wir erleben eine Politik der Bundesregierung, in der Sie ja nicht ohne Einfluss sind, die in Wirklichkeit die Gemeinden und die Länder an der kurzen Leine führt und vor voll­endete Tatsachen stellt.

Der Föderalismus ist zwar wohlklingend und wird gerade von Vorarlberg immer sehr als ideologische Vorarlberger Fahne durch Österreich getragen. Dem ist grundsätzlich nichts entgegenzuhalten, es ist meines Erachtens nur sehr Bedacht darauf zu nehmen, dass der Unterschied zum Provinzialismus erkannt wird, und Provinzialismus haben wir erlebt. Daran schließe ich eine Frage an Sie: Provinzialismus haben wir von zwei Landeshauptleuten, wahlkämpfenden, in Panik geratenen Landeshauptleuten erlebt, die offensichtlich erkannt haben, dass man Pensionsnichtanpassungen ... (Zwischenruf der Bundesrätin Dr. Kanovsky-Wintermann. – Ruf bei der ÖVP: Was haben Sie pla­katiert?) – Ja, ich weiß, dass Ihnen die Erinnerung an das feudale, fürstliche Gehabe Ihres wahlkämpfenden Landeshauptmannes in Salzburg, wo es ohnehin zu keinem erfolgreichen Ergebnis geführt hat, und des Herrn Haider in Kärnten nicht sehr in den Kram passt, aber es ist ein Zeichen von Provinzialismus, dass man Menschen durch eine bestimmte Politik in die Lage zwingt, sich als Ärmere auszuweisen (Bundesrätin Dr. Kanovsky-Wintermann: Dass man Menschen hilft!) – und das erinnert sehr fatal an vergangene Zeiten – und nicht auf ein Recht beharren zu können, sondern der Gnade anheim zu fallen. Es ist ein Rückfall in den Feudalismus, dass man Menschen in die Lage zwingt, nicht auf ein Recht pochen zu können, nicht auf Grund eines Rechtes ihr Einkommen sichern zu können, sondern auf die Gnade eines Landes-


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hauptmannes angewiesen zu sein. Das verstehe ich unter Provinzialismus, und diesen Föderalismus sollten wir nicht fördern.

Sie haben offensichtlich heute auch den Wahlkampf für Vorarlberg eingeleitet. Und ich frage Sie: Können Sie für den Fall, sollte Ähnliches in der Vorphase Ihres Wahlkamp­fes für die Vorarlberger Landtagswahlen entstehen, ausschließen, dass Sie uns als Landeshauptmann ähnliche Aktionen zumuten werden? Solche Aktionen führen letzt­endlich dazu – und hier ist wiederum der Vergleich mit den Finanzausgleichsverhand­lungen hinsichtlich des Abhängigkeitsverhältnisses nicht von der Hand zu weisen, nämlich Bettler und Gönner –, zu fragen: Wer ist der Gönner, wer ist in der Rolle des Bettlers? (Widerspruch bei der ÖVP.)

Wenn Bürgermeister nach wie vor nahezu auf Knien zu diversen Landesfürsten pilgern müssen, um Strukturinvestitionen ... (Neuerlicher Widerspruch bei der ÖVP.) – Ich weiß, Ihrer Reichshälfte fällt das nicht so sehr auf, das ist Teil Ihrer Ideologie. (Beifall bei der SPÖ.)

Jedenfalls appelliere ich an Sie als Vorsitzenden der Landeshauptfrauen- und -män­nerkonferenz, Ihre Funktion in den nächsten Monaten auch in der Richtung wahrzu­nehmen, dass die Grundpositionen der Gemeinden und vor allem auch der Städte im Finanzausgleich ... (Zwischenrufe bei der ÖVP.) – Ja, auch der Städte, auch wenn Sie dort immer weniger politisch zu reden haben, und offensichtlich zu Recht. (Beifall bei der SPÖ.)

Aber das ist genau der Unterschied zwischen verfassungsrechtlich verankerten Rech­ten (Bundesrat Ing. Haller: Bad Gastein!) und einer feudalen Situation, wo ich als Landesfürst politische Mandatare in Bettler- und Gönnerpositionen bringe.

Ich möchte Sie auch auffordern, den Finanzminister daran zu erinnern, dass die Ge­meinden in Österreich der wichtigste Faktor für die Schaffung von Arbeitsplätzen sind. Sie verfügen über die, wenn sie sie hätten, in Summe größten Mittel zur Investitions- und Wirtschaftsankurbelung. Wenn sie die Mittel durch einen fairen Finanzausgleich und letztendlich durch eine Verfassungsreform, die die Position der Gemeinden, der Städte und der Regionen auch rechtlich stärkt, bekämen, dann wären wir einen Schritt weiter in Richtung Stärkung der demokratischen Positionen der Regionen und demo­kratischer Kontrolle in einer globalisierten Wirtschaft. (Beifall bei der SPÖ und den Grünen.)

10.07

 


Präsident Jürgen Weiss: Weitere Wortmeldungen hiezu liegen nicht vor.

Wünscht noch jemand das Wort? – Bitte, Herr Bundesrat Hagen.

 


10.07

Bundesrat Christoph Hagen (Freiheitliche, Vorarlberg): Sehr geehrter Herr Präsident! Sehr geehrter Herr Landeshauptmann! Frau Minister! Hohes Haus! Herr Kollege Schennach hat etwas angesprochen, was nicht unwidersprochen bleiben kann – ich glaube, er hat mir nicht richtig zugehört –, und zwar was die Kumulierung des Grenz­verkehrs in drei Zollämtern betrifft – bisher waren es 15 Zollämter. Es ist ganz logisch, dass da der Verkehr zunimmt.

Jetzt muss ich den Herrn Landeshauptmann in Schutz nehmen. Ehre, wem Ehre ge­bührt. Faktum ist, dass der Landeshauptmann absolut richtig liegt, was die Beurteilung der Verkehrssituation betrifft. Wenn in Feldkirch, wo die Bärenkreuzung mehr als über­lastet ist, Ihre Parteikollegen, die Grünen, an der Straße stehen und ausgelutschte Gummibärchen verteilen – ich hätte so eines nicht gegessen, wenn es mir einer mit bloßen Händen in die Finger gibt, er hätte wenigstens das Sackerl hinhalten können; aber gut, ist ja egal (Bundesrat Schennach: Sparsame Leute!) –, wenn also Ihre Kolle-


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gen demonstrativ dort stehen und auf diese Schadstoffemissionen hinweisen, aber im Gegenzug den Bau des Letzetunnels bekämpfen, wodurch diese Kreuzung entlastet worden wäre oder wird, dann verstehe ich die Welt nicht mehr. Da lügen Sie sich doch in den Sack.

Zweitens: Sie haben die Frage Pfändertunnel angesprochen – da sind Sie bei mir genau an der richtigen Stelle –, Pfändertunnel zweite Röhre. Faktum ist, dass das Leiblachtal, sobald dieser Gegenverkehrstunnel durch einen Unfall blockiert ist, wenn jemand Ladegut verliert oder sonst irgendwo etwas passiert, nur noch durch eine schmale Straße mit Vorarlberg verbunden ist. Das heißt, es geht nichts mehr. Auf einer Strecke von sieben Kilometern von Hörbranz nach Bregenz brauchen Sie einein­halb Stunden im Stau. Dass das für die Umwelt gut ist, kann ich nicht glauben.

Faktum ist auch, dass diese zweite Tunnelröhre im Pfändertunnel ein Sicherheits­aspekt ist. Jeder Fachmann, mit dem Sie sprechen und der es ehrlich meint, wird Ihnen sagen, dass ein zweiröhriger Tunnel wesentlich sicherer als ein einröhriger ist. Im Gegenverkehrsbereich passieren die meisten schweren Unfälle.

Ich spreche hier aus Erfahrung. Ich habe viele Kollegen, gute Kollegen, gute Freunde, etwa meinen Banknachbarn in der Volksschule und Hauptschule, in diesem Tunnel verloren. Er ist unschuldig gestorben, im Gegenverkehrstunnel, weil ein LKW-Fahrer eingeschlafen ist, weil ein LKW ins Schleudern gekommen ist, weil die Fahrbahn rutschig war, und das passiert im Gegenverkehrstunnel. Das passiert bei einer zwei­röhrigen Führung im Tunnel nicht, das ist Faktum.

Jetzt komme ich noch kurz zur S 18. Dazu kann man stehen, wie man will – ich sehe schon ein, dass Natur ein wichtiger Punkt ist –, aber ich sage: Wer schützt den Men­schen? – Faktum ist auch, dass sehr viele Anrainer in den Rheintalgemeinden, in den Hofsteiggemeinden darauf warten, dass diese Entlastung kommt. Bei der S 18 ist vorgesehen, dass dort der regionale Verkehr und nicht der Transitverkehr, wie immer behauptet wird, auf ein höherwertiges Straßennetz geführt wird.

Faktum ist auch, dass der Bau dieser Straße im Moment von der EU auf Grund einer sehr seltenen Vogelart, die dort heimisch sein soll, verhindert wird – das ist nämlich ein König: seine Majestät der Wachtelkönig. Es gibt allerdings ein Problem: Dieser Wach­telkönig wurde dort noch nie gesehen, angeblich wurde er von jemandem gehört. – Ich glaube, dass es sich dabei um ein grünes Märchen handelt und um nichts anderes. (Beifall bei den Freiheitlichen und der ÖVP.)

10.11

 


Präsident Jürgen Weiss: Als Nächste hat sich Frau Bundesrätin Dr. Kanovsky-Wintermann zu Wort gemeldet. Ich erteile es ihr.

 


10.11

Bundesrätin Dr. Renate Kanovsky-Wintermann (Freiheitliche, Kärnten): Sehr geehr­ter Herr Präsident! Herr Landeshauptmann! Herr Bundesrat Gumplmaier, ich möchte wirklich nur ganz kurz sprechen, aber es ist mir schon wichtig, zu betonen oder viel­leicht noch einmal zu erörtern, wie Sie den Begriff „Provinzialismus“ definieren.

Ich habe Provinzialismus immer anders definiert. Sie meinen also, dass jemand, der rasch und unbürokratisch hilft, der das Herz bei der Bevölkerung hat, der Menschen in Notsituationen zur Seite steht, der Arbeitsplätze schafft, der für die Pensionisten – und zwar gerade für die kleinen Pensionisten – da ist, der durchaus als Vater des Kinder­geldes – nämlich auch österreichweit, nicht nur kärntenweit – bezeichnet werden kann, ein Provinzialist ist. (Bundesrat Binna: Aushöhlung des ländlichen Raumes! Dort sind wir!)


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Ich muss sagen, wenn Sie das so definieren, dann kann ich mich direkt mit dieser Definition anfreunden, denn mir ist so jemand lieber als einer, der vielleicht im großen roten Wien haust, der dafür sorgt, dass bundesweit die Arbeitslosigkeit am höchsten und am schlimmsten ist (Beifall bei den Freiheitlichen und der ÖVP), der die Woh­nungsproblematik noch nicht in den Griff bekommen hat – diese wird immer ärger! – und der sich offenbar der Nöte der kleineren Leute – vor allem auch der älteren Men­schen – in diesem Staat weniger annimmt als der, den Sie als Provinzialisten bezeich­nen wollen.

In diesem Sinn ist mir Provinzialismus lieber und, wie ich meine, auch den Kärntnerin­nen und Kärntnern, die das eindrucksvoll an diesem Wahlsonntag bewiesen haben. (Beifall bei den Freiheitlichen.)

10.13

 


Präsident Jürgen Weiss: Wünscht noch jemand das Wort? – Das ist nicht der Fall.

Die Debatte ist geschlossen.

Fragestunde

 


Präsident Jürgen Weiss: Wir gelangen nun zur Fragestunde. Ich beginne jetzt – um 10.14 Uhr – mit dem Aufruf der Anfragen.

Bundesministerium für Bildung, Wissenschaft und Kultur

 


Präsident Jürgen Weiss: Wir kommen zur 1. Anfrage, 1306/M, an die Frau Bundes­ministerin für Bildung, Wissenschaft und Kultur.

Ich bitte den Anfragesteller, Herrn Bundesrat Saller, um die Formulierung der Anfrage. (Vizepräsident Mag. Himmer übernimmt den Vorsitz.)

 


Bundesrat Josef Saller (ÖVP, Salzburg): Sehr geehrte Frau Bundesministerin! Um im künftigen Europa mithalten zu können, brauchen wir mit Sicherheit Veränderungen in der Qualifikation und der Standards in den Schulen.

Daher mein Frage:

1306/M-BR/2004

„In welchen Unterrichtsfächern sollen die Bildungsstandards eingesetzt werden?“

 


Vizepräsident Mag. Harald Himmer: Bitte, Frau Bundesminister.

 


Bundesministerin für Bildung, Wissenschaft und Kultur Elisabeth Gehrer: Herr Präsident! Bildungsstandards werden derzeit in ganz Europa ausgearbeitet. Es geht im Schulbereich darum, von der totalen Input-Orientierung zu einer Output-Orientierung zu kommen, von der Diskussion „Was kommt in die Schule hinein?“ auch zu der Dis­kussion „Welche Ergebnisse werden in den verschiedenen Schulstufen erbracht?“

 


Wichtig ist, dass wir wissen – besonders an den Nahtstellen, das ist die vierte Klasse Volksschule, die vierte Klasse Hauptschule, die vierte Klasse Gymnasium –, welche Bildungsziele in den Hauptgegenständen Mathematik, Deutsch und Fremdsprache erreicht werden sollen. Diese Bildungsziele werden derzeit im Zusammenhang mit dem Lehrplan ausgearbeitet und werden an den Schulen erprobt. Wir werden an den Rück­meldungen sehen, ob diese Bildungsziele erreichbar sind, und werden dann in zwei, drei Jahren die Bildungsziele endgültig festlegen können.


Bundesrat
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Vizepräsident Mag. Harald Himmer: Wird eine Zusatzfrage gewünscht? – Bitte.

 


Bundesrat Josef Saller (ÖVP, Salzburg): Ab wann gelten diese Bildungsstandards?

 


Vizepräsident Mag. Harald Himmer: Bitte, Frau Minister.

 


Bundesministerin für Bildung, Wissenschaft und Kultur Elisabeth Gehrer: Wir werden Bildungsstandards sicher gemeinsam mit den Experten und Expertinnen – das heißt mit den Lehrern und Lehrerinnen – zwei bis drei Jahre erproben, denn es geht darum, dass man den richtigen Level trifft – sowohl was den Lehrplan als auch was die europäische Entwicklung betrifft. Verpflichtend gelten werden sie nach einem Zeitraum von etwa zwei bis drei Jahren. Das heißt, es wird sich um eine Orientierung für die Lehrer und Lehrerinnen handeln, was sie erreichen sollen, aber um keine Überprüfung der Schüler und Schülerinnen, woran irgendwelche Noten hängen.

 


Vizepräsident Mag. Harald Himmer: Zu einer weiteren Zusatzfrage hat sich Frau Bundesrätin Dr. Kanovsky-Wintermann gemeldet. – Bitte.

 


Bundesrätin Dr. Renate Kanovsky-Wintermann (Freiheitliche, Kärnten): Sehr ge­ehrte Frau Bundesministerin! Im Anschluss an die Zusatzfrage von Kollegem Saller noch eine Konkretisierung.

Wenn ich Sie richtig verstanden habe, soll es so aussehen, dass, wenn es dann die verpflichtenden Standards gibt, daran keine oder nur geringe Rechtsfolgen geknüpft sind. Wie darf ich das jetzt verstehen? Gibt es irgendwelche Folgen für die Schüler, die diese Standards nicht erreichen, beziehungsweise für die Lehrer, die zur Erfüllung die­ser Standards nicht entsprechend beitragen konnten?

 


Vizepräsident Mag. Harald Himmer: Bitte, Frau Minister.

 


Bundesministerin für Bildung, Wissenschaft und Kultur Elisabeth Gehrer: Ich wiederhole noch einmal: Die Bildungsstandards sind kein Überprüfungsinstrumenta­rium für die Schüler und Schülerinnen! Sie können es auch nicht sein, denn eine Note setzt sich aus der Leistung eines gesamten Jahres zusammen und nicht aus einem Blitzlicht, das man einmal aufnimmt.

Es ist eine Zielvorgabe für die Qualität des Unterrichts, und jede Schule wird in Zukunft ihre Qualität ausschildern. Das heißt, in der schulinternen Lehrerfortbildung, in den Maßnahmen, die man hinsichtlich Qualitätsentwicklung setzt, werden diese Standards eine wichtige Rolle spielen und werden natürlich auch Rückwirkungen auf die Lehrer­weiterbildung, auf die Zusatzangebote, die man in diesem Bereich macht, haben.

Es ist heute schon so, dass von einem Direktor sehr wohl angeordnet werden kann, dass ein Lehrer an einer Weiterbildungsmaßnahme teilnimmt. Das ist also schon etwas ganz Wichtiges, und das ist heute schon so.

 


Vizepräsident Mag. Harald Himmer: Zu einer weiteren Zusatzfrage hat sich Frau Bundesrätin Dr. Lichtenecker gemeldet. – Bitte.

 


Bundesrätin Dr. Ruperta Lichtenecker (Grüne, Oberösterreich): Frau Ministerin! Die Implementierung dieser Bildungsstandards wird natürlich auch Stärken und Schwä­chen zutage fördern.

Wie hoch schätzen Sie das Ausmaß der Ressourcen, die zur Behebung dieser Schwä­chen perspektivisch auch erforderlich sind, beziehungsweise von wo werden diese Ressourcen kommen?

 


Vizepräsident Mag. Harald Himmer: Bitte, Frau Minister.

 


Bundesministerin für Bildung, Wissenschaft und Kultur Elisabeth Gehrer: Es ist derzeit schon so, dass in die Lehrerweiterbildung enorm hohe finanzielle Mittel inves-


Bundesrat
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tiert werden, und zwar von allen pädagogischen Instituten in allen Bundesländern Österreichs. Die pädagogischen Institute haben sich auf die neuen Herausforderungen einzustellen und haben in ihrem Rahmen diese Angebote zur Weiterbildung der Leh­rerschaft zu machen.

 


Vizepräsident Mag. Harald Himmer: Zu einer weiteren Zusatzfrage hat sich Frau Bundesrätin Dr. Hlavac gemeldet. – Bitte.

 


Bundesrätin Dr. Elisabeth Hlavac (SPÖ, Wien): Frau Bundesministerin! Welche För­dermaßnahmen planen Sie, um diese Standards auch tatsächlich zu erreichen?

 


Bundesministerin für Bildung, Wissenschaft und Kultur Elisabeth Gehrer: Die Standards entsprechen den Lehrplänen, das heißt, die Fördermaßnahmen finden der­zeit schon statt. Die Standards sind nur eine gute Voraussetzung für die Qualitätsfest­stellung und für ein österreichweites Bildungsmonitoring, wo ich in gewissen Abstän­den überprüfen kann: Erreichen die Schulen die Ziele? Das wird anonymisiert ge­macht, ist aber notwendig, um im europäischen Wettbewerb bestehen zu können.

 


Vizepräsident Mag. Harald Himmer: Wir gelangen nunmehr zur 2. Anfrage, und ich bitte den Anfragesteller, Herrn Bundesrat Giefing, um die Formulierung.

 


Bundesrat Johann Giefing (SPÖ, Niederösterreich): Sehr geehrte Frau Bundesminis­terin! Meine Frage lautet:

1310/M-BR/2004

„Wie stehen Sie zu den Vorschlägen der SPÖ, die Qualifikation der österreichischen SchülerInnen dadurch zu optimieren, dass schon ab der ersten Volksschulklasse der Unterricht neben Deutsch auch in einer anderen EU-Sprache in allen Volksschulen abgehalten wird?“

 


Vizepräsident Mag. Harald Himmer: Bitte, Frau Bundesminister.

 


Bundesministerin für Bildung, Wissenschaft und Kultur Elisabeth Gehrer: Öster­reich nimmt, was die fremdsprachliche Schulung ab der Volksschule angeht, in Europa eine führende Rolle ein. Wir waren das erste Land, das eine fremdsprachliche Schu­lung, meistens in Englisch, verpflichtend ab der ersten Klasse Volksschule eingeführt hat. Wir sind auch eines der ersten Länder, das durch die Ausbildung von Lehrerinnen und Lehrer in New York dazu beiträgt, dass in unseren Schulen Fächer in der Unter­richtssprache Englisch unterrichtet werden.

Ich glaube zwar, dass es ein sehr wichtiger Ansatz ist, Kinder frühzeitig zu einer Fremdsprache zu führen; es ist aber auch ein wichtiger Ansatz, die Muttersprache zu lernen. Wir sollten daher in all diesen Bereichen das Kind nicht mit dem Bade aus­gießen. (Beifall bei der ÖVP und den Freiheitlichen.)

Es ist diese verbindliche Übung im Volksschulbereich derzeit flächendeckend ab der ersten Klasse im Lehrplan vorgesehen. Zudem gibt es intensive Bemühungen, auch Französisch oder andere Minderheiten- und Nachbarsprachen zu fördern, und ich glaube, dass wir uns einer ganz neuen Herausforderung zu stellen haben werden, vor allem ab 1. Mai dieses Jahres, wenn unsere östlichen Nachbarländer, in denen ganz andere Sprachen gesprochen werden als bisher an unseren Volksschulen vorgesehen sind, der EU beitreten werden.

Es ist jedenfalls festzustellen, dass derzeit 98 Prozent der Schüler Englisch ab der ers­ten Klasse Volksschule haben, zwei Prozent lernen eine andere Sprache – Italienisch in Kärnten, ganz selten auch Französisch.


Bundesrat
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Ein weiterer Ausbau ist, wenn er harmonisch erfolgt und wenn er auch mit dem Kinder­garten in Zusammenhang gebracht werden kann – das heißt, dass auch die Gemein­den im Kindergartenbereich gewisse Akzente setzen –, durchaus möglich, ist sinnvoll und zielführend.

 


Vizepräsident Mag. Harald Himmer: Wird eine Zusatzfrage gewünscht? (Bundesrat Giefing: Nein!)

Zu einer weiteren Zusatzfrage hat sich Frau Bundesrätin Gansterer gemeldet. – Bitte.

 


Bundesrätin Michaela Gansterer (ÖVP, Niederösterreich): Sehr geehrte Frau Bun­desministerin! Welche Erfahrungen wurden mit Englisch in den Volksschulen gemacht?

 


Vizepräsident Mag. Harald Himmer: Frau Bundesministerin, bitte.

 


Bundesministerin für Bildung, Wissenschaft und Kultur Elisabeth Gehrer: Wir haben die Erfahrung gemacht, dass Kinder leicht lernen, spielerisch lernen. Überhaupt zeichnet sich im gesamten Fremdsprachenunterricht der Trend ab, dass man junge Menschen mehr zum Sprechen führt, dass man das freie Reden forciert, dass man junge Menschen praktisch dazu bringt, in dieser fremden Sprache schlussendlich auch zu denken und sie in Diskussionen zu verwenden.

Wir haben sehr viel in die Ausbildung der Volksschullehrerinnen und Volksschullehrer investiert, sodass sie diesen fremdsprachlichen Unterricht leisten können. Ich begrüße es auch sehr, wenn Initiativen von Elternvereinen ausgehen, noch zusätzlich Native Speakers für bestimmte Gruppen an den Schulen zur Verfügung zu stellen.

Es gibt da also einen richtigen Aufbruch, eine gute Entwicklung, und wir werden das unterstützen.

 


Vizepräsident Mag. Harald Himmer: Weitere Zusatzfrage? – Herr Bundesrat Ing. Klamt, bitte.

 


Bundesrat Ing. Gerd Klamt (Freiheitliche, Kärnten): Sehr geehrte Frau Bundesminis­terin! Welche Best-Practice-Beispiele für den bilingualen Unterricht gibt es im Pflicht­schulbereich?

 


Vizepräsident Mag. Harald Himmer: Frau Bundesministerin, bitte.

 


Bundesministerin für Bildung, Wissenschaft und Kultur Elisabeth Gehrer: Sehr geehrter Herr Bundesrat! Ich glaube, man muss einmal definieren, was bilingualer Unterricht ist. In New York nennt man es „bilingual teaching“, wenn bei Kindern aus Zuwandererländern, die zum Beispiel nur Russisch oder nur Armenisch sprechen, ein Lehrer in der Klasse steht, der auch Russisch oder Armenisch kann, damit diese Kin­der dem Unterricht folgen können.

Bei uns heißt „bilingual teaching“, dass man in zwei Sprachen unterrichtet. Manchmal meinen die Leute aber auch, dass es heißt, dass man eine Fremdsprache als Unter­richtssprache hat. Das, was Sie meinen, ist, dass man in zwei Sprachen unterrichtet, dass man also zum Beispiel in unseren Schulen mit mehrsprachigem Angebot wie etwa im Burgenland oder in Kärnten Kroatisch oder Ungarisch als Unterrichtssprache gemeinsam mit Deutsch verwendet.

Damit haben wir sehr gute Erfahrungen gemacht. Es gibt zum Beispiel in fünf Wiener Volksschulen Ungarisch als zweite Unterrichtssprache, zusammen mit Deutsch. Ich halte es auch für sehr wichtig, dass wir in Schulen wie in Oberwart und sonst wo die­sen bilingualen Unterricht fortsetzen. In Wien gibt es die Vienna Bilingual School, in der die Kinder ebenfalls bilingual unterrichtet werden.


Bundesrat
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Es gibt also zahlreiche Best-Practice-Beispiele, und ich glaube, wir sollten in diesem Bereich noch manches weiterentwickeln.

 


Vizepräsident Mag. Harald Himmer: Weitere Zusatzfrage? – Frau Bundesrätin Kerschbaum, bitte.

 


Bundesrätin Elisabeth Kerschbaum (Grüne, Niederösterreich): Sehr geehrte Frau Ministerin! Es gibt ja bereits jetzt Kinder, die in der Volksschule eine zweite, eine frem­de Sprache erlernen müssen, und in vielen Fällen ist diese Fremdsprache Deutsch. Ich möchte gerne wissen, wie weit diese MigrantInnen-Kinder durch eine in diesem Fall dann dritte Sprache, in der sie auch unterrichtet werden, überfordert sein könnten, und beziehe mich diesbezüglich auf Luxemburg, wo dieser Fremdsprachenunterricht in den Volksschulen sehr intensiv betrieben wird, wo die Kinder aber laut PISA-Studie in Bezug auf Lesen an drittletzter Stelle sind.

 


Vizepräsident Mag. Harald Himmer: Frau Bundesminister, bitte.

 


Bundesministerin für Bildung, Wissenschaft und Kultur Elisabeth Gehrer: Sehr geehrte Frau Bundesrätin! Ich habe genau deswegen gesagt, wir müssen mit Vorsicht vorgehen. Und die Forderung, bilingualen Unterricht an allen Schulen einzuführen, ist ja von Ihrem Vorsitzenden gekommen. (Bundesrätin Kerschbaum: Nein! Nicht mein Vorsitzender!) – Ah ja! Das ist vom Vorsitzenden der SPÖ gekommen.

Ich glaube, dass man gerade in dieser Frage sehr vorsichtig sein muss, weil eben Kin­der zuerst einmal Deutsch erlernen müssen, und es in dieser Hinsicht Schwierigkeiten mit jenen Kindern gibt, die aus anderen Ländern kommen. Wir dürfen daher meiner Ansicht nach nicht einfach sagen, es müsse flächendeckend und sofort in allen Volks­schulen bilingualen Unterricht geben, denn das wird nicht funktionieren. Aber so gut es möglich ist, bin ich gerne bereit, das zu unterstützen.

 


Vizepräsident Mag. Harald Himmer: Wir gelangen nun zur 3. Anfrage, und ich bitte die Anfragestellerin, Frau Bundesrätin Dr. Kanovsky-Wintermann, um die Formulierung der Frage.

 


Bundesrätin Dr. Renate Kanovsky-Wintermann (Freiheitliche, Kärnten): Sehr ge­ehrte Frau Bundesministerin! Im Herbst vorigen Jahres ist die Zukunftskommission mit ihren Vorschlägen an die Öffentlichkeit gegangen. Seit diesem Zeitpunkt gibt es natür­lich viele Diskussionen, viele Vorschläge dazu. Es ist von Ihrem Bundesministerium be­ziehungsweise von der Zukunftskommission auch ein eigenes Chatforum eingerichtet worden. In diesem Chatforum können Interessierte Beiträge einbringen. Als ich heute nachgesehen habe, habe ich sehr, sehr viele Beiträge gesehen und gelesen.

Ich frage Sie daher nun:

1305/M-BR/2004

„Was passiert mit den Reformvorschlägen der Zukunftskommission und den Beiträgen der Plattform klasse:zukunft?“

 


Vizepräsident Mag. Harald Himmer: Frau Bundesminister, bitte.

 


Bundesministerin für Bildung, Wissenschaft und Kultur Elisabeth Gehrer: Sehr geehrte Frau Bundesrätin! Die Plattform klasse:zukunft ist ein breites Diskussionsforum nach der Methode der offenen Planung. Wir haben drei Wissenschafter und eine Wissenschafterin beauftragt, für uns Vorschläge zur Verbesserung und Sicherung der Qualität zu erarbeiten. Das wurde bezahlt, das wurde abgeliefert, und daran arbeiten wir jetzt.


Bundesrat
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Alle Beiträge werden ernst genommen. Was mehrheitlich gefordert wird, wird auch in die Vorschläge eingearbeitet. Wir werden im Mai ein Arbeitsprogramm vorlegen, in dem wir unsere Maßnahmen zur Qualitätssicherung vorlegen werden. Und wir werden das gemeinsam abarbeiten.

Es gibt sehr viele Zugriffe, es gibt sehr viele Vorschläge. Wir haben derzeit sieben Themenfelder mit 31 Vorschlägen. Es zeichnet sich schon ab, dass auf Grund dieser Vorschläge eine neue Reihung dafür gemacht werden kann, was man abarbeiten soll. Im Mai wird das Ergebnis des Diskussionsprozesses von dieser Plattform, von allen Bundesländerveranstaltungen vorgestellt, und wir werden ein gemeinsames Arbeits­programm vorstellen.

 


Vizepräsidentin Anna Elisabeth Haselbach (den Vorsitz übernehmend): Danke, Frau Bundesministerin.

Wird eine Zusatzfrage gewünscht? (Bundesrätin Dr. Kanovsky-Wintermann: Ja!) – Bitte.

 


Bundesrätin Dr. Renate Kanovsky-Wintermann (Freiheitliche, Kärnten): Da Sie jetzt selber diese Handlungsfelder und auch das Interesse der Diskussionsteilnehmer in diesem Forum angesprochen haben: Können Sie uns schon sagen, welcher Trend sich abzeichnet, welche dieser Handlungsfelder von den Teilnehmern als besonders wichtig erachtet werden?

 


Vizepräsidentin Anna Elisabeth Haselbach: Frau Bundesministerin, bitte.

 


Bundesministerin für Bildung, Wissenschaft und Kultur Elisabeth Gehrer: Derzeit sieht die Reihung folgendermaßen aus: Für am wichtigsten wird eine Professionalisie­rung und Stärkung des Lehrberufs erachtet, an zweiter Stelle steht, Schule und Unter­richt systematisch zu verbessern, und an dritter Stelle steht, die Qualität zu prüfen und zu sichern.

 


Vizepräsidentin Anna Elisabeth Haselbach: Danke, Frau Bundesministerin.

Eine Zusatzfrage wird von Frau Bundesrätin Konrad gewünscht. – Bitte.

 


Bundesrätin Eva Konrad (Grüne, Tirol): Sehr geehrte Frau Ministerin! Wie ist es Ihrer Meinung nach zu erklären, dass unter all diesen Beiträgen im Internet eigentlich kaum ein wirklich kritischer zu finden ist?

 


Vizepräsidentin Anna Elisabeth Haselbach: Bitte, Frau Bundesministerin.

 


Bundesministerin für Bildung, Wissenschaft und Kultur Elisabeth Gehrer: Das ist damit zu erklären, dass viele engagierte Lehrerinnen und Lehrer wie auch Eltern und Schüler Sachbeiträge einbringen, weil sie die einzelnen Sachfragen weiterentwickeln wollen. Ich halte das für wichtig und auch für ein Zeichen, dass von unseren Lehrerin­nen und Lehrern an den Schulen zukunftsorientiert gearbeitet wird.

 


Vizepräsidentin Anna Elisabeth Haselbach: Danke, Frau Bundesministerin.

Eine weitere Zusatzfrage wünscht Herr Bundesrat Stadler. – Bitte.

 


Bundesrat Werner Stadler (SPÖ, Oberösterreich): Es wurde schon gesagt, dass sehr viele Vorschläge eingelangt sind. Werden Sie diese Vorschläge beziehungsweise Gesetzentwürfe dem Parlament vorlegen, und vor allem: Wann?

 


Vizepräsidentin Anna Elisabeth Haselbach: Bitte, Frau Bundesministerin.

 


Bundesministerin für Bildung, Wissenschaft und Kultur Elisabeth Gehrer: Ers­tens gibt es auf dieser Plattform keine Gesetzentwürfe, es sind inhaltliche Vorschläge.


Bundesrat
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Zweitens: Das Arbeitsprogramm, das aus diesen Vorschlägen erarbeitet wird, wird im Mai vorgelegt. Und ob Gesetzesänderungen notwendig sind, wird sich dann zeigen.

 


Vizepräsidentin Anna Elisabeth Haselbach: Danke, Frau Bundesministerin.

Wir kommen nun zur dritten Zusatzfrage, die Herr Bundesrat Bader stellen wird. – Bitte.

 


Bundesrat Karl Bader (ÖVP, Niederösterreich): Sehr geehrte Frau Bundesministerin! Welche Rückmeldungen gab es im Diskussionsforum zur Thematik „Aufsteigen mit Nicht genügend“?

 


Vizepräsidentin Anna Elisabeth Haselbach: Bitte, Frau Bundesministerin.

 


Bundesministerin für Bildung, Wissenschaft und Kultur Elisabeth Gehrer: Eine aktuelle Umfrage besagt, dass es über 70 Prozent der Österreicher – oder der Befrag­ten – für richtig halten, dass man einmal eine Klasse wiederholen muss, wenn man keine Leistung erbringt. Es zeigt sich darin auch, dass die überwiegende Mehrheit – nämlich bis zu 80 Prozent der Befragten – Noten haben will.

Die Rückmeldungen sind so, dass alles getan werden soll, um das Wiederholen von Klassen zu verhindern. Wir wollen das Frühwarnsystem noch verbessern. Wir wollen Hilfestellungen verbessern. Wir wollen die Förderungen verbessern. Es muss aber auch sehr genau darauf geschaut werden, dass eine Leistung erbracht wird. Und da sind wir im vollen Einklang mit der Zukunftskommission. Professor Haider sieht das ge­nauso.

 


Vizepräsidentin Anna Elisabeth Haselbach: Danke, Frau Bundesministerin.

Wir kommen zur 4. Anfrage. Ich darf die Anfragestellerin, Frau Bundesrätin Diesner-Wais, um die Formulierung der Frage bitten.

 


Bundesrätin Martina Diesner-Wais (ÖVP, Niederösterreich): Sehr geehrte Frau Bun­desministerin! Sie haben im vergangenen Jahr die Wertediskussion begonnen, weil Sie wissen, wie wichtig Kinder für die Familie und für den Staat sind. Gerade in diesem Zusammenhang ist hervorzuheben, dass Frauen Familie und Beruf vereinbaren können müssen, wofür wiederum die Kinderbetreuung sehr wichtig ist.

Daher meine Frage:

1307/M-BR/2004

„Welche Maßnahmen wurden vom Bildungsministerium zur Intensivierung der Nach­mittagsangebote gesetzt?“

 


Vizepräsidentin Anna Elisabeth Haselbach: Bitte, Frau Bundesministerin.

 


Bundesministerin für Bildung, Wissenschaft und Kultur Elisabeth Gehrer: Sehr geehrte Frau Bundesrätin! Als Politikerin ist es mir ein besonderes Anliegen, darauf hinzuweisen, wie wichtig es ist, dass wir alle Maßnahmen setzen, damit es Familien gibt und damit wieder vermehrt Kinder in unserem Land auf die Welt kommen. (Beifall bei Bundesräten der ÖVP und der Freiheitlichen.)

Es heißt, Österreich hat die beste Förderung im Familienbereich in ganz Europa. Aber wir sehen, dass Geld allein nicht genug ist, dass der Familiengedanke eine Einstel­lungssache ist. Wir brauchen aber noch mehr Unterstützung, mehr Hilfestellung. Ich möchte, dass Familie und Beruf noch besser vereinbar wird.

Wir haben derzeit 45 000 Schüler und Schülerinnen in einer Nachmittagsbetreuung an den Schulen in Österreich. Ich habe gesagt, wir wollen in einem ersten Schritt dieses


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Nachmittagsbetreuungsangebot um 20 Prozent erhöhen. Das sind 10 000 zusätzliche Betreuungsplätze. Die Länder erhalten die Ressourcen dafür. Die Länder fragen der­zeit den Bedarf ab, und ab Herbst werden diese zusätzlichen Betreuungsplätze einge­richtet. Das verursacht dem Bund Zusatzkosten von 9 Millionen € im Jahr.

 


Vizepräsidentin Anna Elisabeth Haselbach: Danke, Frau Bundesministerin. Wün­schen Sie eine Zusatzfrage? – Bitte, Frau Bundesrätin.

 


Bundesrätin Martina Diesner-Wais (ÖVP, Niederösterreich): Nach welchem Modus werden diese 20 Prozent auf die Länder aufgeteilt?

 


Vizepräsidentin Anna Elisabeth Haselbach: Bitte, Frau Bundesministerin.

 


Bundesministerin für Bildung, Wissenschaft und Kultur Elisabeth Gehrer: Wir haben die jeweilige Schülerzahl von den Ländern genommen und die zusätzlichen Dienstposten nach der Schülerzahl der Länder auf die Länder aufgeteilt. Diese stehen als Abrufkontingent für die Länder zur Verfügung. (Beifall bei der ÖVP.)

 


Vizepräsidentin Anna Elisabeth Haselbach: Danke, Frau Bundesministerin.

Zu einer Zusatzfrage hat sich Herr Bundesrat Ing. Klamt gemeldet. – Bitte.

 


Bundesrat Ing. Gerd Klamt (Freiheitliche, Kärnten): Sehr geehrte Frau Bundesminis­terin! Inwieweit kann durch die Ausweitung der Nachmittagsbetreuung sichergestellt werden, dass auch die kleinen Schulstandorte im ländlichen Raum davon profitieren werden?

 


Vizepräsidentin Anna Elisabeth Haselbach: Bitte, Frau Bundesministerin.

 


Bundesministerin für Bildung, Wissenschaft und Kultur Elisabeth Gehrer: Diese Sicherstellung müssen die Ämter der Landesregierung übernehmen. Dort wird die Schulorganisation für die Pflichtschulen gemacht. Ich halte es für sehr wichtig, dass wir gerade die kleinen Schulstandorte im ländlichen Raum erhalten, denn Schule im Dorf bedeutet Leben im Dorf, bedeutet Weihnachtsfeier im Dorf, bedeutet Muttertagsfeier im Dorf. Das bedeutet Leben der jungen Menschen im Dorf, Lehrer im Dorf, die sich auch gesellschaftlich im Vereinsleben einbringen. Deshalb ist es mir ein großes Anliegen, dass wir auch durch dieses Nachmittagsangebot die Schulstandorte im ländlichen Raum im besonderen Maße festigen. (Beifall bei der ÖVP und den Freiheitlichen.)

 


Vizepräsidentin Anna Elisabeth Haselbach: Danke, Frau Bundesministerin.

Eine weitere Zusatzfrage wird von Frau Bundesrätin Kerschbaum gewünscht. – Bitte.

 


Bundesrätin Elisabeth Kerschbaum (Grüne, Niederösterreich): Sehr geehrte Frau Minister! Ich sehe da schon eine Alternative zur herkömmlichen Nachmittagsbe­treuung, die für mich darin besteht, dass die Kinder vormittags sechs Stunden in der Schule „abgefüllt“ und nachmittags dann eben betreut werden. Ich rede jetzt von der Ganztagsschule, wo Lernzeiten und Betreuungszeiten beziehungsweise Spielzeiten besser über den Tag verteilt sind. Experten sagen, dass sei die bessere Form. In ganz Europa gibt es auch schon viele Ganztagsschulen, nur in Österreich ist das Angebot noch nicht wirklich so groß.

Ich möchte jetzt gerne wissen: Welche Maßnahmen werden vom Bildungsministerium gesetzt, um das Angebot im Bereich der Ganztagsschulen zu erhöhen?

 


Vizepräsidentin Anna Elisabeth Haselbach: Bitte, Frau Bundesministerin.

 


Bundesministerin für Bildung, Wissenschaft und Kultur Elisabeth Gehrer: Im Bil­dungsministerium werden keine Maßnahmen gesetzt, um das Angebot an Ganztags­schulen zu erhöhen. Wir fördern, was gefordert ist. Wir lassen den Eltern die Wahlfrei-


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heit. Wir lassen den Eltern die Möglichkeit, direkt an der Schule zu entscheiden, ob sie eine Ganztagsschule wollen, oder ob sie eine Nachmittagsbetreuung wollen.

Außerdem sollten wir doch endlich einmal aufhören, davon zu reden, dass die Kinder am Vormittag in der Schule „abgefüllt“ werden. Ich weise das wirklich zurück! Es gibt einen verantwortlichen Unterricht, und wer sich in der Schule auskennt, weiß, dass es sowohl im Gymnasium als auch in der Hauptschule zahlreiche Angebote auch am Nachmittag gibt, da findet also Nachmittagsunterricht statt. Anscheinend sind diese Tatsachen an den Verantwortlichen vorbeigegangen: an vielen Schulen gibt es ganz normalen Nachmittagsunterricht. Die Halbtagsschule gibt es nicht. Bei diesen Nachmit­tagsbetreuungsangeboten bekommen die Kinder ein Mittagessen, dann haben sie am Nachmittag ihren Unterricht, danach haben sie Zeit, ihre Hausaufgaben zu machen.

Laut Gesetz sind beide Möglichkeiten an Betreuungsformen möglich. Ich halte viel von der Wahlfreiheit der Eltern. Ich halte viel von der Autonomie am Schulstandort. Es soll das verwirklicht werden, was die Schule zusammen mit den Eltern möchte. Und ich fördere, was gefordert ist. (Beifall bei der ÖVP und bei Bundesräten der Freiheitlichen.)

 


Vizepräsidentin Anna Elisabeth Haselbach: Danke, Frau Bundesministerin.

Eine weitere Zusatzfrage wird von Frau Bundesrätin Ebner gestellt. – Bitte.

 


Bundesrätin Adelheid Ebner (SPÖ, Niederösterreich): Frau Ministerin! (Die Rednerin ist sehr heiser.) Ich bitte, meine Stimme zu entschuldigen!

Werden die Mittel für das Nachmittagsangebot in den ganztägigen Schulen für die offene, unverschränkte Schulform aufgebracht oder gibt es dazu eine Ausnahme, beziehungsweise wie schaut es mit der Kopfquote in den Schulen in Zukunft aus?

 


Vizepräsidentin Anna Elisabeth Haselbach: Bitte, Frau Bundesministerin.

 


Bundesministerin für Bildung, Wissenschaft und Kultur Elisabeth Gehrer: Frau Bundesrätin! Wir haben keine Kopfquote in den Schulen. Wir haben Zuteilungen an Werteinheiten, die sich an den Schülerzahlen orientieren. Diese Zuteilung an Wertein­heiten ist vollkommen transparent, kann abgefragt werden. Die Landesschulräte erhal­ten die Werteinheiten, erhalten die Stundenkontingente und verteilen sie weiter an die Schulen.

Für uns ist eine verschränkte Form der Tagesbetreuung oder eine Nachmittagsbetreu­ung von den Fördermaßnahmen her vollkommen gleichgestellt. Für 15 Kinder in einer derartigen Betreuungsgruppe erhält die Schule fünf Lehrerstunden, das ist bei jeder Form der Betreuung so. Bei 10 000 zusätzlichen Plätzen bedeutet das 670 Betreu­ungsgruppen mehr. Das sind jene 9,3 Millionen €, die dadurch vom Bund zusätzlich aufgewendet werden müssen.

Die restlichen Betreuungsstunden sind vom Schulerhalter zu organisieren, und die Eltern bezahlen dafür einen Beitrag. Die Eltern bezahlen für das Mittagessen, und sie bezahlen auch einen sozial gestaffelten Beitrag für die restliche Betreuung. Ich glaube, das ist eine sehr gute Art der Organisation, die sich bisher bewährt hat.

 


Vizepräsidentin Anna Elisabeth Haselbach: Danke vielmals, Frau Bundesministerin.

Verehrte Kolleginnen und Kollegen! Darf ich nur darauf hinweisen, dass unsere Ge­schäftsordnung besagt, die Fragen sollten kurz sein und einen Punkt betreffen. Ich bitte Sie, sich nach Möglichkeit daran zu halten.

 


Wir kommen jetzt zur 5. Anfrage, die Herr Bundesrat Binna formulieren wird. Ich bitte ihn, das Wort zu ergreifen.


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Bundesrat Theodor Binna (SPÖ, Steiermark): Frau Bundesministerin! Meine Frage lautet:

1311/M-BR/2004

„In welchem Zeitraum werden Sie die Vorschläge der Zukunftskommission umsetzen?“

 


Vizepräsidentin Anna Elisabeth Haselbach: Bitte, Frau Bundesministerin.

 


Bundesministerin für Bildung, Wissenschaft und Kultur Elisabeth Gehrer: Herr Bundesrat! Ich bin nicht die Befehlsempfängerin der Zukunftskommission, ich werde daher die Vorschläge der Zukunftskommission auch nicht 1 : 1 umsetzen.

In der Wirtschaft ist es üblich, dass man sich ein Beratungsunternehmen nimmt, sich beraten lässt, wie die Weiterentwicklung vor sich gehen soll, dass man das dann in der Firma bespricht und daraus einen Arbeitsplan macht. Genauso mache ich es. Ich habe von drei anerkannten Wissenschaftern und einer anerkannten Wissenschafterin Vor­schläge zur Sicherung der Qualität des Schulwesens erhalten. Ich arbeite mit meinen Experten und Expertinnen – das sind 120 000 LehrerInnen, das sind Eltern, das sind SchülerInnen – nun an der genauen Formulierung der Arbeitsaufträge. Wir werden im Mai jene Schritte vorstellen, die wir gemeinsam mit unseren Schulmanagern umsetzen werden. (Beifall bei der ÖVP und bei Bundesräten der Freiheitlichen.)

 



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Vizepräsidentin Anna Elisabeth Haselbach: Danke, Frau Bundesministerin.

Wünschen Sie eine Zusatzfrage? – Bitte.

 


Bundesrat Theodor Binna (SPÖ, Steiermark): Frau Bundesministerin! Sie haben von der Qualitätssicherung gesprochen. Meine Zusatzfrage geht in diese Richtung: Welche Schritte werden Sie einleiten, um die Situation der Karl-Franzens-Universität, die kurz vor dem Konkurs steht, zu verbessern?

 



Bundesrat
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Vizepräsidentin Anna Elisabeth Haselbach: Bitte, Frau Bundesministerin.

 


Bundesministerin für Bildung, Wissenschaft und Kultur Elisabeth Gehrer: Die Karl-Franzens-Universität steht nicht vor dem Konkurs (Bundesrat Schennach: Der Rektor sagt’s!), die Karl-Franzens-Universität hat ein gesichertes Grundbudget, hat jede Menge Geld aus Vorziehprofessuren und Infrastrukturmitteln erhalten. Wie mir ge­rade gestern der Herr Vize-Rektor versichert hat, ist die Karl-Franzens-Universität auf einem sehr guten Weg. (Beifall bei der ÖVP und bei Bundesräten der Freiheitlichen.)

 


Vizepräsidentin Anna Elisabeth Haselbach: Danke, Frau Bundesministerin.

Zu einer Zusatzfrage hat sich Frau Bundesrätin Diesner-Wais gemeldet. – Bitte.

 


Bundesrätin Martina Diesner-Wais (ÖVP, Niederösterreich): Sehr geehrte Frau Bundesministerin! Wie groß ist das Interesse an der öffentlichen Diskussionsplattform klasse:zukunft?

 


Vizepräsidentin Anna Elisabeth Haselbach: Bitte, Frau Bundesministerin.

 


Bundesministerin für Bildung, Wissenschaft und Kultur Elisabeth Gehrer: Wir haben derzeit auf dieser virtuellen Plattform 37 720 Besucher und Besucherinnen; diese haben auf 364 472 Seiten zugegriffen. Das Interesse ist sehr groß. Wir haben in allen Bundesländern Veranstaltungen mit jeweils über 100 Teilnehmerinnen und Teil­nehmern, bei denen wir die Gesamtdiskussion über die Vorschläge führen und dann auch Vorschläge erhalten, Vorschläge über Reihungen und zusätzliche Maßnahmen. Zum Beispiel haben die Elternverbände bei mir vorgesprochen und festgestellt, dass die Schulpartnerschaft als Qualitätskriterium zu wenig berücksichtigt ist. Das ist ein guter Vorschlag; den werden wir sicher einarbeiten.

 


Vizepräsidentin Anna Elisabeth Haselbach: Danke, Frau Bundesministerin.

Eine weitere Zusatzfrage: Frau Dr. Kanovsky-Wintermann, bitte.

 


Bundesrätin Dr. Renate Kanovsky-Wintermann (Freiheitliche, Kärnten): Sehr ge­ehrte Frau Bundesministerin! Wie sieht die Zukunftskommission selbst die Priorität der Reformvorschläge, beziehungsweise welche Reformvorschläge werden von der Zu­kunftskommission selbst als besonders wichtig und häufig vorkommend gesehen?

 


Vizepräsidentin Anna Elisabeth Haselbach: Bitte, Frau Bundesministerin.

 


Bundesministerin für Bildung, Wissenschaft und Kultur Elisabeth Gehrer: Von den Diskussionsbeiträgen wird derzeit am häufigsten angesprochen: die Schaffung von Bildungsstandards – das ist eine lebhafte, interessante Diskussion, im Rahmen derer sich sehr viele engagieren –, die Qualität des Unterrichts und der aktuelle Inhalt von Lehrplänen – dazu machen wir jetzt die Oberstufenreform, wobei wir die Lehrpläne praktisch wieder auf Kernbereiche zusammenführen –, und sehr wichtig ist das Rollen­verständnis und die Positionierung von LehrerInnen – was dürfen sie, welche Möglich­keiten haben sie, welche Aufgaben haben sie? – und auch von Schulleitern und Schul­leiterinnen. Wir müssen sicher für Schulleiter und Schulleiterinnen eine neue Positio­nierung erarbeiten.

 


Vizepräsidentin Anna Elisabeth Haselbach: Danke, Frau Bundesministerin.

Dritte Zusatzfrage: Frau Bundesrätin Dr. Lichtenecker, bitte.

 


Bundesrätin Dr. Ruperta Lichtenecker (Grüne, Oberösterreich): Frau Ministerin! Sie haben vorhin schon mehrere Punkte in Bezug auf Problemfelder, mit denen sich jetzt die Zukunftskommission beschäftigt, angesprochen. Die Ergebnisse, die zu erwarten sind, werden Ressourcen benötigen. In welchem Ausmaß erwarten Sie in Ihrem Res­sort Steigerungen für die nächsten drei Jahre?

 


Vizepräsidentin Anna Elisabeth Haselbach: Bitte, Frau Bundesministerin.

 


Bundesministerin für Bildung, Wissenschaft und Kultur Elisabeth Gehrer: Die Zukunftskommission beschäftigt sich momentan nicht mehr mit Problemfeldern; die Zukunftskommission hat ein Ergebnis ihrer Arbeit vorgelegt: eine Studie zur Frage, wie die Qualität an den Schulen verbessert werden kann. Ich glaube, dass Qualitätsver­besserung ein unbedingter Auftrag an alle ist, die im Schulwesen tätig sind, und man nicht ununterbrochen zusätzliche Finanzierungen braucht. Das gehört zur originären Aufgabe im Bildungsbereich dazu.

Unabhängig davon haben wir aber für Incentives eine so genannte Qualitätsmilliarde, auf drei Budgetjahre verteilt. Bereits im heurigen Budget sind 28 Millionen € nur für diese Qualitätsentwicklung und für Incentives in diesem Bereich vorgesehen. Es ist also auch finanziell vorgesorgt.

 


Vizepräsidentin Anna Elisabeth Haselbach: Danke, Frau Bundesministerin.

Wir gelangen nun zur 6. Anfrage, und ich bitte die Anfragestellerin, Frau Bundesrätin Konrad, um Formulierung ihrer Anfrage.

 


Bundesrätin Eva Konrad (Grüne, Tirol): Sehr geehrte Frau Ministerin! Meine Frage lautet:

1314/M-BR/2004

 


„Wie beurteilen Sie die in der letzten Ausgabe des Tiroler Magazins ECHO in dem Arti­kel ,Die Geschäfte des Unirektors‘ dargestellten Geschehnisse an der Universität Inns­bruck?“

Vizepräsidentin Anna Elisabeth Haselbach: Bitte, Frau Bundesministerin.

 


Bundesministerin für Bildung, Wissenschaft und Kultur Elisabeth Gehrer: Ich habe mich sehr intensiv mit dieser Frage beschäftigt. Uni-Rektor Professor Dr. Gantner hat da eine sehr vernünftige Maßnahme gesetzt. Er hat im November Gelder für die Implementierung, für die SAP-Implementierung, für den Mehraufwand an Pensionen et cetera erhalten, die er nicht mehr im Jahr 2003 gebraucht hat.

Nach der alten Kameralistik muss man das Geld – 2 Millionen € – schnell ausgeben, weil man es im Jahr 2004 nicht mehr verwenden darf. Der Rektor hat also sehr klug, da er im Jahr 2003 noch in der Kameralistik drinnen war, das Geld nicht nach dem Gieß­kannenprinzip auf alle Institute und Sonstiges aufgeteilt, sondern er hat gesagt: Ich will vorausschauend planen. Er hat vorausschauend im Bereich des Stroms und auch in anderen Bereichen Akontozahlungen getätigt, sodass er praktisch auch heuer besser wirtschaften und andere Schwerpunkte im Budget setzen kann.

Ich halte das für eine sehr verantwortungsvolle Vorgangsweise eines Rektors und für ein neues Denken. (Beifall bei Bundesräten der ÖVP und der Freiheitlichen.)

 


Vizepräsidentin Anna Elisabeth Haselbach: Danke, Frau Bundesministerin.

Wünschen Sie eine Zusatzfrage? – Bitte, Frau Bundesrätin.

 


Bundesrätin Eva Konrad (Grüne, Tirol): Sie sagen, Sie halten das für eine neue Form des Denkens. Können Sie nachvollziehen, dass diese Geschehnisse – wenn 2,5 Millio­nen € für Reinigungsfirmen und so weiter ausgegeben werden und im gleichen Jahr Stellen nicht nachbesetzt oder Karenzstellen gekürzt oder Bibliotheken geschlossen werden – zu einer gewissen Verstimmung an der Universität führen?

 


Vizepräsidentin Anna Elisabeth Haselbach: Bitte, Frau Bundesministerin.

 


Bundesministerin für Bildung, Wissenschaft und Kultur Elisabeth Gehrer: Wir leben im 21. Jahrhundert, in dem es ein neues Denken der Verantwortung gibt. An der Universität werden nicht Bibliotheken geschlossen, sondern es wird eine vernünftige Zusammenführung gemacht. (Ironische Heiterkeit bei der SPÖ und den Grünen. – Bundesrat Konecny: Ungeheuerlich!) Es werden nicht Stellen nicht nachbesetzt, son­dern es wird eine neue Positionierung der Universität mit neuen Schwerpunkten vorge­nommen. Die Universität Innsbruck hat Vorziehprofessuren erhalten; sie setzt dort ihre Schwerpunkte. Sie hätte auch sagen können: Ich möchte unbedingt diese Positionen nachbesetzen.

Ich glaube, es ist wichtig, dass die Entwicklung der Universitäten vor Ort mit Schwer­punktsetzung erfolgt. Und da wird es nicht möglich sein, dass man jeden kleinen Schrebergarten aufrechterhält, den es bisher gegeben hat. (Beifall bei der ÖVP und den Freiheitlichen. – Bundesrat Konecny: Ungeheuerlich!)

 


Vizepräsidentin Anna Elisabeth Haselbach: Danke, Frau Bundesministerin.

Eine weitere Zusatzfrage stellt Herr Bundesrat Wiesenegg. – Bitte.

 


Bundesrat Helmut Wiesenegg (SPÖ, Tirol): Geschätzte Frau Präsidentin! Hohes Haus! Frau Ministerin! Faktum ist, dass den Universitäten Geld für das Dringendste fehlt. Ich zitiere Gantner: Zudem zahlen ja unsere Studierenden ihre Studiengebühren, egal ob sie einen oder fünf Kurse zugewiesen bekommen.

Ich halte hier fest, dass die Universitäten nicht ihrem gesetzlichen Auftrag nachkom­men und die notwendigen Lehrangebote stellen. Lehrveranstaltungen, meine geschätz­ten Damen und Herren, Frau Minister, werden per Computer versteigert! (Rufe bei der ÖVP: Frage!)


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Jetzt kommt die Frage, und die ist hochinteressant für unsere Studierenden, meine Vertreter der FPÖ! Für mich ist dieser Zustand gesetzwidrig, daher frage ich Sie: Frau Minister! Werden Sie diesen unhaltbaren Zustand beenden? Und: Welche Mittel werden Sie für weitere Lehrveranstaltungen zur Verfügung stellen?

 


Vizepräsidentin Anna Elisabeth Haselbach: Bitte, Frau Bundesministerin.

 


Bundesministerin für Bildung, Wissenschaft und Kultur Elisabeth Gehrer: Die Universitäten haben bedeutend mehr Mittel als im letzten Jahr und bekommen Mittel für ihre Schwerpunktsetzung zugewiesen, von denen auch Lehrveranstaltungen be­zahlt werden können. Wir haben alle Implementierungskosten bezahlt, wir haben alle Zusatzkosten bezahlt, die entstanden sind, und die Universitäten haben 6 Prozent mehr Budget. Die Universitäten müssen selber entscheiden, welcher Bereich für sie besonders wichtig ist, und dort die entsprechenden Weichen für die Zukunft stellen.

Ich weiß schon: Die Selbständigkeit, die Autonomie wird von großen Teilen nicht ge­wünscht, weil sie mit Verantwortung einhergeht. Man möchte lieber zentrale Vorgaben, um sich über zentrale Vorgaben aufregen zu können. Das spielt es nicht mehr! Wir haben selbständige, eigenständige Universitäten, die selber gut wirtschaften. (Beifall bei der ÖVP und den Freiheitlichen.)

 


Vizepräsidentin Anna Elisabeth Haselbach: Danke, Frau Bundesministerin.

Eine weitere Zusatzfrage stellt Herr Bundesrat Ager. – Bitte.

 


Bundesrat Hans Ager (ÖVP, Tirol): Liebe Frau Bundesminister! Über die Implemen­tierung haben Sie ja schon gesprochen. – Meine Frage: Wie werden die Implementie­rungsgelder im Jahr 2004 ausgegeben?

 


Vizepräsidentin Anna Elisabeth Haselbach: Bitte, Frau Bundesministerin.

 


Bundesministerin für Bildung, Wissenschaft und Kultur Elisabeth Gehrer: Es werden den Universitäten im Jahr 2004 für die gesamten Implementierungskosten ins­gesamt 15 Millionen € zur Verfügung gestellt; sie haben bereits im Jahr 2003 bedeu­tend mehr Implementierungskosten erhalten. Ich möchte in diesem Zusammenhang aber schon eines feststellen: Gerade für die Einführung des neuen Rechnungswesens SAP war ein ungeheuer hoher Einsatz aller Universitätsangehöriger notwendig. Das wurde über Weihnachten und Neujahr geschafft, vom letzten Herbst an, und da muss ich wirklich sagen: Hut ab vor dem Einsatz und dem Engagement der Betreffenden! Und was da an Zusatzkosten notwendig ist, wird von uns bezahlt.

 


Vizepräsidentin Anna Elisabeth Haselbach: Danke, Frau Bundesministerin.

Weitere Zusatzfrage? – Herr Professor Böhm, bitte.

 


Bundesrat Dr. Peter Böhm (Freiheitliche, Wien): Sehr geehrte Frau Bundesministerin! Die Hauptfrage veranlasst mich zu folgender Zusatzfrage: Wie viel haben die Universi­täten insgesamt als Nachtragszuweisung im vierten Quartal 2003 erhalten?

 


Vizepräsidentin Anna Elisabeth Haselbach: Bitte, Frau Bundesministerin.

 


Bundesministerin für Bildung, Wissenschaft und Kultur Elisabeth Gehrer: Herr Bundesrat! Wir haben, wie gesagt, die gesamte Implementierung bezahlt, im vierten Quartal – es wurde auch vorher schon bezahlt – 9,3 Millionen €, für den erhöhten Per­sonalaufwand, gerade für die SAP-Implementierung, 5 Millionen €, eine Entschädigung für Studienkommissionsvorsitzende, weil diese sehr viel Arbeit hatten, von 1,6 Millio­nen € – ich meine, das sind unglaubliche Geldmengen! –, und für Überstunden, die im Rahmen der gesamten Implementierung angefallen sind, noch einmal 1,2 Millionen €. Das heißt, die Universitäten haben im letzten Quartal 2003 17,3 Millionen € zusätzlich erhalten.

 



Bundesrat
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Vizepräsidentin Anna Elisabeth Haselbach: Wir gelangen nun zur 7. Anfrage, die Herr Bundesrat Dr. Spiegelfeld-Schneeburg formulieren wird.

 


Bundesrat Dr. Georg Spiegelfeld-Schneeburg (ÖVP, Oberösterreich): Sehr geehrte Frau Bundesministerin! Meine Frage lautet:

1308/M-BR/2004

„Wie hoch sind die finanziellen Mittel, die den Universitäten 2004 zur Verfügung ste­hen?“

 


Vizepräsidentin Anna Elisabeth Haselbach: Bitte, Frau Bundesministerin.

 


Bundesministerin für Bildung, Wissenschaft und Kultur Elisabeth Gehrer: Sehr geehrter Herr Bundesrat! Die Universitäten erhalten ein gesichertes Globalbudget, das sich auf 2 Milliarden € beläuft – 2 Milliarden € für alle Universitäten –, sie erhalten die Einnahmen aus den Studienbeiträgen, sie erhalten Zusatzeinnahmen aus Vorzieh­professuren, Uni-Infra-, Forschungsstruktur, aus zahlreichen Projekten, an denen sie arbeiten, wo wir für die nächsten Jahre über 1 Milliarde € für Forschungsinitiativen zu Verfügung gestellt haben, und natürlich auch aus Drittmitteln. Ich erinnere daran, dass gerade in Graz eine große Stiftungsprofessur von einer Firma eingerichtet wurde.

Das heißt, auch die Zusammenarbeit mit der Wirtschaft ist sehr gewünscht und gibt den Universitäten zusätzliche Möglichkeiten. Ich meine, dass wir mit der Universitäts­finanzierung in Österreich gut liegen, in Europa relativ an der Spitze liegen.

 


Vizepräsidentin Anna Elisabeth Haselbach: Wünschen Sie eine Zusatzfrage? – Bitte, Herr Bundesrat.

 


Bundesrat Dr. Georg Spiegelfeld-Schneeburg (ÖVP, Oberösterreich): Welche Initia­tiven zur Stärkung der Profilentwicklung an den Universitäten werden im Jahr 2004 gesetzt?

 


Vizepräsidentin Anna Elisabeth Haselbach: Bitte, Frau Bundesministerin.

 


Bundesministerin für Bildung, Wissenschaft und Kultur Elisabeth Gehrer: Durch das alte, starre Dienstrecht, das wir hatten, was Gott sei Dank der Vergangenheit angehört, ist natürlich momentan die Beweglichkeit an den Universitäten nicht so gege­ben, wie man gerne möchte. Deswegen hat man das Projekt der Vorziehprofessuren ins Leben gerufen, dass für Schwerpunkte, die die Universitäten definieren, zusätzliche Professuren auf drei Jahre vom Bund bezahlt werden; sie müssen aber dann ins laufende Budget und ins laufende Programm der Universität übernommen werden. Wir stellen für diese Vorziehprofessuren 10,9 Millionen € für die Universitäten zur Verfü­gung.

Wir wissen auch, dass wir für gute Entwicklungen mehr Infrastruktur brauchen. Des­halb gibt es ein eigenes Uni-Infrastrukturprogramm, womit wir den Universitäten noch einmal 18 Millionen € zu Verfügung stellen.

 


Vizepräsidentin Anna Elisabeth Haselbach: Danke, Frau Bundesministerin.

Zu einer Zusatzfrage hat sich Herr Professor Böhm gemeldet. – Bitte.

 


Bundesrat Dr. Peter Böhm (Freiheitliche, Wien): Sehr geehrte Frau Bundesministerin! Welche Verteilungssystematik wurde im Uni-Infrastrukturprogramm angewendet?

 


Vizepräsidentin Anna Elisabeth Haselbach: Bitte, Frau Bundesministerin.

 


Bundesministerin für Bildung, Wissenschaft und Kultur Elisabeth Gehrer: Immer dann, wenn es so ein Infrastrukturprogramm gibt, fürchten sich die kleinen Universitä-


Bundesrat
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706. Sitzung / Seite 38

ten, vor allem die Kunst-Universitäten, weil sie glauben, sie bekommen nichts. Des­wegen habe ich gesagt: Wir geben vorweg jeder Universität 500 000 € – das sind fast 7 Millionen Schilling –, damit die Universität kleinere Infrastrukturanschaffungen tätigen kann, ob das die Bibliothek ist, ob das sonstige Sachen sind.

Die restlichen 16 950 000 € wurden im Zuge eines Auswahlverfahrens vergeben. Die Universitäten haben Strukturprojekte gemeldet, haben selbst eine Reihung vorgenom­men, und wir haben mit einer Fachjury, in der auch der Vorsitzende beziehungsweise Vize-Vorsitzende des Rates für Forschung und Technologieentwicklung dabei war, die gesamten 16,9 Millionen € an die Universitäten vergeben.

 


Vizepräsidentin Anna Elisabeth Haselbach: Danke, Frau Bundesministerin.

Die nächste Zusatzfrage wird von Frau Bundesrätin Konrad gewünscht. – Bitte.

 


Bundesrätin Eva Konrad (Grüne, Tirol): Sehr geehrte Frau Ministerin, eine ganz schlichte Frage: Was würden Sie jenen Universitäten raten, die trotz äußerster Spar­samkeit mit den zugeteilten Mitteln nicht über die Runden kommen?

 


Vizepräsidentin Anna Elisabeth Haselbach: Bitte, Frau Bundesministerin.

 


Bundesministerin für Bildung, Wissenschaft und Kultur Elisabeth Gehrer: Ich würde ihnen raten, die Budgetmittel genau und gut anzuschauen, und am Ende des Jahres werden wir sehen, dass das Gesamtbudget ein bedeutend höheres ist, als es jetzt von manchen, die die Universitätsreform nicht wollen, genannt wird, und dass die Universitäten sehr gut mit ihren Budgetmitteln über die Runden kommen. Ich biete auch gerne Nachhilfeunterricht von einem Finanzfachmann an. (Beifall bei der ÖVP und den Freiheitlichen.)

 


Vizepräsidentin Anna Elisabeth Haselbach: Eine weitere Zusatzfrage wünscht Herr Bundesrat Stadler. – Bitte.

 


Bundesrat Werner Stadler (SPÖ, Oberösterreich): Frau Bundesminister! Man hört ja wirklich nicht selten Hilferufe von den einzelnen Universitäten über die ihnen zugeteil­ten finanziellen Mittel. Ich frage Sie jetzt konkret: Glauben Sie, dass die zu Verfügung gestellten Mittel wirklich ausreichen, um die eklatanten Mängel an den Universitäten zu beheben?

 


Vizepräsidentin Anna Elisabeth Haselbach: Bitte, Frau Bundesministerin.

 


Bundesministerin für Bildung, Wissenschaft und Kultur Elisabeth Gehrer: Ich stelle fest: Es gibt dort keine „eklatanten Mängel“ (ironische Heiterkeit bei der SPÖ – Bundesrat Konecny: Erklären Sie das den Studenten!), wir haben Herausforderun­gen – im Baubereich, im Infrastrukturbereich, im Einrichtungsbereich –, die wir gemein­sam bewältigen müssen.

Wenn man in die Geschichte der Universitäten zurückschaut, wo es viele Jahrzehnte hindurch sozialdemokratische Minister gab, war die Argumentation der Universitäten immer dieselbe, waren die Proteste immer dieselben: Es gibt zu wenig Geld! Es gibt zu wenig Geld!

Wir liegen mit der Geldzuweisung an der Spitze. (Bundesrat Konecny: Von was? An der Spitze von was?) Der Rechnungshofpräsident hat vor kurzem festgestellt, dass wir für den Bildungsbereich enorm viel ausgeben (Bundesrat Konecny: Was heißt „enorm viel“?), und ich bin im Rechnungshofausschuss vom SPÖ-Abgeordneten gefragt wor­den, wieso wir für den Bildungsbereich so viel Geld ausgeben. – Man muss sich einmal entscheiden, ob wir zu viel oder zu wenig ausgeben! (Beifall bei der ÖVP und den Freiheitlichen.)

 


Vizepräsidentin Anna Elisabeth Haselbach: Danke, Frau Bundesministerin.


Bundesrat
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Ich möchte Ihnen mitteilen, dass die Anfrage Nr. 8, die Frau Bundesrätin Auer stellen wollte, zurückgezogen wurde. Damit erübrigen sich natürlich auch die vorgesehenen Zusatzfragen.

Wir kommen damit zur Anfrage 9, die Herr Bundesrat Dr. Kühnel vortragen wird. – Bitte.

 


Bundesrat Dr. Franz Eduard Kühnel (ÖVP, Wien): Sehr geehrte Frau Bundes­minister! Erfreulicherweise wurden im Jahr 2004 dem Denkmalschutz zusätzliche Mittel zugewiesen.

Ich darf Sie fragen:

1309/M-BR/2004

„Wie werden im Jahr 2004 die zusätzlichen 5,2 Millionen € für den Denkmalschutz ver­wendet?“

 


Bundesministerin für Bildung, Wissenschaft und Kultur Elisabeth Gehrer: Sehr geehrter Herr Bundesrat! Der Denkmalschutz ist im Rahmen der Infrastrukturmaßnah­men von der Bundesregierung besonders berücksichtigt worden. Denkmalschütze­rische Maßnahmen sind ja sehr arbeitsintensive Maßnahmen, es arbeiten daran sehr viele Menschen – das können ja nicht Maschinen machen, das machen Experten. Das ist also auch für die Beschäftigungslage in vielen Bereichen sehr gut.

Von diesen 5,2 Millionen € erhält das Bundesdenkmalamt 1 Million €, damit es in den Bundesländern kleinere Förderungen machen kann, und wir fördern ganz besonders denkmalpflegerische Großprojekte. Klöster: Stift Admont mit 72 000 €, Klosterneuburg, Seitenstetten; Kirchen, wie zum Beispiel die Basilika in Mariazell, damit sie endlich fertig wird, der Stephansdom, der eine unendliche Geschichte ist und bleiben wird und immer Förderungen brauchen wird, Maria Taferl, aber auch profane Projekte, wie die Gozzoburg in Krems, die Festung Kufstein und verschiedene Schlösser können prak­tisch zusätzliche Mittel erhalten, damit die Arbeiten schneller vorgenommen werden können.

 


Vizepräsidentin Anna Elisabeth Haselbach: Danke, Frau Bundesministerin.

Wünschen Sie eine Zusatzfrage? – Bitte, Herr Bundesrat.

 


Bundesrat Dr. Franz Eduard Kühnel (ÖVP, Wien): Ich komme aus der Inneren Stadt, und die Innere Stadt ist seit kurzem unser jüngstes Weltkulturerbe in Österreich. Insge­samt haben wir in Österreich acht Weltkulturerbestätten.

Welche Maßnahmen wollen Sie setzen, um diese acht Stätten zu fördern?

 


Vizepräsidentin Anna Elisabeth Haselbach: Bitte, Frau Bundesministerin.

 


Bundesministerin für Bildung, Wissenschaft und Kultur Elisabeth Gehrer: Ich glaube, es ist sehr wichtig, dass wir uns bewusst sind, dass diese acht UNESCO-Welt­kulturerbeobjekte eine ganz besondere Auszeichnung für Österreich sind. Es gibt nicht so viele kleine Länder wie Österreich, die so viele haben, und diese brauchen auch unsere ganz besondere Förderung. Es gibt eine paritätische Förderung in der Höhe von zumindest der Hälfte der denkmalpflegerisch relevanten Maßnahmen, und zwar gemeinsam durch Bund, Land und Gemeinden.

Wir haben jetzt einmal eine Förderung von 150 000 € vorgesehen, und die Vergabe­modalitäten werden derzeit mit Oberösterreich geprüft, denn es sind drei Welterbe­kulturstätten, drei Kulturlandschaften, die ganz besondere Unterstützung brauchen. Ich glaube, darauf müssen wir alle gemeinsam schauen, und wenn weitere Mittel notwen-


Bundesrat
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dig sind, werden wir aus dieser zusätzlichen Förderung, die wir haben, auch weitere Mittel zur Verfügung stellen.

 


Vizepräsidentin Anna Elisabeth Haselbach: Danke, Frau Bundesministerin.

Eine weitere Zusatzfrage wird Herr Bundesrat Mag. Gudenus stellen. – Bitte.

 


Bundesrat Mag. John Gudenus (Freiheitliche, Wien): Frau Bundesminister! Welche über die reine Erhaltung der Kulturgüter hinausgehende Wirkung wird durch den Ein­satz der Denkmalschutzmittel erzielt?

 


Vizepräsidentin Anna Elisabeth Haselbach: Bitte, Frau Bundesministerin.

 


Bundesministerin für Bildung, Wissenschaft und Kultur Elisabeth Gehrer: Der Einsatz der Denkmalschutzmittel hat einen sehr großen Mehrwert. Erstens in der Frage der Investition: 1 € im Denkmalschutz setzt weitere 10 € durch private Finanzierung in Bewegung. Durch die zusätzlichen Mittel werden zweitens kleine Handwerksbetriebe, Restaurierungsbetriebe, wo viele Menschen beschäftigt sind, im besonderen Maße unterstützt. Die große Umwegrentabilität gibt es im Kulturtourismus. Durch sehr schöne, gut renovierte Denkmalschutzobjekte wird unseren Tourismusverantwortlichen die Möglichkeit geboten, diese für die Gäste in Österreich in ihr Angebot aufzunehmen.

Es ist also ein dreifacher Mehrwert gegeben: Es wird mehr Geld lockergemacht, es werden mehr Menschen beschäftigt, und der Kulturtourismus hat einen großen Ge­winn.

 


Vizepräsidentin Anna Elisabeth Haselbach: Danke, Frau Bundesministerin.

Weitere Zusatzfrage? – Herr Bundesrat Schennach, bitte.

 


Bundesrat Stefan Schennach (Grüne, Wien): Sehr geehrte Frau Bundesminister! Ich war zwar etwas überrascht, dass der bekennende Querdenker in der ÖVP zur Ganz­tagsschule eine Denkmalschutzanfrage stellt, aber sie ist genauso wichtig.

Am Beispiel der Wiener Höhenstraße, die ja denkmalgeschützt ist, eine Frage an Sie: Was werden Sie unternehmen, damit in den Gemeinden und Städten das Bewusstsein, wie man mit Denkmalschutz umzugehen hat, in ihrem unmittelbaren Wirkungsbereich wächst?

 


Vizepräsidentin Anna Elisabeth Haselbach: Bitte, Frau Bundesministerin.

 


Bundesministerin für Bildung, Wissenschaft und Kultur Elisabeth Gehrer: Wie es im Denkmalschutzgesetz vorgesehen ist, werden derzeit alle Objekte erhoben, die unter Denkmalschutz fallen sollen. Das soll in einigen Jahren fertig sein. Allein durch diese Arbeit in den Bundesländern wird das Bewusstsein für Denkmalschutz im hohen Maße gestärkt, das heißt durch die Erfassung, durch die Gespräche mit den Besitzern, durch die Gespräche mit den Gemeinden. Es hat auch jeder die Möglichkeit, dagegen Einspruch zu erheben. Wir werden diese Katalogisierung zielorientiert in ganz Öster­reich durchführen.

Die zweite Möglichkeit ist gegeben durch die Landeskonservate, die in jedem Bundes­land bestehen und die zusammen mit den Gemeinden, zusammen mit den Bürgern und Bürgerinnen alle denkmalrelevanten Maßnahmen besprechen, planen und um­setzen.

Ich glaube also, dass es sehr wichtig ist, in diese Richtung etwas zu tun, dass aber schon sehr viel denkmalschützerisches Bewusstsein in Österreich vorhanden ist.

 


Vizepräsidentin Anna Elisabeth Haselbach: Danke, Frau Bundesministerin.


Bundesrat
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Ich sehe, Kollege Schennach nimmt Platz. – Es kommt jetzt als nächster Zusatzan­fragesteller Kollege Konecny zu Wort. – Bitte.

 


Bundesrat Albrecht Konecny (SPÖ, Wien): Frau Bundesminister! Ich stelle mit Inter­esse fest, dass Sie sich fragen lassen, was mit dem verhältnismäßig geringen Betrag von 5,2 Millionen €, die im Jahr 2004 zur Verfügung stehen, noch zusätzlich gemacht werden kann. Ich habe eine ganz technische Frage: Wann werden die Budgetansätze im Denkmalschutz von 1999 wieder erreicht sein?

 


Vizepräsidentin Anna Elisabeth Haselbach: Bitte, Frau Bundesministerin.

 


Bundesministerin für Bildung, Wissenschaft und Kultur Elisabeth Gehrer: Es hat im Jahr 1999 ein einmaliges Nachziehverfahren gegeben, weil einfach große Rück­stände da waren, und wir haben jetzt wieder ein Nachziehverfahren. Wir werden das von Zeit zu Zeit immer wieder machen. (Bundesrat Konecny: Und dazwischen fällt man runter!) Ich glaube, wichtig ist nicht, was immer wieder im Budget steht, sondern wichtig ist, welche zusätzlichen Mittel noch zur Verfügung gestellt werden, und 5,2 Mil­lionen € sind einmal ein schöner Betrag. (Beifall bei der ÖVP. – Ironische Heiterkeit des Bundesrates Konecny.)

 


Vizepräsidentin Anna Elisabeth Haselbach: Wir gelangen nun zur 10. und letzten Anfrage, die Herr Bundesrat Gumplmaier stellen wird. Ich bitte um die Formulierung der Frage.

 


Bundesrat Dr. Erich Gumplmaier (SPÖ, Oberösterreich): Werte Frau Bundesminis­ter! Wir wissen von der PISA-Studie, dass jene Länder, die nicht eine direkte Leis­tungsbeurteilung in den Grundschulen haben, an oberster Spitze sind. Wir haben in Österreich seit mehreren Jahren Schulversuche laufen, in denen eine alternative Leis­tungsbeurteilung erprobt wird. (Rufe bei der ÖVP: Frage! Frage!)

1313/M-BR/2004

„Wurden die seit langem laufenden Schulversuche zur alternativen Leistungsbeurtei­lung in den Grundschulen evaluiert?“

Und wie ist das Ergebnis?

 


Vizepräsidentin Anna Elisabeth Haselbach: Bitte, Frau Bundesministerin.

 


Bundesministerin für Bildung, Wissenschaft und Kultur Elisabeth Gehrer: Sehr geehrter Herr Bundesrat! In der PISA-Studie steht nicht, dass jene Länder die besten Ergebnisse aufweisen, die eine alternative Leistungsbeurteilung haben. Es gibt nur Länder, die eine alternative Leistungsbeurteilung haben und auch ein gutes Ergebnis haben. Korea beispielsweise, wo es riesige Klassen gibt, hat überhaupt keine alter­native Leistungsbeurteilung und liegt ziemlich vorne.

Das heißt also, die alternative Leistungsbeurteilung hat nichts im ursprünglichen Sinn mit der Qualität des Unterrichts zu tun. Ich bin sehr dafür, dass wir einen sanften Einstieg machen, und das ist bereits gegeben: In der ersten Klasse Volksschule kann niemand sitzen bleiben. Die ersten zwei Grundschuljahre kann man in drei Jahren machen. Es kann an den Schulen als Schulversuch die alternative Leistungsbeurtei­lung bis zur vierten Klasse auf Antrag eingeführt werden – spricht überhaupt nichts dagegen. Es kann von den Eltern beschlossen werden, dass zu den Noten alternative Zusatzfeststellungen gemacht werden.

In der vierten Klasse ist es vorgeschrieben, dass es Noten gibt, schlicht und einfach deswegen, weil mit einem Zeugnis der vierten Klasse Berechtigungen verbunden sind, Berechtigungen, die für den jungen Menschen sehr wichtig sind.


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Die Evaluierung der dementsprechenden Schulversuche wird vom Stadtschulrat in Wien und von den einzelnen Landesschulräten vorgenommen. Dort wird auch eine Zusammenfassung erarbeitet, die dann sicher dem Ministerium vorgelegt wird.

 


Vizepräsidentin Anna Elisabeth Haselbach: Danke, Frau Bundesministerin.

Wünschen Sie eine Zusatzfrage? – Bitte, Herr Bundesrat.

 


Bundesrat Dr. Erich Gumplmaier (SPÖ, Oberösterreich): Ich hätte gerne die Ergeb­nisse zur Verfügung. Wo kann man sie nachlesen?

 


Vizepräsidentin Anna Elisabeth Haselbach: Frau Bundesministerin, bitte.

 


Bundesministerin für Bildung, Wissenschaft und Kultur Elisabeth Gehrer: Beim Stadtschulrat in Wien oder bei anderen Landesschulräten laufen derzeit die Erhe­bungen, und da wird sicher von den evaluierenden Experten eine Zusammenfassung erstellt. Jedenfalls haben wir die zuständigen Landesschulräte und den Stadtschulrat aufgefordert, eine Zusammenfassung ihrer Evaluierungsergebnisse vorzulegen. Das wird in den nächsten Monaten geschehen, aber es bleibt Ihnen unbelassen, bei den einzelnen Stellen, die dafür verantwortlich sind, anzufragen.

 


Vizepräsidentin Anna Elisabeth Haselbach: Danke, Frau Bundesministerin.

Eine Zusatzfrage wird von Herrn Bundesrat Wolfinger gewünscht. – Bitte.

 


Bundesrat Franz Wolfinger (ÖVP, Oberösterreich): Geschätzte Frau Bundesminister! Wie hoch ist die Zahl der Klassenwiederholungen in der Grundschule?

 


Vizepräsidentin Anna Elisabeth Haselbach: Bitte, Frau Bundesministerin.

 


Bundesministerin für Bildung, Wissenschaft und Kultur Elisabeth Gehrer: Die Zahl der Klassenwiederholungen in der Grundschule ist sehr gering. Das ist wichtig und richtig so. Wir haben uns das sehr genau angeschaut: Es gibt 370 884 Schüler und Schülerinnen in der Volksschule, und nicht zum Aufsteigen berechtigt ist ein Pro­zentsatz von 0,8, also nicht einmal 1 Prozent. Und dabei handelt es sich wirklich um Kinder, bei denen es besser ist, wenn sie noch ein Jahr länger in der Volksschule sind, damit sie dann bessere Aussichten und bessere Chancen in den weiterführenden Schulen haben. Also diese Zahl ist sehr, sehr gering.

 


Vizepräsidentin Anna Elisabeth Haselbach: Danke, Frau Bundesministerin.

Eine weitere Zusatzfrage wünscht Frau Bundesrätin Dr. Kanovsky-Wintermann. – Bitte.

 


Bundesrätin Dr. Renate Kanovsky-Wintermann (Freiheitliche, Kärnten): Sehr ge­ehrte Frau Bundesministerin! Welche rechtlichen Rahmenbedingungen für verbale Benotungen bestehen derzeit an den Grundschulen?

 


Vizepräsidentin Anna Elisabeth Haselbach: Bitte, Frau Bundesministerin.

 


Bundesministerin für Bildung, Wissenschaft und Kultur Elisabeth Gehrer: Derzeit ist es so, dass im Schulunterrichtsgesetz festgehalten ist, dass das Klassenforum fest­legen kann, dass man zu den Noten eine verbale Ergänzung macht. Die Schüler in der ersten Schulstufe steigen auf jeden Fall auf. Die erste und zweite Klasse Grundstufe können die Schüler, ohne praktisch sitzen zu bleiben, in drei Jahren machen. Und man kann natürlich auch einen Schulversuch für eine verbale Beurteilung bis zur vierten Klasse beantragen. Das wird alles gemacht und wird alles durchgeführt.

 


Vizepräsidentin Anna Elisabeth Haselbach: Danke, Frau Bundesministerin.

Die letzte Zusatzfrage wird von Frau Bundesrätin Konrad gestellt. – Bitte.

 


Bundesrätin Eva Konrad (Grüne, Tirol): Sehr geehrte Frau Bundesministerin! Woran liegt es Ihrer Meinung nach, dass in Österreich mehr Schüler und Schülerinnen auf


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Grund negativer Beurteilung eine Klasse wiederholen müssen als in vielen anderen europäischen Ländern?

 


Vizepräsidentin Anna Elisabeth Haselbach: Bitte, Frau Ministerin.

 


Bundesministerin für Bildung, Wissenschaft und Kultur Elisabeth Gehrer: Es stimmt nicht, dass Schülerinnen und Schüler in zunehmendem Maße eine Klasse wie­derholen müssen, sondern wir haben ungefähr den Prozentsatz, den wir auch früher schon gehabt haben. Es liegt daran, dass manche Kinder in den falschen Schulen sitzen. Die Polytechnische Schule befindet sich langsam in einem Qualitätsentwick­lungs- und Aufholprozess, und es geht darum, den Eltern klarzumachen, dass sie ihr Kind zur Absolvierung der 9. Schulstufe nicht beispielsweise in die erste Klasse HTL geben müssen, sondern die Polytechnische Schule eine gute Schule ist, wo die jungen Menschen am besten gefördert werden.

Unser Problem ist wirklich, dass viel zu viele in die ersten Klassen der HTLs, der Handelsakademien, der berufsbildenden Schulen, der Handelsschulen gehen, um das 9. Schuljahr zu machen. Wir müssen am Image der Polytechnischen Schule noch wei­ter arbeiten. Es hat sich aber sehr verbessert, sie wird zunehmend von mehr Schüle­rinnen und Schülern besucht. Ich glaube, das ist wichtig, denn jedes Wiederholen einer Klasse ist ein negatives Erlebnis für das Kind. Mein Ziel ist es, das so weit wie möglich zu vermeiden, aber Leistung muss trotzdem immer noch Leistung bleiben. (Beifall bei der ÖVP und bei Bundesräten der Freiheitlichen.)

 


Vizepräsidentin Anna Elisabeth Haselbach: Danke, Frau Bundesministerin.

Wir sind damit am Ende der Fragestunde.

Ankündigung einer Dringlichen Anfrage

 


Vizepräsidentin Anna Elisabeth Haselbach: Bevor wir in die Tagesordnung ein­gehen, gebe ich bekannt, dass ein Verlangen im Sinne des § 61 Abs. 3 der Geschäfts­ordnung des Bundesrates auf dringliche Behandlung der schriftlichen Anfrage der Bundesräte Roswitha Bachner, Kolleginnen und Kollegen betreffend Pensionspolitik-Desaster der Bundesregierung an den Herrn Bundesminister für soziale Sicherheit, Generationen und Konsumentenschutz vorliegt.

Im Sinne des § 61 Abs. 4 der Geschäftsordnung wird die Behandlung an den Schluss der Sitzung, aber auf keinen Fall über 16 Uhr hinaus verlegt.

Einlauf und Zuweisungen

 


Vizepräsidentin Anna Elisabeth Haselbach: Eingelangt und vom Herrn Präsidenten zugewiesen sind jene Beschlüsse des Nationalrates sowie jene Vorlagen der Bundes­regierung oder ihrer Mitglieder, die Gegenstand der heutigen Tagesordnung sind.

Die Ausschüsse haben ihre Vorberatungen darüber abgeschlossen und schriftliche Ausschussberichte erstattet. Diese Vorlagen sowie die Wahl eines Schriftführers für den Rest des 1. Halbjahres 2004 hat der Herr Präsident auf die Tagesordnung der heutigen Sitzung gestellt.

Wird zur Tagesordnung das Wort gewünscht? – Ich sehe, dass dies nicht der Fall ist.


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Behandlung der Tagesordnung

 


Vizepräsidentin Anna Elisabeth Haselbach: Auf Grund eines dem Präsidenten zugekommenen Vorschlags ist beabsichtigt, die Punkte 2 bis 4, 6 bis 10 sowie 11 und 12 der Tagesordnung jeweils unter einem zu verhandeln.

Gibt es dagegen Einwendungen? – Das ist ebenfalls nicht der Fall. Wir werden daher in diesem Sinne vorgehen.

1. Punkt

Wahl eines Schriftführers für den Rest des 1. Halbjahres 2004

 


Vizepräsidentin Anna Elisabeth Haselbach: Wir gelangen nun zum 1. Tagesord­nungspunkt: Wahl eines Schriftführers für den Rest des 1. Halbjahres 2004.

Diese Wahl ist notwendig geworden, da Frau Bundesrätin Johanna Schicker auf ihr Bundesratsmandat mit Ablauf des 29. Feber 2004 verzichtet hat. Ich werde diese Wahl sogleich, sofern sich kein Einwand erhebt, durch Handzeichen vornehmen lassen.

Es liegt ein Wahlvorschlag vor, und dieser lautet, Frau Bundesrätin Johanna Auer für den Rest des 1. Halbjahres 2004 zur Schriftführerin des Bundesrates zu wählen. Der Wahlvorschlag wurde von der sozialdemokratischen Fraktion eingebracht und ist genü­gend unterstützt.

Ich bitte jene Bundesrätinnen und Bundesräte, die diesem Wahlvorschlag ihre Zustim­mung geben, um ein Handzeichen. – Es ist dies die Stimmeneinhelligkeit. Der Wahl­vorschlag ist somit angenommen. (Allgemeiner Beifall.)

Ich darf die Gewählte fragen, ob sie die Wahl annimmt.

 


Bundesrätin Johanna Auer (SPÖ, Burgenland): Geschätzte Frau Präsidentin! Kolle­ginnen und Kollegen! Ich danke für das Vertrauen und nehme die Wahl an. (Allge­meiner Beifall.)

 


Vizepräsidentin Anna Elisabeth Haselbach: Danke vielmals. Ich darf Ihnen ganz herzlich gratulieren und freue mich schon, wenn Sie dann hier heroben Platz nehmen.

2. Punkt

Beschluss des Nationalrates vom 25. Februar 2004 betreffend ein Bundesgesetz über die Universität für Weiterbildung Krems (DUK-Gesetz 2004) (385 d.B. und 408 d.B. sowie 6987/BR d.B.)

3. Punkt

Beschluss des Nationalrates vom 25. Februar 2004 betreffend eine Vereinbarung gemäß Art. 15a B-VG zwischen dem Bund und dem Land Niederösterreich über den Ausbau des Universitätszentrums für Weiterbildung (Donau-Universität Krems) samt Anlage (386 d.B. und 409 d.B. sowie 6988/BR d.B.)

4. Punkt

Beschluss des Nationalrates vom 25. Februar 2004 betreffend ein Übereinkom­men zwischen der Republik Österreich, der Republik Bulgarien, der Republik


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Kroatien, der Tschechischen Republik, der Republik Ungarn, der Republik Polen, Rumänien, der Slowakischen Republik und der Republik Slowenien zur Förde­rung der Zusammenarbeit auf dem Gebiet der Hochschulbildung im Rahmen des Central European Exchange Programme for University Studies („CEEPUS II“) (345 d.B. und 410 d.B. sowie 6989/BR d.B.)

 


Vizepräsidentin Anna Elisabeth Haselbach: Wir gelangen nun zu den Punkten 2 bis 4 der Tagesordnung, über welche die Debatte unter einem abgeführt wird.

Die Berichterstattung zu den Punkten 2 bis 4 wurde von Frau Bundesrätin Wimmler übernommen. Ich bitte sie um die Berichte.

 


Berichterstatterin Herta Wimmler: Sehr geehrte Frau Vorsitzende! Geschätzte Frau Bundesministerin! Ich bringe den Bericht des Ausschusses für Bildung und Wissen­schaft über den Beschluss des Nationalrates vom 25. Februar 2004 betreffend ein Bundesgesetz über die Universität für Weiterbildung Krems (DUK-Gesetz 2004).

Der Bericht liegt Ihnen schriftlich vor.

Der Ausschuss für Bildung und Wissenschaft stellt nach Beratung der Vorlage am 9. März 2004 mit Stimmeneinhelligkeit den Antrag, gegen den vorliegenden Beschluss des Nationalrates keinen Einspruch zu erheben.

Weiters bringe ich den Bericht des Ausschusses für Bildung und Wissenschaft über den Beschluss des Nationalrates vom 25. Februar 2004 betreffend eine Vereinbarung gemäß Artikel 15a B-VG zwischen dem Bund und dem Land Niederösterreich über den Ausbau des Universitätszentrums für Weiterbildung (Donau-Universität Krems) samt Anlage.

Der Bericht liegt Ihnen ebenfalls schriftlich vor.

Der Ausschuss für Bildung und Wissenschaft stellt nach Beratung der Vorlage am 9. März 2004 mit Stimmeneinhelligkeit den Antrag, gegen den vorliegenden Beschluss des Nationalrates keinen Einspruch zu erheben.

Als Letztes bringe ich den Bericht des Ausschusses für Bildung und Wissenschaft über den Beschluss des Nationalrates vom 25. Februar 2004 betreffend ein Übereinkom­men zwischen der Republik Österreich, der Republik Bulgarien, der Republik Kroatien, der Tschechischen Republik, der Republik Ungarn, der Republik Polen, Rumänien, der Slowakischen Republik und der Republik Slowenien zur Förderung der Zusammen­arbeit auf dem Gebiet der Hochschulbildung im Rahmen des Central European Ex­change Programme for University Studies (CEEPUS II).

Der Bericht liegt Ihnen ebenfalls schriftlich vor.

Der Ausschuss für Bildung und Wissenschaft stellt nach Beratung der Vorlage am 9. März 2004 mit Stimmeneinhelligkeit den Antrag, gegen den vorliegenden Beschluss des Nationalrates keinen Einspruch zu erheben.

 


Vizepräsidentin Anna Elisabeth Haselbach: Danke für die Berichte.

Wir gehen nunmehr in die Debatte ein, die, wie gesagt, unter einem abgeführt wird.

Zu Wort gemeldet ist Herr Bundesrat Höfinger. Ich bitte ihn, das Wort zu ergreifen.

 


11.19

Bundesrat Johann Höfinger (ÖVP, Niederösterreich): Sehr geehrte Frau Präsidentin! Frau Bundesministerin! Hoher Bundesrat! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Wenn wir heute dieses Bundesgesetz über die Universität für Weiterbildung Krems und die dazugehörige Vereinbarung mit dem Land Niederösterreich sowie ein Übereinkom­men mit Staaten im osteuropäischen Raum zur Förderung der Zusammenarbeit auf


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dem Gebiet der Hochschulbildung im Rahmen des CEEPUS-II-Programmes beschlie­ßen, so darf ich meine Freude insofern zum Ausdruck bringen, als diese Tagesord­nungspunkte zum einen im Nationalrat einstimmig beschlossen wurden – und wir dürfen uns hoffentlich auch hier auf einen einstimmigen Beschluss freuen – und als wir damit zum Zweiten einen wertvollen und wichtigen Beitrag zum Bildungsstandort Krems und darüber hinaus für das österreichische Bildungssystem leisten können.

Als Niederösterreicher bin ich stolz darauf, dass die vor vielen Jahren geborene Vision, auf dem Areal einer ehemaligen Tabakfabrik einen Universitätsstandort zu errichten, von vielen Vertretern – damals allen voran von Landeshauptmann Siegfried Ludwig und dann genauso von Landeshauptmann Dr. Erwin Pröll – engagiert und motiviert umgesetzt wurde und daraus eine beispielhafte Bildungseinrichtung geworden ist.

Mit dem Donau-Universitäts-Gesetz rückt eine Weiterbildungseinrichtung, die einen spezifischen Status genießt, in das Zentrum der Aufmerksamkeit, und nach intensiver Zusammenarbeit zwischen dem Land Niederösterreich und dem Bildungsministerium – unter Einbeziehung von Fachexperten – wurde deren Aufgabe wie folgt definiert:

Durchführung und Entwicklung von Universitätslehrgängen; das heißt, diese Universität wird zum Standort für all jene Menschen, die sich nach der ersten Phase der wissen­schaftlichen Ausbildung der wissenschaftlichen Weiterbildung widmen.

Weitere Aufgabe: die wissenschaftliche Forschung zur Unterstützung der Lehre an den Universitätslehrgängen; weiters die Entwicklung zu einem mitteleuropäischen Kompe­tenzzentrum. – Eine große Herausforderung, wenn man bedenkt, dass sich die Euro­päische Union am 1. Mai 2004 um zehn Staaten vergrößern wird.

Weitere Aufgabe: Berücksichtigung neuer Lehr- und Lernformen, insbesondere der Fernlehre, sowie Aufbau eines Qualitätsmanagementsystems zur Qualitäts- und Leis­tungssteigerung im Bereich der Erwachsenenbildung, des so genannten lebensbeglei­tenden Lernens.

Gerade dieser zuletzt genannte Punkt, dieses lebensbegleitende Lernen, wird als immer wichtigerer Faktor erkannt, und das stellt auch eine große Herausforderung auf dem Bildungssektor dar, denn ohne Weiterbildung, ohne ständiges Lernen wird es weder Arbeitsplätze noch Einkommenschancen, noch soziale Sicherheit geben.

Wenn an der Donau-Universität Krems momentan Vorlesungen in Wirtschafts- und Managementwissenschaften, Telekommunikation, Information, Kulturwissenschaften, Umwelt und medizinischen Wissenschaften sowie in europäischer Integration angebo­ten werden, kann man erkennen, wo der Kern, wo der Schwerpunkt dieses Hauses liegt. – Ich bin jedenfalls überzeugt davon, dass diese Universität ein Kompetenz­zentrum für ganz Mitteleuropa werden wird, in dem auch die Völkerverständigung stark unterstützt wird.

Dies, sehr geehrte Damen und Herren, spiegelt sich auch in der Erfolgsgeschichte der Donau-Universität Krems wider, dass nämlich von anfänglich 100 Hörern im Jah­re 1994 jetzt bereits 2 600 Studenten aus fast 40 Ländern dieser Welt betreut werden – das Planungsziel liegt bei 3 000 Studenten –, und weiters darin, und das sollte be­sondere Anerkennung finden, dass der Eigenfinanzierungsgrad dieser Universität auf Grund der von Anfang an praxisorientierten Zusammenarbeit mit der Wirtschaft 74 Prozent beträgt.

Es freut mich, dass ich an dieser Stelle auf die allgemeine Finanzierung der Universi­täten hinweisen kann, wobei ja auch im heurigen Jahr die Mittel dafür erhöht wurden. In konkreten Zahlen heißt das: eine Steigerung aus dem ordentlichen Budget um 6 Prozent gegenüber dem Vorjahr; zusätzliche Mittel in der Höhe von 18 Millionen € für


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die Universitätsforschungsinfrastruktur, fast 11 Millionen € für Vorziehprofessuren und insgesamt 600 000 € für Sonderlehrveranstaltungen und Forschungsstipendien.

Das ist eben eine neue Art der Finanzierung, und zwar nicht eine nach dem Gieß­kannenprinzip, sondern eine Finanzierung, die auf vier Pfeilern ruht: Das ist einmal das staatlich zugewiesene Budget, das sind weiters die Studiengebühren, die voll bei den Universitäten bleiben, sowie die Mittel der deutlich angehobenen Forschungsförde­rung – über 1 Milliarde € wurde ja über die Forschungsförderung zur Verfügung ge­stellt – und schließlich die eigenen Einnahmen durch Weiterbildungsangebote, durch andere Dienstleistungen, durch Auftragsforschung oder durch Sponsoring etwa.

Letztendlich wird sich herausstellen, dass, wenn wir das Gesamtbudget bewerten, pro Kopf, also pro Studierendem ein wesentlich höherer Beitrag, als oft weitergetragen wird, herauskommt und wir dabei im europäischen Spitzenfeld liegen werden.

Ebenso bin ich überzeugt davon, dass es für viele Verantwortliche in den Universitäten eine große, aber erfreuliche Herausforderung sein wird, Wirtschaftlichkeit nicht nur zu unterrichten und zu lehren, sondern auch am praktischen Beispiel vorzuleben.

Sehr geehrte Damen und Herren! Ich meine, an dieser Stelle ist es auch wichtig, all jenen zu danken, die am Standort Krems innerhalb dieser kurzen Zeit diese Erfolge möglich gemacht haben. Zu danken ist also den Verantwortlichen im Bereich des Bil­dungsministeriums unter der Führung von Frau Bundesministerin Gehrer, dem Land Niederösterreich unter den Landeshauptleuten Ludwig und Pröll, da das Land Nieder­österreich, ergänzend zur Finanzierung des Bundes, insgesamt 47,3 Millionen € hiefür veranschlagt hat, um den Ausbau der DUK, der bis zum Jahre 2005 abgeschlossen sein wird, zu fördern. Nicht zuletzt zu danken ist auch dem Team in Krems vor Ort unter dem jetzigen Rektor Universitätsprofessor Dr. Werner Fröhlich, da eben alle kon­sequent und kompetent an der Erreichung dieser Ziele gearbeitet haben. Man kann stolz auf dieses Ergebnis sein – und ich wünsche auch weiterhin alles Gute!

Hoher Bundesrat! Ich bin überzeugt davon, dass wir auch mit der Zustimmung zum Übereinkommen zwischen den vorhin im Bericht genannten Staaten in Osteuropa und unserem Land zur Förderung der Zusammenarbeit auf dem Gebiete der Hochschul­bildung einen sehr wertvollen Beitrag zur Etablierung des heimischen Bildungssektors leisten können.

Die Unterstützung des kulturellen und wissenschaftlichen Austausches zwischen Ös­terreich und den Nachbarländern, mit denen wir per 1. Mai noch stärker zusammen­wachsen werden, sollte uns ein Anliegen sein, und wir sollten uns gemeinsam für diese Ziele einsetzen.

Nachdem Ende 1993 in Budapest ein erstes Abkommen zwischen Österreich, Bulga­rien, Polen, der Slowakei, Slowenien und Ungarn betreffend Aufnahme der Zusam­menarbeit im Bereich der Aus- und Weiterbildung im Rahmen von CEEPUS beschlos­sen wurde und sich in der Zwischenzeit der Kreis nach In-Kraft-Treten des Gesetzes am 1. Jänner 1995 um die Länder Kroatien, Tschechien und Rumänien erweitert hat, gab es bis heute einige hundert Studenten, die dieses Angebot genutzt haben.

Hoher Bundesrat! Die Intention dieses Übereinkommens liegt auf der Hand: Die akade­mische Mobilität in Mittel- und Osteuropa soll erzielt, Netzwerke zwischen Hochschul­einrichtungen in den jeweiligen Regionen sollen mittels Stipendien gefördert, gemein­same Studienprogramme mit Doppel- oder gemeinsamen Abschlüssen entwickelt wer­den. Vollstipendien, die dafür von jedem Mitgliedsland zur Verfügung gestellt werden, stehen für Studierende, für UniversitätsassistentInnen sowie ProfessorInnen für die anderen Vertragsstaaten zu deren Richtwerten und Konditionen zur Verfügung und beinhalten Lebenshaltungskosten, allfällige Laborgebühren, Unterkunft, gegebenenfalls


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Versicherungen. Diese Stipendien sind angepasst an das Gastland – und inflations­geschützt.

Praktiziert wird das alles nicht mehr über den Transfer von Finanzmitteln in das Aus­land: Abgerechnet wird nämlich in Stipendienmonaten, also nicht in Geld, sondern in Zeit; also eine praktikable, unbürokratische und zweckmäßige Lösung.

Das CEEPUS-II-Programm, das für die Dauer von fünf Jahren, also vom 1. Jänner 2005 bis 31. Dezember 2009 – mit Möglichkeit zur Verlängerung – zum Beschluss ansteht, wird das akademische Mobilitätsangebot umfangreicher und für Studierende noch attraktiver machen.

Sehr geehrte Damen und Herren! Beide Themen, sowohl das Universitätsgesetz Krems mit der Artikel-15a-Vereinbarung und damit auch einer Finanzierungsgarantie für die Zukunft zwischen dem Bund und dem Land Niederösterreich über den Ausbau der Donau-Universität Krems als auch das CEEPUS-II-Programm werden einen wesentlichen Beitrag dazu leisten, die europäische Integration und Zusammenarbeit auf dem Sektor der Aus- und Weiterbildung zu fördern.

Ich bin stolz darauf, dass es gelungen ist, diese Vorhaben umzusetzen – und dass sich zu diesen Punkten alle Fraktionen geeinigt haben. (Beifall bei der ÖVP und bei Bun­desräten der Freiheitlichen.)

11.28

 


Vizepräsidentin Anna Elisabeth Haselbach: Als Nächster zu Wort gemeldet ist Herr Bundesrat Giefing. – Bitte.

 


11.28

Bundesrat Johann Giefing (SPÖ, Niederösterreich): Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrte Frau Bundesministerin! Meine sehr geehrten Damen und Herren Bundes­räte! Lebenslanges Lernen ist heute die große Herausforderung schlechthin. Wir sind daher aufgerufen, Institutionen dafür zu schaffen und auf eine entsprechende Basis zu stellen.

Über die Qualität des Angebotes der Donau-Universität Krems könnte man sich in der Folge natürlich Gedanken machen, denn in Zukunft könnte sicherlich noch mehr her­ausgeholt werden, obwohl ich nicht verhehlen möchte, dass in Krems bereits viel geschehen ist. Es fehlen jedoch noch einige Schritte zur – unter Anführungszeichen –„Volluniversität“. Derzeit wird dort, wie in den letzten Jahren, um Geld, um Anerken­nung und um einen Platz in der österreichischen Universitätslandschaft gekämpft.

Genauso wie mein Vorredner bin auch ich stolz darauf, Niederösterreicher zu sein, sowie darauf, dass das Land Geld hiefür investiert hat. Ob allerdings das Land Nieder­österreich im Zusammenhang mit dieser Investition große Freude hat, weiß ich nicht, denn Tatsache ist jedenfalls, dass diese Investition des Landes durch die Rücknahme der des Bundes ausgelöst wurde. Stolz bin ich auch darauf, dass, wie ja bereits vorher angeführt wurde, aus dieser ehemaligen Tabak-Fabrik ein modernes Bildungszentrum gemacht wurde.

Bildung ist die Aufgabe unseres Staates; Bildung ist die Aufgabe für uns alle. Es kann doch nicht so sein, dass derjenige, der es sich leisten kann, dabei ist, derjenige hin­gegen, der es sich nicht leisten kann, draußen bleiben muss.

Kreiskys Leitspruch „Bildung für alle“ hat Österreich zu den führenden Ländern der Welt gemacht. (Bundesrat Dr. Kühnel: Na ja!) – Ja, unter Kreisky gab es zum Beispiel keine Studiengebühren; unter Bundeskanzler Kreisky wurden die gleichen Möglich­keiten für jeden geschaffen. Auch derjenige, der kein Geld hatte, konnte studieren –


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genauso wie eben derjenige, der Geld hatte. (Beifall bei der SPÖ. – Bundesrat Dr. Kühnel: Unter Kreisky gab es die längsten Studienzeiten!)

Heute ist das bei Ihnen von ÖVP und FPÖ anders: Heute gibt es Studiengebühren, und Sie wollen jene draußen lassen, die, was ihre finanziellen Mittel anlangt, schlechter gestellt sind. (Zwischenrufe bei der ÖVP und den Freiheitlichen.) Dagegen haben wir uns in der Vergangenheit gewehrt – und werden das auch in Zukunft tun!

In den vergangenen Jahren mussten wir zur Kenntnis nehmen, dass der Bund Investi­tionen hiefür zurückgenommen und vermehrt die Bundesländer zur Finanzierung her­angezogen hat. Bei den anderen Universitäten in Österreich ist dadurch eine Situation eingetreten, die nicht wünschenswert ist und ehebaldigst repariert werden sollte.

In meinem Familienkreis habe ich jemanden, der mir in den letzten Jahren immer wieder Folgendes erzählt hat: Moderne Geräte können nicht eingesetzt werden, da die Reparatur zu teuer ist, Lehrveranstaltungen müssen abgesagt werden, es gibt total überfüllte Hörsäle ... (Bundesrat Dr. Kühnel: In Krems?) – Ich spreche von der Ge­samtsituation der Universitäten in Österreich. (Bundesrat Dr. Kühnel: Aber jetzt steht die Donau-Universität Krems auf der Tagesordnung!) Zu den Kremsern komme ich schon noch.

Weiters ist zu kritisieren: Es gibt nächtelanges Anstellen der Studierenden für Seminar- und Laborplätze, ja sogar Stromrechnungen können nicht bezahlt werden – und dies trotz Studiengebühren!

So zum Beispiel gibt es an der Geisteswissenschaftlichen Fakultät der Karl-Franzens-Universität Graz seit Juni 2003 einen Investitions- und Einstellungsstopp. An dieser Fakultät sind lediglich 73 Prozent der Professuren besetzt, und es ist nicht abzusehen, wann und ob überhaupt dieser Besetzungsgrad angehoben wird. Für 620 MitarbeiterIn­nen stehen lediglich 563 ältere PCs zur Verfügung. Um jedoch den Anforderungen auch nur einigermaßen gerecht zu werden, müssten pro Jahr zirka 90 PCs angeschafft werden; im Jahre 2003 konnten lediglich 32 finanziert werden.

Nun sollen 600 000 € als Soforthilfe ausgeschüttet werden. Ich freue mich darüber, jedoch: Diese Mittel werden nicht ausreichen, um die wirklich großen Löcher stopfen zu können. Investitionen in Forschung und Bildung stellen unserer Ansicht nach einen wichtigen Faktor für das Wirtschaftswachstum dar. Wenn wir hier in Österreich diesbe­züglich den Weltklasseanspruch, der immer wieder in den Vordergrund gestellt wird, erreichen wollen, so reichen diese Mittel keinesfalls.

Österreich liegt, gemessen am Bruttoinlandsprodukt, mit Investitionen für die For­schung mit 0,59 Prozent weit hinter den EU-15-Staaten mit 0,77 Prozent. An der Spitze stehen da die USA mit 1,05 Prozent des BIP. Laut einer Studie haben 1995 die EU-15 noch 124 Milliarden € in Forschung und Entwicklung investiert, die USA hingegen 141 Milliarden €.

Dieser Vorsprung der Amerikaner hat sich in den vergangenen Jahren sogar noch vergrößert: Im Jahre 2001 investierten die EU-15 175 Milliarden € in Forschung und Entwicklung, während die USA 315 Milliarden € für Forschungsprojekte ausgaben.

Auch in Bezug auf die Industrieforschung haben die Universitäten einen Aufholbedarf an außeruniversitären Forschungseinrichtungen; das ist ebenfalls ein wichtiger Punkt für uns beziehungsweise für Österreich. Bei uns fehlen hochwertige Arbeitsplätze für ausgebildete Wissenschafter, Forscher und Entwickler. Derzeit wandern diese vielfach wegen besserer Berufsaussichten ins Ausland ab.

Ich meine, das wäre doch ein wichtiger Punkt, der zu lösen ist. Leider liegt jedoch kein brauchbares Gesamtkonzept vor, um diesem Umstand der Abwanderung hoch quali-


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fizierter Wissenschafter entgegenzuwirken. Es kann auf Dauer nicht so sein, dass Österreich die Ausbildungskosten trägt – und andere Staaten im Endeffekt davon profi­tieren.

Zum Schluss kommend, meine sehr geehrten Damen und Herren: Meine Fraktion wird dieser Vereinbarung zustimmen. Ich freue mich darüber – und möchte zum Ausdruck bringen, dass wir Sozialdemokraten liebend gerne Universitäten in Österreich als zum Beispiel Gefängnisse in Rumänien bauen. (Beifall bei der SPÖ. – Bundesrat Dr. Küh­nel: Nach dieser Rede hätten Sie das eigentlich ablehnen müssen!)

11.35

 


Vizepräsidentin Anna Elisabeth Haselbach: Zu Wort gemeldet ist Frau Bundesrätin Dr. Kanovsky-Wintermann. – Bitte.

 


11.35

Bundesrätin Dr. Renate Kanovsky-Wintermann (Freiheitliche, Kärnten): Frau Präsi­dentin! Sehr geehrte Frau Ministerin! Meine geschätzten Damen und Herren! Es ist ja heute schon von Vorrednern viel Richtiges gesagt worden. Wir wollen heute gemein­sam das Gesetz über die Universität für Weiterbildung Krems beschließen, ebenso die dazu gehörende Vereinbarung, die im Wesentlichen eine Finanzierungsvereinbarung darstellt, aber auch den Abschluss eines multilateralen Abkommens. CEEPUS II be­endet sozusagen diesen Reigen an universitären Vereinbarungen beziehungsweise Normen, die eben heute beschlossen werden sollen.

Entscheidend ist da meiner Ansicht nach vor allem der europäische Bereich; zu den Tagesordnungspunkten 2 und 3 möchte ich mich daher gar nicht allzu intensiv äußern: zum einen deshalb nicht, weil ich keine Niederösterreicherin bin, und zum anderen deshalb nicht, weil dazu schon von Vorrednern sehr viel gesagt wurde.

Daher also zum 4. Tagesordnungspunkt, zum CEEPUS-II-Abkommen: Dieses Abkom­men entspricht einerseits dem Wunsch und der Intention der Bildungsministerien in der Europäischen Union, bis zum Jahre 2010 einen europäischen Hochschulraum zu schaffen.

Die Bologna-Erklärung 1999 wurde hier bereits erwähnt: Bei dieser geht es darum, dass die Ausrichtung der Universitäten die ist, dass das Ziel die gegenseitige Aner­kennung der jeweiligen Zertifikate und Abschlüsse ist, ebenso aber auch Vernetzung und Internationalisierung.

Wichtig ist, dass man auch hier im Vorfeld, das heißt, bevor es zu diesen tertiären Pro­grammen kommt, die Schülerinnen und Schüler auf diese Internationalisierung vorbe­reitet. Ich bin daher sehr froh darüber, dass es im dualen Bereich eine entsprechende Forcierung der EU-Austauschprogramme gibt. Sehr geehrte Frau Ministerin, ich spre­che da wirklich aus eigener Erfahrung, weil gerade Kärnten zu jenen Bundesländern zählt, in denen es in den letzten zwei bis drei Jahren eine vermehrte Zunahme an EU-Austauschprojekten gibt – eine Zunahme an EU-Sprachprojekten und an EU-Praktika, vor allem gerade im Sommer.

Das ist meiner Überzeugung nach deshalb so wichtig, weil damit einerseits bei den Schülerinnen und Schüler eine Forcierung ihrer Fertigkeiten und Fachkenntnisse erfolgt, sie dann, was die Sprachkenntnisse anlangt, dann meistens perfekt sind, ande­rerseits aber auch sozusagen als ganz andere Menschen, als Menschen mit vielen zusätzlichen Erfahrungen zurückkommen.

Als Beispiel dafür darf ich etwa eine Schulklasse aus meinem Bereich anführen, eine Kärntner HTLA. Wenn ich mir da die 17-jährigen Mädchen oder Buben anschaue, be­vor sie beispielsweise dieses LEONARDO-Praktikum gemacht haben, und dann, wenn


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sie zurückkommen, so ist es oft so, als würden sie in dieser Zeit um zwei Jahre gereift sein.

Diese Jugendlichen sind dann einfach viel selbstbewusster, viel teamfähiger und verantwortungsbewusster, also alles Wertigkeiten und Fertigkeiten, die man heute von jungen Menschen, die im Arbeitsprozess eingesetzt werden sollen, nicht nur verlangt, sondern sogar voraussetzt.

Gleichzeitig haben diese jungen Menschen einen anderen Zugang zu fremden Kultu­ren, zu fremden Gesellschaften erfahren, und sie lernen, sich über Barrieren oder Vor­urteile hinwegzusetzen. Sie setzen sich in einer wirklich sehr offenen und konstruktiven Art mit den anderen Kulturen auseinander.

Das ist meiner Ansicht nach etwas Entscheidendes und Wichtiges, und unter diesem Aspekt sind solche internationalen Abkommen im tertiären Bereich zu sehen, denn nur Jugendliche, die von Haus aus schon aufgeschlossen sind, können sich dann, wenn sie die Matura machen, dazu entschließen, für einige Monate oder einige Semester ins Ausland zu gehen, um dort – in Tschechien, in Kroatien, in Rumänien, wo auch immer – zu versuchen, ihren Bildungsstand zu vervollständigen.

Ich möchte vielleicht noch dazu sagen, dass die Universitäten nicht so schlecht sind, wie sie teilweise von meinem Vorredner gemacht wurden. Ich glaube doch, dass etwas mehr Wettbewerb allen Ausbildungsbereichen, natürlich vor allem dem tertiären Bereich, gut tut. Es ist nicht alles gut, was von Amerika kommt, aber es wird wohl niemand in Abrede stellen können, dass die Idee, zu versuchen, sich auch eine dritte Säule für die Finanzierung zu verschaffen, etwas Positives ist. Auch ein Rektor einer Universität muss eben in Zukunft damit leben, als eine Art Manager dieser Universität aufzutreten, und dazu gehört auch die finanzielle Verantwortung. Auch die Direktoren der einfachen Schulen müssen das jetzt schon in verstärktem Maße tun – warum soll es also den Rektoren nicht möglich sein? Ich glaube, wir haben genug gute leitende Professoren, die das sehr wohl machen können und die auch bereits bewiesen haben, dass sie es tun.

Wenn wirklich einmal Not am Mann ist, dann wird eben auch die Frau Ministerin außer­halb des Budgets irgendeinen Säckel aufmachen müssen. Das gibt es ja auch immer irgendwie ... (Demonstrativer Beifall bei den Grünen. – Bundesrätin Dr. Lichtenecker: Das ist eine gute Idee!) Ich kann mir durchaus vorstellen, dass – von verschiedenen Seiten oder mit unterschiedlichen Finanzierungsströmen – eine solche über das Bud­get hinausgehende Sonderfinanzierung vielleicht einmal möglich sein wird.

Zum Schluss kommend, möchte ich sagen, dass wir natürlich mit all diesen Gesetzes­vorschlägen beziehungsweise mit dem Vertrag einverstanden sind und dass wir dazu auch die Zustimmung geben werden.

Ich möchte noch einmal festhalten, dass der Beschluss, den wir heute fassen werden, als besonders positiv anzusehen ist, weil damit zum einen die Internationalität im Bildungssektor gefördert wird und zum anderen der Wirtschaftsstandort Österreich eine Stärkung erfährt. Das halte ich auch für wichtig, denn wir wissen alle aus Erfahrung, aus Forschungen, aus internationalen Studien, dass überall dort, wo universitärer Bildungsaustausch, wo ein Networking erfolgt, automatisch auch eine Stärkung des Wirtschaftsstandortes damit verbunden ist. Darüber hinaus ist dieser Beschluss aber auch deshalb positiv, weil er – und damit unterstreiche ich das, was ich bereits gesagt habe – für die Jugendlichen nicht nur eine wirklich Chance schafft, überhaupt einen Arbeitsplatz in einer immer schneller werdenden und immer mehr globalisierten Welt zu erhalten, sondern weil mit solchen Aufenthalten im Ausland für die Jugendlichen immer auch eine Bewusstseinsverbesserung und -veränderung eintritt und damit auch der Abbau von kulturellen und gesellschaftlichen Schranken erleichtert wird.


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Aus all diesen Gründen wird die freiheitliche Fraktion diesen Tagesordnungspunkten die Zustimmung geben.

Ich möchte aber ganz zum Schluss noch einmal Folgendes festhalten: In Sachen For­schung ist es nicht so, dass die Universität oder dass Österreich oder die Bundes­regierung die Forschungsgelder krampfhaft zurückhält und versucht, nichts zu tun. Im Gegenteil, die österreichische Bundesregierung macht eigentlich das, was – das muss ich leider sagen – sozialistische oder sozialistisch dominierte Regierungen jahrelang verabsäumt haben. Sie hat erstmalig zweieinhalb Milliarden € im Forschungsbereich – das geht natürlich über die Universitäten hinaus – zur Verfügung gestellt und in einem Forschungsfonds verankert, und zwar für die nächsten vier Jahre, teilweise durch Finanzierung über Reserven der Nationalbank, teilweise über andere Mittel.

Ich meine, dass damit die Forschungsquote im Bruttonationalprodukt um einiges er­höht werden wird, was sehr sinnvoll ist, was wir alle anstreben, was aber – und das sage ich jetzt noch einmal – in den neunziger Jahren vernachlässigt wurde und was wir schon viel früher anstreben hätten müssen. (Beifall bei den Freiheitlichen und bei Bun­desräten der ÖVP.)

11.44

 


Vizepräsidentin Anna Elisabeth Haselbach: Zu Wort gemeldet ist Frau Bundesrätin Kerschbaum. – Bitte.

 


11.45

Bundesrätin Elisabeth Kerschbaum (Grüne, Niederösterreich): Sehr geehrte Frau Präsidentin! Frau Ministerin! Sehr geehrte Damen und Herren! Mich hat an der Über­schrift Folgendes irritiert: Es geht hier um ein Bundesgesetz über die Universität für Weiterbildung Krems, und in Klammer steht dann „DUK-Gesetz 2004“, also: Donau-Universität Krems-Gesetz 2004.

Auf jeden Fall steht „Universität“ drauf, also sollte auch Universität drinnen sein. (Hei­terkeit des Bundesrates Konecny.)

Ich frage mich nur, wie dieser Begriff „Universität“ in diesem Fall zu verstehen ist, denn laut Universitäts-Organisationsgesetz 1993 muss eine Einrichtung, die als Universität bezeichnet werden darf, auch ordentliche Studien sowie Habilitationen anbieten. Beides ist an der Donau-Universität Krems auch im Zuge des neuen Gesetzes nicht vorgesehen. Ich frage mich, warum sie dann offensichtlich in jedem Fall als Universität bezeichnet wird.

Ich bin nicht unbedingt der Meinung, dass jegliche Weiterbildung universitär stattfinden muss, aber was wichtig wäre, wäre ein bundesweit abgestimmtes Konzept von Weiter­bildungsangeboten sowie von Möglichkeiten, diese dann auch weiter zu nutzen.

Das Ziel des Gesetzes, das wir heute beschließen, besteht ja darin, dass die Donau-Universität – ich bleibe hier bei dieser Bezeichnung – wachsen soll. Im Vorblatt der Materialien steht, dass eines der Ziele in der „Erreichung einer den universitären An­sprüchen genügenden kritischen Masse durch Vermehrung des in einem Arbeitsver­hältnis zur Universität für Weiterbildung Krems stehenden wissenschaftlichen Perso­nals, insbesondere durch die Einrichtung von Professuren“ besteht.

Das wird Geld kosten. Laut Berechnungen des Bildungsministeriums werden die Kos­ten für Personal- und Sachmittel in Zukunft von 5 Millionen auf 12 Millionen € steigen. Das heißt, sie werden sich mehr als verdoppeln, und die Frage ist nun: Wer bezahlt diese Mehrkosten? – Der Herr Finanzminister hat gesagt, der Bund wird diese Mehr­kosten nicht bezahlen. Auch im Gesetz steht, dass die Lehrgangsbeiträge kosten­deckend festzulegen sind. Das heißt, die Studierenden werden diese 7 Millionen €, die nun zukünftig mehr anfallen, bezahlen müssen. – Wir haben vorher schon vom lebens-


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langen Lernen gesprochen. In diesem Fall heißt lebenslanges Lernen dann auch lebenslanges Investieren in die Weiterbildung und in die Fortbildung.

Wenn ich in meine Weiter- und Fortbildung investiere, dann muss ich mich auch fra­gen: Rentiert sich diese Ausbildung und Fortbildung? – Der Wert eines Studiums wird aber sicherlich nicht an dem bemessen werden, was es kostet, sondern an dem, was man dort lernen kann. (Beifall bei den Grünen und bei Bundesräten der SPÖ.)

11.47

 


Vizepräsidentin Anna Elisabeth Haselbach: Als Nächste zu Wort gemeldet ist Frau Bundesrätin Konrad. – Bitte.

 


11.48

Bundesrätin Eva Konrad (Grüne, Tirol): Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrte Bundesministerin! Sehr geehrte Damen und Herren! Österreich hat allein schon geo­graphisch die besten Voraussetzungen für eine intensive Zusammenarbeit mit den mittel- und osteuropäischen Ländern, und das ist eine Chance, die unbedingt genützt werden muss.

Der Hochschulbereich hat hier meiner Meinung nach einen ganz besonderen Stel­lenwert, und deshalb ist auch die Wirkung und der Nutzen von Programmen wie CEEPUS II gar nicht hoch genug einzuschätzen. Gerade durch Studierendenaus­tausch können langfristige Kontakte entstehen, und diese sind eine Investition, die sich auf jeden Fall rentiert. Sie wird sich allein schon wirtschaftlich rentieren, weil später daraus auch wirtschaftliche Kontakte entstehen.

Es ist schade, dass im Vergleich zu anderen Austauschprogrammen, wie zum Beispiel ERASMUS, das Programm CEEPUS zumindest quantitativ wenig in Anspruch genom­men wird. Das dürfte, glaube ich, unter anderem auch an der Sprachbarriere liegen.

In diesem Zusammenhang erinnere ich mich wieder an unsere Diskussion anlässlich der EU-Erweiterung. Damals ist nämlich eine sehr interessante Bemerkung gefallen: Es ist noch nicht so lange her, da war, zumindest im Kopf, Paris für uns näher als Bratislava. – Ich glaube, das ist auch heute in gewisser Weise noch so. Wir sind erst am Beginn, was unsere eigene Öffnung hin zum Osten betrifft.

Für sehr viele Studierende ist ein Auslandssemester in mittel- und osteuropäischen Ländern einfach nicht so interessant, allein schon auf Grund der Sprachen. Es wäre al­so sehr wichtig, schon in den Schulen das Angebot von Fremdsprachen zu verstärken, vor allem bei Sprachen unserer östlichen Nachbarn. Diesbezüglich hat die Ministerin vorher etwas ganz Wichtiges gesagt. Zumindest sprachlich, so scheint mir, sind die mittel- und osteuropäischen Länder schon besser auf eine zukünftige Zusammenarbeit vorbereitet, als es Österreich ist.

So viel zum Thema CEEPUS II. Die grüne Fraktion wird der Verlängerung dieses Pro­gramms gerne zustimmen.

Auch bei der Donau-Uni beziehungsweise Universität für Weiterbildung Krems werden wir zustimmen. Lebensbegleitendes Lernen hat sicher noch nicht den Stellenwert, der ihm eigentlich zustehen würde, und es ist sinnvoll, diesen Bereich auch weiterhin aus­zubauen.

Allerdings stellt sich mir da wieder einmal die Frage, welches Konzept dahinter steht – einerseits wird in Sparten investiert, andererseits geht es mit den Universitäten bergab. Es ist unlogisch, einerseits die Wichtigkeit von Weiterbildung zu betonen, während andererseits die Universitäten geschädigt werden.

Der Bereich lebenslanges Lernen zum Beispiel ist etwas, das auch Universitäten sehr gut abdecken können. Obwohl eine Ergänzung zu diesem Angebot immer gut und


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sinnvoll ist – ich kritisiere hier also nicht die Donau-Universität Krems – ist es, glaube ich, nicht sinnvoll, generell Bereiche, die in der Universität integriert und vernetzt abge­deckt waren, aus diesem Zusammenhang herauszuschälen.

Dasselbe trifft zum Beispiel auch auf die Medizinischen Universitäten zu. Diese leben ja – wie jede Wissenschaft – von Interdisziplinarität. Die besondere Qualität der Inns­brucker Medizinischen Fakultät zum Beispiel – inzwischen Universität – ist nur durch die engste Zusammenarbeit mit Bereichen der Naturwissenschaft möglich; das werden Ihnen auch sehr viele Mediziner bestätigen. Wieso muss man solche funktionierenden und guten Strukturen zerstören und dadurch Zusammenarbeit verkomplizieren?

Universitäten leben von der Zusammenarbeit und nicht von der Spezialisierung. Das ist eben einer der vielen Unterschiede zwischen Universitäten und einem herkömmlichen Wirtschaftsbetrieb. Auch wenn jetzt oft versucht wird, diesen Unterschied zu ignorie­ren – vielleicht weil ein Wirtschaftsbetrieb weniger unbequem ist, als das eine Univer­sität sein kann –, werden sich die Universitäten deshalb nicht in Wirtschaftsbetriebe verwandeln.

Eine Universität hat andere Ziele und deshalb auch andere Methoden, und eine dieser Methoden, die über lange Zeit gut funktioniert hat, ist Mitbestimmung. Eigentlich ist es ja interessant: Allerorts wird beklagt, die Jugend interessiere sich nicht für Politik. In Tirol zum Beispiel versucht man, diesem Problem so entgegenzuwirken: Es gibt einen Antrag von SPÖ und ÖVP, dass ein Konzept zur Jugendmitbestimmung erstellt werden soll. – Mitbestimmung wird also für wichtig gehalten. Sie ist eine Möglichkeit, Men­schen einzubinden und für den Staat und für Politik zu interessieren. Dort aber, wo funktionierende Mitbestimmungsmodelle existieren, wie auf der Uni, wird die Mitbestim­mung beschnitten.

Die Studierenden haben sich über lange Zeit konstruktiv eingebracht, sie haben an Entscheidungen mitgewirkt und diese mitgetragen. Diese Möglichkeit ist ihnen nun weitgehend genommen worden. Und niemand gibt gerne Rechte her und freut sich dann auch noch über Almosen – und nichts anderes sind jene Spuren von Mitsprache, die das UG 2002 gewährt –, das führt eben zu Protesten.

Weil wir in der Fragestunde eine so intensive Diskussion über die Finanzierung von Universitäten geführt haben und weil immer wieder behauptet wird, dass alle Imple­mentierungskosten übernommen werden, möchte ich nun noch ein kleines Rechenbei­spiel anfügen. Was nämlich immer vergessen wird, ist, dass es nicht nur Implementie­rungskosten gibt, sondern dass das Universitätsgesetz auch zu weiteren Mehrkosten führt. Das sind dann so banale Dinge wie zum Beispiel die Kosten, die durch einen Universitätsrat entstehen.

Ich habe mir das für meine Heimat-Universität Innsbruck einmal durchgerechnet – und weil wir ja hören, dass die Studiengebühren jetzt auch an der Universität bleiben, habe ich Studiengebühren sozusagen als Maßeinheit verwendet. Genauer gesagt, meine Rechnung war: Wie viele Studierende zahlen Studiengebühren, bis zumindest nur die Entschädigung der Universitätsräte für ein Jahr bedeckt ist? – Wenn ich jetzt nostal­gisch bin und in dieser Rechnung die Medizinische Universität noch zur Universität zähle, dann lautet das Ergebnis: Alle Studierenden der Theologischen Fakultät bezah­len ein Jahr lang nur dafür Studiengebühren, dass die finanzielle Entschädigung der Universitätsräte abgedeckt ist. Und wenn man jetzt nur die Stammuniversität für diese Rechnung verwenden möchte, sind es immer noch alle Studierenden der Institute für Anglistik und Amerikanistik.

Schauen Sie, wenn einerseits an der Donau-Uni Krems zum Beispiel Fernlehre geför­dert wird, ist das wichtig und gut und kann allen helfen, wenn aber andererseits Univer­sitäten nicht einmal Geld für Kopierpapier haben, dann passt mir das im Konzept nicht


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zusammen. Die vielen Klagen, die jetzt vor allem in finanzieller Hinsicht von den Uni­versitäten kommen, sind keine „Pflanzerei“! Ich bitte Sie – und ich bitte auch Sie, Frau Ministerin –: Nehmen Sie diese Klagen ernst und tun Sie sie nicht als unbegründet ab, denn sie sind begründet! (Beifall bei den Grünen und der SPÖ.)

11.54

 


Vizepräsidentin Anna Elisabeth Haselbach: Zu Wort gelangt nun Frau Bundesminis­terin Gehrer. – Bitte.

 


11.54

Bundesministerin für Bildung, Wissenschaft und Kultur Elisabeth Gehrer: Frau Präsidentin! Hoher Bundesrat! Ich glaube, es ist notwendig, einige ganz nüchterne Feststellungen zu treffen.

Zum Ersten: Wir haben heuer einen Rekord an Studienanfängern. Über 200 000 sind jetzt an den Universitäten, und es gibt einen neuen Rekord an jungen Menschen, die zu studieren angefangen haben. Das heißt, jeder, der in Österreich studieren will, der die Fähigkeiten dazu hat, kann auch studieren! (Beifall bei der ÖVP. – Zwischenruf der Bundesrätin Konrad.)

Das wird auch in Zukunft so bleiben. Natürlich gehen etliche an die Fachhochschulen – wir haben rund 21 000 Jugendliche an den Fachhochschulen. Die Angebote sind unglaublich ausgeweitet worden! Wir haben dazu die Förderungen für die studierende Jugend ganz maßgeblich erhöht. – Das heißt, aus all diesen Entwicklungen zeigt sich genau, dass die maßvollen und geringen Studienbeiträge kein Hindernis für das Studium sind, sondern: Sie führen zu mehr Verantwortlichkeit, die jungen Menschen machen ihr Studium schneller fertig, legen mehr Prüfungen ab – und das ist ja etwas, was wir in diesem 21. Jahrhundert dringend brauchen.

Zum Zweiten: Das Grundbudget der Universitäten wurde von den Rektoren mit dem Finanzministerium und mit dem Bildungsministerium ausverhandelt, berechnet, und es gibt dazu noch Zusatzzahlungen. Kein Kopierpapier zu haben lässt nicht auf einen Mangel an Budget schließen, sondern auf einen Mangel an Organisationstalent des jeweiligen Institutes. (Beifall bei der ÖVP.)

Etwas, was mich immer wieder eigenartig berührt, ist die Bemerkung, dass wir im Bildungsbereich für das Ausland ausbilden, dass daran die Forderung geknüpft wird, dass alle, die in Österreich in irgendeinem Bereich ausgebildet werden, auch in Öster­reich bleiben müssen. Meine Damen und Herren! Das, was den jungen Leuten am meisten „gibt“ – ob sie in der Wissenschaft sind, im Tourismus oder in anderen Berei­chen –, sind Auslandsjahre und Auslandserfahrungen! Das, was Österreich am meis­ten bringt, sind gut qualifizierte junge Leute, die ins Ausland gehen, die den Ruf Öster­reichs weitertragen, die ein Netzwerk bilden, die später wieder zu uns zurückkom­men. – Ich glaube, wir müssen doch die Welt so sehen, wie sie ist: dass es notwendig ist, internationale Erfahrungen zu machen, und dass es unmöglich ist, Ausbildung nur für den eigenen Markt zu machen. Ich glaube, das wäre der völlig verkehrte Weg.

Natürlich ist es wichtig, dass wir durch verschiedene Incentives Wissenschaftlern und Wissenschaftlerinnen die Chance geben, nach wichtigen Auslandsjahren wieder in Österreich zu arbeiten. Gerade durch die Schwerpunktsetzung im Bereich der Biotech­nologie wurden zahlreiche neue Arbeitsplätze in Österreich geschaffen, gerade durch die Möglichkeiten im Steuerbereich, wo verbesserte Bedingungen für Betriebe geschaf­fen wurden.

Wir sehen, dass sich die Firma Boehringer Ingelheim im Süden von Wien angesiedelt hat – mit enorm vielen neuen Arbeitsplätzen –, die Firma Sandoz hat ihren Weltsitz von Basel nach Wien verlegt, eröffnet demnächst einen großen Betrieb in der Nähe von


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Kufstein. Hunderte Arbeitsplätze werden geschaffen! Die Firma Baxter wird ihr For­schungszentrum gegenüber der Außenstelle der BOKU in der Muthgasse bauen – wir werden die BOKU erweitern und neue Institute bauen. Da gibt es eine äußerst positive Entwicklung, durch die viele junge Leute, die Naturwissenschaften studiert haben, in Österreich einen neuen Arbeitsplatz haben. Das wird durch die Steuerbegünstigungen, wird durch die Forschungspolitik der österreichischen Bundesregierung ermöglicht.

Meine Damen und Herren! Die neue Universität für Weiterbildung in Krems ist ein sehr, sehr wichtiger Schritt in der europäischen Bildungsentwicklung. Es gibt in allen Län­dern der Europäischen Union die verstärkte Entwicklung zu Weiterbildungsmaßnah­men, zu lifelong learning. Wir brauchen das, um die Menschen fit zu halten für die Herausforderungen und für die Entwicklungen unserer Zeit.

Die Donau-Universität Krems ist auch nach einem völlig neuen Modell aufgebaut. Ich weiß schon, Zentralisten mögen das nicht, da muss alles und jedes der Staat machen – wer immer auch „der Staat“ ist, es ist auf alle Fälle der Steuerzahler. Und ob jetzt der Staat zusammen mit einem Land etwas organisiert oder der Staat allein: Die Mittel kommen immer vom Steuerzahler! Ich halte es für sehr gescheit, wenn neue Partnerschaften eingegangen werden, wenn neue Modelle ausgearbeitet werden. Die Donau-Universität Krems ist ein neues Modell der partnerschaftlichen Finanzierung einer Universität, wo auch ein Land Verantwortung übernimmt und zusammen mit dem Bund universitäre Angebote macht.

Die Donau-Universität Krems hat die große Aufgabe, in den mitteleuropäischen Raum hineinzuwirken – wir arbeiten vor für die Erweiterung der Europäischen Union. Die Donau-Universität Krems hat ein enormes Entwicklungspotential gerade in die neuen Mitgliedsländer hinein. Ich freue mich, dass im Prinzip – von einigen Bemerkungen ab­gesehen – das Donau-Universität-Krems-Gesetz, das Gesetz für die neue Universität für Weiterbildung, von allen Fraktionen dieses Hauses getragen wird. (Beifall bei der ÖVP.)

12.00

 


Vizepräsidentin Anna Elisabeth Haselbach: Weitere Wortmeldungen hiezu liegen nicht vor.

Wünscht noch jemand das Wort? – Es ist dies nicht der Fall.

Die Debatte ist geschlossen.

Wird von der Berichterstattung ein Schlusswort gewünscht? – Auch das ist nicht der Fall.

Wir kommen zur Abstimmung, die über die vorliegenden Beschlüsse des National­rates getrennt erfolgt.

Wir gelangen zuerst zur Abstimmung über den Beschluss des Nationalrates vom 25. Feber 2004 betreffend ein Bundesgesetz über die Universität für Weiterbildung Krems.


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Ich ersuche jene Bundesrätinnen und Bundesräte, die dem Antrag zustimmen, gegen den vorliegenden Beschluss des Nationalrates keinen Einspruch zu erheben, um ein Handzeichen. – Es ist dies Stimmeneinhelligkeit. Der Antrag ist somit angenommen.

Wir gelangen nunmehr zur Abstimmung über den Beschluss des Nationalrates vom 25. Feber 2004 betreffend eine Vereinbarung gemäß Artikel 15a Bundes-Verfassungs­gesetz zwischen dem Bund und dem Land Niederösterreich über den Ausbau des Uni­versitätszentrums für Weiterbildung – es ist dies die Donau-Universität Krems – samt Anlage.

Ich ersuche jene Bundesrätinnen und Bundesräte, die dem Antrag zustimmen, gegen den vorliegenden Beschluss des Nationalrates keinen Einspruch zu erheben, um ein Handzeichen. – Es ist dies Stimmeneinhelligkeit. Der Antrag ist somit angenommen.

Schließlich gelangen wir zur Abstimmung über den Beschluss des Nationalrates vom 25. Feber 2004 betreffend ein Übereinkommen zwischen der Republik Österreich, der Republik Bulgarien, der Republik Kroatien, der Tschechischen Republik, der Republik Ungarn, der Republik Polen, Rumänien, der Slowakischen Republik und der Republik Slowenien zur Förderung der Zusammenarbeit auf dem Gebiet der Hochschulbildung im Rahmen des Central European Exchange Programme for University Studies mit der Kurzbezeichnung „CEEPUS II“.

Ich ersuche jene Bundesrätinnen und Bundesräte, die dem Antrag zustimmen, gegen den vorliegenden Beschluss des Nationalrates keinen Einspruch zu erheben, um ein Handzeichen. – Es ist dies ebenfalls Stimmeneinhelligkeit.

Der Antrag ist somit angenommen.

5. Punkt

Kulturbericht 2002 der Bundesministerin für Bildung, Wissenschaft und Kultur (III-254-BR/2004 d.B. sowie 6990/BR d.B.)

 


Vizepräsidentin Anna Elisabeth Haselbach: Wir gelangen nun zum 5. Punkt der Tagesordnung.

Die Berichterstattung darüber hat wieder Frau Bundesrätin Wimmler übernommen. Ich darf um den Bericht bitten.

 


Berichterstatterin Herta Wimmler: Sehr geehrte Vorsitzende! Frau Bundesministerin! Hohes Haus! Ich darf den Bericht des Kulturausschusses betreffend den Kulturbe­richt 2002 der Bundesministerin für Bildung, Wissenschaft und Kultur (III-254-BR/2004) bringen.

Der Bericht liegt Ihnen schriftlich vor.

Der Kulturausschuss stellt somit den Antrag, der Bundesrat wolle den Kulturbe­richt 2002 der Bundesministerin für Bildung, Wissenschaft und Kultur (III-254-BR/2004) zur Kenntnis nehmen.

 


Vizepräsidentin Anna Elisabeth Haselbach: Ich danke für den Bericht.

Wir gehen nun in die Debatte ein.

Zu Wort gemeldet ist als Erste Frau Bundesrätin Schlaffer. – Bitte.

 


12.03

Bundesrätin Anna Schlaffer (SPÖ, Burgenland): Sehr geehrte Frau Präsidentin! Frau Bundesministerin! Werte Kolleginnen und Kollegen! Seit unserer Debatte über den Kul­turbericht 2001 sind erst wenige Monate vergangen. Namens meiner Fraktion habe ich damals unsere Ablehnung dieses Berichts unter anderem mit vorhandenen Problemen im Bereich der Bundesmuseen und dem dadurch dringend gegebenen Handlungs­bedarf der Frau Bundesministerin begründet. Die Probleme sind weitgehend gleich ge­blieben, ebenso die Inaktivität der Frau Ministerin. (Vizepräsident Mag. Himmer über­nimmt den Vorsitz.)

Werte Kolleginnen und Kollegen! Die Ausgliederung der Bundesmuseen war und ist ein richtiger Schritt. Nicht akzeptabel hingegen ist, dass die Bundesregierung und im Speziellen die Frau Bundesministerin so tut, als gingen sie die Museen nun nichts


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mehr an und es sollen sich gefälligst die Direktoren darum kümmern. Diese sind da­durch einem enormen Leistungsdruck ausgesetzt, was zwar durchaus auch etwas Positives sein kann, aber nur dann, wenn die Umstände passen.

Es entsteht jedoch der Eindruck, dass die Direktoren in ihrem Streben nach Erfolg und auch mangels entsprechender Vorgaben, was zum Beispiel die Profile ihrer Häuser be­trifft, herumirren und einen Großteil ihrer Energien auf die ökonomischen Aspekte ver­wenden müssen. Wir müssen feststellen, dass die Bundesmuseen in zunehmendem Maße auf Ausstellungen mit klingenden Namen setzen. Nur so scheint es möglich zu sein, immer höher werdende Besucherzahlen nachzuweisen. (Bundesrat Ing. Haller: Ist das schlecht?) Geringere Besucherzahlen würden nämlich – und das ist der sprin­gende Punkt – niedrigere Subventionen mit sich bringen.

Die Frage, wie man hohe Besucherzahlen erzielen kann, ist wohl nur so zu beant­worten: mit Künstlern, die bekannt sind, und mit Kunst, die die Leute wollen. Durch die Konzentration finanzieller Mittel auf populistische Ausstellungen wird die Möglichkeit, Ausstellungen zeitgenössischer Künstler – auch jener ohne klingenden Namen – zu veranstalten, enorm eingeengt. Staatliche Kulturpolitik sollte aber den Mut fördern und auch die entsprechenden Möglichkeiten schaffen, neuen, bisher unerprobten Entwick­lungen Raum zu geben. Frau Bundesministerin, dazu wäre es Ihrerseits notwendig, sich aktiver in das Geschehen einzubringen. Es reicht nicht aus, wenn Sie immer wie­der betonen, dass Ihnen Forschung wichtig ist, ohne dass Sie zugleich die Ihnen gege­benen Möglichkeiten nützen und die entsprechenden Impulse setzen.

Frau Ministerin Gehrer, da Sie zugleich Bildungsministerin sind, sollte Ihnen durchaus bekannt sein, dass Museen auch Bildungsinstitutionen sind. (Bundesrat Ing. Haller: Glauben Sie, dass das nicht der Fall ist?) Bildungspolitik ist nicht abkoppelbar von Kulturpolitik. Bildungspolitik ist, wie es der ehemalige Bundeskanzler Fred Sinowatz erst vor wenigen Tagen so treffend formuliert hat, ebenso wie Kulturpolitik Teil einer Gesamtheit. (Bundesrat Hösele: „Alles sehr kompliziert“! – Weitere Zwischenrufe bei der ÖVP.) Und, meine Herren auf der rechten Seite, eben weil Fred Sinowatz diesen Grundsatz in seiner Tätigkeit stets befolgt hat, war er auch ein so erfolgreicher Bil­dungs- und Kulturpolitiker.

Meine Damen und Herren! Die Kulturpolitik dieser Bundesregierung weist große Mängel auf. Sie wird von meiner Fraktion ebenso bekrittelt wie die Inaktivität der Frau Ministerin Gehrer. Wir werden daher aus diesem Grund auch dem Kulturbericht 2002 unsere Zustimmung verweigern.

Ausdrücklich möchte ich aber namens meiner Fraktion betonen, dass wir die Tätigkeit aller im Kulturbereich beschäftigten Menschen anerkennen und auch sehr schätzen. Diese leisten trotz fehlender entsprechender Rahmenbedingungen ausgezeichnete Arbeit! Unter großem persönlichen Einsatz sowie mit Fleiß und Kreativität tragen sie wesentlich dazu bei, dass das kulturelle Leben in unserem Lande in Bewegung bleibt. – Danke. (Beifall bei der SPÖ und den Grünen.)

12.09

 


Vizepräsident Mag. Harald Himmer: Zu Wort gemeldet hat sich Herr Bundesrat Pro­fessor Hösele. – Bitte, Herr Bundesrat.

 


12.09

Bundesrat Herwig Hösele (ÖVP, Steiermark): Herr Präsident! Sehr geehrte Frau Bun­desministerin! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kolle­gen! Bundeskanzler Dr. Sinowatz, den ich auch als beachtlichen Zeithistoriker schätze und dem ich in vielerlei Hinsicht eine persönliche Sympathie entgegenbringe und ent­gegengebracht habe, habe ich insbesondere mit zwei Zitaten, die öffentlichkeitswirk-


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sam übrig geblieben sind und ihn, glaube ich, nur verkürzt darstellen, in Erinnerung. Aber ein Zitat von ihm muss ich Ihnen in diesem Zusammenhang doch bringen: Es ist alles sehr kompliziert. – Jedenfalls ist es ein bisschen komplizierter, als Sie es hier dar­stellen, liebe Frau Kollegin. (Heiterkeit und Beifall bei der ÖVP.)

Ich bin im Gegensatz ... (Bundesrat Schennach: Aber das „Pferde-Zitat“ ist auch nicht schlecht!) Bitte? (Bundesrat Schennach: Das „Pferde-Zitat“ ist auch nicht schlecht! – Heiterkeit bei der SPÖ und den Grünen.) – Ich erspare mir ein paar andere.

Das Nächste, Frau Kollegin: Ich vermag nicht zu erkennen, dass es ein negatives Er­lebnis für Museumsdirektoren oder auch für die Kulturnation Österreich sein soll, wenn mehr Besucher statt weniger in die Bundesmuseen gehen. Ich glaube, das hat gerade vom Anspruch auf die Bildungsaufgabe der Museen her eine ganz große und wichtige Bedeutung, eine volkspädagogische Bedeutung, und ich halte das für außerordentlich wichtig. Ich möchte wissen, was Sie sagen würden, wenn das alljährlich zurückginge; dann würden Sie sagen: um Gottes willen, das kulturelle Erbe Österreichs wird nicht präsentiert!, und so weiter.

Ich gehe in sehr viele Ausstellungen, und das ist auch sehr unterschiedlich: Das reicht von El Greco – wenn Sie sagen, es sind große Schauen – bis hin zu Günter Brus, einer sehr anspruchsvollen, sehr kritischen Schau, worüber sehr viele Leute sagen: Mein Gott, wieso wird das überhaupt ausgestellt? Gegenwärtig wird eine andere Schau sehr stark kritisiert, auf die ich vielleicht noch zurückkommen werde. Da wird alles Mögliche präsentiert – und das soll nicht präsentiert werden?

In einem Punkt bin ich sehr froh – viele oder zumindest manche von uns werden das noch mitverfolgt haben, ich habe es persönlich mitverfolgt –: Ende der achtziger Jahre des vergangenen Jahrhunderts gab es einen Aufschrei im Zusammenhang mit den österreichischen Museen, und zwar darüber, dass sie verkommen und verrotten. Unter Minister Tuppy ist mit einer Museumsmilliarde begonnen worden, damit da aufgeholt werden kann und unser kulturelles Erbe in diesem Zusammenhang nicht verrottet; danach sind es Dr. Busek und seither Frau Bundesministerin Gehrer gewesen. Wir stehen im weltweiten Vergleich tipptopp da, schauen Sie sich das einmal an, bitte sehr!

Der Berichtszeitraum 2002 zeigt außerdem, dass in diesem Jahr, dem ersten vollen Jahr, das Museumsquartier, glaube ich, zwei Millionen Besucher zu verzeichnen ge­habt hat, mit einem Anteil von 33 Prozent an ausländischen Besuchern. Ich war dieser Tage in den Vereinigten Staaten. Dort habe ich einerseits die Freude gehabt, das Metropolitan Museum in New York oder die Mall in Washington zu sehen. Unsere Museen und unserer Museumsmeile sind damit sicher vergleichbar! Da sollte man ehrlich ... (Der Redner sieht, dass die Lampe am Rednerpult rot leuchtet.)

Kann das stimmen, Herr Präsident?

 


Vizepräsident Mag. Harald Himmer: Nein, das kann nicht stimmen! (Die Lampe wird ausgeschaltet.)

 


Bundesrat Herwig Hösele (fortsetzend): Das wäre nämlich sehr traurig, ich hätte hier noch ein bisschen Stoff zu liefern. (Heiterkeit.) Ich bin an sich ein sehr disziplinierter Mensch, aber jetzt war ich ganz traurig. – Jedenfalls würde ich meinen, dass wir bei den Museen und bei der Präsentation der Museen wirklich weit vorne sind.

Zweitens habe ich im Ausschuss – und das hat mir eigentlich sehr gut gefallen – die große Sorge um die finanziellen Mittel für den Denkmalschutz miterlebt. Hier ist ein sehr erfreulicher Paradigmenwechsel – um nicht zu sagen: fast eine Pointe der Ge­schichte – festzustellen. In der Zeit des Bundeskanzlers Sinowatz gab es einen Kultur­berater Herrmann, der mit „Trara, Trara, die Hochkultur“ meiner Meinung nach ein


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wenig gefrotzelt hat und das alles als ziemlich bourgeois und rückwärts gewandt dar­gestellt hat.

Ich freue mich sehr, dass nunmehr insgesamt ein Bewusstsein für unser kulturelles Erbe in allen Bereichen da ist. Wenn ich die Ortskerne anschaue, wenn ich die Stadt­zentren ansehe: Es ist vieles zu tun, und natürlich muss man immer mehr tun, aber unter den gegebenen Rahmenbedingungen ist hier, bezogen auf das ganze Land – wo immer man hinkommt, in Dörfer, Gemeinden, einzelne Schlösser, einzelne Burgen, Denkmäler –, Ungeheures in Bewegung geraten, worin sich das kulturelle Erbe Öster­reichs insgesamt sehr gut widerspiegelt und was vor allem als Teil selbst gelebter Iden­tität gesehen wird, mit ausgedehnter privater Initiative. Das ist etwas Großes!

Ein bemerkenswertes Spannungsverhältnis möchte ich noch kurz ansprechen. Teilwei­se werden auch, unter jeweils umgekehrten ideologischen Vorzeichen, Einflussnahmen seitens der Frau Ministerin auf die komplette Ausstellungspolitik gefordert. Die einen verlangen mehr Koordination und Kooperation, möglicherweise sogar dirigistische Festsetzungen darüber, wo wann welche Ausstellungen stattfinden sollen; die anderen verlangen überhaupt die Untersagung gewisser Ausstellungen – wenn ich etwa die Otto-Muehl-Diskussion betrachte –, und zwar aus durchaus sehr unterschiedlichen ideologischen Blickwinkeln.

Ich glaube feststellen zu können und zu dürfen, dass die Frau Bundesministerin mit ihrem Ministerium ihre Koordinierungsrolle sehr behutsam und verantwortungsbewusst, unter Beachtung der Autonomie und Vollrechtsfähigkeit der Museen, wahrnimmt. Koordinierungsgespräche sind möglich und notwendig, sie werden geführt und sind auch erfolgreich. Aber ich muss die umgekehrte Frage stellen: Was wäre der erste Ausruf, wenn Weisungen erteilt würden? – „Zensur! Unterdrückung der Freiheit der Kunst und Kultur!“ (Bundesrätin Schlaffer: ... noch Weisungen!)

Da sage ich mit einem Zitat einer Dame, die Ihnen hoffentlich wohl bekannt sein wird, Rosa Luxemburg, einer ganz große Vordenkerin: Freiheit ist immer die Freiheit der Andersdenkenden. – Auch das muss man sehen, auch damit muss man sich auseinan­der setzen, auch bei der Muehl-Geschichte – da hilft nichts! (Demonstrativer Beifall bei Bundesräten der Grünen.) Kunst und Kultur brauchen die Auseinandersetzung. Was heute zu international anerkannten Meisterwerken gehört, war zu seiner Entstehungs­zeit teilweise skandalös, höchst umstritten und angegriffen. Das soll auch so sein.

Das Zweite ist: Wir brauchen auch das fruchtbare Verhältnis des Wettbewerbs! Nicht dass von oben gesagt wird: diese Ausstellung müsst ihr machen, jene ihr!, sondern das hat gegenseitig ein befruchtendes Spannungsverhältnis und eine Dialektik. Das sollte auch beachtet werden.

Abschließend darf ich der Frau Bundesministerin aus steirischer Sicht auch für die vielen Initiativen im Zusammenhang mit unserem Bundesland danken: Admont, Mau­soleum Ferdinands II., Kalvarienberg, und auf Seite 160 – es ist die letzte Seite des Berichts – ist ein wichtiges technisches Denkmal dokumentiert: die Sendeanlage Graz-Dobl, die im Zweiten Weltkrieg einen der reichweitenstärksten Sender Europas beher­bergte, die heute als technisch-historisches Monument besucht werden kann und die zugleich dem ersten Privatradio Österreichs, der seit 1995 sendenden „Antenne Steier­mark“, Heimat gibt. Ein gelungenes Beispiel der Symbiose von Technikgeschichte mit moderner Medienentwicklung, ein gelungenes Beispiel kultureller Identität eines Teils in Österreich!

Aus allen diesen Gründen freue ich mich, mitteilen zu können, dass meine Fraktion dem Antrag, den Kulturbericht 2002 zur Kenntnis zu nehmen, sehr gerne zustimmen wird. (Beifall bei der ÖVP sowie des Bundesrates Hagen.)

 


12.17


Bundesrat
Stenographisches Protokoll
706. Sitzung / Seite 61

Vizepräsident Mag. Harald Himmer: Zu Wort gemeldet hat sich Herr Bundesrat Pro­fessor Konecny. (Ruf bei der SPÖ: Nicht anwesend! – Bundesrat Dr. Kühnel: Nicht da!)

Nicht anwesend? – Als Nächster zu Wort gemeldet hat sich Herr Bundesrat Mag. Gu­denus. – Bitte. (Bundesrat Dr. Kühnel: Er will auch nicht, oder?)

 


12.18

Bundesrat Mag. John Gudenus (Freiheitliche, Wien): Herr Präsident! Kollegen und Kolleginnen! Vorweg möchte ich eine Bemerkung machen, die mit dem Thema Kultur­bericht nichts zu tun hat. Ich bedauere, dass jetzt Kollege Bundesrat Weiss nicht hier ist. Bundesrat Weiss hat vor wenigen Tagen medial verlauten lassen, dass er sich vor­stellen kann, den Bundesrat mit nur 37 Mitgliedern bestückt zu sehen.

Vorstellen kann ich mir alles, nur kann ich mir nicht vorstellen, dass das die demokra­tische politische Spannweite der österreichischen Gesellschaft wiedergibt. Ich lehne daher für mich, aber auch für meine Fraktion diesen Vorschlag ab! Wir brauchen das politische Bild, welches sich wiedergibt, und ich meine, auch meine Kollegen, speziell von der Grünen-Fraktion, können dem zustimmen. Ich freue mich, dass auch Kollegen von der ÖVP hier zustimmend nicken, und ich glaube, auch Kollegen von der SPÖ.

Das einmal als Einleitung. Vielleicht können wir sagen: Dieser Vor-Tagesordnungs­punkt ist fast einstimmig in meine Richtung hin angenommen. Danke vielmals für die Zustimmung!

Der zweite Punkt meiner Rede ist natürlich der Denkmalschutz. Frau Bundesminister, ich zweifle nicht an den guten Absichten, welche Ihr Ministerium auch dem Denkmal­schutz entgegenbringt. Der Bericht, der uns hier vorliegt, legt ein beredtes Zeugnis ab von guten Absichten und auch von Erfolgen. Sie sind nicht der „Mister Pennymaker“, der Geldmacher, sondern Sie müssen sich mit dem, was vorhanden ist, ich möchte nicht sagen: abfinden, sondern Sie müssen um jeden Cent, um jeden Euro kämpfen. Das tun andere Ministerien auch. Nun meine ich aber, dass gerade im Denkmalschutz der Betrag, der dafür im Jahr 2002 eingesetzt wurde, aber auch nach der Erhöhung im Jahr 2004 um 5,2 Millionen € eingesetzt wird, zwar nicht gerade eine aktive Sterbehilfe ist, aber es ist für jene, die sich aus Eigenem bemühen oder kraft Gesetzes dazu gezwungen sind, denkmalschützerisch einzugreifen und mitzuwirken, nur ein sehr ge­ringer Betrag.

Wir haben es heute schon einmal angesprochen, dass man gewisse Kulturfähigkeiten bewahren und bestimmte Handwerkergruppen, die in diesem Bereich tätig sind, be­schäftigen kann. Sie haben das selbst gesagt. Im Denkmalschutzbereich finden Grup­pierungen Beschäftigung, die noch über Auslaufmodelle handwerklicher Fertigkeiten verfügen, und diese Auslaufmodelle handwerklicher Fertigkeiten dürfen nicht verloren gehen, Frau Bundesminister. Das ist keine Anklage gegen Sie, Frau Bundesminister, sondern eine Unterstützung – davon bin ich überzeugt – auch Ihrer Anliegen.

Es soll hier zu Gehör gebracht werden, dass diese handwerklichen Fähigkeiten, die jahrhundertelang zum Kulturschaffen in diesem Lande beigetragen haben, auch weiter­hin erhalten bleiben müssen, denn Denkmalschutz besteht ja nicht darin, dass eine Ruine mit Beton befestigt wird, sondern sie gehört mit entsprechenden, durch den Denkmalschutz festgelegte Baumaterialien wiederhergestellt. Wie das richtig gemacht wird, dieses Wissen haben die Besitzer alter Häuser oftmals nicht, ich gestehe zu: auch ich nicht. Der Denkmalschutz muss also nicht nur Rat geben – das ist wichtig –, sondern er muss auch die finanziellen Mittel bereitstellen, denn sonst würde es ja fast einer Art Zwangsenteignung gleichkommen, wenn jemand ein unter Denkmalschutz stehendes Gebäude besitzt.


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Ich habe jemanden in meiner Verwandtschaft, der seine denkmalgeschützte Ruine an einen Neffen in Mexiko vererbt hat, damit er ja nicht zahlen muss, um diese Ruine auf­rechtzuerhalten. Nun hat ja nicht jeder einen Neffen oder eine Tante in Mexiko oder im Kongo oder sei es wo auch immer. Außerdem erledigt sich dadurch der Denkmal­schutz ja auch nicht unbedingt auf eine positive Art und Weise.

Ich gehe davon aus, dass mein geschätzter Kollege, Professor Konecny, das Thema mit Nachdruck aufgreifen wird, denn er hat es schon im Ausschuss fulminant vorge­tragen – mit sehr viel Engagement, mit sehr viel Fachkenntnis. Insofern fühle ich mich auch mit Professor Konecny, mit meinem Freund Spiegelfeld-Schneeburg und über­haupt all jenen sehr verbunden, die etwas für den Denkmalschutz übrig haben.

Es handelt sich wahrscheinlich auch um viel mehr, als wir glauben, denn Denkmal­schutz ist nicht nur das, was wir in einem Katalog aufgezeigt haben, Denkmalschutz reicht weiter. Ich treibe meine Anforderungen jetzt gewissermaßen auf die Spitze: Aber auch Bauernhöfe, alte Bauernhöfe, auch wenn sie nicht im Katalog enthalten sind, sind Teil des Denkmalschutzes. Eigentlich würde ich – und das ist vielleicht etwas frivol gesagt – ganz Österreich unter Denkmalschutz stellen wollen. (Bundesrat Schennach: Nein, bitte nicht alles!) Ja, ich weiß schon, die Grünen widersprechen mir, das ist auch gut so, denn wir haben ja auch verschiedene Meinungen. Nicht jeder Bahnhof eignet sich zum Herzeigen für den Fremdenverkehr, zum Ankommen schon, zum Abfahren auch – leider fahren sie auch immer wieder weg, die Fremden. (Bundesrat Schenn­ach: War das jetzt ein Plädoyer für offene Grenzen? – Herr Hagen wird schon ganz nervös! – Allgemeine Heiterkeit.)

Ich meine, dass der Denkmalschutz eine wesentliche Aufgabe ist, genauso wie natür­lich auch die Museen. Im Bericht wird angeführt, dass einzelne Museen ein Prozent oder 0,9 Prozent weniger Besucher hatten. Das mag ja eine sehr schöne Aufzählung sein, nur hilft sie nichts. Das Museum ist deswegen nicht weniger wert als im Jahr davor. Das sind zufällige Schwankungen. Natürlich kann jedes Museum – Kollege Konecny wird dann vielleicht auf das Technische Museum eingehen – noch besser werden, und die Museumsdirektoren stöhnen manchmal mehr, manchmal weniger. Es gibt natürlich auch problematische Dinge im Museumsbereich, wenn ich etwa auf die Albertina blicke, auf dieses schreckliche Dach, welches dort in marktschreierischer Ab­sicht angebracht worden ist: Das ist eine Kulturschande, und ich empfinde es eigentlich fast als eine Beleidigung für jemanden, der das Wort Denkmalschutz gerne in den Mund nimmt, dass dies dort passieren durfte. Wenn man Industriekomplexe errichten oder Werbung für eine Firma machen will, dann soll man das woanders machen. Da jetzt sogar der Stephansdom für Banken und Ähnliche herhalten muss, könnte man natürlich auch sagen: Warum nicht auch die Albertina? Ich halte das aber wirklich nicht für den Idealzustand und würde mir wünschen, dass dieser Himmel – oder was es dar­stellen soll – möglichst bald wieder wegkommt.

Ich freue mich, dass heute drei Herren der Orthodoxen Kultusgemeinde hierher ge­kommen sind, drei Rabbiner, denn Kultur hat auch mit Kultus etwas zu tun, und Österreich – auch das alte Österreich – hat sich stets um diese Glaubensrichtung verdient gemacht. Bis zum Jahr 1938 galt das orthodoxe Kultusgesetz, welches dieser Glaubensrichtung, die heute durch drei Rabbiner hier vertreten ist, gewidmet war. Nach dem Jahr 1945 kam eine andere Kultusgemeinde ans Ruder beziehungsweise in die Führungsfunktionen, und so haben die orthodoxen Juden keine eigene Gemeinde mehr. Das muss man sich etwa so vorstellen, als ob alle Christen in Österreich sich nur von den Katholiken vertreten lassen dürften. Zum Glück gibt es in diesem letzteren Fall verschiedene Glaubensrichtungen, die staatlich anerkannt sind.

Frau Bundesminister, ich bitte Sie namens meiner Freunde und aller, die ein offenes Herz und ein gutes Gewissen haben – vielleicht auch manchmal ein schlechtes Gewis-


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sen haben –, sich dieser Kultusgemeinde, der orthodoxen Kultusgemeinde, anzuneh­men und den Betreffenden möglichst bald eine eigene, staatlich anerkannte Gemeinde zukommen zu lassen. – Das ist mein großes Anliegen, und ich habe es an dieser Stelle gut vorbringen können. (Beifall bei den Freiheitlichen.)

Die Freiheit der Kunst wurde schon erwähnt. Kollegen und Kolleginnen! Natürlich: Frei­heit der Kunst! Niemand wird etwas gegen die Freiheit der Kunst haben, und wenn ein ÖVP-Bundesrat hier Rosa Luxemburg zitiert, ist das doch immerhin sehr reizvoll, weil er an und für sich – so hoffe ich – mit Rosa Luxemburg nicht nur konform geht. (Bun­desrat Hösele: Kennen Sie das Gesamtzitat, in dem sie sich dann auch gegen Lenin ausspricht?) Ja, ja, ich kenne den Ausschnitt. Gib mir den dann, das ist sicherlich lehr­reich!

Ich meine, die Freiheit der Kunst hört dort auf, wo wesentliche Interessen anderer Men­schen betroffen sind, eingeschränkt werden und kriminell übergangen oder nieder­geschlagen werden. Und ich komme jetzt auf die Ausstellung von Herrn Muehl, dem Verbrecher Muehl, zu sprechen. Ich frage mich, Frau Bundesminister, wie es möglich ist, dass jemand, dem man ohnehin im Jahr 1998 schon eine Ausstellung gewidmet hat, nämlich vom 18. Februar bis zum 15. April – Herr Muehl durfte dann auch im Burg­theater auftreten und bekam vom 4. Februar 1998 bis 24. Februar 1998 eine Unter­kunft im Appartement 2 des Museums –, innerhalb einer so kurzen Frist von sechs Jahren schon wieder eine Ausstellung bekommt.

Frau Bundesminister, mir ist die Rechtssituation durchaus geläufig. Sie haben nur das Recht, ein Museum zu bezahlen, ihm die Geldmittel zukommen zu lassen. Sie haben nicht das Recht, in die Gestaltung der Museen und in die Gestaltung von Ausstellun­gen einzugreifen, aber es ist auch Ihr Recht, Ihren Unwillen über Vorgänge in Museen offen zu äußern. Und das fehlt mir! Ich gehe davon aus, dass Sie es in Ihrem Kabinett getan haben. Ich kann mir nicht vorstellen, dass Sie, ich oder auch einige andere hier im Raum die Ausstellung von Muehl mit Begeisterung angeschaut haben. Immerhin ist er ein Verbrecher. Es liegen neue eidesstattliche Erklärungen vor, dass er bereits in den siebziger Jahren begonnen hat, Kleinkinder von vier bis fünf Jahren über viele Jahre hinweg regelmäßig zu missbrauchen, teilweise sogar im Beisein seiner Füh­rungsgruppe. Auch jetzt noch übt er in Portugal – aber das ist eine Angelegenheit der portugiesischen Rechtsorgane – „grenzübergreifende Zärtlichkeiten“ aus, wie er in der Zeitschrift „Die Zeit“ – leider nicht meine Zeitschrift „Zur Zeit“ – zitiert wird.

Wer Kinder missbraucht, Jugendliche vergewaltigt, deren Tagebücher verbrennt und zu Aschebildern verarbeitet und wer zudem die Unverschämtheit besitzt, diese Ver­brechen zur Kunst zu erheben, kann nicht nur nach seinen Werken beurteilt werden, sondern muss auch an seinem Leben gemessen werden, wird in der „Frankfurter All­gemeinen“ von vor wenigen Tagen geschrieben. Ich erhebe auch den Vorwurf gegen Prof. Noever, dass er nicht einsieht, dass dieser Verbrecher nicht zu Lebzeiten seiner Opfer schon wieder eine Ausstellung bekommen soll. Über seine Bilder, deren Qualität wirklich nicht hoch eingeschätzt wird, wie man in den Zeitungen „Kurier“, „Presse“, „Financial Times“ und „Kronen Zeitung“ lesen kann, maße ich mir kein Urteil an. Das überlasse ich jenen, die das in den eben erwähnten Zeitungen getan haben.

Christoph Hirschmann , der Kulturkritiker von „FORMAT“, schreibt am Schluss seines Artikels: Es ist ein romantischer Irrtum zu glauben, gute Künstler seien auch gute Menschen. – Ebenso falsch ist es, zu glauben – und das sind jetzt meine Worte –, schlechte Künstler seien schlechte Menschen. Bei Muehl aber, denke ich, geht es in diese Richtung: Er ist ein schlechter Künstler – aber das ist mein persönliches Wert­urteil, das braucht nicht übernommen zu werden –, und dass er ein schlechter Mensch ist, das müssen wir akzeptieren, denn sonst wäre er nicht sieben Jahre „gesessen“.


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Es ist ein Verbrechen, wenn Direktor Noever diesem Mann eine Ausstellung widmet, und ich hoffe, dass dieser Ausstellung von uns allen möglichst stark widersprochen wird und sie, wenn möglich, auch nicht weiter existieren kann. Frau Minister, bitte sprechen Sie ein Machtwort! Sagen auch Sie, dass diese Ausstellung eigentlich eine Schande für die Republik Österreich ist. (Beifall bei den Freiheitlichen. – Bundesräte der Freiheitlichen und einige Besucher halten Tafeln in die Höhe, auf denen steht: „Keine Steuergelder für Kinderschänder!“)

12.33

 


Vizepräsident Mag. Harald Himmer: Zu Wort gemeldet ist Herr Bundesrat Professor Konecny. – Bitte, Herr Bundesrat.

 


12.33

Bundesrat Albrecht Konecny (SPÖ, Wien): Herr Präsident! Herr Bundesminister! Kollegin Schlaffer hat namens der Sozialdemokraten eine Reihe von grundsätzlichen Anmerkungen gemacht, die ich nur unterstreichen kann. Ich möchte mich daher primär mit zwei Themenkomplexen durchaus auch ein wenig im Detail beschäftigen, weil sie Ausdruck dessen sind – Frau Bundesminister, das kann ich Ihnen nicht ersparen –, dass die Tendenz, Probleme hinauszuverlagern und damit nichts mehr zu tun haben zu wollen, irgendwie der gemeinsame Nenner Ihrer Kulturpolitik, aber auch Ihrer Politik in den anderen Bereichen Ihres Ressorts ist. Die Universitäten sollen schauen, wo sie bleiben, die Museen sollen schauen, wo sie bleiben. Sie ziehen sich auf die Position zurück: Es gibt ja eine Grundfinanzierung, und damit müssen sie eben eine Politik machen!

Unter diesen Bedingungen muss dann, das verstehe ich, zum Teil sehr vordergrün­dig – es ist von populären Namen gesprochen worden – operiert werden, unter dem Druck der Notwendigkeit, hohe Besucherzahlen zu erreichen. Ausstellungen, die auch wichtig sind, aber vielleicht nicht im gleichen Umfang publikumswirksam, werden dage­gen verschoben oder sie finden nicht statt. Und gerade im Bereich der Bundeshaupt­stadt, Frau Bundesminister, ist der damit verbundene Konkurrenzkampf weder den einzelnen Instituten noch dem Gesamtangebot, das den Einheimischen und den vielen Gästen geboten wird, nützlich.

Wir haben auch gewisse Ungleichgewichte festzustellen. Das Kunsthistorische Muse­um mit seinen inzwischen entstandenen Annexen hat ein gewisses Übergewicht. Es gibt einen, wie ich meine, unnotwendigen Wettlauf zwischen dem Kunsthistorischen Museum und der Albertina, aber es zeigen sich auch andere Fehlentwicklungen, die dadurch verursacht wurden, dass vor der Ausgliederung gewisse Entscheidungen von Ihnen, vom Ressort, nicht getroffen worden sind und in einem konkreten Fall, den ich anschneiden möchte, dadurch, dass es eine über die Ressorts hinausgehende Koordi­nierung nicht gegeben hat.

Ich will hier – ich weiß schon, das ist nicht Ihr Bereich – nicht über das Heeres­geschichtliche Museum und seine Sinnhaftigkeit und die Ausstellungswürdigkeit der Gegenstände, die dort herumstehen, diskutieren. Das ist ein anderes Thema. Aber es hat sein Image, es ist auch ein bisschen ein Familienmuseum, sofern die Väter eine gewisse militaristische Ader haben – soll sein, das gibt es. Aber wenn Sie mir bitte erklären könnten, wer von denen, die in dieses Museum gehen wollen, es zu schätzen weiß, dass dort die besten Bilder von Egger-Lienz, die im Bundesbesitz sind, in einem Raum an der Wand hängen, dessen Hauptattraktion die blutbefleckte Uniform des Thronfolgers Franz-Ferdinand ist. Das ist kulturpolitischer Unsinn, einfach Unsinn!

Ich gebe zu, auf diesen Bildern von Egger-Lienz sind Soldaten zu sehen, aber diese Hängung bedeutet, dass sie nicht gesehen werden, denn man geht – abgesehen von Spezialisten, die schon wissen, dass diese Bilder dort hängen – als Normalbürger und


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Normaltourist nicht ins Heeresgeschichtliche Museum, um Egger-Lienz ... (Bundesrat Dr. Kühnel: Das ist eine Beleidigung, wenn Sie sagen, dass ein Normalbürger nicht ins Heeresgeschichtliche Museum geht!)

Herr Kollege, ich bin gerne bereit, mir Zwischenrufe machen zu lassen, aber erst dann, wenn ich den zweiten Halbsatz gesprochen habe, und der hieß: um dort Egger-Lienz-Bilder anzuschauen. (Neuerlicher Zwischenruf des Bundesrates Dr. Kühnel.) Herr Kollege, zuerst zuhören, dann zwischenrufen – das vereinfacht es für beide.

Es gibt ein zweites Beispiel aus jüngster Zeit: Ich habe mir – und Sie verzeihen, dass ich immer noch Akademie dazu sage – in der Universität für bildende Kunst vorige Woche die wieder eröffnete Gemäldegalerie angeschaut. Im technischen Sinn ist das kein Bundesmuseum, aber irgendwie haben Sie damit schon auch etwas zu tun. Die Bestände wurden neu aufgestellt, die Gemäldegalerie wurde glanzvoll – im wahrsten Sinne des Wortes – neu ausgeleuchtet.

Nun ist diese Studiengalerie, die ja ursprünglich für die Studenten der Akademie ange­schafft wurde, die heute irgendwie ein bisschen anders malen und sich nicht ganz nach diesen Vorbildern zu orientieren scheinen, was ich nicht kritisch, sondern nur konstatie­rend feststelle, im Wesentlichen aus Privatstiftungen entstanden. Das merkt man ihr auch an. Es gibt dort etwa 20, 25 qualitativ hochstehende Werke und weitere 300 Bil­der, die sich nett machen würden, wenn man ein Landschloss mit Wanddekoration ausstattet, die aber sicherlich nicht zum musealen Kernbestand gehören. Diese Galerie ist um viel Geld neu ausgestattet worden und befindet sich im zweiten Stock des Ge­bäudes am Schillerplatz, das über keinen Aufzug verfügt. Das hat auch seinen Vorteil, weil das jedem Besucher die Möglichkeit bietet, das ruinenhafte Innere dieser Univer­sität zu studieren, während er – bei mir geht das schon ein bisschen keuchend – die zwei Stockwerke auf breiten Freitreppen nach oben geht.

Frau Bundesminister! Was ist das für eine Museumspolitik?! Jetzt rede ich gar nicht da­von, dass das für behinderte und ältere Menschen faktisch unzugänglich ist. Worin liegt die Sinnhaftigkeit, eine wegen der in höchstem Maße vorhandenen Ungleichgewichtig­keit des Bestandes in der Museumslandschaft nicht wirklich verkäufliche Ausstellung um viel Geld neu zu beleben, statt einmal darüber nachzudenken, ob die Hauptwerke, darunter dieses grandiose Triptychon von Hieronymus Bosch, nicht einen Platz im Kunsthistorischen Museum oder wo immer verdient hätten und die anderen Werke zum Teil dort hinkommen, wo sie hingehören, nämlich ins Depot?

Eine solche Museumslandschaft muss natürlich auch die anderen, nichtstaatlichen An­bieter einschließen. Wir stehen – und alle, die sich dafür interessieren, sind in hohem Maße neugierig und aufgeregt – vor der Eröffnung der Liechtenstein-Sammlung im Palais Liechtenstein, die Ende des Monats stattfinden wird. Das wird – gut beworben, gut gestaltet – ein weiterer Fixpunkt der Wiener Museumslandschaft sein. Sehen Sie, und da finde ich es unverantwortlich, dass sich das Ministerium zurückzieht und sagt: Es wird schon werden!, denn mehr ist bisher von Ihrer Seite dazu nicht gekommen.

Das rote Licht erinnert mich daran, dass ich zu dem von Kollegem Gudenus ange­kündigten zweiten Thema, zu dem ich ein paar Worte sagen wollte, kommen sollte. (Bundesrat Prutsch: Bildet ihr eine Gemeinschaft?) Wir haben da ein bisserl ausge­tauscht. Es ist ein Reflex, wenn ich das so sagen darf, auf eine Wortmeldung von mir im Ausschuss, und ich glaube, ich kann mich hier auf einige wichtige Aspekte dessen beschränken.

Das eine ist – die Frau Bundesminister hat das in der Fragestunde sehr ausweichend beantwortet –: Wir hatten 1999 und in den Jahren davor eine wesentlich bessere Mit­telausstattung des Denkmalschutzes, als wir sie heute selbst mit dieser Sonderzulage von 5,2 Millionen € haben. Das spürt man an allen Ecken und Enden. Und – auch


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wenn der Herr Landeshauptmann naturgemäß nicht mehr da ist, er müsste mir Recht geben – es geht natürlich einmal mehr zu Lasten der Länder und Gemeinden aus, denn wer springt ein für das, was vom Bund draußen nicht gefördert wird, wer hält denn als Landespolitiker, als Bürgermeister den Druck der Bevölkerung aus, dass da etwas vor sich hin verfällt? Da greift man halt in die Kasse, und ohne dass ein Gesetz beschlossen wurde, ohne dass ein Konsultationsmechanismus angerufen werden kann, müssen die Länder und Gemeinden im Interesse ihres Denkmalbestandes zu­sätzliche Mittel aufwenden.

Das zweite Element ist, dass die Strukturen des Denkmalschutzes in einer Art und Weise erodieren, die sehr im Widerspruch zu dem stehen, was Sie hier gesagt haben. Ja natürlich, Denkmalpflege ist Handarbeit im höchsten und qualifiziertesten Sinn des Wortes. Jeder, der in diesem Bereich tätig ist, weiß, dass viel zu wenige qualifizierte Handwerker zur Verfügung stehen – dass sie teuer sind, hat etwas damit zu tun, dass es eben Handarbeit ist und dass mehr Ausbildung dahinter steht –, und man kann über weite Strecken nur weinend durch Österreich gehen und sehen, was von Pfuschern auf der Planungs- wie auf der Ausführungsseite an Verunstaltungen an Denkmälern statt­gefunden hat. (Beifall bei der SPÖ, den Freiheitlichen und den Grünen.)

Es ist nicht so, dass der Betonputz für historische Bauwerke schon völlig überwunden ist im Denken von Planern, es ist aber auch nicht so, dass wir eine große Anzahl von Maurern hätten, die mit Ziegelsteinen noch ordentlich umgehen können, weil das nicht das heutige technologische Erfordernis der Bauindustrie ist. Ich weiß schon, es gibt in Mauerbach ausgezeichnete Kurse, deren Finanzierung immer schwieriger wird. Und Sie wissen so gut wie ich, dass das Bundesdenkmalamt jedes Jahr verzweifelt seinen Amtsmaurer verteidigt, der da eine ganz zentrale Funktion hat. Aber wir brauchen – die Zusammenarbeit mit der Wirtschaftskammer wäre in diesem Bereich durchaus ange­sagt – verstärkte Ausbildung von Fachleuten, klare Zertifizierung derer, die hier qualifi­zierte Arbeit leisten können, und wir brauchen nicht zuletzt für beides mehr Mittel, für die konkrete Förderung von Projekten – wobei ich schon verstehe, dass sichtbare und Prestigeprojekte einen gewissen Vorrang haben –, aber insbesondere auch für die Strukturerhaltung der Denkmalpflege, für die wissenschaftliche Aufarbeitung und für diesen ganzen Bereich der Infrastruktur.

Es ist mit Recht darauf hingewiesen worden, dass man sich auch darüber Gedanken machen muss, was denn da als schützenswert angesehen wird. Niemand wird daran zweifeln, dass die Klöster, die Sie als Zielobjekte dieser besonderen Förderung ange­führt haben, ganz zentral zu unserem kulturellen Erbe gehören, niemand wird daran zweifeln, dass die Burgen und die Schlösser, wovon es in diesem Land fast uner­schwinglich viele gibt, dazu gehören, aber natürlich hat sich das weiterentwickelt. Die Geschichte stückelt sich sozusagen in jeder Generation um eine Generation an, doch wir hinken weit hintennach und wir haben gewaltige Verluste an Substanz dort erlitten, wo es um die klassischen Industriebauten geht, um die Gründerzeitfabriken, die einen besonderen kulturellen Wert darstellen. Wir stehen vor der Aufgabe, den Beginn des modernen Wohnbaus in Österreich denkmalpflegerisch zu unterstützen.

Frau Bundesministerin! Ich würde mir von der verantwortlichen Ressortchefin erwarten, diese Frage nicht nur mit dem Finanzminister zu diskutieren – das ist notwendig, aber das muss am Ende geschehen –, sondern auch eine öffentliche Diskussion zu erzwin­gen, denn so lange der Kollege Spiegelfeld, der Kollege Gudenus und ich einen Block im zuständigen Ausschuss bilden, wird sich auch bei aller Wertschätzung von uns dreien nicht sehr viel ändern. Es ist die Öffentlichkeit, die für dieses Anliegen gewon­nen werden muss. Und ich sage sehr ehrlich, wir waren vor 20 Jahren – Europäisches Jahr des Denkmalschutzes, große Kampagnen des Europarates – in der Gewinnung


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der Öffentlichkeit für dieses Anliegen sehr viel weiter, als wir es heute sind. (Beifall bei der SPÖ, den Freiheitlichen und den Grünen.)

12.48

 


Vizepräsident Mag. Harald Himmer: Zu Wort gemeldet hat sich Herr Bundesrat Schennach. – Bitte.

 


12.48

Bundesrat Stefan Schennach (Grüne, Wien): Sehr geehrter Herr Präsident! Sehr geehrte Frau Bundesministerin! Kurz auch ein Wort zu dem, was Herr Gudenus am Anfang angeschnitten hat. Das mit den 37 Mitgliedern, was heute auch eine Aussen­dung der Frau Vizepräsidentin zur Folge hatte, müssen Sie ein bisschen auch an die eigene Adresse richten, Herr Kollege Gudenus, denn die Quelle ist der Bericht der Vorarlberger Landesräte und so quasi ein gemeinsamer Vorschlag oder eine Idee der Vorarlberger Bundesräte im Tätigkeitsbericht, den auch Herr Kollege Hagen unter­schrieben hat. Es war also ein gemeinsamer Vorschlag, und daraus resultiert die wei­tere mediale Berichterstattung. Mir kommt diese Kindesweglegung jetzt ein bisschen so vor wie seinerzeit, als die FPÖ mitgestimmt hat, dass wir ein gebundenes Mandat bekommen, seither aber nichts mehr davon wissen will. Bitte, vielleicht will Kollege Hagen jetzt auch nichts mehr von seiner Unterschrift wissen, aber das ist immerhin an den Vorarlberger Landtag gegangen.

Ich finde diese Aussage ebenfalls zutiefst bedauerlich und habe deshalb auch an Herrn Präsident Weiss einen Brief geschrieben, dass es meiner Meinung nach die Aufgabe des Präsidenten ist, alle Fraktionen in gleicher Weise zu vertreten und nicht manchen Fraktionen bei solchen Vorschlägen den Sessel vor die Tür zu stellen. Außerdem geht es auch darum, wie Kollege Gudenus richtigerweise sagt, das politische Spektrum ab­zubilden. Das ist bei einer kleinen Honoratiorenrunde, wie sie eine 37er-Runde dar­stellt, sicherlich nicht der Fall.

Gehen wir zu einem anderen Kapitel, nämlich zum Kulturbericht 2002. Falls da vorhin eine Verwunderung entstanden ist über Zustimmung oder Nichtzustimmung, darf ich in Erinnerung rufen, dass wir auch den Kulturbericht 2001 zustimmend zur Kenntnis genommen haben. Es ist vielleicht einfach ein unterschiedlicher Stil. Wir teilen viele Punkte, die die Sozialdemokraten kritisieren, die auch Herr Konecny kritisiert hat – man kann fast alles unterschreiben, was er gesagt hat –, aber dem Kulturbericht 002 werden wir unsere Zustimmung geben, auch im Sinne der Wertschätzung dessen, was hier vom Hause geleistet wurde.

Der zeitliche Abstand zwischen den beiden Kulturberichten war sehr gering, und es gibt natürlich Themen, die noch immer auf dem Tisch liegen. Das erste: Seit der Dis­kussion, in der man Handlungsbedarf gesehen hat, was – wie auch schon von meinen Vorrednern angesprochen – die Konkurrenzierung, vor allem auf dem Wiener Parkett, anlangt, ist, bei aller Wertschätzung, Frau Bundesministerin, bisher wenig geschehen, obwohl ich weiß, dass Sie eine Evaluierung in Auftrag gegeben haben. Aber soweit ich informiert bin, hat diese Evaluierung ja eher das Ziel, die Finanzgebarungen der betrof­fenen Häuser anzuschauen.

Meiner Meinung nach fehlen seit dem Gipfel der Direktoren auch Vorgaben. Sie vertre­ten ja nach wie vor den Eigentümer, und der Eigentümer muss hier Vorgaben machen. Denn was heißt das – ich zitiere sinngemäß den „Standard“ –: Schröder schlägt Seipel? Ich meine, das ist nett für Schröder – es ist auch viel geschehen, und Seipel wird es verkraften –, aber dieser Wettbewerb zeigt so quasi: Was wird Seipel machen? Seipel wird jetzt überlegen: Mit welcher marktfähigen Sammlung oder Ausstellung oder mit welchem marktfähigen Event schlage ich zurück, damit Seipel wieder Schröder schlägt? (Bundesrat Dr. Kühnel: Die Saliera wieder finden!) Mit dem Finden der


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Saliera. – Das ist ja keine Ausstellung! Aber man sieht, dass es durch diesen Druck eigentlich nur mehr darum geht, was marktfähig ist und was nicht.

Deshalb muss es erstens einmal eine Erhebung geben, welche Sammlungen wir über­haupt haben, in welchen Häusern welche Sammlungen sind, und auf Grund dieser Ergebnisse – ich sage einmal, die Francis-Bacon-Ausstellung war wahrscheinlich im falschen Haus, im falschen Museum – stellt sich dann die Frage: Wer setzt welche Schwerpunkte?

Ich bin durchaus Ihrer Meinung, denn jedes Mal, wenn ich in die Sammlung Leopold gehe, denke ich mir, da fehlen ein paar Werke von Albin Egger-Lienz. Man geht wirk­lich nicht ins Heeresgeschichtliche Museum, um die Bilder von Albin Egger-Lienz zu sehen. Ich sehe das übrigens anders. Ich bin ein begeisterter Besucher von militärhis­torischen Museen, weil sie sehr viel abbilden und auch zeigen, sowohl technologisch als auch vom Elend und Leid des Krieges. Insofern gehört es dazu. Damit habe ich kein Problem.

Museum ist – ich glaube, Peter Noever hat das gesagt – keine Kunsthalle. In diese Richtung – dass es eben nicht immer nur um steigende Zahlen, um Zunahme und um Wertschöpfung geht – muss es gehen. Hier bedarf es der Vorgaben der zuständigen Ministerin, und zwar auch deswegen – ich weiß, die Frau Bundesministerin wird mir jetzt widersprechen –, weil meinen Informationen zufolge – wo ich nachgefragt habe, habe ich das gehört – Forschung auf Grund der gesamten Umstellung und auf Grund des gesamten Drucks derzeit nicht das Hauptthema der österreichischen Museen ist.

Positiv, wirklich uneingeschränkt positiv, finde ich die gesamte Entwicklung rund um das Naturhistorische Museum. Da tut sich etwas, da wird museumsdidaktisch und museumspädagogisch etwas angeboten. Und wenn ein Vertreter des Ministeriums im Ausschuss gemeint hatte, der Wandel dieses Museums zeige sich schon daran, dass es einen Wickeltisch am Herrenklo gebe, was in einem Museum vor Jahren unvorstell­bar gewesen wäre – ich möchte das extra betonen –, so zeigt das einfach: Auch Muse­umshallen gehören durchflutet und von einem neuen Geist beseelt.

Ein Museum wird immer unter seinem Wert geschlagen, nämlich das Pathologisch-anatomische Museum. Es krankt auch auf der Zahlenebene. Es ist ein ganz, ganz wichtiges Museum, aber es stagniert, stagniert, stagniert. Hier würde ich mir zum Bei­spiel von Seiten des Bundesministeriums doch Hilfe erwarten.

Einen letzten Satz zu den Museen: Die Museen leben derzeit nach wie vor und zum überwiegenden Teil vom Erbe. Es muss eine Struktur gefunden werden – ob das jetzt eine Stiftung ist oder was immer, ich weiß es nicht –, die sich auch ganz massiv und gezielt um den Ankauf neuer, moderner Kunst oder um die Schließung von Sammlun­gen bemüht. Wir können nicht nur Erbe verwalten, wir müssen auch die Kunst unserer Zeit entsprechend sammeln.

Nun ein Punkt, weil das heute Thema bei Gudenus, Schneeburg und Konecny war: das Bundesdenkmalamt. Ich habe das auch schon in der Fragestunde anklingen lassen. Frau Ministerin, Sie haben zwar gesagt, dass auf verschiedenen Ebenen das Bewusstsein wächst, trotzdem sage ich, dass bei den Kommunen und Städten noch immer ein Mangel an Sensibilität herrscht, wie man damit umgeht. Außenleuchten vom „Baumax“ auf wirklich geschützten Barockensembles, „Hrachowina“-Fenster hineinge­brochen in denkmalgeschützte Renaissance-Häuser, abgeschlagener Putz bei ge­schützten barocken Pfarrhäusern in Oberösterreich – das tut weh. Wenn man dann nachfragt, wer hier der Auftraggeber ist, dann heißt es, die Gemeinde oder die Kirche.

Oder nehmen wir – was ich heute auch bereits angesprochen habe – die denkmalge­schützte Höhenstraße, die dort, wo sie ausbesserungsbedürftig ist, mit Asphalt ausge-


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bessert wird. Das ist ein Denkmal, das von Autos benützt wird, aber trotzdem müsste man den denkmalwürdigen Zustand erhalten, und der ist dort Kopfsteinpflaster. Das ist eine wichtige Geschichte, auch eine der Automobilisation, das ist auch die Geschichte des Krieges, von Kriegsgefangenen und so weiter und so fort. Hier herrscht meiner Meinung nach nach wie vor ein Mangel an Sensibilität.

Das liegt jetzt schon in der Vergangenheit, aber wir haben derzeit in Wien drei Schlös­ser oder schlossähnliche Gebäude wie das Palais Schönburg, die Jugendstil-Klinik Glanzing, die jetzt umgebaut wird, oder das Schloss in Neuwaldegg mit dem in Europa wahrscheinlich einzigartigen Rokoko-Koboldgarten, das vor sich hin dämmert. Der Rokoko-Koboldgarten wird bald nur mehr aus Büchern nachvollziehbar sein. So schauen nämlich die Figuren derzeit aus. Die Zukunft des Hauses ist ungewiss, weil die Kirche es nicht mehr weiterführen will.

Auch der Hochzollernhof gehört zu diesen Fragen. Da wird der gotische Kern von vier Häusern weggeschliffen, und außen macht man eine behübschte Fassade und sagt dann, das war jetzt Denkmal- und Ensembleschutz.

Nun zum Bericht selbst. – Ich würde Ihnen, Frau Ministerin, gerne in einem ganz kon­struktiven Dialog auch eine Anregung mitgeben. Im Bericht wird festgehalten, dass es im Jahr 2002 13 Verwaltungsstrafverfahren wegen widerrechtlicher Veränderung gab. Hier könnte man doch anführen, worum es geht und ob es in diesem Jahr schon eine Erledigung gegeben hat. Es könnten ja auch alle 13 Verwaltungsstrafverfahren zurück­gelegt worden sein.

Es gab zehn Anträge auf Anordnung von Sicherungsmaßnahmen beziehungsweise Wiederherstellung. Welche Objekte hat das betroffen? Wie schaut es mit der Erledi­gung aus?

Es gab 870 Ausfuhransuchen. Hier fehlt mir im Bericht die Anzahl der Bewilligungen. Heißt ein Ansuchen um Ausfuhr von Denkmälern, dass es automatisch bewilligt wurde? Hier fehlt im Bericht ein Hinweis darauf, wie das entschieden wurde.

Es gab weiters 22 Unterschutzstellungsverfahren. Ein solches Verfahren hat einen An­fang und auch irgendwo ein Ende, nämlich wenn sich ein rechtlicher Zustand herstellt, denn eine Unterschutzstellungsmaßnahme ist eine Akutmaßnahme. Ich würde mir für den Bericht 2003 wünschen, dass er auch die Erledigung beinhaltet beziehungsweise einen Hinweis darauf gibt, was unter diesen Zahlen zu verstehen ist und wie diese Vor­fälle zu sehen sind. In diesem Sinne werden wir den Kulturbericht 2002 annehmen. – Danke. (Beifall bei den Grünen sowie des Bundesrates Mag. Gudenus.)

13.00

 


Vizepräsident Mag. Harald Himmer: Zu Wort gemeldet hat sich Frau Bundesminister Gehrer. – Bitte.

 


13.01

Bundesministerin für Bildung, Wissenschaft und Kultur Elisabeth Gehrer: Herr Präsident! Hoher Bundesrat! Ich möchte zuerst zwei Themen ansprechen, die nicht auf der Tagesordnung stehen, aber von den Rednern erwähnt wurden.

Zuerst zur Anerkennungsmöglichkeit für eine orthodoxe Kultusgemeinde: Es liegt ein Antrag vor. Es braucht keine Intervention und auch überhaupt keine speziellen Maß­nahmen. Man braucht mich auch nicht darum zu bitten oder bei mir vorstellig zu werden. Es gibt gesetzliche Vorschriften, und nach denen wird dieser Antrag geprüft. Im österreichischen Rechtsstaat besteht die Möglichkeit, derartige Anträge zu stellen. Diese werden nach ihrem rechtlichen Zuständigkeitsbereich dem jeweiligen Referenten zugeteilt, und dieser sieht sich auf Basis des Anerkennungsgesetzes die Möglichkeiten an.


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Es ist ein ganz normales Verfahren, bei dem man weder intervenieren noch bitten muss, dass man es im besonderen Maße fördert. – Es läuft. Es gibt ein Ansuchen, und es läuft. (Bundesrat Mag. Gudenus: Es läuft langsam!) – Nein! Es wird nach den recht­lichen Möglichkeiten sehr genau geprüft, und es werden alle Religionsgemeinschaften, die Anträge stellen, gleich behandelt.

Zweitens: Ich glaube, dass jetzt in einigen Bereichen Aktionismus offenbar die Vor­gangsweise des Herrn Kollegen Gudenus ist. Das wundert mich sehr. Es gibt immer die Möglichkeit zu normalen Diskussionen. Zur Muehl-Ausstellung wurde viel diskutiert. Ich habe immer klar gesagt, dass ich es für falsch halte, diese Ausstellung zu machen. Ich habe das öffentlich und laut gesagt. (Demonstrativer Beifall des Bundesrates Mag. Gudenus.) – Ja, aber ich habe es nicht sehr gern, wenn ich dann auf Plakaten verrissen werde. Das ist eine Vorgangsweise, die ich nicht besonders schätze. Das sage ich Ihnen auch, Herr Kollege! (Beifall bei der ÖVP.) Ich werde ungern persönlich diffamiert.

Wir haben im Rahmen unserer Möglichkeiten in sehr langen, intensiven Gesprächen mit dem Herrn Direktor Noever erreicht, dass alle Persönlichkeitsmerkmale entfernt werden. Wir haben Gespräche mit den Opfern eingeleitet und noch vor der Eröffnung mit ihnen geredet. Danach haben wir sie befragt, ob sie ihren Persönlichkeitsschutz gewahrt sehen. Wir haben also auf sehr diffizile Weise versucht zu verhindern, dass Personen zu Schaden kommen.

Die Beurteilung, was ist Kunst, möchte ich aber schon den Menschen überlassen, die sich die Ausstellung anschauen. Ich maße mir nicht an, zentral vorzuschreiben, was Kunst ist und was nicht. (Beifall bei der ÖVP sowie des Bundesrates Schennach. – Bundesrat Mag. Gudenus: Diese Vorschrift habe ich auch gar nicht von Ihnen erwartet!)

Nun zum Denkmalschutz – einer Frage, die heiß diskutiert wird. Es wurde gesagt, man müsse weinend durch Österreich gehen. Ich sage Ihnen: Man kann hoch erhobenen Hauptes durch Österreich gehen! Was in den letzten Jahrzehnten im Denkmalschutz geleistet wurde – von vielen Privaten, mit Unterstützung von Kommunen, von Steuer­geldern –, darauf können wir stolz sein! (Beifall bei der ÖVP und bei Bundesräten der Freiheitlichen.)

Im Vergleich mit anderen Ländern sieht man diese Leistungen erst richtig. Wir verfügen über eine blühende Museumslandschaft. Ich verstehe manchmal die Diskussion um die Besucherzahlen nicht. Die einen fragen mich, wieso die Besucherzahlen um 1 000 gesunken sind. Das sei ein Rückschritt. Die anderen sagen, die Qualität dürfe man nur an den Besucherzahlen messen. Wieder andere sagen, Qualität sei erst gegeben, wenn wenige Besucher kommen.

Also ich sage Ihnen eines: Die Qualität einer Ausstellung ist nicht an den Besucher­zahlen zu messen. Die zeigt sich in Rezensionen, in Beurteilungen, in der weltweiten Kunstlandschaft. Aber es ist auch nicht verboten, viele Besucher zu haben, wie immer wieder gemeint wird. (Beifall bei der ÖVP.)

Die Museen haben in den letzten Jahren ungeheuer viele Ausstellungen gemacht – ein breites Feld. Es wird auch angekauft. Natürlich ist es für das Kunsthistorische Museum finanziell nicht möglich, Werke aus dem 15. oder 16. Jahrhundert noch anzukaufen. Die sind zu teuer. Wir verfügen aber über einen riesigen Bestand, der auch ausgestellt wird. Gerade vor kurzem haben wir jedoch eine riesige, eine super Glassammlung von einem österreichischen Sammler – von Rudolf von Strasser – gekauft. Das Geld dafür ist zur Verfügung gestellt worden, und die Sammlung kommt ins Kunsthistorische Museum. Das war eine einmalige Möglichkeit.


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Außerdem haben wir von den Nachfahren des ersten Direktors des Belvedere das Bild von Egon Schiele, das diesen Direktor zeigt, angekauft. Wir führen Vervollständigun­gen durch und können durch Stiftungen und durch Zuwendungen für das Museum Moderner Kunst Stiftung Ludwig ständig Neuanschaffungen tätigen.

Ich glaube also, dass wir auf einem Weg sind, von dem man sagen kann, er stellt eine gute Entwicklung dar. Wir geben wahrscheinlich nicht Millionen oder Milliarden für Neu­anschaffungen aus. Das würde wieder Millionen und Milliarden an Ausgaben für den Bau neuer Häuser bedeuten, denn sich etwas Neues zu kaufen und das in irgend­einem Archiv verschwinden zu lassen kann wohl auch nicht der Weisheit letzter Schluss sein.

Ich glaube, wir sollten durch die Zustimmung zu diesem Kulturbericht auch den Mu­seumsdirektoren und -direktorinnen für ihr Engagement danken. Was Frau Dr. Gabi Zuna-Kratky im Technischen Museum leistet, ist enorm, wie sie die Mannschaft auf Schwung bringt, wie sie die Ausstellungen gestaltet, wie sie praktisch mit der Wirt­schaft zusammen immer neue, interessante Ausstellungen macht, wie sie es jetzt auch ermöglicht, dass wir in Strasshof das Eisenbahnmuseum weiterentwickeln. – Das ist auch Kulturgeschichte und Industriegeschichte Österreichs. Ich gebe Ihnen vollkom­men Recht. Da ist enorm viel im Gange, und da wird enorm viel getan.

Großartig ist auch, was ein Herr Direktor Lötsch im Naturhistorischen Museum weiter­entwickelt und aufgebaut hat, welchen Zustrom wir haben, welche neue Museums­pädagogik in den Museen gepflegt wird und welche neue Ausstellungsdidaktik ge­macht wird. Schauen Sie sich es doch einmal an!

Früher sind hunderte Schmetterlinge an einer Wand gehangen, und die Schüler sind davor gestanden und haben sich gedacht, na ja, hundert Schmetterlinge. Heutzutage zeigt man exemplarische Beispiele und lässt den Rest der hundert Schmetterlinge in der Schublade. Die können sich die Wissenschaftler anschauen. Genauso ist es bei allen anderen Ausstellungsgegenständen. Ich glaube, da hat sich enorm viel getan, auch bei den Veranstaltungen, den Unterstützungen und den Vereinen, die gegründet wurden.

Schauen Sie sich die Neuaufstellung der Ägyptischen Sammlung im Kunsthistorischen Museum an! Das ist eine enorme Weiterentwicklung – aber es gibt noch viel zu tun.

Was zur Zukunft zu sagen ist, und das sage ich immer wieder: Wir müssen sehr genau darauf achten, dass die Basisabgeltung für die Museen wirklich eine Grundlage dafür darstellt, dass sie sich gut entwickeln können. Wenn sie darüber hinaus tüchtig sind, ist es super. Deswegen werde ich auch mit dem Finanzminister für die nächsten Budgets sehr intensiv verhandeln, denn wir müssen die Basisabgeltung anheben.

Zweitens: Die Evaluierung der Museen ist in Auftrag gegeben, und das ist keineswegs nur eine Sache der Finanzen, sondern wir haben auch die Inhalte sehr genau be­schrieben. Wir haben ein internationales Konsortium zusammengestellt. Die Inhalte der Evaluierung sind die Profile der Museen, die Umsetzung des Bildungsauftrages, die wissenschaftliche Forschungsarbeit, die spezielle inhaltliche Positionierung und die Besucherentwicklung und das Image der Museen. Diese Evaluierung wird im Herbst abgeschlossen werden, und wir werden dann die Ergebnisse vorstellen. Ich freue mich darauf, dass wir mit Ihnen zusammen eine positive Weiterentwicklung der Museums­landschaft und des Denkmalschutzes in Österreich begleiten können. (Beifall bei der ÖVP und bei Bundesräten der Freiheitlichen.)

13.09

 


Vizepräsident Mag. Harald Himmer: Weitere Wortmeldungen dazu liegen nicht vor.

Wünscht noch jemand das Wort? – Das ist nicht der Fall.


Bundesrat
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706. Sitzung / Seite 72

Die Debatte ist geschlossen.

Wünscht von der Berichterstattung jemand ein Schlusswort? – Das ist ebenfalls nicht der Fall.

Wir gelangen nun zur Abstimmung über den Kulturbericht 2002 der Bundesministerin für Bildung, Wissenschaft und Kultur.

Ich ersuche jene Bundesrätinnen und Bundesräte, die dem Antrag zustimmen, den gegenständlichen Bericht zur Kenntnis zu nehmen, um ein Handzeichen. – Das ist die Stimmenmehrheit. Der Antrag ist somit angenommen.

6. Punkt

Beschluss des Nationalrates vom 25. Februar 2004 betreffend ein Bundesgesetz, mit dem das Konsulargebührengesetz 1992 geändert wird (355 d.B. und 393 d.B. sowie 6991/BR d.B.)

7. Punkt

Beschluss des Nationalrates vom 25. Februar 2004 betreffend das Rahmenab­kommen zwischen der Republik Österreich und der Slowakischen Republik über die grenzüberschreitende Zusammenarbeit von Gebietskörperschaften (344 d.B. und 394 d.B. sowie 6992/BR d.B.)

8. Punkt

Beschluss des Nationalrates vom 25. Februar 2004 betreffend das Europa-Mittel­meer-Abkommen zur Gründung einer Assoziation zwischen den Europäischen Gemeinschaften und ihren Mitgliedstaaten einerseits und der Arabischen Repub­lik Ägypten andererseits samt Anhängen, Protokollen und Schlussakte (255 d.B. und 395 d.B. sowie 6993/BR d.B.)

9. Punkt

Beschluss des Nationalrates vom 25. Februar 2004 betreffend Europa-Mittel­meer-Assoziationsabkommen zwischen der Europäischen Gemeinschaft und ihren Mitgliedstaaten einerseits und der Libanesischen Republik andererseits samt Anhängen, Protokollen und Schlussakte (388 d.B. und 396 d.B. sowie 6994/BR d.B.)

10. Punkt

Beschluss des Nationalrates vom 25. Februar 2004 betreffend das Europa-Mittel­meer-Abkommen zur Gründung einer Assoziation zwischen der Europäischen Gemeinschaft und ihren Mitgliedstaaten einerseits und der Demokratischen Volksrepublik Algerien andererseits samt Anhängen, Protokollen und Schluss­akte (389 d.B. und 397 d.B. sowie 6995/BR d.B.)

 


Vizepräsident Mag. Harald Himmer: Wir gelangen nunmehr zu den Punkten 6 bis 10 der Tagesordnung, über welche die Debatte ebenfalls unter einem durchgeführt wird.

 


Berichterstatter zu den Punkten 6 bis 10 ist Herr Bundesrat Fasching. Ich bitte ihn um die Berichte.


Bundesrat
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Berichterstatter Paul Fasching: Bericht des Ausschusses für auswärtige Angelegen­heiten über den Beschluss des Nationalrates vom 25. Februar 2004 betreffend ein Bundesgesetz, mit dem das Konsulargebührengesetz 1992 geändert wird.

Der Bericht liegt Ihnen schriftlich vor.

Der Ausschuss für auswärtige Angelegenheiten stellt nach Beratung der Vorlage am 9. März 2004 mit Stimmeneinhelligkeit den Antrag, gegen den vorliegenden Beschluss des Nationalrates keinen Einspruch zu erheben.

Bericht des Ausschuss für auswärtige Angelegenheiten über den Beschluss des Natio­nalrates vom 25. Februar 2004 betreffend das Rahmenabkommen zwischen der Re­publik Österreich und der Slowakischen Republik über die grenzüberschreitende Zu­sammenarbeit von Gebietskörperschaften.

Der Bericht liegt Ihnen schriftlich vor.

Der Ausschuss für auswärtige Angelegenheiten stellt nach Beratung der Vorlage am 9. März 2004 mit Stimmeneinhelligkeit den Antrag,

1. gegen den Beschluss des Nationalrates keinen Einspruch zu erheben,

2. dem Beschluss des Nationalrates im Sinne des Artikels 50 Abs. 1 zweiter Satz B-VG die verfassungsmäßige Zustimmung zu erteilen.

Bericht des Ausschusses für auswärtige Angelegenheiten über den Beschluss des Nationalrates vom 25. Februar 2004 betreffend das Europa-Mittelmeer-Abkommen zur Gründung einer Assoziation zwischen den Europäischen Gemeinschaften und ihren Mitgliedstaaten einerseits und der Arabischen Republik Ägypten andererseits samt Anhängen, Protokollen und Schlussakte.

Der Bericht liegt Ihnen schriftlich vor.

Der Ausschuss für auswärtige Angelegenheiten stellt nach Beratung der Vorlage am 9. März 2004 mit Stimmeneinhelligkeit den Antrag, gegen den vorliegenden Beschluss des Nationalrates keinen Einspruch zu erheben.

Bericht des Ausschusses für auswärtige Angelegenheiten über den Beschluss des Nationalrates vom 25. Februar 2004 betreffend Europa-Mittelmeer-Assoziationsabkom­men zwischen der Europäischen Gemeinschaft und ihren Mitgliedstaaten einerseits und der Libanesischen Republik andererseits samt Anhängen, Protokollen und Schlussakte.

Der Bericht liegt Ihnen in schriftlicher Form vor.

Der Ausschuss für auswärtige Angelegenheiten stellt nach Beratung der Vorlage am 9. März 2004 mit Stimmeneinhelligkeit den Antrag, gegen den vorliegenden Beschluss des Nationalrates keinen Einspruch zu erheben.

Bericht des Ausschusses für auswärtige Angelegenheiten über den Beschluss des Nationalrates vom 25. Februar 2004 betreffend das Europa-Mittelmeer-Abkommen zur Gründung einer Assoziation zwischen der Europäischen Gemeinschaft und ihren Mit­gliedstaaten einerseits und der Demokratischen Volksrepublik Algerien andererseits samt Anhängen, Protokollen und Schlussakte.

Der Bericht liegt Ihnen in schriftlicher Form vor.

Der Ausschuss für auswärtige Angelegenheiten stellt nach Beratung der Vorlage am 9. März 2004 mit Stimmeneinhelligkeit den Antrag, gegen den vorliegenden Beschluss des Nationalrates keinen Einspruch zu erheben.

 


Vizepräsident Mag. Harald Himmer: Ich danke für die Berichterstattung.


Bundesrat
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Wir gehen in die Debatte ein, die über die zusammengezogenen Punkte unter einem abgeführt wird.

Zu Wort gemeldet hat sich Herr Bundesrat Dr. Liechtenstein. – Bitte.

 


13.15

Bundesrat Dr. Vincenz Liechtenstein (ÖVP, Steiermark): Herr Präsident! Frau Bun­desminister! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Die heutige Tagesordnung bietet eine breite Palette von verschiedenen außenpolitischen Themen, die alle signifikant für unterschiedliche Bereiche der Außenpolitik sind.

Das Rahmenabkommen mit der Slowakei über die grenzüberschreitende Zusammen­arbeit von Gebietskörperschaften ist ein weiterer Beitrag zur Vertiefung unserer bilate­ralen Beziehungen zu unseren Nachbarn, mit denen uns schon sehr lange sehr viel verbindet. Es liegt damit voll auf der Linie der Politik einer Außenministerin, die etwas initiiert hat, das – fast möchte man sagen – längst überfällig war: die Gründung einer regionalen Partnerschaft mit Nachbarn, die in vielen Punkten ähnlich gelagerte Interes­sen haben. Natürlich gibt es zwischen Nachbarn immer auch strittige Punkte, aber es lohnt sich, die bilateralen Beziehungen stark zu vertiefen.

Sie, Frau Bundesminister, haben die regionale Partnerschaft aufgebaut, um langfristig Dinge in Bewegung zu setzen, denn wer Partner sucht, wenn es brenzlig wird, der kommt meistens schon zu spät. Die regionale Partnerschaft trägt auch bereits Früchte: Sehen Sie sich die EU-Regierungskonferenz an! Es gibt gemeinsame Interessen, und darum war Ihre Initiative so wichtig, Frau Bundesminister.

Das Abkommen mit der Slowakei vertieft unsere bilateralen Beziehungen und ist damit ein weiterer wichtiger Mosaikstein in diesem Prozess.

Das Konsulargebührengesetz berührt einen weiteren sehr wesentlichen Teil der Arbeit des Außenministeriums. Der ganze Konsularbereich ist für uns essentiell und wird in den Medien immer viel zu wenig beachtet. Es geht hier nicht nur um die etwa 400 000 Visa im Jahr, sondern auch um die Hilfeleistung für in Not geratene Österreicher. Frau Außenminister! Sie haben den Bereich umgestaltet und serviceorientiert eingerichtet. Das dient den Interessen aller, die sich regelmäßig im Ausland befinden.

Danken möchte ich an dieser Stelle jenen zahlreichen Mitarbeitern des Außenministe­riums, die rund um die Uhr da sind, wenn sich Österreicher in Not befinden. Danken möchte ich aber auch Ihnen, Frau Außenminister, für den persönlichen Einsatz. Bei­spiele gibt es dafür viele: Sie haben sich persönlich für einen Österreicher kurdischer Abstammung eingesetzt, dem die Abschiebung von Bulgarien in die Türkei drohte. – Man muss dazu das Verhältnis zwischen Kurden und Türken kennen. Frau Bundes­minister, Sie haben durch Ihre persönliche Intervention dafür gesorgt, dass österrei­chische Demonstranten rasch freikamen, sei es in Ungarn oder sei es erst vor wenigen Wochen in München. Wir haben mit Ihnen eine Außenministerin, die sich um den Schutz der Interessen österreichischer Staatsbürger intensiv bemüht, und das ist auch wirklich gut so.

Der dritte Block der nun zu behandelnden Punkte umfasst die globale Seite der Außen­politik – den Mittelmeerbereich. Die Außenministerin war bei fast allen Ministertreffen der EU mit den Mittelmeerländern persönlich anwesend. – Das verstehe ich unter vor­ausschauender Politik.

Auf Grund der geographischen Lage hat Österreich großes Interesse an Stabilität, Demokratie und wirtschaftlicher Entwicklung in dieser Region. Dazu leisten die Abkom­men einen wichtigen Beitrag.


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Die globale Seite der Außenpolitik wurde von der Frau Außenministerin aber noch in ganz anderen Bereichen intensiv wahrgenommen. Noch nie hat es in so kurzer Zeit so viele Verbesserungen in der Entwicklungszusammenarbeit mit der Dritten Welt gege­ben wie in den letzten drei Jahren: erstens ein neues Gesetz für die Entwicklungszu­sammenarbeit, zweitens eine massive Anhebung der Gelder für bilaterale Projekthilfe und drittens die Begründung einer neuen Durchführungsstruktur.

Die heutige Tagesordnung ist für mich ein weiteres Zeugnis einer erfolgreichen öster­reichischen Außenpolitik, und die Öffnung zeigt, dass wir im Herzen Europas wieder völlig frei sind. Meine Fraktion wird diesen Gesetzen die Zustimmung geben. – Danke. (Beifall bei der ÖVP.)

13.19

 


Vizepräsident Mag. Harald Himmer: Zu Wort gemeldet ist Frau Präsidentin Hasel­bach. – Bitte.

 


13.20

Bundesrätin Anna Elisabeth Haselbach (SPÖ, Wien): Herr Präsident! Frau Bundes­minister! Verehrte Kolleginnen und Kollegen! Wie schon aus der Formulierung der Anträge des Berichterstatters erkennbar war, werden ja alle Vorlagen dieser Tagesord­nungspunkte ungeteilte Zustimmung erhalten. Ich möchte aber trotzdem einiges im Zusammenhang mit dem Assoziationsabkommen mit Ägypten, Libanon und Algerien sagen. Vor allen Dingen: Ich bin froh, dass das parlamentarische Verfahren endlich zu einem Abschluss kommt, wurde doch das Abkommen der EU mit Ägypten bereits im Juni 2001 unterzeichnet, mit dem Libanon im Juni 2002 und mit Algerien im April 2002.

Meine Damen und Herren! Der Mittelmeerraum ist von großer Bedeutung für Europa. – Das klingt jetzt sehr plakativ und sehr einfach, aber ich betone das deshalb, weil ich glaube, dass unsere Aufmerksamkeit doch sehr stark Ost- und Südosteuropa zuge­wendet war. Wie sehr aber die Länder des südlichen und östlichen Mittelmeerraumes Europa brauchen, sehen wir schon an den Herausforderungen, vor denen diese Region steht.

Diese Länder verfügen über eine Bevölkerungsstruktur, in der die unter 15-Jährigen überwiegen. Bildungs- und Berufsbefähigungseinrichtungen gibt es in nicht ausreichen­dem Maß, ebenso wenig ausreichende Arbeitsplätze. Unter den jungen Menschen nimmt der Trend zur Migration zu. Die Kluft zwischen den sozialen Schichten ist unvor­stellbar groß. Die Situation der Frauen ist – ich sage es einmal so – besorgniserre­gend, aber ich glaube, diese Bezeichnung reicht nicht aus, um wirklich auszudrücken, wie es den Frauen in diesen Ländern geht. Die Menschenrechte werden nicht ent­sprechend den international gültigen Normen beachtet, die Spannungen zwischen den Vertretern säkularer Staatsformen und den Verfechtern religiöser Dominanz im Staat nehmen ständig zu. – Und das ist nur eine kleine Aufzählung, meine Damen und Herren, von einem ganz geringen Teil der Probleme in der Region.

Wenn unser Bekenntnis zu internationaler Beachtung und Hilfeleistung für Menschen und Regionen, die Hilfe brauchen, nicht zum Bestandteil schöner Sonntagsreden ver­kommen soll, dann müssen wir unser Wissen und Können mit diesen Ländern teilen, ihnen den Weg weisen zu demokratischen und gerechten Formen des Regierens. Wir müssen ihnen den Weg weisen, wie Korruption zu bekämpfen ist, wie Bildung für alle zugänglich gemacht wird, wie Konflikte im gegenseitigen Respekt friedlich beigelegt werden können und wie Menschenrecht und Menschenwürde garantiert werden.

Genau das, meine Damen und Herren, will der Barcelona-Prozess erreichen, und es ist gut, dass wir als Österreicher, als Österreich ein Teil dieser Bemühungen sind.


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Es ist wirklich zu hoffen, dass die Vertiefung der sozialen, kulturellen und humanitären Kooperation gute Fortschritte machen wird. Dazu bedarf es natürlich auch der Einrich­tung von Institutionen, würde ich jetzt einmal sagen. Ich möchte drei herausgreifen: Das eine, glaube ich, besonders wichtige – und ich hoffe, dass doch bald ein Weg dafür gefunden wird – ist sicherlich die Errichtung der euromediterranen Stiftung zum Dialog der Kulturen. Das Nächste – sicherlich eine Sache, die bald zu Ende gebracht werden muss –: die Schaffung einer euromediterranen Entwicklungsbank und einer dritten Einrichtung, die in zirka zwei Wochen in Athen ihre Inauguration haben wird, nämlich der euromediterranen parlamentarischen Versammlung.

Vorerst, meine Damen, sind drei Kommissionen in dieser parlamentarischen Versamm­lung vorgesehen, die folgende Aufgabenstellung verfolgen werden:

erstens: politische und sicherheitspolitische Fragestellungen, Menschenrechte;

zweitens: wirtschaftliche und finanzielle Fragestellungen sowie soziale Angelegenhei­ten, Unterrichtswesen; und

die dritte Kommission: Lebensqualität, Migration, Kultur.

Diese drei Kommissionen sind, glaube ich, ziemlich deckungsgleich mit den drei Volets aus dem Barcelona-Prozess.

Österreich darf sich da nicht entziehen, und es wird auch aktiv mitwirken in diesen Bereichen, es wird an der parlamentarischen Dimension teilnehmen. Es hat ja zuerst doch einige Bedenken gegeben, ob man sich einer institutionalisierten Kammer voll an­schließen soll, aber nachdem die Zustimmung zur Einrichtung dieser Kammer eine so überwältigende war, hat das österreichische Parlament, also beide Häuser, sich dazu gefunden, dass wir selbstverständlich daran teilnehmen werden und all das, was wir beitragen können, natürlich auch einbringen werden.

Diese parlamentarische Versammlung wird einen konsultativen Status haben, ähnlich wie wir es ja aus der Parlamentarischen Versammlung des Europarates kennen, aber ich bin überzeugt, dass die Empfehlungen der parlamentarischen Versammlung der euromediterranen Zusammenarbeit ein guter Wegweiser sein werden für die erforder­lichen Politiken, die in diesem Raum durchzusetzen sind.

Ich kann eigentlich schon schließen. Ich wollte Ihnen nur eben auch diese parlamenta­rische Versammlung, an der wir teilnehmen, doch etwas näher bringen und hoffe, dass auch dann sehr viel Interesse an dieser Arbeit vorhanden sein wird. Mit dem vorher Gesagten und mit der parlamentarischen Beschlussfassung der heute vorliegenden Assoziationsabkommen leisten wir einen wichtigen Beitrag zur wirtschaftlichen und friedlichen Entwicklung des südlichen und östlichen Mittelmeerraumes, aber wir leisten auch einen Beitrag zur Verfestigung von Menschenrechten und Rechtsstaatlichkeit. – Danke. (Beifall bei der SPÖ und den Grünen.)

13.28

 


Vizepräsident Mag. Harald Himmer: Zum Wort gemeldet ist Herr Bundesrat Schenn­ach. – Bitte, Herr Bundesrat.

 


13.28

Bundesrat Stefan Schennach (Grüne, Wien): Sehr geehrter Herr Präsident! Sehr geehrte Frau Außenministerin! Lieber Vincenz Liechtenstein, wenn wir uns vielleicht darauf verständigen könnten, in der Debatte des Außenpolitischen Berichts nicht um die Stimmen der Freiheitlichen und der Grünen im Präsidentschaftswahlkampf zu kämpfen, dann müssten wir nicht so viele Wahlreden hier von diesem Pult aus halten. Glauben Sie mir, wir alle, die wir hier tätig sind, können nach Leistung, nach Einstel-


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lung oder nach Sympathie entscheiden. Ich wäre Ihnen daher schon sehr dankbar dafür, wenn wir nicht zu viele Wahlreden gerade zum Außenpolitischen Bericht hörten.

Nun zu den gegenständlichen Tagesordnungspunkten. (Zwischenbemerkung von Bun­desministerin Dr. Ferrero-Waldner.) – Ich habe nicht Sie gemeint, Frau Ministerin, ich habe den Kollegen gemeint, denn das war für mich mehr ein Event für Wahlreden; aber lassen wir das.

Ich bin sehr froh, dass sich der Barcelona-Prozess in der Weise entwickelt, dass nun bis auf ein Land alle Länder bei dieser Assoziation, bei dieser Freihandelszone dabei sind. Ich möchte da nur unterstreichen, was die Frau Vizepräsidentin vor mir gesagt hat. Es geht auch um eine andere Sichtweise. Bisher ist Nordafrika, insbesondere zwei oder drei Länder, in unserem Bewusstsein eher als Tourismusregion, in die man fährt und in der Sonne liegt, verankert gewesen. Hiermit haben wir ein anderes Verhältnis. Ein Freihandelsabkommen ist ein Geben und Nehmen, und das ist, glaube ich, etwas ganz Wichtiges.

Ein Kollege hat im Ausschuss gemeint, ob dann, wenn wir das jetzt beschließen, am österreichischen System eine ganze Region genesen wird. Nein, das glaube ich nicht, sondern es geht darum, dass es internationale Standards gibt und dass es kein Zurück von der Aufklärung gibt und dass es kein Zurück bei den Menschenrechten gibt, dass es kein Zurück in der Frauenfrage geben kann, dass es kein Zurück in der Frage von Demokratie und Entwicklung geben kann und – erlauben Sie mir als Grünem, das noch zu sagen – dass es natürlich auch kein Zurück bei ökologischen Fragen geben wird, gerade im sensiblen Mittelmeerraum.

Diese Abkommen – davon bin ich überzeugt; aber das wird auch sehr von der EU ab­hängen – müssen natürlich erst beseelt werden mit Aktionsprogrammen, so wie es Frau Haselbach gesagt hat und – ich nehme an – auch die Frau Bundesministerin noch ausführen wird. Das ist sehr wichtig, denn Abkommen sind so lange tot, stille Ab­kommen oder Papiertiger, solange sie nicht wirklich beseelt werden mit einem wirk­lichen Aktionsprogramm. Und hier – noch einmal – sind die Stabilität, die Sicherheit und die Frauenfrage für mich ganz zentrale Fragen.

Das, was wir heute hier beschließen, ist ein Assoziationsabkommen mit der Volks­republik Algerien – einem jener Länder, deren innenpolitische Lage in den letzten zehn Jahren von Morden und Terror gekennzeichnet war. Eine der Nährwurzeln des Terro­rismus ist die Jugendarbeitslosigkeit. In Algerien gibt es derzeit eine Jugendarbeits­losigkeit von mehr als 80 Prozent! Solche Jugendliche, die keine Vision und keine Zukunft haben, werden oft Opfer falscher Hoffnungen und falscher Prediger.

Deshalb ist es wichtig – ich habe auch den Herrn Generalsekretär im Ausschuss schon gefragt –, dass man gerade in Algerien – und ich kenne das Land aus meiner früheren Tätigkeit sehr gut – der Jugend eine Perspektive gibt. Dann entziehen wir dem Terro­rismus in einem ganz wichtigen Bereich zumindest lebendes „Mitläufer-Material“.

Stellen Sie sich einmal eine Jugendarbeitslosigkeit in einem Land vor, in dem, wie Frau Kollegin Haselbach schon gesagt hat, ohnedies die Mehrheit jung ist, wo die Mehrheit um die 15 Jahre ist! Und dort habe ich eine Arbeitslosigkeit von 80 Prozent! Schreck­lich! – Ich hoffe sehr, dass es mit diesem Übereinkommen – ich kann die EU nur dazu beglückwünschen, dass das geschafft wurde; ich hoffe, dass das letzte Land bald dazukommt – mehr Stabilität und mehr Perspektive im Sinne von Frieden, Sicherheit, aber auch der Umsetzung und Durchsetzung der Frauenrechte in diesen Ländern gibt. – Danke. (Beifall bei SPÖ und ÖVP.)

 


13.33


Bundesrat
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706. Sitzung / Seite 78

Vizepräsident Mag. Harald Himmer: Nächste Rednerin: Frau Bundesminister Dr. Fer­rero-Waldner. – Bitte, Frau Bundesminister.

 


13.33

Bundesministerin für auswärtige Angelegenheiten Dr. Benita Ferrero-Waldner: Herr Präsident! Verehrte Damen und Herren des Hohen Bundesrates! Bevor ich auf die eigentliche Debatte Bezug nehme, möchte ich hier doch sagen, dass ich sehr bestürzt und empört bin über die Terroranschläge in Madrid von heute Morgen – Sie werden vielleicht davon gehört haben. Ich habe meine Bestürzung natürlich auch schon meiner spanischen Amtskollegin Ana de Palacio mitgeteilt.

Sie wissen, es sind jetzt schon 131 Tote bei einem Terroranschlag in Madrid. Wir wis­sen derzeit noch nicht, ob Österreicherinnen und Österreicher unter den Opfern sind. Soweit wir bisher gehört haben, sind keine österreichischen Opfer darunter, aber, wie gesagt, die Untersuchungen sind natürlich noch nicht abgeschlossen. Trotzdem sind wir alle als Europäer von einer Welle der Gewalt betroffen, wie sie auch Spanien immer wieder heimsucht. – Ich möchte das ansprechen, weil Kollege Schennach hier mit Recht den Terrorismus in Algerien angesprochen hat.

Dieser Anschlag zeigt auf erschütternde Weise, dass terroristische Akte auch in Europa leider – zumindest in manchen Ländern – zur Realität gehören und wie wichtig daher auch die grenzüberschreitende Kooperation gerade zur Bekämpfung des Terro­rismus ist.

Verehrte Damen und Herren! Wenn ich auf den ersten Block eingehe, den wir hier dis­kutieren, so sind es drei wesentliche Punkte, die hier angesprochen wurden und werden: die grenzüberschreitende Zusammenarbeit mit der Slowakei, das Konsularge­bührengesetz und schließlich das Mittelmeer-Abkommen. Lassen Sie mich zu allen drei Punkten einiges sagen.

Zum ersten Punkt: Sie wissen, dass die grenzüberschreitende Zusammenarbeit im Rahmen unserer Nachbarschaftspolitik insbesondere durch die regionale Partnerschaft für mich einen ganz, ganz hohen Stellenwert hat. Ich glaube, es war richtig und gut, dass wir das so gemacht haben. Daher ist es wirklich wichtig, dieses Abkommen mit der Slowakei abzuschließen, um eine Basis für die Zusammenarbeit zwischen den Gebietskörperschaften zu haben.

Ich freue mich daher, dass ich am 25. Oktober des Vorjahres dieses Abkommen mit meinem slowakischen Kollegen Kukan unterschreiben konnte und dass wir es jetzt im Bundesrat zur endgültigen Verabschiedung vorliegen haben.

Das Abkommen wird eine weitere Intensivierung der Nachbarschaftsbeziehungen auf allen Ebenen, ja sogar bis hinunter auf die Gemeindeebene bringen. Dies entspricht auch den Wünschen, die ich bei Besuchen in Niederösterreich und Oberösterreich immer wieder vernommen habe. Wir stärken damit auch den Wirtschaftsstandort Österreich. – Das ist der erste Punkt.

Zum zweiten Punkt, dem Konsulargebührengesetz, ist ja schon viel gesagt worden. Tatsächlich ist es so, dass wir über 400 000 Visa pro Jahr ausstellen, wovon natürlich auch unsere Administration sehr, sehr stark betroffen und belastet ist. Trotz der bereits sehr hohen Zahl der zu behandelnden Visa steigt die Zahl der Anträge an manchen Botschaften weiter. Um nur zwei Beispiele zu nennen: In Moskau und in Zürich haben wir inzwischen 60 000 Visa pro Jahr! – Sie können sich vorstellen, was das für mein Haus und meine Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter bedeutet. Dabei lautet meine Devise zur Visa-Erteilung: genau, aber nicht kleinlich prüfen!

Wir müssen auch Rahmenbedingungen sicherstellen, die es dem Visa-Werber ermög­lichen, unter akzeptablen Umständen zu einem Visum zu kommen. Das liegt auf der


Bundesrat
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einen Seite im Interesse der österreichischen Wirtschaft, liegt auf der anderen Seite auch im Interesse des Tourismus, aber auch im Interesse des einzelnen Visa-Werbers, der sich nicht ewig in langen Warteschlangen anstellen muss.

Das bedeutet natürlich auch: Wir müssen Entwicklungen verhindern, die zu einer mas­siven Umleitung von Visa-Werbern an österreichische Botschaften führen können. Das ist der Grund für die schnelle Verabschiedung der Novelle zum Konsulargebührenge­setz, denn die Neuregelung des Konsulargebührengesetzes beruht ja, wie Sie wissen, auf einer Entscheidung des Rates der Europäischen Union – die Vorgabe sagt: bis spätestens 1. Juli 2005 umsetzen. Das heißt, wir sind sehr früh dran, aber würden wir mit der Umsetzung warten, dann würden wir einerseits Visa-Gebühren verlieren – was auch nicht in unserem Sinne ist –, andererseits würde dies eine Umleitung der Visa-Werber an österreichische Botschaften zur Folge haben. Ich denke dabei vor allem an die Ukraine, auch an Russland und an Länder wie die Schweiz, wo wir enorm viele kosovarische Visa-Werber haben. – Das zum zweiten Punkt. (Präsident Weiss über­nimmt wieder den Vorsitz.)

Zum dritten Punkt, der vielleicht der politischste Punkt ist und zu dem ich auch gerne einiges sagen möchte: Es ist mir sehr wichtig, dass diese drei Mittelmeer-Abkommen nunmehr hier im Bundesrat zur Behandlung anstehen, denn es geht um die Verab­schiedung einer Freihandelszone bis 2010. Ich danke, Frau Bundesrätin und Präsi­dentin Haselbach, dass Sie das erwähnt haben: Es ist ganz, ganz wichtig für uns, hier positiv und aktiv mitzuarbeiten, denn natürlich ist die Mittelmeer-Zone nach der erwei­terten Europäischen Union und nach Südosteuropa die nächstwichtige Zone, weil auch Nachbarschaftszone. Heute sind wir zwei, maximal drei Stunden mit dem Flugzeug von diesen Ländern entfernt; das ist in einer globalisierten Welt in unserer Nähe!

Daher ist es wichtig, dass hier nicht nur wirtschaftlich eine Verbesserung kommt, son­dern auch im sozialen Bereich – das wurde ja schon von zwei Rednern angesprochen. Das heißt, es geht um die wichtige Frage der Menschenrechte, Frauenfragen und um die Bekämpfung der Arbeitslosigkeit in diesen Ländern.

Verehrte Damen und Herren! Ich bin seit dem Jahre 1995, seit ich Staatssekretärin war, mit einer einzigen Ausnahme bei allen Barcelona-Treffen gewesen, weil ich das für enorm wichtig halte.

Ich habe diesbezüglich auch mit den arabischen Ländern einen wirklich guten Dialog aufgebaut. Ich freue mich darüber, dass wir uns jetzt auch mit Israel wieder in einem sehr kontinuierlichen und guten Prozess befinden, denn diese Fragen können nur gemeinsam bewältigt werden.

Ich darf noch zur Situation der Frauen etwas sagen: Diese ist natürlich sehr unter­schiedlich. Ich kenne diese Länder wirklich gut. Wenn ich daran denke, dass zum Bei­spiel die Situation der Frauen in Tunesien wesentlich besser ist, als sie zum Beispiel in anderen Ländern ist, so sieht man, dass auch innerhalb der Region viel zu tun ist.

Sie wissen, es gibt nun eine neue politische Initiative der Europäischen Union, das „Wider Middle East“-Projekt, wobei ich sage, dass das, was zuerst von amerikanischer Seite initiiert und auch von Joschka Fischer aufgegriffen wurde, nicht ganz dem ent­spricht, was wir in der Europäischen Union wollen. Es gab dazu eine Diskussion beim letzten Rat Allgemeine Angelegenheiten. Genau das, was ich bei der Münchner Konferenz für Sicherheitspolitik von Professor Teltschik gesagt habe, hat sich auch herausgestellt: Wir dürfen damit nicht eine Umgehung der Lösung der Nahost-Frage erreichen – es besteht nämlich schon die Gefahr, die ich auch immer gesehen habe –, sondern wir müssen einerseits die Nahost-Frage einer Lösung zuführen und anderer­seits eine Art OSZE – Stichwort: „Wider Middle East“-Projekt – für den Mittleren und


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Nahen Osten schaffen, bei der dann auch Fragen der Nahost-Politik, aber auch der Menschenrechte, Frauenrechte und Demokratiebestimmungen eine Rolle spielen.

All das kann man zumindest durch diese Abkommen wieder positiv bewerten, aber ich gebe zu, dass das Wichtigste natürlich eine echte Umsetzung ist. Das, was Sie gesagt haben, Frau Bundesrätin Haselbach, kann ich nur unterstreichen: Die parlamentarische Schiene ist eine wichtige, aber auch der Dialog der Zivilisationen und Kulturen ist etwas, bezüglich dessen wir Österreicher – auch unter meiner Führung – sehr, sehr viel gemacht haben. Ich halte das für ganz wichtig – ebenso wie auch die Frage einer euromediterranen Bank. Natürlich bedeutet das wieder zusätzliches Geld, aber ich glaube, das ist im Endeffekt für unsere eigene Sicherheit wichtig. – Danke. (Beifall bei der ÖVP sowie des Bundesrates Schennach.)

13.42

 


Präsident Jürgen Weiss: Als Nächstem erteile ich Herrn Bundesrat Mag. Gudenus das Wort. – Bitte.

 


13.43

Bundesrat Mag. John Gudenus (Freiheitliche, Wien): Herr Präsident! Frau Bundes­minister! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Wir wurden ja vor zwei Tagen im Ausschuss sehr intensiv und wie stets sehr gut über die verschiedenen außenpolitischen Fragen, die wir beantwortet haben wollten, informiert. Ich danke dafür Ihrem Team, Frau Bun­desminister, ich danke den Herren, die hier auf der Bank sitzen.

Ich hatte ursprünglich nicht vor, heute zu diesem Thema zu sprechen, dann fiel mir jedoch die gestrige Ausgabe der „Frankfurter Allgemeinen Zeitung“ in die Hände, wobei mich ein Artikel darin dazu überredete – wenn man so sagen kann –, doch darüber zu reden und Ihnen ein paar Worte von dem, was geschrieben wurde, bekannt zu geben. Vielleicht hat ihn der eine oder andere Herr Ihres Ministeriums auch gelesen.

Es wurde uns gesagt, dass eben beim Abschluss dieses Assoziierungsabkommens mit den Mittelmeerstaaten Libanon, Ägypten und Algerien das demokratische Prinzip, die Menschenrechte – wir hörten das schon –, die Frauenfragen und auch die Rechtsstaat­lichkeit besondere Berücksichtigung finden müssen und berücksichtigt werden wollen.

Frau Präsidentin Haselbach meinte: ungeteilte Zustimmung. Dazu kann ich sagen: Ja, aber nur mit Nachdenklichkeit. Ich würde fragen: Was ist, Frau Bundesminister, wenn das österreichische Parlament, und zwar beide Kammern, aus guten Gründen nein sagen würde? Wie würde sich das auswirken? – Diese Frage stelle ich hier, nicht weil ich jetzt wünsche, dass nein gesagt wird. Aber behandeln wir nicht das eine oder andere Mal gerade im außenpolitischen Feld Bereiche, bei denen man sagen kann, wir brauchen sie eigentlich nicht zu behandeln, da fährt die EU ohnehin drüber? Wenn wir nämlich nein sagen, hat das eigentlich keine Bedeutung, weil es so gut wie beschlos­sen ist, wir müssen das eigentlich nur nachvollziehen, und man könnte fragen: Ist das nicht Zeitverlust? – Ich meine, Zeitverlust ist es auf keinen Fall, dass wir über dieses Thema sprechen, aber wenn wir nein sagen würden, was wir ja nicht tun, was würde passieren? – Diese Frage könnten Sie, Frau Bundesminister, vielleicht nur der Informa­tion halber heute noch beantworten. (Bundesrätin Haselbach: Herr Kollege Gudenus! Darf ich es Ihnen sagen? Wir würden uns lächerlich machen!)

Ja, gut, das ist wie beim Veto, das man angedroht hat. Man droht die verschiedensten Vetos an, die dann nicht eingesetzt werden. Es gibt Dinge, bei denen sich ein Staat nicht lächerlich machen kann. Wir sind Vertreter des Staates, und wir haben die Inter­essen unseres Staates und unserer Bevölkerung wahrzunehmen. (Bundesrat Konec­ny: Man soll sich nicht zu fest darauf verlassen!) Jeder kann natürlich des einen Aus­sage als lächerlich bezeichnen, aber der andere wird das nur nachdenklich beurteilen.


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Ich betone noch einmal: Wir wollen uns auch heute nicht der Lächerlichkeit preisgeben. Kollege Schennach hat gesagt, es gebe keinen Weg zurück. Auch das nehme ich zur Kenntnis: Also vorwärts, machen wir es!

Jetzt will ich diesen Artikel aus der gestrigen „Frankfurter Allgemeinen Zeitung“ von Shlomo Avineri bringen. Er schreibt unter dem Titel „Demokratie in Arabien: Gut ge­meint – aber chancenlos“ Folgendes:

„Es gibt keinen arabischen Gorbatschow, keinen arabischen Walesa. (...) Die Türkei hat in den vergangenen 80 Jahren einen schwierigen, bisweilen mangelhaften Prozeß der Demokratisierung hinter sich gebracht. Iran, das sich als Islamische Republik ver­steht, zeigt inzwischen täglich Anzeichen für eine lebendige Zivilgesellschaft ...“.

Ich finde es interessant, dass das ein israelischer Journalist so darstellt. Uns wird es meistens ein bisschen anders dargestellt.

Jetzt komme ich zu den auch von ihm angeführten arabischen Staaten. Es heißt hier weiters:

„In den 22 Mitgliedstaaten der Arabischen Liga jedoch geschieht nichts Vergleichbares. In vielen arabischen Ländern gibt es couragierte einzelne, die den Mächtigen entge­gentreten, doch eine Massenbewegung von Bedeutung ist daraus auch nirgends ent­standen. Eigentlich ist das überraschend, denn die arabischen Staaten sind sehr ver­schieden voneinander: Einige sind klein, andere sind groß; einige reich, andere arm; einige sind traditionsreiche Monarchien, andere autoritäre Regime, die sich auf das Militär stützen. Aber in keinem der Staaten gibt es – mit Ausnahme einiger schwächli­cher Versuche in einigen der weniger repressiven Monarchien wie Jordanien, Marokko und Bahrein – eine Bewegung hin zur Demokratie oder auch nur Ansätze, die Grund­lage für eine solche Bewegung werden könnten. Die Gründe dafür liegen nicht auf der Hand. Sie blieben selbst jenen tapferen arabischen Intellektuellen verborgen, die vor einem Jahr an dem von den UN unterstützten ,Arab Human Development Report‘ mit­arbeiteten, der das Demokratiedefizit in den arabischen Gesellschaften zeigte. (...) Die Schwäche der Zivilgesellschaft in den arabischen Gesellschaften sollte als das erkannt werden, was sie ist – ein bedeutendes Hindernis für jede Form der Demokratisierung.“

Abschließend heißt es:

„Doch selbst diese Entwicklung muß aus den Gesellschaften der arabischen Länder selbst heraus wachsen und läßt sich nicht aus dem Westen importieren.“ – Ich sage noch dazu: auch nicht für viel Geld.

Wir wurden vorgestern im Ausschuss darüber informiert, dass die Europäische Union – damit auch Österreich – Geld in diese Staaten zur Entwicklung der Zivilgesellschaft, der Demokratie und so weiter steckt. Ich denke – und das habe ich im Ausschuss auch gesagt –, es ist natürlich schön, wenn sowohl Österreich als auch die EU meinen, dass an ihrem Wesen die Welt genesen soll, aber ich sage trotzdem: Seien wir auch realis­tisch, wenn wir heute dieser Aufnahme von drei Ländern in diese Assoziation zustim­men, nämlich dahin gehend, dass damit noch nicht das erreicht wird, was wir uns eigentlich unter demokratischen Prinzipien, Menschenrechten und Rechtsstaatlichkeit vorstellen! Es bleibt also ein langjähriger, ein jahrzehntelanger Prozess, den wir wahr­scheinlich – alle, die wir hier sitzen – gar nicht mehr erleben werden, obwohl ich uns allen ein langes und gesundes Leben wünsche; das sei auch gesagt.

Ich werde diesem Gesetz zwar zustimmen, aber Shlomo Avineri hat meine Nachdenk­lichkeit beeindruckend unterstrichen, und ich habe sie auch Ihnen hier kundgetan. (Bei­fall bei den Freiheitlichen.)

 


13.50


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Präsident Jürgen Weiss: Zu Wort gelangt Frau Bundesministerin Dr. Ferrero-Wald­ner. – Bitte.

 


13.50

Bundesministerin für auswärtige Angelegenheiten Dr. Benita Ferrero-Waldner: Ich wollte tatsächlich auf Ihre Frage, Herr Bundesrat, noch einmal eingehen und Ihnen sagen, was wirklich passieren würde, wenn wir in diesem Punkt nicht zustimmten. Es würde etwas sehr Trauriges passieren: Wir ließen nämlich das Assoziationsabkommen mit diesen Ländern nicht in Kraft treten. Damit würde genau das passieren, was wir nicht wollen. Es gäbe keine Chance für diese zusätzliche Entwicklung der Menschen­rechte und der Rechtsstaatlichkeit, die Sie ebenfalls, so glaube ich, als Ziel vor Augen haben. Auch die Freihandelszone würde bis 2010 nicht wirklich ermöglicht werden.

Aber ich habe gerade diese Bedenken vorweggenommen. Es ist klar, dass die Israelis diese auch immer wieder anführen, das muss man wissen. Das, was Herr Shlomo Avineri in diesem Artikel schreibt, ist auch nicht ganz ungefärbt. Das muss man auch sagen. Das ist auch ein bisschen Propaganda, aber es ist auch in vielen Fällen Tat­sache. Die Demokratien in den arabischen Ländern sind sehr unterschiedlich ausge­richtet, manche weniger, manche mehr. Das steht auch in diesem Artikel. Das ist eben so.

Das heißt also, das Wichtigste ist, eine zusätzliche Initiative zu setzen. Dieses „Wider Middle East“-Projekt ist als eine Initiative gedacht, um Menschenrechte und Rechts­staatlichkeit voranzutreiben. Ich glaube, wir unterstützen voll diesen Prozess mit der Freihandelszone, die wir damit ermöglichen. Das Gegenteil wäre der Fall, wenn wir hier nicht zustimmten. – Danke. (Beifall bei der ÖVP, den Freiheitlichen sowie des Bun­desrates Schennach.)

13.52

 


Präsident Jürgen Weiss: Weitere Wortmeldungen hiezu liegen nicht vor.

Wünscht noch jemand das Wort? – Das ist nicht der Fall.

Die Debatte ist geschlossen.

Wird von der Berichterstattung ein Schlusswort gewünscht? – Das ist ebenfalls nicht der Fall.

Die Abstimmung über die vorliegenden Beschlüsse des Nationalrates erfolgt getrennt.

Wir gelangen zunächst zur Abstimmung über den Beschluss des Nationalrates vom 25. Februar 2004 betreffend ein Bundesgesetz, mit dem das Konsulargebührenge­setz 1992 geändert wird.

Ich bitte jene Bundesrätinnen und Bundesräte, die dem Antrag zustimmen, gegen den vorliegenden Beschluss des Nationalrates keinen Einspruch zu erheben, um ein Hand­zeichen. – Das ist die Stimmeneinhelligkeit. Der Antrag ist angenommen.

Wir gelangen zur Abstimmung über den Beschluss des Nationalrates vom 25. Februar 2004 betreffend das Rahmenabkommen zwischen der Republik Österreich und der Slowakischen Republik über die grenzüberschreitende Zusammenarbeit von Gebiets­körperschaften.

Da der vorliegende Beschluss Angelegenheiten des selbständigen Wirkungsbereiches der Länder regelt, bedarf er der Zustimmung gemäß § 50 Abs. 1 2. Satz B-VG.

Wir gelangen zunächst zur Abstimmung über den Antrag, gegen den vorliegenden Beschluss keinen Einspruch zu erheben.


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Ich bitte jene Bundesrätinnen und Bundesräte, die dem Antrag zustimmen, um ein Handzeichen. – Das ist die Stimmeneinhelligkeit. Der Antrag ist angenommen.

Nunmehr lasse ich über den Antrag abstimmen, dem vorliegenden Beschluss des Nationalrates die verfassungsmäßige Zustimmung zu erteilen.

Ich bitte jene Bundesrätinnen und Bundesräte, die dem Antrag zustimmen, um ein Handzeichen. – Das ist die Stimmeneinhelligkeit. Der Antrag ist angenommen.

Wir gelangen weiters zur Abstimmung über den Beschluss des Nationalrates vom 25. Februar 2004 betreffend das Europa-Mittelmeer-Abkommen zur Gründung einer Assoziation zwischen den Europäischen Gemeinschaften und ihren Mitgliedstaaten einerseits und der Arabischen Republik Ägypten andererseits samt Anhängen, Proto­kollen und Schlussakte.

Ich bitte jene Bundesrätinnen und Bundesräte, die dem Antrag zustimmen, gegen den vorliegenden Beschluss keinen Einspruch zu erheben, um ein Handzeichen. – Das ist die Stimmeneinhelligkeit. Der Antrag ist angenommen.

Wir gelangen zur Abstimmung über den Beschluss des Nationalrates vom 25. Februar 2004 betreffend das Europa-Mittelmeer-Assoziationsabkommen zwischen der Europäi­schen Gemeinschaft und ihren Mitgliedstaaten einerseits und der Libanesischen Re­publik andererseits samt Anhängen, Protokollen und Schlussakte.

Ich bitte jene Bundesrätinnen und Bundesräte, die dem Antrag zustimmen, keinen Ein­spruch zu erheben, um ein Handzeichen. – Das ist die Stimmeneinhelligkeit. Der An­trag ist angenommen.

Schließlich gelangen wir zur Abstimmung über den Beschluss des Nationalrates vom 25. Februar 2004 betreffend das Europa-Mittelmeer-Abkommen zur Gründung einer Assoziation zwischen der Europäischen Gemeinschaft und ihren Mitgliedstaaten einer­seits und der Demokratischen Volksrepublik Algerien andererseits samt Anhängen, Protokollen und Schlussakte.

Ich bitte jene, die dem Antrag zustimmen, gegen den vorliegenden Beschluss keinen Einspruch zu erheben, um ein Handzeichen. – Das ist ebenfalls die Stimmeneinhellig­keit. Der Antrag ist angenommen.

11. Punkt

Außenpolitischer Bericht 2001 der Bundesregierung (III-235-BR/2002 d.B. sowie 6996/BR d.B.)

12. Punkt

Außenpolitischer Bericht 2002 der Bundesregierung (III-246-BR/2003 d.B. sowie 6997/BR d.B.)

 


Präsident Jürgen Weiss: Wir gelangen zu den Punkten 11 und 12 der Tagesordnung.

Die Berichterstattung zu diesen beiden Punkten hat Herr Bundesrat Fasching über­nommen. – Ich bitte um die Berichte.

 


Berichterstatter Paul Fasching: Bericht zu Punkt 11 der Tagesordnung: Bericht des Ausschusses für auswärtige Angelegenheiten über den Außenpolitischen Bericht 2001 der Bundesregierung. Der Inhalt liegt Ihnen vor.

Der Ausschuss für auswärtige Angelegenheiten stellt den Antrag, der Bundesrat wolle den Bericht zur Kenntnis nehmen.


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Bericht zu Punkt 12 der Tagesordnung: Bericht des Ausschusses für auswärtige Ange­legenheiten über den Außenpolitischen Bericht 2002 der Bundesregierung. Der Inhalt liegt Ihnen vor.

Der Ausschuss für auswärtige Angelegenheiten stellt somit den Antrag, der Bundesrat wolle den Bericht zur Kenntnis nehmen.

 


Präsident Jürgen Weiss: Wir gehen in die Debatte ein, die über die zusammengezo­genen Punkte unter einem abgeführt wird.

Erster Redner ist Herr Bundesrat Professor Konecny. – Bitte.

 


13.56

Bundesrat Albrecht Konecny (SPÖ, Wien): Herr Präsident! Frau Bundesminister! Es ist zweifellos notwendig, dass wir uns, wenn wir eine außenpolitische Debatte ab­wickeln, zuallererst der Erklärung, die Sie, Frau Bundesminister, hier beim vorigen Tagesordnungspunkt abgegeben haben, aus tiefer Überzeugung und mit tiefer Bewe­gung anschließen.

Es ist gar keine Frage, dass Mittel des Terrors für nichts und für niemanden eine ent­schuldbare Handhabe sein dürfen. Es ist selbstverständlich, dass einem Volk oder einem Land, das in dieser über das bisherige Maß weit hinausgehenden Weise vom Terror betroffen ist, in diesem Augenblick klar unsere Sympathie, unsere Solidarität und unser Mitfühlen zum Ausdruck gebracht werden soll.

Ich danke Ihnen dafür, dass Sie diese Initiative ergriffen haben. Wir haben in dem Be­reich – darum habe ich heute einen Redebeitrag versäumt – eine ähnliche Sympathie­kundgebung an unseren Freund Zapatero abgegeben. Aber es ist immer derselbe Inhalt. Ich glaube, dass es richtig ist, dass wir uns in diesem Punkt einig sind, so viele Punkte es auch gibt, wo wir uns nicht einig sind. (Zwischenbemerkung von Bundes­ministerin Dr. Ferrero-Waldner.)

Außenpolitische Berichte sind – ich habe das auch im Ausschuss gesagt – ein wich­tiges, um nicht zu sagen, unentbehrliches Handbuch jedes und jeder geworden, die sich mit Außenpolitik beschäftigen, wobei sie – auch das möchte ich hier wiederholen – durch die Tatsache, dass sie in gedruckter und gebundener Form vorliegen, gegenüber aktuelleren und rascheren Informationsmitteln den großen Vorzug haben, dokumenta­risch zu wirken und nicht überschrieben zu werden, was heutzutage nicht mehr so selbstverständlich ist.

Bei einem so umfangreichen Kompendium wissen wir alle – wer es nicht genau weiß, kann es sich zumindest vorstellen –, wie viel Arbeit von den Beamten des Hauses, von den Missionschefs und allen anderen, die daran mitgewirkt haben, eingesetzt wurde. Es ist daher sicher richtig, wenn wir einer guten Tradition dieser Debatten folgend uns bei jenen, die uns dieses wichtige Informationsmittel zur Verfügung stellen, sehr herz­lich bedanken.

Trotzdem kann natürlich auch der Außenpolitische Bericht nicht mehr als eine Wirklich­keit der österreichischen Außenpolitik zusammenfassen, an der wir aus guten Gründen Kritik üben. Das soll jetzt nicht undifferenziert, nicht plakativ und schon gar nicht wahlkämpfend geschehen.

Klar ist, dass sich seit nahezu einem Jahrzehnt – und da hat es auch in der Vergan­genheit und vor einem Regierungswechsel Anpassungsschwierigkeiten gegeben – die Rahmenbedingungen der österreichischen Außenpolitik insofern verändert haben, als wir naturgemäß als Mitgliedstaat der Europäischen Union auch in diesem Bereich in einem Solidaritätsverbund eingebunden sind, hier Abstimmung – und Abstimmung heißt immer auch, Pointierung zurückzunehmen – stattfinden muss und ein guter Teil


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der traditionellen Außenpolitik jetzt so ein Mittelding, nicht mehr Innenpolitik, aber auch nicht mehr Außenpolitik, geworden ist, weil natürlich die enge Zusammenarbeit mit unseren Partnerstaaten, technisch zu einem gut Teil über das Außenministerium abge­wickelt, ein Element unserer politischen Wirklichkeit ist.

Daher ist auch immer wieder die Frage zu stellen, wie österreichische Außenpolitik zu definieren ist. Ich widerspreche ganz ausdrücklich jenen, die da sagen: Na ja, zu Kreiskys Zeiten hat es noch eine österreichische Nahostpolitik gegeben! – Ja, natürlich hat es sie gegeben, sogar in sehr fruchtbarer Art und Weise, aber dass dies ein Raum ist wie der Mittelmeerraum, über den gerade gesprochen wurde, der für die EU von vitalem Interesse ist, und dass daher wenig Raum – außer für die Nutzung von Kennt­nissen und Kontakten – für spektakuläre Einzelinitiativen besteht, das verstehe ich durchaus.

Genauso verstehe ich, dass es in der Europäischen Union mit ihren vielfältigen Auf­gabenstellungen natürlich keine fest gefügten Blöcke geben kann und vor allem auch nicht geben soll, sondern dass sich, je nach Interessenlage, je nach Thema, Staaten zu einer Mehrheitsbildung, zu einer Meinung, die man gemeinsam vertritt, zusammen­finden, ohne dass damit für die nächsten zehn Tagesordnungspunkte auch schon ein einheitliches Abstimmungs- oder Meinungsverhalten gewährleistet ist.

Trotzdem und gerade deshalb ist es entscheidend – und es wäre auch entscheidend gewesen –, dass die österreichische Außenpolitik klare Prioritäten setzt und vorhan­dene Fähigkeiten und Möglichkeiten auch in den Dienst der gemeinsamen EU-Außen­politik stellt oder dies zumindest versucht.

Wir haben im Berichtszeitraum wesentliche Fortschritte beobachten können in jenem Prozess der Erweiterung der Europäischen Union, der jetzt, am 1. Mai, zwar nicht abgeschlossen ist, weil ja nicht alle Beitrittswerber aufgenommen werden, aber doch einen gewaltigen Schritt nach vorne gemacht hat und aus dieser Staatengemeinschaft ein Bündnis, eine Gemeinschaft von 25 Mitgliedern gemacht hat.

Die österreichische Außenpolitik gegenüber den neuen EU-Mitgliedern, von denen einige wichtige Staaten auch Nachbarn im engeren Sinn des Wortes sind, war in höchstem Maße widersprüchlich, und wir haben dafür bezahlt – und ich fürchte, wir werden das auch noch tun –, dass wir uns mit diesen künftigen Partnern so auseinan­der gesetzt haben, wie es leider geschehen ist.

Es geht nicht, auf der einen Seite bei den politischen Festgottesdiensten unser Ja zur EU-Erweiterung zu bekunden, auch wenn das auf der Regierungsseite über lange Strecken so einheitlich nicht war, aber auf der anderen Seite in jeder konkreten Frage diesen Staaten ihre legitimen Interessen fast höhnisch abzulehnen. Es geht auch nicht, mit großer Geste eine seinerzeit „Strategische Partnerschaft“ genannte Initiative zu starten, die mit den in Aussicht genommenen Partnern keineswegs abgesprochen war und die zudem mit einer – in diesem Fall muss ich das so sagen – maternalistischen Gestik angetragen wurde, die in Wirklichkeit diese Staaten, die auf dem Weg nach Europa waren und sind, die so stolz auf ihre neu gewonnenen Handlungsmöglichkeiten waren, vor den Kopf stoßen musste.

Es ist gar keine Frage, dass da eine durchaus historische Chance leichtfertig verspielt wurde, ja, es hätte so etwas wie eine Partnerschaft entstehen können, und dafür hat es auch Ansätze gegeben. Ich darf diskret daran erinnern, dass auch in der vorigen Regierung die Sozialdemokratie nicht für das Außenministerium verantwortlich war; Sie selbst haben beim vorhergehenden Tagesordnungspunkt auf Ihre Geschichte hinge­wiesen. – Es muss uns Leid tun, dass, weil wir das spät und mit falschen Mitteln versucht haben, ein Zusammenrücken zwischen Nachbarn mit unterschiedlicher Ge­schichte, mit natürlich unterschiedlichen Interessen, aber mit vielen gemeinsamen Ziel-


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setzungen und vielen gemeinsamen Interessen nicht so zustande gekommen ist, wie es möglich gewesen wäre.

Das Zweite, was auch in diesen Bänden klar zum Ausdruck kommt, ist, dass wir uns in zentralen, auch durchaus moralischen Fragen der Politik nicht positioniert haben, son­dern darauf gewartet haben, wie andere sich entscheiden, wie andere vorangehen, und dann versucht haben, uns unauffällig auf dasselbe Spielfeld zu bringen.

Frau Bundesminister, Ihr unsägliches Wort im Irak-Konflikt, dass wir „in der Mitte ste­hen“, ist schon so oft zitiert worden, dass ich fast schon Hemmungen habe, es in den Mund zu nehmen.

Aber es ist natürlich auch schmerzhaft, dass wir im Vorfeld des Irak-Krieges feststellen mussten, dass sich nahezu alle EU-Mitglieder – pro oder kontra – klar positioniert haben, aber Österreich – und das hat dann originellerweise die amtliche „Wiener Zeitung“, die Ihnen nicht so ganz fern steht, schließlich gehört sie der österreichischen Bundesregierung, kommentiert – den Vermerk hat: Hat noch keine klare Position!

Keine klare Position zu haben, das ist nicht Diplomatie, sondern das ist in aller Regel ein Fehler.

Die österreichische Außenpolitik hat zu oft nicht Stellung bezogen, und das ist schade. Wir haben uns in vielen Bereichen, und das im Gegensatz zu früheren Phasen unserer Außenpolitik, zurückgezogen. Das globale Engagement Österreichs – wobei ich aner­kenne, dass sich die Rahmenbedingungen geändert haben – ist so geschrumpft, dass wir kaum mehr wahrnehmbar sind.

Zusagen und Entwicklungen, die wir eingeleitet haben, wurden drastisch zurückge­dreht. Nur im Lichte der in ihrer Zielsetzung für mich nicht ganz erkennbaren, vermut­lich nicht ganz gratis seienden Werbeaktion für die österreichische Entwicklungshilfe, die fast allabendlich über den Bildschirm flimmert, eine konkrete Angelegenheit: Es gibt seitens des Europarates das außerordentlich verdienstvoll wirkende Nord-Süd-Institut, keine Einrichtung der konkreten Entwicklungshilfe, sondern eine Einrichtung der ent­wicklungspolitischen Information. Es war in der Regierung vor 1999 keine Einigung über einen Beitritt Österreichs zu dieser Sondereinrichtung des Europarates zu erzie­len, es hat aber eine salomonische Lösung gegeben: Österreich ist nicht beigetreten, hat aber den Mitgliedsbeitrag gezahlt. Unter uns gesagt: die bessere Lösung, als wenn es andersherum wäre!

Seither ist in dieser Sache nichts mehr geschehen. Wir sind nicht beigetreten, und an irgendeinem Punkt wurde auch aufgehört, den Mitgliedsbeitrag zu entrichten.

Sehen Sie, Frau Bundesminister, das meine ich mit der Kritik, Entwicklungen in einem ganz kleinen, aber wahrlich nicht unwesentlichem Bereich nicht voranzutreiben, son­dern einzubremsen.

Ich versage mir jetzt sehr bewusst, denn es geht nicht darum – da schließe ich mich dem Appell des Kollegen Schennach durchaus an –, Sie, Frau Bundesminister, jetzt als Kandidatin bei der Bundespräsidentenwahl zu behandeln.

Frau Bundesminister, ich lade Sie ein, im Protokoll der Debatte über den letzten Außenpolitischen Bericht nachzulesen, und Sie werden finden, dass die Vorwürfe – nicht dieselben, ich habe ja ein breiteres Themenspektrum an Kritik an der österreichi­schen Außenpolitik – in derselben Art waren: objektive Versäumnisse der österreichi­schen Außenpolitik.

Wenn Sie jetzt das alles auf sich persönlich beziehen und mir dann vielleicht erklären werden, ich solle hier keinen Wahlkampf führen, dann müssen Sie mir erst einmal


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erklären, bei welcher Wählergruppe ich den Wahlkampf mit dem Argument „Sie Böse haben nicht dafür gesorgt, dass wir dem Nord-Süd-Institut beitreten!“ denn eigentlich führen sollte.

Nein, so einfach können Sie es sich nicht machen, dass Sie ab dem Augenblick Ihrer Wahl zur Kandidatin der ÖVP jedes Wort, dass Ihnen gegenüber kritisch gesagt wird, als Wahlpropaganda abqualifizieren! Sie müssen schon in der Sache Stellung nehmen. Wenn Sie das nicht gewollt hätten, dann hätten Sie das Amt der Außenministerin nicht fortführen dürfen. Dann wären Sie aus dem Schneider, was die Außenpolitik anlangt. (Bundesministerin Dr. Ferrero-Waldner: Ich werde schon zu der Sache Stellung neh­men!) – Das ist auch schön! Aber Sie dürfen sich nicht hinter der einfachen Argumen­tationskette verschanzen, wer immer eine Auseinandersetzung mit der österreichi­schen Außenpolitik führt, macht einen Bundespräsidentschaftswahlkampf. (Bundesrat Ing. Klamt: Der Verdacht drängt sich schon auf!)

Sie sind meines Wissens zwar kein Jurist von der Ausbildung her, aber ich darf Ihnen sagen: Der Verdacht ist ein juridisches Nullum, der Beweis zählt. (Heiterkeit. – Bundes­rat Kritzinger: ... sachlich und korrekt!) – Danke, Herr Kollege. Um ehrlich zu sein, dass ich es immer war, nehme nicht einmal ich für mich in Anspruch, aber ich habe mich heute sehr bemüht.

Frau Bundesminister, wie gesagt, es gibt eine politische Debatte – und auch die bin ich zu führen bereit –, aber hier ist es eine außenpolitische Debatte. Da gibt es genug Kri­tik – Sie werden mir erwidern, das ist okay –, und ich habe nur einen kleinen Ausschnitt von der möglichen Kritik hier angebracht; das ist keine Kritik, es gebe ein persönliches Fehlverhalten, sondern wir kritisieren, dass es eine falsche politische Konzeption gibt. Ob sie die Ihre ist, weiß ich nicht und geht mich auch nichts an, weil es gilt, die Resul­tate zu beurteilen. (Bundesrat Ager: ... zwischen den Zeilen!)

Nein, nein! Also, entschuldigen Sie, wenn ich der Frau Bundesminister den Weg öffne, zu sagen, es sei nicht Ihre Außenpolitik, ist das doch in Wirklichkeit eine Möglichkeit, ihr eine Argumentation im Wahlkampf zu ermöglichen. Das war aber nicht meine Ab­sicht. (Zwischenbemerkung von Bundesministerin Dr. Ferrero-Waldner.) Ja, aber die Zwischenrufe auch, Frau Bundesminister. Ich will es nicht über Gebühr verlängern.

An einer außenpolitischen Orientierung, welche die Möglichkeiten Österreichs nicht nützt – manches davon wird nicht wieder gutzumachen sein, denn historische Fenster tun sich nicht endlos lange auf –, ist Kritik zu üben. Diese Politik ist – ich sage es noch einmal – nicht die persönliche Erfindung der Frau Außenminister, sondern sie wird von einer Bundesregierung in all ihrer Widersprüchlichkeit getragen.

Manche Ihrer Kollegen machen es Ihnen ja nicht wirklich leicht, das sage ich auch dazu. Ich denke da an das, was in der Transitpolitik, auf die ich jetzt im Detail nicht eingehen möchte, von den ressortzuständigen Ministern verbockt wurde. Es waren relativ viele, daher ist die Einzelschuldzuweisung nicht ganz so einfach. (Bundesrat Dr. Böhm: Klima, Streicher!) – Wahrlich nicht!; Streicher hat die Grundlage für eine Chance gelegt, für eine zeitlich limitierte Chance. Dass dann im Halbjahresrhythmus oder Dreivierteljahresrhythmus wechselnde Minister durch pure Sturheit diese Chan­cen verspielt haben und dass der gegenwärtige Vizekanzler offensichtlich das Glück hatte, dass ihm andere Widerstände, die es gegeben hat, erspart haben, Farbe bei der Wegekostenrichtlinie bekennen zu müssen, wo das nächste Mal aus Sturheit Öster­reichs Interessen bedroht waren, das steht auf einem anderen Blatt. Also um manche Koordinierungsaufgaben in der Außen- und insbesondere in der EU-Politik möchte ich Sie gar nicht beneiden.


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Lassen Sie mich nur sagen: Die Summe dieser außenpolitischen Fehlhaltungen hat diesem Land Schaden zugefügt, und es wird sehr, sehr schwierig sein, diesen Scha­den wieder gutzumachen. (Beifall bei der SPÖ und den Grünen.)

14.16

 


Präsident Jürgen Weiss: Nächster Redner ist Herr Vizepräsident Bundesrat Mag. Himmer. Ich erteile ihm das Wort.

 


14.16

Bundesrat Mag. Harald Himmer (ÖVP, Wien): Sehr geehrter Herr Präsident! Sehr geehrte Frau Bundesminister! Hohes Haus! Ich darf vorweg auch namens meiner Fraktion unsere Betroffenheit über die Ereignisse in Madrid zum Ausdruck bringen. Ich glaube, dass es insbesondere für jene Personen, die zu Spanien einen Bezug haben, eine Betroffenheit ist, die eigentlich stumm macht.

Nun möchte ich in der Folge auf den Außenpolitischen Bericht eingehen.

Ich denke, dass das Jahr 2002 einen ganz klaren Schwerpunkt hatte, das ist wohl die EU-Erweiterung gewesen, die wir auch hier im Hohen Haus beschlossen haben. Ich sehe in diesem Zusammenhang die Politik der Frau Außenministerin auf einer Linie mit der Politik ihrer Amtsvorgänger Alois Mock und Wolfgang Schüssel (Bundesrat Ko­necny: Das ist das Problem! – Bundesrat Bieringer – in Richtung des Bundesrates Konecny –: Das kostet nur einen Lacher!), und ich glaube, dass wir hier auf derselben Linie sind, die auch die österreichische Außenpolitik in der Vergangenheit sehr erfolg­reich gemacht hat.

Es passen halt unterschiedliche Stellungnahmen in unterschiedliche Zeiten hinein. Ich bin auch schon länger hier im Bundesrat und weiß das daher. Noch vor zweieinhalb Monaten war es anders. Es ist immer so Mitte Dezember, da wird es ein bisschen menschlicher hier, dann wünscht man sich etwas für das neue Jahr, und dann denkt man sich: Thank God, it’s Christmas!, aber wenn man heute hier hereinkommt, sagt man: Danke, Herr Professor Konecny, es ist Wahlkampf! (Zwischenruf des Bundes­rates Konecny.)

In diesem Zusammenhang muss ich schon sagen: Wenn Sie hier von Perspektiven­losigkeit sprechen, die diese Außenpolitik angeblich hätte, dann frage ich mich schon, auf welcher Visionskraft der Sozialdemokratie in der Vergangenheit das fußt, zumal Sie heute in der ersten Reihe dabei sind, zu bejubeln, wie toll die Ost-Erweiterung ist. Im Gegenteil: Sie meinen, wir hätten es eigentlich noch besser machen können und die Frau Außenministerin hätte es mehr oder weniger mit der einen oder anderen Bemer­kung fast noch verbockt.

Ich weiß nicht, in welchem Land ich war, aber als sich der ehemalige Osten demo­kratisiert hat – daran kann ich mich noch gut erinnern –, als Kroatien und Slowenien unabhängig geworden sind, da war es meiner Erinnerung nach – und jeder möge mich belehren, wenn es anders gewesen ist – Dr. Alois Mock, da war es die Österreichische Volkspartei, da war es die Außenpolitik, die jetzt mit der Linie der Außenpolitik der Frau Außenministerin fortgesetzt worden ist, die sich sehr frühzeitig darum bemüht haben, diese Länder anzuerkennen, diese Länder in ihrer demokratischen Entwicklung zu unterstützen.

Weil wir schon bei diesem Thema sind: Es war die Sozialdemokratie, die damals dies­bezüglich sehr zurückhaltend agiert hat. Es war ein Bundeskanzler Vranitzky, der sehr zurückhaltend war. Es war der ewige stellvertretende Parteivorsitzende Heinz Fischer, um ihn auch einmal hier zu erwähnen, der da sehr zurückhaltend war. (Bundesrat Konecny: Bei was?) Es war der stellvertretende Parteivorsitzende Fischer, der sich damals eher Sorgen darum gemacht hat, dass der Prozess der Demokratisierung zu


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schnell gehen und es zu einer Destabilisierung kommen könnte, und zwar zu einer Destabilisierung durch Demokratisierung. (Bundesrat Konecny: Wie kommen Sie auf diese Idee?) Das waren die Gedanken, die Heinz Fischer damals hatte.

Wenn wir offensichtlich hier jetzt dabei sind, Persönlichkeiten gegeneinander abzuwä­gen und einzuteilen in jene, die Österreich nützen können, und jene, die Österreich we­niger nützen können, dann muss ich sagen: Es ist zweifellos so, dass Kollege Fischer nie entscheidende Fehler als Außenminister gemacht hat, was ausschließlich damit zusammenhängt, dass er nie Außenminister gewesen ist. (Heiterkeit bei der ÖVP.)

Aber wenn man auf die Stellungnahmen in Zeiten Bezug nimmt, in denen es kritisch gewesen ist, in denen es darum gegangen ist, Weitblick erkennen zu lassen und zu erkennen, welch neue Weichenstellungen notwendig sind, dann muss ich sagen, in diesem Fall danke ich nicht Professor Konecny, sondern wieder dem Herrgott, dass nicht Heinz Fischer die Außenpolitik bestimmt hat. (Beifall bei der ÖVP und bei Bun­desräten der Freiheitlichen.)

Heute leben wir in einem Europa mit 450 Millionen Menschen. Wir leben in einem Europa, das heute die stärkste Handelsmacht der Welt ist. Und ich darf schon erwäh­nen, die Faszination für den Gedanken eines gemeinsamen Europas hatten andere Parteien, zum Beispiel meine, weit früher als die Sozialdemokratie, auch als der stell­vertretende sozialistische Parteivorsitzende Fischer. Heute jubeln Sie mit uns über die EU-Osterweiterung. Damals hat Ihr Außenminister – um einen Außenminister von Ihnen zu zitieren, wenn ich mich richtig erinnere, Lanc hat er geheißen – gemeint, ein ordentlicher Sozialdemokrat hat in der EG gar nichts zu suchen. (Bundesrat Bieringer: Hört! Hört!) Das waren Ihre Positionen von damals. Also Sie sollten, auch wenn wir die Berichte 2001 und 2002 diskutieren, da Sie ja alle geschichtsbewusste Menschen sind, die Vergangenheit nicht allzu schnell vergessen.

Daher sage ich, argumentieren kann man ja alles. Wir sind hier alle mit dem Privileg der Redefreiheit ausgestattet. Wenn Sie hier aber moralische Fragen relevieren und meinen, die Außenministerin hätte in der Vergangenheit praktisch in ihrer Moral ver­sagt, dann meine ich: Sagen können Sie es, aber die Menschen werden es Ihnen nicht glauben (Beifall bei der ÖVP), weil sie eine Außenministerin ist, die sich immer für ihr Land eingesetzt hat.

Ich erspare Ihnen jetzt Beispiele dafür, wo sich die Außenministerin überall für unser Land eingesetzt hat, Beispiele, die die Menschen sowieso kennen und die Sie zu ne­gieren versuchen. Ich möchte vielleicht noch erwähnen, dass im Außenpolitischen Be­richt auch sehr klar zum Ausdruck kommt, dass sich die österreichische Außenpolitik nicht nur in Fragen der Gemeinsamen Außen- und Sicherheitspolitik und der gemein­samen Entwicklung in der Verteidigungspolitik sehr markant zu Wort gemeldet hat. Wir wissen alle, dass die Außenministerin auch eine hervorragende Vorsitzende der OSZE war. Aber auch in anderen Fragen, etwa im Umweltschutz betreffend globale Nachhal­tigkeit und im Bereich der Auslandskultur, ist sehr viel geschehen. Österreich verfügt heute bereits über 28 Kulturforen.

Lassen Sie mich zum Abschluss noch einen kleinen Rückblick machen, wenn wir über die Jahre 2001 und 2002 diskutieren, weil diese Jahre ja historisch gesehen zweifellos nach dem Jahr 2000 gekommen sind. Was hat die Außenministerin in der kritischsten Zeit, seit sie Außenministerin ist, für dieses Land gemacht? Was ist im Jahr 2000 pas­siert? – Im Jahr 2000 haben 14 Staatschefs einen unwahrscheinlichen Fehler began­gen. Ich bin überzeugt davon, dass sich viele für das, was sie damals beschlossen haben, genieren. Sie haben ohne jede Grundlage geglaubt, gegen die demokratische Regierungsbildung in einem Land, das weit demokratischer, weit entwickelter, weit


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pluralistischer ist als viele andere Länder, deren Vertreter da mitgestimmt haben, vor­gehen zu können.

Wir brauchen ja gar nicht darüber zu reden, dass das bei größeren Ländern, wie Italien et cetera, nie passiert wäre. Damals hat diese Außenministerin das Gesicht Öster­reichs nach außen vertreten und hat mit ihrer diplomatischen Kunst ganz wesentlich dazu beigetragen, dass den anderen Ländern bewusst geworden ist, wie lächerlich ihre Vorgangsweise war, wie lächerlich sie sich gemacht haben.

Ich bin auch jemand, der ganz gerne einmal lacht. Und es gibt immer wieder Scherze, die Männer über Frauen und Frauen über Männer machen, die nicht immer intellektuell hoch stehend sind. Ich lache nicht bei allem mit. Aber einen Scherz habe ich schon zugegebenermaßen, wenn er auch gegen die Männer war, ganz interessant gefunden. Frau Bundesministerin Gehrer hat damals über die Sanktionen der EU 14 gesagt: So ein Blödsinn hat nur Männern einfallen können! – Da habe ich mir schon gedacht, es war dann in diesem Fall eine Frau, die uns sehr wesentlich dabei geholfen hat, der Welt, insbesondere Europa, zu zeigen, dass das wirklich ein Blödsinn war. (Beifall bei der ÖVP und den Freiheitlichen.)

Die wahre Größe eines Politikers zeigt sich nämlich darin, in einer Situation, die nicht vorhersehbar ist, das Richtige zu machen und eine Leistung zu erbringen, die man nicht erwartet hat. Das hat die Frau Außenministerin damals gemacht, das hat sie während ihrer Amtszeit gemacht und das wird sie auch noch in anderen Funktionen machen. Davon bin ich ganz überzeugt. Und dazu wünsche ich ihr alles Gute! (Beifall bei der ÖVP und den Freiheitlichen.)

14.26

 


Präsident Jürgen Weiss: Nächster Redner ist Herr Bundesrat Reisenberger. Ich erteile ihm das Wort.

 


14.26

Bundesrat Harald Reisenberger (SPÖ, Wien): Herr Präsident! Frau Minister! Ich habe jetzt sehr interessiert unserem Vizepräsidenten Himmer zugehört. Er hat uns schon eine schöne Palette geliefert, und zwar genau bei dem, was, wie gesagt, nicht stattfinden soll, nämlich hier Wahlkampf für unsere sehr verehrte Frau Minister zu betreiben. Schön und gut. Es sind ja ein paar gute Stichworte dabei, die man, wie ich meine, nicht ganz außer Acht lassen sollte.

Wenn man von Weitblick in der Außenpolitik von Mock bis Ferrero spricht, dann würde ich schon sagen, dass der Grundstein dazu schon ein bisschen früher gelegt worden ist. Wo immer man hinfährt, ob in den Osten oder nach Afrika, wird man sehen, es sind immer noch Politiker wie Kreisky, die in aller Munde sind, und man weiß genau, wem sie diese Außenpolitik zu verdanken haben. (Bundesrat Mag. Himmer: Mock!) – Herr Mock hat noch sehr viel dazu beigetragen und in dieser Richtung weitergemacht. Ohne Frage!

Aber Sie haben ja eines gesagt, Kollege Himmer – und da haben Sie schon ganz Recht –: Es liegt nicht nur an der Frau Minister, wie die Außenpolitik in diesem Land tatsächlich gemacht wird. Es gibt eine Koalition, die offensichtlich von Schwarz und Blau in der Form betrieben wird, dass man sich selber oft das Haxl stellt und dann im Nachhinein sagt: Um Gottes willen, was ist denn da passiert? – Da gebe ich Ihnen durchaus Recht.

Wir haben von Haus aus gesagt, die Erweiterung ist wichtig und gut, aber, bitte, be­trachten wir auch, welche wirtschaftlichen Auswirkungen sie hat, welche Auswirkungen sie für unsere Betriebe und gleichzeitig auch für die Beschäftigten an und für sich hat. Das ist, wie ich meine, kein Beweis für Ablehnung, sondern zeugt von Verantwortungs-


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bewusstsein. Dies wird teilweise von dieser Regierung auch nachvollzogen, weil sie draufgekommen ist, klar, ohne das geht es nicht, das gehört ganz einfach dazu.

Kollege Himmer, Sie haben gesagt, Sie ersparen uns die Wahlrede – was Sie zwar nicht gemacht haben – und Sie ersparen uns Beispiele dafür, wo Frau Ferrero-Waldner überall gepunktet hat. Ich möchte dann aber – im Gegensatz dazu – auch sagen, wo wir uns ein bisschen mehr erwartet hätten, Frau Minister, und wo auch die Punkte im Außenpolitischen Bericht sind, wo es nicht so einfach ist.

Bei einem Satz, Kollege Himmer, muss ich Ihnen wirklich Recht geben. Sie haben nämlich im letzten Satz gemeint, dass Frauen in diesen Punkten oft besser wären als Männer. Was diese Koalitionsregierung betrifft, gebe ich Ihnen vollkommen Recht. Es wäre zweifelsohne besser gewesen, wenn die eine oder andere Frau, vielleicht auch aus Ihren Reihen, die Rolle des Herrn Kanzlers, Vizekanzlers und so weiter übernom­men hätte. Ich bin durchaus davon überzeugt, dass dabei etwas Besseres herauskom­men hätte können.

Die Außenpolitischen Berichte 2001 und 2002 stehen für mich unter einer Aussage, Frau Minister, die Sie am 12. November 2003 im Nationalrat in der Aktuellen Stunde getroffen haben: „Ich stehe für eine Außenpolitik ..., die ... für Verlässlichkeit steht.“ – Ein an und für sich wunderbarer Ausspruch.

Jetzt kommt natürlich meine Frage: Wo bleibt die österreichische Außenpolitik? In vielen Bereichen habe ich sie ganz einfach vermisst. Fehlendes Engagement, wenn wichtige österreichische Interessen auf dem Spiel stehen, ist nicht eine Nebensache, über die man in einem Bericht hinweggehen kann. Ich möchte mich auch ganz aus­drücklich bei den Beamten Ihres Hauses bedanken, die wirklich einiges geleistet und sachlich zusammengetragen haben, was möglich war. Aber da fehlen eben etliche Punkte. Und da möchte ich einige davon aufzählen.

Beispiel Transit: Die Initiativen der Außenministerin sind darin sichtbar, Erfolge auch nicht. Eine APA-Recherche im Zeitraum Dezember 2001 bis November 2003 zeigte, dass Frau Ferrero seit Dezember 2001 nur insgesamt sechs Mal zur Transitproblema­tik Stellung genommen hat. Bis November 2003 gab es überhaupt nur eine öffentliche Stellungnahme.

Es ist halt schon sehr eigenartig, wenn man sich in so wichtigen Punkten zuversichtlich zeigt, dass es Herrn Verkehrsminister Gorbach schon gelingen werde, eine gute Lö­sung zu finden. Ich glaube, von einer Ministerin wäre doch einiges mehr zu erwarten gewesen.

Ein, wie ich meine, sehr wichtiges weiteres Beispiel: Wie sieht es denn bei der neuen Diskussion in der EU um die Nettozahler aus? Unter dem Stichwort „Rabatt für Netto­zahler“ wurde diese Diskussion ja geführt. Obwohl EU-intern bereits diskutiert wird, gibt es von Österreich bislang keine Position zum EU-Finanzierungsplan nach 2006. Zur Diskussion steht unter anderem ein Korrekturmechanismus für Nettozahler, der wirk­sam werden soll, wenn die Nettobeiträge eines Mitgliedstaates einen bestimmten Pro­zentsatz seiner Wirtschaftsleistung übersteigen. Österreich hat als Nettozahler ange­sichts der Kosten, die die EU-Erweiterung nach dem Jahr 2006 verursachen wird, natürlich Interesse an fairen Regelungen.

Zu der von Bundeskanzler Schüssel zuletzt vorgeschlagenen EU-Steuer gibt es von Regierungsseite widersprüchliche Aussagen. Sie, Frau Minister, enthielten sich einer klaren Aussage dazu. Sie sagten: Ich bin gegen eine Kopfsteuer, welche die Bürger belastet. Es muss zu einer Entlastung für Nettozahler wie Österreich kommen. Dann haben Sie weiter ausgeführt, dass eine Entlastung der Nettozahler bei der anstehen­den Erweiterung um zehn neue Mitgliedstaaten vorhanden ist.


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Wenn man sich das anschaut, was auf die EU an neuen Aufgaben – zum Beispiel Sicherung der Außengrenzen der EU, Intensität in Forschung und Technologie – zu­kommt, so, muss ich sagen, halte ich dies für absolut unrealistisch. Es hat Sie offen­sichtlich in diesem Zusammenhang nicht gekümmert, dass diese ganzen Kosten auch noch dazukommen, sondern populistisch zu sagen, das kann nicht sein, war die einzige Reaktion darauf.

Fehlender Mut und fehlende Weitsicht in Fragen der Außenpolitik, Frau Minister. Der von Ihnen in Ihrer Autobiographie formulierte Ausspruch „Kurs setzen in einer verän­derten Welt“ findet in der österreichischen Außenpolitik kaum Niederschlag. Die öster­reichische Außenpolitik versucht in vielen Fällen, sich so unauffällig wie nur möglich zu verhalten. Die Gemeinsame Außen- und Sicherheitspolitik in der EU wird oft als Vor­wand genommen, um das Fehlen eigener Positionen zu erklären.

Auch hier ein ganz deutliches Beispiel – es wurde heute schon gesagt, man muss es wieder in Erinnerung bringen –: der Irak-Konflikt und die Politik der Mitte, wie es so schön heißt. Es wurde schon die „Wiener Zeitung“ vom 27. Jänner 2003 zitiert: Das Einzige, was man im Irak-Konflikt von der Frau Minister zu hören bekommen hat, war: „Österreich hat noch keine klare Position.“ – Das ist ein bisschen wenig!

In einem Interview mit der Zeitschrift „profil“ meinten Sie auf die Feststellung, dass Sie offenbar keine eigene Meinung haben: Ich zitiere:

„Für uns ist der Sicherheitsrat die Kompassnadel, die klar die Richtung anzeigt. Ver­suchen Sie nicht, mich da irgendwo festzulegen.“

Die Perspektive ist natürlich eine subjektive. Das ist aber nicht das, was ich mir von einer Außenpolitik erwarten darf, die von Österreich gemacht wird.

Wenn wir uns das Management in der Außenpolitik ansehen und nur das Budget allein hernehmen, dann stellt sich die Frage: Wie weit haben Sie mit Ihren Kolleginnen und Kollegen eine Basis für Gespräche gefunden? Das Budget des Außenamtes war mit 307 Millionen € im Jahr 2003 zweifelsohne knapp bemessen. 2004 gibt es eine Steige­rung auf 340 Millionen €. Es gibt auch zusätzliche Kosten, die damit gedeckt werden müssen.

Sie, Frau Bundesminister, haben es also offensichtlich in den letzten Jahren nicht ver­standen, innerhalb der Regierung und vor allem gegenüber dem Finanzminister die Bedeutung der Außenpolitik klarzumachen. Die Verteilung der Mittel innerhalb des Ressorts ist nicht unproblematisch. Teure Prestigeprojekte wie die Botschaft in Berlin, das Kulturforum New York, der aufwändige Umbau des Gebäudes in der Herrengasse belasten das Budget. Einsparungen in wichtigen Bereichen – Auslandskulturpolitik, bei Beiträgen zu internationalen Organisationen, bei der Osthilfe, bislang auch bei der Ent­wicklungshilfe – stehen Erhöhungen der Ausgaben für die Vertretungsbehörden in der Zentrale gegenüber. Es erfolgt also 2004 eine Erhöhung der Ausgaben der Zentralen um 6,631 Millionen €.

Der „Kurier“ sprach im Zusammenhang mit der Budgetüberschreitung des Außenamtes in den vergangenen Jahren wörtlich von einem gewissen Hang Ferreros zur barocken Präsentation. – Ich glaube kaum, dass der „Kurier“ ein Organ ist, das als sozialdemo­kratisch oder grün angehaucht bezeichnet werden kann.

Es ist, glaube ich, sehr klar und deutlich, was man damit zum Ausdruck bringen will und wie diese Arbeit gesehen wird.

Wo Sie allerdings sehr gut sind, Frau Minister, ist die Werbung in eigener Sache. Ich verweise nur auf die Photokosten. Wenn man Anfragebeantwortungen Glauben schen­ken darf – und ich gehe davon aus, dass sie richtig waren –, dann haben Sie in den


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Jahren 2000 bis 2002 317 000 € für Photoaufträge ausgegeben. An Übernachtungs- und Reisekosten entstanden lediglich 36 000 €. Wenn man das vergleicht, dann stellt sich heraus, das ist gar nicht so wenig. Im Jahr 2003: weitere 65 663 € für Photoauf­träge, 7 704 € für Reisekosten. Von 2000 bis 2003 ergibt das also eine Summe von insgesamt 426 367 €. Nicht falsch verstehen: Nächtigungskosten stehen für mich über­haupt nicht zur Diskussion. Man sieht aber im Vergleich, wofür tatsächlich Geld ausge­geben wird.

Zum Management gehört natürlich auch, wie man einen Baufortschritt verfolgt und wie man ausschreibt. Beim Bau der Botschaft in Berlin war von Haus aus eine Kostenüber­schreitung von 16,86 Millionen € im April 2002 vorgesehen. Im Jahr 2002 handelte es sich bereits – allerdings nur voraussichtlich – um 22,01 Millionen €. Die Gesamtkosten inklusive Grundstück, Wettbewerb und Einrichtungskosten werden mit Stand Jän­ner 2002 mit 32,38 Millionen € beziffert.

Ich hatte die Gelegenheit, in Berlin das Gebäude zu sehen. Angesichts der Details, die es dort zu sehen gibt, wundern mich die Kosten nicht. Aber man müsste so etwas, wenn schon, von Haus aus mit einplanen. Ansonsten frage ich mich schon, ob es da so weitergehen kann.

Ähnlich ist es beim Kulturforum New York. Dort begann man 1998 mit 23,9 Millionen Dollar, das sind rund 20,4 Millionen €. Die Ausgaben stiegen im Jahre 2002 auf 34 Mil­lionen €. Laut Rechnungshof verursachte das Kulturforum das 20-Fache der orts­üblichen Baukosten! Im Jahr 2002 sprach man von rund 15 000 € pro Quadratmeter. Mittlerweile geht man davon aus, dass die Baukosten noch höher werden. Reaktionen darauf gibt es relativ wenige.

Hier mein Vorwurf an Sie, Frau Minister, ich sage es ganz offen: Das Außenamt hat offensichtlich keine wirksame Kontrolle der Kostenentwicklung dabei gemacht. Zwei­tens entsteht für mich der Eindruck, dass Einsparungen, wie durch den Verkauf des Kulturinstituts in Paris, erfolgen, um wenigstens einen Teil der exorbitanten Kosten in New York zu finanzieren. Die Relation zwischen der Finanzierung des Gebäudes und dem operativen Budget steht in keinem sinnvollen Zusammenhang.

Ich verweise noch einmal auf die Kosten von New York – ich will Sie jetzt nicht mit Details langweilen –: Monatsmiete: 119 190,72 €. Wenn man dann zur Kenntnis neh­men muss, dass das operative Budget des Kulturforums im Jahr nur rund 400 000 €, also weniger als ein Drittel der Mietkosten, ausmacht, dann frage ich mich, wie dort kalkuliert, wie dort gehandelt wurde, Frau Minister.

Zum Abschluss nur ein paar Worte zu der gleichmäßigen, der kontinuierlichen Politik, die wir hier ja heute mehr oder weniger bestätigen oder hören sollten. Es hat schon auch einen großen Unterschied gegeben zwischen Ihrer Meinung, bevor Sie Kandida­tin waren, und danach. (Zwischenruf des Bundesrates Bieringer.) – Ja, Herr Kollege, Ihre persönliche Meinung interessiert mich auch nicht sehr. Das macht ja auch gar nichts.

Sie, Frau Minister, haben am 12. November 2003 gesagt: „Ich stehe für eine Außen­politik ..., die ... für Verlässlichkeit steht.“ – Wunderschön!

Betreffend Bundesheer: Bevor Sie Kandidatin waren, wollten Sie ein professionelles Heer ohne Wehrpflicht. Danach – also nicht allzu lange danach, nicht einmal zwei Jahre später – sagten Sie in der „Pressestunde“ am 18. Jänner 2004, dass Sie ein Mischsystem haben wollen, weil es doch wieder ganz andere Voraussetzungen gibt.

Ihre Aussagen zu Kerneuropa: Sie hatten am 4. Dezember 2002 noch die Aussage ge­tätigt, Österreich möchte immer bei Kerneuropa dabei sein. Als Kandidatin haben Sie dann am 17. Jänner 2004 gemeint: Wir wollen zuerst alles tun, um wirklich ein gemein-


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sames Europa zustande zu bringen! Und dann: Es wäre ein schlechtes Signal, ausge­rechnet vor dem 1. Mai, vor der Erweiterung der EU, eine Spaltung zuzulassen. – Also jetzt wollen wir die Spaltung nicht, wir brauchen kein Kerneuropa mehr.

Ähnliches bei der NATO, meine sehr verehrten Damen und Herren: Vorher waren Sie, Frau Minister, für einen Vollbeitritt zur NATO, inzwischen will Österreich ja, wie Sie meinten, ein Sicherheits- und Verteidigungssystem sozusagen herausbilden, und wir gehen immer mehr in die Richtung NATO njet – was ich sehr unterstütze, möchte ich dazusagen. (Ruf bei der ÖVP: Bravo!)

Ebenso die Beistandspflicht: Vorher hieß es, das sei nicht das Ende der Neutralität, es würde auch keine Aufhebung der Neutralität bedeuten, sondern eine Modifikation der Neutralität. Am 18. Jänner 2004 hörten wir, die erste Formel für diese Beistandgarantie wäre mit der Neutralität nicht vereinbar gewesen, wenn wir eine neue Formel fänden, würde diese sehr wohl neutralitätsverträglich, wie Sie meinten, aussehen müssen. (Zwischenbemerkung von Bundesministerin Dr. Ferrero-Waldner.)

So viel zu diesen „klaren“ Linien, die sich während Ihrer gesamten Dienstjahre so durchgehend für uns bemerkbar gemacht haben und natürlich auch mit diesem Bericht zusammenhängen.

„Ich stehe ... für eine Außenpolitik, die ... für Verlässlichkeit steht.“

Das ist von Ihnen aus gesehen offensichtlich eine andere, als ich sie sehe, denn das Wort „Verlässlichkeit“ hat zumindest für uns Sozialdemokraten eine andere Bedeutung als für Sie, Frau Minister. Und aus genau diesem Grund muss ich auch sagen, dass meine Fraktion diesen Vorschlägen keine Zustimmung geben wird. – Danke schön. (Beifall bei der SPÖ.)

14.42

 


Präsident Jürgen Weiss: Als nächstem Redner erteile ich Herrn Bundesrat Mag. Gu­denus das Wort. – Bitte.

 


14.42

Bundesrat Mag. John Gudenus (Freiheitliche, Wien): Herr Präsident! Frau Bundesmi­nisterin! Wir behandeln ein gewichtiges Thema. Und wie so oft ist ein Bericht natürlich nur der grobe Anhalt für das, über das wir sprechen. Wir sprechen über Außenpolitik, wir sprechen über Teile der Außenpolitik, aber nicht immer zwangsläufig über den Außenpolitischen Bericht 2001 oder 2002.

Wie den hier Anwesenden und auch der Frau Minister nicht ganz verborgen bleiben konnte, sitzen drei Rabbiner und ein Herr aus Palästina hier im Saal. Es sind Personen jener Gruppierung – alle hätten hier nicht Platz –, welche in den vergangenen 14 Ta­gen in Den Haag gegen den Bau der Mauer in Palästina, die zur Abgrenzung vom jüdischen Staat zum Teil auf besetztem, illegal besetztem Gebiet gegen den Willen der Palästinenser errichtet worden ist, gekämpft haben.

Ich erwähne das deshalb, weil es für den einen oder anderen unter uns vielleicht doch überraschend sein mag, dass orthodoxe Juden und Palästinenser gemeinsam für ein friedliches Anliegen in dieser wirklich dort sehr bombenhältigen Luft wirken. Es ist eben nicht nur Madrid, es ist nicht nur Palästina, es ist nicht nur Jerusalem, überall herrscht oder kann Terror herrschen, aber hier sind einige Personen, die den Versuch unterneh­men, durch couragiertes gemeinsames Auftreten, damals in Den Haag, aber auch hier in unserem Hohen Haus, darauf hinzuweisen, dass mit gutem Willen vielleicht auch eine andere Zukunft als jene des Mauerbaus und der Bomben auf dem Gebiet des heutigen Palästina – Schrägstrich: Israel möglich sein müsste.


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Ich freue mich daher diese Herren hier in unserer Mitte, möchte ich fast sagen, be­grüßen zu dürfen, und glaube, es ist zumindest in der Republik Österreich ein Ansatz gemacht, dass das Zusammenleben dort hoffentlich einmal mit anderen Mitteln erfolgt als bislang.

Nun zum Außenpolitischen Bericht. Ich werde ein paar Problempunkte daraus, die mir so aufgefallen sind, behandeln, zum Beispiel: die Türkei.

Immer wieder hört man von dem einen oder anderen Politiker – nicht nur in Österreich, auch in der Bundesrepublik Deutschland –, wie stark sie sich für die Aufnahme der Türkei in die EU einsetzen, etwas, das ein Gleichgewicht der Kulturen – ich glaube, so ähnlich hat es Bischof Kapellari vor wenigen Wochen in einer „Pressestunde“ am Sonntag formuliert – zu einem völligen Ungleichgewicht werden ließe. Ich bin befugt, für meine Fraktion zu sagen, dass wir derzeit und vermutlich auf längere Zeiten die Aufnahme der Türkei in die EU ablehnen.

Ich habe schon vorhin aus dem Artikel von Shlomo Avineri zitiert und wiederhole es: „Die Türkei hat in den vergangenen 80 Jahren einen schwierigen, bisweilen mangelhaf­ten Prozeß der Demokratisierung hinter sich gebracht.“

Ich lege dabei Wert auf das Wort „mangelhaft“, der Autor drückt sich ja sehr zurückhal­tend aus.

Ich meine: Wenn man die Türkei mit zu Europa rechnet, dann bitte gleich Südkorea auch, das ist in der Wirtschaftskraft viel stärker als die Türkei, ist viel weiter weg und wir brauchen nicht zu befürchten, dass alle Turkvölker, die die türkische Staatsbürger­schaft bekommen können, ungehindert nach Österreich, sprich in die EU einreisen können.

Es hat ja der Europäische Rat festgehalten, dass er im Dezember 2004 – und das ist aus dem Bericht – festlegen will, ob die Türkei die Aufnahmekriterien erfüllt. Lassen wir uns überraschen! Ich hoffe nicht, dass die Papierform, der Wunsch wie stets für die Tat genommen wird. So einfach sollten wir es uns nicht machen, denn eine solche Blauäugigkeit könnte uns einmal schwer zu schaffen machen.

Zum Zypern-Problem. Wir wissen, dass Zypern mit der Abstimmung vor Weihnach­ten – auch in dieser Kammer, mit zwei Gegenstimmen wohl, aber das betraf am wenigsten Zypern – in die EU aufgenommen worden ist. Hiezu gab es auch eine Be­merkung des Generalsekretärs der Vereinten Nationen, in der er meinte, dass die Zypernfrage Ende 2002 geklärt sein sollte. Im Ausschuss wurde uns erklärt, das die Zypernfrage jetzt, in den letzten Wochen, bis zu einem gewissen Termin – ich glaube April oder Mai – endgültig so geklärt werden soll, dass EU-Kompatibilität hergestellt ist. Also wenn man da Termine auf Termine setzt, fast wie bei einem Schirennen – wer ist schneller, wer überholt wen? –, dann sehe ich eigentlich schon jene Kriterien für diese Aufnahme, die die EU an und für sich berechtigterweise aufgestellt hat, nicht erfüllt. Schon heute traue ich mich das zu sagen, auch wenn dann, in einem Monat oder sechs Wochen, festgestellt werden sollte: Zypern hat es erreicht! Hurra! Wir haben es! – Nichts haben wir! Wir haben eine Papierform, die die Realität nicht wiedergibt.

Wir haben auch anlässlich der Debatte über die Aufnahme der zehn neuen Mitglieder die Kosten der Erweiterung nur antönen können, es war ja nicht viel Zeit an diesem Tag. Für mich war es interessant, dass die Kosten der Erweiterung eigentlich erst, nachdem alle Staaten zugestimmt hatten, ein tages- und medienpolitisches Thema geworden sind. Es wird dann erklärt, wir könnten ja die Subventionen da einschränken und die Grenzlandgebiete dort enger ziehen, und es könnte ja von 1 Prozent des BIP auf 1,24 erhöht werden. Und eigentlich sei alles in Ordnung.


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Ich sage: Es ist auf diesem Gebiet leider nichts in Ordnung! Wir sind doch nicht nur Vertreter einer politischen Idee, sondern wir sollen ja auch Vertreter unserer Staats­bürger sein, die früher oder später zur Kasse gebeten werden. Und wenn eine Idee teurer ist als wir als Staatsbürger mit gutem Gewissen geben können, so sollten wir uns andere Bereiche bei uns anschauen. Professor Konecny hat es heute wieder sehr gut zum Denkmalschutz formuliert: Es gibt so viele Bereiche in Österreich, die nicht entsprechend dotiert werden können. Heute Nachmittag werden wir wieder über die Pensionen hören.

Angesichts all dessen zu glauben, wir können mit unseren hart verdienten – Schillingen wollte ich in alter Sentimentalität fast noch sagen, aber dividiert durch 14 kommen wir schon auf Euro hin – Euros die Osterweiterung mitfinanzieren, halte ich doch für pro­blematisch!

Dies gilt umso mehr – und ich gehe jetzt ein bisschen weiter –, als die Osterweiterung so etwas wie eine vorweggenommene, im Stand befindliche Globalisierung ist. Ich erkenne in der Osterweiterung und der Globalisierung nicht nur die Chancen, die uns gegeben werden, sondern auch sehr viele Risken.

Es gibt in Österreich rund 330 000 Arbeitslose. Die Arbeitslosigkeit betrifft Jung-Akade­miker und Alt-Akademiker genauso wie Hilfsarbeiter. Und je mehr die Globalisierung greift und Industrie- und Wirtschaftsbetriebe ausgelagert werden, desto mehr werden wir dieses Heers der Arbeitslosen nicht ganz Herr werden. Das muss klar gesagt wer­den.

Wenn bei uns Hilfsarbeitertätigkeiten in Dritte-Welt-Länder oder in neue EU-Länder ausgelagert werden, dann ist das nur die eine Seite. Es werden nämlich auch hoch qualifizierte Arbeiten nach Indien, Südkorea, in die Volksrepublik China und andere Staaten ausgelagert. Wie soll Österreich da mithalten? – Man spricht dann zwar immer noch von Nischenprodukten, aber die Nische wird schon sehr groß und die Produkte, die man haben kann, werden immer weniger.

Diese Gefahren sollen auch hier im Hohen Haus genannt werden, wenn man dann die­sem Bericht zustimmt – und das voller Hochachtung vor der Frau Außenministerin sagt –, aber es muss gesagt werden, dass wir einen risikoreichen Weg gehen, den man nicht so einfach wegstecken kann.

Was wurde noch angeführt? – Als wir vor Weihnachten über die Osterweiterung abge­stimmt haben, habe ich bei meinen Bemerkungen dazu auch den Transit angeführt. Was ist mit dem Transit? – Heute – beziehungsweise vor ein paar Tagen – liest man es in der Presse:

Am Brenner ist um 11,9 Prozent mehr Transitverkehr. Dies wird verursacht durch die rollende Landstraße, die auf die Autobahn wechselt. Es gibt jetzt um 30 Prozent weni­ger Huckepackverkehr als um das Jahresende. Ab Mai wird eine weitere Erhöhung der Transitlawine erwartet, weil die LKW-Kontingentierung der Neumitgliederstaaten fallen wird. – Natürlich werden sie fahren, natürlich werden sie – oder wenigstens ein Teil davon – über den Brenner fahren!

Weiters: Die Schweiz erhöht ihre Maut über den St. Gotthard mit Ende des Jahres. Ein Ausweichen wird über den Brenner erfolgen. Wir können aber nicht unsere Maut so erhöhen, wie wir es gerne hätten. – Das sind Probleme, die uns die EU-Mitgliedschaft beschert.

Wir haben auch festgestellt, dass einige Staaten nicht unbedingt EU-reif sind, und zwar wegen ihrer – nenne ich es einmal – moralisch-charakterlichen Einstellung. Das betrifft aber nicht die Bevölkerung als solche, sondern vor allem die Staatsführung.


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Das sehe ich so auf Grund der Beneš-Dekrete und der AVNOJ-Bestimmungen. Ich kann nicht davon abrücken, ich kann nicht davon abgehen. Und es ist fast verstörend, wenn Tschechien jetzt Beneš mit einer der höchsten Staatsauszeichnungen – genannt „verdienter Staatsbürger“ – auszeichnen wird. Es ist das ein Affront gegen alle Bemü­hungen mit unserem Nachbarstaat, dessen Bevölkerung wir alle sicherlich sehr schät­zen, aber dessen politisches Agieren auf weites Unverständnis stößt, ebenso wie mit den genannten AVNOJ-Bestimmungen auch Slowenien in einer ganz anderen Art und Weise – sicherlich viel geschickter – politisch agiert, aber auch noch nicht die Erforder­nisse einer Mitgliedschaft in der Europäischen Union erfüllt.

Deswegen erstaunt es mich auch, wenn der amtierende Herr Bundespräsident Reisen in das europäische Ausland unternimmt, in Staaten, die sich in der Sanktionszeit be­sonders für die Sanktionen ausgesprochen haben. Und ein Besuch in Berlin ohne Entschuldigung seitens der dortigen Regierung, insbesondere des Außenministers, der sich anlässlich der Sanktionen sehr ungehörig vernehmen ließ, wäre besser unterblie­ben. Auch vorgesehene Fahrten nach Prag oder Laibach sollten besser unterbleiben – ich habe gehört, auch dorthin sind Reisen geplant.

Kollege Himmer hat auf die Sanktionen hingewiesen, und es wäre gut, wenn man sich solche Reisen gut überlegt, denn eine Sanktion ist ein offener Affront. Dem darf nicht ein schleichendes „Seien wir wieder gut!“ folgen. Es muss das laut vernehmbar gesagt werden und selbstverständlich nimmt man eine erkennbare Entschuldigung – in wel­cher Form immer – zur Kenntnis.

Aber dass man auf Reisen geht, ohne dass dies erfolgt ist, halte ich für untunlich. (Bei­fall bei den Freiheitlichen und bei Bundesräten der ÖVP.)

14.55

 


Präsident Jürgen Weiss: Nächster Redner ist Herr Bundesrat Schennach. Ich erteile ihm das Wort.

 


14.55

Bundesrat Stefan Schennach (Grüne, Wien): Sehr geehrter Herr Präsident! Sehr geehrte Frau Außenministerin! Wir werden den Außenpolitischen Berichten 2001 und 2002 zustimmen, die ja auch die Arbeit dokumentieren, die seitens des Hauses geleis­tet wurde, so wie wir heute auch dem Kulturbericht zugestimmt haben.

Frau Außenministerin! Ich glaube, nach der Zeit, die wir uns hier in dieser Funktion kennen, wissen Sie, dass ich bei meiner Kritik immer ein fairer Mensch war, und so will ich es trotz des derzeitigen Wahlkampfes beibehalten.

Ich werde jetzt nicht sagen, was alles in dem Bericht richtig und wichtig ist, ich glaube, das dokumentiert der Bericht selbst, aber es gibt auch einige Stellen in diesem Bericht, wo ich etwas vermisse, und auf diese Punkte möchte ich jetzt eingehen.

Sehr interessant ist allerdings auch, wie beide Berichte beginnen:

Der Erste beginnt mit dem 11. September 2001, der Zweite mit dem Irak. Man sieht schon, unter welchen außenpolitischen Kennzeichen diese Berichte geschrieben wur­den, wobei Sie selbst, Frau Außenministerin, in Ihrem Vorwort noch einmal die Mas­senvernichtungswaffenpotentiale des Irak erwähnen. Wir beschließen heute diesen Be­richt, obwohl wir längst wissen, dass das überholt ist. Da hätte ich mir gewünscht, dass vielleicht auch die mahnenden Worte eines Herrn Blix mehr Platz gefunden hätten als die damalige Propaganda seitens der USA, gemeinsam mit England.

Gut, wir beschließen dieses Vorwort mit, wo noch immer von dem enormen Massen­vernichtungswaffenpotential des Irak die Rede ist. Ich sage, Blix hatte Recht, das stimmt nicht, zumindest kann ich damit das parlamentarische Protokoll verändern.


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Zum Zweiten: Natürlich, Kollege Gudenus hat Recht, es ist die Zeit der Vorbereitung und der intensiven Verhandlungen hinsichtlich der EU-Erweiterung, der Osterweite­rung. – Nur, Kollege Gudenus: Zu viel gefürchtet, ist auch gestorben. Ich glaube, das Potential der EU-Erweiterung in den Norden, in den Süden und in den Osten ist das ganz große Projekt für diesen Kontinent. Es bringt die Stabilität dieses Kontinents, es bringt Kultur in Bewegung, es bringt soziale und wirtschaftliche Chancen. Die Probleme muss man sehen, aber die Vision von Heerscharen, die hier auf Österreich zukommen, hat schon in der Propaganda vor einigen Jahren nichts genützt. Ich glaube, das Ergrei­fen entsprechender Maßnahmen vor Ort, so wie wir sie heute auch beim Mittelmeer­abkommen letztlich mitbeschlossen haben, wird Sinn machen. (Vizepräsidentin Hasel­bach übernimmt den Vorsitz.)

Liebe Frau Außenministerin! Ich habe versucht und versucht und versucht, erstens etwas in dem Bericht zu finden, was – wie ich glaube – sehr viel diskutiert wurde, näm­lich die Diskussion rund um Genua. Es ist mir nicht gelungen, irgendetwas rund um die damaligen Ereignisse in Genua, um die VolxTheaterKarawane, in diesem Bericht zu finden.

Zweitens: Ich bin vielleicht ein barocker Mensch beziehungsweise ein Mensch, der manche Dinge, die ihm lieb geworden sind, nicht ablegen will. Aber ich habe beide Berichte wirklich durchstöbert. Und eines der Grundelemente der Außenpolitik Öster­reichs in den letzten 30, 40, 50 Jahren findet nicht mit einem Wort Erwähnung: Das Wort „Neutralität“ gibt es im Außenpolitischen Bericht 2001 und 2002 nicht.

Ich habe bereits gesagt, dass die beiden Vorworte beginnen mit einmal dem 11. Sep­tember und in der Folge Afghanistan und zum Zweiten mit dem Irak Konflikt. – Der Irak-Konflikt war natürlich nicht 2002, aber die Frau Außenministerin sagt, sie schreibe das Vorwort unter dem Eindruck des Irak-Krieges. Ich hätte mir hier vor allem im Lichte auch ihrer jüngsten Stellungnahme zur Neutralität gewünscht, dass eines der unbestrit­tenen und wichtigen Elemente österreichischer Außenpolitik, nämlich die ... (Bundesrat Dr. Kühnel: So unbestritten ist es nicht!) – Historisch gesehen unbestritten, Herr Kol­lege Kühnel!

Ich bin ja nicht beklopft, Herr Kollege Kühnel! Ich weiß, dass wir in der Neutralität ... (Bundesrat Dr. Kühnel: Ideologisch ...!) Ich bin nicht beklopft und auch nicht ideolo­gisch verkastelt; das frage ich mich manchmal bei Ihnen, Herr Kollege Kühnel. (Beifall bei den Grünen.)

Natürlich werden wir in der Neutralität etwas neu zu definieren haben, nämlich weil wir Mitglied der Europäischen Gemeinschaft sind und gegenüber unseren Mitgliedsländern Inland und nicht mehr Ausland sind, daher kann die Neutralität nicht mehr in dieser Form ausgelegt werden. Aber die Neutralitätspolitik insgesamt als eines der wichtigs­ten und besten Instrumente der österreichischen Außenpolitik in Frage zu stellen, Herr Kühnel, halte ich für vermessen und vor allem für völlig falsch. Für völlig falsch!

Deshalb, Frau Außenministerin: Ich vermisse dies bitter!

Ich möchte Sie auch noch auf ein paar Ungereimtheiten hinweisen. Sie schreiben in Ihrem Bericht:

„Unser ganzes Bemühen galt und gilt auch weiterhin der Stärkung der Rolle der Ver­einten Nationen ...“

Wie wir wissen, liegt, wenn wir über Budgets diskutieren, die Wahrheit der Politik in den Zahlen. Und wenn wir jetzt schauen, was die UN-Organisationen bekamen, näm­lich 20,22 Millionen €, und sehen, dass die Weltbank und ihre Entwicklungsbanken gleichzeitig 36,56 Millionen € bekamen, so müssen wir sagen, es hat sich zwar im


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Jahr 2002 das Verhältnis verbessert, aber ein Bemühen um eine entsprechende Fokussierung ist dem Geldwert nach dort nicht erfolgt.

Von Seiten der grünen Fraktion ist natürlich ein Punkt, der in dem Bericht erwähnt wird, von besonderem Interesse, nämlich die pflanzengenetischen Ressourcen zur Siche­rung der Artenvielfalt in der Ernährung und in der Landwirtschaft. Das wurde am 6. Juni 2002, so steht das auch korrekt im Bericht, unterzeichnet, aber es ist bis heute von österreichischer Seite nicht ratifiziert. Ich weiß zwar nicht, wer die Vertretung der Bauernschaft der ÖVP im Bundesrat jetzt übernommen hat; früher gab es hier sehr viele Vertreter aus dem bäuerlichen Bereich. Aber ich frage mich: Wo ist da schon wie­der der Widerstand, dass wir diesen Bereich nicht ratifizieren?

Das Nächste, was ich mir gewünscht hätte, Frau Außenministerin: Sie sind die erste Frau, die dieses Außenministerium führt, und ich hätte mir gewünscht, dass der Außenpolitische Bericht des Jahres 2001 und des Jahres 2002 ein Kapitel beinhaltet, das heißt: Förderung des Eintritts von Österreicherinnen in den diplomatischen Dienst. – Ich kenne kein Förderungsprogramm für Frauen, um in den diplomatischen Dienst zu kommen. Trotz Ihrer Ministerschaft gibt es bis heute keine Sektionsleiterin. (Bundesministerin Dr. Ferrero-Waldner: Hat es schon gegeben!) Hat es schon gege­ben? – Noch schlimmer, wenn es das bereits gegeben hat und jetzt nicht mehr gibt!

Außenpolitik kann nicht allein Männersache sein, und deshalb wäre es wichtig gewe­sen, gerade unter einer Frau als Ressortleiterin ein Förderungsprogramm zu erstellen und Initiativen zu setzen, damit verstärkt Frauen in den diplomatischen Dienst kom­men und damit es verstärkt Botschafterinnen, Sektionsleiterinnen in Ihrem Hause gibt.

Diese kritischen Anmerkungen zu den beiden vorliegenden Berichten – ich könnte noch einiges sagen – hindern uns nicht daran, die Arbeit, die Sie und Ihr Haus mit den beiden Berichten gehabt haben, zu würdigen und diese Berichte selbstverständlich anzunehmen. (Beifall bei den Grünen.)

15.05

 


Vizepräsidentin Anna Elisabeth Haselbach: Als Nächster hat sich Herr Bundesrat Ager zu Wort gemeldet. – Bitte.

 


15.06

Bundesrat Hans Ager (ÖVP, Tirol): Geschätzte Frau Präsident! Liebe Frau Außenmi­nisterin! Geschätzte Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Zu meinem Vorredner habe ich nicht viel zu sagen, weil es an und für sich kein Makel ist, nicht beklopft zu sein; und ein barocker Mensch zu sein, ist auch kein Makel. Und seine Wünsche und alles, was ihm in den Berichten fehlt, kann er dann mit der Frau Außen­ministerin direkt bereden. Da werde ich mich nicht einmischen.

Sehr wohl einmischen möchte ich mich aber, wenn Herr Kollege Reisenberger die Fotokosten angesprochen hat. Das stimmt mich eigentlich sehr optimistisch, denn wenn wir in einem Ressort sonst nichts zu bekritteln haben als die Fotokosten, dann müsste dort eigentlich alles passen.

Ich möchte das wirklich nur ganz kurz ansprechen. Dieser Fotograf ist weder der Hof­fotograf der Frau Außenministerin noch der Hoffotograf der ÖVP. Ich habe gesehen, auf der Homepage sind auch sehr viele Bundesräte der SPÖ abgebildet, auch sie lassen sich also von ihm fotografieren. (Bundesrat Reisenberger: Der Fotograf ist ja nicht kritisiert worden!) Ich nehme an, dass er ein guter Fotograf ist, und ein guter Foto­graf hat eben seine Qualität – und Qualität hat ihren Preis.

Wenn wir uns in Zukunft malen lassen müssen, werden wir wahrscheinlich mit der Zeit nicht zurechtkommen, und das wird auch nicht billiger sein. (Heiterkeit und Beifall bei der ÖVP. – Bundesrat Konecny: Da sind die Kosten noch höher!)


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Ich glaube, es ist unsinnig, bei den Fotokosten zu sparen. Liebe Frau Außenministerin, setzen Sie die erfolgreiche Medienpolitik auch da fort und nehmen Sie weiterhin die Dienste dieses Fotografen in Anspruch! Geld wird das sicher kosten, keine Frage.

Jetzt zu meinen eigentlichen Themen. – Der Außenpolitische Bericht 2001 und 2002 ist eine einzige Erfolgsgeschichte; man kommt nicht herum, das festzustellen. Die öster­reichische Außenpolitik ist verlässlich, ist vertrauensbildend und trägt gerade jetzt, in einer weltpolitisch schwierigen Situation, viel zur Einheit, zu mehr Stabilität und zu menschlicher Sicherheit Europas bei. Mit dem Zur-Mitte-Rücken wächst auch die Bedeutung der österreichischen Außenpolitik im Rahmen der Europäischen Gemein­schaft.

Lassen Sie mich, ohne Anspruch auf Vollständigkeit erheben zu wollen, einige Themen herausgreifen, die mir besonders wichtig erscheinen. Vieles wurde schon gesagt, das versuche ich auszuklammern. Als ich in Vorbereitung meiner Rede die Dinge ein biss­chen geordnet habe, ist der erste Punkt, der mir sehr wichtig erschien, eine akkor­dierte Terrorbekämpfung gewesen. Die aktuelle Situation hat mich in dieser meiner Meinung bestätigt. Die Menschen, die von den tragischen Ereignissen in Spanien betroffen sind, haben unser aller Mitgefühl. Man sieht, was Menschen alles anrichten können, und ich möchte auch hier sagen: Der Beginn jeglichen Terrors sind Worte, und da werden wir uns in Zukunft alle, wie wir hier sitzen, ein bisschen selber an die Kandare nehmen müssen, denn auch mit Worten kann man sehr vieles entzünden.

Ich meine, dass nur eine Außenpolitik, die verantwortungsbewusst, in die Zukunft ge­wandt, solidarisch und auf festen Werten ruhend betrieben wird, verbunden mit dem gemeinsamen Vorgehen in einem größeren Verband, dauerhaft Wohlstand, Sicherheit und Frieden bringen kann. Terrorismus wird man nie ganz ausschließen können, aber die gemeinsame Arbeit dient dazu, diese Dinge hintanzuhalten. In diesem Modell euro­päischer Integration ist Österreich immer ein verlässlicher Partner gewesen.

Der nächste Punkt, den ich streifen möchte, ist die Entwicklungszusammenarbeit: Es besteht mehr denn je die Notwendigkeit, die Kluft zwischen Arm und Reich zu verrin­gern – darin, glaube ich, sind wir uns alle einig –, und die Länder der Dritten Welt bei ihren wirtschaftlichen, sozialen, demokratischen und ökologischen Entwicklungen zu unterstützen. Und dies tut unsere tüchtige Außenministerin Ferrero-Waldner mit ihrem Team in besonderem Maße und sehr nachhaltig.

Meine Damen und Herren! Vor vier Wochen war ich in Rom bei der Konferenz „AWEPA“, „Partner für Afrika“, und ich konnte dort die Wertschätzung Österreichs und seiner Außenministerin in vielen Gesprächen erfahren. Es ist sehr angenehm, wenn man das auch in einem solchen Rahmen zu spüren bekommt.

Zum Thema „globaler Umweltschutz“ gab es im Jahre 2002 in Johannesburg einen Weltgipfel für Nachhaltige Entwicklung, und es wurden auch im Juli 2002 die Verhand­lungen der Vertragsparteienkonferenz COP 6 des Kyoto-Protokolls in Bonn wieder auf­genommen. In Genf gab es ein Übereinkommen der Vereinten Nationen zur Bekämp­fung der Wüstenbildung.

Man sieht also, wie vielschichtig die internationale Arbeit ist. Wenn jemand glaubt, in Österreich wäre zum Beispiel Wüstenbildung kein Thema, kann ich dazu nur sagen: Man bräuchte bei uns ja nur die Bauern kaputt machen – und dann hätten wir auch bei uns eine Wüstenbildung, weil dann eben niemand mehr den Boden bearbeiten und alles zuwachsen würde.

Zum Thema Kultur, bei dem wir ja heute schon einmal waren: Mit dem Konzept „Aus­landskultur Neu“ leitete das Außenministerium im Jahr 2001 einen umfassenden Pro­zess an Reform und Motorisierung von Arbeitsweisen, Strukturen und Inhalten ein. In


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diesem Zeitraum führte das Außenministerium weltweit über 4 000 Veranstaltungen und Projekte durch: von ganz groß bis ganz klein. Nicht nur auf dem Sektor Musik, wo Österreich ja schon immer weltweit führend war, sondern auch in vielen anderen Be­reichen wie etwa Malerei, Bildhauerei, Literatur, Filmschaffen, Bibliotheken, Bildungs­einrichtungen, et cetera ist das jetzt ein fixer Bestandteil. Und bei vielen, vielen dieser Veranstaltungen weltweit war unsere Frau Außenministerin als Botschafterin und Repräsentantin Österreichs immer vor Ort. Dafür auch unseren Dank von dieser Stelle aus!

Kurz streifen darf ich auch den EU-Gipfel in Nizza und die Regierungskonferenz in Laeken. Wesentlicher Inhalt war die Einberufung eines Konvents – unter der Präsident­schaft von Valérie Giscard d’Estaing – und das Bemühen um EU-Reformen. Auch wenn da nicht alles zu unserer vollsten Zufriedenheit gelaufen ist – darüber haben wir ja schon einmal hier diskutiert; EU-Verfassung und so weiter –, habe ich noch die Worte von Jacques Santer im Ohr, der in Linz gesagt hat:

Niemand von uns braucht zu glauben, dass wir alles, was Hunderte von Jahren in Europa schief gelaufen ist – kriegerische Auseinandersetzungen, et cetera –, in drei bis fünf Jahren in paradiesische Zustände umwandeln können!

Diese Aussage habe ich mir genau gemerkt, und dazu kann ich nur sagen: Da werden wir alle miteinander ein bisschen Geduld brauchen; das ist eben auch wichtig.

Ich persönlich möchte noch folgenden Punkt ansprechen, Frau Außenministerin, näm­lich die Alpenkonvention, ein wichtiges Abkommen zum Schutze der Alpen, das nach zähem Ringen – das wissen wir alle – mit unseren Nachbarn Frankreich, Schweiz und Deutschland gelang. Dafür sind wir Tiroler dir, liebe Frau Außenministerin, liebe Benita, besonders dankbar: Der Sitz des Ständigen Sekretariats dieser Alpenkonvention ist seit November Innsbruck, worauf wir stolz und wofür wir dankbar sind.

Gegenstand der Aktivitäten innerhalb der EU waren die Grundzüge der Wirtschaftspoli­tik der Mitgliedstaaten sowie die Beschäftigungspolitik in Europa, und da weiß ich, dass das immer ein Anliegen von dir, verehrte Frau Bundesministerin, war – und sicherlich auch in Zukunft sein wird.

Hauptpunkte der politischen Arbeit waren die Fortsetzung der Debatten über eine Insti­tutionenreform. Und die wichtigste Priorität der Außenpolitik seit 2002 – und natürlich auch jetzt – war und ist die Erweiterung der Europäischen Union. Da das aber jeder Redner bisher sozusagen als fixen Bestandteil seiner Ausführungen brachte, brauche ich das nur zu streifen.

Sie wissen ja alle, es war das ein historischer Moment hier im Hohen Bundesrat, Mitte Dezember 2003 – ich durfte damals als Präsident den Vorsitz führen –, als wir im Beisein von fünf Präsidenten der Nachbarländer mit dem Nationalratspräsidenten Khol, mit dir, liebe Frau Außenministerin, und mit einigen Landeshauptleuten diese EU-Ver­träge, die am 1. Mai 2004 in Kraft treten, ratifiziert haben. Ich meine, das war wirklich eine ganz, ganz tolle Sache.

Wie du, liebe Frau Außenministerin, immer gesagt hast: Die EU-Erweiterung ist eine Jahrhundert-Chance in Bezug auf Sicherung von Frieden, Stabilität und Wohlstand für den gesamten Kontinent, für das gesamte Europa, und ich kann das wirklich nur unter­streichen. Wir sollten diesen neuen EU-Mitgliedern als Partner auf gleicher Augenhöhe begegnen. (Ruf bei der SPÖ: „Liebe Frau Außenministerin!“)

Österreich zählt überdies zu jenen Staaten – auch und gerade du, liebe Frau Außen­ministerin, zählst zu jenen Menschen, die das immer getan haben –, die traditionell ein besonderes Engagement in Fragen der Menschenrechte an den Tag gelegt und im


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Rahmen von „Human Security Network“ das Thema Menschenrechte noch stärker in der internationalen Politik verankert haben.

Dieser Außenpolitische Bericht – liebe Freunde, damit komme ich schon zum Schluss – ist, wie ich bereits eingangs gesagt habe, eine Erfolgsstory. Dass das nicht jeden Kollegen auf der linken Seite dieses Hauses sehr freut, kann ich nachvollziehen und sogar verstehen. Verstehen kann ich allerdings nicht, dass Sie immer wieder Dinge sozusagen hier zu transportieren versuchen, die irgendwo eher am Rande liegen, um noch einmal auf diese Foto-Geschichte von Ihnen zu sprechen zu kommen. Vielleicht ist dann die nächste Stufe, dass in diesem oder jenem Ministerium zu viel Klopapier verbraucht worden ist; und vielleicht müsste man dann für eine solche De­batte auch noch Zeit haben.

Schließen möchte ich mit einem Dank an dich, liebe Frau Außenministerin, ebenso an Herrn Generalsekretär Dr. Kyrle und an das ganze Team für diese Visitenkarte Öster­reichs, die Sie das ganze Jahr über in der Welt abgeben. Das ist eine ganz tolle Ge­schichte, und dafür brauchen wir uns wahrlich nicht zu schämen.

Ich wünsche dir, liebe Frau Außenministerin Ferrero-Waldner, dir, liebe Benita, als unserer Kandidatin für das höchste Amt im Staate ... (Bundesrat Konecny: Nein, das ist zu peinlich! Bleiben lassen ist besser!) – Bitte, lieber Freund!

Ich wünsche dir, Frau Bundesministerin, als Kandidatin für das höchste Amt im Staate viel Glück und Erfolg!

Da alle – sozusagen zwischen den Zeilen – Wahlkampf betrieben haben: Zwischen den Zeilen habe ich nichts verloren, ich spreche das immer direkt an! (Heiterkeit und Beifall bei der ÖVP. – Zwischenrufe bei der SPÖ.)

Abschließend: Fast jeder hat ein Hobby, und ich bin ein begeisterter Angler und Fischer. Aber unterstützen und wählen tue ich dich, unsere Benita, denn die ist frischer als der Fischer. – Danke schön. (Beifall bei der ÖVP.)

15.18

 


Vizepräsidentin Anna Elisabeth Haselbach: Zu Wort gemeldet ist Herr Professor Hösele. – Bitte.

 


15.18

Bundesrat Herwig Hösele (ÖVP, Steiermark): Sehr geehrte Frau Präsidentin! Hoch geschätzte Frau Außenministerin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Außenpolitische Berichte 2001/2002; sehr vieles ist bereits gesagt worden, auch zum 11. September 2001 sowie zum heutigen Tag über die Verletzlichkeit und weltweite Gefährdung durch den Terror. Die Notwendigkeit solidarischen und entschiedenen Eintretens dagegen und die notwendige Verantwortung in diesem Zusammenhang sind Gedanken, die uns natürlich alle sehr bewegen.

Kollege Reisenberger hat ein Thema in einer Weise angesprochen, die mich bei einem Vertreter der Sozialdemokratie sehr verwundert hat, hat man doch dort immer großen Wert gelegt auf das Bild einer weltoffenen, liberalen, auch kulturell liberalen, Gesell­schaft Österreichs.

Festhalten möchte ich, dass Österreich gerade auch im Bereich der Architektur Welt­spitze zu bieten hat. Im Februar dieses Jahres war ich in New York, und zwar nicht nur am „Ground Zero“, sondern auch in der 52. Straße – dort war ich auch schon vor vielen Jahren –, dieses Werk von Raimund Abraham ist ein ganz bedeutendes Bauwerk, und es gilt da auch, Zeichen zu setzen. Natürlich ist diese Baukostenunterschreitung, diese Baukostenüberschreitung sehr unschön. Ich würde mir anschauen ... (Bundesrat Konecny: -unterschreitung wäre schön! Das wäre ein Zeichen!)


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Herr Professor Konecny, eine kleine Frage an Sie: Was hätten Sie gemacht? Hätten Sie den Bau des Kulturinstitutes gestoppt, wo Raimund Abraham den Wettbewerb ge­wonnen hat, einer der bedeutendsten Architekten? Hätten Sie den Bau des Projekts von Hollein in Berlin gestoppt? Das sind die Fragen! Da muss man sich genau über­legen ... (Bundesrat Konecny: Um ehrlich zu sein, ich hätte den Grund verkauft, vor­her!) Das ist aber eine sehr beachtliche Einstellung einer Partei, die eine ganz große außenpolitische Tradition hat. (Bundesrat Konecny: Das muss ja dort nicht stehen!) Ich verstehe, das ist eine Position, aber eine sehr interessante, muss ich ehrlich sagen. (Bundesrat Konecny: Das ist eine relativ logische Position, wenn man New York kennt! – Bundesrat Reisenberger: Das ist die Einstellung: Was „lacostet“ die Welt?, die Sie offensichtlich haben!) Ich habe diese Einstellung wirklich nicht, aber das ist eine sehr bemerkenswerte Positionierung.

Unter diesem Aspekt möchte ich wissen, welche Gebäude wir auf dieser Welt gebaut hätten. Ich kann mich erinnern, wir waren einmal gegen das Kongresszentrum bei der UNO-City in Österreich. Das ist uns außerordentlich negativ angekreidet worden von einer gewissen Art von Politik, und damals war das ganz anders. (Bundesrat Konecny: Das war auch sehr ungut!) Ich sehe, es wechselt in der Dialektik alles Mögliche, Herr Professor, so wie bei Ihnen. (Bundesrat Konecny: Das ist ja nicht auf einem Grund­stück gebaut worden, das sieben Meter breit ist!)

Herr Professor Konecny! Wir treten ja gemeinsam für Österreich in der Welt und in Europa ein. Es ist mir dieser Tage wieder einmal der Text einer kleinen Rede von Ihnen in die Hände gekommen, die Sie anlässlich des 8. Hindels-Symposiums der SPÖ gehalten haben und in der Sie die Sanktionen außerordentlich begrüßt haben. Ich halte das für eine sehr bemerkenswerte Haltung, noch dazu, wo Sie dann das als mög­liches positives Exempel für Demokratie bezeichnen, dafür (Bundesrat Konecny: Nicht stottern, sondern genau zitieren!), zu einem gemeinsamen politischen Handeln zu kommen, als Zeichen eines im höchsten Maße zu begrüßenden Integrationsschrittes. – Eine sehr bemerkenswerte Haltung! (Bundesrat Dr. Kühnel: Sehr österreichisch!) Eine sehr österreichische Haltung, muss ich wirklich sagen!

Frau Außenministerin, ich danke dir von ganzem Herzen, dass du mit Charme, Herz, Kompetenz und Mut gegen diese Sanktionen aufgetreten bist und sie weggebracht hast! (Beifall bei der ÖVP sowie des Bundesrates Dr. Böhm.)

Etwas, was uns wieder einen wird, ist der bevorstehende 1. Mai, hoffe ich. (Bundesrat Konecny: Marschieren Sie mit? – Gegenruf des Bundesrates Dr. Kühnel.) Das euro­päische Haus wird größer, ich hoffe, es wird in absehbarer Zeit noch größer werden. Nachdem der Außenminister und der Ministerpräsident Kroatiens hier waren, war dieser Tage auch der Parlamentspräsident Kroatiens hier. Kroatien ist aus meiner Sicht ein europäisches Kernland, und das europäische Haus sollte so rasch wie möglich auch in diese Richtung vergrößert und verstärkt werden.

Ein weiterer Punkt: Es werden immer wieder Ängste, Probleme und Sorgen im Zusam­menhang mit der europäischen Integration und der europäischen Erweiterung ange­sprochen. Diese muss man auch ernst nehmen, aber ich glaube, man sollte die großen Chancen dieses europäischen Projekts besonders hervorheben. Es gibt auch Zahlen, die das objektiv unterstreichen. Ich kann das aus dem Bundesland Steiermark zum Beispiel im Zusammenhang mit den Exporten sagen: Die Ausfuhren nach Ungarn sind zwischen 1998 und 2001, allein in diesen drei Jahren, um 145 Prozent gestiegen. Die Ausfuhren nach Slowenien sind um 144 Prozent gestiegen. Das ist ungefähr das Drei­fache des gesamten österreichischen Exportzuwachses, was wesentlich zur Sicherung und Schaffung neuer Arbeitsplätze in Europa und vor allem in Österreich und unseren Grenzregionen beiträgt.


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Ich glaube, es ist sehr wichtig, die Sorgen ernst zu nehmen, aber die Chancen heraus­zuarbeiten, auch den Bürgerinnen und Bürgern näher zu bringen, echt erlebbar zu machen; dazu gibt es viele regionale Engagements, die gestärkt werden sollen in einem Europa der Regionen.

Für uns – und das darf ich aus steirischer Sicht abschließend noch kurz streifen – ist es eine sehr schöne Sache, dass vom 22. bis 24. Mai der mitteleuropäische Katholi­kentag in Mariazell stattfinden wird. Es werden dabei sein Österreich, Ungarn, Tsche­chien, Slowakei, Polen, Slowenien und die Beitrittsaspiranten Kroatien und Bosnien-Herzegowina. Es wird uns in diesem Zusammenhang auch die historische Rolle des Papstes Johannes Paul II. bei diesem europäischen Einigungsprozess ganz besonders bewusst.

Verehrte Frau Außenministerin! Du hast seit Österreichs EU-Beitritt – einige Monate später wurdest du ja Staatssekretärin – unseren Weg nach Europa, in Europa beglei­tet, gestaltet, ganz wesentlich Positives für Österreich in Europa erreicht, vor allem auch was die ungerechtfertigten Sanktionen betrifft, die ich bereits angesprochen habe. Du hast mit enormem Einsatz, mit ganz großer Kompetenz unsere Position in Europa in der Welt hervorragend vertreten – davon zeugen auch die beiden Berichte der Jahre 2001 und 2002 –, und dafür möchte ich dir namens unserer Fraktion von gan­zem Herzen danken. (Beifall bei der ÖVP sowie des Bundesrates Dr. Böhm.)

15.27

 


Vizepräsidentin Anna Elisabeth Haselbach: Frau Bundesminister, ich erteile Ihnen das Wort.

 


15.27

Bundesministerin für auswärtige Angelegenheiten Dr. Benita Ferrero-Waldner: Frau Präsidentin! Hohes Haus! Immer wenn man den Außenpolitischen Bericht dis­kutiert – und in diesem Fall haben wir zwei, nämlich für 2001 und 2002 –, ist das eine umfassende Debatte. Ich stelle fest, dass hier die Parteipolitik ein bisschen in die Staatspolitik hineingespielt hat. Ich finde es auch sehr schade, dass die Sozialdemo­kraten diesen Außenpolitischen Berichten nicht die Zustimmung geben. Ich verstehe das schon, natürlich, wir befinden uns in Vorwahlzeiten, da ist das natürlich schwierig für Sie. Aber es ist schon schade, und ich glaube, es ist auch nicht wirklich gut zu argu­mentieren, wenn Sie versuchen, den Spagat zu machen, und auf der einen Seite sagen: Dank an die Beamten des Hauses, sie haben gut gearbeitet!, aber auf der anderen Seite sagen: Die Ministerin hat eigentlich nicht so gut gearbeitet. Ich glaube, das nimmt Ihnen niemand ab. (Bundesrat Konecny: Die Beamten schon!)

Die Rahmenbedingungen der österreichischen Außenpolitik haben sich geändert, da haben Sie Recht, und zwar haben sich insofern geändert, als wir heute die Politik nicht mehr alleine machen, sondern innerhalb der Europäischen Union. Da muss man natür­lich die Außenpolitik sehr genau verfolgen, dass man sieht, welche Position Österreich einbringt, damit es zu einer gemeinsamen Position in Europa kommt. Das haben wir gemacht.

Sie, Herr Professor Konecny, haben gleich am Anfang den Nahen Osten angespro­chen und haben quasi gesagt, diesbezüglich komme ja eigentlich nichts mehr von Österreich. Ich wollte Ihnen nur sagen, dass es zum Beispiel gerade jetzt wieder – Sie können das nicht wissen – ein Non-Paper von Österreich über die europäische Strate­gie hinsichtlich der Nahost-Region gibt. Warum? Weil ich glaube, dass das wichtig ist, habe ich selber ein Papier durch mein Haus zusammenstellen lassen, das mir wichtig ist und in die gemeinsame Position der Europäischen Union einfließt. Das ist nur eines dieser vielen kleinen Beispiele, die ich hier anführen wollte. (Beifall bei der ÖVP sowie des Bundesrates Dr. Böhm.)


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Zur Frage, was den Irak betrifft. Ich glaube, wir haben das oft genug im Hohen Haus diskutiert, aber ich kann es gerne noch einmal sagen. Die Politik der Bundesregierung ist in erster Linie die gewesen, die wir im Nationalen Sicherheitsrat vom 24. März ge­meinsam beschlossen haben. Das war ein Vier-Parteien-Beschluss – das wollen Sie jetzt nicht mehr wissen, aber es war trotzdem so.

Von Anfang an haben wir hier folgende Aspekte betont: die Überprüfung des Irak durch unabhängige Inspektoren, solange es nur irgendwie möglich ist. – Sie erinnern sich, ich habe mich selber noch auf eine Tour begeben, mit der griechischen Präsidentschaft abgestimmt, wo ich hoffte, dass es gelingen würde, dass die Europäer zusammen mit den Arabern Saddam Hussein klarmachen könnten, dass er sonst keine Chancen hätte, eine Möglichkeit für eine friedliche Lösung zu haben. Aber das haben Sie viel­leicht schon vergessen.

Sie erinnern sich sicher auch an die zentrale Rolle der Vereinten Nationen im gesam­ten Prozess – die Ihnen sonst immer so wichtig ist, aber hier offensichtlich nicht. Und wir haben hier auch gemeinsam diskutiert und betont, wie wichtig es wäre, wenn die Europäische Union in dieser Frage einig gewesen wäre. Leider war sie das nicht! Inso­fern haben Sie Recht: Sie war es nicht.

Ich darf Ihnen sagen, und ich habe es bereits hundertmal ausgeführt, aber Sie wollen es ja nicht hören: Wir hatten die Position der europäischen Mitte, und das war eine Position der Vernunft, denn wir waren nicht radikal auf der Seite der Deutschen und Franzosen, wir waren natürlich auch nicht befürwortend für Saddam Hussein, den Dik­tator, sondern wir haben uns ganz bewusst so verhalten wie die Griechen, wie die Iren und viele andere mittlere und kleinere Länder, die ganz bewusst gesagt haben, wir folgen dem UN-Sicherheitsrat, soweit wir können. Aber hier hat der UN-Sicherheitsrat eben keine klassische Position gehabt.

Das Wichtigste war, dass wir für eine rasche Lösung eingetreten sind, für eine fried­liche Lösung, solange es möglich war, und dann den wirtschaftlichen Wiederaufbau, die Stabilisierung und Sicherung des Irak und damit des ganzen Nahen und Mittleren Ostens angestrebt haben.

Ich wollte Sie bitten, dass Sie sich vielleicht das noch kurz anhören; ich möchte Ihnen nur vor Augen führen, wie richtig der österreichische Kurs war. Das ist einem Zitat aus der internationalen Presse zu entnehmen. Die „Frankfurter Allgemeine“ vom 25. Sep­tember schrieb zur Haltung der deutschen Bundesregierung in der Irak-Frage wört­lich – ich zitiere –:

Gleichwohl sieht sich die Bundesregierung jetzt offenbar in einer Position der Mitte, möglicherweise auch des Mittlers zwischen Washington und Paris. – Zitatende.

Inzwischen hat Deutschland die Möglichkeit gehabt, sich langsam wieder mit den Ver­einigten Staaten von Amerika auszusöhnen. Wir haben das nicht gebraucht, weil wir uns nämlich vernünftig verhalten haben.

Wir haben aber gleichzeitig – das möchte ich auch sagen, Kollege Schennach – ge­rade im Jahre 2003 die Neutralität ganz bewusst aktiviert beziehungsweise aktualisiert. Sie wissen ja, der Irak-Krieg hat nicht 2001 oder 2002, sondern eben 2003 stattge­funden, und diese Frage wird selbstverständlich im Bericht 2003 ausführlich erwähnt werden. Etwas, das in der Verfassung steht – und wir haben ein Verfassungsgesetz über die Neutralität –, ist wohl unbestritten und braucht auch nicht erwähnt zu werden. Deshalb ist das nicht in den vorhergehenden Berichten erwähnt worden.

Was die Erweiterung betrifft, möchte ich schon sagen: Ich bin stolz darauf, dass wir von Anfang an, solange ich in der Bundesregierung bin – und ich bin in vielen Bundes­regierungen gewesen! – für diese Erweiterung gearbeitet haben. Sie werden sich an


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das Jahr 1998 erinnern. Damals war ich noch Staatssekretärin, und da haben der da­malige Vizekanzler und Außenminister Schüssel und ich uns ganz besonders darum bemüht – das können Sie in allen Archiven nachprüfen und nachlesen –, dass Öster­reich die Verhandlungen mit den Erweiterungskandidaten eröffnen konnte. Das war nicht einfach, denn es gab einige Staaten, die das nicht wollten. Es ist uns aber gelun­gen, das gemeinsam durchzudrücken. Das hat damals schon unser richtiges Engage­ment gezeigt. Ich bin, seit ich Außenministerin bin, Chefverhandlerin in Sachen Erwei­terung gewesen und freue mich, dass es gelungen ist, in nicht immer einfachen Zeiten diese schwierigen Verhandlungen zu einem guten Ende zu führen.

Ich erinnere mich auch sehr gut daran, dass die Sozialdemokraten, angeführt vor allem von ihrer Arbeiterkammer-Fraktion, hier immer wieder sehr gebremst haben, was die Frage der Arbeitsmarktpolitik betrifft. Ich möchte Ihnen das sagen, weil Sie hier so tun, als ob Sie eine einhellige Position gehabt hätten. Das war nicht der Fall. Gott sei Dank haben wir immer eine gehabt, und ich muss Ihnen sagen, ich bin stolz darauf und freue mich, dass das möglich ist. Und jetzt am 1. Mai – da hat Herr Kollege Hösele Recht – werden wir den Beitritt gemeinsam feiern, und Gott sei Dank werden wir die Chancen für Österreich hier herausarbeiten. (Beifall bei der ÖVP.)

Auch was die Frage der strategischen beziehungsweise regionalen Partnerschaft, die ich vor drei Jahren erfunden habe, betrifft, sind Sie auf dem Irrweg. Das war keine maternalistische Geste, wie Sie gesagt haben, sondern das war eine bewusste Hand­reichung an die Nachbarn, wissend, dass wir natürlich am Ende der Verhandlungen genau das bräuchten, was alle anderen nämlich auch haben: eine regionale Zusam­menarbeit innerhalb der Europäischen Union.

Ich habe das oft genug ausgeführt: in zwei Stufen; erste Stufe: Verhandlungsteil, na­türlich noch nicht so intensiv, aber aufbauend, heute bereits in einer sehr intensiven Phase. Es sind Ihnen natürlich nicht alle Details bekannt, das kann ich mir schon vorstellen, aber zum Beispiel beim nächsten Rat „Allgemeine Angelegenheiten“ am 22. März werden wir uns wieder als Außenminister der regionalen Partnerschaft in Brüssel treffen, um Fragen des gesamten Interesses, vor allem der Europäischen Ver­fassung, wieder zu beraten.

Das ist gelebte regionale Partnerschaft in der Außenpolitik, gelebte regionale Partner­schaft in der inneren Sicherheitspolitik, in der Wirtschaftspolitik, in all den Fragen, die die Menschen betreffen.

Ich glaube, auch wenn es Ihnen wehtut, Sie sollten es irgendwann einmal einbeken­nen, dass das der richtige Weg war. Es war nicht spät und mit falschen Mitteln, son­dern es war mit den richtigen Mitteln zur richtigen Zeit. (Bundesrat Konecny: Nau, kein Applaus?)

Ich bin noch nicht fertig, Herr Professor! Den Applaus bekomme ich am Schluss. Darf ich fortfahren? (Bundesrat Konecny: Wenn Sie nicht vom Applaus unterbrochen wer­den, selbstverständlich!) Ich möchte Ihnen noch einiges sagen.

Was den Transit betrifft: Wissen Sie, es ist lustig (Bundesrat Konecny: Nein, nicht sehr!): Es gibt eine eigene Ressortzuständigkeit, und wir haben einen eigenen ressort­zuständigen Infrastrukturminister, aber wenn Wahlkampfzeiten sind, dann hängt man der Außenministerin absolut alles um. Ich habe das schon verstanden, aber ich möchte es hier doch einmal aussprechen. (Bundesrat Schennach: Die Ressortleitung hat so oft gewechselt!) – Ja, es tut mir Leid, aber daran bin nicht ich schuld. Auch wenn man möchte, es hat keinen Sinn, mir das alles umhängen zu wollen.

Oder: die Frage der Nettozahlerposition. Ich glaube, Sie müssen einmal in das Volk hineinhören, hören, was die Österreicherinnen und Österreicher sagen. Die sagen


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nämlich: Wenn wir einen Konsolidierungskurs fahren, dann bitte soll das auch die Europäische Union tun! – Und mit Recht! Wissen Sie, was 1 Prozent des BNE, also das, was wir jetzt zahlen, ausmacht? Insgesamt beträgt das EU-Gesamtbudget zurzeit 99 Milliarden €, dann werden es 124 Milliarden € sein. Da ist also bereits eine Steige­rung vorgesehen, in der selbstverständlich die Erweiterung mit berücksichtigt ist.

Aber die Verwaltungskosten allein haben sich enorm gesteigert. All das ist nicht not­wendig! Hier kann man zurückgehen! Was wir selber bei uns gemacht haben, das kann man auch von der Europäischen Union verlangen. Ich stehe vollkommen zu diesem Konzept! (Bundesrat Wiesenegg: Ministerbüros!) – Ja, ich habe das gemacht, nicht nur in den Ministerbüros, sondern bei mir im Hause haben wir überall gespart! Das kann ich Ihnen sagen!

Das EU-Budget wäre jetzt schon 124 Milliarden bei 1 Prozent des BNE, und das würde auf 158 Milliarden hinaufgehen. Haben Sie sich das schon einmal überlegt? Haben Sie das Ihren Leuten draußen gesagt? – Ich glaube, die wissen das nicht. (Beifall bei der ÖVP und bei Bundesräten der Freiheitlichen.)

Was die Frage betreffend Berlin beziehungsweise vor allem New York anbelangt, so muss ich sagen, dass ich eigentlich sehr verwundert bin. Ich war damals Staatssekre­tärin, hatte gerade frisch mein Amt angetreten, als New York im Nationalrat zur Ent­scheidung anstand. Wissen Sie, dass alle mitgestimmt haben? (Bundesrat Konecny: Auf Grund der Zahlen des damaligen Außenministers!) Sie erinnern sich doch! Warum wird es dann angesprochen? Stehen Sie jetzt nicht mehr dahinter? – Da muss ich mich doch sehr wundern. (Bundesrat Reisenberger: ... jetzt das 40-Fache! Ist das bei Ihnen selbstverständlich, Frau Minister? – Na danke!)

Sie wissen außerdem, dass das Gebäude in New York durch die BIG, die Bundes­immobiliengesellschaft, gebaut wurde, und dasselbe gilt für Berlin. Professor Hollein, ein anerkannter österreichischer Architekt, hat das dessiniert und natürlich über die BIG gebaut. Es liegt im Übrigen die Schlussrechnung noch gar nicht vor. (Bundesrat Konecny: Das heißt, es wird noch teurer?! – Bundesrat Reisenberger: Es wird also noch teurer! – Bundesrat Bieringer: Das ist schon wieder eine Unterstellung!)

Das ist eine echte Unterstellung, das finde ich auch! – Wenn es so weit ist, können Sie noch einmal darüber reden, aber auch dann ist es eine Sache, die sehr wohl mit der BIG zu diskutieren sein wird. (Bundesrat Konecny: Die ist ja leider bei uns nicht rechenschaftspflichtig!)

Auch zur Frage der Herrengasse – ich habe das nicht überhört – habe ich Unterlagen hier und möchte Ihnen sagen, dass die Übersiedlung des Außenministeriums, die von der Hiesmayr-Studie empfohlen wurde, eine großräumige Standortbereinigung von Bundesdienststellen zur Folge haben wird; als Synergieeffekt wurden damals 3,63 Mil­lionen € pro Jahr berechnet. Das ist der Grund, warum wir das gemacht haben, und ich hoffe, dass damit auch eine zusätzliche Synergie für mein Haus verbunden ist, denn jetzt ist es auf acht verschiedene Dienststellen aufgeteilt, und dann wird es in zwei Häusern, die miteinander verbunden sind, vereint sein. (Beifall bei der ÖVP und bei Bundesräten der Freiheitlichen.)

Verehrte Damen und Herren! Es ist auch die Frage hinsichtlich der Frauenpolitik im Außenministerium angesprochen worden. Ich darf Ihnen sagen, als ich selbst als Diplo­matin eingetreten bin, waren wir Frauen nicht einmal 10 Prozent. Heute sind Frauen in allen Positionen! Zufällig gibt es gerade keine Sektionsleiterin. Aber wir hatten eine gute Sektionsleiterin – ich bin immer zu ihr gestanden, habe sie immer für sehr gut befunden und ihr deshalb auch eine der vielleicht wichtigsten Botschaften überhaupt anvertraut, nämlich die Botschaft in Washington. Statt dass Sie das anerkennen, sagen Sie jetzt: Aber Sie haben keine Sektionsleiterin! – Wenn sich entsprechend gute Leute


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bewerben, dann werden sie eine Chance haben! (Beifall bei der ÖVP und bei Bundes­räten der Freiheitlichen.)

Wir haben eine stellvertretende Sektionsleiterin in der integrationspolitischen Sektion. Wir haben sieben Abteilungsleiterinnen in der Zentrale. Wir haben 22 Amtsleiterinnen, davon viele Botschafterinnen, die überhaupt noch nie dort hingehen konnten, zum Bei­spiel eine auch sozialdemokratische Botschafterin in Indien – eine sehr wichtige Bot­schaft –, und viele, viele andere, auch Konsulinnen, Generalkonsulinnen – Sie wissen das.

Wir haben damit einen ganz beachtlichen Anteil von Frauen in Leitungsfunktionen. Ich habe es ausrechnen lassen: Es sind ungefähr 23 Prozent. Das sind zwar noch nicht 50, aber es treten auch leider nicht so viele junge Frauen ein, weil natürlich die Frage der Familie für viele doch ein Hemmschuh ist. Das wird auch immer schwieriger für unsere jungen Männer. Aber es ist auch für die Frauen so. Seien wir doch einmal ehr­lich und sagen wir einmal dazu die Wahrheit! – Danke schön. (Beifall bei der ÖVP und bei Bundesräten der Freiheitlichen und Bravorufe bei der ÖVP.)

15.43

 


Vizepräsidentin Anna Elisabeth Haselbach: Weitere Wortmeldungen dazu liegen nicht vor.

Wünscht noch jemand das Wort? (Bundesrätin Bachner: Ja!) – Bitte, Kollegin Bach­ner.

 


15.44

Bundesrätin Roswitha Bachner (SPÖ, Wien): Frau Präsidentin! Frau Bundesminis­terin! Geschätzte Damen und Herren! Nur ganz kurz, weil Sie, Frau Ministerin, jetzt – zumindest habe ich mich in dieser Weise angesprochen gefühlt – sehr negativ in den Raum gestellt haben, dass die so genannte Arbeiterkammerfraktion durch ihre Informa­tionspolitik bezüglich der Auswirkungen auf den Arbeitsmarkt im Zusammenhang mit der Frage der EU-Erweiterung eher negativ agiert habe.

Zur Klarstellung: Es ist nicht die „Arbeiterkammerfraktion“, sondern das war die Arbei­terkammer. Die Arbeiterkammer setzt sich aus mehreren Fraktionen zusammen (iro­nische Heiterkeit und Zwischenrufe bei der ÖVP), die auch großteils hier vertreten sind. (Weitere Zwischenrufe bei der ÖVP.) – Streiten Sie das ab, dass in der Arbeiterkam­mer ...? (Bundesrat Konecny: Na gut: Derweil stimmt es noch! Mag ja sein, dass es bald nicht mehr stimmt!) Mag sein, dass sich das demnächst ändert, das ist schon möglich.

Es sind dort also mehrere Fraktionen vertreten. Und selbstverständlich hat die Arbeiter­kammer – das ist ihre Aufgabe – im Zusammenhang mit der Erweiterung auch darauf aufmerksam gemacht, welche Maßnahmen zu treffen sind, damit es dann am Arbeits­markt nicht zu Komplikationen, zu Schwierigkeiten und zu Verdrängungsmechanismen kommt. Das ist übrigens nicht nur die Aufgabe der Arbeiterkammer, das ist auch die Aufgabe der Regierung, denn wir alle wollen, dass dieser Erweiterungsprozess auch wirklich so friktionsfrei wie nur möglich vonstatten geht. Ich würde mir daher wirklich wünschen, dass da auch die Regierung ihre Aufgabe wahrnimmt.

Wir als Arbeiterkammer und auch als ÖGB haben uns ansonsten wirklich uneinge­schränkt zur Erweiterung bekannt, wir machen nur eben auf gewisse Entwicklungen aufmerksam. – Danke. (Beifall bei der SPÖ und bei Bundesräten der Grünen.)

15.46

 


Vizepräsidentin Anna Elisabeth Haselbach: Wünscht noch jemand das Wort? – Es ist dies nicht der Fall.


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Die Debatte ist daher geschlossen.

Wird von der Berichterstattung ein Schlusswort gewünscht? – Dies ist ebenfalls nicht der Fall.

Wir kommen daher zur Abstimmung über diese beiden Vorlagen, die getrennt erfolgt.

Wir gelangen zuerst zur Abstimmung über den Außenpolitischen Bericht 2001 der Bun­desregierung.

Ich ersuche jene Bundesrätinnen und Bundesräte, die dem Antrag zustimmen, den ge­genständlichen Bericht zur Kenntnis zu nehmen, um ein Handzeichen. – Es ist dies die Stimmenmehrheit. Der Antrag ist somit angenommen.

Weiters gelangen wir zur Abstimmung über den Außenpolitischen Bericht 2002 der Bundesregierung.

Ich ersuche jene Bundesrätinnen und Bundesräte, die dem Antrag zustimmen, den ge­genständlichen Bericht zur Kenntnis zu nehmen, um ein Handzeichen. – Es ist dies die Stimmenmehrheit. Der Antrag ist somit angenommen.

13. Punkt

Beschluss des Nationalrates vom 26. Februar 2004 betreffend ein Bundesgesetz, mit dem die Strafprozessordnung 1975 neu gestaltet wird (Strafprozessreformge­setz) (25 d.B. und 406 d.B. sowie 6999/BR d.B.)

 


Vizepräsidentin Anna Elisabeth Haselbach: Da wir noch etwas mehr als 10 Minuten Zeit haben, bis die Dringliche Anfrage aufgerufen wird, würde ich meinen, dass wir da­mit beginnen, den 13. Tagesordnungspunkt in Verhandlung zu nehmen.

Die Berichterstattung zu dieser Vorlage hat Herr Bundesrat Klamt übernommen. Ich bitte um den Bericht.

 


Berichterstatter Ing. Gerd Klamt: Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Ich bringe den Bericht des Justizausschusses über den Beschluss des Natio­nalrates vom 26. Februar 2004 betreffend ein Bundesgesetz, mit dem die Strafprozess­ordnung 1975 neu gestaltet wird.

Der Bericht liegt Ihnen in schriftlicher Form vor, sodass ich mir die Verlesung erspare.

Der Justizausschuss stellt nach Beratung der Vorlage am 9. März 2004 mit Stimmen­mehrheit den Antrag, gegen den vorliegenden Beschluss des Nationalrates keinen Einspruch zu erheben.

 


Vizepräsidentin Anna Elisabeth Haselbach: Danke vielmals für den Bericht und die Antragstellung.

Wir gehen in die Debatte ein.

Zu Wort gemeldet ist Frau Bundesrätin Dr. Hlavac. – Bitte.

 


15.49

Bundesrätin Dr. Elisabeth Hlavac (SPÖ, Wien): Sehr geehrte Frau Präsidentin! Herr Bundesminister! Meine Damen und Herren! Die Reform des strafprozessualen Vorver­fahrens beschäftigt uns schon sehr lange. Bekanntlich geht das geltende Recht in seiner Struktur auf das Jahr 1873 zurück. Es besteht daher Einigkeit darüber, dass es einer grundlegenden Neuordnung bedarf.


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Das Grundkonzept, das die rechtliche Gesamtverantwortung des Staatsanwaltes über den gesamten Zeitraum des Vorverfahrens vorsieht, ist daher zu begrüßen und wurde von uns auch immer vertreten.

Umso bedauerlicher ist es aber, dass das Ergebnis für uns nicht befriedigend ist. Es sind mehrere Bereiche, wo die Mangelhaftigkeit der Regelungen uns so gravierend erscheint, dass wir nicht zustimmen werden können.

Die Aufgaben des Staatsanwaltes sind gewachsen und haben sich auch verändert. Im Rahmen der Diversion kommen ihm auch sanktionierende Aufgaben zu, und durch das neue Vorverfahren wird er koordinierende und kontrollierende Aufgaben neu dazube­kommen. Wir vertreten daher die Ansicht, dass die staatsanwaltschaftlichen Behörden an der Spitze einen weisungsfreien Generalprokurator oder Bundesstaatsanwalt haben sollten. Das heißt also, wir sind nicht der Auffassung, dass jetzt der einzelne Staatsan­walt weisungsfrei gestellt sein sollte, sehr wohl aber die Behörde. Und ich verstehe nicht, warum das jetzt in diesem Gesetz nicht umgesetzt wird. Es ist doch etwas, was lange Zeit, gerade von der ÖVP, verlangt worden ist! Die jetzt getroffene Lösung ist in sich nicht konsequent.

Um dem Vorwurf zu entgehen, dass das Weisungsrecht des Ministers missbraucht werden könnte, wird in den Fällen, in denen ein besonderes öffentliches Interesse wegen der Bedeutung der Straftat und der Person des Tatverdächtigen besteht, der Staatsanwalt eine gerichtliche Beweisaufnahme zu beantragen haben. Das bedeutet, dass dann ein Richter ermittelt.

Diese Unterscheidung ist an sich für uns nicht einsichtig. Wenn Sie der Auffassung sind, dass in Zukunft der Staatsanwalt der Herr des Vorverfahrens sein soll – und wir unterstützen das auch –, dann sollte er es immer sein, also auch in den so genannten clamorosen Fällen, wie das damals Minister Foregger genannt hat – und dieser Be­griff ist ja inzwischen sprichwörtlich geworden.

Es stellt sich für uns die Frage, wann dieser Fall eintritt. Sie, Herr Minister, haben bei einer Gelegenheit gesagt, dass man das schon allein am Medieninteresse bemerkt. – Wahrscheinlich ja, aber mir erscheint das zu unpräzise und zu beliebig, und gerade im Strafverfahren sollte es keine Beliebigkeiten geben.

Zur Rolle des Staatsanwaltes und zur Frage der Dienstposten wird dann meine Kolle­gin noch genauer Stellung nehmen. Ich möchte nur darauf hinweisen, dass die Zahlen über die notwendigen zusätzlichen Dienstposten sehr weit auseinander gehen, und ich möchte daher auch in diesem Zusammenhang davor warnen, dass vielleicht nicht sorgfältig genug vorgegangen wird. Das Strafverfahren ist eine so ernste Sache, die Konsequenzen können so schwerwiegend sein, dass bei Dienstposten sicher nicht gespart werden darf.

Wir machen uns auch Sorgen wegen der Beschuldigtenrechte – es ist vielleicht nicht populär, aber das ist ein sehr wichtiger Punkt für uns. Im Gesetzesbeschluss steht ja bereits im ersten Abschnitt, dass der Grundsatz der Unschuldsvermutung gilt, und ich finde das auch wichtig, dass darauf hingewiesen wird. Aber ich habe nicht den Ein­druck, dass das auch voll und konsequent durchgezogen ist. Natürlich muss sich der Staat den Bedrohungen, die sich durch Terrorismus und organisierte Kriminalität er­geben, stellen – und gerade der demokratische Staat muss das, im Interesse der Demokratie und im Interesse der Menschen. Wir haben ja mit großer Erschütterung zur Kenntnis nehmen müssen, was in Spanien passiert ist, und wir sind alle sehr davon betroffen. Das ändert aber natürlich nichts daran, dass wir uns fragen müssen, ob nicht wegen der notwendigen Bekämpfung organisierter Kriminalität und des Terrorismus überschießende Maßnahmen getroffen werden.


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Sehen wir uns zum Beispiel die Bestimmungen über den Lockspitzel an. Ich halte Lockspitzel an sich für problematisch und habe meine diesbezüglichen Bedenken schon vor ziemlich langer Zeit geäußert. Dass aber jetzt die Möglichkeit geschaffen werden soll, dass auch unverdächtige Personen verwickelt werden, dass sie zu Straf­taten angestiftet werden können sollen, das halte ich wirklich für ein großes Problem, und das ist sicher durch keine Bedrohung gerechtfertigt.

Es sind aber auch eine ganze Reihe anderer Bestimmungen – so etwa über die Akten­einsicht; über die mögliche Beschränkung der Aufnahme von Beweisen, die der Vertei­diger beziehungsweise der Verdächtige stellt, auf die Hauptverhandlung; die Tatsache, dass die Polizei, selbst in unbedeutenden Fällen, den Kontakt mit dem Anwalt auf eine allgemeine Rechtsauskunft beschränken kann; oder auch die Überwachung von Ge­sprächen mit dem Verteidiger, die uns zu weit geht –, wo ich an sich zum Teil den Hintergrund schon verstehe, wo ich aber glaube, dass sie mit der Europäischen Men­schenrechtskonvention nicht konform gehen und vor allem für minderschwere Fälle nicht gerechtfertigt sind.

Ein sehr sensibles Thema ist der Opferschutz. Die Opferschutzverbände verlangen eine gesonderte, schonende Einvernahme nicht nur für die Opfer von Sexualstraftaten und Unmündige, sondern für traumatisierte Opfer von Gewalttaten überhaupt. Ich sehe die Problematik eines fairen Verfahrens, und ich kann nur sagen, ich hoffe, dass durch die Prozessbegleitung die Opfer in eine verbesserte Situation kommen werden.

Es ist für Außenstehende oft nicht vorstellbar, wie sehr Menschen unter Gewaltdelikten leiden, selbst dann, wenn sie zum Glück relativ glimpflich davongekommen sind. Ich habe erst vor kurzem den Fall erlebt, dass eine Frau Opfer eines Raubüberfalles wurde und über eine Stiege hinuntergestoßen wurde. Zum Glück, muss man sagen, ist sie nicht schwer verletzt worden. Rein äußerlich war der Schaden nicht so schlimm, aber die Frau ist psychisch total fertig. Das kann man sich nicht vorstellen! Wenn man sie kennt, dann weiß man, dass sie eine Person ist, die wirklich mit beiden Beinen in der Welt steht, die in keiner Weise psychisch labil ist – und jetzt ist sie suizidgefährdet, traut sich nicht aus dem Haus, hat enorme familiäre Probleme. Das ist also ein Be­reich, der wirklich sehr, sehr sensibel ist. Ich kann nur hoffen, dass zumindest durch diese Prozessbegleitung geholfen werden kann, und möchte sagen, dass es sehr wich­tig ist, die Rechte der Opfer zu wahren und ihre Situation zu begreifen.

Gestatten Sie mir in diesem Zusammenhang bitte auch einige Worte zu einem anderen Bereich, und zwar zum Bereich des materiellen Strafrechts. Ich weiß nicht, ob Sie das gelesen haben, Herr Minister: Es ist gestern eine APA-Meldung gekommen, in der von einer englischen Schriftstellerin berichtet wurde, die nach Wien gezogen ist und von einem Portugiesen – an sich tut das nichts zur Sache, also von einem auch nicht in Österreich Lebenden – hierher verfolgt wurde. Dieser stand plötzlich vor ihrer Tür, sie machte auf, er drang ein und verletzte sie.

Das Problem, das ich damit ansprechen möchte, ist das Problem, das auch in der En­quete der Frau Stadträtin Brauner behandelt worden ist, nämlich das Thema Stalking. Ich sage jetzt nicht, dass man diesen Fall hätte verhindern können, der ist zu kompli­ziert. Ich glaube aber, dass das ein Thema ist, um das wir uns annehmen müssen, dass davon sehr viele Frauen – nicht nur Frauen, unter Umständen auch prominente Männer – betroffen sind und dass wir eine Regelung brauchen. Ich weiß, dass man sich das sehr genau ansehen muss, aber ich würde sehr darum ersuchen, das zu beschleunigen und diesen Fall auch zum Anlass zu nehmen, darüber ernsthaft nachzu­denken und diese Problematik einer Lösung zuzuführen.

Abschließend noch kurz etwas zur Frage des Rechtschutzbeauftragten: Wir haben dazu Vorschläge unterbreitet, die dem Erkenntnis des Verfassungsgerichtshofes zum


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Militärbefugnisgesetz Rechnung tragen. Vor allem wollten wir, dass alle drei Rechts­schutzbeauftragten – also der nach der StPO, der nach dem Sicherheitspolizeigesetz und der nach dem Militärbefugnisgesetz – als Organe des Parlaments eingerichtet werden. Da das Gesetz erst 2008 in Kraft treten wird, gäbe es noch die Möglichkeit der Nachjustierung. Ich würde mir sehr wünschen, dass das geschieht.

Auch bei diesem Gesetzentwurf – so wie leider auch bei vielen anderen von dieser Regierung vorgelegten – gibt es wieder die Frage der Verfassungskonformität. So sieht Professor Mayer die verfassungsrechtlich garantierte Gewaltentrennung verletzt.

Ich habe die undankbare Aufgabe, jetzt schnell zu einem Ende kommen zu müssen, daher möchte ich das nicht im Detail ausführen. Ich halte es aber wirklich für problema­tisch, dass immer wieder Gesetzesbeschlüsse vorliegen, die verfassungswidrige Be­stimmungen enthalten oder bei welchen das Risiko, dass sie verfassungswidrig sind, sehr groß ist. Das ist eine Haltung der Bundesregierung, die mir nicht gefällt! Es ist nämlich nicht die Sache des Verfassungsgerichtshofes, ständig Fehler zu korrigieren, die im Gesetzgebungsverfahren gemacht werden.

Die Materie, die wir hier behandeln, ist so wichtig, dass es möglich sein müsste, dass eine eingehende Spezialdebatte darüber abgehalten wird. Die Anhörung der Experten war sehr ausführlich, die Debatte zu den Einzelbestimmungen aber leider nicht. Der Teufel steckt aber bekanntlich im Detail. In vielen Punkten wäre es noch möglich gewe­sen, Einigkeit zu erzielen.

Es wäre auch insofern noch genug Zeit dafür gewesen, als die Polizeireform noch nicht ausdiskutiert ist, und es wäre sinnvoll gewesen, beides zueinander in Beziehung zu setzen. Es ist schon richtig, dass die Struktur des Vorverfahrens davon nicht berührt ist, aber die Details und die Interaktion zwischen beiden wäre gemeinsam zu behan­deln gewesen. – Das ist einer der ganz wichtigen Kritikpunkte!

Aus diesem Grund, aber auch aus anderen, können wir nicht zustimmen. Das ist scha­de! Ihre Beamten haben wie immer ausgezeichnete Arbeit geleistet. Im Grundprinzip sind wir auch für eine Reform des Vorverfahrens in diese Richtung, aber es ist vieles zu inkonsequent und zu verschwommen und auch nicht mutig genug. – Das ist sehr schade! (Beifall bei der SPÖ und bei den Grünen.)

16.02

 


Vizepräsidentin Anna Elisabeth Haselbach: Ich unterbreche nunmehr die Verhand­lungen zur Tagesordnung.

Dringliche Anfrage

der Bundesräte Roswitha Bachner, Kolleginnen und Kollegen an den Bundes­minister für soziale Sicherheit, Generationen und Konsumentenschutz betreffend Pensionspolitik-Desaster der Bundesregierung (2157/J-BR/04)

 


Vizepräsidentin Anna Elisabeth Haselbach: Wir gelangen nunmehr zur Verhandlung über die Dringliche Anfrage der Bundesräte Roswitha Bachner, Kolleginnen und Kolle­gen an den Herrn Bundesminister für soziale Sicherheit, Generationen und Konsumen­tenschutz.

Da diese inzwischen allen Bundesräten zugegangen ist, erübrigt sich deren Verlesung durch die Schriftführung.

 


Ich erteile Frau Bundesrätin Roswitha Bachner als erster Anfragestellerin zur Begrün­dung der Dringlichen Anfrage das Wort.


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16.03

Bundesrätin Roswitha Bachner (SPÖ, Wien): Sehr geschätzte Frau Präsidentin! Herr Bundesminister! Geschätzte Kolleginnen und Kollegen des Bundesrates! Wir haben heute die Dringliche Anfrage betreffend Pensionspolitik-Desaster der Bundesregierung ganz bewusst eingebracht, und zwar aus dem Grund, weil bereits drei Monate nach In-Kraft-Treten der am 11. Juni 2003 beschlossenen Pensionsreform die katastrophalen Auswirkungen dieser „Pensionskürzungsreform“ erkennbar werden.

Lassen Sie mich kurz in Erinnerung rufen: Vor den Wahlen im November 2002, nach­dem die Erstauflage der ÖVP/FPÖ-Regierung gescheitert war, versprach Herr Bundes­kanzler Schüssel der Bevölkerung, dass in den nächsten Jahren bei den Pensionen keine Änderung notwendig sein wird. Das war allerdings vor den Wahlen!

Nach den Wahlen, als es eine Neuauflage der ÖVP/FPÖ-Regierung gab, sah das schon ganz anders aus! – Bereits im Frühjahr 2003 wurde der Bevölkerung von Seiten der Regierung mitgeteilt, dass eine entsprechende Reform auf Grund der demographi­schen Entwicklung und auf Grund der finanziellen Situation unbedingt erforderlich ist, und es wurde immer das Argument gebracht, dass eine so genannte Pensionssiche­rungsreform durchgeführt werden muss, damit auch für die jungen Menschen die Pensionen noch gesichert sind.

Faktum ist, dass beide Argumente nicht stimmen: Die Finanzierung der Pensionen war nicht gefährdet, sondern es ging ganz einfach um eine Geldbeschaffungsaktion der Bundesregierung, weil man Gelder für andere Aktivitäten frei bekommen musste. Ich erinnere an den Eurofighterankauf und so weiter. (Bundesrat Dr. Böhm: Das hat damit überhaupt nichts zu tun!) Ich frage mich, wo wir die 75 Millionen € für die Zwischen­finanzierung der F 5 jetzt hernehmen werden und ob da auch wieder Reformen not­wendig sein werden!

Wir meinen, dass auf jeden Fall die Finanzierbarkeit der Pensionen durch andere Maß­nahmen ohne weiteres möglich gewesen wäre, obwohl wir nicht in Abrede stellen, dass natürlich durch die verschiedenen Entwicklungen Reformschritte notwendig sind, aber nicht in der Form, wie sie stattgefunden haben, denn bereits im Begutachtungsentwurf, der im März ausgesendet wurde, waren die wirklich gravierenden Einschnitte erkenn­bar.

Der Vorschlag der Sozialpartner, bis Herbst ein gemeinsames Reformkonzept vorzu­legen, ist von Bundeskanzler Schüssel glattweg abgelehnt worden. Was darauf gefolgt ist, meine sehr geehrten Damen und Herren, können sich wahrscheinlich noch alle in Erinnerung rufen: Es gab die größten Streiks in Österreich seit 50 Jahren. Ich erinnere nur an die Demonstration am 13. Mai, bei welcher über 250 000 Menschen bei Hagel, Sturm und Regen auf die Straße gegangen sind und ihre Sorgen und ihren Unmut kundgetan haben.

Auf Vermittlung des Herrn Bundespräsidenten kam es dann zu Gesprächen am Run­den Tisch. Bei diesen Gesprächen war es dann möglich, einige Abänderungen herbei­zuführen. (Zwischenruf des Bundesrates Hagen.) Ja! Auch ich muss lobend erwähnen, dass der Herr Minister – und damals noch Vizekanzler – Haupt die Initiative ergriffen hat und zum Herrn Bundespräsidenten gegangen ist und ersucht hat, da vermittelnd einzugreifen. (Bundesrat Dr. Böhm: Richtig!) Bei diesen Gesprächen konnten, wie ge­sagt, zwar einige Änderungen, wie zum Beispiel die Verlängerung der Übergangsfris­ten, die Verlustdeckelung oder die Errichtung des Härtefonds, bewirkt werden, in der Substanz hat diese Pensionsreform aber unserer Meinung nach nicht an Grauslichkeit verloren. Alle Argumente der Sozialpartner, diese Pensionsreform nicht überfallsartig durchzuziehen, sondern in Ruhe ein soziales und für alle Bevölkerungsgruppen gleiches Pensionsmodell zu erarbeiten, das auch wirklich für die Zukunft aufgebaut ist


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und der Bevölkerung und vor allem der Jugend wieder Vertrauen in das System gibt, wurden von Seiten der Regierung in den Wind geschlagen.

Das Argument der Regierung lautete, es könne nicht bis zum Sankt-Nimmerleins-Tag verhandelt werden und man habe keine Zeit zum Warten, diese Reform müsse als so genannter erster Schritt sofort durchgeführt werden, und in einem zweiten Schritt werde man dann bis Ende des Jahres 2003 die Harmonisierung der Systeme herbei­führen.

Ich betone – und ich bitte Sie, sich das Datum zu merken –, dass die Regierung ver­sprach, dass das bis Ende des Jahres 2003 der Fall sein werde.

Rund um die Beschlussfassung dieser Pensionsreform beziehungsweise Pensions­sicherungsreform, wie sie die Regierung nennt, garantierten der Herr Bundeskanzler und der Herr Minister, damals noch Vizekanzler, in Hochglanzfoldern der Bevölkerung, dass die maximalen Verluste auf 10 Prozent begrenzt sein werden. Es wurde gesagt, dass in den ersten Jahren die Frauen zirka 3 Prozent und die Männer zirka 5 Prozent Verluste haben werden.

Meine sehr geehrten Damen und Herren! Die Wahrheit – das wissen wir heute alle – sieht anders aus. Wie ich bereits am Beginn meiner Ausführungen gesagt habe, haben ArbeitnehmerInnen, die seit ihrem 15. Lebensjahr gearbeitet haben und heuer in Pen­sion gehen, bereits einen Verlust von 10 Prozent. Dieser Verlust wird sich im Jahr 2005 auf voraussichtlich 11,1 Prozent erhöhen, weil natürlich für Neupensionisten die Pen­sionsanpassung im nächsten Jahr ausgesetzt wird. Sie finden in der Unterlage einige Beispiele, ich zitiere nur eines davon:

„Peter Dworak, Großhandelsverkäufer für Fleisch und Wurst, wird heuer am 3. April 60 Jahre alt. Er hat mehr als 45 Beitragsjahre zur Pension. Sein Arbeitsleben war nie unterbrochen durch Arbeitslosigkeit oder längere Krankenstände. Dadurch kann er am 1. Mai bereits mit 60 Jahren in Pension gehen.“

Trotzdem verliert dieser Mann, der 45 Jahre im Berufsleben gestanden ist, 194 € brutto im Monat. – Es gibt da noch viele, viele andere Beispiele. (Bundesrat Dr. Kühnel: Er könnte ja auch länger arbeiten! – Bundesrat Konecny: Unerhört! – Lebhafte Zwischen­rufe bei der SPÖ.)

Herr Kollege, sagen Sie das nicht hier in diesem Raum, sondern den Menschen drau­ßen! (Beifall bei der SPÖ.) Sagen Sie das einem Mann, der 45 Jahre lang gearbeitet hat! (Bravorufe und Beifall bei der SPÖ.)

Lieber Herr Kollege, sagen Sie das nicht uns hier, denn wir brauchen uns jetzt nicht gegenseitig die Emotionen hochzuschaukeln, sondern sagen Sie das den Menschen draußen! Die Menschen haben ohnehin Ihren Zugang zur Sozialpolitik bereits erkannt, wie wir es bei den letzten Wahlen gesehen haben! (Beifall und Bravorufe bei der SPÖ.)

Dass das keine Einzelfälle sind, beweisen die Berechnungen der Arbeiterkammer: Bereits heuer wird das rund 7 000 Männer in genau derselben Dimension betreffen.

Meine sehr geehrten Damen und Herren! Aber nicht nur die Männer sind betroffen, sondern für viele Frauen bedeutet diese Pensionsreform den direkten Weg in die Armutsfalle. Auch wenn Frau Bundesministerin Rauch-Kallat und Frau Staatssekretärin Haubner die Maßnahme, dass zwei Jahre Kindererziehungszeiten als Beitragszeit gelten, die Erhöhung der Bemessungsgrundlage bei den Kindererziehungszeiten sowie die Reduktion der Ausdehnung des Bemessungszeitraumes um drei Jahre pro Kind als Meilensteine der Sozialpolitik verkaufen (Bundesrat Dr. Böhm: Das sind sie auch!), so ändert das nichts an den massiven Einschnitten!


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Die 24 Monate pensionsbegründender Kindererziehungszeiten gelten nur für Geburten ab dem Jahr 2002, weil es erst von diesem Zeitpunkt an das Kinderbetreuungsgeld gibt. Das heißt, die Wirkung dieser Maßnahme wird erst in zirka 30 Jahren erkennbar sein!

Die Bewertung der Kindererziehungszeiten soll von 2004 bis 2028 pro Jahr um zwei Prozent erhöht werden, bis im Endausbau, im Jahr 2028, der Wert der Kindererzie­hungszeiten bei 150 Prozent des Ausgleichszulagenrichtsatzes angelangt ist. Durch die langsame Anhebung wird die derzeit niedrige Bewertung der Kindererziehungszei­ten auf viele Jahre fortgeschrieben. Durch die Senkung des Steigerungsbetrages von zwei auf 1,78 Prozent verlieren Kindererziehungszeiten in den Jahren zwischen 2004 und 2009 sogar an Wert! Erst ab 2010 ist wieder eine geringe Steigerung erkennbar.

Aber auch nach dem Endausbau, wenn diese 150 Prozent der Ausgleichszulage erreicht sein wird, werden Kindererziehungszeiten noch immer wesentlich niedriger be­wertet werden als Präsenzdienstzeiten. Die Regierung hat immer nachdrücklich betont, dass sie sehr frauenfreundlich agiert und sehr viele Maßnahmen für Frauen setzt. Im Hinblick darauf muss mir jemand erklären – wobei ich jetzt die männlichen Kollegen, die diesen Dienst leisten, nicht abwerten will! –, wieso Präsenzdienst besser bewertet wird als die Aufgabe der Kindererziehung beziehungsweise die Zeit, die für die Betreu­ung des Kindes in Anspruch genommen wird. Das konnte mir bis jetzt noch niemand erklären! Angesichts dieser Maßnahmen wird die Öffnung der Schere zwischen den Einkommen der Männer und Frauen, die ohnehin stets vorhanden ist, stetig größer.

Es sind generell massive Kürzungen in diesem Pensionskonzept enthalten, wie etwa die Senkung des Steigerungsbetrages, die Anhebung des Durchrechnungszeitraumes im Endausbau auf 40 Jahre, der sich wiederum für Frauen ganz besonders gravierend auswirkt, weil Frauen bekannterweise einen variablen Erwerbsverlauf haben und meist einer kontinuierlichen Berufstätigkeit nicht nachgehen können, weil sie durch Betreu­ungspflichten Berufsunterbrechungen haben. Weiters zu erwähnen wäre die Erhöhung der Abschläge bei früherem Pensionsantritt von 3 auf 4,2 Prozent. Angesichts dieser massiven Kürzungen werden Frauen, die ohnehin – wie ich schon erwähnt habe – ein niedrigeres beziehungsweise sehr niedriges Einkommen haben, wirklich in die Armuts­falle gedrängt.

Meine sehr geehrten Damen und Herren! Eines der Themen, das hier auch sehr häufig diskutiert wurde, ist das Thema der Schwerarbeit. Verschiedene Mitglieder der Re­gierungsparteien – mir fällt jetzt spontan Herr Walch ein – haben immer wieder die Meldung von sich gegeben, dass die Schwerarbeiter durch die Pensionsreform kaum betroffen sind, weil für sie eine Sonderregelung geschaffen wird. – Meines Wissens gibt es noch keine wirkliche Regelung! Meines Wissens gibt es nur Diskussionen über eine Schwerarbeiterregelung, und wenn die Vorschläge, die bis jetzt zur Diskussion standen, umgesetzt werden, dann bedeutet das nichts Gutes, denn dann können wir jeder einzelnen Schwerarbeiterin und jedem einzelnen Schwerarbeiter locker die Hand geben und werden davon nicht überfordert sein, weil keine große Anzahl davon betrof­fen sein wird!

Meine sehr verehrten Damen und Herren! Ich glaube, dass jeder in diesem Raum weiß, dass nur wenige Frauen und Männer, die in wirklicher Schwerarbeit stehen, 45 beziehungsweise 40 Beitragsjahre erreichen, also bis zum 60. oder bis zum 55. Le­bensjahr arbeiten können, weil, wie bekannt ist, gerade in jenen Bereichen, in welchen Schwerarbeit geleistet wird, die Menschen doch öfter krank sind. Außerdem kommt es in vielen Branchen mit Schwerarbeit, zum Beispiel in der Baubranche, aber auch in vielen anderen Bereichen, auf Grund von – auch saisonbedingter – Arbeitslosigkeit häufiger zu Unterbrechungen. Wenn dann noch zusätzlich erschwerend für die Gebur­tenjahrgänge ab 1947 bei Männern beziehungsweise ab 1952 bei Frauen die Auflage


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hinzukommt, dass mehr als die Hälfte der 45 beziehungsweise 40 Beitragsjahre Schwerarbeit sein müssen, dann wird sich die Zahl der Personen, die unter diese Regelung fallen, noch einmal drastisch reduzieren!

Interessant wird für uns auch sein, wie die Festlegung der Berufsgruppen, die unter den Titel Schwerarbeit fallen, aussehen wird. – Ich spreche jetzt zugegebenermaßen eine Vermutung aus, Herr Minister, aber Sie können mich eines Besseren belehren, das würde mich in diesem Fall sogar freuen! Ich befürchte jedenfalls, dass diese Liste genau jene Branchen umfassen wird, in welchen spezifisch und schwerpunktmäßig Männern arbeiten, und dass die Frauen, die in diesem Land auch sehr viel Schwer­arbeit leisten, wahrscheinlich in dieser Festlegung wieder zu wenig berücksichtigt und somit nicht unter die Schwerarbeiterregelung fallen werden.

Was aber aus unserer Sicht überhaupt nicht zu akzeptieren ist, das ist die Tatsache, dass Menschen, die Schwerarbeit geleistet haben, auch noch mit Abschlägen zu rech­nen haben.

Meine sehr geehrten Damen und Herren! Welche Auswirkungen der Wegfall der vor­zeitigen Alterspension bei Arbeitslosigkeit oder wegen Erwerbsminderung auf die Men­schen hatte, das merken wir mittlerweile, und zwar ganz einfach an der zunehmend steigenden Zahl der Arbeitslosen. Wir haben jetzt einen Höchststand der Zahl der Arbeitslosen in unserem Land zu verzeichnen. (Bundesrat Wolfinger: In Wien!) Nicht nur in Wien, Herr Kollege! (Neuerlicher Zwischenruf des Bundesrates Wolfinger.) Ich weiß schon, dass Ihnen das am liebsten wäre! Aber, Herr Kollege, glauben Sie mir: Dem Menschen, der davon betroffen ist, ist es piepegal, ob er in Wien oder in Nieder­österreich oder in einem anderen Bundesland lebt, er ist ganz einfach davon betroffen! (Zwischenruf des Bundesrates Dr. Spiegelfeld-Schneeburg.)

Der Bund und wir sind gefordert, eine Politik zu machen, damit Menschen nicht arbeits­los werden, sondern Arbeit finden! (Zwischenruf des Bundesrates Dr. Kühnel.) Dann würden auch solche Probleme – zum Beispiel im Pensionssystem –, wie sie sich jetzt abzeichnen, bei weitem nicht in diesem Ausmaß entstehen.

Es ist in Anbetracht dessen, dass Maßnahmen überfallsartig gesetzt werden und Men­schen davon betroffen sind und in Arbeitslosigkeit fallen, schon interessant zu hören, dass Herr Abgeordneter Schnell behauptet, dass er sein Mandat nicht zurücklegen kann, weil er dann ja in die Arbeitslosigkeit gehen müsste! – Er würde dann eben das Schicksal mit vielen anderen teilen. Darüber machen wir uns hier natürlich keine Sorgen. Sorgen machen wir uns nur dann, wenn wir selbst betroffen sind!

Meine sehr geehrten Damen und Herren! Diese Regierung hat all diese Verschlechte­rungen – und ich bin bei weitem nicht auf alles eingegangen – völlig bewusst in einer Härte durchgezogen, die nach Vergleichen sucht; wir sind ja mittlerweile schon einiges gewöhnt!

Diese Regierung hat dadurch die bereits vorhandenen Unterschiede in den einzelnen Pensionssystemen zu Lasten der ASVG-Versicherten noch vergrößert. Wenn diese Regierung jemals die Absicht hatte – ich persönlich glaube es nicht und bin da wahr­scheinlich nicht die Einzige –, die Systeme zu harmonisieren, dann hat sie mit dieser Pensionskürzungsreform genau das Gegenteil erreicht: Die Ungerechtigkeiten sind zunehmend größer geworden.

Die versprochene Harmonisierung bis Ende 2003 ist ausständig, wir haben mittlerweile März 2004. Es gab eine Menge an Runden Tischen ohne erkennbares Ergebnis. (Zwi­schenrufe bei der ÖVP.) Warten Sie, Herr Kollege, es kommt schon, nur nicht unge­duldig werden! – Da werden ... (Bundesrat Dr. Kühnel: Sitzen Sie auch am Runden Tisch?) Nein, aber mein Chef sitzt am Runden Tisch, ich bin bestens informiert, Herr


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Kollege, Sie brauchen sich keine Sorgen zu machen. (Bundesrat Dr. Kühnel: ... mit Ihrem Chef?) Das würde man gern als solches bezeichnen. (Bundesrat Dr. Kühnel: Der würde dann alles rückgängig machen, Ihr Chef!)

Da werden immer wieder neue Berechnungen verlangt und durchgeführt, wobei ich sehr erfreut darüber bin, dass berechnet wird – wir werden ja heute bei einem Tages­ordnungspunkt noch darüber reden, worüber im Vorfeld eigentlich überhaupt keine Be­rechnungen angestellt wurden –, das ist auch legitim, weil die Materie sehr kompliziert ist, und es ist gut, wenn genau berechnet wird, aber wenn sich das ständig wiederholt, dann endet es fast schon in einem Spiel und wird unglaubwürdig.

Da werden in der Öffentlichkeit und in der Diskussion Stimmen laut, dass diese Harmo­nisierung eigentlich nicht durchführbar sei, weil sie Unsummen verschlingen würde, und da wird auch gesagt, dass so eine Harmonisierung nicht unter Zeitdruck gemacht werden könne und solle. Die Harmonisierung solle ja etwas Gescheites werden, und da käme es auf ein paar Monate mehr oder weniger eigentlich nicht an.

Herr Bundesminister, da bin ich ganz Ihrer Meinung, da kann ich Sie voll unterstützen! (Bundesrat Dr. Kühnel: Seien Sie dankbar, dass er hinter Ihnen ist!) – Das weiß ich nicht, ob er dankbar ist, ich bin trotzdem eigenmächtig hinter ihm. (Bundesrat Reisen­berger – in Richtung des Bundesrates Dr. Kühnel –: Könnten Sie sich ein bisschen zu­rückhalten? Wäre angenehm!) – Doch genau diese Argumente, Herr Bundesminister, wollte diese Regierung im Jahr 2003 von den Sozialpartnern nicht hören. (Bundesrat Konecny: Ja, genau!) Jetzt frage ich Sie: Sind die ASVG-Versicherten Menschen zweiter Klasse für die Regierung? Gilt für die ASVG-Versicherten nicht dieselbe Sorg­falt und dieselbe Rücksichtnahme?

Meine sehr geehrten Damen und Herren! Wir Sozialdemokraten behaupten: Ja, es müssen alle Menschen – egal, in welchem System sie beschäftigt sind und zu wel­chem System sie gehören – gleich behandelt werden. Deshalb fordern wir die Regie­rung auf, die Pensionsreform von 2003 rückgängig zu machen, eine Harmonisierung der Systeme herbeizuführen und eine sozial gerechte Lösung für alle Gruppen zu fin­den! (Beifall bei der SPÖ und den Grünen.)

16.22

 


Vizepräsidentin Anna Elisabeth Haselbach: Zur Beantwortung der Dringlichen An­frage hat sich der Herr Bundesminister für soziale Sicherheit, Generationen und Kon­sumentenschutz zu Wort gemeldet. – Bitte, Herr Bundesminister.

 


16.23

Bundesminister für soziale Sicherheit, Generationen und Konsumentenschutz Mag. Herbert Haupt: Frau Präsidentin! Sehr geehrte Damen und Herren! Ich möchte nunmehr auf die Dringliche Anfrage und auf den Redebeitrag der Frau Kollegin ein­gehen.

Sehr geehrte Damen und Herren! Die Bundesregierung hat die Pensionssicherungsre­form 2003 durchgeführt. Jeder, der die Forderung erhebt, die Pensionssicherungsre­form 2003 aufzuheben, sollte auch wissen, dass er damit die Jugend in diesem Staate, die – wie Sie es richtigerweise angesprochen haben, Frau Kollegin – zu einem großen Teil nicht mehr glaubt, dass sie Pensionen bekommen wird, zusätzlich massiv belastet. (Bundesrätin Bachner: So ist es, dank dieser Regierung! – Bundesrat Binna: Weil Sie das Geld ...! – Weitere Zwischenrufe bei der SPÖ.)

Ohne die Pensionssicherungsreform (Bundesrat Binna: Das haben ja Sie verur­sacht!) – und diese Tafel von der Vorarlberger Arbeiterkammer, bis zum Jahr 2006, werden ja gerade Sie auch als Mitglieder der Vertretungen der Arbeitnehmer kennen – würde dies nicht nur eine Differenz von 1 Milliarde € im Jahr 2006, sondern steigend


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eine Differenz von 1,35 Milliarden im Jahr 2010, von 4 Milliarden im Jahr 2015, von 5,4 Milliarden im Jahr 2020 und von 8 Milliarden im Jahr 2025 bedeuten. Es wäre also die junge Generation und jene Generation, die in Arbeit steht, um diese Summen zusätzlich zu belasten, um die Pensionen in der derzeitigen Höhe und Form der Pen­sionsreform 2003 zu gewährleisten.

Frau Kollegin! Selbstverständlich kann man die Budgetmittel in einem Staat sehr unter­schiedlich einsetzen. (Bundesrat Winter: Ja! Abfangjäger!) Diese Bundesregierung weiß – und die Demoskopie ist ja auch Ihnen, sehr geehrte Damen und Herren des Bundesrates, bekannt –, dass die Gesundheitskosten und die Pflegekosten in den nächsten Jahren exorbitant steigen werden, dass in diesem Bereich zusätzliche Mittel und Mitteleinsatz für einen sozialen Ausgleich aller Bevölkerungsschichten notwendig wird und dass es daher dringend notwendig ist, diese Mittel heute schon anzudenken und freizumachen.

Ich hätte mir gewünscht (Bundesrat Binna: Kaufen wir keine Abfangjäger, dann geht es sich aus!), Herr Kollege, dass die sozialdemokratisch geführte Regierung im Jahr 1995 bei den für 2007 auf dem Tisch liegenden Zahlen die Rürup-Reform nicht nur so minimal in die Praxis umgesetzt hätte. Sonst hätten die Einsparungsziele, die diese Bundesregierung jetzt einzuhalten hat, geringer ausfallen können.

Jeder, der glaubt, dass er im Hinblick auf die derzeit laufende Legislaturperiode den jungen Menschen in diesem Lande etwas Gutes tut, wenn er die Pensionsreform um ein Jahr, um ein zweites, ein drittes und ein viertes Jahr hinausschiebt, handelt meiner Ansicht nach primär fahrlässig gegenüber der jungen Generation in diesem Staat, aber er schädigt damit, weil dann das Sozialsystem irgendwann einmal am Ende angelangt sein wird, auch die in Pension befindlichen und knapp vor der Pension stehenden Generationen.

Sehr geehrte Frau Kollegin, ich bin Ihnen dankbar dafür, dass Sie auch meine Be­mühungen um einen Konsens im Vorfeld der Pensionsreform 2003 angesprochen haben. Ich möchte Sie aber insofern korrigieren: Nachdem die Sozialpartner innerhalb Ihrer Fraktion im Parlament und die Abgeordneten Ihrer Partei und auch die der anderen Oppositionsfraktion nicht zugestimmt haben, haben schlussendlich diejenigen die Verbesserungen und die 10-prozentige Deckelung eingebracht, die sie auch zur Beschlussfassung gebracht und durchgesetzt haben. Meiner Meinung nach ist es so – und das gehört selbstverständlich zu einem parlamentarischen System –, dass jene etwas durchgesetzt haben, die es mit der Beschlussfassung auch parlamentarisch abgesichert haben, und nicht jene, die sich am Verhandlungstisch und dann auch im Parlament nicht in der Lage gesehen haben, dem zuzustimmen.

Sie haben mir dankenswerterweise darin zugestimmt, dass eine Harmonisierung der Pensionssysteme eine Angelegenheit ist, die wohl durchdacht und wohl berechnet sein soll und auch für die Zukunft auf einer sicheren verfassungsmäßigen Basis stehen soll, um endlich wieder allen Generationen ein Vertrauen zum österreichischen Sozial- und Pensionssystem zu geben.

Sie haben mein Lieblingsdatum – ich sage das bewusst so – für die Umsetzung der Harmonisierung genannt: Ende Dezember. Das ist leider nicht eingetreten. Aber ich darf Sie auch darauf hinweisen, dass an den Runden Tischen die Sozialpartner ihr ge­meinsames Modell bis heute ebenfalls nicht vorgelegt haben. (Bundesrätin Bachner: Stimmt ja nicht!)

Nein, die Sozialpartner haben es nicht vorgelegt! Die Sozialpartner sind nicht aus­schließlich die Arbeiterkammer, die Sozialpartner sind nicht ausschließlich die Sozial­demokratische Partei, sondern nach meinem Dafürhalten – und ich habe noch nie eine andere Definition gehört in diesem Hohen Haus, dem ich im Nationalrat immerhin auch


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16 Jahre angehören durfte – sind die Sozialpartner alle: die Arbeitnehmervertreter, die Vertreter der Wirtschaft und die Vertreter der entsprechenden Präsidentenkonferenz. (Beifall bei den Freiheitlichen und der ÖVP.)

Ich bitte daher in aller Form, auch hier bei dem zu bleiben, was der Terminus technicus in diesem Hause war, und nicht zu sagen, dass man dann, wenn man sich selbst und sein Hochglanzmodell meint, das Modell einer durchdachten und durchgerechneten Pensionsreform meint.

Ich sage so wertfrei auch Folgendes, weil ich im Rahmen dieser Runden Tische selbst­verständlich auch mit den Vertretern verschiedenster Organisationen und Institutionen und mit Experten zu sprechen gehabt habe und mir ihre Zahlen und Berechnungen angesehen habe: Es ist sehr vieles an diesen Berechnungen davon abhängig, welche Bevölkerungsentwicklung und welche Wirtschaftsentwicklung der Staat Österreich neh­men wird. Es sind dies daher mit Sicherheit keine fixen Zahlen, sondern Schätzungen, die nach den jeweils entwickelten Szenarien mehr oder weniger Wahrscheinlichkeit haben, dass die Rahmenbedingungen so sind, damit aber auch das Grundgerüst sicher ist. Ich bin für meinen Teil und für meine Fraktion daran interessiert, dass wir eine Harmonisierung des Pensionssystems durchführen, die über Jahrzehnte hält, ver­fassungskonform ist und endlich wieder für alle Generationen das Vertrauen zum Sozi­alsystem des Staates Österreich gewährleistet.

Ich habe seinerzeit die Einführung des Nettopensionsanpassungssystems für verfehlt erachtet. Sie werden mir darin Recht geben, Frau Kollegin, und ich weiß ja auch, dass es im Umfeld der Diskussionen von den Pensionistenvertretungen sowohl des Gewerk­schaftsbundes als auch der sozialdemokratischen Fraktion immer wieder Kritik an dem 1993 eingeführten Nettopensionsanpassungssystem gegeben hat, weil dieses System außer für einige Mathematiker in diesem Staat für niemanden logisch und vollständig nachvollziehbar ist. Ich glaube, ein Sozialsystem und ein Sozialrecht ist nur dann gut, wenn es auch für breite Bevölkerungskreise tatsächlich nachvollziehbar und erklärbar ist.

Sehr geehrte Damen und Herren! Ich glaube auch, dass die Harmonisierung des Pen­sionssystems innerhalb der Sozialpartner und der Regierungs-Diskussionsrunde vor­anschreitet. Wir haben uns 26 Arbeitspunkte vorgenommen, die abgearbeitet werden. Davon sind derzeit 50 Prozent auf Expertenebene im Konsens, die restlichen sind im Teilkonsens oder noch offen. Ich sage das deswegen wertfrei, weil bei den verschie­denen Berechnungsvarianten jeweils unterschiedliche Annahmen – vorsichtigere und weniger vorsichtige, weniger Zuwanderung oder mehr Zuwanderung – über die Bevöl­kerungsentwicklung in Österreich zugrunde gelegt worden sind.

Ich möchte, da Sie hier Kritik an den vielen Berechnungen üben, nicht verhehlen, dass der Großteil der Forderungen, Berechnungen anzustellen, von der Sozialpartnerseite der Arbeitnehmervertreter gekommen ist. Das bringe ich nicht als negatives Beispiel in diese Diskussion ein, aber wenn Sie hier meinen, dass all diese Berechnungen von der Bundesregierung veranlasst worden sind, dann irren Sie. Ich halte es für durchaus vernünftig, dass die Arbeitnehmerseite für ihre politischen Beratungen sehr viele unter­schiedliche Szenarien berechnet wissen will, und sehe darin nichts Negatives, bitte gleichzeitig aber auch Sie, diese Berechnungen dann nicht der Bundesregierung in die Schuhe zu schieben oder in der Öffentlichkeit negativ darzustellen (Bundesrätin Bach­ner: Stimmen sollten sie endlich!), wie es oftmals bei Wahlveranstaltungen geschieht, wie es in Zeiten von Arbeiterkammerwahlen üblich ist und in Broschüren zum Ausdruck gebracht wird.

Ich glaube, wir alle könnten uns in diesem gesamten System leichter tun, wenn wir uns in der Frage einig sind, dass die Reform des Pensionssystems und dessen langfristige


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Absicherung eine der wichtigsten Aufgaben dieses Staates ist, um das soziale Österreich zu gewährleisten und zu erhalten.

Sehr geehrte Damen und Herren! Sie haben auch das Problem mit dem Frühpensions­modell angesprochen. Ich bin sehr zufrieden damit, dass Arbeitnehmervertreter, Arbeit­gebervertreter, Sozialmediziner, das Sozialmedizinische Zentrum, Sozialmediziner von großen und kleinen Betrieben sowie die AUVA mit ihrem gesamten Know-how sich die Mühe gemacht haben, die Datenlage sämtlicher österreichischer Berufe, die in der Be­rufstafel enthalten sind, aufzuarbeiten und nach mehreren Kriterien zu bewerten, nach ihrer gesundheitlichen Belastung und auch nach ihren gesundheitlichen Auswirkungen auf die Arbeitswelt. Wir alle sind übereingekommen, dass in diesen Arbeitsfeldern Schwerarbeit, Nachtarbeit, Schichtarbeit und psychische Belastungen zusätzliche Kri­terien sind, die den Grunddaten jedes Berufes als besonders berücksichtigungswürdig hinzuzufügen sind.

Ich habe in meinem Hause einen Rohentwurf vorgelegt, der von Seiten der Sozialpart­ner – um das wertfrei zu sagen – nicht angenommen worden ist. Ich bin daher nun­mehr in jener Phase, die ich im Parlament schon mehrfach angekündigt habe: dass wir mit der AUVA in den zehn gesundheitlich schlechtesten Arbeitsbezirken Österreichs Nachuntersuchungen in jenen Betrieben machen, aus denen uns kein aktuelles Datenmaterial über die Auswirkungen in der Arbeitswelt vorliegt. Mitte März beginnt die AUVA mit diesen Untersuchungen im Bau und Baunebengewerbe in Oberösterreich, im Bezirk Perg, der, was die gesundheitlichen Daten im Bereich Rückenerkrankungen, Erkrankungen des Schultergürtels, Erkrankungen der Knie und der Gelenke betrifft, der schlechteste Arbeitsbezirk Österreichs ist. Dann soll es in den Arbeitsbezirken Völker­markt und Hermagor in Kärnten, die ähnlich schlechte Daten aufweisen, weitergehen. Wir erwarten uns davon Aufschluss über Daten aus jenen Betrieben, die arbeitsmedi­zinisch nicht voll betreut sind, um auch in diesem Bereich schneller weiterzukommen.

Ich darf darauf hinweisen, dass der Zeithorizont, den der Gesetzgeber für die Umset­zung der Schwerarbeiterregelung vorgegeben hat, der 1. Jänner 2007 ist. Ich habe immer schon gesagt, ich werde mich bemühen, dieses Datum nach Möglichkeit zu unterschreiten und mit dieser Verordnung zur Schwerarbeiterregelung möglichst früh ins Parlament zu kommen, weil ich glaube, dass es gerade für jene Menschen, die sich aus gesundheitlichen Gründen auf dem Arbeitsmarkt schwer tun, die aber so gesund sind, dass sie nicht in das Modell der Invaliditätspension fallen, besonders schwierig ist, sodass für jene Personen die Möglichkeit, vorzeitig in Pension zu gehen, wenn sie auf dem Arbeitsmarkt schlechte oder gar keine Chancen haben, von Seiten der Bun­desregierung und von mir im Besonderen gesehen wird.

Ich darf im Gegensatz zu den Informationen, die jetzt in manchen Broschüren ausge­sendet worden sind, für mich und meine Fraktion klar sagen, dass eigene Regelungen für den Exekutivdienst auch für mich immer ein Anliegen waren und ich sie noch nie auch nur einen Tag blockiert habe, sondern mich – im Gegenteil! – ständig bemühen werde, die Besonderheiten dieses Dienstes in besonderer Form einfließen zu lassen. (Beifall bei den Freiheitlichen.)

All das, was Sie derzeit in Wahlbroschüren lesen, entbehrt jeder Grundlage. Ich werde mich auch über meine Arbeitnehmervertreter und -vertretungen auf der politischen Ebene durchaus zu wehren wissen, um dem entgegenzutreten, was mir in völlig unkor­rekter Weise in die Schuhe geschoben wird.

Sehr geehrte Frau Bundesrätin, dass das Bau- und Baunebengewerbe für mich ein besonders wichtiger Bereich ist, wird Ihnen auch der aus Spittal a. d. Drau kommende Bundesrat Ihrer Fraktion gerne bestätigen. Es gibt keinen anderen Bezirk in Österreich, in dem das Bau- und Baunebengewerbe eine so große Bedeutung hat wie im Bezirk


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Spittal a. d. Drau, aus dem ich komme und von dem ich genau weiß, dass gerade für diese Arbeitskräfte Schwerarbeiterregelungen dringend notwendig sind. Hier bin ich auch mit dem Obmann der Gewerkschaft Bau-Holz, Driemer, einer Meinung, dass die „Hackler-Regelung“ noch nie für das Bau- und Baunebengewerbe gegolten hat. Daher ist es Zeit, diesen Bereich mit dem Schwerarbeitermodell für Bau- und Baunebenge­werbe-Arbeiter endlich zu öffnen. (Bundesrat Konecny: Ja, Sie brauchen uns eh nicht zu überzeugen!)

Sehr geehrte Damen und Herren! Man sollte auch nicht vergessen – aber das wird hier immer wieder vergessen –, dass das Sozialsystem in Österreich eine Vorgeschichte hat. Die Nichtanrechenbarkeit oder die Höhe der Anrechenbarkeit der Bundesheerzei­ten im Verhältnis zu den Karenzzeiten hat, wenn ich es richtig im Kopf habe, bei den Pensionsreformen in diesem Parlament bis zur Mitte der neunziger Jahre niemanden sehr stark bewegt. Es war das damals kein Thema. Erst diese Bundesregierung hat mit der Verbesserung der Anrechnungszeiten für Familienleistungen hier einen Stein be­wegt, damit die Bundesheerzeiten auch dort, wo es um verlängerten Präsenzdienst geht, endlich fairer angerechnet werden, als sie in der Vergangenheit angerechnet wurden, als auf Grund der unglückseligen Regelungen für Zeitsoldaten aus den Jah­ren 1995, 1987 Tausende österreichische Arbeitnehmer um ihre Vordienstzeiten umge­fallen sind.

Ich glaube, dass diese Bundesregierung sehr viel in Gang gesetzt hat, um soziale Fair­ness walten zu lassen, und dass das nicht so einfach zu sehen ist.

Sehr geehrte Frau Bundesrätin! Weil Sie die Beamten angesprochen haben, mache ich Sie auch darauf aufmerksam, dass etwa der Durchrechnungszeitraum für Beamte in der Zeit, in der diese Bundesregierung die Pensionsreform umgesetzt hat, dreimal so schnell umgesetzt wird wie in jener Zeit, als Sie in der Verantwortung waren. Das zeigt sich, wenn ich mir die Pensionsreform 1997 anschaue und die dortige Steigerung der Durchrechnungszeiten für Beamte mit der heutigen Steigerungstabelle der Durchrech­nungszeiten für Beamte vergleiche.

Da Sie, Frau Abgeordnete, auf sichere, verfassungsgemäße Übergangsfristen Wert gelegt haben, meine ich, Sie sollten keinen Unterschied zwischen Arbeitnehmern im Bundesbereich und Arbeitnehmern außerhalb des Bundesbereiches machen. (Bundes­rätin Bachner: Eh nicht! Nur bei den anderen hat man es nicht gemacht!) Denn der Verfassungsschutz, sehr geehrte Frau Abgeordnete, sollte für alle Staatsbürger glei­chermaßen gelten und nicht unterschiedlich releviert werden! (Bundesrätin Bachner: Ja, genau das hätten wir gern! – Bundesrat Konecny: Das fordern wir von Ihnen! – Bundesrätin Bachner: Das fordern wir!)

Herr Professor! Ich bin nicht dafür verantwortlich, dass sich hier ein Beamtendienst­recht und ein Ruhegenussbezugsrecht über mehr als fünf Jahrzehnte der Zweiten Republik entwickelt hat, dem im Übrigen meine Fraktion in sehr vielen Jahren sehr kritisch gegenübergestanden ist, wobei sie durchaus andere Facetten der Entwicklung gesehen hat. Was sich über fünf Jahrzehnte entwickelt hat, kann auch unter verfas­sungsmäßigem Schutz nicht von einem Tag auf den anderen zurückgedreht werden. (Bundesrat Konecny: Aber beim ASVG schon! – Bundesrätin Bachner: ... wäre gut!) Aber ich bin der gleichen Meinung wie Sie, Frau Bundesrätin, dass ein Beitrags-Euro mit der Harmonisierung auch in einen Leistungs-Euro umgewandelt werden soll, und diese meine Bemühungen sind unverrückbar. (Beifall bei den Freiheitlichen.)

Ich meine, dass man beim Vergleichen mehr Fairness walten lassen sollte, wenn man sich etwa die Höhe der zur Auszahlung kommenden Pensionen im bäuerlichen Bereich und die dortige Relation vor Augen hält, dass nämlich ein heute aktiver Bauer 1,023 Pensionisten zu erhalten hat, während in anderen Pensionsbereichen das Ver-


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hältnis noch zwischen 1 : 600 und 1 : 700 schwankt und diese Mehrbelastung daher zu Pensionshöhen führt, bei der gerade Sie, die Sie sich immer zu Recht der Armuts­bekämpfung in diesem Land angenommen haben, mir sagen werden, so wie das auch meine Meinung ist, dass die zur Auszahlung gelangende Pension wirklich zum Leben zu wenig und zum Sterben gerade zu viel ist. Es ist nicht möglich, mit Renten von 2 800, 3 400, 5 000 S auszukommen. (Bundesrätin Bachner: Das gilt aber auch für ASVG-PensionistInnen!)

Für den ASVG-Bereich darf ich klar hinzufügen, dass dort das Gleiche gilt, dass Bezie­her kleiner, unterhalb der Ausgleichzulage gelegener Pensionen die Ausgleichszulage bekommen. Zur Steigerung der Klarheit darf ich hinzufügen, dass den kleinen Pensio­nen, die unterhalb der Ausgleichzulage liegen, auch geringe Beitragszahlungen und kleine Verdienste beziehungsweise vielmehr kleine Bemessungsgrundlagen gegen­überstehen. Nicht in jedem Beruf und zu jeder Zeit entspricht die Bemessungsgrund­lage für die Pensionsversicherung auch dem Bruttoverdienst. Wir wissen ja auch aus den Verhandlungsrunden der Kollektivvertragspartner, dass es hier immer ein Span­nungsfeld gegeben hat: Auf der einen Seite sollte den jungen Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern in den Betrieben, solange sie jung sind, möglichst viel netto auf die Hand gegeben werden, um Gründung der Existenz, Familiengründung und Hausbau zu ermöglichen. Sehr viele in dieser Altersgruppe haben aber nicht daran gedacht, dass hohe Zulagen ohne Pensionsbeiträge auf der anderen Seite die Konsequenz geringer Pensionsleistungen haben würden.

Aus meinem Bereich: Typische Bauarbeiter haben über Jahre mit Zulagen 40 000, 45 000, 50 000 S pro Monat brutto verdient und haben dabei nur eine Bemessungs­grundlage von 18 000 oder 19 000 S gehabt. Entsprechend dieser Bemessungsgrund­lage bekommenen sie heute im Verhältnis zu ihrem seinerzeitigen Lebensstandard nur eine sehr bescheidene Pension und verstehen diesen Staat und oftmals auch ihre Ver­treter in den Kollektivvertragsverhandlungen, die für sie damals diese Kollektivverträge ausverhandelt haben, nicht mehr.

Ich meine daher, dass einseitige Schuldzuweisungen zur Vergangenheit, zur Zukunft und von heute auf morgen uns in dieser Debatte nicht weiter bringen, sondern dass es uns weiterbringt, den Weg zu beschreiten, den ich auch nach den Demonstrationen beschritten habe, nämlich den Weg des Dialogs. Auf diesem Weg des Dialogs mit den Sozialpartnern werde und will ich auch sehr viel Zeit und auch Arbeitsleistung meines Hauses investieren, um allen faire Entscheidungsgrundlagen zu geben.

Aber ich gebe Ihnen auch Recht, Frau Bundesrat, dass sehr viele Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer gerade im ASVG-Bereich hart darauf warten, dass die Harmonisie­rung kommt. In diesem Bereich ist auch sehr vieles an Vorarbeit geschehen, und nicht jede Berechnung – wie ich das schon ausgeführt habe – ist eo ipso eine Berechnung zum Zweck der Zeitverzögerung. Ich behandle alle Seiten gleich. Jeder will die unter­schiedlichen Szenarien, die Entwicklung der Wirtschaft und der Demographie, die die Entwicklung der nationalen und internationalen Rahmenbedingungen vorschreiben, ordentlich abgeschätzt haben, ehe er so ein großes Werk, das über Jahrzehnte halten soll, auf den Weg schickt.

Ich darf nunmehr zu den einzelnen Fragen kommen und die Frage 1 wie folgt beant­worten:

Grundsätzlich ist anzumerken, dass die Pensionsminderungen mit 10 Prozent begrenzt sind. Berechnungen des Bundesministeriums für Soziales und Generationen, die auf Daten der Pensionsneuzugänge 2001 bis 2003 beruhen, haben einen prognostizierten durchschnittlichen Pensionsverlust von 3 Prozent bei den Frauen beziehungsweise von 6 Prozent bei den Männern ergeben. Eine abschließende Aussage über die tatsäch-


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lichen Pensionsminderungen kann derzeit noch nicht getätigt werden, da noch kaum Personen nach der neuen Rechtslage in Pension gegangen sind. Eine endgültige und umfassende Aussage wird sicherlich erst nach Vollendung des Jahres 2004 möglich sein.

Zu bemerken ist weiters, dass bei den Frauen eine nicht unerhebliche Anzahl von der neuen Rechtslage bereits jetzt schon profitiert haben, vor allem bei Inanspruchnahme von vorzeitigen Alterspensionen bei langer Versicherungsdauer und Kindererziehungs­zeiten.

Die Frage der Pensionsverluste bei den Beamten ist an das Bundeskanzleramt zu richten, und ich bitte, das dort zu machen, weil ich bekanntermaßen für das Beamten­dienstrecht und die dortigen Pensionen nicht zuständig bin.

Zur Frage 2:

Die Bestimmungen über die Pensionsberechnung auf Grund der Pensionsreform 2003 beruhen auf keinem Versehen. Sie gehen vielfach von der Annahme aus, dass wenige Versicherte mit 45 Versicherungsjahren bei Vollendung des 65. Lebensjahres einen Anspruch auf 80 Prozent der Bemessungsgrundlage haben. Wer vor dem Regelpen­sionsalter in Pension geht, hat mit Abschlägen zu rechnen. Ein Abschlagsystem wurde übrigens bereits im Sozialrechts-Änderungsgesetz 1997 auch von Ihnen eingeführt.

Es wurde allerdings durch die Pensionsreform 2003 noch erhöht. Gleichermaßen wurde aber auch der Zuschlag bei einer späteren Inanspruchnahme der Pension ange­hoben. Wir haben eine Verlustdeckelung mit 10 Prozent in den Verhandlungen durch­gesetzt, und die Erhöhung bei längerer Arbeitstätigkeit ermöglicht erstmalig auch den Menschen, die länger arbeiten, nicht nur Pensionsbeiträge zu zahlen, sondern dann sukzessive auch mehr Pension zu bekommen, was eine Anforderung war, die gerade Frauen, die etwa mit 58 oder 59 Jahren geschieden worden sind, 10 Jahre gearbeitet haben und sich ihre sonstigen Sozialleistungen nach dem alten Sozialsystem abkaufen haben lassen, das erste Mal die Möglichkeit gibt, auch eine Eigenpension zu erreichen und nicht immer und ausschließlich auf der untersten Stufe des Sozialsystems stehen zu müssen. (Bundesrätin Bachner: Dazu müssten sie aber erst einmal einen Arbeits­platz finden!)

Zur Frage 3:

Ich verweise auf das Fragerecht an den Herrn Bundeskanzler und darf Sie ersuchen, sich an das verfassungsmäßig zuständige Organ zu wenden. (Bundesrat Konecny: Hat er die Zahlen aus Ihrem Ressort?) Sehr geehrter Herr Klubobmann! Sie wissen ganz genau, was das Ministeriengesetz vorschreibt, und Sie wissen auch ganz ge­nau ... (Bundesrat Konecny: Die Frage ist: Haben Sie ihm die Zahlen geliefert, die er dort vorgelesen hat?) Herr Minister! (Heiterkeit bei der SPÖ und den Grünen.) Ent­schuldigung, so weit sind wir noch nicht! Ich habe ihm meines Wissens die Zahlen nicht geliefert, und was die restliche Fragestellung betrifft, bitte ich, ihn zu fragen, wo­her er die Zahlen hat, die er hier in die Diskussion gebracht hat. Aber das sollte auch klar sein.

Zur Frage 4:

Die Änderung bei der Pensionsberechnung wurde bewusst so vorgenommen, da es ansonsten zu einer verfassungsrechtlich unzulässigen Ungleichbehandlung zwischen Alters- und Invaliditätspensionisten gekommen wäre. Dessen ungeachtet ist die Be­hauptung, dass sehr viele männliche Invaliditätspensionisten Pensionskürzungen von 10 Prozent hinzunehmen haben, nach den mir vorliegenden Informationen falsch. Momentan kommt es bei weniger als 7 Prozent der Invaliditätspensionszuerkennungen zur Anwendung des 10-Prozent-Deckels, im Durchschnitt liegen die Verluste zwischen


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Null und 5 Prozent. Ich darf nochmals wiederholen: Nur bei 7 Prozent wird der Decke­lungsbetrag erreicht.

Zur Frage 5:

Im Jahre 2001 haben rund 5 000 Personen die so genannte Hackler-Regelung in An­spruch genommen, davon waren 4 200 Männer und 800 Frauen. Im Jahre 2002 haben 7 300 Personen profitiert, davon waren 5 700 Männer und 1 600 Frauen. Bezüglich der Aufteilung Arbeiter, Angestellte und Selbständige ergeben sich folgende Verhältniszah­len: Männer – rund 60 Prozent Angestellte, 25 Prozent Arbeiter, 15 Prozent, also der Rest Selbständige; bei den Frauen waren rund 72 Prozent Angestellte, 21 Prozent Arbeiterinnen und 7 Prozent Selbständige.

Die BVA hat uns für das darauf folgende Jahr 2003, weil die im BMSG noch nicht vorliegen, die Zahl von 7 873 übermittelt, davon 3 422 Männer und der Rest Frauen. Diese Zahlen sind aber bitte mit Vorsicht zu genießen, weil sie keine endgültigen Zah­len sind und mir telefonisch übermittelt worden sind. Die Zahlen der Jahre 2002 und 2001 sind Zahlen, die im BMSG schon offiziell vorliegen.

Zur Frage 6:

Im Hinblick auf die Zuständigkeit des Bundeskanzleramtes für den öffentlichen Dienst ist diese Frage an den Herrn Bundeskanzler zu richten.

Die Frage 7 kann erst beantwortet werden, wenn die Schwerarbeiterregelung endgültig in Kraft getreten ist. Für die Erlassung der Schwerarbeiterregelung hat mir der Gesetz­geber bekanntermaßen den 31. Dezember 2006 als letzten Termin und den Wirkungs­beginn mit 1. Jänner 2007 vorgegeben. Der erste Arbeitsentwurf meines Ressorts wurde, wie schon eingehend ausgeführt, von den Sozialpartnern in der vorliegenden Form nicht akzeptiert, sodass wir jetzt Nachuntersuchungen vornehmen, um zu einem Entwurf zu kommen, der von allen akzeptiert werden kann.

Zur Frage 8: Hier wird auf die Beantwortung der Frage 2 verwiesen.

Darüber hinaus möchte ich noch Folgendes feststellen: Es muss generell gesagt wer­den, dass durch die so genannte Langarbeitszeitregelung Frauen mehr profitieren als Männer. Weiters ist darauf hinzuweisen, dass die „Hackler-Regelung“ eine frühere In­anspruchnahme der Pension ermöglichen soll. Dies bedingt aber die Inkaufnahme von versicherungsmathematischen Abschlägen. Das Regelpensionsalter für Männer ist und bleibt das 65. Lebensjahr. Eine Korrektur dieser Regelung ist nicht erforderlich, zumal auch bestimmte Ersatzzeiten zugunsten dieser Langzeitversicherten als Beitragszeiten gelten.

Zur Frage 9:

Ich möchte bemerken, dass Ihre Angabe der Altersjahrgänge 1953 bis 1958 für mich legistisch nicht nachvollziehbar ist. Weiters verweise ich auf die Beantwortung der Frage 7. – Auch diese Frage kann erst beantwortet werden, wenn eine entsprechende Schwerarbeiterverordnung besteht. Im Übrigen lege ich Wert auf die Feststellung, dass die Frage der Schwerarbeiter-Regelung im Rahmen der Harmonisierung des Pensions­rechts für mich eine Sonderstellung einnimmt und dass es mein Bemühen ist, diese Schwerarbeiter-Regelung möglichst frühzeitig, auf jeden Fall vor den genannten, im Gesetz festgeschriebenen Terminen, dem Parlament und den Sozialpartnern zur Kenntnis zu bringen und in Kraft zu setzen.

Zur Frage 10:

Ich darf neuerlich darauf hinweisen, dass eine generelle Neuregelung der Berücksichti­gung von Schwerarbeit in der Pensionsversicherung Gegenstand von intensiven Ge­sprächen mit den Sozialpartnern ist.


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Die Frage 11 darf ich wie folgt beantworten:

Die aufgestellte Behauptung ist aus meiner Sicht falsch und schon allein aus berech­nungstechnischen Gründen für mich nicht nachvollziehbar. Weibliche Versicherte mit Kindern gehören tendenziell zum durch die Pensionsreform 2003 begünstigten Perso­nenkreis. Das ergibt sich aus Folgendem: Gerade für Frauen sieht die Pensionsreform zahlreiche Verbesserungen vor. So werden bei allen Kinder erziehenden Frauen pro Kind statt bisher 18 Monate 24 Monate beitragsbegründend bewertet. Eine besondere Bemessungsgrundlage für Kindererziehungszeiten wird in Teilschritten mit 2 Prozent Erhöhung pro Jahr auf 150 Prozent des Ausgleichszulagenrichtsatzes für Alleinste­hende angehoben. (Bundesrätin Bachner: Das wirkt sich erst in 100 Jahren aus!) Zeiten der Kindererziehung werden künftig die Durchrechnung zur Ermittlung der Be­messungsgrundlage im Ausmaß von drei Jahren pro Kind reduzieren. Ebenso sind Zeiten der Betreuung im Rahmen der Familienhospizkarenz aus der Durchrechnung herauszunehmen.

Zur Frage 12:

Der Härteausgleichsfonds wird im Rahmen der Privatwirtschaftsverwaltung auf Grund von mir erlassener Richtlinien abgewickelt. Ob Herr V. eine Zuwendung aus diesem Fonds erhalten kann, kann ich erst beurteilen, wenn ich seine sonstigen Einkommens­verhältnisse kenne. Ich rate ihm aber jedenfalls, einen Antrag bei der zuständigen Landesstelle des Bundessozialamtes zu stellen. Wenn er die Voraussetzungen erfüllt, erhält er eine Zuwendung.

Richtig ist, dass aus dem Fonds maximal eine Einmalzahlung von 1 500 € gegeben werden kann. Ich darf auch hinzufügen, dass es bei dem von der Arbeiterkammer publizierten Fall so ist, dass diese Person, wenn ich richtig informiert worden bin, über 38 Beitragsjahre verfügt. Das sollte man in der Diskussion auch berücksichtigen. (Bun­desrat Konecny: Nein!) – Mir ist die diesbezügliche Information so auf Grund der öffentlichen Darstellung zugegangen. (Bundesrätin Bachner: Da sind Sie nicht richtig informiert!)

Zur Frage 13, die lautet: „Ab welchem Jahr rechnen Sie damit, dass die Wertung von 2 Jahren Kindererziehungszeit als Beitragzeit ... erstmals bei einer größeren Zahl von Alterspensionen wirksam wird?“

Die Anrechnung von zwei Jahren Kindererziehungszeit als Beitragszeit gilt für Frauen, die gegenwärtig Kinder erziehen. Diese Frauen werden rund um das Jahr 2035 in Pension gehen – von Einzelfällen abgesehen. Diese Regelung wird in rund 30 Jahren voll wirksam werden. Das ist im Übrigen ja auch das, was Sie für diese Regelung als Detailregelung auch selbst festgestellt haben.

Zur Frage 14:

Die in Frage 13 genannte Maßnahme ist im Zusammenhang mit der Erhöhung der Bemessungsgrundlage für Zeiten der Kindererziehung zu sehen. In den kommenden 25 Jahren wird diese Bemessungsgrundlage um 2 Prozent erhöht, bis sie um 50 Pro­zent über dem gegenwärtigen Niveau liegt. Daher werden ab diesem Zeitpunkt auch die Pensionserhöhungen infolge der Anrechung der Zeiten der Kindererziehung um etwa 50 Prozent höher sein. Gegenwärtig erhöht sich die Pension von Neuzugängen bei Frauen um rund 60 € infolge der Anrechnung der Kindererziehungszeiten. Bei einer um 50 Prozent höheren Bemessungsgrundlage wäre daher die Erhöhung der Pension etwa 90 € pro Person.

Zur Frage 15:

Bei Beibehaltung der gegenwärtigen Zugangsvoraussetzungen von 15 Beitragsjahren für die Erfüllung der ewigen Anwartschaft ist in der Tat nicht damit zu rechnen, dass


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eine gravierende Zahl von zusätzlichen Pensionsansprüchen entstehen würde. Aller­dings ist die Anrechnung der Kindererziehungszeiten als Beitragszeiten im Rahmen des gegenwärtig diskutierten und von allen unterstützten individuellen Pensionskontos extrem wichtig, da bei einem derartigen Konto die Zugangsvoraussetzung von 15 Bei­tragsjahren kaum aufrecht bleiben könnte, sondern sie müsste vermutlich um die Fami­lienleistungszeiten verringert werden. In diesem Falle würden die Frauen sehr wohl von der Umwandlung der Kindererziehungszeiten von einer Ersatzzeit in eine Beitragszeit profitieren.

Zur Frage 16:

Diese Frage ist seitens meines Ressorts nicht beantwortbar, weil dafür keine ausrei­chenden Daten zur Verfügung stehen. Ich darf Sie darauf aufmerksam machen, dass die Daten erst mit Verzögerungen von Seiten der Pensionsversicherungsanstalten meinem Ministerium übermittelt werden und ich daher immer wieder auch auf Zwi­schendaten der Pensionsversicherungsanstalten angewiesen bin.

Zur Frage 17:

Da der 10-prozentige Deckel bei den Pensionskürzungen sowohl die Minderung bei der Bemessungsgrundlage als auch beim Steigerungsbetrag auffangen muss, werden nach Ablauf der Übergangsfrist ab dem Jahre 2009 nur sehr wenige Frauen eine Pensionskürzung von weniger als 10 Prozent aufweisen. (Bundesrat Konecny: Das ist richtig!) Diese Aussage bezieht sich allerdings nur auf das derzeitige Antrittsverhalten.

Sehr geehrte Frau Kollegin, Sie können bereits sehen, dass sich das Pensionsantritts­verhalten in den letzten Monaten deutlich geändert hat und gerade auch die Zahl der Arbeitslosen über 60 Jahre deutlich im Sinken begriffen ist; die Prognosen für diese Jahre lauten bereits: Arbeitskräftemangel. (Bundesrätin Bachner: In welchem Land? – Bundesrat Konecny: Märchenstunde!)

Da aber gleichzeitig auch das Antrittsalter für die vorzeitige Alterspension bei langer Versicherungsdauer von gegenwärtig 56,5 auf 60 Jahre angehoben wird, werden alle künftigen Neuzugänge später in Pension gehen und somit auch mehr Versicherungs­zeiten aufweisen. Letzteres wird insbesondere bei Frauen zu einer höheren Pension führen, als sie bei Beibehaltung des gegenwärtigen Antrittsverhaltens bekommen wür­den.

Ich darf Sie auf die von Ihnen gemachten Ausführungen und jene der Arbeiterkammer hinweisen, die eine Erstreckung des Pensionsmodells 2003 auf spätere Jahre verlangt hat, weil erst ab den Jahren 2009 eine Erholung des Arbeitsmarktes und ab 2012 ein eindeutiger Mangel an Arbeitskräften in den Prognosen zu sehen ist. – Ich meine, die Daten, die für Sie gelten, sollten, auch wenn sie die Bundesregierung verwendet, nicht Anlass für Gelächter sein.

Zur Frage 18:

Dies wird ab dem Jahre 2009 der Fall sein.

Zur Frage 19:

Kurzfristig kann es tatsächlich der Fall sein, dass die Kindererziehungszeiten trotz Anhebung der Bemessungsgrundlagen infolge der fallenden Steigerungsprozente weniger wert wären als bisher. Allerdings ist diese Aussage zu relativieren, weil die Pensionsverluste mit 10 Prozent gedeckelt sind und daher die Absenkung des Steige­rungsbetrages, die Ausdehnung des Bemessungszeitraums und die Änderung bei der Anrechnung der Kindererziehungszeiten als Ganzes zu sehen sind und auch als Gesamtes zu beurteilen sein werden.


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Zur Frage 20:

Wenn es nach mir geht, so schnell wie möglich. Ich verweise auf die Verhandlungen zwischen Regierung und Sozialpartnern.

Zur Frage 21:

Ich bevorzuge nach wie vor eine Regelung, die zu einem bestimmten Stichtag alle Versicherten in ein faires und gerechtes Pensionssystem überführt. Ich darf im Übrigen aber auch darauf hinweisen, dass sich neben den laufenden Verhandlungen alle bewusst sind, dass dieses System in den Übergangsfristen auch verfassungskonform sein muss.

Zur Frage 22: Nein.

Frage 23 ist in folgender Weise zu beantworten:

Ich verweise auf das Fragerecht an den Herrn Bundeskanzler.

Zur Frage 24:

Der Bundesbeitrag zum ASVG wird im Jahre 2007 auf 1,6 Prozent des BIP absinken, und die Gesamtaufwendungen werden angesichts der heutigen Wirtschaftsdaten ver­mutlich sukzessive auf 8,8 Prozent absinken, das sind 630 Millionen €. Der Bundesbei­trag wird allerdings im Jahre 2010 um 0,1, im Jahre 2015 um 0,3, im Jahre 2020 um 0,4 und im Jahre 2025 um 0,6 Prozent des BIP verringert werden. Insgesamt soll damit aber auch für Pflege- und Gesundheitsleistungen Raum geschaffen werden. (Vizeprä­sident Mag. Himmer übernimmt den Vorsitz.)

Zur Frage 25:

Die Novelle enthält eine Fülle von Übergangsbestimmungen, durch die der Vertrauens­schutz entsprechend der verfassungsrechtlichen Judikatur gesichert ist: die Durchrech­nung bis zum Jahr 2028, vorzeitige Alterspension bis zum Jahr 2017, Senkung des Steigerungsbetrages bis zum Jahr 2008.

Zur Frage 26:

Die Sonderregelungen im Bereich des öffentlichen Dienstes sind dienstgeberseitig Vor­ruhestandsmodelle, wie sie auch in weiten Teilen der Privatwirtschaft üblich sind, und berühren das gesetzliche Pensionsanfallsalter nicht. Die Hinaufsetzung des Pensions­anfallsalters erfolgt im öffentlichen Dienst in gleicher Weise wie im Bereich der Pen­sionsversicherung. Die Anhebung des Anfallsalters für vorzeitige Alterspensionen er­folgt etappenweise, wobei vorzeitige Alterspensionen bis zum Jahre 2017 möglich sind.

Für Beamte ist das Tempo der Steigerung des Pensionsalters gegenüber der Re­form 1997, wie eingangs ausgeführt, deutlich gesteigert worden und beträgt nunmehr vier Monate statt einem Monat im Jahr.

Zur Frage 27:

Ein flexibler früherer Pensionsantritt ist im Regierungsprogramm unter dem Titel „Mit­tel- und langfristige Maßnahmen“ verzeichnet. Demnach soll erst nach dem Auslaufen der Frühpensionen beziehungsweise parallel dazu bei langer Versicherungsdauer und der Verlängerung der Durchrechnungszeiträume die Möglichkeit für einen früheren Pensionseintritt nach schwedischem Beispiel geschaffen werden.

Darüber hinaus wird darauf verwiesen, dass an der Invaliditätspension nicht gerüttelt wurde, sondern dass im Gegenteil sogar, wie die statistischen Zahlen beweisen, für Versicherte ohne Berufsschutz der Zugang zur Invaliditätspension verbessert wurde.


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Das frühere Regelpensionsalter für Frauen ist im Übrigen auch verfassungsmäßig bis zum Jahre 2018 und mit den Übergangsregelungen bis zum Jahre 2033 gesichert.

Ich darf Ihnen für Ihre Aufmerksamkeit danken. (Beifall bei den Freiheitlichen und der ÖVP.)

17.02

 


Vizepräsident Mag. Harald Himmer: Zu Wort gemeldet ist Herr Bundesrat Kraml. – Bitte, Herr Bundesrat.

Gestatten Sie, dass ich noch darauf aufmerksam mache, dass gemäß § 61 Abs. 7 der Geschäftsordnung die Redezeit eines jeden Bundesrates mit insgesamt 20 Minuten begrenzt ist.

 


17.02

Bundesrat Johann Kraml (SPÖ, Oberösterreich): Herr Präsident! Herr Bundesminis­ter! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Einen Satz aus der Beantwortung des Herrn Bundesministers: Diese Bundesregierung hat sehr viel in Gang gesetzt. – Da gebe ich Ihnen Recht.

Gestern wurde zum Beispiel im „Standard“ eine Umfrage präsentiert, woraus hervor­geht, dass drei von vier Jugendlichen nicht mehr daran glauben, dass sie im Alter ein­mal eine Pension bekommen werden. Und da steht dann wörtlich: „Vom Staat ist nichts mehr zu erwarten – abgesehen von leeren Versprechungen seiner Repräsentanten“, heißt ein Kernsatz dieser Studie. – Das haben Sie alles in Gang gesetzt. (Beifall bei der SPÖ. – Bundesrat Konecny: Das haben Sie zu verantworten!)

Aus der von Ihnen beschlossenen Pensionssicherungsreform, wie Sie sie nennen, ist für die jungen Menschen eine Pensionsverunsicherungsreform geworden, und bei den Älteren ist es einfach ein Pensionsraub, der da stattfindet. Sie, meine Damen und Herren von der Regierungskoalition, haben es geschafft, alle zu verunsichern. Seit Mo­naten wird von Ihnen getäuscht, getarnt, Unsicherheit erzeugt und auch Unwissenheit verbreitet.

In unserer heutigen Dringlichen Anfrage sind eine Reihe von Beispielen angeführt, die alle mit einem enden, nämlich mit einem satten Pensionsverlust für die Betroffenen. Und dann hören wir immer, dass das alles nicht stimmt. Das sagen Sie immer wieder. Deshalb frage ich Sie: Warum bringen Sie, wenn all diese Beispiele nicht stimmen, kein Beispiel, das Ihrer Meinung nach stimmt? Ich sage es Ihnen: weil Sie kein solches Beispiel finden werden, weil es diese Beispiele einfach nicht gibt. (Bundesrat Fa­sching – eine Zeitung in die Höhe haltend –: Haben Sie das auch gelesen?)

Tatsache ist nämlich, dass es zu 10 Prozent Pensionskürzungen kommt, und zwar schon ab Februar 2004. Sie haben immer wieder gesagt, dass es bei den Männern maximal 5 Prozent und bei den Frauen 3 Prozent sind. Jetzt sehen wir aber, dass es 10 Prozent und noch mehr sind. Das zeigen die Bescheide von 2004. Ich weiß nicht, was dann noch stimmt, wenn ein Bescheid, ein Pensionsbescheid der Pensionsver­sicherungsanstalt schon nicht mehr stimmen soll.

Meine Damen und Herren! Es ist ein unwürdiges Schauspiel, das Sie hier abziehen, und es zeugt von einer Kaltschnäuzigkeit sondergleichen, unwürdig für alle, die ein Leben lang hart gearbeitet haben und deren Existenz Ihnen eigentlich egal ist. Sie geben auch den jungen Menschen keine Perspektive. Ich sage Ihnen, das ist soziale Kälte, die Sie da an den Tag legen.

Wer die Zeitungen gelesen hat – ich habe auch Zeitungen gelesen, Herr Kollege Fa­sching –, weiß, dass Wirtschaftskammerpräsident Leitl von „Pleiten, Pech und Pannen“ spricht. Der jetzt abgewählte Landeshauptmann Schausberger spricht von einer „wider-


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sinnigen Pensionsreform“ (Bundesrat Konecny: Recht hat er ausnahmsweise!), und der Exgeneralsekretär der Industriellenvereinigung Krejci spricht von „Rotzigkeit der ÖVP-Spitzen“. (Bundesrat Konecny: Reden Sie mit dem Krejci, wenn Sie dem Kraml nicht glauben!) All das steht in den Zeitungen, das habe ich nicht erfunden. (Beifall bei der SPÖ. – Zwischenrufe bei der ÖVP.) Herr Kollege Fasching, Sie können ja nach­lesen, das steht ja drinnen. Fragen Sie Herrn Krejci. (Anhaltende Zwischenrufe bei der ÖVP. – Bundesrat Reisenberger – in Richtung ÖVP –: Sie verwechseln das Thema, Herr Kollege!)

Meine Damen und Herren! Bei den ersten Pensionsbescheiden, die im Jänner von der Pensionsversicherungsanstalt ausgeschickt worden sind, hat es dann bei rund 1,6 Millionen Pensionistinnen und Pensionisten die große Ernüchterung gegeben. Nicht mehr Pension, auch nicht gleich viel Pension, sondern einfach weniger Pension ist da draufgestanden – und das nennen Sie dann Pensionssicherungsreform.

Ich erinnere mich auch noch zurück, was es da alles geheißen hat. Da hat es ge­heißen: keine Verschlechterung bei den Pensionen unter 1 000 €, Kleinpensionen ge­schützt, Nachteilausgleich für die Schwächsten. Und dann hat Staatssekretärin Haub­ner anlässlich der Beschlussfassung des Gesetzestextes im Budgetausschuss auch noch davon gesprochen: Wir haben für die Bezieherinnen und Bezieher von kleinen Pensionen ein umfassendes Maßnahmenpaket geschnürt. Es beinhaltet eine Besser­stellung gegenüber der derzeitigen Rechtslage und bewahrt dadurch gerade diese Personengruppe vor Verschlechterungen.

Wo sind wir jetzt, meine Damen und Herren? Als all diese Argumentationen dann nicht mehr zu halten waren, ist der Bundeskanzler auf den Plan getreten und hat in seiner unnachahmlich „feinen“ und „gefühlvollen“ Art verkündet, dass die Erhöhung des Kran­kenversicherungsbeitrages sehr wohl gerecht sei, weil ja schließlich unsere älteren Mit­bürgerinnen und Mitbürger auch öfter krank sind und daher natürlich mehr Leistungen aus den Versicherungstöpfen in Anspruch nehmen müssen. Einfach ausgedrückt hat der Herr Bundeskanzler gesagt (Bundesrat Konecny: Zahlt euch das selber!): Selber schuld! Wenn sie so oft krank sind, müssen sie eben mehr zahlen. Aus! Pasta! – Und genau das ist die Kaltschnäuzigkeit, von der ich immer wieder gesprochen habe. (Zwi­schenrufe bei der ÖVP.) Herr Kollege Baier, Sie arbeiten ja in einer geschützten Werk­stätte, Sie brauchen sich da nicht so aufzuregen. (Heiterkeit bei der SPÖ.) Von Arbeits­losigkeit sind Sie ja nicht betroffen, wenn ich Sie nur daran erinnern darf. Bei dem, was wir hier diskutieren, geht es um etwas ganz anderes. (Bundesrat Schennach: Wieso ist er in einer geschützten Werkstätte?)

Meine Damen und Herren! Da hat es dann auch eine Aussage der Frau Staatssekretär Haubner und der Frau Bundesminister Rauch-Kallat gegeben; das war im ORF – ich glaube, die Sendung „Report“ war es –, da ist es auch um die Causa Erhöhung des Krankenversicherungsbeitrages gegangen, und wenn das Thema nicht so ernst ge­wesen wäre, dann hätte es einen eigentlich erheitern können. Die Quintessenz beider Aussagen war nämlich: Wir haben uns das nicht ausrechnen können, wir haben uns da auf unsere Experten verlassen. Und im Übrigen, hat dann die Frau Staatssekretärin gesagt, gebe es ja den Härtefonds, der das noch regeln könne.

Herr Bundesminister, kaufen Sie einen Taschenrechner in Ihrem Ministerium, geben Sie ihn der Frau Staatssekretär oder der Frau Bundesminister Rauch-Kallat, dann können sie sich das ausrechnen, wenn es im Kopf schon nicht mehr geht! (Heiterkeit und Beifall bei der SPÖ sowie Beifall des Bundesrates Schennach. – Bundesrätin Giesinger: Das war jetzt aber schon sehr polemisch! – Ironische Heiterkeit bei der SPÖ und den Grünen. – Bundesrat Konecny: Na geh! – Bundesrat Reisenberger: Das tut aber weh! – Weitere Zwischenrufe bei der SPÖ.)


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In dieser Situation, meine Damen und Herren, gibt es die Geld verteilenden Landes­fürsten – wir haben es heute schon gehört; Kollege Gumplmaier hat schon davon ge­sprochen –, die durch das Land ziehen, Geld verschenken, Geld hergeben, das vorher von der Bundesregierung den Pensionistinnen und Pensionisten genommen worden ist, das muss man ja auch einmal sagen. Und dann erwarten Sie vom Bürger und von der Bürgerin Dankbarkeit, wenn sie wieder etwas zurückbekommen von dem, was ihnen vorher genommen worden ist.

Meine Damen und Herren! Sie haben mit der Pensionssicherungsreform in Wahrheit das im Grunde genommen gut funktionierende Pensionssystem zerschlagen. Sie treiben die Menschen in diesem Land in die Armutsfalle. (Zwischenruf des Bundes­rates Fasching.)

Die heutigen Argumente zu unserer Dringlichen Anfrage bestärken mich in meiner Meinung. Der Herr Bundesminister hat lange und umfassend geantwortet, allerdings nicht auf die von uns gestellten Fragen (Bundesrat Konecny: So ist es!), sondern hat uns hier irgendetwas erzählt. (Bundesrat Fasching: So wie Sie, Herr Kollege!)

Meine Damen und Herren! Ich beschäftige mich nicht mit Statistiken und sonstigen Zahlen, Fakt ist aber, dass immer mehr ältere Menschen von der Arbeitslosigkeit oder vom Notstand aus in die Pension gehen müssen. Nach einem harten und entbehrungs­reichen Arbeitsleben die letzten Jahre als Arbeitsloser oder als Notstandshilfebezieher fristen zu müssen, ist nicht unbedingt eine positive Lebensaussicht, und arbeiten bis zum Umfallen, das kann auch nicht die Lebensphilosophie sein.

Wenn es das ist, was Sie haben wollen, meine Damen und Herren, dann müssen Sie das den älteren Menschen in diesem Land auch sagen.

Fakt ist auch, dass die Jugend keine Perspektiven in diesem System sieht. Bezüglich Ihres Credos, die zweite Säule aufzubauen, diese so genannte private Vorsorge, wissen wir auch, wie unsicher der Kapitalmarkt in den letzten Jahren war, und alle, die Privatpensionen haben, wissen auch, wie viel Minus es jedes Jahr gegeben hat. (Bun­desrat Baier: Gehen Sie doch auch auf die Zukunft ein!) Wenn Sie das wollen, dann müssen Sie das den Jugendlichen auch sagen.

Fakt ist ebenso, dass gerade die Frauen die Leidtragenden dieser Reform sind, weil zum niedrigen Lebenseinkommen auch noch eine Pension kommen wird, die zum Leben nicht reichen wird. Aber wie argumentieren Sie da immer? – Es gibt ja den Härtefonds. Dieser Härtefonds ist vielleicht ein Tropfen auf den heißen Stein. Ich gebe zu, Herr Bundesminister, er ist besser, als wenn es gar nichts gäbe, aber er gleicht bei weiten nicht das aus, was den Leuten alles genommen wird.

Wenn Sie all das wollen, dann müssen Sie das auch den Frauen in diesem Lande sagen.

Fakt ist ebenso, dass auch bestehende Pensionen von den Kürzungen betroffen sind. Auch hier haben Sie den Betroffenen die Wahrheit verschwiegen. Professor Tomandl war dann ehrlich im Fernsehinterview. Er hat gesagt: Ja, das hat die Regierung wollen, und die Regierung hat auch gewusst, um wie viel es weniger wird. (Bundesrat Konec­ny: Oh! – Bundesrätin Bachner: Das hat die Regierung gewusst?) Das ist es. Das ist ein wahres Wort, und das würde ich mir auch von Ihnen ab und zu wünschen, nämlich dass Sie das sagen, was Sie wirklich wollen. (Bundesrat Wolfinger: In bestehende Pensionen wurde nicht eingegriffen! – Ironische Heiterkeit bei der SPÖ und den Grü­nen. – Bundesrätin Bachner: Das ist der Witz des Tages!)

Herr Kollege, das gibt es ja nicht, dass Sie das nicht wissen. Es macht mich ganz traurig, wenn Sie das nicht wissen. Sie als Seniorenvertreter im Lande Oberösterreich müssten das schon wissen. (Bundesrat Schennach: Das stimmt nur für die Bauern!)


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Meine Damen und Herren! Da geht es künftig um 1,5 Monatspensionen im Jahr, die da weniger sind, oder in Summe gesehen um 232 Millionen € ab dem Jahr 2005. Das ist ja kein Klacks mehr, das ist ja viel Geld, meine Damen und Herren! (Bundesrat Fasching: Wovon kommt es her?) Da kann der Härtefonds nicht mehr helfen. Dieses Geld ist einfach weg. Das haben die Leute nicht mehr zum Leben.

All das wollen Sie, denn das hat Herr Professor Tomandl gesagt. Das werden jetzt wir den Pensionistinnen und Pensionisten sagen, da verlassen wir uns jetzt nicht mehr auf Sie! (Beifall bei der SPÖ und den Grünen.)

Die schwarz-blaue Bundesregierung ist seit dem Jahr 2000 im Amt. Seit damals hat es eine ganze Reihe von Kürzungen gegeben, zum Beispiel die Abschaffung der vorzei­tigen Alterspension bei Arbeitslosigkeit ohne Übergangsfrist, die Abschaffung der vor­zeitigen Alterspension bei langer Versicherungsdauer, rückwirkende Senkung der Pen­sionsprozente für alle erworbenen Jahre von 2 Prozent auf 1,78 Prozent, Erhöhung der Pensionsabschläge bei Pensionsantritt vor dem 65. beziehungsweise vor dem 60. Le­bensjahr, Ausweitung des Bemessungszeitraumes von 15 auf 40 Jahre im Zeitraum von 2004 bis 2028, Verschlechterung der so genannten Hackler-Regelung. In diesem Zusammenhang habe ich heute einiges gehört, dass da noch nichts auf dem Tisch liegt, zumindest gefällt das, was auf dem Tisch liegt, den Sozialpartnern nicht, wobei ich meine, dass die Sozialpartner es doch ein bisschen besser wissen, wie das mit den Schwerarbeitern so ist.

Es gibt auch eine kleine positive Sache – ich sage, es ist eine Kosmetik –, und zwar die höhere Bewertung der Kindererziehungszeiten um 2 Prozent. Weiters gibt es eine Verbesserung beim Ausgleichszulagenrichtsatz für Ehepaare, und dann gibt es den Verlustdeckel zur Schadensbegrenzung.

Also acht volle Kürzungen und daneben ein bisschen Kosmetik, eine kleine Verbesse­rung und eine Schadensbegrenzung, das ist es, was die Bundesregierung in den letzten Jahren beschlossen hat.

Herr Bundesminister, da Sie heute auch schon den Generationenkonflikt angespro­chen haben: Diesen Generationenkonflikt hat nicht die Opposition angeheizt, das war die Bundesregierung, das waren Abgeordnete aus den Regierungsparteien. (Ruf bei der SPÖ: Frau Fuhrmann!) Ja, danke. Ich erinnere mich an Frau Fuhrmann, an die 10-€-Wurstsemmeln, die es da gegeben hat. (Zwischenruf des Bundesrates Fasching.) Ich frage mich ja, Herr Kollege, wo Frau Fuhrmann diese Wurstsemmeln eingekauft hat. (Bundesrat Konecny: Ich nehme an, im „Schwarzen Kameel“! – Weitere Zwi­schenrufe bei SPÖ und ÖVP.) Sie muss sie entweder beim Meinl am Graben einge­kauft haben oder sonst irgendwo, denn wenn sie nämlich zum Billa geschaut hätte, dann hätte sie für diese 10 € 17 Wurstsemmeln bekommen. Sie hätte also wesentlich günstiger einkaufen können. (Beifall bei der SPÖ.)

Aber wieder zurück, meine Damen und Herren! Wir in Oberösterreich haben ja das Pensions-Volksbegehren initiiert, und wir haben uns natürlich auch Gedanken ge­macht, was mit diesen 10 € ist, ob diese 10 € weniger eigentlich etwas wert sind oder ob das nichts wert ist, ob man sich darum etwas kaufen kann, ob man mehr bekommt als diese drei Wurstsemmeln – das wissen wir, man bekommt 17 Wurstsemmeln, das stimmt schon. Aber es gibt den so genannten Mikrowarenkorb, und wir haben uns die Mühe gemacht, einkaufen zu gehen, und haben geschaut, was wir für diese 10 € be­kommen: ein Kilogramm Spiralnudeln, Herr Bundesminister, ein Stück Seife, damit man sich auch waschen kann, 15 Dekagramm Faschiertes, einen halben Liter Butter­milch, zwei Bananen, ein Kilogramm Mehl, zehn Semmeln, ein Packerl Tee, einen Viertelliter Rahm, ein Viertelkilogramm Topfen, zehn Eier, 400 Gramm Sauerkraut, zwei Kilogramm Erdäpfel, einen Liter Milch und zwei Äpfel. (Bundesrat Fasching: Herr


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Kollege, wo haben Sie da eingekauft? – Ruf bei der ÖVP: Das geht sich aber nicht aus! – Weitere Zwischenrufe bei der ÖVP und den Freiheitlichen.) 9,94 €! 9,94 €! Das können Sie darum einkaufen, und davon kann eine Pensionistin einige Tage leben. (Anhaltende Zwischenrufe bei der ÖVP.) Da müsste Ihnen etwas Besseres einfallen. (Weitere Zwischenrufe bei der ÖVP.)

Meine Damen und Herren! Das wollen wir nicht. Was wir wollen, meine Damen und Herren, steht ganz genau im Text des Volksbegehrens, das vom 22. bis 29. März statt­findet.

Erstens: Wir wollen eine gerechte Pension, wir wollen gerechte Pensionen für alle, und das durch eine langfristige Harmonisierung der Pensionssysteme. (Bundesrat Ing. Hal­ler: Für wie lange? Für ein Jahr oder für zehn Jahre?) Da sind Sie gewaltig im Verzug, weil Sie da Ihre Klientel schützen: die Beamten, die Gewerbetreibenden, die Landwirte. (Zwischenruf bei der ÖVP.) Ja, Herr Kollege, auch die Beamten. Ich bin kein Beamter. (Bundesrat Mag. Gudenus: Herr Kollege, sagen Sie dazu, wie das finanziert werden soll!)

Meine Damen und Herren! Bei den ASVG-Versicherten haben Sie keinen Genierer gehabt. Aus! Drübergefahren! Basta! Kaltschnäuzig, sage ich Ihnen. (Anhaltende Zwi­schenrufe bei der ÖVP und den Freiheitlichen.)

Zweitens: Wir wollen eine langfristige Absicherung der Finanzierbarkeit unseres Pen­sionssystems.

Drittens: Wir wollen ein klares Bekenntnis zum Generationenvertrag und zum umlage­finanzierten Pensionssystem. Das umfasst auch eine Weiterentwicklung und Sicherung unseres weltweit anerkannten staatlichen Pensionssystems.

Viertens: Wir wollen die Beachtung des Vertrauensgrundsatzes durch Wahrung erwor­bener Pensionsansprüche und somit keine überfallsartigen Verschlechterungen und Kürzungen der Pensionen, so wie wir das derzeit erleben.

Fünftens: Wir wollen eine Sicherung des Lebensstandards im Alter und keine Pensio­nisten und Pensionistinnen, die zu Almosenempfängern oder Bittstellern degradiert werden.

Sechstens: Wir wollen eine Berücksichtigung des Arbeitsmarktes bei der Gestaltung des Pensionsantrittsalters. Das heißt, es muss bei Vorliegen von langen Versiche­rungszeiten und wenn kein Arbeitsplatz mehr gefunden werden kann, auch die Mög­lichkeit geben, in Pension zu gehen, und zwar vorzeitig.

Siebentens: Wir wollen auch keine Verlagerung der Altersvorsorge in den spekulativen Kapitalmarkt. Das habe ich ja schon angesprochen. (Bundesrätin Giesinger: Wie finanzieren Sie das? – Bundesrat Dr. Kühnel: Sie führen Österreich in den Staats­bankrott!)

Meine Damen und Herren! Herr Kollege Kühnel! Das ist genau das, was wir wollen! (Neuerliche Zwischenrufe bei der ÖVP.) Wir wollen ein Pensionssystem, das gerecht ist. Wir wollen kein Pensionssystem, das ungerecht ist und das Unsicherheit bedeutet. Wir wollen kein Pensionssystem, das als Armutsfalle bezeichnet werden kann! (Bravo­rufe bei der SPÖ. – Beifall bei der SPÖ und den Grünen.) Meine Damen und Herren! Genau dafür werden wir uns mit aller Kraft einsetzen! (Beifall bei der SPÖ und den Grünen. – Bundesrätin Giesinger: Sagen Sie, wie Sie das finanzieren! Forderungen stellen, aber keine Finanzierung dabei!)

17.20

 


Vizepräsident Mag. Harald Himmer: Zu Wort gemeldet ist Herr Bundesrat Saller. – Bitte.

 



Bundesrat
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706. Sitzung / Seite 133

17.21

Bundesrat Josef Saller (ÖVP, Salzburg): Herr Präsident! Herr Bundesminister! Sehr geehrte Damen und Herren! Als die demographischen Veränderungen und die Folgen für die Finanzierbarkeit der sozialen Systeme erkennbar waren, wurde gehandelt. Es bestand Handlungsbedarf. Man hatte das sowieso schon viel zu lange aufgeschoben. (Bundesrat Dr. Böhm: Viel zu lange!) Österreich ist halt keine „Insel der Seligen“, und wir stecken den Kopf nicht in den Sand.

Während man uns in anderen Ländern wie zum Beispiel in Deutschland um unser Pen­sionssicherungssystem beneidet, versucht die Opposition, durch das ständige Wieder­holen von haltlosen Behauptungen alles schlecht zu machen. (Beifall bei der ÖVP und den Freiheitlichen.)

Es ist nicht dienlich, in dieser Frage mit Polemik zu agieren. Das Thema eignet sich ebenso wenig für die Führung von Landtagswahlkämpfen. Die ältere Generation weiß ganz genau zwischen Tatsachen und Propaganda zu unterscheiden. (Bundesrat Ko­necny: Sie machen die Propaganda, und die Tatsachen sind, dass sie weniger Geld kriegen!) Es liegt in unserem Interesse, Gerechtigkeit zwischen den Berufsgruppen und ebenso zwischen den Generationen zu schaffen.

Wenn ich anfügen darf: Ich bin in Salzburg besonders mit der ganzen Wurstsemmel-Debatte befasst gewesen. Das wird zu einem Generationenkonflikt aufgeblasen, den es nicht gibt. (Bundesrat Konecny: Eh nicht, aber die Frau Fuhrmann hat etwas ge­sagt!)

Ich kann nur sagen: Jetzt redet man nur von der Wurstsemmel. Man muss einmal zur Kenntnis nehmen, dass sich Frau Abgeordnete zum Nationalrat Fuhrmann dafür ent­schuldigt hat. Die Bemerkung war entbehrlich, das sage ich auch. Ich habe es auch im ORF in Salzburg gesagt. Darum braucht man nicht herumzureden, aber hie und da, wenn man besonders unter Druck kommt, sagt man irgendetwas (Ruf bei der SPÖ: Das aus dem Herzen kommt!), was man nicht so meint. Man sollte diese Debatte aber einmal beenden, denn es gibt andere Dinge zwischen Jung und Alt zu besprechen, und man sollte keinen Generationenkonflikt herbeireden, den es nicht gibt. (Bundesrat Konecny: Das beweist vor allem, dass sie schon lange keine Wurstsemmel gekauft hat!)

Drittens muss das Ganze auch finanzierbar sein. Wir können nicht Wünsche nach einem Geldsegen und einem Geldregen äußern, den es nicht gibt. Es gilt, die Zukunft des Pensionssystems auch für die Jungen dauerhaft zu sichern. Das ist vorrangig zu beachten. Von „Pensionsraub“ – wie es zuerst angesprochen wurde – kann doch keine Rede sein! (Bundesrat Konecny: Oh!)

Ich möchte einmal festhalten – das wird auch nie gesagt, es wird immer nur gesagt, was man nicht erreicht hat –, was in einem Jahr der Regierung Schüssel II realisiert und beschlossen wurde. (Bundesrat Kraml: Das wird aber schwer!)

Die viel kritisierte Unfallrentenbesteuerung ist seit 1. Jänner beseitigt. (Bundesrat Konecny: Wer hat denn die eingeführt? – Ironische Heiterkeit bei der SPÖ.) – Sie ist weg! Es gibt sie nicht mehr. Ich sage das, weil Sie sie immer erwähnen.

2004 werden zusätzlich 10 Millionen € für pflegende Angehörige zur Verfügung ge­stellt. 2005 wird das Pflegegeld erhöht. Ab 2005 wird das steuerfreie Einkommen für Pensionisten von 12 500 € auf 13 500 € pro Jahr erhöht – 150 000 Pensionisten sind davon betroffen. Die Einschleifregelung des Pensionsabsetzbetrages wird auf 17 000 € bis 25 000 € angehoben, wodurch die Pensionisten in diesem Bereich auch weniger Steuern bezahlen. Durch die große Steuerreform werden insgesamt 1,2 Millionen Pen­sionisten deutlich weniger Steuern zahlen. Als Letztes noch: Ab 2006 wird die jährliche


Bundesrat
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Pensionsanpassung mit der Inflationsrate erfolgen. – Diese Aufzählung ließe sich fortsetzen.

Ich wollte einmal darstellen, was alles geschehen ist, damit nicht immer nur gesagt wird, woran es noch mangelt. Man kann einfach nicht in kurzer Zeit so viel Versäumtes aufholen. – Das ist nicht möglich. (Bundesrat Konecny: Die Besteuerung der Unfall­renten, das war ja nur ein Jahr bis zum Aufheben!)

In der Zeit von Bundeskanzler Schüssels Regierungsverantwortung hat es deutlich höhere Steigerungen bei den Pensionisten gegeben – das wird auch vergessen! –, als es in der Zeit der sozialdemokratischen Regierungschefs der Fall war. (Bundesrat Ko­necny: Was?) Die Zahlen kann man sich ja anschauen. (Bundesrat Konecny: Ja!)

Die Position der Reformpolitik kommt aus der Verantwortung für die jüngere Genera­tion. Es geht um die Zukunftssicherung für Jung und Alt, und dafür ist hier, so glaube ich, ein wichtiger Meilenstein gelegt worden. (Beifall bei der ÖVP und den Freiheit­lichen.)

17.26

 


Vizepräsident Mag. Harald Himmer: Zu Wort gemeldet ist Frau Bundesrätin Dr. Lich­tenecker. – Bitte.

 


17.26

Bundesrätin Dr. Ruperta Lichtenecker (Grüne, Oberösterreich): Sehr geehrter Herr Präsident! Herr Minister! Sehr geehrte Damen und Herren! Herr Saller, es ist schon richtig: Dass wir nicht mehr auf einer Insel der Seligen leben, das wissen wir bedauer­licherweise schon seit längerer Zeit. (Ruf bei der ÖVP: Seit zwei Monaten!) Dennoch ist es so, dass es eine Pensionsreform 2003 gegeben hat, die in keinerlei Weise einer Sicherung entspricht und schon gar nicht einer sozialen Sicherung oder einer sozialen Gerechtigkeit. – Das ist ein wesentlicher Punkt.

Herr Dr. Kühnel, wenn Sie fragen, wie wir das finanzieren, und sagen, wir stünden sozusagen vor dem Staatsbankrott, dann stellt sich auch die Frage, wie wir dieses Umlageverfahren finanzieren. – Das ist ein essentieller Punkt. Es stimmt: Es sind Reformen anzusetzen, aber damit man aus dem Topf der Umlageverfahren finanzieren kann, bedarf es vieler – auch sehr wichtiger wirtschaftspolitischer – Maßnahmen, die von dieser Regierung versäumt wurden.

Es ist auch versäumt worden, entsprechende Investitionen im Bereich der Bildung, der Forschung und der Entwicklung zu setzen. Sie haben wieder die Nationalstiftung er­wähnt, aber das stimmt in dieser Form nicht. Wenn die Förderlandschaft in Österreich wie die AWS so gestaltet wird, wie sie jetzt funktioniert – Sie können tagtäglich den Zeitungen entnehmen, welch ein Chaos und welche Missstände herrschen –, dann ist das wirklich eine traurige Geschichte und sicher nicht förderlich, dass in diesem Land Wirtschaft vorangetrieben wird und damit auch die Sicherung von sozialen Systemen vorgenommen werden kann.

Es gibt drei Säulen, und die staatliche ist ein Bereich – das betrifft jetzt nicht unmittel­bar Sie als Minister, aber andere Minister –, den es zu sichern gilt. Man muss darauf achten, dass die Erwerbsquoten steigen, dass die Arbeitslosigkeit sinkt. Mit der ewigen Forderung nach einer Senkung der Steuerquoten wird das Umlageverfahren nicht zu sichern sein.

Die Frage ist auch, wie man mit dem Dreisäulensystem umgeht. Dreisäulensystem ist in Ordnung, ich kann es auch bis zu einem gewissen Maß befürworten. Es bestehen darin aber auch reelle Gefahren. Betrachten Sie die zweite und die dritte Säule – die betriebliche und die private Vorsorge, die im Wesentlichen aus Aktien, Aktienfonds und


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Anleihen gespeist werden. Je nachdem, wie Sie die Assets mischen, haben Sie ein bestimmtes Risikoausmaß – die einen ein höheres, die anderen ein niedrigeres.

Trotz allem – das lässt sich in Amerika schon feststellen – gibt es massive Probleme damit. Darum sollen diese beiden Säulen in Grenzen gehalten werden, wieder mehr Augenmerk auf das erste Verfahren – das Umlageverfahren – gelegt werden und ent­sprechende Maßnahmen gesetzt werden.

Letztendlich sind es in diesem Land bestimmte Gruppen – und es werden immer mehr –, die von Armut betroffen sind und auch von der Armutsfalle bedroht sind. Wer zählt dazu? – Es sind im Wesentlichen Langzeitarbeitslose, AlleinerzieherInnen, kin­derreiche Familien, MigrantInnen und insbesondere ältere Menschen.

Allein aus Respekt und Wertschätzung gegenüber der älteren Generation ist es auch unsere Aufgabe, entsprechende Maßnahmen zu setzen, die Pensionen auf gerechte Weise zu sichern und dafür zu sorgen, dass es nicht zu „Pleiten, Pech und Pannen“ – wie Herr Leitl gesagt hat – kommt, wie es jetzt wieder der Fall war.

Im Wesentlichen geht es um finanzielle Sicherheit im Alter, mehr Gerechtigkeit im Pen­sionssystem und die Vereinheitlichung der Pensionssysteme.

Herr Minister, ich hoffe, Sie werden den Mut aufbringen, dafür einzustehen und genau diesen Bereich voranzutreiben. Es ist schon vorhin vom Kollegen beziehungsweise von Frau Bachner erwähnt worden, dass die Jugend einen Teil des Vertrauens verloren hat. Ich denke, es ist gerade die Aufgabe der Politik, die Rahmenbedingungen dafür herzustellen, dass die Menschen – und insbesondere auch die jungen Menschen – Vertrauen in das System haben und auch längerfristig damit rechnen können. – Das ist ein Punkt, den wir für ganz essentiell halten.

Es gilt jetzt, die ersten Schritte zu setzen, um eine Verbesserung der Pensionsre­form 2003 zu gewährleisten, und zwar nicht aus irgendwelchen Unterstützungstöpfen, sondern tatsächlich einen Quantensprung, eine merkbare Verbesserung zu erzielen. Es gilt, dafür zu sorgen, dass eine rasche Harmonisierung vorangetrieben wird. Ich denke, es geht darum, in diesem Land wieder eine Form von sozialem Ausgleich her­zustellen.

Es sei an dieser Stelle zu diesem Thema auch noch gesagt: Wenn alle zusammen­helfen – wie es immer so schön zitiert wird –, gilt es auch, dass von den BezieherInnen höherer Pensionen ein Solidaritätsbeitrag geleistet wird. So ist es vermutlich auch eine Form des sozialen Ausgleichs, der in diesem Bereich hergestellt werden kann.

Es ist sehr wichtig, diese Maßnahmen zu setzen, und darüber herrscht, so denke ich, auch Konsens. Wie es zu erreichen ist, darüber haben wir, so scheint es, sehr unter­schiedliche Einschätzungen. Ziel ist es aber, der sozialen Gerechtigkeit in diesem Land wieder ein Stück näher zu kommen. – Danke. (Beifall bei den Grünen und der SPÖ.)

17.32

 


Vizepräsident Mag. Harald Himmer: Als Nächster zu Wort gemeldet ist Herr Bundes­rat Ing. Klamt. – Bitte.

 


17.32

Bundesrat Ing. Gerd Klamt (Freiheitliche, Kärnten): Herr Präsident! Herr Minister! Meine sehr verehrten Damen und Herren des Bundesrates! Die Dringliche Anfrage, die heute von den Sozialdemokraten eingebracht wurde, muss vom Thema her natürlich ernst genommen werden. Die Frage einer geordneten Altersvorsorge bewegt ganz sicher Jung und Alt in Österreich. Wenn aber von der SPÖ im Betreff zu dieser Dring­lichen Anfrage ein „Pensionspolitik-Desaster der Bundesregierung“ angeführt wird, dann muss dieser Vorwurf wirklich auf das Schärfste zurückgewiesen werden. (Beifall


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bei den Freiheitlichen und bei Bundesräten der ÖVP. – Bundesrat Reisenberger: Masochist!)

Die Sozialdemokraten, über Jahrzehnte federführend in der Sozialpolitik unseres Lan­des, haben der neuen Koalition wirklich ein Pensionspolitik-Desaster hinterlassen, wel­ches nun entflochten und in geordnete Bahnen gebracht werden muss. Frau Kollegin Roswitha Bachner hat Dr. Karl Schnell angesprochen. – Dazu kann man nur festhalten: Herr Dr. Karl Schnell ist promovierter Arzt, aber er gehört keinem geschützten Bereich an so wie Frau Kollegin Bachner. (Bundesrat Dr. Böhm: So ist es! – Bundesrat Reisenberger: ... ASVG!)

Frau Kollegin Bachner hat gesagt, diese Pensionsreform sei „überfallsartig“ gemacht worden. Meine sehr verehrten Damen und Herren von der Sozialdemokratie! Was heute im Bereich der Harmonisierung mühseligst zusammengeführt werden muss, das haben Sie über Jahrzehnte entgleisen und auseinander driften lassen! (Bundesrat Dr. Böhm: So ist es!) Hätte man zum Beispiel vor 25 Jahren in allen Pensionsbe­reichen eine Höchstbemessungsgrundlage und damit Höchstgrenzen für Pensionen eingeführt, dann wären uns viele nun notwendig gewordene schmerzhafte Einschnitte erspart geblieben.

Meine sehr verehrten Damen und Herren! Vor 25 Jahren wäre den zuständigen Perso­nalvertretern und Gewerkschaftern auch im Beamtenbereich noch der Beifall sicher gewesen, hätten sie die Höchstgrenzen mit höheren Anfangsgehältern und mit Anglei­chung an die Privatwirtschaft verknüpft.

Heute sind viele Maßnahmen unpopulär, aber sie sind ganz einfach dringend notwen­dig. Ich finde es verwerflich, wenn man sich als Opposition genüsslich zurücklehnt und so verhält, als hätte man mit den anstehenden Problemen nichts zu tun. (Bundesrätin Dr. Lichtenecker: Wir machen konkrete Vorschläge!)

Meine sehr verehrten Damen und Herren! Ich darf vielleicht in Erinnerung rufen, was die Freiheitlichen im Zusammenhang mit dieser Pensionsreform eingebracht haben und wofür sich der Herr Sozialminister eingesetzt hat. Nehmen wir nur einmal die Frauen her: Echte Beitragszeiten für Zeiten des Kindergeldbezuges nunmehr 24 Mo­nate, weitere 24 Monate gelten als Ersatzzeiten.

Für Frauen, die kein Kindergeld bezogen haben, gelten weiterhin die 48 Monate bis zum vierten Geburtstag des Kindes als Ersatzzeiten. Pro Kind wird die Durchrechnung um drei Jahre vermindert, sodass trotz der schrittweisen Erhöhung der Durchrechnung die besten 15 Jahre noch lange bestehen bleiben. Erhöhung der Bemessungsgrund­lage für die Anrechnung der Kindererziehungszeiten jährlich um 2 Prozent, bis sie 150 Prozent des Ausgleichszulagenrichtsatzes erreicht hat.

Das nächste Thema: die „Hackler“. Meine sehr verehrten Damen und Herren! Es ist dem freiheitlichen Sozialminister gelungen, dieses Thema endlich einmal auf den Tisch zu bringen. Aus meiner Sicht hat die Sozialdemokratie in diesem Bereich jahrzehnte­lang versagt. Man hat einen Schwerarbeiter, der als Bauarbeiter auf den Gerüsten herumsteigt, gleich behandelt wie einen Angestellten, der hinterm Schreibtisch sitzt. – Das ist nicht sozial. (Beifall bei den Freiheitlichen.)

Meine sehr verehrten Damen und Herren! Es gibt die Fortschreibung der „Hackler-Regelung“ nun bis zum Jahre 2010. Es gibt einen Steigerungsbetrag bei mehr als 45 Beitragsjahren für Männer und 40 Beitragsjahren für Frauen sofort um 1,78 Prozent ohne 80-Prozent-Deckelung. Es gibt ein Dauerrecht für Schwerarbeiter, für Berufsgrup­pen mit besonders erschwerten Arbeitsbedingungen.

Bei den älteren Arbeitnehmern haben wir die Fortführung der Altersteilzeit durchge­setzt, den Rechtsanspruch auf Qualifikation für Arbeitslose über 50 Jahre, Übergangs-


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geld für Personen, die in den Jahren 2005 und 2006 nach 12-monatiger Arbeitslosig­keit in die vorzeitige Alterspension bei Arbeitslosigkeit hätten gehen können.

Wird neben der Alterspension eine die Pflichtversicherung begründende Erwerbstätig­keit ausgeübt, so wirkt diese pensionserhöhend, indem die Beiträge als Beiträge zur Höherversicherung gewertet werden. Es gibt einen Bonus bei Pensionsaufschub von 4,2 Prozent pro Jahr. Es gibt eine Deckelung der Verluste und einen Härteausgleichs­fonds.

Es erfolgte die Einführung eines allgemeinen maximalen Verlustdeckels zukünftiger Pensionen gegenüber bestehendem Recht in der Höhe von 10 Prozent; die Erweite­rung der Härtefallklausel, wonach Härtefälle, die sich ganz generell aus der Pensions­berechnung ergeben können, durch Gewährung von Leistungen aus dem Unterstüt­zungsfonds verhindert werden; die Schaffung eines eigenen Härteausgleichsfonds im Bundesministerium für soziale Sicherheit und Generationen, aus dem Pensionisten, die durch die Pensionsreform besonders hart getroffen werden, eine Zuwendung erhalten.

Die Berücksichtigung von Präsenzdienstzeiten bis zu 30 Monaten als echte Beitrags­zeiten wurde als Verbesserung beim Präsenzdienst eingeführt. Schul- und Studienzei­ten: Erweiterung der derzeit mit vier Monaten pro Studiensemester und acht Monaten pro Schuljahr limitierten Ersatzzeitenanrechnung von Schul- und Studienzeiten auf sechs beziehungsweise zwölf Monate.

Invalide: Das maßgebliche Alter für die Bemessung einer Pension jüngerer Invalider wird von 56,5 Jahren auf das 60. Lebensjahr angehoben.

Für die Bezieher kleinerer Pensionen: Der Ausgleichszulagenrichtsatz und alle Pensio­nen bis zur Medianpension werden voll mit dem Verbraucherpreisindex valorisiert. Der Familienausgleichszulagenrichtsatz wird auf 1 000 € erhöht.

Meine sehr verehrten Damen und Herren! Es kann niemand sagen, dass diese Sozial­politik nicht freiheitliche Handschrift zeigt. (Bundesrat Konecny: Das ist eine Drohung!)

Meine sehr verehrten Damen und Herren! Es ist eine Tatsache, dass die Harmonisie­rung der Pensionssysteme erste Priorität hat! ASVG-Pensionisten werden Belastungen ganz sicher nur dann verstehen, wenn auch andere Bereiche, vor allem privilegierte Bezieher von nicht beitrags- und leistungsgedeckten Pensionen im gleichen Maße betroffen sein werden.

Herr Sozialminister Herbert Haupt hat Ihre Fragen, meine sehr verehrten Damen und Herren von der Sozialdemokratie, mit sehr viel Geduld und sehr viel Sachverstand beantwortet. Dafür ist ihm zu danken. (Beifall bei den Freiheitlichen.) Und dem ist nichts mehr hinzuzufügen.

Wir Freiheitlichen haben zur Frage der Pensionen auch weiterhin eine ganz klare Linie: Die Jugend muss wieder Vertrauen in die staatliche Pensionssäule gewinnen. Die Pri­vilegien im Pensionsbereich müssen fallen. Die Pensionskonten müssen schnell reali­siert werden, damit überhaupt Überblick gewonnen werden kann. Die Harmonisierung darf nicht bis ins Unendliche verschoben werden. Es muss zu einer Stichtagsregelung kommen. Jeder von den Österreicherinnen und Österreichern für die Altersvorsorge eingezahlte Euro muss wirklich für alle gleich viel wert sein.

Meine sehr verehrten Damen und Herren der Sozialdemokratie! Sie haben die österrei­chische Sozialmaschinerie durch zu hohe Drehzahlen bersten lassen. Der freiheitliche Sozialminister hat diese Sozialmaschinerie wieder in Gang gesetzt und bemüht sich mit vollem Engagement, den ordentlichen Lauf für die Zukunft zu sichern. Dies gelingt dem Sozialminister sehr gut, obwohl Sie, meine sehr verehrten Damen und Herren von


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der Sozialdemokratie, immer wieder bemüht sind, Sand ins Getriebe zu schütten. (Bei­fall bei den Freiheitlichen und der ÖVP.)

17.44

 


Vizepräsident Mag. Harald Himmer: Zum Wort gemeldet hat sich Herr Bundesrat Reisenberger. – Bitte, Herr Bundesrat. (Bundesrat Reisenberger begibt sich zum Red­nerpult und stellt dort eine Tafel mit der Aufschrift „Volksbegehren gegen Pensions­raub, SPÖ, 22. – 29. März 2004“ auf. – Zwischenrufe bei der ÖVP.)

 


17.44

Bundesrat Harald Reisenberger (SPÖ, Wien): Herr Präsident! Herr Bundesminister! Diese Größe deshalb, damit Sie es auch ohne Brillen lesen können, meine sehr ver­ehrten Damen und Herren! (Beifall bei der SPÖ.)

Herr Ing. Klamt hat jetzt einige sehr interessante Aussagen getätigt, auf die ich einge­hen muss, bevor ich mich dem Hauptthema meiner Ausführungen, nämlich dem Volks­begehren widme.

Die Opposition lehnt sich zurück, tut nichts und schaut an. – Der Herr Ingenieur ist nicht mehr hier (Zwischenrufe) – o ja, vor mir steht er in voller Größe. Also: Wenn wir uns zurücklehnen und nichts tun würden, dann würden wir, glaube ich, gar nicht dar­über reden. Aber das Unangenehme für euch ist ja, dass wir nicht nur darüber reden, sondern dass es auch Vorschläge gibt, und zwar permanent und schon seit langer Zeit.

Herr Bundesminister! Nicht böse sein – wir haben schon öfter über dieses Thema an diesem Platz diskutieren müssen; ich sage jetzt nicht „können“, sondern „müssen“ –: Wenn von den Sozialpartnern wirklich keine Vorschläge da wären und Sie die Kurve machen, indem Sie sagen, dass zu den Sozialpartnern so viele dazugehören, dann legen Sie bitte auf den Tisch, wer von ihnen Ihnen die Vorschläge nicht gibt! – ÖGB und Arbeiterkammer sind es ganz sicher nicht! (Beifall bei der SPÖ und den Grünen.)

Meine sehr verehrten Damen und Herren! Ich möchte Ihnen in Erinnerung bringen – vor allem Ihnen, Kollege Klamt –, dass es noch gar nicht lange her ist – vor den Wahl­gängen in den Bundesländern war es –, dass die FPÖ der ÖVP gesagt hat: Mit solch einer Pensionsgeschichte können wir nicht an die Öffentlichkeit herantreten! Das können wir dem Wähler nicht zumuten. Da sind wir dagegen. Dafür sind wir der Garant! – Meine lieben Kollegen von der FPÖ, was ist davon übrig geblieben? Nichts! Sie stimmen dem zu. Nein, nicht nur das, Sie gehen auch noch heraus und versuchen, es zu verteidigen.

Pensionspolitik-Desaster der Bundesregierung: Es ist ein Desaster – anders kann man es nicht nennen! Das muss man den Menschen draußen immer wieder sagen. Das Beste ist ja, wenn sich gerade Pensionistenvertreter oder Kollegen, die in Pension sind, hier in einer Art und Weise über diese Pensionsreform äußern, als sei ohnedies alles in Ordnung. Wenn ich in Pension und daneben noch Bundesrat bin, kann ich leicht sagen: Ist doch eh alles leinwand! Man muss den Menschen sagen, Herr Kollege, wer das sagt, wer das verlangt und welche Menschen sich hier tatsächlich für diese Pensionsreform einsetzen.

Fleißige und Anständige – ein Ausspruch der Freiheitlichen, den diese so gerne ver­wendet haben – werden zuerst von der Kürzung betroffen; eine klare Studie der Arbei­terkammer von Herrn Klein, nachvollziehbar.

Wenn du gesagt hast – damit kommen wir schon zu unserem Volksbegehren –, die Jugend müsse wieder Vertrauen in die staatliche Pensionssäule bekommen, lieber Kollege Klamt, gebe ich dir vollkommen Recht. Aber weißt du, was die Voraussetzung dafür ist? – Wir brauchen wieder eine Regierung, die sozialdemokratisch dominiert ist.


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Dann haben wir die Chance! (Beifall bei der SPÖ. – Ironische Heiterkeit und Zwischen­rufe bei der ÖVP und den Freiheitlichen.)

Was in den nächsten Wochen für die Öffentlichkeit zur Diskussion steht und worauf wir sie aufmerksam machen wollen, ... (Anhaltende Zwischenrufe.) Tut weh, gell? Ja, so ist das Leben.

Wir sprechen von einem Pensions-Volksbegehren und nicht von einem Pensionisten-Volksbegehren – ein ganz wichtiger und wesentlicher Unterschied –, denn die ÖVP/FPÖ-Bundesregierung macht Politik, die nicht den berechtigten Anliegen der sozial Schwächeren entspricht. Dies bekommen insbesondere die Pensionistinnen und Pensionisten zu spüren, etwa durch die kontinuierlichen Wertverluste ihrer Pensionen seit dem Jahr 2000 – seit dem Jahr 2000, das ist genau der Zeitpunkt, zu dem der „großartige“ Wechsel, von dem Sie immer so schwärmen, stattgefunden hat (Ruf bei der ÖVP: Der war wirklich Spitze!) –, durch viele Mehrbelastungen. Der bisherige Hö­hepunkt dieser Politik ist die Pensionsreform des Jahres 2003, die in dieser Form nicht notwendig war und eine zutiefst ungerechte Kürzung kleiner Einkommen, vor allem auch der Pensionen, mit sich gebracht hat. (Neuerlicher Zwischenruf bei der ÖVP.)

Das Pensions-Volksbegehren wendet sich in erster Linie gegen diese sozial unge­rechte Form einer Reform, die nicht als Reform zu bezeichnen ist, gegen die massiven Mehrbelastungen kleiner Einkommen, es verlangt deutliche Korrekturen dieser Reform und schlägt Maßnahmen für eine langfristige, sozial verträgliche Absicherung der Pen­sionen vor. Deshalb sollten es auch alle Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer unter­schreiben.

Das Pensions-Volksbegehren wendet sich in zweiter Linie auch gegen Eingriffe in bestehende Pensionen – die gibt es leider Gottes mehr als genug – und verlangt die Sicherung des Lebensstandards im Alter.

Warum dieses Volksbegehren eigentlich von jedem – egal, welcher Partei er sich zuge­hörig fühlt – unterschrieben werden müsste, ist eigentlich sehr einfach zu erklären: Das Pensions-Volksbegehren fordert eine langfristige Absicherung unseres Pensionssys­tems – darin wären wir uns einig, Herr Minister, wenn ich Ihren Worten Glauben schen­ken darf –, aber durch die Erhöhung der Erwerbsquote, eine Verbreiterung der Bei­tragsgrundlagen, Maßnahmen zur Erhaltung der Gesundheit und Arbeitsfähigkeit sowie die weitere Beteiligung des Staates an der Pensionsfinanzierung – auch ein ganz wich­tiger Punkt. (Zwischenruf des Bundesrates Dr. Böhm.)

Wenn man sich anschaut, was seit den fünfziger Jahren vereinbart ist, was der Staat beizutragen hat, und was er tatsächlich beiträgt, jemals beigetragen hat, bis heute beigetragen hat, stellt man fest, dass das weit von dem entfernt ist, was in der Ver­einbarung steht.

Das Pensions-Volksbegehren wendet sich gegen Eingriffe in bestehende Pensionen, etwa durch Pensionsanpassungen unter der Inflationsrate. Ich sage es hier noch einmal: Jeder Bürger, der einen Pensionsanspruch hat, hat irgendwann einmal in der Form, dass er zu arbeiten begonnen hat, dass er Beiträge gezahlt hat, eine Vereinba­rung getroffen, im Grunde einen Vertrag mit unterschrieben. Und dieser Vertrag wird von Ihnen gebrochen, meine sehr verehrten Damen und Herren von den Regierungs­parteien – man kann es nicht anders sagen!

Das Pensions-Volksbegehren verlangt die Sicherung des Lebensstandards im Alter, der durch verschiedene Belastungen, etwa im Gesundheitswesen, bei Miet- und Ener­giekosten, weiterhin gefährdet ist.

Und es geht schließlich – das müsste doch auch über Parteigrenzen hinweg vielen Menschen zumindest verständlich sein – um Solidarität, um Solidarität zwischen Alt


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und Jung, Solidarität für die unselbständig Erwerbstätigen, denen auch im Alter ein gesichertes Leben garantiert werden muss.

Realer Wertverlust der Pensionen seit Antritt der ÖVP/FPÖ-Bundesregierung 2000 – nur ganz kurz in Zahlen –: In den ersten vier Jahren der ÖVP/FPÖ-Bundesregierung kam es in Österreich zu einem realen Wertverlust der Pensionen von 4 Prozent. 4 Prozent, meine sehr verehrten Damen und Herren! In den letzten vier Jahren der SPÖ/ÖVP-Regierung, von 1996 bis 1999, gab es hingegen einen realen Wertzuwachs der Pensionen in Österreich von 0,43 Prozent. Und auch damals hat man sich bereits Gedanken gemacht, wie das Pensionssystem ... (Zwischenrufe bei der ÖVP.) – Ich glaube, wir sollten hier in diesem Haus Rechner austeilen, dann könnte sich das jeder ausrechnen und das nachvollziehen.

Zu realen Einkommenskürzungen ab 1. Jänner 2004 kommt es bei etwa 1,5 Millionen PensionistInnen, da der Pensionsanpassung von 2004 von 10,02 € Folgendes gegen­übersteht: die Erhöhung des Krankenversicherungsbeitrages um 0,5 Prozent, die Ein­führung des Freizeitunfallversicherungsbeitrages von 0,1 Prozent, der Wegfall der Ein­malzahlung, die 2003 gewährt wurde. Mehr ausbezahlt bekommen lediglich jene, die auf Grund der ersten Etappe der Steuerreform per 1. Jänner 2004 keine Lohnsteuer mehr zahlen müssen.

Wenn man sich Gedanken macht über die Finanzierung – ich kann Ihnen das nicht ersparen –, muss man auch Folgendes sagen: Für die Kampfjets haben wir nicht nur Geld in Milliardenhöhe, nein, wir mieten auch noch ein paar Jahre lang Jets, weil wir nicht in der Lage waren, von vornherein ein solides Kaufangebot anzunehmen. Ganz abgesehen davon, dass auch die so genannten Kompensationsgeschäfte, wie der Rechnungshof jetzt festgestellt hat, nicht einmal nachvollziehbar sind. So schaut das, was diese Regierung macht, aus! Aber bei den Ärmsten der Armen und bei den älteren Kolleginnen und Kollegen geht es am einfachsten, dort nimmt man es weg!

Belastungen der Pensionisten seit dem Jahr 2000: Seit dem Regierungsantritt von ÖVP und FPÖ haben 2 000 PensionistInnen in Österreich neben dem realen Wertver­lust ihrer Pension von 4 Prozent folgende weitere Belastungen hinnehmen müssen – meine sehr verehrten Damen und Herren, wir dürfen nie vergessen, dass all diese Belastungen noch dazukommen; auch da brauchen wir, glaube ich, wieder keinen Taschenrechner, das kann man ganz einfach im Kopf rechnen; die meisten zumin­dest –: Steuererhöhungen durch die Kürzung des Pensionsabsetzbetrages, durch die Besteuerung und Kürzung von Unfallrenten und Invaliditätspensionen. (Zwischenruf des Bundesrates Wolfinger.) Die Besteuerung und Kürzung von Unfallrenten und Invaliditätspensionen – auch wenn Sie das nicht wahrhaben wollen, es ist so!

Weiters: höhere Sozialversicherungsbeiträge, Erhöhung der Krankenversicherungsbei­träge um insgesamt 1 Prozent der Pension in zwei Schritten, 2004 und 2005, Einfüh­rung eines Freizeitunfallversicherungsbeitrages von 0,1 Prozent der Pensionen – auch für Pensionisten, bitte! Wir haben die Abschaffung der beitragsfreien Mitversicherung von EhepartnerInnen, Eingriffe in bestehende Pensionen durch die Kürzung von Wit­wenpensionen, durch höhere Pensionssicherungsbeiträge für PensionistInnen des öffentlichen Dienstes – das ist der einzige Bereich, der den öffentlichen Dienst betrifft, die geschützten Bereiche, von denen hier gesprochen wurde.

Ich darf nur sagen: Kollegin Bachner ist ASVG-Versicherte, so wie ich. (Bundesrätin Bachner: So ist es! Ist jemand auf eine andere Idee gekommen?) – Es gibt hier offen­sichtlich einen, der aus diesem Bereich kommt, der meint, andere in eine Ecke schie­ben zu können, aber das ist eben die typische Art, die wir von diesem Herrn Kollegen ja tagtäglich bei Sitzungen erleben.


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Wir haben eine deutliche Erhöhung der Gesundheitskosten, mehrmalige Erhöhung der Rezeptgebühr, Erhöhung des Spitalsselbstbehaltes, höhere Selbstbehalte bei Heilbe­helfen. Die Ambulanzgebühr haben wir ja in der Zwischenzeit gemeinsam wegge­bracht, Herr Minister. Das war ja die „goldene“ Idee, die in der Zwischenzeit aber natür­lich auch gegriffen hatte und wesentliches Geld gekostet hat.

Wir haben weiters eine deutliche Erhöhung der Heiz- und Stromkosten. (Zwischenruf bei der ÖVP.) Sie sagen, das ist ein Wahnsinn. Das sage ich auch. Es ist wirklich ein Wahnsinn, wenn man sich vor Augen führt, was da alles auf die Menschen zukommt. Wir haben also eine deutliche Erhöhung der Heiz- und Stromkosten, eine Verdoppe­lung der Energieabgabe auf Strom und Gas, 2001 bereits, neuerliche Erhöhung auf Gas sowie Einführung auf Kohle und Koks per 1. Jänner 2004, Erhöhung der Mineral­ölsteuer auf Heizöl per 1. Jänner 2004. (Zwischenruf bei der ÖVP.)

Sie wissen offensichtlich nicht einmal, wie es in Ihren Bundesländern zugeht, wenn Sie hier „Wien!“ rufen. Traurig! Und das sind die Vertreter der Bundesländer der ÖVP. Ich bin entsetzt! Aber die Menschen sollen das nur mitbekommen, sollen hören, wer sie vertritt und welche Informationen Sie über die eigenen Bundesländer tatsächlich haben.

Geplant ist dann noch zusätzlich heuer die Einführung eines Selbstbehaltes in der Höhe von bis zu 20 Prozent bei Arztbesuchen und Heilmitteln. Insbesondere für ältere Menschen und chronisch Kranke könnte dies zu fast unfinanzierbar hohen Belastun­gen führen. Anstatt durch Vorsorge Gesundheitsschäden zu vermeiden und das Ge­sundheitssystem finanziell zu entlasten, würde man dadurch genau das Gegenteil bewirken.

Meine sehr verehrten Damen und Herren! Es muss wieder eine gerechte Verteilung des gemeinsam Erwirtschafteten erreicht werden. Immer wieder wird von der Bundes­regierung argumentiert, es müsste bei öffentlichen Ausgaben gespart werden. Immer wieder werden Leistungen und Einschränkungen von ArbeitnehmerInnen wie Pensio­nistInnen mit dem Argument verlangt, es sei zu wenig Geld vorhanden. Das ist falsch, schlichtweg gesagt, denn die gemeinsame wirtschaftliche Wertschöpfung, das Brutto­inlandsprodukt in Österreich, wächst – Gott sei Dank – nach den Prognosen der Wirt­schaftsforscherInnen allein heuer um rund 6,5 Milliarden € gegenüber dem Vorjahr. Das heißt, Österreich wird heuer um 6,5 Milliarden reicher sein als im vergangenen Jahr. Und wer hat etwas davon? Wem geben wir es? Wessen Einkommen und Vermö­gen wächst heuer um durchschnittlich 800 € pro Kopf beziehungsweise 1 800 € pro Haushalt? Es sind nicht die Einkommen der Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer, die durch ihre Arbeit hauptsächlich zum Wohlstand dieses Landes beitragen. (Zwischenruf des Bundesrates Kritzinger.) Es sind auch nicht die Einkommen der ehemaligen ArbeitnehmerInnen, der Pensionisten – ihr Anteil am Bruttoinlandsprodukt sinkt nach­weislich.

Herr Kollege, würden Sie deshalb, weil in Deutschland eine Kuh in einen Bach stürzt, sagen: Wir schaffen alle Bäche ab!, oder: Wir werden in Österreich die Kühe davor warnen!? – Wir leben in Österreich! Nehmen Sie bitte zur Kenntnis, dass wir über Österreich reden und Ihre deutschen Beispiele mich absolut nicht interessieren! (Beifall und Heiterkeit bei der SPÖ und den Grünen.)

Es wachsen in erster Linie die Einkommen der Unternehmer, meine sehr verehrten Damen und Herren, die immer weniger für Arbeitsplätze, aber immer mehr für Mana­gergehälter und Aktionärsdividenden ausgeben, teilweise ausgeben müssen, betone ich, weil viele der Betriebe schon zu Konzernen gehören, wo in Österreich nicht mehr festgestellt werden kann, wie viel Dividende ausgezahlt wird, sondern man hört das von dem Land, wo der Stammsitz ist.


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Es wachsen vor allem die Einkommen, die nicht durch Arbeit, sondern aus dem bloßen Besitz und Einsatz von Geld und Vermögen entstehen. Das heißt, wer Geld hat, dessen Geld wird mehr, wer keines hat, der zahlt dafür. So ist erklärbar, weshalb es in Österreich laut „World Wealth Report“ bereits 60 000 Euro-Millionäre gibt – die Ten­denz ist angeblich stark steigend –, zugleich aber auch immer mehr Menschen, die arbeitslos, ver- und überschuldet sowie armutsgefährdet sind.

Meine sehr verehrten Damen und Herren! Die Wiederherstellung einer gerechten Ver­teilung des gemeinsam Erwirtschafteten in Österreich ist eine der größten Herausfor­derungen der kommenden Jahre, andernfalls wird der Anteil am gemeinsamen Kuchen, den Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer und die wachsende Zahl der Pen­sionistInnen unter sich aufteilen müssen, immer kleiner.

Meine sehr verehrten Damen und Herren! Gehen wir hinaus, gehen Sie alle, auch Sie von den anderen Parteien, zur Bevölkerung und sagen Sie den Menschen: Wir haben in der Zeit von 22. bis 29. März nun die Chance, etwas dagegen zu tun. Machen auch Sie mit, geben auch Sie Ihre Stimme für das Pensions-Volksbegehren her, und lassen Sie sich auch davon überzeugen, dass wir für die Menschen und nicht gegen die Men­schen zu arbeiten haben! – Danke schön. (Beifall bei der SPÖ und den Grünen. – Zwi­schenrufe bei der ÖVP.)

17.59

 


Vizepräsident Mag. Harald Himmer: Zu Wort gemeldet hat sich Herr Bundesrat Fa­sching. – Bitte, Herr Bundesrat. (Bundesrat Fasching – in Richtung des Bundesrates Reisenberger –: Das Taferl haben Sie vergessen! – Bundesrat Reisenberger: Ich hätte es Ihnen gerne gelassen zum Mitnehmen für Ihren Wahlkreis!)

 


18.00

Bundesrat Paul Fasching (ÖVP, Burgenland): Sehr verehrter Herr Präsident! Herr Bundesminister! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Eigentlich ganz gut gefallen hat mir der Beitrag von Frau Kollegin Lichtenecker, weil sie das Problem ganz einfach bei der Wurzel gepackt und gemeint hat, dass es, um eine Pensionssicherung zu bewerkstelligen, notwendig ist, dass wir gute Wirtschaftsdaten haben, dass wir dadurch natürlich auch sichere Arbeitsplätze haben. Nur das alleine gewährleistet auch in Zukunft sichere Pensionen. – Das ist das Um und Auf und das Einzige, was auch für die Zukunft sprechen wird. Daher verstehe ich manche Kollegen hier von der linken Reichshälfte nicht. (Beifall bei der ÖVP und demonstrativer Beifall bei der SPÖ. – Bun­desrat Konecny: Da wäre eine entsprechende Politik notwendig! ...!)

Meine Damen und Herren! Sie von der linken Reichshälfte wenden 2 Millionen € für ein Volksbegehren, übrigens mit Steuergeldern, auf. Wir von der ÖVP beschließen hinge­gen etwas für die Pensionisten, Sie stimmen dagegen. – Das ist der Unterschied! (Bei­fall bei der ÖVP. – Ironische Heiterkeit des Bundesrates Konecny.)

Sie, Herr Kollege, reden vom Ankauf von Kampfjets, ich nenne Ihnen ein anderes Argument. Hier sitzt Kollegin Auer aus dem Burgenland. Zu dem, was Sie hier vorhin von sich gegeben haben, muss ich bemerken, da sagen der Herr Landeshauptmann und der Herr Gesundheitslandesrat im Fernsehen und in den Zeitungen etwas ganz anderes, als Sie hier erzählt haben. Das ist interessant. Das Burgenland ist zwar ein sozialistisches Bundesland, aber da hört man ganz etwas anderes, als Sie hier erzählt haben. Vielleicht trifft das nur auf Wien zu, was Sie hier behauptet haben, bei uns im Burgenland trifft das Gott sei Dank nicht zu. (Präsident Weiss übernimmt den Vorsitz.)

Wenn Sie von Kampfjets reden, wenn Sie auch von Ausgaben reden, die nicht berech­tigt sind, so sage ich Ihnen eines: 7 Milliarden Schilling gehen im Burgenland durch die Bank Burgenland den Bach hinunter. 7 Milliarden Schilling! (Ruf bei der ÖVP: Wahn-


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sinn!) Jetzt verkaufen wir hoffentlich die Bank und privatisieren das Ganze. Dadurch werden wir unter Umständen 1 Milliarde hereinbekommen, aber 6 Milliarden Schilling bleiben dem burgenländischen Steuerzahler sozusagen erhalten. Wissen Sie, was wir mit 6 Milliarden alles hätten anfangen können? – Da sollten Sie sich einmal bei der Nase nehmen! Das sage ich Ihnen ganz ehrlich. (Beifall bei der ÖVP und den Freiheit­lichen. – Zwischenruf des Bundesrates Reisenberger.)

Dass von Ihnen die Wurstsemmel-Diskussion nicht kommt, darüber war ich schon überrascht. Herr Kollege Kraml, sehr gerne sage ich Ihnen etwas dazu. Man hätte auf diesen Vergleich verzichten können; da bin ich bei meinem Kollegen Sepp Saller. Frau Kollegin Fuhrmann hat sich öffentlich dafür entschuldigt. Sie ist 22 Jahre alt, ich glaube, man kann da im jugendlichen Elan etwas unbedacht reden. Aber eines darf ich schon hinzufügen: Wenn man sich entschuldigt, muss man das auch akzeptieren. Sie war die einzige von den österreichischen Jugendvertreterinnen und -vertretern, die sich für die Jugend stark gemacht hat. Das möchte ich hier auch betonen. Das ist ganz entscheidend, das war die Silvia Fuhrmann. (Beifall bei der ÖVP.)

Sie, meine sehr verehrten Damen und Herren von der SPÖ, sind natürlich auch nicht glücklich über den „Karawankenbären“ aus Wolfsberg. Da hätte man sich auch etwas anderes einfallen lassen können. Daher: Kehren Sie vor Ihrer eigenen Türe, das ist wesentlich wichtiger! (Beifall bei der ÖVP.)

Wenn Sie etliche Abschweifungen machen, Herr Kollege Kraml, dann mache ich das auch gerne. Ich habe Ihnen die „Kronen Zeitung“ gezeigt, in der steht, wie stark die Zu­stimmung der Bevölkerung zum Vorschlag Ihres Parteivorsitzenden bezüglich Abschaf­fung der Schulnoten ist. Das können Sie der heutigen „Kronen Zeitung“ entnehmen. Dort steht eine diesbezügliche Umfrage drinnen. (Bundesrätin Bachner: Die ist ja „volksbildend“!) – Sie zitieren ja immer aus den Zeitungen! (Bundesrätin Bachner: Aber sicher nicht die „Kronen Zeitung“!) Was Sie können, muss ich Ihnen ganz ehrlich sagen, das können wir schon lange. (Zwischenruf des Bundesrates Konecny.) – Sie machen aber auch sonst nichts, Herr Kollege. Sie sind der Erste, der immer mit den Zeitungen hier steht. (Bundesrat Konecny: Mit anderen, Herr Kollege!)

Ich zeige Ihnen jetzt die „Kronen Zeitung“. Ihr Parteivorsitzender Gusenbauer liegt ja dort „goldrichtig“, muss ich Ihnen ehrlich sagen: 73 Prozent der Bevölkerung wollen eine Beibehaltung der Schulnoten in den Volksschulen, 87 Prozent in den Hauptschu­len und Gymnasien. Also da liegen Herr Gusenbauer und die SPÖ, so wie in vielen Bereichen, „goldrichtig“. Wir sind eigentlich sehr dankbar dafür. (Beifall bei der ÖVP. – Bundesrat Kraml: Salzburg!)

Meine sehr verehrten Damen und Herren! Wir treten drei Jahre später in das Berufs­leben ein (Bundesrätin Bachner: Geh, wer? Ich habe mit 15 angefangen!), wir arbeiten sechs Jahre kürzer beziehungsweise gehen sechs Jahre früher in Pension. Und wir werden Gott sei Dank um zwölf Jahre älter. Daher ist das ein Bereich, bei dem es notwendig war, auch eine entsprechende Pensionssicherungsreform zu machen. Frau Kollegin Bachner, Sie wissen, woran die große Koalition 1999/2000 gescheitert ist. Sie wissen genau, dass sich gerade Ihre Kollegen massivst gegen eine Maßnahme gewehrt haben, die gesetzt werden hätte müssen. Dadurch war natürlich diese Bun­desregierung verpflichtet, hier die erforderlichen Maßnahmen zu setzen.

Meine Damen und Herren! Wenn man diese Vergleiche anstellt, so muss jeder Ver­nünftige auch darauf reagieren, um die Pensionen durch diese Maßnahmen auch für die Zukunft zu sichern. Die Pensionssicherungsreform, wie sie hier geschaffen wurde, ist meiner Meinung nach sozial und ausgewogen. Wenn wir uns ansehen ... (Bundesrat Konecny: Das kann ich nicht beurteilen, ob sie für Sie sozial und ausgewogen ist!) – Wenn Sie mich persönlich ansprechen, Herr Kollege Konecny, dann muss ich Ihnen


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sagen, Sie sind ja einer der wenigen hier herinnen, die noch eine Politikerpension beziehen werden. Ich nicht, Sie sind derjenige! (Beifall bei der ÖVP sowie des Bundes­rates Dr. Böhm.) Dann machen Sie mir bitte keinen Vorwurf! Sie sind der privilegierte Politiker, ich nicht. Das will ich Ihnen nur sagen. (Bundesrat Konecny: Wir haben 15 Prozent Minderung, was völlig okay ist! – Bundesrat Dr. Kühnel – in Richtung des Bundesrates Konecny –: Stimmt es oder stimmt es nicht?)

Meine sehr verehrten Damen und Herren! Wenn ich bedenke, dass die Ausgaben ... (Bundesrat Konecny: Herr Kollege! Das ist eine richtige Unverschämtheit, weil ich zu jenen gehöre, die keine Optionsmöglichkeit hatten! Ich kann nichts dafür! Das ist eine ausgesprochene Unverschämtheit!) – Sie fallen noch in die Politiker-Pensionsregelung hinein. Ich habe sonst nichts festgestellt. Das wollte ich gesagt haben. (Bundesrat Konecny: Jawohl! Natürlich falle ich hinein! Ich habe es mir auch nicht aussuchen können!) Umgekehrt hätten Sie es mir sicher schon lange vorgehalten. (Bundesrat Konecny: Herr Kollege! Entscheidungen, die der Einzelne nicht treffen kann, sind ihm nicht vorzuwerfen! ..., aber dort, wo Sie Ihre Entscheidungen nicht treffen können, sind Sie völlig abhängig von den gesetzlichen Regelungen!) – In Ordnung!

Die Ausgaben für die Pensionen sind im Zeitraum 1999 bis 2004 um 17,6 Prozent von 25,5 Milliarden auf 30 Milliarden € gestiegen. Das alleine zeigt das Ausmaß, wie wich­tig und notwendig eine Pensionssicherungsreform ist. Da heute so viel diskutiert wurde und Beiträge gerade zu den Kleinsten geliefert wurden, so darf ich hier schon aufzei­gen, dass im gesamten Gefüge der Pensionen die Bauern eigentlich jene sind, die die geringsten Pensionen bekommen. (Bundesrätin Bachner: Und die geringsten Bei­träge!) – Glauben Sie mir, das sind nicht die geringsten Beiträge, das ist nicht richtig! (Bundesrätin Bachner: Doch!) Das stimmt nicht, was Sie sagen! (Bundesrat Konecny: Was heißt, das stimmt nicht?)

Ich darf Ihnen nur sagen, dass diese Bundesregierung gerade im Bereich der gerings­ten Einkommen Maßnahmen gesetzt hat, und das betrifft letztlich die Ausgleichszula­genbezieher. In den Jahren von 1995 bis 1999 ist der Richtsatz – auch für Ehepaare – um 5,2 Prozent angehoben worden. In den letzten vier Jahren ist der Richtsatz für Alleinstehende um 11 Prozent und für Ehepaare um 21 Prozent angehoben worden. Da hat diese Bundesregierung einen Meilenstein für die Kleinstpensionsbezieher in Österreich gesetzt. Dafür gebührt ihr ein herzliches Dankeschön. (Beifall bei der ÖVP und den Freiheitlichen.)

Meine sehr verehrten Damen und Herren! Die durchschnittlichen Pensionen stiegen um 8 Prozent von 860 € im Jahr 1999 auf 929 € im Jahr 2003. Das durchschnittliche Einkommen ist um 9 Prozent gestiegen. Das, so glaube ich, zeigt wieder, dass diese Bundesregierung sehr wohl etwas für die Pensionisten in Österreich übrig hat. (Bun­desrat Konecny: Für die Einkommen habt ihr auch etwas zu tun!)

Da heute so oft von „Pensionskürzungen“ gesprochen wurde: Ich habe mir das bei meiner Sozialversicherungsanstalt angesehen. Pensionen in der Höhe von 126,92 € sind im Vergleich um 1,89 € angestiegen. Und für Pensionen, die mit 1. Jänner 2004 in diese Regelung der Lohnsteuerreform fallen, wird es eine Ersparnis in der Größenord­nung von bereits 13 € geben. Ab da wird keine Lohnsteuer mehr fällig. Das geht bis hinauf zu Pensionen in der Höhe von 1 004 €. Da wird es eine Steuerersparnis für jeden Einzelnen – nur im Lohnsteuerbereich – von 17 € geben, im mittleren Bereich zwischen 765 € und 1 000 € von bis zu 40 € – pro Monat, meine sehr verehrten Damen und Herren!

Und Sie sagen, den Menschen wurde etwas weggenommen! (Bundesrat Konecny: Ja!) Das ist doch ehrlich gesagt wirklich eine Schweinerei, wenn Sie den Menschen


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solche Dinge erzählen! Fragen Sie ... (Zwischenruf des Bundesrates Konecny.) Wir haben da nichts geändert!

 


Präsident Jürgen Weiss (das Glockenzeichen gebend): Für den Begriff „Schweinerei“ erteile ich Ihnen einen Ordnungsruf, Herr Bundesrat Fasching!

 


Bundesrat Paul Fasching (fortsetzend): Ich nehme das Wort „Schweinerei“ zurück, aber es war sicherlich nicht in Ordnung, hier den Menschen solche Unwahrheiten zu erzählen. Gerade im Bereich der Kleinstpensionen ist sehr viel von dieser Bundes­regierung unternommen worden.

Meine Damen und Herren! Ich meine aber, gerade im Bereich der Nebenerwerbs­bauern ist auch vieles geschehen. Ich denke nur daran, dass beim Arbeitslosengeld etwas passiert ist, dass nämlich die Einheitswertgrenze auf 10 500 € angehoben wurde und dass dadurch viele eben auch Arbeitslosengeld beziehen können. Das war mit Ihnen von der SPÖ nicht machbar, obwohl das viele kleine Einkommensbezieher be­trifft. Mit Ihnen war das nicht machbar! Mit dieser Bundesregierung war das aber sehr wohl möglich, wobei noch dazu in erster Linie das Eigentum geschützt wurde – nicht so, wie Sie es verlangt haben, dass eine zusätzliche Besteuerung bei der Grundsteuer und der Erbschafts- und Schenkungssteuer kommen soll. Das ist Politik für die kleinen Einkommensbezieher in Österreich! Dafür, glaube ich, gebührt ein Dank an diese Bun­desregierung.

Meine Damen und Herren! Zwei Sätze zur Harmonisierung. Ich habe in den letzten Wochen und Monaten sehr viel in dieser Diskussionsphase mit den Menschen über die Harmonisierung gesprochen. Es geht entweder um das Jahrgangsmodell oder um die Stichtagsregelung. Mich haben viele, vor allem Nebenerwerbsbäuerinnen angespro­chen, deren Männer nach Wien oder nach Graz pendeln. Wenn es zur Stichtags­regelung kommt, heißt das letztendlich für diese kleinen Nebenerwerbsbetriebe, dass ab sofort von ihrem Einheitswert, von ihrer derzeitigen Bemessungsgrundlage eine An­hebung der Pensionsversicherungsbeiträge von 14,5 Prozent auf 22,8 Prozent erfolgt. Das bedeutet, 50 bis 60 Prozent der Beiträge werden bei der Stichtagsregelung ab sofort für diese Bäuerinnen, die heute 53, 54 Jahre alt sind, angehoben, ohne dass das in der Berechnungsgrundlage für die Pension zum Durchschlag kommt.

Das sind die großen Probleme, die aber die Kleinen treffen. Das sind alleine im Burgenland an die 6 000 kleinen Nebenerwerbsbetriebe, die davon betroffen sind. Ich darf Ihnen eines sagen: Sozialistische Funktionäre des Arbeitsbauernbundes sind an mich herangetreten und haben gesagt: Rührt euch, denn wir werden in unserer Partei dahin gehend nicht angehört! (Bundesrat Konecny: Märchenstunde!)

Herr Kollege Konecny, das ist eine Tatsache! Ich höre von Ihnen sonst nichts als ASVG. Ich höre sonst nichts, außer dass alles harmonisiert werden soll. Es trifft in Ös­terreich sicherlich an die hundert- bis hundertfünfzigtausend Menschen, die um 50 bis 60 Prozent höhere Beiträge leisten müssen, wobei das in der Pension in keiner Form mehr zur Wirksamkeit kommen wird. Das möchte ich klar und deutlich herausstreichen. Wir werden dagegen sicherlich unsere Argumente klar und deutlich vorbringen. (Beifall bei der ÖVP.)

Meine sehr verehrten Damen und Herren! Sichere Pensionen gibt es nicht. Pensions­experte Rürup plädiert für eine Stärkung der kapitalgedeckten Pensionsvorsorge. Er meint, eine langfristige Garantie für die Höhe der Pensionszahlungen gebe es nicht, weil niemand die zukünftige Entwicklung der Wirtschaft vorhersagen könne. – So weit der deutsche Pensionsexperte.

In der aktuellen Pensionsdebatte regt er eine Mischung aus dem von uns favorisierten Jahrgangsmodell und der von der Opposition geforderten Stichtagsregelung an. Die


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Stichtagsregelung hat zum Teil sicherlich Charme, würde aber enorme Budgetpro­bleme verursachen und ist daher auch nicht durchführbar (Bundesrat Konecny: Herr Minister, haben Sie die Seiten gewechselt?) – hören Sie mir zu! – auf Grund meines vorhin angeführten Arguments. Glauben Sie mir, dass Sie damit viele Menschen wirklich in die Armutsfalle treiben!

Das Jahrgangsmodell als eine Angleichung für unter 35-Jährige wäre daher meiner Auffassung nach die gerechteste, aber auch kostengünstigste Lösung. Das ist letztend­lich auch mit entscheidend.

Der Übergang in ein einheitliches System müsste gut überlegt werden und bis 2020 generell in seiner Form abgeschlossen sein, denn dann würden die Probleme der alternden Gesellschaft sicherlich virulent. Daher ist ein Mischsystem zu favorisieren, bei dem unter Umständen über 50- oder 55-Jährige auf Grund des Vertrauensschutzes und ihrer Lebensplanung im bisherigen System belassen werden. Die Jüngeren würden unmittelbar in ein neues System überführt, wobei die bisher erworbenen An­sprüche auf einem Pensionskonto gutgeschrieben werden sollten.

Meine Damen und Herren! Wir sollten vorsichtig mit diesem System umgehen. Die Volkspartei wird sehr wohl vorsichtig damit umgehen, weil wir wissen, dass das viele Menschen betrifft, die wir unter keinen Umständen in die Armutsfalle treiben wollen. – Danke. (Beifall bei der ÖVP.)

18.16

 


Präsident Jürgen Weiss: Nächster Redner ist Herr Bundesrat Schennach. Ich erteile ihm das Wort.

 


18.16

Bundesrat Stefan Schennach (Grüne, Wien): Sehr geehrter Herr Präsident! Sehr geehrter Herr Minister! Herr Kollege Fasching, nur eine Bemerkung, weil Sie vorhin vom Thema abgeglitten sind und die Debatte Abschaffung der Schulnoten angefangen haben. Ich hatte das Gefühl, das ist für Sie so etwas wie Schnee in der Sahara. Sie können sich das einfach überhaupt nicht vorstellen; das heißt, man begibt sich wieder in diesen ideologischen Käfig und ist nicht einmal bereit dazu, darüber nachzudenken, was es mit den Schulnoten so auf sich hat.

Ich sage Ihnen Folgendes: Ein Aufsatz, den Schüler einer Klasse geschrieben haben und den 100 Lehrer zu bewerten hatten, wurde mit genauso vielen Fünfern wie Einsern benotet. Die Crux ist dieses Notensystem, das einfach komplett individuell ist. (Bundes­rat Dr. Kühnel: ... ist es ein Dreier!) – Aber der, der den Fünfer hat, ist aus dem Schul­system draußen.

Also ein bisschen nachdenken wird man wohl dürfen. Die Abschaffung der Noten ist nicht der Schnee in der Sahara, sondern das ist eine interessante Debatte, die man weiter führen muss im Sinne eines gerechteren Schulsystems – eines Schulsystems, das auch tatsächlich die Leistung abbildet.

Ich bin ja sehr auf die wahrscheinlich hier im Bundesrat stattfindende Bildungsenquete gespannt, wobei ich hoffe, dass über die Fraktionen hinweg einmal außerhalb dieses Kästchendenkens diskutiert wird.

Sehr geehrter Herr Minister Haupt! Ich weiß nicht, ich glaube, Jandl war es, der „med ana schwoazzn dintn“ geschrieben hat. (Rufe: Artmann!) – Richtig, H. C. Artmann. Ich habe das Gefühl, die FPÖ sagt immer, wenn sie irgendwo etwas unterschrieben hat, die ÖVP muss mit einer Löschtinte unterschrieben haben, denn nachher kann man sich an nichts erinnern und man war überhaupt nie dabei. So ist mir in den letzten Monaten die Haltung oder das aufgeregte Gegackere der FPÖ über die Geschichte mit den Pensionsreduktionen vorgekommen. Sie alle haben gewusst, was Sie getan


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haben. Ich traue ja der ÖVP viel zu, Herr Kollege Kritzinger, aber Löschtinte kommt eher in Agentenfilmen vor. (Zwischenruf des Bundesrates Kritzinger.)

Immerhin hat sich Herr Tomandl, der heute schon zitiert wurde, dann als Zeitzeuge zur Verfügung gestellt und hat gesagt: Genau das haben wir gewusst, genau das hatten wir auch einkalkuliert. – Ich befürchte, er wird die längste Zeit Experte der Regierung gewesen sein; aber das ist eine andere Geschichte.

Was in dieser ganzen Geschichte meiner Meinung nach jetzt wirklich bedauerlich ist, ist, wie sich die Sache in den letzten Wochen und Monaten entwickelt hat, dass man aus einem Leistungsanspruch ein Almosensystem gemacht hat und dass dann Lan­deshauptleute Menschen schön brav kniend antreten lassen, um Ihnen ... (Bundesrätin Roth-Halvax: Na geh, bitte! – Zwischenrufe bei der ÖVP.) – Ich habe die Bilder im Fernsehen gesehen! Alte Leute mussten Schlange stehen, um von einem Landes­hauptmann 10 € zu bekommen, dafür ein Buckerl machen, danke sagen und brav sein. (Neuerliche Zwischenrufe bei der ÖVP.) – Bitte, hören Sie auf! Diese Bilder haben wir aus Kärnten gesehen. (Bundesrat Hagen: ... in der Sonntagsmesse!)

Wenn ich mir den Sonntag ansehe, dann muss ich sagen: Vielleicht sind die Salzbur­ger etwas mündiger, zumindest haben sie die Tradition des Stierwaschers, und sie sind immer sehr sture Leute gewesen, die bei der Ehre irgendwann stopp gemacht haben; danach sieht das Wahlergebnis ganz offensichtlich auch aus.

Aber diese Art, bei einem Anspruch die Leute um Almosen antreten zu lassen, um ihnen dann jenes Geld in vermeintlich großzügiger Weise zu geben, das man ihnen vorher aus der Tasche genommen hat, wofür sie dann brav ein Buckerl machen dür­fen, ... (Bundesrat Dr. Böhm: Der Landeshauptmann schon, der schuldet es ja nicht!) Was ist mit dem Landeshauptmann? (Bundesrat Dr. Böhm: Der Landeshauptmann schon, der schuldet es ja nicht!) In diesem Fall hat er sich sogar gerühmt, dass er das selbst mitverhandelt hat. (Bundesrat Dr. Böhm: Die Steuerreform!) Er hat es auch nicht gelesen, er hat es sich offensichtlich nachher berichten lassen, was er verhandelt hat. (Neuerlicher Zwischenruf des Bundesrates Dr. Böhm.) Die Pensionserhöhung für das Jahr 2004 fiel derart gering aus, dass wir kaum über das Niveau des Jahres 2003 gekommen sind.

Schauen wir uns das einmal an! Da sehen wir: 4 Prozent realer Wertverlust, bei Netto­pensionen zirka 5,5 Prozent. Vergleichen wir das mit den Lebensmitteln – weil ein Red­ner vorhin so viele Lebensmittel genannt hat –, deren Preise alle um zirka 10 Prozent gestiegen sind! Wissen Sie, wie hoch eigentlich der reale Verlust für die Pensionisten und Pensionistinnen ist? Das kommt da noch hinzu!

Während junge Leute eher in Inflationsdämpfer investieren, zum Beispiel in eine DVD-Anlage oder in Digitalkameras oder in Computer oder in neue Autos, trifft es die Pen­sionisten und Pensionistinnen bei den Inflationstreibern, und das zeigt auch die Statis­tik, und das sind Gas, Heilbehelfe und Strom.

Meine Damen und Herren! Wenn Kollege Saller hier gemeint hat, dass die Ambulanz­gebühren abgeschafft wurden – das hat er als eine Leistung der Regierung geprie­sen –, dann komme ich mir vor wie bei George Orwell. Das ist eine Verdrehung der Tatsachen: Zuerst wird sie eingeführt, dann wird sie über einen ganz anderen Weg, über einen rechtlichen, abgeschafft, und dann heißt es wahrscheinlich: Wir haben die von Rot-Grün eingeführten Ambulanzgebühren, die so ungerecht waren, endlich abge­schafft! Das ist schon einmal in einem Wahlkampf so gewesen.

Meine Damen und Herren! Wir haben in Österreich keinen Generationenkonflikt, aber das Allerschlimmste ist – und das merken Sie, wenn Sie mit jungen Leuten reden –, dass die jungen Leute den Glauben an die Politik, an die soziale Sicherheit in Ihrer


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eigenen Zukunft verloren haben, was, wie ich glaube, ganz nachhaltig wirkt. Ein junger Mensch glaubt nicht mehr daran, und er sagt eigentlich im Scherz: Ich werde eh keine Pension mehr kriegen!

Das haben die letzten Jahre eigentlich bewirkt: dass die Jugend nicht mehr an das Pensionssystem glaubt, dass die Jugend nicht mehr an eine Absicherung im Alter glaubt, dass Vision und Vertrauen nicht mehr vorhanden sind.

Meine Damen und Herren! Ich glaube, dass das, was die jungen Menschen betrifft, ein viel, viel größerer und nachhaltigerer Schaden ist als so manches andere. Ein Genera­tionenkonflikt ist es nicht, aber ein Vertrauensverlust in die Politik generell. – Ich danke. (Beifall bei den Grünen und der SPÖ.)

18.24

 


Präsident Jürgen Weiss: Nächster Redner ist Herr Bundesrat Hagen. Ich erteile ihm das Wort.

 


18.24

Bundesrat Christoph Hagen (Freiheitliche, Vorarlberg): Sehr geehrter Herr Präsident! Sehr geehrter Herr Minister! Hohes Haus! Als direkt betroffener 35-Jähriger möchte ich hier doch noch das Wort ergreifen. Da hier von gewissen Herrschaften so viel Schwachsinn, muss ich sagen, geredet wurde, muss ich da einiges richtig stellen. (Bundesrat Konecny: Bitte, Herr Kollege?! – Weitere heftige Zwischenrufe bei der SPÖ.)

 


Präsident Jürgen Weiss (das Glockenzeichen gebend): Herr Kollege Hagen! Wollen Sie beim Begriff „Schwachsinn“ wirklich bleiben?

 


Bundesrat Christoph Hagen (fortsetzend): Ich nehme das zurück! – Da so viel an Unrichtigkeiten – ich glaube, das darf ich sagen – hier gesagt wurde, möchte ich darauf eingehen.

Kollege Fasching hat hier von dem Jahrgangsmodell für unter 35-Jährige gesprochen. Obwohl ich dieses Alter bereits überschritten habe und in diesem Fall daher zu den so genannten Privilegierten gehöre, muss ich hier doch eine Lanze für diese Altersgruppe brechen.

Wenn ich jetzt mich persönlich hernehme, so kann ich sagen: Ich arbeite seit 20 Jah­ren, und ich habe jetzt 20 Jahre lang den Pensionsbeitrag eingezahlt. Mit welchem Recht komme ich dazu, auf eine angemessene Pension, die mir auf Grund meiner Bei­tragszahlungen zusteht, zu verzichten? (Bundesrat Konecny: Gar nicht!) Da ist, finde ich, die Stichtagsregelung, die von der FPÖ vorgeschlagen wurde, ein fairer Schritt (Bundesrat Konecny: Da sind wir auf Ihrer Seite! Die Kolleginnen und Kollegen von der Gewerkschaft wollen das auch!), der von der FPÖ auch forciert wird. Das kann von der SPÖ mit vorgeschlagen worden sein, das ist in Ordnung, aber Faktum ist, dass die FPÖ das betreibt und dass das richtig ist.

Auch die Harmonisierung der Pensionssysteme ist, finde ich, mit dieser Stichtagsrege­lung überhaupt unproblematisch, denn Faktum ist, dass ich das, was ich mir bereits erworben beziehungsweise für das ich bereits eingezahlt habe, bekomme. Für die Zukunft haben wir ein gleichwertiges System vorgesehen. Das heißt: gleichwertige Bei­tragszahlungen, aber auch gleichwertige Auszahlungen.

Hier wurde gemeint, dass wir Jungen scherzhaft sagen, dass wir keine Pension mehr bekommen. Ich muss ehrlich sagen: Ich bin mir heute noch nicht ganz sicher – je nachdem, was die Zukunft bringt –, ob ich wirklich eine Pension bekommen werde, und ich weiß nicht, wie diese Pension dann ausschauen wird, ob ich dann nur noch eine Allgemeinpension bekommen werde, die für jeden gleich hoch sein wird, unabhängig


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von dem, was man eingezahlt hat. Das wissen wir nicht, denn wir wissen nicht, wie sich das entwickeln wird, in welche Richtung wir gehen werden. Faktum ist aber, dass irgend jemand die Pensionen einzahlen muss, und das sind wir Jungen, und deshalb haben wir auch einen Anspruch auf eine Pension. Das ist einmal ein Faktum!

Es muss da etwas gemacht werden, damit nicht nur diejenigen, die heute in Pension sind, eine Pension bekommen. Diese ist meiner Ansicht nach bei gewissen Herrschaf­ten zu hoch, wie zum Beispiel bei einem Herrn Vranitzky, der mehrere und sehr hohe Pensionen bekommt. Ich glaube, dass dieser Mensch nicht an der Armutsgrenze kratzt. Genauso ist es bei einem Pensionistenvertreter, dem Herrn Blecha, der eben­falls sozusagen ein Monstrum an Pension bekommt.

Da bin ich schon wieder froh darüber, dass die FPÖ hier im Hohen Haus verlangt hat, dass die Politikerpensionen abgeschafft werden. Das ist eine Idee der Freiheitlichen. (Zwischenrufe bei der SPÖ.) Das muss man hier einmal ganz klar sagen! Wir jungen Politiker bekommen keine Politikerpension mehr, und das ist gut so, denn mit welchem Recht bekomme ich zusätzlich eine Pension? Ich soll das bekommen, was ich einge­zahlt habe. Das ist ein Faktum!

Herr Kollege Reisenberger hat hier eine Tafel hochgehalten – ich darf sie kurz herneh­men (der Redner hält eine Tafel mit der Aufschrift: „SPÖ, Volksbegehren gegen Pen­sionsraub, 22.-29. März 2004“ in die Höhe) –, und ich nehme jetzt noch einmal auf die vorhin von mir erwähnten Herrschaften Bezug. Da müsste eigentlich dieser Text umgeschrieben werden, und zwar sollte bis auf das Wort „Pensionsraub“ alles wegge­strichen werden. (Bundesrat Konecny: Das ist immer diese grobe Vereinfachung der FPÖ!) Moment! – Dem müsste man dann das Jahr 1996 hinzufügen. – Oder soll man es Pensionsbetrug nennen?

Ich habe hier einen Brief des Herrn Altbundeskanzlers Vranitzky (der Redner hält eine Kopie des erwähnten Briefes in die Höhe), und dieser Brief beginnt so:

„Sehr geehrter Herr ...! Heuer gibt es eine ,Schöne Bescherung’ für alle, die ihren verdienten Ruhestand genießen oder sich schon darauf freuen: Die ÖVP wollte beste­hende Pensionen kürzen und das gesetzliche Pensionsalter überfallsartig erhöhen! Das habe ich persönlich verhindert. Um trotzdem auf die Pensionen zugreifen zu können, wollte die ÖVP Neuwahlen. Ausgerechnet eine Woche vor Weihnachten!“

Dann geht es weiter, blablabla, und am Schluss wird das handschriftlich gezeichnet mit „Ihr Franz Vranitzky“. (Bundesrat Konecny: Hätte auch gestimmt!)

Faktum ist, dass 1996 – da komme ich noch einmal auf die Tafel von vorhin zurück – die Pensionisten sehr wohl abgezockt wurden. An dieser Stelle möchte ich den Kolle­gen der sozialdemokratischen Fraktion schon sagen, dass sie in den Spiegel blicken sollten, denn man sollte Gleiches mit Gleichem vergleichen. Wir alle wissen, dass wir Jungen auch noch eine Pension wollen.

Vranitzky schreibt dann weiter, was vorhin auch schon gesagt worden ist – ich zitiere –: „Sichere Arbeitsplätze sind die beste Garantie, daß die Pensionen auch in Zukunft gesichert sind.“ – Zitatende.

Da stimme ich ihm zu! (Bundesrätin Bachner: Zu der Zeit hat es nicht so viele Arbeits­lose gegeben wie jetzt!) Diese Regierung ist angetreten, um sichere Arbeitsplätze zu schaffen. (Bundesrat Konecny: Es sind aber die Arbeitslosenzahlen gestiegen!) Die Arbeitslosenzahlen sind gestiegen – aber da müssen wir uns auch fragen, warum. Weil wir sehr viele ausländische Arbeitnehmer hereingeholt haben (Bundesrat Konecny: O je!), und wenn diese keine Beschäftigung mehr haben, bleiben sie hier und schrauben unsere Arbeitslosenstatistik in die Höhe. Dafür ist sicher nie die Freiheitliche Partei gewesen! (Neuerlicher Zwischenruf des Bundesrates Konecny.)


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Es wurde hier auch gesagt, dass die Lebensmittelkosten um 10 Prozent gestiegen sind. Die Frage ist: warum? – Ganz klar: Euro ist gleich Teuro! Das wissen wir, das wusste man. Wir von den Freiheitlichen haben ein Schilling-Volksbegehren gemacht. Das wurde aber von den anderen Fraktionen abgelehnt. (Bundesrat Konecny: Das ist gescheitert! Abgelehnt wurde es nicht, es ist gescheitert!) Es ist nicht eingebracht wor­den, weil es nicht die nötige Anzahl von Stimmen gehabt hat. Wenn die Leute heute unterschreiben könnten, dann wäre die Anzahl der Unterschriften garantiert wesentlich höher, und dann könnte das Volksbegehren in den Nationalrat eingebracht werden.

Faktum ist, dass dieses Volksbegehren der richtige Fingerzeig war und dass das, was damals gesagt wurde, auch eingetroffen ist.

Folgenden Punkt möchte ich hier noch anschneiden – der Herr Bundesminister hat das auch erwähnt –: das Nacht- und Schichtarbeiter-Gesetz und die Exekutive.

Von der SPÖ-geführten Regierung – und da kam, glaube ich, der Beamtenchef aus diesem Bereich drüben (der Redner deutet in Richtung ÖVP) – ist die Exekutive immer vernachlässigt worden. Man hat ihr sozusagen ein paar Knochen hingeschmissen.

Die Exekutivbeamten beginnen den Nachtdienst offiziell um 22 Uhr und nicht um 19 Uhr, so wie in der Privatwirtschaft, und hören um 6 Uhr auf und nicht um 7 Uhr wie in der Privatwirtschaft. Faktum ist auch, dass dieser Nachtdienst mit Journaldienst-Stunden unterbrochen wird, sodass die Exekutivbeamten nicht in das Nacht- und Schichtarbeiter-Gesetz hineinfallen. Da frage ich Sie: Wo ist da die soziale Gerechtig­keit? – Dank an den Herrn Minister! (Beifall bei den Freiheitlichen.)

18.31

 


Präsident Jürgen Weiss: Nächster Redner ist Herr Bundesrat Dr. Gumplmaier. Ich erteile ihm das Wort.

 


18.32

Bundesrat Dr. Erich Gumplmaier (SPÖ, Oberösterreich): Entgegen meiner ursprüng­lichen Absicht möchte ich jetzt insbesondere auf einige der letzten Wortmeldungen eingehen und vorneweg den Vordenker der Französischen Revolution, Jean-Jacques Rousseau, zitieren, der unter anderem gesagt hat: Der einzige Weg, den Irrtum zu ver­meiden, ist die Unwissenheit. – Wenn man sich so manches auf der Zunge zergehen lässt, was man hier hört, dann muss man sagen: Offensichtlich will man manches nicht wissen, weil man den Irrtum nicht eingestehen kann!

Es wurde immer wieder der Vorwand gebraucht: Ja, Ihr Sozialdemokraten habt 30 Jahre etwas nicht saniert, was zu sanieren gewesen wäre, und deshalb gibt es jetzt so drastische Maßnahmen!

Ja, wir haben einen Fehler begangen, und zwar haben wir den Fehler begangen, dass wir darauf vertraut haben, dass das, was wir über Jahrzehnte gemeinsam aufgebaut haben, nämlich den Wohlfahrtsstaat – ich betone: den Wohlfahrtsstaat! –, nicht in weni­gen Jahren demontiert werden kann. Darauf haben wir vertraut! Das ist unser grober politischer Fehler in den letzten Jahrzehnten gewesen. (Bundesrat Ing. Haller: Kennen Sie Europa nicht?) Aus diesem Grund hat es auch ein Sozialstaats-Volksbegehren gegeben, nämlich um diesen Wohlfahrtsstaat, den wir gemeinsam aufgebaut haben (Bundesrat Ing. Haller: Kennen Sie Europa nicht?) und von dem wir dachten, dass es ein gemeinsames Bekenntnis dazu gibt, zu sichern. (Bundesrat Dr. Böhm: Die demo­graphische Entwicklung spielt dabei keine Rolle?) – Ja, es ist einer der vielen Vor­wände, wo ein anderer Zweck dahinter steht. (Bundesrat Dr. Böhm: Nein! Wegen Ihrer Familienpolitik geht das nicht! – Ironische Heiterkeit bei der SPÖ als Reaktion auf den Zwischenruf des Bundesrates Dr. Böhm.)


Bundesrat
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Der erste Hinweis vom Kollegen Fasching lautete, Frau Fuhrmann hätte sich als eine der Wenigen für die Jugend stark gemacht. – Das ist ein großer Irrtum! Wenn man der Auffassung ist, dass man sich für die Jugend stark macht, indem man ein funktio­nierendes Sozialversicherungssystem so lange diskreditiert, bis niemand mehr daran glaubt, wenn man den Jungen einredet, das Umlagensystem allein reiche nicht aus ... (Bundesrat Dr. Böhm: Weil es nicht finanzierbar ist!)

Ja, ich weiß, es unterscheiden uns grundsätzliche gesellschaftliche Sichtweisen. (Bun­desrat Dr. Böhm: Nein! Finanzierbar ist es nicht!) Sie sind der Auffassung, dass man einen Staat gesundschrumpfen muss, dass zu viel Staatsanteil die Reichtümer ... (Zwi­schenruf bei der ÖVP.) Ja, an denen Sie mitverantwortlich waren.

Aber der wesentliche Unterschied in der Sichtweise besteht darin, dass wir der Auffas­sung sind, dass die Gesellschaft Jahr um Jahr so viel mehr an Reichtümern produziert, dass es nur eine Frage der gesellschaftlichen Gerechtigkeit und der Verteilung ist, wo­für man das Geld verwendet.

Europaweit läuft man dem Irrtum des Neoliberalismus seit Jahrzehnten nach – auch die Sozialdemokraten –, während man in Amerika längst erkannt hat, dass das der falsche Weg ist, und man pflegt nun dort den Pragmatismus.

Wenn wir eine andere Wirtschaftspolitik machen würden und zum Beispiel die Frauen­beschäftigungsquote, die Erwerbsquote erhöhen würden, ... (Bundesrat Dr. Kühnel: In Wien können Sie es demonstrieren, wie Sie es machen würden! Kommen Sie nach Wien mit Ihren Erkenntnissen, und sagen Sie dem Bürgermeister Häupl, wie er das tun soll!) Gut.

Diese Situation haben wir in der Ersten Republik gehabt, nämlich dass man Rest-Ös­terreich von Wien isoliert und mit dem Finger auf Wien gezeigt hat – allerdings im posi­tiven Sinne. Zu diesem Zeitpunkt hat es aber noch verfassungsrechtliche Möglichkeiten gegeben, als Einzelland auszuscheren. (Bundesrätin Roth-Halvax: Also tun wir weiter!) Tun wir weiter, ja.

Herr Wirtschaftskammerpräsident Leitl hat als wesentliche Erklärung dieses Wahlsonn­tags in Salzburg und in Kärnten für die ÖVP von einem „Pleiten-, Pech- und Pannen-Syndrom“ gesprochen. (Zwischenrufe und Heiterkeit bei der ÖVP. – Bundesrat Konec­ny – in Richtung ÖVP –: Also die Heiterkeit der ÖVP nach diesem Sonntag finde ich beachtlich! So etwas pflegt man Galgenhumor zu nennen!)

„Pleiten, Pech und Pannen“ klingt so, als passiere etwas, und wem offensichtlich lau­fend etwas passiert, das sind leider Sie, Herr Minister Haupt. Sie sind offensichtlich der „Pleiten-, Pech- und Pannen-Minister“ im öffentlichen Erscheinungsbild. Stichwort: Ambulanzgebühr.

Wenn man sich in der Chronologie der letzten Jahre bei der Pensionsreform die einzel­nen Vor und Zurück anschaut, dann sieht man:

Erstes Szenario: Katastrophe, Verschuldung.

Zweites Szenario: Willige Experten liefern die Begründungen.

Drittes Szenario: Die Experten geben eine Expertise ab. Die Regierung macht das Gegenteil.

Viertes Szenario: Die Experten mit langer Erfahrung bringen Beweise für die Fehlerhaf­tigkeit der Vorlagen. – Die Arbeiterkammer und der ÖGB werden dann als Verhinderer, als Betonierer und als unwillige Reformierer bezeichnet.

Dann bringt man Beispiele beziehungsweise Belege dafür, dass die Experten Recht haben. Dann stehen Wahlen vor der Tür. Dann wird schnell repariert. Letztendlich lobt


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man sich selbst, dass man das saniert hat, was man vorher demontiert oder zerstört hat.

Pleiten, Pech und Pannen nicht nur in der Pensionsreform. – Aber das klingt so, als wäre diese Politik nicht absichtsvoll. Nur: Offensichtlich passiert es Ihnen, Herr Minis­ter. Es ist eine klare Linie erkennbar. Diese klare Linie kommt aber offensichtlich aus der ÖVP, und Sie sind der Vollzieher einer Umverteilungspolitik von den kleinen Leuten zu den Wohlhabenden. (Bundesrat Dr. Kühnel: Klassenkampf!) – Ja, man möge sich nur anschauen, was man den kleinen Pensionisten wegnimmt, mit der Begründung, eine Pensionsreform sei notwendig. Im Gegenzug wird die Körperschaftssteuer ge­senkt, wovon in Wahrheit 800 Kapitalgesellschaften profitieren, unter anderen Herr Bartenstein und insbesondere Herr Prinzhorn.

Sie zitieren immer wieder gerne Herrn Rürup, wohl vergessend, wo der sein Handwerk gelernt hat. Er ist in Wahrheit Versicherungsmathematiker für Privatversicherungen und somit der falsche Experte für staatliche Versicherungen. (Bundesrat Dr. Kühnel: Die Mathematik hat kein Mascherl!) – Ja, ja, sie hat ein Mascherl. Sie sehen ja selbst, aus diesem Grund liegt heute wieder ein neuer Gesetzentwurf vor, ein weiteres Puzzle im Pleiten-, Pech- und Pannen-Spiel, das repariert wird, wo man vorher abgestritten hat, dass etwas zu reparieren ist. Heute liegt wieder ein Gesetzentwurf vor, der Aus­druck dieser Husch-Pfusch-Reformen ist, der Ausdruck dessen ist, dass man eigentlich nicht durchhält, was die Absicht ist, wo man sich hineintreiben lässt und wo man am Ende steht. Und dazu ist der ÖVP wirklich zu gratulieren.

Es ist heute schon mehrfach zitiert worden: Drei von vier Jugendlichen erwarten keine Pension mehr. Sie haben erreicht, was die Absicht war: das Vertrauen in die staatliche Sozialversicherung so lange zu untergraben, so lange zu zerreden, so lange zu diskre­ditieren, bis man das erreicht hat, was Frau Rauch-Kallat meint: Jedem Österreicher sei zuzumuten, 100 € im Monat für die private Altersvorsorge zurückzulegen. Was heißt das? – Rechnen Sie einmal 3 Millionen Beschäftigte mal monatlich 100 €! – Das ist ein Kapitalstock, der die Finanzmärkte sehr wohl beleben würde, allerdings im Unterschied zur staatlichen Pensionsversicherung sehr unsicher ist, aber jedenfalls einer anderen wirtschaftspolitischen Ausrichtung entspricht, als wir sie als Sozialdemo­kraten verfolgen. Dieses Ziel hat die ÖVP dank Ihrer Politik, Herr Minister, erreicht. Die Direktoren in den großen Versicherungskonzernen reiben sich die Hände und auch ... (Zwischenruf des Bundesrates Mag. Himmer.) – Manchem fällt es vielleicht leichter zuzuhören, wenn man langsamer redet.

Ein wesentliches Problem wird auch darin bestehen, dass die generell niedrigen Pen­sionserhöhungen durch die Einmalzahlungen und den fehlenden Wertausgleich weiter massiv reduziert werden. Kollege Schennach hat auf dieses Problem bereits auf­merksam gemacht, dass heute eine Pension, die im Jahr 2000 700 € betragen hat, auf Grund der durchgeführten Erhöhung heuer 731 € wert wäre. Wäre aber die volle Inflation auch der Vorvorjahre abgegolten, dann müsste sie um 21,90 € höher sein, das heißt in Summe 753 € betragen. Es gibt also Handlungsbedarf, sage ich.

Die Bezieher kleiner Pensionen sind – und das hat Kollege Schennach auch schon vorweggenommen – von einem anderen Warenkorb betroffen als jenem der Statistik Austria. Sie sind in ihren täglichen Einkäufen von einer wesentlich höheren Infla­tionsrate betroffen als ein Österreicher mit durchschnittlichem Einkommen. Das heißt, Bezieher von Kleinsteinkommen sind durch den nicht vorhandenen Wertausgleich wesentlich mehr vom Wertverlust betroffen. In Summe haben die Pensionisten seit dem Jahr 2000 bereits 41,80 € an Wertverlust erfahren müssen.

In der Arbeiterkammer Oberösterreich ist es hochgerechnet worden: Die fehlende Wertsicherung wird dazu führen, dass die Kaufkraft der Pensionisten in den nächsten


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15 bis 20 Jahren halbiert werden wird. Das heißt, die Altersarmut ist vorprogrammiert, und ich bitte Sie, im Sinne des Zitats von Rousseau die Augen zu öffnen und nicht aus Unwissenheit einen weiteren Irrtum zu begehen. In diesem Sinne: Die nächsten Schritte im Hinblick auf eine Pensionsreform oder die Rücknahme der fehlgeschlage­nen Reform sind notwendig. (Beifall bei der SPÖ und den Grünen.)

Eine persönliche Bemerkung im Nachhinein: Für jene, die mein langsames Sprechen sehr schwer ertragen: Ich möchte nachreichen, es können nicht alle wissen, ich leide an der Parkinson-Krankheit, und dies ist auch ein Ausdruck und ein Symptom der Erkrankung. Ich bitte um Verständnis dafür und ersuche Sie, mein langsames Reden weiterhin zu ertragen. – Danke. (Allgemeiner Beifall.)

18.48

 


Präsident Jürgen Weiss: Weitere Wortmeldungen hiezu liegen nicht vor.

Wünscht noch jemand das Wort? – Das ist nicht der Fall.

Die Debatte ist geschlossen.

Fortsetzung der Tagesordnung

 


Präsident Jürgen Weiss: Wir setzen die Verhandlungen über den Tagesordnungs­punkt 13: Strafprozessreformgesetz fort.

Als nächste Rednerin kommt Frau Bundesrätin Diesner-Wais zu Wort. – Bitte.

 


18.49

Bundesrätin Martina Diesner-Wais (ÖVP, Niederösterreich): Herr Präsident! Herr Minister! Meine Damen und Herren des Bundesrates! Nach langer Diskussion und auch Vorbereitungsphase mit vielen Experten, beginnend noch in der Zeit der großen Koalition, wurde das Strafprozessreformgesetz im Nationalrat beschlossen, und heute liegt es uns im Bundesrat zum Beschluss vor.

Wenn wir auf das Jahr 2003 zurückblicken, dann sehen wir, dass es da 207 000 anhängige Strafverfahren bei Bezirksgerichten und zirka 105 000 anhängige Strafver­fahren auf Landesebene gegeben hat. Und davon konnten 50 Prozent im Vorverfahren ohne Einschaltung des Gerichts geklärt werden. Ich glaube, gerade diese Zahlen zeigen uns, wie wichtig das Vorverfahren ist.

Wie ist es bis jetzt passiert? – Bis jetzt war es so, dass eigentlich die Polizei oder die Gendarmerie ermittelt hat und dem Staatsanwalt dann die Beweise zur Anklageerhe­bung vorgelegt worden sind.

Die Struktur des Vorverfahrens der geltenden Strafprozessordnung geht im Wesent­lichen auf das Jahr 1873 zurück. Diese Reform soll auf dem Gebiet der kriminalpolizei­lichen Effizienz und auch im Bereich des grundrechtlichen Schutzes erfolgen.

Ziel ist es daher, das Vorverfahren von der Anklageerhebung bis zur Aufklärung der Straftat, die kriminalpolizeilichen Aufgaben, die Rechte des Beschuldigten und dessen Verteidigers, die Rolle des Staatsanwaltes und Ermittlungsrichters sowie die Rechte des Opfers zu regeln.

Eine ganz neue Bedeutung kommt dem Staatsanwalt zu. Er wird nun Herr des Verfah­rens und sitzt nicht mehr wie bisher nur hinter dem Schreibtisch, sondern er tritt hinaus an den Tatort.

Ein wichtiger Punkt, glaube ich, ist auch, dass der Staatsanwalt, weiter objektiver An­kläger, dem Grundprinzip der materiellen Wahrheitsforschung verpflichtet ist. Das Ge­richt ist grundsätzlich auf den Grundrechtsschutz beschränkt, also Haftbefehle, Tele-


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fonüberwachung, Hausdurchsuchungen und Beschwerden. Das Gericht kann Ermitt­lungen durch die Kriminalpolizei anordnen, aber auch vom Staatsanwalt und von der Kriminalpolizei die tatsächliche Aufklärung verlangen. Das Gericht kann auch die Beweise aufnehmen, wenn diese in der Hauptverhandlung nicht zur Verfügung stehen.

Die Zahl der strafbaren Handlungen ist, wie wir in den Nachrichten gehört haben, vor allem in Niederösterreich, im vergangenen Jahr um 20 Prozent gestiegen, und da ist es sehr wichtig, etwas in diese Richtung zu tun. Strafbare Handlungen sind am besten zu vermeiden, doch sie passieren, und deswegen müssen wir versuchen, unsere Staats­bürger davor zu schützen und die Schuldigen zu verfolgen und auch Sanktionen zu verhängen.

Es ist aber auch eine besondere Verpflichtung, die Grundrechte der Beschuldigten zu wahren, und dies passiert jetzt in diesem neuen Gesetz. Bisher hat weder der Beschul­digte noch sein Verteidiger festgeschriebene Rechte oder Möglichkeiten gehabt. Dies hat auch zu einer Verurteilung Österreichs durch den Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte geführt. Daher ist diese Verbesserung höchst notwendig und schon längst fällig.

Neu ist auch die Rechtsbelehrung des Beschuldigten, wie wir sie aus Film und Fernse­hen kennen, denn in den amerikanischen Filmen ist es immer so, dass bei jeder Fest­nahme der Beschuldigte über seine Rechte aufgeklärt wird. Dies wird nun ebenfalls Bestand unserer österreichischen Rechtsordnung.

Es gibt im strafrechtlichen Vorverfahren den Grundsatz des Fair Trial, der Unschulds­vermutung, denn wenn einer in der Grube sitzt, so heißt es nicht, dass er immer der Schuldige ist. Daher muss die Unschuldsvermutung gelten, und die Ermittlungen im Vorverfahren können dann die Grundlage für eine Anklage vor einem unabhängigen Gericht sein, das dann beurteilt, ob die Anklagepunkte wirklich ausreichend sind.

Es gibt nun das Verbot wiederholter Strafverfolgung und das Recht, gehört zu werden, aber auch das Recht, einen sachkundigen Verteidiger beizuziehen, und zwar von der ersten Minute an. Folgende Rechte hat der Beschuldigte noch: Information über einen Verdacht und seine Rechte, denn nur der, der seine Rechte kennt, kann sie auch ausüben; Akteneinsicht schon bei den Ermittlungen der Exekutive, was bis jetzt nicht möglich war, sondern erst im Gerichtsverfahren; seinen Verteidiger frei zu wählen oder einen Verfahrensverteidiger zu erhalten. Die Aufnahme von Beweisen ist auch eine Neuerung, die zu Ausgewogenheit zwischen der Anklagebehörde und den Betroffenen führen soll.

Dies sind nur einige Punkte, die sich verbessert haben. Ich persönlich glaube, es ist ein guter Kompromiss gefunden worden zwischen den Rechten des Beschuldigten und den Interessen des Staates zum Schutz seiner Bürger vor Kriminalität.

Ganz neu in der Strafprozessordnung sind auch die Opferrechte. Ich glaube, es ist eine gute Sache, dass endlich den Opfern auch eine angemessene Aufmerksamkeit vom Gesetzgeber eingeräumt wird. Opfer haben nun das Recht, sich am Verfahren zu beteiligen und über die Rechte belehrt zu werden. Sie haben die Möglichkeit, in der Hauptverhandlung Angeklagte, Zeugen und Sachverständige zu befragen und ihre Sicht darzulegen.

Neu ist auch, dass besonders belasteten Opfern eine juristische oder psychosoziale Prozessbegleitung zusteht. Unter besonders belasteten Opfern verstehen wir vor allem jene, die Sexual- oder Gewaltdelikten zum Opfer gefallen sind. Solche Straftaten können wir natürlich nicht ungeschehen machen, aber durch professionelle Betreuung können wir dafür sorgen, dass sie bestmöglich verarbeitet werden.


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Ein Recht ist es auch, dass Opfer über die Entlassung der Beschuldigten informiert werden und dann einen Antrag auf Fortführung des Verfahrens stellen können. Opfer, die Schadenersatz- oder Entschädigungsansprüche geltend machen, können im sel­ben Umfang wie in der Zivilprozessordnung Anspruch auf eine unentgeltliche Beige­bung eines Verteidigers haben.

Meine Damen und Herren! Neu ist auch die Verankerung von modernen Ermittlungs­methoden wie Observation, verdeckte Ermittlung oder Scheingeschäfte. Die Kontrolle darüber obliegt dem Rechtsschutzbeauftragten. Der Rechtsschutzbeauftragte wurde auf Wunsch der SPÖ in der Zeit der großen Koalition weisungsfrei und unabhängig geschaffen. Vor gar nicht allzu langer Zeit hat der Verfassungsgerichtshof in seinem Erkenntnis zum Militärbefugnisgesetz ausgeführt, dass die Weisungsunabhängigkeit des Rechtsschutzbeauftragten einer Verfassungsbestimmung bedarf. Daher wäre unsere Fraktion dafür, ein Verfassungsgesetz zur Absicherung der Weisungsfreiheit des Rechtsschutzbeauftragten zu machen. Aber leider gibt es keine Zustimmung durch die Opposition.

Diese Reform der Strafprozessordnung soll mit 1. Jänner 2008 in Kraft treten. Es wäre wirklich wünschenswert, dass bis dorthin noch eine Einigung über die Absicherung der Weisungsfreiheit des Rechtsschutzbeauftragten durch ein Verfassungsgesetz möglich wird. Weiters wäre es auch sehr wünschenswert, wenn die Opferrechte bereits in die bestehende Strafprozessordnung eingearbeitet würden.

Zusammenfassend: Ich meine, diese neue Strafprozessordnung ist nicht nur verfas­sungskonform, sondern wird auch der Aufklärung von Straftaten, den Verteidigungs­rechten und Opferrechten gerecht. Daher wird meine Fraktion dem vorliegenden Ge­setz auch ihre Zustimmung geben. (Beifall bei der ÖVP.)

18.58

 


Präsident Jürgen Weiss: Als Nächstem erteile ich Herrn Bundesrat Schennach das Wort. – Bitte.

 


18.58

Bundesrat Stefan Schennach (Grüne, Wien): Sehr geehrter Herr Präsident! Sehr geehrter Herr Minister! Liebe Frau Kollegin, nachdem Sie hier quasi eine Absolution erteilt haben hinsichtlich der Verfassungskonformität dieses Gesetzes, möchte ich nicht Ihre Kenntnisse anzweifeln. Ich möchte auch nicht sagen, dass ich die entsprechenden Kenntnisse habe. Aber es gibt zwei namhafte Professoren, Professor Mayer und Pro­fessor Walter, ... (Bundesrätin Diesner-Wais: Aber viele andere auch!) – Im Gegen­satz zu anderen erwähne ich auch die anderen, Funk und Öhlinger sind anderer Mei­nung. Also steht es zwei zu zwei. Zwei unserer großen Verfassungsexperten sind also dieser Meinung und zwei anderer Meinung. Also so locker vom Hocker zu sagen, und deshalb hat dieses Gesetz die Verfassungskonformität, so einfach wird es nicht sein. Wir können auch mit Sicherheit davon ausgehen, dass der Verfassungsgerichtshof mit dem Gesetz, das wir heute hier beschließen, befasst werden wird müssen.

Wir reden über das strafprozessuale Vorverfahren. In der Tat, Sie haben es selber ge­sagt, wir reformieren nicht ein Gesetz des letzten Jahrhunderts, sondern des vorletzten Jahrhunderts, des 19. Jahrhunderts. Das muss man sich einmal vorstellen! Dass die­ses Gesetz dringend einer Reform bedarf, da sind sich, wie ich meine, alle Fraktionen einig. (Zwischenruf des Bundesrates Dr. Böhm.) Stimmt, Herr Kollege Böhm! Sie sind ja Verfassungsrechtler – nein, sind Sie nicht, aber verfassungsrechtlich sehr versiert.

Drei Jahrzehnte dauerte die Diskussion. Und, Herr Minister Böhmdorfer, wie schon bei einer Diskussion im Dezember frage ich mich: Warum haben wir die letzte Kurve nicht gemeinsam geschafft? Drei Jahrzehnte Diskussion, weitgehender Parallelslalom aller


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Fraktionen im Interesse, es zu tun – und trotzdem können wir keinen gemeinsamen Zieleinlauf schaffen, weil es an wenigen, aber nicht ganz unwichtigen Fragen gehan­gen hat.

Aber, Frau Kollegin, wir haben noch bis 2008 die Chance, zumindest in der Diskussion einige Korrekturen anzubringen, uns vielleicht anzunähern oder bei dem einen oder an­deren Punkt zu einigen. (Zwischenrufe der Bundesräte Diesner-Wais und Dr. Kühnel.)

Einer der springenden Punkte, Herr Minister, ist sicherlich das Weisungsrecht. Die Staatsanwaltschaft ist eine Administrativbehörde, und Sie haben für diese das Wei­sungsrecht. Nunmehr hat die Staatsanwaltschaft – das ist ein Philosophiewechsel! – das Heft in der Hand und führt die Untersuchung, das Verfahren. Da ist sie aber kein Organ mehr, sie ist jedoch auch kein Organ der unabhängigen Justiz.

Artikel 94 B-VG besagt, dass Justiz und Verwaltung in allen Instanzen getrennt zu halten sind. Nun gebe ich schon zu – und der Herr Minister wird in seiner Erwiderung wahrscheinlich darauf zu sprechen kommen –, dass die Staatsanwaltschaft keine Administrativbehörde wie hundert andere auch ist; sie ist etwas Besonderes, stimmt! Aber sie ist trotzdem eine Administrativbehörde! Die gesamte Diskussion hat gezeigt, die einen – also zwei – sind der Meinung, es passt so, die anderen – auch zwei – sind der Meinung, das verstößt gegen Artikel 94 B-VG. Also kam von unserer Seite, auch von sozialdemokratischer und von wissenschaftlicher Seite, der Vorschlag, das Wei­sungsrecht zu einem Bundesanwalt zu verlagern. Damit hätten wir eine tatsächlich wei­sungsungebundene Staatsanwaltschaft.

Wir sind ja mit dem Philosophiewechsel in der Verfahrensführung durchaus einverstan­den, das ist richtig. Dieser Grundgedanke des Gesetzes ist richtig. Die Frage ist nur: Wie gehen wir mit dem Weisungsrecht um?

Der nächste Punkt – den haben ja auch Sie, Frau Kollegin, schon erwähnt – betrifft den Rechtsschutzbeauftragten. Beim Militärbefugnisgesetz ist die entsprechende Bestim­mung aufgehoben worden, denn einen Rechtsschutzbeauftragten mit einfacher gesetz­licher Mehrheit sieht der Verfassungsgerichtshof als verfassungswidrig an, er muss weisungsfrei gestellt werden. Ich frage mich nun, warum wir sehenden Auges in dieselbe Bredouille laufen Die Nuancen sind zwar wieder ein bisschen verschieden, darum haben wir wieder die Zwei-Zwei-Situation bei den Verfassungsrechtlern, ich halte jedoch diesen Punkt trotzdem für noch weit gravierender als den ersten von mir genannten, weil der erste von mir genannte Punkt insofern abgeschwächt ist, als es eine besondere Behörde ist. Gleichwohl gilt Artikel 94!

Diese Konstruktion ist also schon einmal aufgehoben worden. Jetzt haben wir einen Justizminister, der im Zivilberuf Anwalt war und oft und vielmals als Verteidiger bei Ver­fahren anwesend war. Warum kommt von einem Minister, der im Zivilberuf Verteidiger war, jetzt diese Möglichkeit, den Verteidiger so leicht, viel zu leicht ausschließen zu lassen?

Das Positive an diesem Gesetz – und da ist wahrscheinlich wieder Böhmdorfer als Ver­teidiger beziehungsweise als Anwalt mit federführend – ist, dass der Verteidiger nun­mehr ab sofort beizuziehen ist, dass er ab sofort anwesend ist und dass er vor allem auch Zusatzfragen stellen kann. Das gab es bis jetzt nicht. Aber das Gesetz sieht vor, dass man den Verteidiger auch wieder ausschließen kann, wenn der Zweck der Unter­suchung gefährdet ist. Wir werden sehen, wie sich das in der Praxis – also erst ab 2008 – bewährt oder ob wir hier noch einen Kompromiss finden, mit dem wir die Hürde des Ausschlusses nach oben setzen.

Der zweite Punkt – da haben Sie sich bereits im Vorfeld Zweiklassenjustiz vorwerfen lassen müssen, Herr Minister – betrifft die Verfahrenshilfe. Wenn wir die Verfahrens-


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hilfe erst nach 48 Stunden gewähren, so kann sich Kollege Liechtenstein für die ersten 48 Stunden möglicherweise den Anwalt leisten, aber ein finanziell schlechter Gestellter nicht. Letzterer bekommt die Verfahrenshilfe erst, wenn die zweiten 48 Stunden be­ginnen.

Damit komme ich jetzt zu einem Punkt, der mich, der in seiner ehrenamtlichen Tätigkeit sehr viel damit zu tun hat, zu der Überzeugung gebracht hat: dass man diesen Punkt in so einem Jahrhundertwerk nicht geändert hat, ist einfach eine Schande! Wir beschlie­ßen heute ein Gesetz, mit dem Menschen 96 Stunden angehalten werden können – 48 Stunden bei der Polizei, 48 Stunden bei Gericht. Erst nach 96 Stunden – und 96 Stunden sind eine lange Zeit! – muss letztlich über die U-Haft entschieden werden.

Das ist zu lange und das ist nicht europäischer Standard. Auch wenn ich konzediere, Herr Minister, dass die Trennung von 48 zu 48 in wenigen europäischen Ländern so ist, so sind 96 Stunden dennoch zu lange. Es wäre schön und ein fortschrittliches Gesetz gewesen, wenn dies nicht so wäre. Herr Miklau hat im Ausschuss gesagt, dass Frankreich eine ähnliche 48/48-Regelung einzuführen gedenkt, aber momentan – und das muss man schon sagen – sind wir, was diese 48/48-Regelung betrifft, europäi­sches Schlusslicht.

Die Europäische Menschenrechtskonvention sieht vor, dass, wenn jemand in Haft genommen wird, diese Entscheidung unmittelbar zu erfolgen hat. Zwei Mal 48 Stunden sind dagegen ein eklatanter Rückschritt hinter die Menschenrechtskonvention.

Herr Minister! In diesem Sinne werden wir heute diesem Gesetz – und das ist ja nicht überraschend – unsere Zustimmung nicht geben, hoffen aber, dass wir in Parteienver­handlungen bis zum In-Kraft-Treten dieses Gesetzes bei dem einen oder anderen – ich habe jetzt gar nicht von der Blutabnahme gesprochen, ich habe gar nicht vom Lock­spitzel gesprochen, das sind die kleineren „Fische“ – dieser vier großen Punkte, die ich aufgezeigt habe, insbesondere auch in der 96-Stunden-Frage noch zu Gesprächen und Lösungen kommen und dieses Gesetz mit einer Novellierung noch vor seinem In-Kraft-Treten so verbessern, dass alle vier Parteien in diesem Land sagen: Ja, wir stehen alle zusammen zu diesem Jahrhundertgesetz! – Danke. (Beifall bei den Grünen und bei Bundesräten der SPÖ.)

19.09

 


Präsident Jürgen Weiss: Als nächstem Redner erteile ich Herrn Bundesrat Dr. Böhm das Wort. – Bitte.

 


19.09

Bundesrat Dr. Peter Böhm (Freiheitliche, Wien): Sehr geehrter Herr Präsident! Geschätzter Herr Bundesminister! Werte Damen und Herren des Hohen Hauses! Die heute zu beschließende Strafprozessreform setzt einen weiteren Meilenstein auf dem Weg der Justizpolitik. Jahrelang ist diese zeitgemäße Reform an widrigen tagespoli­tischen Umständen gescheitert. Umso mehr freut es mich, dass der Bundesminister der gegenwärtigen Bundesregierung den Durchbruch für sie erzielt hat, dient doch dieses größte Justizvorhaben der letzten Jahrzehnte der Erneuerung eines für einen modernen Rechtsstaat so zentralen wie auch sensiblen Rechtsgebietes, die damit end­lich geglückt ist.

Es ist den Referenten und hohen leitenden Beamten des Justizministeriums für ihre hervorragende legistische Arbeit Dank zu sagen.

Ich teile übrigens die von meiner sehr geschätzten Frau Kollegin Dr. Hlavac und vom gleichfalls geschätzten Herrn Kollegen Schennach angesprochenen verfassungsrecht­lichen Bedenken nicht, räume allerdings ein, dass die Sache tatsächlich auch unter den Experten umstritten war, wobei mir freilich die Stellungnahme Mayers eher thesen-


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haft erschienen ist, während die Gutachten von Funk und Öhlinger ja sehr eingehend begründet sind. Das würde aber jetzt hier zu weit führen, ich denke, vor allem deshalb, weil ja der Grundsatz der Anklage durch die überkommene Anklagebehörde auch in der Verfassung verankert und der Anklageprozess auch durch die MRK vorgegeben ist. Es ist ja auch nicht so, dass der Staatsanwalt zu entscheiden hat. Letztlich nimmt er, sollte es überhaupt zur Anklage kommen, eine Parteistellung ein und hat keine Entscheidungsfunktion.

Diese vorliegende Neuregelung des strafprozessualen Vorverfahrens verbessert die rechtsstaatliche, aber auch soziale Position aller Verfahrensbeteiligten. Sie werden verstehen, meine Damen und Herren, dass ich aus der Sicht freiheitlicher Rechtspolitik primär die damit verbundene Verbesserung der rechtlichen Möglichkeiten der Opfer von Straftaten hervorhebe; geht es uns doch gesellschaftspolitisch immer um den Vor­rang des Opferschutzes vor dem Täterschutz!

Und gerade den Bedürfnissen der Opfer wird – das ist ja heute schon mehrfach er­wähnt worden – die Strafprozessreform im besonderen Maße gerecht. So wird einmal die Durchsetzung ihrer aus der Straftat resultierenden zivilrechtlichen Ansprüche er­heblich verbessert. Darüber hinaus wird bereits im Strafverfahren als solchem die prekäre Lage und psychische Befindlichkeit von Verbrechensopfern voll berücksichtigt; auch das ist ja schon sehr klar ausgeführt worden. Zu den ihnen erstmals eingeräum­ten Rechten zählen die unentgeltliche Beistellung eines Anwalts, umfassende Informa­tionspflichten der Behörden und – im Verfahren – die Befugnisse zu Beweisanträgen und zur Teilnahme an Verhandlungen, Befundaufnahmen und Rekonstruktionen der Straftat am Tatort. Ferner wird die gebotene psychosoziale Hilfestellung und juristische Prozessbegleitung der Opfer, insbesondere von Sexual- und Gewaltdelikten, absolut gewährleistet.

Ein weiteres Reformziel war die höhere Effizienz und zugleich rechtsstaatlich bessere Absicherung des strafprozessualen Vorverfahrens und der in ihm stattfindenden Sach­ermittlung. All dem dient die klare Zuweisung der Beweiserhebung an die Kriminalpoli­zei unter der Leitung und der Aufsicht der Staatsanwaltschaft. Wer dabei der ehemali­gen Zuständigkeit des Untersuchungsrichters nachtrauern wollte, der verkennt, dass der Untersuchungsrichter schon bisher in der Praxis in aller Regel keine echte Ermitt­lungstätigkeit mehr entfaltet hat.

Das entspricht auch den Erfahrungswerten der innereuropäischen Rechtsvergleichung in den vergleichbaren Ländern. Anders als bisher werden sich aber künftig die polizei­lichen Ermittlungen nicht mehr wie heute in einer rechtlichen Grauzone bewegen, und zudem, wie gesagt, vom Staatsanwalt als einem professionellen Justizorgan geleitet, koordiniert und kontrolliert werden.

Zugleich wird das Legalitätsprinzip gegenüber der – freilich in der Praxis ohnehin seit langem nicht mehr gehandhabten – Befugnis des Bundesministers für Justiz, eine Wei­sung auch in Richtung Einstellung zu erteilen, dadurch verstärkt, dass der subsidiäre Antrag auf Anklageerhebung eingeführt wird. Dieser steht künftig sowohl dem Opfer als auch anderen Personen zu, die ein rechtliches Interesse an der Strafverfolgung haben. Damit ist ein ausreichendes Korrektiv gegenüber einer allfälligen ungerechtfertigten Einstellung des Strafverfahrens geschaffen, mag sie auf einer Weisung gar des Justiz­ministers beruhen, was, wie gesagt, in der Realität seit Jahren nicht mehr vorgekom­men ist, oder unabhängig davon sein.

Damit sollte auch der Streit um das Weisungsrecht des Justizministers beendet oder zumindest entschärft sein, denn in Fällen einer Weisung in Richtung Anklageerhe­bung – auch das kommt in der Praxis nicht vor – würde ja ohnehin immer der unabhän­gige Richter über Schuld oder Unschuld des Angeklagten erkennen.


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Für Fälle einer bedeutungsvollen Tat und mit prominentem Tatverdächtigen, also für die vom ehemaligen Justizminister Foregger so genannten clamorosen Fälle, bleibt es auch künftig bei der Zuständigkeit des Untersuchungsrichters zur Sachverhaltsermitt­lung. Was mir aber viel bedeutsamer erscheint, ist der Umstand, dass der Unter­suchungsrichter nach wie vor dazu berufen sein wird, über solche Maßnahmen der Er­mittlung zu befinden, die in Grundrechte des Verfolgten eingreifen, also insbesondere zum Beispiel über Hausdurchsuchungen.

Zur erhöhten Effizienz der Strafverfolgung werden moderne Instrumente der Fahn­dung, klare Regeln über die Observation, wie auch die Identitätsfeststellung und die körperliche Untersuchung, insbesondere die DNA-Analyse, der Datenverbund zwi­schen den Sicherheitsbehörden und der Justiz sowie die erweiterte Möglichkeit „ver­deckter Ermittlungen“ erheblich beitragen. Man muss einerseits keine große Sympathie insbesondere auch für den so genannten „agent provocateur“ aufbringen – ich habe dafür jedes Verständnis –, muss aber andererseits doch auch die Entwicklungen, die sich im Bereich der organisierten Kriminalität vollzogen haben, zur Kenntnis nehmen. Es kann eben eine effiziente Strafverfolgung – natürlich im Rahmen rechtsstaatlicher Grenzen – nicht hinter den technischen Möglichkeiten der organisierten Kriminalität zurückstehen.

Zuletzt darf ich noch zu einer auch schon heute angesprochenen höchst delikaten Frage im Spannungsfeld von Verteidigungsrechten einerseits und Wahrheitsfindung andererseits Stellung beziehen, eine sicher so sensible Frage, dass sie auch in unserer eigenen Fraktion zunächst zum Teil durchaus kontroversiell beurteilt worden ist.

Das Recht eines polizeilich festgenommenen Verdächtigen oder bei Gericht inhaftier­ten Beschuldigten zur Beiziehung eines Verteidigers innerhalb der ersten 48 Stunden wird künftig eindeutig gewährleistet. Den für mich durchaus nachvollziehbaren Beden­ken unserer Justizsprecherin gegen eine allfällige Gefährdung der Wahrheitsfindung ist im Entwurf beziehungsweise im jetzigen Gesetzesbeschluss dadurch voll Rechnung getragen worden, dass der Kontakt des Verdächtigen oder Beschuldigten mit dem beigezogenen Vertreter, seinem Verteidiger, auf die Erteilung einer Vollmacht und eine allgemeine Rechtsauskunft eingeschränkt werden kann, sofern das notwendig er­scheint, um eine Beeinträchtigung der Ermittlung oder von Beweismitteln abzuwenden.

Festzuhalten ist auch, dass der Verteidiger künftig, wie ebenfalls heute bereits erwähnt, schon bei der ersten Vernehmung anwesend sein kann, ohne freilich dabei Kontakt mit seinem Mandanten aufnehmen zu dürfen. Selbst davon kann abgesehen werden, wenn dies erforderlich ist, um eine Gefahr für die Ermittlung oder die Beein­trächtigung von Beweismitteln abzuwenden. Nach Möglichkeit ist dann allerdings eine Ton- oder Bildaufnahme anzufertigen. Am Schluss der Vernehmung kann der Vertei­diger ergänzende Fragen an den Beschuldigten richten. Nur im äußersten Grenzfall der Verdunkelungsgefahr darf die Beiziehung eines Verteidigers sogar untersagt oder wenigstens der Kontakt mit dem Beschuldigten überwacht werden.

In all dem sehe ich eine rechtspolitisch durchaus ausgewogene Kompromisslösung!

Aus all diesen Erwägungen, die den klaren rechtsstaatlichen Fortschritt im strafprozes­sualen Vorverfahren erkennen lassen, begrüße ich das Reformvorhaben, persönlich wie auch im Namen meiner Fraktion, die dem vorliegenden Gesetzeswerk daher gerne ihre Zustimmung erteilen wird. – Danke. (Beifall bei den Freiheitlichen und bei Bundes­räten der ÖVP.)

19.19

 


Präsident Jürgen Weiss: Ich erteile nun Herrn Bundesminister Dr. Böhmdorfer das Wort. – Bitte.

 



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19.19

Bundesminister für Justiz Dr. Dieter Böhmdorfer: Sehr geehrter Herr Präsident! Sehr geehrte Damen und Herren des Bundesrates! Ich möchte mich zunächst bei Frau Bundesrätin Diesner-Wais – die leider nicht mehr hier ist – für die Würdigung der gro­ßen Züge dieses Gesetzes und der grundsätzlichen neuen Entwicklungen bedanken. Es freut mich immer, wenn auch jemand, der keinen juristischen Beruf ausübt, das würdigt, weil es ganz wichtig ist, dass Strafrecht und auch das Strafverfahrensrecht von der Bevölkerung automatisch akzeptiert, und es von ihr auch anerkannt wird, wenn ein so großes Gesetzeswerk – in diesem Fall nach zirka 30 Jahren! – heute endlich das Licht der Welt erblickt.

Ich bedanke mich ganz besonders bei Herrn Professor Böhm für seine profunden Aus­führungen, die gezeigt haben, dass auch die Rechtswissenschaft dieses Gesetz be­grüßt und anerkennt, und mein Dank gilt auch den Legisten unseres Hauses, allen voran Herrn Sektionschef Dr. Miklau, der heute hier ist, dem nicht hier anwesenden Leitenden Oberstaatsanwalt Dr. Pleischl, dem hier anwesenden Leitenden Staatsan­walt Herrn Mag. Pilnacek, der nicht anwesenden Frau Generalanwältin Mag. Fuchs und den beiden anwesenden jüngeren Mitarbeitern unseres Hauses, Frau Mag. Prior und Herrn Mag. Höbl. – Sie alle haben ein großes Werk zu Stande gebracht! (Beifall bei den Freiheitlichen und der ÖVP.)

Ich gehe natürlich auch auf die kritischen Worte ein, zunächst darauf, was nur Frau Dr. Hlavac gesagt hat und dann darauf, was nicht von Herrn Bundesrat Schennach mitgetragen wurde.

Was den Rechtsschutzbeauftragten anbelangt, so laden wir Sie ein, insbesondere die Sozialdemokraten, aber auch die Grünen, hier noch einmal in sich zu gehen. Es ist in der Folge eines Erkenntnisses des Verfassungsgerichtshofes eine kleine, aber doch bestehende Wahrscheinlichkeit gegeben, dass es der Wunsch des Verfassungsge­richtshofes ist, dass dieser Rechtsschutzbeauftragte, den wir heute in der bisher bestehenden Form wieder beschließen wollen, mit Zweidrittelmehrheit, weil verfas­sungsrechtlich notwendig, beschlossen werden soll.

Ich erinnere Sie, insbesondere die Sozialdemokraten, an Folgendes: 1997 wurde dieser Rechtsschutzbeauftragte geschaffen, und ein ganz prominenter Sozialdemokrat, der Mitglied des Verfassungsgerichtshofes ist, Prof. Dr. Rudolf Machacek, war der erste Rechtsschutzbeauftragte, der in eindeutiger, klarer und sehr überzeugender Weise dieses Amt ausgeübt hat. Wir alle waren mit ihm zufrieden, wir alle haben seine Leistung anerkannt. Aus Altersgründen hat er darum gebeten, nun nur mehr Stellver­treter zu sein. Es wurde kein Wort darüber gesagt, warum Sie diese gesetzliche Rege­lung, die auch von Ihnen personell repräsentiert wurde, nicht wieder mit Zweidrittel­mehrheit beschließen wollen, zumal damals der Beschluss im Nationalrat, wenn auch nicht als Verfassungsbestimmung, mit den Stimmen aller im Parlament vertretenen Parteien zustande kam, soweit ich informiert bin. Jedenfalls waren Stimmen der SPÖ und die der ÖVP mit dabei.

Folgendes ist wirklich nicht ganz verständlich: Es gibt eine Erklärung, und die lässt einen schon erschauern, möchte ich sagen. Wenn es richtig sein sollte, dass diese Beschlussfassung deshalb von Ihnen nicht mitgetragen wird, damit Sie ein Gesetz, dessen Verfassungswidrigkeit Sie dadurch selbst herbeiführen, beim Verfassungs­gerichtshof mit größerer Erfolgsaussicht anfechten können, dann ist das wirklich eine bedenkliche Haltung, eine Haltung, die uns zum Nachdenken Anlass geben muss! (Bundesrätin Dr. Hlavac: Wir führen die Verfassungswidrigkeit nicht herbei, sondern Sie, weil Sie sind verantwortlich!)


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Dann, Frau Dr. Hlavac, sagen Sie bitte, warum Sie ein Gesetz, dem Sie 1997 zuge­stimmt haben, das Sie nie kritisiert haben, das sich bewährt hat, das von Herrn Prof. Machacek vollzogen wurde und das heute textgleich vorliegt, nicht wieder be­schließen wollen. Dafür haben Sie – das muss ich Ihnen zurückgeben, nachdem Sie das kritisiert haben – wirklich keine Gründe angeführt.

Ich möchte noch hinzufügen: Wenn Sie mehr Opferschutz verlangen – Sie bekom­men ihn mit diesem Gesetz. Wenn Sie mehr Kriminalitätsbekämpfung verlangen – Sie bekommen sie mit diesem Gesetz. Und wenn Sie sagen, Sie verstünden die Erklärung nicht, dass clamorose Fälle vor allem durch die Medien mitbestimmt werden, dann muss ich Ihnen schon sagen: Es ist einfach so, dass das öffentliche Interesse an einem derartigen Fall wesentlich ist. Das, was von öffentlichem Interesse ist, steht in den Zeitungen oder ist im Hörfunk oder im Rundfunk zu verfolgen. Ein Element der Beurteilung, was clamoros ist, ist das öffentliche Interesse. Dieses kann man indirekt daran erkennen, wenn es in der Zeitung steht oder nicht. – Das ist das eine.

Das andere, das zweite Element – und beide Elemente müssen vorhanden sein, damit der Untersuchungsrichter angerufen werden muss – ist, dass es sich um einen wesent­lichen, um einen schwerwiegenden Fall handeln muss. Die Staatsanwaltschaft geht mit diesen Begriffen seit 1985 korrekt, widerspruchsfrei und unkritisiert um. Es ist also nicht einzusehen, warum diese Begriffe nicht weiterhin in der neuen Strafprozessord­nung Verwendung finden sollen.

Was die Dienstposten anbelangt, Frau Dr. Hlavac: Bitte nennen Sie mir Ihre Kritik! Wir haben unter wissenschaftlicher Begleitung in Zusammenarbeit mit den Staatsanwälten und den Richtern ermittelt, dass wir 55 Dienstposten mehr benötigen. Ich kenne keinen Fall, bei dem ein Gesetz nicht nur von Ministern und von anderen hinsichtlich des Per­sonalbedarfes eingeschätzt wurde, sondern bei dem unter wissenschaftlicher Beglei­tung das notwendige Mehr an Personal ermittelt wurde.

Ich kann mir nicht vorstellen, was Sie noch wollen. Aber ich sage Ihnen, ich werde mich wirklich bemühen, und zwar mit vollstem Einsatz, dass das notwendige Personal von der Republik Österreich selbstverständlich zur Verfügung gestellt wird. Das ist so eine Art Ersatzkritik geworden. Es glaubt niemand wirklich daran, aber man sagt es eben, weil man sonst keine Kritikpunkte mehr findet.

Sie haben auch von zu wenig Beschuldigtenrechten gesprochen, Frau Dr. Hlavac, und ich gehe damit auf das ein, was Herr Bundesrat Schennach gesagt hat. Natürlich gibt es mehr Beschuldigtenrechte, weil das auch der Judikatur der Höchstgerichte entspricht, und natürlich kann man darunter auch die frühere Zurverfügungstellung be­ziehungsweise das frühere Tätig-werden-Dürfen des Verteidigers verstehen.

Es ist aber auch so, und dazu müssen wir uns bekennen, dass es wirklich Sinn macht, einen Verteidiger nicht schrankenlos tätig werden zu lassen. Dazu bekenne ich mich als einer, der 27 Jahre lang Verteidiger war.

Ich nenne Ihnen ein Beispiel, Frau Dr. Hlavac: Wenn Sie einen Firmenanwalt haben, der die Firma vertritt, die Geschäftsführer vertritt – durchaus üblich –, die Prokuristen, die mittleren Angestellten und die leitenden Angestellten oder viele von ihnen, und wenn plötzlich einer dieser Geschäftsführer verhaftet wird, und Sie lassen dann den Verteidiger dort schrankenlos zu, obwohl auch gegen die anderen Geschäftsführer dieses Unternehmens zum Beispiel, was durchaus Sinn macht und häufig vorkommt, ermittelt wird, dann bringen Sie diesen Verteidiger in eine ausweglose Position. Er muss nämlich im Rahmen seiner Berufspflichten – ich korrigiere: er müsste – an die noch flüchtigen, von Polizei und Staatsanwalt und Gericht gesuchten Mit-Geschäfts­führer diese Informationen weitergeben. Er müsste im Rahmen seiner Berufspflichten sozusagen an Verdunkelungshandlungen teilnehmen.


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Das ist ein Fall, der aus dem Leben gegriffen ist, und das müssen Sie akzeptieren: dass wir in einem Grenzbereich der Polizei und dem Staatsanwalt und dem Gericht die Möglichkeit geben müssen, zu entscheiden: Nein, hier wird es einfach zu gefährlich, hier geht es an den Kernbereich der Wahrheitsermittlung, hier könnten wir blockiert werden, hier könnten wir in Schwierigkeiten kommen, hier müssen wir zunächst einmal alleine ermitteln dürfen.

Natürlich kann der Zustand nicht ewig dauern; er darf auch nicht missbraucht werden. Aber dazu haben wir Judikatur, dazu haben wir Gerichte, dazu haben wir die Überprü­fung durch andere Behörden.

Ich sage Ihnen ganz offen: Das, was heute zur Beschlussfassung ansteht, war im Prinzip von Anfang an Inhalt der Regierungsvorlage. Da hat sich ganz wenig geändert. Wir haben zwar sehr viel darüber diskutiert, aber wir haben das gemacht, was sinnvoll ist. Kein anderes Land in Europa hat eine so klare und vor allem praktikable Regelung. Sie haben nichts davon, wenn Sie den Verteidiger von Anfang an zulassen und dann sagen: Das Protokoll dürfen wir dann nicht verwenden, wenn er nicht dabei war! Es gibt unglaublich komplizierte Regelungen in den Ländern um uns herum – unsere ist praktikabel und ist in Ordnung. (Vizepräsidentin Haselbach übernimmt den Vorsitz.)

Zum Rechtsschutzbeauftragten, Herr Bundesrat, habe ich schon Stellung genommen.

Zum Bundesanwalt. – Bitte, wenn Sie sich schon auf Wissenschafter berufen, Herr Bundesrat Schennach: Jeder Wissenschafter wird Ihnen sagen, dass das Weisungs­recht kein Thema der StPO ist. Es gehört nicht zur StPO. Und legen Sie doch bitte Ihr Trauma ab, das Sie in der Zeit vor 1985 entwickelt haben, als ein Minister in einem einzigen clamorosen Fall 27 Weisungen gegeben hat! Diese Zeiten sind vorbei. Sie haben zu einer Gesetzesnovelle geführt, zu einem neuen Staatsanwaltschaftsgesetz. Und seit diesem Zeitpunkt ist es praktisch undenkbar, dass ein Minister unerkannt und unkontrollierbar – das ist wesentlich: unerkannt und unkontrollierbar! – unzulässige, rechtlich unrichtige Weisungen gibt. Halten Sie sich doch vor Augen, was ein Staatsan­walt alles machen darf, wenn er eine Weisung bekommt, die er nicht für korrekt hält:

Er kann sie ablehnen, auch wenn sie „nur“ – unter Anführungszeichen – seinem Ge­wissen widerspricht. Er kann sie schriftlich ausgefertigt verlangen. Er kann ersuchen und verlangen, dass sie ein anderer Staatsanwalt ausführen muss und vieles andere mehr. Es wird auch der Fall sein bei solchen Gegebenheiten, bei solchen Vorgängen, dass das am nächsten Tag bereits in den Medien aufscheint.

Es ist also heute auf Grund einer Novelle und der Entwicklung im öffentlichen Leben praktisch undenkbar geworden, eine rechtlich unzulässige Weisung zu geben, weil der Minister auch dem Parlament, auch dem Verfassungsgerichtshof, auch dem Zivil- und auch dem Strafgericht verantwortlich ist.

Wenn Sie, Herr Bundesrat Schennach, jetzt wollen, dass jemand anderer das Wei­sungsrecht ausübt, dann sagen Sie bitte dazu: Wollen Sie, dass der weniger kontrol­liert wird, nicht vom Verfassungsgerichtshof, nicht vom Zivil- oder Strafgericht, nicht vom Parlament, nicht von der Öffentlichkeit und von seinen eigenen Untergebenen? Wenn Sie das wollen, dann sagen Sie auch, um wie viel weniger er kontrolliert werden soll und warum Sie wollen, dass er weniger kontrolliert wird.

Es geht bei dem Weisungsrecht nur um die Effizienz der Kontrolle – und die ist gege­ben. Eine andere Debatte führt eigentlich nicht zum Ziel.

Das Argumentieren mit Extrembeispielen bringt nichts, insbesondere auch nicht beim Verteidiger. Ihre Beispiele waren Extrembeispiele, die nicht aus dem Leben gegriffen waren. Die Verfahrenshilfe wird ausgeweitet. Wir haben heute einen Rechtsschutz, der


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ausgeprägter ist denn je, der der höchstgerichtlichen Judikatur entspricht, auch der Judikatur des Europäischen Gerichtshofes.

Meine Ausführungen waren heute etwas länger, weil das Gesetz einfach so wichtig ist und weil ich diese ewigen Irrtümer und andere Darstellungen, die sich auf Gebieten bewegen, die nicht unbedingt hereingehören, ausräumen möchte. Ich versichere Ihnen, dass ich Ihnen jederzeit, auch wenn das Gesetz, was ja bald der Fall sein wird, in Rechtswirksamkeit ist, zur Verfügung stehe und – ich glaube da auch im Sinne der Spitzenbeamten des Justizministeriums sprechen zu dürfen – dass Sie jederzeit anru­fen können. Wenn Sie wesentliche und sachliche Fragen haben, werden Sie jederzeit eine Antwort bekommen.

Jetzt noch zu Ihrer Behauptung, dass Verfassungsrechtler – und damit bin ich auch am Ende meiner Ausführungen – sagen, dieses Gesetz sei verfassungswidrig: Sie verglei­chen hier wirklich Unvergleichbares. Wir haben vor zirka einem Dreivierteljahr oder vor einem Jahr zwei renommierte Verfassungsrechtler gebeten, nämlich die Professoren Funk und Öhlinger, ein wirklich grundsätzliches Gutachten, das eine Stärke von mehr als zehn Zentimetern aufweist, über die gesamte Verfassungsgemäßheit oder allfällige Nicht-Verfassungsgemäßheit der StPO-Reform zu verfassen. Sie haben das in einer Ausführlichkeit getan, die von niemand anderem auch nur andeutungsweise erreicht wurde. Und Sie stellen diesem Gutachten Zeitungsnotizen und Zeitungsinterviews ge­genüber!

Ich halte das für unfair. Wenn das jemand in der Bevölkerung glaubt, so muss man hinzufügen, das ist eigentlich eine unrichtige Darstellung, weil man überlegte, ausführ­lichste Gutachten nicht mit kleinen, hingeschlenzten Bemerkungen in den Zeitungen, denen kein Brief, keine Mitteilung, keine ausführliche Darstellung gefolgt ist, verglei­chen kann. Das bitte ich Sie zu akzeptieren.

Nochmals vielen Dank an alle, die dieses Gesetz mitgeschaffen haben. Profitieren davon wird die österreichische Bevölkerung, aber leider wird es noch einige Jahre dauern. Für das Personal werden wir sorgen. – Danke schön. (Beifall bei den Freiheit­lichen und der ÖVP.)

19.34

 


Vizepräsidentin Anna Elisabeth Haselbach: Als Nächste zu Wort gemeldet ist Frau Bundesrätin Auer. – Bitte.

 


19.34

Bundesrätin Johanna Auer (SPÖ, Burgenland): Geschätzte Präsidentin! Herr Bun­desminister! Die vorliegende Reform des strafprozessualen Vorverfahrens wird von der SPÖ aus guten Gründen abgelehnt.

Die ursprüngliche Grundkonzeption über die rechtliche Gesamtverantwortung des Staatsanwalts für den gesamten Zeitraum des Vorverfahrens ist positiv zu beurteilen. Da gibt es keinen Zweifel. Die Regierungsparteien haben in den letzten Jahren aber permanent Verschlechterungen für die Rechtsstaatlichkeit, die Praktikabilität und den Rechtsschutz herbeiverhandelt. Die parlamentarischen Beratungen waren – bei aller Anerkennung der vielfach ausgezeichneten Darlegungen von Seiten der hoch qualifi­zierten Experten und Expertinnen im Unterausschuss – höchst mangelhaft.

Herr Kollege Schennach hat es schon angesprochen, ich möchte es aber trotzdem noch einmal sagen: Die Verlagerung der Weisungsspitze gegenüber den staatsan­waltschaftlichen Behörden vom Bundesminister für Justiz hin zu einem Bundesstaats­anwalt oder einem neuen Generalprokurator wurde von der ÖVP und von der FPÖ abgelehnt, ebenso wie die verfassungsrechtliche Verankerung der staatsanwaltschaft­lichen Behörden als Organe der Rechtspflege.


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Wir haben gehofft, dass das ursprünglich unter Minister Michalek vorgestellte Konzept umgesetzt wird, ein Konzept, in welchem der Staatsanwaltschaft eine stärkere Rolle zugedacht wurde oder wird. Die Staatsanwältinnen und Staatsanwälte sollten jene sein, die über die Exekutive und mit der Exekutive die Erhebungen durchführen.

Im Positionspapier der Vereinigung österreichischer Staatsanwälte vom Dezem­ber 2003 steht, dass sich die Staatsanwaltschaft funktionell von einer selektierenden und Antrag stellenden Behörde im Rahmen der Diversion zu einer sanktionierenden und in naher Zukunft koordinierenden und die Exekutive kontrollierenden Behörde ent­wickelt hat. So werden bereits jetzt von der Staatsanwaltschaft weitaus mehr endgül­tige Entscheidungen in Strafsachen als von den Gerichten getroffen. Bereits im ersten Jahr der Anwendung der Diversion wurden nur zirka ein Viertel der Fälle angeklagt, und nur zirka jeder fünfte Straffall wurde vom Gericht entschieden!

Nach weiteren Angaben der Vereinigung österreichischer Staatsanwälte werden ebenso viele Fälle bei Bejahung der Strafbarkeit von den Staatsanwältinnen und den Staatsanwälten diversionell behandelt und erledigt. Das ist ein geändertes Rechtsver­hältnis, und diesem muss Rechnung getragen werden.

Es war die SPÖ, die bereits im Jahr 2000 einen Antrag auf Verfassungsänderung ge­stellt hat, in welchem verlangt wurde, dass die für die Tätigkeit der Staatsanwaltschaft notwendige Kontrolle und Weisungshierarchie eine rechtliche und keine politische sein sollte.

Unsere Fraktion hat daher im Einklang mit der Vereinigung österreichischer Staatsan­wälte den Wechsel der Weisungsspitze vom Regierungsmitglied Justizminister zum ausgewiesenen und unabhängigen Justizorgan, einem Generalprokurator oder einem Bundesstaatsanwalt, vorgesehen. Dies hätte geschehen sollen, denn eine derartige, als Justizorgan ausgewiesene Weisungsspitze wäre dem Parlament gegenüber ver­antwortlich gewesen. Sie wäre auch über jeden Zweifel unsachlich motivierten Han­delns erhaben.

Ich zitiere abermals aus dem Positionspapier der Vereinigung österreichischer Staats­anwälte: Gerechtigkeit zu üben ist in der neuen Rolle der Staatsanwälte kein Problem. Die Darstellung des gesetzestreuen Handelns hingegen wird es immer mehr. – Zitat­ende.

Durch das Beharren auf ein erkennbar politisches Weisungsrecht der Staatsanwalt­schaft gegenüber wird ein ganzer Berufsstand diskreditiert. Der Staatsanwaltschaft wird die Glaubwürdigkeit in der Bevölkerung entzogen.

Das nächste große Problem dieser Reform ist auch von den Regierungsparteien haus­gemacht: Nach Meinung der Standesvertreter werden zu wenige Staatsanwälte bereit­gestellt, um diese Reform wirklich durchsetzen zu können. Sie haben uns ja eine Zahl genannt: es sind 55. Ich habe aus anderen Quellen gehört, dass die Vereinigung der Staatsanwälte ungefähr 220 Planstellen verlangt hat und anstrebt. Es wäre bei den divergierenden Angaben bezüglich dieser benötigten Personalressourcen erstrebens­wert, die konkrete Zahl der erforderlichen Planstellen zu erfahren.

Bislang war die Zusammenarbeit zwischen Justiz und Exekutive zufrieden stellend, aber die gravierende Änderung des Entwurfes, anstelle eines unabhängigen Unter­suchungsrichters oder einer unabhängigen Untersuchungsrichterin einen weisungs­gebundenen Staatsanwalt oder eine Staatsanwältin treten zu lassen und ihm oder ihr für den gesamten Zeitraum des Vorverfahrens die rechtliche Gesamtverantwortung zu geben, bringt eine Brisanz mit sich, weil es die notwendige Zahl der Staatsanwälte ins­gesamt einfach nicht gibt. Auch werden die ohnehin personell ausgedünnten Exekutiv-


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und Polizeiposten in Ermangelung fehlender Staatsanwälte einen wichtigen Ansprech­partner verlieren.

Diese Strafprozessreform beinhaltet vieles – einiges davon habe ich aufgezählt –, dem auf keinen Fall zugestimmt werden kann. Ich möchte mit einem Zitat aus dem Schreiben von Richtern und Staatsanwälten enden: Wer den Inhalt des Gesetzes mit­trägt, hat auch die uneingeschränkte Verantwortung dafür, dass das Gesetz in der Praxis umsetzbar ist. Bisher ist das Gegenteil von umsetzbar garantiert. (Beifall bei der SPÖ und bei Bundesräten der Grünen.)

19.41

 


Vizepräsidentin Anna Elisabeth Haselbach: Als Nächster zum Wort gemeldet ist Herr Bundesrat Tiefnig. – Bitte.

 


19.42

Bundesrat Ferdinand Tiefnig (ÖVP, Oberösterreich): Werter Minister! Werte Vor­sitzende! Hoch geschätzter Bundesrat! Ich glaube, die Sozialisten wissen ja, wie es geht – warum haben sie es in den letzten 30 Jahren nicht gemacht? (Bundesrätin Auer: Habe ich genau erklärt!) Ich wäre eigentlich schon interessiert daran, wieso die letzten 30 Jahre nichts geschehen ist. (Bundesrätin Auer: Das hat Ihnen meine Kol­legin Hlavac erklärt und habe ich Ihnen erklärt!) Nur unter dieser Regierung ist es mög­lich gewesen, eine Reform zu machen, die wirklich weit reichend ist. Man muss wirklich dankbar sein, dass diese Konstellation zustande gekommen ist. Herzlichen Dank!

Ich muss auch danke sagen den Experten, die sich an den sechs Expertenrunden im laufenden Jahr beteiligt haben. Es ist sicher auch an politischen Meinungen geschei­tert, dass kein Konsens zustande gekommen ist. Das ist meine persönliche Anschau­ung.

Wichtig ist, dass die Opferrechte dementsprechend gesichert sind, dass sie in der Hauptverhandlung das Gehörrecht haben, die Fortführung des Verfahrens über die Staatsanwaltschaft und über das Oberlandesgericht. (Bundesrat Konecny: Wissen Sie eigentlich, wovon Sie reden? – Bundesrätin Auer: Das ist ja sowieso klar, darüber re­den wir ja nicht! ...!) – Sie wissen genau, worum es geht, aber keiner will die Tatsachen wahrnehmen. (Bundesrat Konecny: Aber wissen Sie, wovon Sie reden?)

Der Bereich der Exekutive zum Beispiel ist genauestens geregelt. Das Handlungs­wesen der Exekutive und der Gendarmerie ist genauestens im Gesetz geregelt, aber die Werkzeuge müssen dementsprechend ausgeweitet werden. Das muss im Polizei­reformgesetz auch geregelt werden, es muss das eine ins andere eingreifen. Lausch­angriff ist sicher wichtig, und man hat es in Deutschland gesehen, da ist das Instrument des Lauschangriffes missbraucht worden. Deshalb ist das auch wieder aufgehoben oder sehr stark eingeschränkt worden. (Zwischenrufe bei der SPÖ.) – Es ist das Pro­blem, dass Sie das nicht wahrhaben wollen, aber es ist leider so. (Bundesrat Koneny: Uns ist das Problem sehr wohl bewusst! Wir nehmen es wahr! Sie offenbar nicht!)

Ich nehme es sehr wohl wahr, und ich sehe auch genau, was mit der Bundesanwalt­schaft erreicht werden wollte. Da wollte nur erreicht werden eine ... (Bundesrätin Auer: Mit einem Bundesstaatsanwalt! Ist in unserem Entwurf gefordert!) – Bundesstaatsan­walt, ja, genau. Mit dem sollte nur erreicht werden, das Weisungsrecht des Justizminis­ters abzuschaffen, aber es ist ja egal, ob eine parlamentarische Mehrheit den Bundes­staatsanwalt bestellt oder ob das der Justizminister macht. Das ist ja komplett das Gleiche.

Ich glaube, es ist schon irgendwie schwierig zu verstehen, wenn man den Rechts­schutzbeauftragten, wie schon vorher erwähnt, unter unserer Koalition mit der SPÖ be-


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fürwortet hat und man jetzt auf einmal gegen eine verfassungsrechtliche Absicherung ist. Das ist für mich schon erstaunlich, muss ich sagen.

Besonders wichtig finde ich in der ganzen Personalfrage, dass jetzt zusätzlich Personal eingebaut werden muss. Es wird bis 2008 dauern, bis man wirklich das für diese Rechtslage ausgebildete Personal zur Verfügung hat.

Ich kann verstehen, dass politische Interessen hier sehr hohes Gewicht haben, dass die Sozialisten nicht zustimmen. Ich verstehe auch, dass die Grünen nicht zustimmen. Ich glaube, es sind gute Vorschläge von Professor Schennach gekommen (Bundesrat Schennach: Professor nicht!), von Dr. Schennach gekommen. (Bundesrat Schenn­ach: Auch nicht!) Man sieht das auch bei uns in Oberösterreich, wenn man das Ganze von außen betrachtet. In der oberösterreichischen Landesregierung sind ja die Grünen vertreten, und ich muss sagen, es sind sehr konstruktive Ideen von ihrer Seite ge­kommen. Ich muss das wirklich loben. Die Sozialisten waren in der Regierung, haben aber nichts bewegt!

Wenn man Regierungsverantwortung hat, dann muss man auch Verantwortung für das Land, für Österreich und für die Bürger übernehmen und darf nicht immer nur darauf schauen, dass man seinen eigenen Sessel behält. Daher bitte ich jetzt die Fraktionen der SPÖ und der Grünen, trotz der unterschiedlichen Meinungen diesem Gesetz die Zustimmung zu erteilen. – Danke schön für die Aufmerksamkeit. (Beifall bei der ÖVP.)

19.46

 


Vizepräsidentin Anna Elisabeth Haselbach: Zu Wort gemeldet ist Frau Bundesrätin Dr. Lichtenecker. – Bitte.

 


19.47

Bundesrätin Dr. Ruperta Lichtenecker (Grüne, Oberösterreich): Sehr geehrte Frau Präsidentin! Herr Minister! Sehr geehrte Damen und Herren! Herr Kollege Tiefnig, die Hoffnung bezüglich 2008 hege ich insofern, als ich glaube, dass es in der einen oder anderen Sache noch ein Einsehen beziehungsweise Änderungen geben wird, und zwar in Zusammenarbeit mit der Opposition.

Was außer Streit steht bei dieser Reform der Strafprozessordnung, ist, dass das einen enorm wichtigen Bereich für einen demokratischen Rechtsstaat darstellt. Diesem Ge­setzentwurf ist ja bis zu dessen Verabschiedung eine sehr lange Zeit vorangegangen, eine Zeit intensiver Diskussionen, und man ist dabei in den Ausschüssen weite Stre­cken miteinander gegangen. Deshalb stellt sich jetzt schon die Frage, warum jetzt plötzlich diese Ho-ruck-Aktion stattfindet und man das Ganze so abrupt zum Abschluss bringen möchte – ohne einen gesellschaftlichen Konsens dazu zu suchen.

Bei dieser Strafprozessreform gibt es einige Bereiche, an denen noch zu arbeiten gewesen wäre, und es ist nicht verständlich, warum seitens der Regierungsparteien darauf verzichtet wurde. Dass auch bei diesem Gesetz die Gefahr besteht, dass es vom Verfassungsgerichtshof aufgehoben werden könnte, ist ja hier bereits erwähnt worden, und ich bezweifle, dass das nur flapsig hingeworfene Zeitungsartikel oder Kommentare waren. – Aber wir werden ja sehen, wie sich das dann entwickeln wird.

Herr Minister! Ich würde Sie bitten, kurz noch zu Folgendem Stellung zu nehmen. Im Übrigen habe ich sehr aufmerksam Ihren Worten gelauscht in Bezug auf Weisungs­recht/Staatsanwaltschaft/Justizminister. Trotzdem verstehe ich nicht ganz – lasse mir das aber gerne von Ihnen erklären –, was denn das Problem dabei ist, wenn man eine Bundesanwaltschaft einrichtet, die im Parlament mit Zweidrittelmehrheit gewählt wird, und man hiemit sozusagen das Weisungsrecht gebunden hätte.

Weshalb die Oppositionsparteien dagegen sind, dass das Weisungsrecht beim Justiz­minister bleibt, ist doch klar: Da geht es um einfache Mehrheiten, und ich meine, eine


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Zweidrittelmehrheit hat etwas Souveräneres, Saubereres beziehungsweise auch etwas Unabhängigeres an sich, wenn dieses Weisungsrecht eben woanders als beim Justiz­minister angesiedelt ist.

Zu kritisieren ist auch, dass es mangelnde Rechte der Beschuldigten gibt. Von Kollegin Auer ist ja zuvor bereits auf die Verteidigerrechte eingegangen worden. Generell muss man da doch einmal auch ansetzen bei den Punkten, was die persönlichen Freiheiten und den Schutz des Hausrechtes betrifft.

Auch über die Tatsache, dass es bis jetzt einer richterlichen Bewilligung für Festnah­men oder Hausdurchsuchungen bedurfte, darüber in Hinkunft jedoch die Staatsanwalt­schaft zu entscheiden hat, sollte noch diskutiert werden. Zugegeben: Es ist natürlich schwierig, die richtige Balance zwischen der Effizienz der Justiz und der Achtung der Menschen- und Grundrechte zu finden. Trotzdem müsste man sich natürlich genauer ansehen, wie denn diese Strafprozessreform im Zusammenhang mit der Dominanz der Polizei zu sehen ist, wo dann all das vielleicht nicht gewährleistet sein könnte.

Im Zusammenhang mit der Achtung von Menschenrechten ist ja auch die zwangsweise Durchführung von Blutabnahmen – gegen den Willen der Betroffenen – zu sehen, stellt das doch einen massiven Verstoß gegen die Menschenrechte dar und kann daher so nicht hingenommen werden.

Der Verbleib im Polizeigewahrsam, eben diese 48 Stunden, wurde ja bereits angespro­chen. Und die Frist, dass die Gerichte über die weiteren 48 Stunden – bis zur Verhän­gung der U-Haft – zu entscheiden haben, ist auch nicht mehr zeitgemäß. Unsere Vor­stellung ist natürlich die, dass Festgenommene unverzüglich dem Richter vorgeführt werden – und dass unverzüglich zu entscheiden ist: Haft oder eben nicht.

Das Recht eines Beschuldigten auf angemessene Verteidigung stellt ja auch eine Frage der Fairness, ja überhaupt eine Grundnorm des Rechtsstaates dar. Und daher sollte vor Vernehmungen sehr wohl eine Besprechung zwischen Beschuldigtem und Verteidiger stattfinden können; ebenso eine Beratung über die Verteidigungsstrategie beziehungsweise über prozessuale Rechte.

Was den Opferschutz anlangt, ist ein Fortschritt erzielt worden – das ist richtig –, dennoch gibt es einige Punkte, die sehr wohl verbesserungswürdig wären. Und ein Punkt, der verbesserungswürdig ist, ist eben, dass Opferschutzeinrichtungen von einer juristischen Prozessbegleitung ausgeschlossen werden, eine Tatsache, die von unse­rer Seite bemängelt wird. Ebenso ist zu kritisieren, dass es keine Möglichkeit geben wird, eine Nichtigkeitsbeschwerde gegen einen Freispruch einzulegen. – Das sind die wesentlichsten Dinge, die von unserer Seite einer Kritik zu unterziehen sind.

Die Strafprozessreform stellt – das nur abschließend – eine schwierige, eine sehr heikle und komplexe Materie dar, und generell stellt sich da meiner Ansicht nach eben schon die Frage, warum seitens der Regierungsparteien nicht versucht wurde, doch noch einen Konsens zu finden.

Im Sinne einer oberösterreichischen Tradition – das wurde ja hier bereits angespro­chen –, nämlich eines konstruktiven Arbeitens, lade ich die Kolleginnen und Kollegen von der ÖVP ein, heute hier im Bundesrat dagegen zu stimmen, die Strafprozessre­form nochmals zu diskutieren – und dann neu zu beschließen. – Danke. (Beifall bei den Grünen sowie bei Bundesräten der SPÖ.)

19.52

 


Vizepräsidentin Anna Elisabeth Haselbach: Es hat sich Herr Bundesminister Dr. Böhmdorfer zu Wort gemeldet. – Bitte, Herr Bundesminister.

 



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19.52

Bundesminister für Justiz Dr. Dieter Böhmdorfer: Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrte Frau Bundesrätin Lichtenecker, die Sie zuletzt Ihre Ausführungen ge­macht haben! Sehr geehrte Damen und Herren des Bundesrates! Frau Dr. Lichten­ecker, natürlich gebe ich wunschgemäß Antwort auf das, wozu Sie eine Antwort einge­fordert haben.

Noch einmal: Was die Bundesanwaltschaft anlangt, die Sie, Frau Bundesrätin, wollen, haben wir ein Problem in der Diskussion, denn Sie begründen nicht, warum Sie das wollen und warum das besser sein soll.

Frau Bundesrätin, Sie haben unbestimmte Angst dagegen geäußert, dass der Justiz­minister sein Weisungsrecht missbrauchen könnte. – Gut, das verstehe ich in einem bestimmten Ausmaß. – Prüfen Sie aber die Argumente, die ich bringe und die Ihnen darlegen sollen, weshalb der Minister dieses Weisungsrecht nicht missbrauchen kann.

Ich rede jetzt gar nicht von persönlicher Anständigkeit oder Unanständigkeit, die Sie mit dieser Aussage implizit jemandem absprechen – aber soll so sein, das ist in der Politik eben so –, sondern ich spreche jetzt nur davon, dass die jetzige Einrichtung des Weisungsrechtes eine perfekte und bis ins letzte Detail gehende Kontrolle möglich macht und auch die entsprechende Transparenz gegeben ist.

Ich fordere immer wieder öffentlich dazu auf: Sagen Sie bitte, was Sie noch mehr an Transparenz wollen, und sagen Sie auch, was Sie noch mehr an Kontrolle wollen! Wir werden dem nachkommen, wenn es auch nur irgendwie geht. Jedoch: Man kann eine Behörde nicht durchsichtiger gestalten, als das jetzt schon der Fall ist.

Frau Bundesrätin Auer, Sie haben da etwas zum Ausdruck gebracht, was mich eigent­lich irgendwie erschüttert hat, nämlich: Die neue Weisungsspitze, sagten Sie, wäre dem Parlament verantwortlich. – Was glauben Sie denn, wem ich verantwortlich bin?! Tun Sie doch nicht so, als ob das eine Neuerung wäre, dass der Minister dem Parla­ment gegenüber verantwortlich gemacht werden soll! Es ist meiner Ansicht nach fast unfassbar, dass sich ein Minister in einer Spezialdebatte – bitte vielmals um Entschul­digung! – so etwas vorhalten lassen muss, denn die Änderung, die Sie, Frau Bundes­rätin Auer, gefordert haben, beinhaltet ein Wesensmerkmal, das ja bereits heute Grundlage meiner Tätigkeit und Verantwortlichkeit als Justizminister ist. Es ist – um jedenfalls jegliches Missverständnis auszuschließen – einfach unrichtig, zu glauben oder von der Annahme auszugehen, ein Minister wäre dem Parlament gegenüber nicht verantwortlich! Das ist doch bitte eine Grundlage unseres parlamentarischen Systems!

Noch einmal zurück zum Thema Bundesanwaltschaft. Darüber wurde auch im Konvent diskutiert, und zwar im Ausschuss IX. Lesen Sie bitte die Protokolle darüber nach! – Diese Forderung ist nicht mehrheitsfähig, wie das so schön heißt. Sie können dort niemanden davon überzeugen, und dort sitzen wirklich kritische Leute. Dort sitzt nie­mand – niemand! –, der will, dass irgendein Minister ein unkontrollierbares, ein unrich­tiges Weisungsrecht ausüben könnte. – Diese Debatte, dieser Vorwurf ist unfair, weil eben die gesamte staatliche Verwaltung weisungsunterworfen ist!

Glauben Sie denn wirklich, dass man heute als öffentlich Bediensteter in Österreich nur dann eine korrekte Tätigkeit an den Tag legen kann, wenn man Richter ist?! In Öster­reich haben wir 1 700 Richter und zigtausende Beamte. Sind Ihrer Meinung nach all diese Beamten geknechtet, werden sie alle unterdrückt und mit unrichtigen Weisungen belegt?! – Das stimmt doch nicht!


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Gerade was die Staatsanwaltschaft anlangt, haben wir uns, und zwar mit einem Spe­zialgesetz, besonders bemüht, diese Verantwortlichkeit des Ministers und die Trans­parenz der Tätigkeit sicherzustellen. Und das ist auch immer geschehen.

Auch bei Ihnen, Frau Bundesrätin Lichtenecker, bin ich ein bisschen erschüttert: Glau­ben Sie denn wirklich, dass der Staatsanwalt jetzt Hausdurchsuchungen beschließen kann? – Natürlich kann er das nicht! Ein wesentlicher Teil dieser vorliegenden Geset­zesvorlage bezieht sich doch darauf, dass insbesondere Eingriffe in Grundrechte – beispielsweise Hausdurchsuchungen, Personendurchsuchungen, DNA-Analysen, Ob­servationen, Lauschangriff, Rasterfahndung und so weiter – ausschließlich auf Grund richterlicher Beschlüsse durchgeführt werden können.

Möglicherweise war das ein Hörfehler von mir, ich kann nämlich nicht ganz glauben, dass Sie das tatsächlich gesagt haben. Ich stelle jedenfalls hier klar: Der Grundrechts­schutz wurde ausgebaut, der Rechtsschutz wurde ausgebaut! Deswegen benötigen wir ja etwas mehr Personal; das ist der einzige Grund. Wir sind in Wirklichkeit deshalb bei der Tagestätigkeit effizienter, weil der Staatsanwalt sofort und direkt – und nicht über den Umweg des Untersuchungsrichters wie bei Vorerhebungen – Weisungen an Poli­zeibehörden und Sicherheitsorgane geben kann; da sparen wir eigentlich Personal. Insgesamt mehr Personal brauchen wir jedoch deshalb, weil es eben ein Mehr an Rechtsschutz gibt – und das insbesondere im Opfer- und Geschädigtenbereich.

Als Opfer und Geschädigter haben Sie derzeit null Rechte, können keine Beweisan­träge oder Ähnliches stellen. – Nach der neuen StPO können Beweisanträge gestellt werden. Und wenn – jetzt kommt’s! – der Staatsanwalt glaubt, er muss diesen Beweis­antrag, was er jetzt könnte, nicht beachten, sozusagen nicht einmal lesen und nicht durchführen, dann können Sie jetzt – und das hat Herr Bundesrat Tiefnig von der ÖVP sehr schön zum Ausdruck gebracht – ein Rechtsmittel ergreifen, und dieses wird nor­malerweise beim Oberlandesgericht landen; jedenfalls entscheidet darüber das Ge­richt.

Das war ja auch eine der wesentlichen Fragen bei der Gutachtenserstellung der Pro­fessoren Funk und Öhlinger. Diese haben auf Grund bestimmter verfassungsrecht­licher Erwägungen, die sie auch genauestens begründet haben, festgehalten, dass das verfassungsmäßig geregelt ist. Das führt zwar zu einem höheren Aufwand, weil sich eben nunmehr auch die Opfer beschweren können, wenn der Staatsanwalt ihres Erachtens nicht ausreichend, nicht richtig oder vielleicht sogar schlampig ermittelt. – Diese Rechte hatten Opfer bisher nicht.

Daher: Der Kernbereich dieser StPO sind die Vermehrung, die Vergrößerung, die Ver­stärkung und der Ausbau des Opferschutzes. Bitte das auch entsprechend zu würdi­gen! – Danke schön. (Beifall bei den Freiheitlichen und der ÖVP.)

19.58

 


Vizepräsidentin Anna Elisabeth Haselbach: Als Nächster zu Wort gemeldet ist Herr Bundesrat Dr. Spiegelfeld-Schneeburg. – Bitte.

 


19.59

Bundesrat Dr. Georg Spiegelfeld-Schneeburg (ÖVP, Oberösterreich): Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrte Herren Minister! Sehr geehrte Damen und Herren des Hohen Bundesrates! Ich glaube, heute ist zum Inhalt dieses Gesetzes ja schon sehr viel gesagt worden. Ich entnehme auch der Vorgeschichte dieses Gesetzes, dass es erstens dringend zu novellieren war, stammt es doch – das wurde heute schon ge­sagt – aus dem vorletzten Jahrhundert, und zweitens schließe ich daraus, dass es sich auch damals schon um einen Rechtsstaat gehandelt hat. Dass aber nach so langer


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Zeit Novellierungsbedarf besteht und sich so manche Dinge geändert haben, steht sicherlich außer Zweifel.

Dass es eine sehr schwierige und gerade für den Rechtsstaat sehr entscheidende Materie ist, sieht man ja daran, dass seit dem Jahre 1975 darüber diskutiert wird.

Ich darf mich bei all jenen bedanken, die an dieser Gesetzeswerdung teilhatten. Es ist in den Unterlagen zu lesen, wie weit hier von Experten und Beamten des Justizministe­riums – danke, Herr Minister, für dieses großartige Werk! – in die Tiefe gegangen und wie sehr um eine gemeinsame Lösung gerungen wurde.

Wenn ich jetzt die beiden Standpunkte der Opposition – und ich sehe hier durchaus verschiedene Standpunkte – höre, dann höre ich eine für mich nicht nachvollziehbare Sorge vor dem Weisungsrecht als einziger und ... (Bundesrätin Dr. Lichtenecker: Wir haben immer Sorge!) – Ich weiß, Sie haben Sorge, aber ich glaube, gerade wir hier im Parlament hätten ja durchaus die Möglichkeit und die Aufgabe, wenn wir das Gefühl hätten, dass so ein Weisungsrecht sämtlichen gesetzlichen Grundlagen und Regeln, die es jetzt gibt, zuwiderlaufen würde, dagegen etwas zu unternehmen. (Bundesrat Schennach: Aber der Sorge sollten Sie sich annehmen, Herr Doktor! – Bundesrätin Dr. Lichtenecker: Auch unserer Sorgen!) Wir werden uns dieser Sorgen annehmen, davon bin ich überzeugt, nur: Imaginäre Sorgen oder nicht ausdrückbare Sorgen kann man schwer in Gesetze gießen! (Bundesrat Schennach: Also wir haben uns beide sehr bemüht!)

Ich glaube, ich komme Ihnen da entgegen und sage, wir könnten durchaus eine Mög­lichkeit finden: Wir beschließen jetzt dieses Gesetz gemeinsam, und wenn es sich dann als nicht praktikabel erweist – was ich nicht glaube –, dann können wir ja novellie­ren. Das ist eine der Aufgaben des Hohen Hauses. (Bundesrätin Bachner: Das tun wir aber nicht! – Bundesrat Schennach: Das ist dann „unter Denkmalschutz“! – Bundes­rätin Bachner: Das machen wir nicht!)

Was ich viel weniger nachvollziehen kann, ist, dass die Damen und Herren von der sozialdemokratischen Fraktion die Weisungsfreiheit des Rechtsschutzbeauftragten nicht in den Verfassungsrang setzen wollen. Hieraus ist wirklich nichts anderes zu schließen, als dass man damit andere Zwecke verfolgt als die, die man ja schon einmal gemeinsam beschlossen hat; der Herr Minister ist darauf eingegangen. Es ist schade, wenn man aus solch vordergründigen, parteipolitischen Motiven einer einstimmigen Lösung für ein gutes Gesetz, das wichtig ist – und auch das Vertrauen der Bevölkerung in das Gesetz ist wichtig –, das scheinbare politische Kleingeld überordnet. Das tut mir Leid, und das ist aus meiner Sicht und aus der Sicht meiner Fraktion auch keine sehr verantwortungsvolle Vorgangsweise.

Es bleibt mir nun noch eine Bitte auszudrücken oder eine Forderung aufzustellen: Es ist hier über 55 Dienstposten, auch über 220 Dienstposten, gesprochen worden. Ich nehme an, diese 55 Dienstposten sind sehr genau wissenschaftlich errechnet worden, aber gerade hier ist sicherlich bis zum Jahr 2008 – und auch danach – Zeit, für Aufsto­ckungen zu sorgen, wenn es sich als notwendig erweist. Ich denke, das Fehlen finan­zieller Mittel allein darf nicht den Zugang zum Recht für Opfer und Täter behindern. Dies sicherzustellen ist auch eine der zentralen Aufgaben. Es ist daher eine Bitte von mir, hier für die nötigen Mittel zu sorgen, und ich glaube, das sollte in diesem Fall auch wirklich außer Streit stehen.

Ich bedanke mich für dieses sehr, sehr gute Gesetz und für die großartige Arbeit, die hier geleistet wurde. – Danke sehr. (Beifall bei der ÖVP und den Freiheitlichen.)

 


20.03


Bundesrat
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706. Sitzung / Seite 171

Vizepräsidentin Anna Elisabeth Haselbach: Als Nächster zu Wort gemeldet ist Herr Bundesrat Schimböck. – Bitte.

 


20.04

Bundesrat Wolfgang Schimböck (SPÖ, Oberösterreich): Sehr geehrte Frau Präsi­dentin! Sehr geehrter Herr Bundesminister! Sehr geehrte Bundesrätinnen und Bundes­räte! Ich glaube, dass dieser Punkt hier so ausführlich diskutiert wird, hat einen ganz einfachen Grund: weil es wirklich um eine sehr brisante Phase des strafrechtlichen Verfahrens geht, nämlich vom Verdacht, von der Anklageerhebung bis hin zur Einstel­lung. Und das soll jetzt quasi in eine völlig neue Struktur gekleidet werden.

Ich muss der Fairness halber vorweg sagen, dass eine Reihe von Punkten bereits außer Streit gestellt wurde. Ich denke dabei an die drei wesentlichen Konsenspunkte, wie dass jetzt ein klarer Rechtsrahmen, was das polizeiliche Handeln im Vorfeld dieses Strafverfahrens betrifft, geschaffen werden soll. Bisher herrschte da ein sehr uner­quicklicher Zustand. Man weiß ja, dass eigentlich die polizeilichen Erhebungen quasi meist den Staatsanwalt, auch den Untersuchungsrichter, in seinem Handeln überholt haben. Das hat eine gewisse Eigendynamik bekommen, was aber sicher seine histo­rische Ursache hat, wenn man bedenkt, dass dieses Gesetz auf das Jahr 1873 zurück­geht und dass man mit dem materiellen Gesetz, dem Strafgesetzbuch, ein relativ modernes Werk aus den siebziger Jahren vor sich hat.

Es wird hier also ein neuer Rahmen geschaffen, der offensichtlich nicht so ganz die allgemeine Zustimmung findet. In diesem Zusammenhang ist vielleicht auch noch ein Stichwort zu nennen – ein Bereich, der einerseits natürlich auch positiv zu beurteilen ist –, nämlich die Beschuldigtenrechte. Im Bereich der Verteidigung hat es einen Schritt nach vorne gegeben – aber eben auf Intervention der Justizsprecherin der FPÖ, Frau Dr. Partik-Pablé, auch gleich wieder einen Halbschritt zurück.

Diesbezüglich sind zwei Dinge zu erwähnen: erstens die Beiziehung des Anwalts, die einerseits jetzt bereits in der Vorstufe dieses Verfahrens gegeben ist – und anderer­seits dann eben doch wieder auch eingeschränkt werden kann –, und zum Zweiten die Akteneinsicht.

Und ein dritter Punkt – der natürlich sehr zu begrüßen ist – betrifft den Ausbau der Opferrechte. Wir wissen, dass man früher mit Opferrechten eigentlich gar nicht recht umzugehen wusste. Hier wird irgendwie ein wenig Neuland betreten. Es geht darum, eine neue Rechtsposition für das Opfer einer Straftat zu schaffen, ihm umgekehrt aber auch entsprechend Hilfe und Beistand zu leisten.

Der wahre Kritikpunkt – und darauf spitzt sich das von den vielen Vorrednern Gesagte zu – ist ganz einfach jener, dass man jetzt zum Herrn des Handelns – oder auch zur Frau des Handelns; es gibt ja erfreulicherweise auch immer mehr Richterinnen und Staatsanwältinnen; Herr Bundesminister, das ist, glaube ich, eine sehr gute Entwick­lung –, also zum Herrn oder zur Frau dieses Verfahrens die staatsanwaltschaftliche Behörde macht. Da kommt irgendwie das Problem zum Tragen, dass unsere Bundes­verfassung ja eine sehr strikte Trennung in die Staatsverwaltung, in die Rechtspre­chung und in die Gesetzgebung kennt und dass das hier doch etwas vermischt zu wer­den scheint. Ich weiß, wir neigen alle das Haupt vor den beiden großartigen Verfas­sungsrechtlern Funk und Öhlinger, und von diesen wurde das auch entsprechend begründet.

Ich möchte jetzt aber in eine andere Gesetzesmaterie eingehen. In der Europäischen Menschenrechtskonvention findet sich im Artikel 6 ein klarer Übertitel, nämlich „Recht auf ein faires Verfahren“. Und diesem fairen Verfahren, Herr Bundesminister, tut es na­türlich schon sehr gut, wenn Frau oder Herr dieses Verfahrens, der Verfahrensführung


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eine unabhängige Richterin oder ein unabhängiger Richter ist. Das ist der ganz we­sentliche Punkt, der hier angesprochen wurde.

Ich kann mich erinnern, Herr Bundesminister – und vielleicht sind auch deshalb die Menschen in unserem Land so sensibilisiert in dieser Materie –: Vor ganz kurzer Zeit gab es Ihrerseits einen Auftritt in der Sendung „Zeit im Bild“, wo Sie in einer, muss ich sagen, sehr offenen Weise – das hat sicherlich vielen auch gefallen – Rede und Antwort zum Abbruch der im Umfeld des Herrn Bundesministers für Finanzen stattfin­denden strafrechtlichen Erhebungen in einem Steuerverfahren gestanden sind.

Da ging es darum – ich will diese Sache gar nicht mehr lange strapazieren –, dass ein Produkt, das nur 20 000 € wert ist, um 200 000 € gekauft wurde. Sie haben sich da genau an die Buchstaben des Gesetzes gehalten, Herr Bundesminister, davon bin ich überzeugt, aber ich habe mir dann nachher gedacht – und wurde darin von vielen, die diese „Zeit im Bild“-Sendung auch gesehen haben, bestätigt –, dass Sie, wenn ein Konzipient in Ihrer Rechtsanwaltskanzlei diesen Sachverhalt auf den Tisch gelegt und nicht ganz spontan aus dem Bauch heraus gesagt hätte: Das kann doch nur ein Scheingeschäft sein!, mit diesem Konzipienten in der Kanzlei nicht mehr recht viel Freude gehabt hätten – wenn ein Produkt, das um 200 000 € gekauft wird, nur 20 000 € wert ist und das in dieser Form als Sachverhalt auf dem Tisch liegt. (Bun­desrat Bieringer: Das hat er aber ganz klar gesagt, der Bundesminister, in der „Zeit im Bild“, das war für jeden verständlich!)

Ich glaube, Herr Bundesminister, es hat kein Mitglied einer Bundesregierung diese Vorgangsweise nötig, sondern man sollte hier wirklich die Kirche im Dorf lassen und eben ein strafrechtliches Verfahren einem – ich weiß nicht, ob ich die drei Kriterien jetzt richtig nenne – unabhängigen, unversetzbaren und unabsetzbaren Organ überlassen. Damit würde sich, glaube ich, die Bürgerin und der Bürger in diesem Land ganz einfach wohler fühlen.

Vielleicht noch ein Punkt, der mir im Zusammenhang mit dem Opferschutz ganz wesentlich erscheint, Herr Bundesminister: Ich glaube, dass es hier doch eine gewisse Ausweitung geben sollte, denn es gibt Menschen – ich hatte einmal so eine Mitarbeite­rin –, die nicht in einen dieser Bereiche – also Angehörige, Opfer von Sexualdelikten, Unmündige und so weiter – hineinfallen, es gibt bei zahllosen Delikten wirklich trauma­tisierte Opfer. Und wenn diese nicht das „Glück“ – sage ich jetzt, unter Anführungs­zeichen – haben, in diese Schablonen, die durch diese Strafprozessordnungs-Novelle geschaffen werden, hineinzupassen, dann fallen sie da wirklich durch! Das ist also aus meiner Sicht ein ganz wesentlicher Punkt. Diese Opferregelung – ich spreche jetzt von der abgesonderte Vernehmung, also der Vernehmung ohne Anwesenheit des Täters – ist eine ganz, ganz wichtige menschliche Frage.

Abschließend noch ein Punkt, weil Sie, Herr Bundesminister, zuerst – und darum kommt da ein gewisses Misstrauen auf – davon gesprochen haben, Sie werden neue Stellen schaffen, um überhaupt diesen Fortschritt in der strafprozessualen Abwicklung zu schaffen. Ich kann sagen, dass sich in der Justizverwaltung, wenn man durch das Linzer Landesgericht geht und dort mit den Betriebsräten oder Personalvertretern spricht, eine gewisse Skepsis breit macht. Auch dort wurde zum Beispiel in der landesgerichtlichen Justizanstalt – Sie haben das zuerst „wissenschaftliche Begleitung“ genannt, Herr Bundesminister – von dem bundesdeutschen Beratungsunternehmen WIBERA festgestellt, dass in dieser Justizanstalt mit, glaube ich, ungefähr 230 Häftlin­gen durchaus in der Nacht mit fünf Justizwachebeamten das Auslangen gefunden werden kann. – Wie das funktionieren soll, weiß dort eigentlich niemand so recht.

Es gibt immer mehr Einlieferungen von Häftlingen mit irgendeiner psychischen Proble­matik, Gewaltbereitschaft und dergleichen mehr. Man kann da mit fünf Wachebeamten


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in der Nacht sicher nicht das Auslangen finden. Aber es sind nicht mehr da, weil eben Ihre „wissenschaftliche Begleitung“ – wie Sie das genannt haben – attestiert hat, dass fünf Beamte reichen. – Also da herrscht eine gewisse Skepsis.

Ein letzter Punkt noch, Herr Bundesminister: Ich glaube, den strafprozessualen Be­reich – weil hier eine Kollegin gerade die heutige Abendausgabe des „Kurier“ auf­schlägt – sollten wir wirklich sehr gesamtheitlich betrachten, denn um jedes Strafver­fahren gibt es ein Vorher und ein Nachher. In der heutigen Abendausgabe des „Kurier“ ist nachzulesen, dass wir im Bundesland Niederösterreich nur in den Monaten Jänner und Februar ein Ansteigen der angezeigten Kriminaldelikte um 20,1 Prozent zu ver­zeichnen haben! Und weil ich hier den Kollegen, der aus der Exekutive kommt, FPÖ-Mandatar aus Vorarlberg, sehe (Bundesrat Schennach: Herrn Hagen!): Ihr schließt fast auf Niederösterreich auf, nämlich mit dem zweithöchsten Wert, einem Plus von 11,4 Prozent bei den angezeigten Delikten in den Monaten Jänner und Februar 2004 gegenüber 2003. (Bundesrat Schennach – auf Bundesrat Hagen weisend –: Weil er keinen Dienst macht! Er sitzt hier im Bundesrat!)

Da wäre es an der Zeit, Herr Bundesminister, sich einmal Folgendes anzusehen: Viele Täter sind – wie man erfährt, wenn man mit den Personalvertretern dort spricht – Täter, die aus der Strafhaft kommen. Und wenn ich von gesamtheitlicher Betrachtung spreche, dann schauen Sie sich bitte an, Herr Bundesminister, welche bescheidenen monetären Möglichkeiten in Ihrem Ressort die Bewährungshilfe, die Sozialarbeit noch haben! – In meiner Heimatstadt, in Linz, geht das so weit, dass die Bewährungshilfe jetzt schon davon spricht, ein Wohnhaus für Haftentlassene auflassen zu müssen, weil keine Gelder des Justizressorts bereitgestellt werden.

Ich glaube, es hat sicher einen Sinn – ich bin noch nicht so lange in diesem Haus, Herr Bundesminister –, dass man den Sicherheitsbericht in einem Kompendium – jenen Ihres Hauses gemeinsam mit jenem des Innenressorts – vorlegt. Man sollte das, glaube ich, ein wenig gesamtheitlich betrachten, wenn man wirklich strafprozessual präventiv etwas machen soll.

Ich bitte, diese Punkte noch in die weiteren Überlegungen einzubeziehen. Und auf Grund des vorher Gesagten besteht eben für meine Fraktion nicht die Möglichkeit, dieser Novelle zuzustimmen. – Ich danke für Ihre Aufmerksamkeit. (Beifall bei der SPÖ und den Grünen.)

20.14

 


Vizepräsidentin Anna Elisabeth Haselbach: Zu Wort gelangt Herr Bundesminister Dr. Böhmdorfer. – Bitte.

 


20.15

Bundesminister für Justiz Dr. Dieter Böhmdorfer: Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrte Damen und Herren Bundesräte! Lassen Sie mich bitte nur ganz kurz Fol­gendes anmerken:

Herr Bundesrat, Sie haben soeben gesagt, in der Causa, die Sie angesprochen ha­ben – Sie haben den Herrn Finanzminister zitiert –, sei der Grund der strafrechtlichen Verfolgung darin gelegen, dass eine Leistung mit einem überhöhten Preis bezahlt worden wäre – so habe ich Sie verstanden. Ich darf darauf aufmerksam machen – ohne dass ich mich da mokiere, wirklich nicht! –, dass, wie, glaube ich, jeder, der die Zeitungen gelesen hat, weiß, die Überzahlung einer Leistung in Österreich nicht strafbar ist. – Also bitte das nicht zu verwechseln!

Da braucht man daher wirklich weder einen weisungsgebundenen noch einen wei­sungsfreien Staatsanwalt, noch einen Richter – das kann es also nicht ganz gewesen


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sein. Wenn das der Kritikpunkt ist, der Sie davon abhält, der StPO-Reform zuzustim­men, dann geben Sie diesen Kritikpunkt bitte auf!

Die Äußerungen über die Justizanstalt in Linz waren auch nicht richtig. Wir haben – das stimmt – mit einer wissenschaftlichen Begleitung – ich vertraue der Wissenschaft – die arbeitsrechtliche Situation und die Überstundenfrage überprüft. Diese Firma hat uns keine Vorschriften gemacht, eine Justizanstalt unterbesetzt in der Nacht zu führen. Es geschieht dies auch nicht.

Und wenn Sie sagen, Herr Bundesrat, viele Täter kommen aus der Strafhaft: Ich glaube, in keiner Regierung wurde für die Resozialisierung mehr getan – ich werde Sie jetzt nicht mit Beispielen ermüden – als von dieser Regierung! Ein gut Teil der Tätigkeit des Justizressorts steht in weiten Bereichen im Dienste eben dieser Resozialisierungs­maßnahmen, weil wir die Kriminalitätsbekämpfung ernst nehmen.

Allerdings schmeißen wir das Geld nicht beim Fenster hinaus! Ich bin sehr froh dar­über, dass der Herr Sozialminister heute da ist, denn wir haben gemeinsam Folgendes festgestellt: Wir haben im Justizressort einen Opferfonds eingerichtet (Bundesrätin Bachner: Der Sozialminister hat einen Härtefonds!), aus dem wir bedürftigen Verbre­chensopfern im Rahmen der Prozessbegleitung Hilfestellung geben. Wir haben diesen Fonds mit 3 Millionen Schilling damals noch – im Jahr 2000 – dotiert, in den Folge­jahren mit 6 oder 10 Millionen Schilling, und wir haben jeden einzelnen Fall gefördert. Wir sind mit diesen Beträgen ausgekommen – wir haben nur von jedem einzelnen Fall auch eine Abrechnung verlangt.

Was ist in Ihrer Zeit, unter Ihren Sozialministern eingerissen? – Dass mehr oder weni­ger bedenkenlos Vereine pauschaliter gefördert wurden! Ist Ihnen bekannt, wie viele derartige Opferhilfe-Vereine in der Zeit der sozialistischen Sozialminister entstanden sind? – Schätzen Sie bitte, Herr Bundesrat! Wissen Sie, wie viele es sind? – 166! Unkontrolliert über einzelne Fälle!

Wir gehen den anderen Weg: Wir schauen uns das genau an – sehr effizient, sehr öko­nomisch, betriebswirtschaftlich richtig –, und ich musste keinen einzigen Unterstüt­zungsfall abweisen, was man vorher, so glaube ich, nicht so sagen konnte, denn sonst wäre unsere Maßnahme nicht notwendig gewesen.

Abschließend eines – und deswegen habe ich mich eigentlich zu Wort gemeldet –: Ich möchte sagen, dass es natürlich nicht leicht ist, ein so großes Gesetz gemeinsam mit einem politischen Mitbewerber zu beschließen. Das war ein großer Kraftakt! Und ich stehe nicht an, hier auch ausdrücklich auszusprechen, dass ich mich bei den Beamten des Innenressorts für die Zusammenarbeit bedanke. Sie war sehr produktiv, sie war sehr korrekt und sie war vom Ressortchef, Minister Strasser, mitgetragen. Ohne diese Kooperation wäre es nicht gelungen, dieses Gesetz in dieser Gesetzgebungsperiode zu Ende zu bringen. Dafür also ausdrücklich vielen Dank! (Beifall bei den Freiheitlichen und der ÖVP.)

20.18

 


Vizepräsidentin Anna Elisabeth Haselbach: Weitere Wortmeldungen hiezu liegen nicht vor.

Wünscht noch jemand das Wort? – Es ist dies nicht der Fall.

Die Debatte ist daher geschlossen.

Wird von der Berichterstattung ein Schlusswort gewünscht? – Das ist ebenfalls nicht der Fall.

Wir kommen daher zur Abstimmung über den Beschluss des Nationalrates vom 26. Feber 2004 betreffend das Strafprozessreformgesetz.


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Ich ersuche jene Bundesrätinnen und Bundesräte, die dem Antrag zustimmen, gegen den vorliegenden Beschluss des Nationalrates keinen Einspruch zu erheben, um ein Handzeichen. – Es ist dies Stimmenmehrheit. Der Antrag ist somit angenommen.

14. Punkt

Beschluss des Nationalrates vom 25. Februar 2004 betreffend ein Bundesgesetz, mit dem das Allgemeine Sozialversicherungsgesetz, das Gewerbliche Sozialver­sicherungsgesetz und das Bauern-Sozialversicherungsgesetz geändert werden (Sozialversicherungs-Änderungsgesetz 2004 – SVÄG 2004) (335/A und 401 d.B. sowie 6986/BR d.B. und 6998/BR d.B.)

 


Vizepräsidentin Anna Elisabeth Haselbach: Wir gelangen zu Punkt 14 der heutigen Tagesordnung.

Die Berichterstattung hat Herr Bundesrat Saller übernommen. – Bitte.

 


Berichterstatter Josef Saller: Ich bringe den Bericht des Ausschusses für soziale Sicherheit, Generationen und Konsumentenschutz über den Beschluss des National­rates vom 25. Februar 2004 betreffend ein Bundesgesetz, mit dem das Allgemeine Sozialversicherungsgesetz, das Gewerbliche Sozialversicherungsgesetz und das Bau­ern-Sozialversicherungsgesetz geändert werden (Sozialversicherungs-Änderungsge­setz 2004).

Der Bericht liegt Ihnen in schriftlicher Form vor, ich kann daher auf die Verlesung ver­zichten.

Ich stelle den Antrag, gegen den vorliegenden Beschluss des Nationalrates keinen Einspruch zu erheben, und ersuche um Einleitung der Debatte und Abstimmung.

 


Vizepräsidentin Anna Elisabeth Haselbach: Ich danke für den Bericht.

Wir gehen in die Debatte ein.

Zu Wort gemeldet ist Herr Bundesrat Schimböck. – Bitte.

 


20.21

Bundesrat Wolfgang Schimböck (SPÖ, Oberösterreich): Sehr geehrte Frau Präsi­dentin! Sehr geehrter Herr Bundesminister! Heute wurde schon viel betreffend diese Gesetzesnovelle vorweggenommen.

Man sagt mannigfach, dass jede Novelle im Sozialrecht von der Bevölkerung fast als gefährliche Drohung betrachtet werden muss. – Ich bin eigentlich dankbar, nachdem wir jetzt bekanntlich das Pensions-Volksbegehren gestartet haben, dass der Chef des Herrn Bundesrates Wolfinger diese Sache – zumindest nach einem Zitat, das ich jetzt aus der „Oberösterreichischen Rundschau“ vom 15. Februar bringen darf – wirklich sehr stark unterstützt. In Anbetracht dieser Entwicklung, dass man die Pensionen er­höht hat, sich die Auszahlungen aber eigentlich verringert haben – darauf, Herr Bun­desminister, gehe ich dann noch näher ein –, sagt der Obmann des ÖVP-Seniorenbun­des, Altlandeshauptmann Ratzenböck (Bundesrat Konecny: Na geh!), ein sicherlich integrer Mann in meinem Bundesland – ich zitiere –:

„Das alles zusammen ergibt ein großes Tohuwabohu, das man niemandem mehr erklären kann. Ich glaube, dass ein Pensionist, der sich nicht jeden Tag mit der Materie beschäftigt, das nicht versteht. Der einmalige Wertausgleich der Inflation 2003 war ein Schmäh, denn dadurch wird die Pension nicht höher.“ – Zitatende.

Ich bitte Kollegen Wolfinger, den Dank auch meiner Fraktion an seinen Obmann weiterzugeben, denn dieses Zitat trifft den Nagel auf den Kopf!


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Herr Bundesminister! Wenn ich mir ansehe, worüber wir eigentlich reden, dann waren wir – wie ich glaube – alle ein bisschen erschüttert über diese leidige Wurstsemmel-Diskussion, denn ich weiß, dass ... (Zwischenruf des Bundesrates Fasching. – Weitere Zwischenrufe bei der ÖVP.)

Meine Herren, Sie brauchen sich nicht zu alterieren, denn es ist dem Herrn Bundes­minister hier schon viel Schlimmeres widerfahren: Bei einer Sozial- und Gesundheits­enquete in der Wirtschaftskammer Österreich – früher: Bundeswirtschaftskammer – wurde diese Geschmacklosigkeit vom Gesundheitssprecher der ÖVP, dem Arzt Dr. Rasinger, noch überboten, indem er dort dem Sozialminister anhand dessen per­sönlichen Krankheitsbildes den entsprechenden monetären Aufwand für die österrei­chische Sozialversicherung vorgerechnet hat.

Damit komme ich schon zum Punkt: Ich glaube, unser Sozialversicherungssystem, von dem Sie ja irgendwie, wie Dr. Rasinger damals festgestellt hat, als – unter Anführungs­zeichen – „Konsument“ sehr betroffen sind, Herr Bundesminister, steht auf einem Sockel, der „Solidarität“ heißt. Und Solidarität bedeutet, dass die einen für die anderen stehen und umgekehrt.

Meine Damen und Herren! Wenn wir hier von den Pensionen sprechen, dann sollten wir uns wirklich die reale Situation vor Augen führen. Zum Beispiel hat Dr. Kühnel gemeint: Na ja, dann soll der Bauarbeiter halt länger arbeiten! – Herr Dr. Kühnel! Schauen Sie sich einmal in der früheren Pensionsversicherungsanstalt der Arbeiter um! (Zwischenruf des Bundesrates Dr. Kühnel.) Von zehn Bauarbeitern, die dort versichert sind, erreichen überhaupt nur drei eine normale Alterspension. Die anderen sieben sind in einem so gravierenden invaliden Zustand, dass es ihnen gar nicht mög­lich ist, weiterzuarbeiten. – Das ist die Realität! (Bundesrat Dr. Kühnel: Warum sind sie denn nicht in der Lage, weiterzuarbeiten? Wegen der Schwerarbeit oder aus anderen Gründen?)

Herr Dr. Kühnel! Wenn jemand auf einem Gerüst arbeitet, täglich Ziegel schleppt und dergleichen mehr und wenn der Stützapparat und der ganze orthopädische Zustand eines Menschen dermaßen lädiert ist, dann ist er physisch dazu einfach nicht mehr in der Lage. (Zwischenrufe bei der ÖVP.)

Jetzt komme ich zum zweiten Punkt: Es ist natürlich nicht jeder in einer Situation, dass ihm 80 Prozent des Letztgehaltes ohne die Deckelung durch die Höchstbeitragsgrund­lage als Pension ausbezahlt wird. Schauen wir uns einmal an, Herr Bundesminister, wovon wir eigentlich reden! Betrachten wir eine Durchschnittspension in diesem Bereich aus dem Jahr 2002, denn nachher konnte nicht mehr aufgegliedert werden, da jetzt Arbeiter und Angestellte in einer Pensionsversicherung abgerechnet werden. Die­se so genannte Pensionsreform ist ein Produkt des Jahres 2003, und man musste sich auf die Zahlen des Jahres 2002 verlassen. Damals betrug die Durchschnittspension in diesem Land für eine Frau 509 €, wenn sie als Arbeiterin gearbeitet und ganz normal die Alterspension erreicht hat. Bei einem Arbeiter betrug die durchschnittliche Pension 943 €, und bei den Angestellten gab es auch entsprechende Werte.

Ich komme aus dem Gewerbebereich, und ich muss sagen, dass es da auch um keinen Deut besser ausschaut: Dort liegt die Durchschnittspension etwas über 800 €. Am meisten hat mich allerdings die Bemessung für die Ausgleichszulage erschüttert: Herr Bundesminister! Sie haben bei einem anderen Punkt heute erwähnt, dass ungefähr jeder achte selbständig Erwerbstätige, der sein ganzes Leben lang mit einem kleinen Handelsgeschäft oder Gewerbebetrieb selbständig erwerbstätig war, die Aus­gleichszulage bezieht. – Wenn wir von der Ausgleichszulage sprechen, dann sollten wir auch Tacheles reden, wie ein Landeshauptmann kürzlich gemeint hat: Die Aus­gleichszulage orientiert sich an einem Wert von 653,19 €, also umgerechnet 8 980 S.


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Dort stehen wir ungefähr! Das betrifft jeden achten, der einen Gewerbebetrieb hat oder ein Handelsgeschäft betreibt. – Das sind ungefähr die Fakten.

Herr Bundesminister, ich muss ganz ehrlich sagen: Mich hat es erschüttert, als bei die­ser so genannten Nachjustierung – auf die ich dann noch kurz zu sprechen komme – erklärt wurde, dass man nicht genau gewusst hat, dass sich, wenn der Krankenver­sicherungsbeitrag erhöht wird, praktisch die Pension reduziert. Ich war darüber erschüttert! Um das zu berechnen, braucht man ja nicht einmal einen Taschenrechner, da reicht auch dieses Gerät, das die Kinder im Kindergarten haben, auf dem sie die Kugeln hin- und herschieben: Wenn sich der Krankenversicherungsbeitrag in zwei Etappen um jeweils ein halbes Prozent erhöht und man – was eh obskur genug ist – für die Pensionisten auch noch eine Freizeitunfallversicherung mit 0,1 Prozent bewer­tet, dann ergeben nach Adam Riese zwei Mal ein halbes Prozent plus ein Zehntel 1,1 Prozent. – Dafür hätte es eigentlich im Umfeld Ihres Ressorts reichen müssen.

Noch etwas erschüttert mich: Seitens des Hauptverbandes der Sozialversicherung heißt es, dass uns die Alten – und damit meint man die Über-60-Jährigen, die man jetzt eigentlich in der Arbeit, aber nicht in der Pension haben möchte; wenn ich das glauben darf – doppelt so viel wie Menschen unter 60 kosten. Da muss ich ehrlich sagen: Es ist wirklich erschüttend, wie man mit diesen Menschen umgeht! In diesem Bereich sollte man eigentlich von Solidarität sprechen können!

Derselbe Hauptverband, Herr Bundesminister, schmeißt jedoch mit Ihrer Billigung, wie ich bemerken muss, andererseits das Geld zum Fenster hinaus. Dort gibt es keine Sitzung in der Selbstverwaltung, bei welcher nicht auch Ihre Organe und ein Organ des Finanzministeriums dabei sind. Allein die Einstellung einer vierten Geschäftsführerin im Hauptverband – wohlgemerkt: einer vierten! –, einer früheren FPÖ-Nationalratsabge­ordneten, kommt den Hauptverband und damit den Sozialversicherungsbeitragszahler teuer. Sogar ein Pensionist darf diese Dame dort noch alimentieren: Diese vierte Geschäftsführerin, ohne die man vorher auch auskam, kostet per anno 140 000 €. Das muss man sich einmal vorstellen: 140 000 €! (Bundesrat Mag. Gudenus: Sie müssen mir aber Recht geben, dass diese Freiheitliche, die dort sitzt, eine Fachfrau ist!)

Herr Gudenus! Das geht noch weiter: Es gab einen Klubsekretär der ÖVP, der früher im Generaldirektorium eingebunden war, von dem man sich dann aber aus welchen Gründen auch immer verabschiedet hat und der dort jetzt – man hatte dafür früher die Bezeichnung „weiße Elefanten“ – als Fünfter hinzukommt. Welcher Tätigkeit der Herr dort nachgeht, ist nicht nachvollziehbar! Aber so schaut das dort aus. So wird dort das Geld der Sozialversicherten ausgegeben, währenddessen wir hier beim kleinen Pensi­onsbezieher zu sparen beginnen! (Neuerlicher Zwischenruf des Bundesrates Mag. Gu­denus.)

Ich habe das nachgerechnet: Bei einer Pension von 700 € haben Sie nunmehr – samt Ihrer so genannten Nachjustierung – einen Verlust von 48 Cent, und bei einer Pension von 780 € – ich spreche jetzt jeweils von Bruttozahlen – haben Sie immer noch einen Verlust von gerundet fast einem Euro. So schaut das in der Realität aus!

Wir haben es jetzt in Salzburg erlebt. Es gibt da eine sehr klare Unterlage, die Quelle ist die Bundesregierung: Sie hat diese APA-Graphik herausgegeben. (Zwischenruf des Bundesrates Fasching.) Ich glaube, dass die APA vorerst noch nicht SPÖ-Mitglied ist, vor allen Dingen ist uns aber sicherlich die Regierung nicht zuzurechnen, die von der APA als Quelle zitiert wird. So schaut das aus!

Es wurde von einem Vorredner schon kurz erklärt, was es heute bedeutet, Pensionist zu sein und dauernd auf die Inflation und den so genannten Warenkorb hingewiesen zu werden. Zuerst wurde dieser Mikrowarenkorb genannt: Dieser wurde gesondert


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ausgewiesen, und darin sind die Dinge enthalten, die ein Mensch wirklich zum täg­lichen Leben braucht.

Die wahre Dramatik dabei ist, dass die Steuern und Gebühren unter dieser Bundes­regierung alleine im Jahre 2000 um 5,3 Prozent, im Jahre 2001 um 8,1 Prozent und im Jahre 2002 um 4,3 Prozent erhöht wurden. Wenn ein Pensionist heute beispielsweise einen Reisepass braucht, dann kann man ihm eigentlich nur kondolieren, denn er muss den entsprechenden Fixbetrag bezahlen. Insgesamt belasten diese Erhöhungen jeden Haushalt in Österreich durchschnittlich mit 465 € 69 Cent. – Und dann sprechen wir von einer Bruttopension von 720 €!

Kollege Saller hat heute die Situation der ländlichen Bevölkerung angesprochen. Dort erhalten noch viel mehr Pensionisten die Ausgleichszulage. Aber auch so ein Pensio­nist muss, weil er vielleicht einmal den Führerschein, wenn er vom Traktor herunterge­stiegen ist, in der Wäsche gelassen hat, einen neuen Führerschein lösen. (Bundesrat Fasching: Haben Sie keine anderen Sorgen?) Auch diese Gruppe wird von dieser Bundesregierung also genauso gestraft. – Ich glaube daher, Kollege Saller, dass wir da wirklich nicht auseinander dividieren und diesbezüglich zwischen Landwirten, Selbstän­digen, Arbeitern und Angestellten unterscheiden sollten Ich glaube, das, was Sie ange­sprochen haben, war richtig. Sie haben zuerst die landwirtschaftliche Bevölkerung angesprochen, und es sind doch, wie ich glaube, 80 Prozent der Landwirte im Neben­erwerb. (Zwischenruf des Bundesrates Dr. Kühnel.)

Ich sage nur, warum eine Gebühr bezahlt werden muss. Etwas muss uns nämlich klar sein: Sie alle bezahlen das, und warum? Weil wir eine Steuerreform durchführen, bei welcher einige wenige Konzerne die Körperschaftsteuer in entsprechender Form geschenkt bekommen, damit diese unterstützt werden. Dort geht der Zug hin! (Neuer­licher Zwischenruf des Bundesrates Fasching.)

Abschließend möchte ich sagen: Da offensichtlich im Sozialressort große Probleme beim Nachvollziehen ganz einfacher Rechnungen bestehen, haben die Pensionisten in Linz mit der Gemeinderätin Elfi Kallod, eine große Pensionistengruppe, für den Herrn Bundesminister ein Einmaleins des Rentenklaus erarbeitet, was bei 780 € Pension bleibt, Herr Bundesminister! Es gibt ein Minus von 90 Cent! (Der Redner hält eine Tafel mit einer Graphik in die Höhe. – Zwischenrufe bei der ÖVP.)

Die Pensionisten könnten dafür, wenn sie günstig einkaufen und einen Liter Milch be­reits um 60 Cent erwerben – nachdem das Einkommen jedes einzelnen Pensionisten und jeder einzelnen Pensionistin geschmälert wurde –, immerhin eineinhalb Liter Milch im Monat bekommen, um einmal von der Wurstsemmeldiktion wegzukommen. – Ich danke für Ihre Aufmerksamkeit und darf Ihnen, Herr Bundesminister, diese Aufstellung überreichen. (Beifall bei der SPÖ.)

20.34

 


Vizepräsidentin Anna Elisabeth Haselbach: Zu Wort gemeldet hat sich Herr Bun­desrat Wolfinger. – Bitte.

 


20.34

Bundesrat Franz Wolfinger (ÖVP, Oberösterreich): Sehr geehrte Frau Präsident! Sehr geehrter Herr Bundesminister! Hohes Haus! Meine Damen und Herren! Gesell­schaftliche Entwicklungen erfordern Reformen. Es gibt immer weniger Geburten und immer mehr Senioren, und Dank der Fortschritte in der Medizin eine steigende Lebens­erwartung. Lieber Kollege! Das kann sich auf Dauer mit dem heutigen System finanziell nicht ausgehen.


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Ich darf jetzt zitieren – und das wird Ihnen sicherlich wieder nicht passen –, was sich bei unseren Nachbarn ereignet. Ich lese Ihnen vor. (Bundesrat Kraml: Wir sind Öster­reicher und keine Deutschen!) Hören Sie mir zu! (Weitere Zwischenrufe bei der SPÖ.)

Wir müssen anerkennen und aussprechen, dass die Altersentwicklung unserer Gesell­schaft, wenn wir jetzt nichts ändern, schon zu Lebzeiten dazu führen würde, dass unsere vorbildlichen Systeme der Gesundheitsvorsorge und der Alterssicherung schlicht nicht mehr bezahlbar wären. – Zitatende.

Wissen Sie, wer das gesagt hat? – Ein gewisser Bundeskanzler Gerhard Schröder! (Zwischenruf des Bundesrates Stadler.)

Jetzt darf ich Ihnen noch etwas sagen, was in Deutschland geschehen ist: Die in Deutschland haben die Reformen verschlafen! (Zwischenruf des Bundesrates Kalten­bacher.)

Ich nenne nun einige Beispiele: In Deutschland gibt es heuer für die Pensionisten seit 1. Jänner keine Pensionserhöhung. In Deutschland wurden die Pensionsauszahlungen auf das Monatsende verschoben. In Deutschland gibt es die Pensionen nicht 14 Mal, sondern nur zwölf Mal jährlich. In Deutschland beträgt das Pensionsantrittsalter bei den Frauen 63 Jahre und bei den Männern 65 Jahre. In Deutschland bezahlen die Pensio­nisten nicht 4,25 Prozent Krankenversicherungsbeitrag wie in Österreich, sondern 7 Prozent. In Deutschland werden erstmals ab heuer die Pensionen und die Betriebs­renten versteuert. (Neuerlicher Zwischenruf des Bundesrates Stadler.) Ab 1. April dieses Jahres bezahlen die Pensionisten und Rentner in Deutschland 1,7 Prozent der Rente für die Pflegeversicherung und pro Arztbesuch pro Quartal 10 € Selbstbehalt. Auch viele andere Leistungen mussten dort zurückgenommen werden.

Tatsache ist, dass Reformen in den Sozialsystemen überall notwendig sind, sowohl bei uns als auch in Deutschland oder in Frankreich. Darum kommen wir nicht herum! (Bei­fall bei der ÖVP.)

Herr Kollege Schimböck, Sie haben eine so tolle Rede gehalten. Wissen Sie aber überhaupt, wie bei uns die Pensionen berechnet werden? Wissen Sie überhaupt, wie viele Pensionssysteme es bei uns gibt? – Es sind mehr als 20, für die Arbeiter, für die Angestellten, für die Bauern, für die Gewerbetreibenden, für die Eisenbahner, für die Bergarbeiter, für die Postler, für die Notare, für die Lehrer, für das Bundesheer, für neun Bundesländer öffentlicher Dienst, für Gemeinden, Städte und Magistrate.

Herr Bundesminister! Ich bitte Sie, sich bei der Pensionsharmonisierung nicht unter Druck setzen zu lassen, denn es wird bestimmt keine leichte Aufgabe sein, ein einheit­liches Pensionssystem zu schaffen!

Es wurde jetzt von Pensionsraub geredet. (Zwischenruf des Bundesrates Konecny.) Herr Professor! Jetzt darf ich Ihnen noch etwas sagen: Seit dem Jahre 1939 haben wir die Reichsversicherungsverordnung. Dann kam das Allgemeine Sozialversicherungs­gesetz. Dieses umfasst 853 Paragraphen und wurde 61 Mal novelliert, abgeändert und verbessert. (Bundesrat Konecny: Das ist ein wahres Wort: Es wurde verbessert! Nachher wurde es nur mehr verschlechtert!) Es wurde abgeändert!

Jetzt reden Sie nur davon, dass den ASVG-Pensionisten etwas weggenommen wird. (Bundesrat Konecny: Das ist auch wahr!) Festzustellen ist, dass eine Pensionsberech­nung von verschiedenen Faktoren abhängt, erstens von den Versicherungszeiten, zweitens vom Verdienst und auch von den Kindererziehungszeiten. Jetzt kann man natürlich immer wieder sagen: Jemand, der mittelprächtig verdient hat, bekommt auch eine niedrige Pension, und jemand, der nur 15 Versicherungsjahre hat, bekommt noch weniger. Da verkauft man doch die Leute für dumm, denn die Leute wissen sehr wohl, wie die Pensionen berechnet werden.


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Wie schaut es bei den Gewerbetreibenden aus? Warum haben manche Gewerbetrei­bende eine so niedrige Pension? – Weil bei den Gewerbetreibenden die Bemessungs­grundlage vom Reingewinn laut Steuerbescheid errechnet wird, und viele haben halt einen niedrigen Steuerbescheid, und daher bekommen sie auch keine höhere Pension. Das fängt der Staat mit der Ausgleichszulage auf.

Dasselbe gilt für die Pensionen der Bauern. Es gibt hier Landwirte, die einen hohen Einheitswert haben und eine sehr gute Pension bekommen, aber es gibt auch sehr, sehr viele, die eine kleine Landwirtschaft haben, einen niedrigen Einheitswert, und daher bei der Pension nicht so gut abschneiden wie andere. (Bundesrat Konecny: Was erklären Sie uns jetzt?)

Zusammenfassend darf ich feststellen, dass die Pensionsberechnung eine sehr kom­plizierte Materie ist. Wenn man nicht eingelesen ist, kennt man sich nicht aus. (Bun­desrat Konecny: Wir wissen es, Herr Kollege!) Daher kann man feststellen, Herr Professor ... (Bundesrat Konecny: Was versuchen Sie uns zu erklären?) – Darf ich es Ihnen erklären? Wissen Sie, was man noch feststellen kann? – Dass derzeit in Öster­reich ein ASVG-Pensionist 72 Prozent vom Letztbezug erhält. Jetzt schauen wir noch einmal nach Deutschland, damit ich Ihnen das auch noch sage. (Bundesrat Konecny: Wir sind in Österreich!)

Heute steht in den „Oberösterreichischen Nachrichten“: Renten in Deutschland werden sinken, und zwar von 53 Prozent auf 43 Prozent des Bruttolohnes. (Bundesrat Fa­sching: Hört, hört!) – Auch dort ist es der Regierung nicht erspart geblieben, Änderun­gen zu machen. (Bundesrätin Dr. Hlavac: Wollen Sie nach Deutschland ausziehen?)

Nein, ich ziehe nicht nach Deutschland aus. Mir gefällt es in Österreich sehr gut, und in Oberösterreich noch besser. (Bundesrat Konecny: Entschuldigen Sie! Wie fast alles, was Sie sagen, ist auch das falsch! – Weitere Zwischenrufe bei der SPÖ.) – Nein, das ist nicht falsch. (Bundesrat Konecny: Weil Sie wissen, dass das deutsche System steuerlich anders operiert! Pensionen werden in Deutschland steuerfrei ausgezahlt!) Nicht mehr! Ich habe mich genau erkundigt, Herr Professor. (Bundesrat Konecny: Sie haben sich nicht richtig erkundigt!) Ich habe mich genau erkundigt! (Bundesrat Koneny: Das ist ein unterschiedliches System, weil die die Beiträge steuerfrei stellen! Daher können Sie diesen Vergleich nicht vornehmen! Er muss falsch sein, zumindest wenn er so hanebüchen gerechnet wird wie von Ihnen!) Ja, ja. (Zwischenrufe bei der ÖVP.)

Jetzt zum Ist-Zustand, zu dem Gesetz, das wir heute zu beschließen haben. Noch einmal: Die Pensionen bei uns wurden um 1,5 Prozent erhöht, bis zur Medianpension. In den letzten Jahren kann man sagen, dass die Erhöhung durchschnittlich 9 Prozent ausgemacht hat. (Bundesrat Konecny: Aber nicht jedes Jahr!) Herr Professor, eine falsche Optik – und da gebe ich Ihnen Recht – ist dadurch entstanden, dass im letzten Jahr der ausbezahlte Wertausgleich für Pensionisten nicht einmalig, sondern auf das Jahr verteilt ausbezahlt wurde. Das hat den Anschein erweckt, als wären die Pen­sionen 2003 stärker erhöht worden (Bundesrat Konecny: Stimmt ja nicht!), obwohl es sich dabei nur um eine einmalige Auszahlung handelte. Das war ein Fehler, und das wäre sicher vermeidbar gewesen, wenn man sich das vorher genauer angeschaut hätte.

Jetzt noch etwas: Wir vom Seniorenbund haben schon immer gegen einseitige Bei­tragserhöhungen für Pensionisten und gegen Pensionsanpassungen unter der Teue­rungsrate gekämpft. Doch in den Verhandlungen mit den Sozialpartnern um einen Kon­sens bei der Pensionsreform (Bundesrat Konecny – zum Rednerpult tretend und dem Redner eine mit „Volksbegehren gegen Pensionsraub“ betitelte Tafel entgegen­haltend –: Lesen Sie das, bitte!) haben im Vorjahr Arbeiterkammer, Gewerkschaft und Wirtschaftskammer massiv auf einen zusätzlichen Beitrag von den Pensionisten


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bestanden. Herausgekommen ist das, worüber Sie sich jetzt aufregen. (Bundesrat Konecny: Mit Recht! Offenbar regen Sie sich auch auf!)

Ja, es ist so: eine magere Pensionserhöhung für 2004, 2005 – für die Kleinstpensionis­ten wurde das korrigiert –, eine Erhöhung der Krankenkassenbeiträge, die aber ver­kraftbar ist und auch von den Senioren mitgetragen wird. (Bundesrat Konecny: Ja! Der langen Rede kurzer Sinn: Wir sind einer Meinung!) Die wird mitgetragen! (Bundesrat Konecny: Nur: Sie tun nichts gegen das Unrecht!)

Aber es gibt auch Verbesserungen. Heute ist es schon des Öfteren gesagt worden: Es gibt bereits ab heuer eine Steuersenkung für die Senioren. (Bundesrat Konecny: Aber die hat auch nichts daran geändert! – Weitere Zwischenrufe bei der SPÖ.) Ab nächs­tem Jahr wird es die große Steuerreform geben, wodurch eine massive Entlastung bei der Lohnsteuer in Kraft treten wird. (Bundesrat Konecny: Aber doch nicht bei den Pensionisten! Die haben doch zu wenig!)

Es wurde heute auch schon gesagt, dass für die Mindestpensionisten die Ausgleichs­zulagenrichtsätze wesentlich erhöht worden sind (Bundesrat Konecny: Auch!): in Ihrer Zeit, von 1995 bis 1999, um 5,2 Prozent; jetzt um 11 Prozent für Alleinstehende, bei Ehepaaren um 21 Prozent. Das ergibt, umgerechnet in Euro, 44 € mehr für Alleinste­hende, bei Ehepaaren sind es 154 €. Auch für die Frauen wurden einige Verbesserun­gen erreicht, die aber vielleicht erst später wirksam werden. (Bundesrat Kraml: Wann „später“?) – Das Licht leuchtet schon. (Bundesrat Konecny: Ja, aber Ihnen nicht!)

Wir fordern für die Zukunft faire Pensionen, einheitliche Bedingungen für alle Berufs­gruppen, gleiche Beiträge, gleiche Leistungen, Sonderregelungen für Schwerarbeit und für lange Berufszeiten. (Rufe und Gegenrufe zwischen Bundesräten von ÖVP und SPÖ.) Ziel muss es sein, ein persönliches Pensionskonto einzuführen, und im Zuge der Pensionsharmonisierung müssen diese Maßnahmen berücksichtigt werden. Nur so sind die Pensionen für die Zukunft zu finanzieren.

Wir laden Sie ein, Vorschläge vorzulegen und im Rahmen der Sozialpartner mitzu­arbeiten, statt ein Volksbegehren zu unterstützen. Die Menschen nur zu verunsichern und keine Vorschläge vorzulegen, das ist zu wenig! – Danke schön. (Beifall bei der ÖVP und bei Bundesräten der Freiheitlichen.)

20.45

 


Vizepräsidentin Anna Elisabeth Haselbach: Zu Wort gemeldet ist Herr Bundesminis­ter Mag. Haupt. – Bitte.

 


20.45

Bundesminister für soziale Sicherheit, Generationen und Konsumentenschutz Mag. Herbert Haupt: Frau Präsident! Sehr geehrte Damen und Herren! Ich möchte mich für das kleine Einmaleins samt dem Wertvergleich mit einem beziehungsweise eineinhalb Liter Vollmilch herzlichst bedanken.

Ich darf aber trotzdem korrigieren – um das vielleicht auch Ihren Linzer Damen mit­zuteilen –, dass die Rechnung insofern falsch ist, als es bei 780 € keine Kürzung gibt. Sie dürften übersehen haben, dass infolge der Reparatur die Zusatzbeträge der Ein­malzahlungen von der Krankenversicherung befreit sind und daher die 0,9 € nicht zustande kommen. Vielleicht sollte man zuerst den gesamten Gesetzestext lesen, ehe man zum kleinen Einmaleins übergeht. Dann wird beides richtig sein. (Bundesrat Schimböck: Das haben Sie selbst angeschnitten, Herr Minister!)

Herr Kollege, Sie können dann mit meinen Fachbeamten gerne darüber diskutieren, damit Sie sehen, dass das die tatsächliche Fachmeinung und die Fachansicht meines Hauses ist und nicht eine – im wahrsten Sinne des Wortes – Milchmädchenrechnung,


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die Sie mir aus Linz mitgebracht haben. Ich darf Sie wirklich darum ersuchen, sich das anzuschauen und es auch in entsprechender Form zu sehen.

Sehr geehrte Damen und Herren! Es ist hier auch über die Entsolidarisierung im Zusammenhang mit den Pensionen sehr viel geredet worden, und es ist gerade im Zusammenhang mit der Einführung der Krankenversicherungsbeiträge auch davon gesprochen worden, dass man den Pensionisten ja nicht nur 0,5 Prozent, sondern auch 0,1 Prozent Unfallversicherung zugemutet hat.

Ich möchte erstens dazu sagen, wenn man die Beitragszahlungen der Pensionisten und jene der Aktiven vergleicht, dann sollte man nicht vergessen, dass jene der Ak­tiven, derjenigen, die in Produktivität stehen, derjenigen, die in diesem Staat jetzt von Seiten der Arbeitnehmer den Generationenvertrag erfüllen, mit etwa 7,9 Prozent deutlich höher sind als die Beitragszahlungen, die die Pensionisten auch nach dieser Erhöhung leisten.

Zum Zweiten darf ich Sie auf Folgendes hinweisen; das habe ich im Nationalrat auch schon getan, was den Kollegen Nürnberger zu einer halbherzigen Entgegnung ge­bracht hat: Wie ich denn in den Besitz des Briefes komme? – Das hat Kollege Scheib­ner dann aufgeklärt. Ich habe vom Hauptverband der österreichischen Sozialversiche­rungsträger – ich darf das wiederholen – am 10. Oktober 2001 ein Schreiben an das Bundesministerium für soziale Sicherheit und Generationen bei mir im Akteneinlauf vorgefunden, wonach die Wiener Gebietskrankenkasse mit der entsprechenden Vor­stellung auf Antrag des dortigen Kontrollausschusses und unterstützt vom gesamten Vorstand der Wiener Gebietskrankenkasse – wenn Sie wollen, kann ich Ihnen von den letzten Seiten die Namen derjenigen nennen, die an der Abstimmung teilgenommen haben, weil ja auch bezweifelt worden ist, dass es damals dort im Vorstand eine sozial­demokratische Mehrheit gegeben haben soll – ein Schreiben an den Hauptverband der österreichischen Sozialversicherungsträger gerichtet hat, und zwar mit folgendem Inhalt:

„Angesichts der derzeitigen finanziellen Situation der Kasse scheint es geboten, durch entsprechende gesetzliche Maßnahmen dafür zu sorgen, dass die Unterdeckung in der Krankenversicherung der Pensionisten nicht weiter fortschreitet.“

Auch eine andere Stelle dieses Schreibens darf ich Ihnen nochmals in Erinnerung brin­gen, woraus hervorgeht, dass man zum damaligen Zeitpunkt den Pensionisten sehr wohl vorgerechnet hat, dass bei ihnen mit 38,55 Prozent im Jahr 1999 eine Unter­deckung vorhanden ist, dass es ehemals eine Deckung von 68 Prozent bei den Pen­sionisten gab und dass dieser Deckungsgrad möglichst wieder anzustreben ist. Wenn wir diesen Deckungsgrad für die Pensionisten angestrebt hätten, hätte die Erhöhung deutlich höher ausfallen müssen, und sie hätte sogar die Beitragszahlungen der Aktiven überschritten!

Sehr geehrte Damen und Herren! Ich glaube daher, dass diese Maßnahme in der Krankenversicherung mit Augenmaß erfolgt ist und dass sie richtig erfolgt ist. Ich darf auch bezweifeln, dass Sie es ernst meinen, dass Versicherungen für den Freizeit­bereich für Pensionisten im Ausmaß von 0,1 Prozent nicht gerechtfertigt sind. Denn Sie können sich daran erinnern, dass es auch mit den Seniorenorganisationen und der Seniorenkurie eine gemeinsame Veranstaltung zu Thema „Sicherheit im Alter“ gege­ben hat. Es ist nachgewiesen, dass mehr als 56 000 Pensionistinnen und Pensionisten Haushaltsunfälle erleiden und dabei fast 2 900 zu Tode kommen – mehr als im Stra­ßenverkehr!

Sehr geehrte Damen und Herren! Ich glaube, im Zusammenhang damit ist es nur gerechtfertigt, dass diese gänzlich neue Situation mit berücksichtigt wird. Ich glaube auch, es stünde der Sozialdemokratie gut an, sich von den eigenen Beschlüssen in der


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Selbstverwaltung dann hier im Plenum des Nationalrates und des Bundesrates nicht zu distanzieren und so zu tun, als ob das die alleinige Erfindung der Bundesregierung wäre.

Ich darf auf einen weiteren Punkt hinweisen und lese hier vor – weil im Verteiler dieses Briefes auch Herr Dr. Gusenbauer, Herr Präsident Blecha, Herr Dr. Cap und Herr Prä­sident Verzetnitsch aufscheinen –, was eine Pensionistin geschrieben hat. Sie haben mich ja aufgefordert, Ihnen entsprechende andere Briefe zu Gehör zu bringen; Sie haben sie auch in Ihren Fraktionen nachlesbar, zumindest bei einem Fraktionsvorsit­zenden und Gewerkschaftsvorsitzenden. Es steht in diesem Brief – das ist übrigens ein Schreiben vom 9. Feber 2004, abgefasst am 3. Feber 2004, um hier auch keinen falschen Eindruck zu erwecken –, dass die einzigen Pensionskürzungen, die diese Dame bis dato erlitten hat, die Brutto- und Nettolohnrunden der Jahre 1988 und 1997 waren. Das betrifft also jene Nachkriegsgeneration, von welcher Sie, sehr geehrte Damen und Herren von den Sozialdemokraten, so gerne sprechen. 1988 kann nur jemand in Pension gewesen sein, der wirklich der Nachkriegs- und Aufbaugeneration angehört.

Ich glaube daher, dass wir uns nichts Gutes tun, wenn wir uns die Ausreißer nach oben und die Ausreißer nach unten im Pensionssystem vorhalten. Wir haben Durchschnitts­berechnungen gemacht. Diese Durchschnittsberechnungen meiner Beamten sind im Übrigen von den gleichen Beamten gemacht worden, die es schon unter meinen Amtsvorgängerinnen und davor gab, weil sie sich in ihrer beamteten Tätigkeit schon so lange der Zufriedenheit des Sozialministeriums und auch, glaube ich, in der Vergan­genheit und heute noch der Unterstützung der Abgeordneten aller Fraktionen des Hohen Hauses erfreuen, weil sie auch von mir immer wieder allen Fraktionen groß­zügig zur Verfügung gestellt werden, um dort Auskünfte zu erteilen oder das eine oder andere zu erklären, was zugegebenermaßen im Sozialrecht für einen Normalbürger – verzeihen Sie mir diesen Ausdruck – tatsächlich nicht mehr nachvollziehbar ist, weil die Gesetzessprache dieses 50-jährigen, immer wieder veränderten Sozialgesetzes nicht leicht lesbar ist und oftmals auch gelernten Juristen Schwierigkeiten macht. Daher stehen sie auch dort immer zur Verfügung.

Ich denke, das ist gut so, damit jeder den Zugang zu den gleichen Unterlagen, zum gleichen Informationsstand und zu den gleichen Überlegungen hat, und ich werde es, solange ich Bundesminister bin, in diesem Bereich so halten.

Aber eines darf ich Ihnen vorhalten, weil Sie hier die Behauptung einer Belastungspoli­tik dieser Bundesregierung erhoben und gemeint haben, dass in diesem Bereich die Nettoanpassungen und die Anpassungen nicht in entsprechender Form erfolgt sind. Die Nettoanpassung wurde im Jahre 1993 unter meinem von mir sehr geschätzten Freund Josef Hesoun eingeführt. Diese Nettoanpassung war aus meiner Sicht ein Missgriff, und sie wird, zum Wohle der Pensionisten, mit der Pensionsanpassung 2006 Gott sei Dank der Vergangenheit angehören, weil dann wieder die volle Inflationsrate für den Ausgleich der Pensionisten gelten wird. Ich glaube, es ist gut, dass diese Bundesregierung von der Nettoanpassung auf ein auch für die Pensionisten nachvoll­ziehbares System der Pensionsanpassung, die Inflationsabgeltung, umgeschaltet hat, und halte es für wichtig, diese Umgestaltung zu ermöglichen.

Sehr geehrte Damen und Herren, da wir hier darüber diskutieren: Alle Fraktionen ha­ben sich Solidaritätsbeiträge für die höheren Pensionen ins Stammbuch geschrieben, um eine gleichmäßige Belastung zwischen Beitragszahlungen und – bezeichnen wir es salopp so – Rendite der Pensionisten durch Bundeszuschuss und andere Zuschüsse wiederherzustellen. Ich glaube, es ist nicht gerechtfertigt, dass, wenn nunmehr bei den Pensionen, die deutlich über den Medianwerten liegen, diese Beiträge für zwei Jahre als Solidaritätsbeitrag einverlangt werden, dies als Pensionsraub dargestellt wird.


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Sonst müsste man behaupten, dass auch Ihre Vorstellungen, die Sie dafür dargelegt haben, Vorstellungen zum Pensionsraub waren.

Das will ich nicht, sondern ich bin der Meinung, dass man in der Umstellung des Sys­tems Solidarität von jenen verlangen kann, die mehr haben, und eine Umverteilung zu jenen machen kann, die weniger haben. Daher hat die Bundesregierung die Beiträge und die Sätze für Ausgleichszulagenbezieher in den letzten vier Jahren überpropor­tional erhöht und sie für Familien – also für Ausgleichszulagen, von denen zwei Per­sonen leben müssen, nämlich Mann und Frau – exorbitant höher als die Inflationsrate erhöht. Ich glaube, man sollte durchaus anerkennen, dass gerade für diejenigen, die in der Diktion des Parlaments immer als die Ärmsten der Armen dargestellt worden sind, durch diese Bundesregierung einiges zum Besseren gewendet worden ist.

Man kann immer darüber diskutieren, dass es in einem Staat mehr Menschen geben sollte, denen es noch besser geht. Aber im internationalen Vergleich sollten wir auch nicht übersehen, dass wir in Österreich innerhalb der 15 der Europäischen Union den geringsten Unterschied zwischen den Spitzeneinkommen und den Mindesteinkommen haben – weil hier immer von einer Entsolidarisierung durch diese Bundesregierung gesprochen wird. Man sollte auch nicht vergessen, dass seit 2000 die Sozialquote in diesem Staate gestiegen und nicht – wie immer versucht wird, es darzustellen – gesunken ist.

Verzeihen Sie mir, aber es ist mir, weil ich sehr viele Wiener Freunde habe, die im Seniorenalter sind, auch bewusst, dass es für die Senioren nicht leichter geworden ist. Da Sie mir hier sehr viele der Beiträge und der Belastungen vorhalten, welche die Bun­desregierung eingeführt hat, darf ich Sie auch auf Folgendes hinweisen: die Kürzung der Wohnbauförderungsmittel und die dadurch bewirkte Mietenerhöhung im sozialen Wohnbau in Wien, die Einführung einer neuen Wiener Stromsteuer, die Kürzung der Aktion „Essen auf Rädern“, die Halbierung der Wiener Wirtschaftsförderung (Bundesrat Konecny: Die hat die Pensionisten sehr gekränkt!), die Erhöhung der Tarife bei den Wiener Linien um bis zu 25 Prozent seit 2002, die Einführung einer neuen Müllsteuer in Wien, die Erhöhung der städtischen Kindergartengebühren, die Verteuerung der städti­schen Sportanlagen, die Erhöhung des Spitalkostenbeitrags, die Erhöhung der Bäder­tarife, die Verteuerung der Gaspreise, die Erhöhung der städtischen Feuerwehrgebüh­ren, die Verteuerung bei der Gebrauchsabgabe, die Erhöhung der Wasseranschluss­abgabe, die Erhöhung des Urlaubskostenbeitrags für Familien mit geringem Einkom­men, die Erhöhung des Kehrtarifs der Rauchfangkehrer (Heiterkeit des Bundesrates Konecny), die Teuerung bei den Rettungsgebühren und den Pflegegebühren in den Wiener Spitälern.

Auch die Parkgebühren vor den Wiener Spitälern sind exorbitant erhöht worden. Ich war gerade wieder – Sie haben ja auch auf meinen eigenen Gesundheitszustand hin­gewiesen (Bundesrat Schimböck: Nicht ich, Dr. Rasinger!) und die Berechnungen des Kollegen Rasinger – in einem Wiener Krankenhaus und kann Ihnen versichern, dass die Parkgebühr vor diesem Wiener Krankenhaus in drei Stunden mehr ausmacht, als die gesamte Ambulanzgebühr für ein Vierteljahr ausgemacht hat – um das auch klar zu sagen! (Bundesrat Konecny: Was war das für ein Krankenhaus?)

Herr Kollege! Ich bitte Sie, wenn Sie die Tarif- und Gebührenerhöhungen betrachten (Bundesrat Konecny: Fahren Sie in die Tiefgarage vom AKH! Das können Sie sich leisten!), trennen Sie peinlichst genau zwischen jenen des Bundes und jenen, die dort hausgemacht sind.

Ich würde meinen, dass die Arbeitslosensituation auch in Wien deutlich besser wäre, als sie heute leider ist. Der Zuwachs an Arbeitslosigkeit ist ja in den Arbeitsmarktdaten nachzusehen. Ich möchte hier nicht zusätzlich Öl ins Feuer gießen, glaube aber, es ist


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unübersehbar, dass es seit Jahren das erste Mal der Fall ist, dass die Bundeshaupt­stadt Wien nahezu ausschließlich für die hohe Arbeitslosigkeit verantwortlich ist. (Bundesrat Konecny: Ist ja logisch!) Vielleicht liegt es auch daran, dass man in der Gemeinde Wien seit 2002 die Rahmenbedingungen für die Wirtschaft und für die Wirt­schaftstreibenden so verschlechtert hat (Bundesrat Konecny: Welch Zufall!), dass die seit dieser Zeit exorbitant ansteigenden Arbeitslosenzahlen in Wien in entsprechender Form erklärbar sind.

Sehr geehrte Damen und Herren! Man sollte nicht davon sprechen, dass wir von der Bundesregierung uns entsolidarisieren wollen, sondern genau das Gegenteil ist der Fall. Wir haben auch mit Spitzenvertretern der Gemeinde Wien Gespräche geführt, um in einer gemeinsamen Anstrengung die Arbeitslosenzahlen in Wien wieder nach unten zu drücken, weil wir nichts davon haben, wenn wir uns sektoral auseinander dividieren, ein Bundesland gegen das andere. Stattdessen bin ich dafür, dass die Solidarität vom Neusiedler See bis zum Bodensee und von der nördlichen bis zur südlichen Landes­grenze zu gehen hat und für alle Staatsbürger – egal, in welchem Bundesland sie leben – gleichermaßen stattfinden sollte. Ich hoffe, dass wir uns auf diese Grundprin­zipien einigen können, dass wir die gemeinsame Arbeit zum Wohle der Österreicherin­nen und Österreicher voransetzen und hier nicht ein Hickhack fortführen, das keinem Österreicher etwas nützt.

Sehr geehrte Damen und Herren! Ich bin mir sicher, dass die Pensionsanpassung des Jahres 2003 mit der damaligen Nettoanpassung plus einem Wertausgleich für manche Menschen in Österreich schwer verständlich gewesen sein mag. Aber ich darf Sie darauf hinweisen – und das wissen Sie ganz genau, wenn Sie sich mit diesem Thema beschäftigt haben –, dass Informationen über die Problematik der Umstellung des Wertausgleichs und der Pensionsanpassung von den Sozialversicherungsträgern im August des Jahres 2003 jedem einzelnen Pensionisten zugeschickt worden sind. Für die Formulierung des damaligen Textes habe nicht ich als Sozialminister die Verant­wortung, sondern die Sozialpartner.

Ich hoffe, dass die heurigen Erklärungen zur Pensionsanpassung für die Pensionistin­nen und Pensionisten leichter lesbar und nachvollziehbar sein werden. Wir alle, sehr geehrte Damen und Herren, können dazulernen, und ich hoffe, auch jene Sozialpart­ner, die für die Informationen zuständig sind. (Beifall bei den Freiheitlichen und der ÖVP.)

21.00

 


Vizepräsidentin Anna Elisabeth Haselbach: Zu Wort gemeldet ist Frau Bundesrätin Dr. Lichtenecker. – Bitte.

 


21.01

Bundesrätin Dr. Ruperta Lichtenecker (Grüne, Oberösterreich): Sehr geehrte Frau Präsidentin! Zu später Stunde noch einmal einen schönen guten Abend! Herr Minister, ebenfalls schönen guten Abend! Ich war schon leicht verwundert, wo ich mich denn be­finde. Herrn Wolfinger spricht in der Debatte über Deutschland, der Herr Minister über Wiener Verhältnisse ... (Bundesrat Konecny: Die Rauchfangkehrer nicht zu verges­sen!) Ja, ja, ja.

Genau betrachtet befinden wir uns in Österreich und sollten über die hiesige Situation reden. Was meine Vorredner bislang nicht angesprochen haben, worum es bei diesem Tagesordnungspunkt aber eigentlich geht, ist de facto eine Pensionsreparatur, die vor­genommen wurde, um eine zusätzliche Zahlung von 0,6 Prozent aus dem Unterstüt­zungsfonds für Pensionen leisten zu können, die unter 780 € liegen. Es sei doch auch hier einmal gesagt, dass es um eine Reparatur geht, um eine Berichtigung, die vorge­nommen wurde. Die Reparatur ist sehr rasch erfolgt, und ich will jetzt nicht sagen,


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dass das nur im Hinblick auf die Landtagswahlen geschehen ist, aber es lässt doch einiges darauf schließen. (Vizepräsident Mag. Himmer übernimmt den Vorsitz.)

Bei aller Wertschätzung, Kolleginnen und Kollegen von ÖVP und FPÖ, ich will Ihnen nichts Böses unterstellen, aber ich tu mich langsam schwer, daran zu glauben, dass Sie, geschätzte Abgeordnete, tatsächlich das Wohl der Menschen in diesem Land im Auge haben. Eher scheint mir, dass Sie das mit der Zeit langsam aus dem Blick verloren haben. Es kann doch nicht eine Sache nach der anderen damit enden, dass Menschen, die bereits wenig Geld zur Verfügung haben, wenig Ressourcen, weniger Mittel, wiederum weniger bekommen. Es wird dann zwar sozusagen die betreffende Regelung repariert, aber teilweise nur sehr mangelhaft.

Herr Minister, Sie haben vorhin angesprochen, dass es statt der Nettoanpassung ab 2006 die Inflationsanpassung geben wird. Das ist tatsächlich begrüßenswert. Wenn man es aber genau betrachtet, erkennt man, dass die Steigerung des Preisindexes und deren Umlegung auf die Pensionen jedoch nicht der realen Kaufkraft entspricht. Eigentlich müsste man einen Warenkorb entwickeln, der den Pensionistinnen und Pen­sionisten entspricht, und dann müsste man entsprechende Anpassungen, die gänzlich anders aussehen würden, vornehmen.

Ich möchte noch einmal zurückkehren zu dieser Anpassung, die in einem Bereich vor­genommen wird, der sehr viele Menschen in unserem Land betrifft. Es geht dabei näm­lich um ein Prinzip, das eines meiner obersten Leitlinien und Leitprinzipien ist: die Ge­währleistung der Autonomie für jeden Menschen in diesem Land. Autonomie bedeutet für mich Eigenständigkeit, Freiheit, Selbstbestimmung. Ich bin der Überzeugung, dass es Aufgabe der Politik ist, die Rahmenbedingungen dafür herzustellen, und zwar für jeden Menschen in diesem Land, damit ein selbständiges, unabhängiges und selbst­bestimmtes Leben möglich ist.

Entsprechend sind wir auch gefordert, Rahmenbedingungen für die Kinder zu erstellen, die Schutz, Geborgenheit und eine gedeihliche Entwicklung ermöglichen. Genauso müssen auch für die Jugend entsprechende Rahmenbedingungen gefunden werden, damit sie innerhalb eines fundierten Bildungssystems ihre Auswahl treffen kann und Freiräume für ihr Leben hat. Und Rahmenbedingungen muss es auch für Erwachsene geben, die im Erwerbsprozess stehen. Es ist notwendig, dafür zu sorgen, dass ent­sprechende Arbeitsplätze da sind, entsprechende Weiterbildungssysteme, entspre­chende kulturelle Räume, um sich entfalten zu können. Und Gleiches gilt für die ältere Generation. Die ältere Generation muss so weit finanziell abgesichert sein, dass eben­falls ein selbstbestimmtes Leben möglich ist. Wir wissen, es ist sehr schwierig, teil­weise mit den Wohnmöglichkeiten, mit den Pflegebedingungen und so weiter, aber es ist Aufgabe der Politik, für entsprechende Rahmenbedingungen zu sorgen.

Eine wesentliche Komponente, ein Grundstein ist die finanzielle Unabhängigkeit. Und es sind nicht Almosen, die jetzt gewährt werden, schnell in einer – ich möchte nicht sagen: Husch-Pfusch-Aktion, um mittels eines Unterstützungsfonds noch einmal zu gewährleisten, dass in Anbetracht von Landtagswahlen das Schlimmste abgewendet wird.

Es handelt sich auch um eine Frage der notwendigen Wertschätzung und des notwen­digen Respekts, die dieser Generation entgegenzubringen sind. Es hat wirklich etwas Peinliches und es macht mich auch betroffen, wenn die Landesfürsten in Salzburg und Kärnten durch die Gegend ziehen und verteilen. Ich denke mir, Herr Minister, es ist Aufgabe der Politik, es ist Aufgabe Ihres Ressorts, dafür zu sorgen, dass die finanzielle Unabhängigkeit der Pensionistinnen und Pensionisten weitgehend sichergestellt wird.

Meines Erachtens ist für zweierlei Dinge Sorge zu tragen: einerseits für Gerechtigkeit in diesem Land und andererseits, Herr Minister, und das sei Ihnen mitgegeben, dieser


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ganzen Pleiten-, Pech- und Pannenserie ein Ende zu setzen. – Danke. (Beifall bei den Grünen und bei Bundesräten der SPÖ.)

21.07

 


Vizepräsident Mag. Harald Himmer: Zu Wort gemeldet ist Herr Bundesrat Ing. Klamt. – Bitte.

 


21.07

Bundesrat Ing. Gerd Klamt (Freiheitliche, Kärnten): Herr Präsident! Herr Minister! Hoher Bundesrat! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Wir befassen uns im Zuge dieses Tagesordnungspunktes mit Änderungen des Allgemeinen Sozialversicherungs­gesetzes, des Gewerblichen Sozialversicherungsgesetzes und des Bauern-Sozialver­sicherungsgesetzes. Den Bezieher niedriger Pensionen bis 780 € pro Monat werden über den Unterstützungsfonds der Sozialversicherungsträger unverzüglich einmalige außerordentliche Zuwendungen in der Höhe des 14-fachen von 0,6 Prozent der jeweili­gen Gesamtbruttopensionen gewährt.

In diesem Zusammenhang erscheint die Frage durchaus berechtigt, wo die Gründe für die Notwendigkeit von einmaligen Zuwendungen an die Bezieher kleiner Pensionen lie­gen. Diese Frage ist sehr einfach zu beantworten. Die Erhöhung der Beiträge zur Kran­kenversicherung und, und das muss man festhalten, die Umsetzung einer langjährigen sozialdemokratischen Forderung führte dazu, dass Kleinstpensionisten plötzlich – der Herr Minister hat das ja bereits ausgeführt – damit konfrontiert waren, netto weniger Pension zu erhalten als im Vorjahr. (Ironische Heiterkeit des Bundesrates Konecny.) Damit, meine sehr verehrten Damen und Herren, war eindeutig Handlungsbedarf gegeben.

Kärnten mit Landeshauptmann Dr. Jörg Haider an der Spitze hat in diesem Zusam­menhang ausgezeichnetes Krisenmanagement geleistet. Landeshauptmann Dr. Jörg Haider hat sich persönlich mit den Problemen der Betroffenen auseinander gesetzt – das gehört auch zur sozialen Wärme, die hier immer angesprochen wird – und hat die Auszahlung der Differenzbeträge zum Teil selbst vorgenommen. (Bundesrätin Dr. Lichtenecker: Die Strategie war zweifellos perfekt!) Wir alle haben die Bilder aus Klagenfurt gesehen.

Damit war aus meiner Sicht die Latte für die Bundesebene gelegt, und ich stehe nicht an, mich bei allen konstruktiven Kräften, die sich für die Schnellreparatur des eingetre­tenen Schadens eingesetzt haben, sehr herzlich zu bedanken. (Bundesrat Konecny: Danke! Wir nehmen das gerne entgegen, denn es war die Sondersitzung des National­rats, wegen der plötzlich etwas geschehen hat müssen!)

Herr Professor Konecny, in diesem Zusammenhang: Die Forderung der Sozialdemo­kraten, die eine Erhöhung aller Pensionen um 0,8 Prozent vorsah, ist aus meiner Sicht zutiefst unsozial. Die Realisierung dieser sozialdemokratischen Initiative hätte nämlich bedeutet, dass die Bezieher von hohen und höchsten Pensionen wieder einmal über­proportionale Vorteile gehabt hätten. Ich gebe das den Sozialdemokraten nur als Denk­aufgabe für die Zukunft mit.

Es stellt sich in diesem Zusammenhang auch die grundsätzliche Frage, ob Pensionen jenseits der Höchstbemessungsgrundlage des ASVG, die nicht beitragsgedeckt sind, in Zukunft noch in ausgehandelten Prozentsätzen erhöht werden sollen. Jedenfalls wird damit die Kluft zwischen Arm und Reich, die Kluft zwischen Kleinpensionsbeziehern und Höchstpensionsbeziehern immer größer. Meine sehr verehrten Damen und Herren! Das kann nicht im Sinne von uns allen und vor allem nicht im Sinne der Sozial­demokraten sein, die den Begriff Solidarität sehr stark für sich in Anspruch nehmen, ja quasi fast gepachtet haben. Wer Harmonisierung und Gerechtigkeit wirklich ernst


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nimmt, muss jede zukünftige Änderung im Pensionsbereich bis zum Ende durch­denken.

Damit bin ich bei der Harmonisierung der Pensionssysteme angelangt, die wir ja heute schon einige Male angezogen haben und die aus meiner Sicht wirklich sehr kon­sequent verfolgt werden muss; zumindest für die erste Säule der Altersversorgung, die staatlich garantierte Pension, die neben Betriebsvorsorge und Eigenvorsorge noch sehr lange die Hauptlast der Altersvorsorge tragen wird, muss Gerechtigkeit gegeben sein.

Jetzt strapaziere ich diesen Ausspruch wieder, denn er wird schön langsam zum Allge­meingut: Die Österreicherinnen und Österreicher haben einen Anspruch darauf, dass jeder Euro, der für die staatliche Altersversorgung eingezahlt wird, für alle gleich viel wert ist. Davon sind wir noch meilenweit entfernt, da haben wir in Zukunft noch sehr viel zu tun. Mut gemacht hat mir die Aussage des Ministers Bartenstein, der verkün­dete, dass auch ein Großteil der Beamtenschaft für die Harmonisierung sei. Die Kosten der Umstellung, die immer wieder angesprochen und von Experten errechnet werden, dürfen uns aus meiner Sicht in diesem Zusammenhang, auf dem Weg zu mehr Gerechtigkeit, nicht abschrecken.

Investitionen für mehr Gerechtigkeit sind gut angelegte Finanzmittel. Wenn man den Planungshorizont im Endlichen ansiedelt, dann wird auch der Break-even-point erwart­bar sein. In diesem Sinne sehe ich die heute anstehenden Änderungen in den Sozial­versicherungsgesetzen sehr positiv und appelliere an Sie alle in diesem Hohen Haus, die Harmonisierung der Pensionssysteme nicht aus dem Auge zu verlieren und sie konsequent weiter zu verfolgen. (Beifall bei den Freiheitlichen und der ÖVP. – Bundes­rätin Bachner: Das kann ich Ihnen garantieren!)

21.15

 


Vizepräsident Mag. Harald Himmer: Zu Wort gemeldet ist Herr Bundesrat Tiefnig. – Bitte, Herr Bundesrat.

 


21.15

Bundesrat Ferdinand Tiefnig (ÖVP, Oberösterreich): Geschätzter Präsident! Werte Minister! Ich denke, es gilt für uns alle, dass etwas, wenn es zusätzliche Kosten bringt, nicht mehr interessant ist, und in diesem Bereich ist es eben mit zusätzlichen Kosten verbunden; ich meine die demographische Entwicklung der Geburtenrate und auch das – Gott sei Dank! – Älterwerden der Menschen. Was sagen Sie, Herr Konecny? – Es ist doch super, dass wir alle älter werden und dass wir die Medizin ausnützen können!? (Heiterkeit bei allen Fraktionen. – Beifall bei der ÖVP. – Bundesrat Konecny: Also individuell gesehen ist da schon etwas dran!)

Wenn man die medizinische Entwicklung anschaut, müssen wir auch sagen, dass da ungeheure Fortschritte gemacht worden sind, allein schon beim Herzinfarkt oder auch bei Hüft- und Kniegelenksoperationen. Es ist es ja wert, dass Mehrkosten in diesem Zusammenhang auf uns zukommen, aber natürlich muss die Pension auch für die Zu­kunft gesichert werden. Ein ganz großes Stück davon ist das Drei-Säulen-Modell: die Eigenvorsorge, die betriebliche Vorsorge und die „Abfertigung neu“. Das ist für mich schon wesentlich, auch wenn Teile davon nicht direkt gesichert sind, weil sie an der Börse gehandelt werden. Dementsprechend muss die staatliche Vorsorge in Zukunft die Mindestpension sichern.

Kommen wir jetzt auf die 0,6 Prozent der einmaligen Erhöhung zurück. (Bundesrat Konecny: Nicht Einmalerhöhung, sondern Einmalzahlung!) – Genau: Einmalzahlung. (Bundesrat Konecny: Das ist schon ein erheblicher Unterschied!) Es ist einfach finanziell nicht möglich, dass man alljährlich diese Zahlungen tätigt, aber schauen wir


Bundesrat
Stenographisches Protokoll
706. Sitzung / Seite 189

weiter, schauen wir auf nächstes Jahr, wo, wenn die Steuerreform richtig greifen wird, Pensionisten bis zu einem Bezug von 13 000 € steuerfrei sein werden. (Bundesrat Konecny: Bei den Mindestpensionen nützt das doch überhaupt nichts!) Es ist eigent­lich genau das Gleiche. (Bundesrat Konecny: Wer keine Steuern zahlt, kann von keiner Steuerreform profitieren! Das ist doch logisch!)

Mit Ihnen hat man eigentlich auch schon debattiert über die Pensionsreform, genauso wie über die Abfangjäger in den Koalitionsverhandlungen, aber es ist nicht möglich gewesen, obwohl wir alle wissen, dass die Abfangjäger gebraucht werden, um den Luftraum zu sichern. Aber es ist keiner bereit, damit in die Öffentlichkeit zu gehen. Wir kommen jetzt wirklich von der Pensionsreform zur Luft. (Bundesrat Konecny: Sie! Ich nicht!)

Ich muss Ihnen wirklich einmal sagen: Wollen Sie internationale Veranstaltungen ha­ben, dann brauchen wir die Abfangjäger; für die Fußball-Europameisterschaft zum Bei­spiel. (Heiterkeit. – Neuerlicher Zwischenruf des Bundesrats Konecny.) Ich glaube, da müssen wir schon auch mit den Füßen auf dem Boden bleiben.

Aber ich komme zurück zur Pensionsreform. – Im Wahljahr 1995 hat Franz Vranitzky gesagt, dass Pensionserhöhungen durchgeführt werden. Und was ist 1997 gewe­sen? – Die Pensionserhöhungen sind dann wieder mit den KV-Erhöhungen erfolgt. Und von 1999 bis heute machen die Pensionserhöhungen 9 Prozent aus; das muss man schon auch einmal sagen.

Es ist wichtig, für die Zukunft ein nachhaltiges System zu schaffen. Dazu dient die Har­monisierung. Ich denke auch, wie Vorredner schon gesagt haben, dass die Harmoni­sierung das Wichtigste ist; sie ist der Eckpfeiler für die Gesundheitsversorgung und eine Pensionssicherung in Zukunft. Da darf kein Stein auf dem anderen bleiben, und es darf an keinem Stein gerüttelt werden, wenn das Harmonisierungsgesetz vollzogen wird. Das muss von den Sozialpartnern gemeinsam getragen werden, und man muss auch den Schwächsten der Schwachen eingegliedert haben. Das ist das Wichtigste. (Zwischenruf des Bundesrates Stadler.)

Was Sie zurzeit betreiben, ist Populismus. Sie verunsichern die Menschen, aber mit Halbwahrheiten ist noch keiner weit gekommen. Damit werden die Menschen nur ver­unsichert und wird Unruhe in die Bevölkerung getragen. Das wollen wir alle nicht. Wir wollen auch in Zukunft einen sozialen, sicheren Staat haben. Das ist es, was ich mir wünsche, was wir uns wünschen. (Bundesrat Stadler: Sagen Sie das Ihren Regie­rungskollegen!) Daher werden wir heute auch dieser Reform noch einmal zustimmen. (Bravorufe und Beifall bei der ÖVP.)

21.19

 


Vizepräsident Mag. Harald Himmer: Weitere Wortmeldungen liegen nicht vor.

Wünscht noch jemand das Wort? Bundesrätin Bachner: Nein!) – Das ist nicht der Fall. Die Debatte ist geschlossen.

Wird von der Berichterstattung ein Schlusswort gewünscht? – Das ist auch nicht der Fall.

Wir gelangen nunmehr zur Abstimmung über den Beschluss des Nationalrates vom 25. Februar 2004 betreffend ein Sozialversicherungs-Änderungsgesetz 2004.

Ich ersuche jene Bundesrätinnen und Bundesräte, die dem Antrag zustimmen, gegen den vorliegenden Beschluss des Nationalrates keinen Einspruch zu erheben, um ein Handzeichen. – Das ist die Stimmenmehrheit.

Der Antrag ist angenommen.

Liebe Kolleginnen und Kollegen! Auch die Tagesordnung ist erschöpft.


Bundesrat
Stenographisches Protokoll
706. Sitzung / Seite 190

Einlauf

 


Vizepräsident Mag. Harald Himmer: Ich gebe noch bekannt, dass seit der letzten be­ziehungsweise in der heutigen Sitzung insgesamt sechs Anfragen, 2153/J bis 2158/J, eingebracht wurden.

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Die Einberufung der nächsten Sitzung des Bundesrates wird auf schriftlichem Weg erfolgen. Als Sitzungstermin ist Freitag, der 16. April 2004, in Aussicht genommen.

Für die Tagesordnung dieser Sitzung kommen jene Vorlagen in Betracht, die der Natio­nalrat bis dahin verabschiedet hat, soweit sie dem Einspruchs- beziehungsweise Zu­stimmungsrecht des Bundesrates unterliegen.

Die Ausschussvorberatungen sind für Mittwoch, den 14. April 2004, ab 14 Uhr vorge­sehen.

*****

Ich wünsche Ihnen noch einen schönen Abend und eine gute Heimfahrt!

Die Sitzung ist geschlossen.

Schluss der Sitzung: 21.21 Uhr

 

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