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Stenographisches Protokoll

 

 

 

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838. Sitzung des Bundesrates der Republik Österreich

 

 

Donnerstag, 5. Februar 2015

 

 


Stenographisches Protokoll

838. Sitzung des Bundesrates der Republik Österreich

Donnerstag, 5. Februar 2015

Dauer der Sitzung

Donnerstag, 5. Februar 2015: 9.01 – 15.48 Uhr

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Tagesordnung

1. Punkt: Bundesgesetz, mit dem das Fortpflanzungsmedizingesetz, das Allgemeine bürgerliche Gesetzbuch, das Gentechnikgesetz und das IVF-Fonds-Gesetz geändert werden (Fortpflanzungsmedizinrechts-Änderungsgesetz 2015 – FMedRÄG 2015)

2. Punkt: Bundesgesetz, mit dem das Medizinischer Masseur- und Heilmasseurge­setz, das MTD-Gesetz und das Medizinische Assistenzberufe-Gesetz geändert werden

3. Punkt: Bundesgesetz, mit dem das Beamten-Dienstrechtsgesetz 1979, das Ge­haltsgesetz 1956, das Vertragsbedienstetengesetz 1948, das Richter- und Staatsan­waltschaftsdienstgesetz, das Landeslehrer-Dienstrechtsgesetz, das Landesvertrags­lehrpersonengesetz 1966, das Land- und forstwirtschaftliche Landeslehrer-Dienst­rechtsgesetz, das Land- und forstwirtschaftliche Landesvertragslehrpersonengesetz, das Pensionsgesetz 1965, das Bundesbahngesetz, das Bundes-Bedienstetenschutz­gesetz und das Finanzprokuraturgesetz geändert werden

4. Punkt: Antrag der Bundesräte Werner Herbert, Kolleginnen und Kollegen betreffend Schaffung von Schwerarbeiterregelungen für Exekutivbedienstete

5. Punkt: Entschließungsantrag der Bundesräte Werner Herbert, Kolleginnen und Kol­legen betreffend Schaffung eines Exekutivdienstgesetzes beziehungsweise von weite­ren dienstrechtlichen Spezialbestimmungen im Beamtendienstrechtsgesetz (Besonde­rer Teil, 2. Abschnitt) und Gehaltsgesetz (Abschnitt VII)

6. Punkt: Vorhaben im Rahmen der Europäischen Union gemäß Art. 23e B-VG be­treffend CM 4133/14, Friends of the Presidency Group: Improving the functioning of the EU system

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Inhalt

Bundesrat

Antrittsansprache der Präsidentin Sonja Zwazl ......................................................... 8

Erklärung des Bundesministers für Finanzen Dr. Johann Georg Schelling ge­mäß § 37 Abs. 4 GO-BR zum Thema „Finanzausgleich“ – Bekanntgabe ..................................................................... 11


BundesratStenographisches Protokoll838. Sitzung / Seite 2

Verlangen auf Durchführung einer Debatte gemäß § 37 Abs. 5 der Geschäfts­ordnung                   11

Bundesminister Dr. Johann Georg Schelling .......................................................... 11

Debatte:

Gerd Krusche ............................................................................................................... 17

Franz Perhab ................................................................................................................. 19

Dr. Heidelinde Reiter .................................................................................................... 20

Ilse Fetik ......................................................................................................................... 22

Mag. Gerald Zelina ....................................................................................................... 23

Schreiben des Bundeskanzleramtes gemäß Artikel 23c Abs. 5 Bundes-Verfas­sungsgesetz betreffend österreichische ordentliche und stellvertretende Mitglie­der für den Ausschuss der Regionen der EU für die neue Periode 2015 bis 2020                                                                                                                   48

Absehen von der 24-stündigen Frist für das Aufliegen des schriftlichen Aus­schussberichtes 9323/BR d.B. gemäß § 44 (3) GO-BR .................................................................................................. 62

Verlangen auf Durchführung einer namentlichen Abstimmung ...........................  83, 103

Unterbrechung der Sitzung .................................................................................  83, 103

Personalien

Verhinderungen ................................................................................................................ 8

Aktuelle Stunde (32.)

Thema: „Zukunftsstrategie für den ländlichen Raum“ ........................................... 25

Redner/Rednerinnen:

Gottfried Kneifel ........................................................................................................... 26

Ing. Hans-Peter Bock ................................................................................................... 28

Gerhard Dörfler ............................................................................................................ 31

Mag. Nicole Schreyer ................................................................................................... 35

Bundesminister Dipl.-Ing. Andrä Rupprechter ..................................................  37, 46

Martin Preineder ........................................................................................................... 40

Stefan Schennach ........................................................................................................ 41

Dr. Dietmar Schmittner ............................................................................................... 43

Dr. Heidelinde Reiter .................................................................................................... 44

Bundesregierung

Schreiben des Bundeskanzleramtes betreffend Aufenthalt eines Mitgliedes der Bundesregierung in einem anderen Mitgliedstaat der Europäischen Union .............................................................. 59

Vertretungsschreiben ..................................................................................................... 61

Nationalrat

Beschlüsse und Gesetzesbeschlüsse .......................................................................... 62

Ausschüsse

Zuweisungen .................................................................................................................. 61

Verhandlungen

1. Punkt: Beschluss des Nationalrates vom 21. Jänner 2015 betreffend ein Bun­desgesetz, mit dem das Fortpflanzungsmedizingesetz, das Allgemeine bürger-


BundesratStenographisches Protokoll838. Sitzung / Seite 3

liche Gesetzbuch, das Gentechnikgesetz und das IVF-Fonds-Gesetz geändert werden (Fortpflanzungsmedizinrechts-Änderungsgesetz 2015 – FMedRÄG 2015) (445 d.B. und 450 d.B. sowie 9316/BR d.B. und 9318/BR d.B.) ................................... 62

Berichterstatter: Martin Preineder ................................................................................ 63

Redner/Rednerinnen:

Monika Mühlwerth ....................................................................................................... 63

Johanna Köberl ............................................................................................................ 66

Gerd Krusche ............................................................................................................... 68

Mag. Klaus Fürlinger ................................................................................................... 70

Christoph Längle .......................................................................................................... 72

Marco Schreuder .......................................................................................................... 73

Ana Blatnik .................................................................................................................... 75

Ferdinand Tiefnig ......................................................................................................... 76

Mag. Nicole Schreyer ................................................................................................... 78

Mag. Harald Himmer .................................................................................................... 80

Bundesministerin Gabriele Heinisch-Hosek ............................................................ 81

Antrag der Bundesräte Monika Mühlwerth, Kolleginnen und Kollegen, gegen den Beschluss des Nationalrates vom 21. Jänner 2015 betreffend ein Bundesge­setz, mit dem das Fortpflanzungsmedizingesetz, das Allgemeine bürgerliche Ge­setzbuch, das Gentechnikgesetz und das IVF-Fonds-Gesetz geändert werden (Fort­pflanzungsmedizinrechts-Änderungsgesetz 2015 – FMedRÄG 2015), gemäß § 43 Abs. 1 GO-BR Einspruch zu erheben – Ablehnung (namentliche Abstimmung)                                    65, 83

Verzeichnis des Ergebnisses der namentlichen Abstimmung ...................................... 84

Annahme des Antrages des Berichterstatters, gegen den vorliegenden Beschluss des Nationalrates keinen Einspruch zu erheben .................................................................................................... 84

2. Punkt: Beschluss des Nationalrates vom 21. Jänner 2015 betreffend ein Bun­desgesetz, mit dem das Medizinischer Masseur- und Heilmasseurgesetz, das MTD-Gesetz und das Medizinische Assistenzberufe-Gesetz geändert werden (444 d.B. und 451 d.B. sowie 9319/BR d.B.) ........................ 85

Berichterstatter: Martin Preineder ................................................................................ 85

Redner/Rednerinnen:

Gerd Krusche ............................................................................................................... 85

Johanna Köberl ............................................................................................................ 85

Dr. Andreas Köll ........................................................................................................... 86

Dr. Heidelinde Reiter .................................................................................................... 88

Günther Novak ............................................................................................................. 88

Annahme des Antrages des Berichterstatters, gegen den vorliegenden Beschluss des Nationalrates keinen Einspruch zu erheben .................................................................................................... 89

3. Punkt: Beschluss des Nationalrates vom 21. Jänner 2015 betreffend ein Bun­desgesetz, mit dem das Beamten-Dienstrechtsgesetz 1979, das Gehaltsge­setz 1956, das Vertragsbedienstetengesetz 1948, das Richter- und Staatsanwalt­schaftsdienstgesetz, das Landeslehrer-Dienstrechtsgesetz, das Landesvertrags­lehrpersonengesetz 1966, das Land- und forstwirtschaftliche Landeslehrer-Dienstrechtsgesetz, das Land- und forstwirtschaftliche Landesvertragslehrperso­nengesetz, das Pensionsgesetz 1965, das Bundesbahngesetz, das Bundes-Be­dienstetenschutzgesetz und das Finanzprokuraturgesetz geändert werden (454 d.B. und 457 d.B. sowie 9317/BR d.B. und 9320/BR d.B.) ...................... 89

Berichterstatter: Josef Saller ........................................................................................ 90


BundesratStenographisches Protokoll838. Sitzung / Seite 4

Redner/Rednerinnen:

Werner Herbert ............................................................................................................. 90

Reinhard Todt ............................................................................................................... 93

Efgani Dönmez, PMM .................................................................................................. 95

Peter Oberlehner .......................................................................................................... 96

Staatssekretärin Mag. Sonja Steßl ............................................................................. 98

Hermann Brückl ......................................................................................................... 101

Antrag der Bundesräte Werner Herbert, Kolleginnen und Kollegen, gegen den Beschluss des Nationalrates vom 21. Jänner 2015 betreffend ein Bundesgesetz, mit dem das Beamten-Dienstrechtsgesetz 1979, das Gehaltsgesetz 1956, das Vertragsbedienstetengesetz 1948, das Richter- und Staatsanwaltschaftsdienst­gesetz, das Landeslehrer-Dienstrechtsgesetz, das Landesvertragslehrpersonen­gesetz 1966, das Land- und forstwirtschaftliche Landeslehrer-Dienstrechtsge­setz, das Land- und forstwirtschaftliche Landesvertragslehrpersonengesetz, das Pensionsgesetz 1965, das Bundesbahngesetz, das Bundes-Bedienstetenschutz­gesetz und das Finanzprokuraturgesetz geändert werden, gemäß § 43 Abs. 1 GO-BR Einspruch zu erheben – Ablehnung (namentliche Abstimmung) .........................  93, 103

Verzeichnis des Ergebnisses der namentlichen Abstimmung .................................... 104

Annahme des Antrages des Berichterstatters, gegen den vorliegenden Beschluss des Nationalrates keinen Einspruch zu erheben .................................................................................................. 104

Gemeinsame Beratung über

4. Punkt: Antrag der Bundesräte Werner Herbert, Kolleginnen und Kollegen betref­fend Schaffung von Schwerarbeiterregelungen für Exekutivbedienstete (198/A-BR/2014 sowie 9321/BR d.B.)                          105

Berichterstatter: Josef Saller ...................................................................................... 105

5. Punkt: Entschließungsantrag der Bundesräte Werner Herbert, Kolleginnen und Kollegen betreffend Schaffung eines Exekutivdienstgesetzes beziehungsweise von weiteren dienstrechtlichen Spezialbestimmungen im Beamtendienstrechtsge­setz (Besonderer Teil, 2. Abschnitt) und Gehaltsgesetz (Abschnitt VII) (203/A(E)-BR/2014 sowie 9322/BR d.B.) ............................................. 105

Berichterstatter: Josef Saller ...................................................................................... 105

Redner/Rednerinnen:

Werner Herbert ........................................................................................................... 105

Efgani Dönmez, PMM ................................................................................................ 106

Staatssekretärin Mag. Sonja Steßl ........................................................................... 107

Annahme des Antrages des Berichterstatters zu Punkt 4, dem Antrag 198/A-BR/2014 keine Zustimmung zu erteilen .......................................................................................................................... 108

Annahme des Antrages des Berichterstatters zu Punkt 5, dem Antrag 203/A(E)-BR/2014 keine Zustimmung zu erteilen ..................................................................................................................... 108

6. Punkt: Vorhaben im Rahmen der Europäischen Union gemäß Art. 23e B-VG be­treffend CM 4133/14, Friends of the Presidency Group: Improving the functioning of the EU system (38185/EU XXV. GP sowie 9323/BR d.B.) ............................................................................................................... 108

Berichterstatter: Gerhard Schödinger ....................................................................... 108

Redner/Rednerinnen:

Edgar Mayer ................................................................................................................ 109

Stefan Schennach .............................................................................................  111, 118


BundesratStenographisches Protokoll838. Sitzung / Seite 5

Monika Mühlwerth ..................................................................................................... 114

Marco Schreuder ........................................................................................................ 116

Entschließungsantrag der Bundesräte Monika Mühlwerth, Marco Schreuder, Kolleginnen und Kollegen betreffend Möglichkeiten zur Stärkung nationaler Parla­mente in der EU – Ablehnung  115, 118

Annahme der dem schriftlichen Ausschussbericht 9323/BR d.B. beigedruckten Ent­schließung betreffend Möglichkeiten zur Stärkung nationaler Parlamente in der EU (38185/EU XXV. GP) (E 243-BR/2015)      ............................................................................................................................. 118

Eingebracht wurden

Anfragen der Bundesräte

Monika Mühlwerth, Kolleginnen und Kollegen an die Bundesministerin für Bildung und Frauen betreffend Öffentlichkeitsrecht der Privatschule Saudi School Vienna (3058/J-BR/2015)

Dr. Heidelinde Reiter, Kolleginnen und Kollegen an die Bundesministerin für Gesund­heit betreffend Gesundheitsberuferegister (3059/J-BR/2015)

Dr. Heidelinde Reiter, Kolleginnen und Kollegen an den Bundesminister für Wis­senschaft, Forschung und Wirtschaft betreffend GISA und Gesundheitsberuferegister (3060/J-BR/2015)

Gottfried Kneifel, Kolleginnen und Kollegen an den Bundesminister für Kunst und Kul­tur, Verfassung und Medien betreffend die geplanten Schritte zur Modernisierung des Denkmalschutzes in Folge der Ratifizierung der Europäischen Übereinkommen von Va­letta und Faro durch die Republik Österreich (3061/J-BR/2015)

Anfragebeantwortungen

des Bundesministers für Verkehr, Innovation und Technologie auf die Anfrage der Bun­desräte Marco Schreuder, Kolleginnen und Kollegen betreffend Flugsicherheit hin­sichtlich Flügen nach Teheran (2811/AB-BR/2014 zu 3036/J-BR/2014)

der Bundesministerin für Inneres auf die Anfrage der Bundesräte Marco Schreuder, Kolleginnen und Kollegen betreffend Al Quds Tag 2014 (2812/AB-BR/2014 zu 3037/J-BR/2014)

der Bundesministerin für Inneres auf die Anfrage der Bundesräte Gerd Krusche, Kol­leginnen und Kollegen betreffend Anhaltezentrum Vordernberg (2813/AB-BR/2014 zu 3038/J-BR/2014)

der Bundesministerin für Inneres auf die Anfrage der Bundesräte Werner Herbert, Kol­leginnen und Kollegen betreffend Sicherheit in unseren Gemeinden (2814/AB-BR/2014 zu 3039/J-BR/2014)

des Bundesministers für Finanzen auf die Anfrage der Bundesräte Hermann Brückl, Kolleginnen und Kollegen betreffend Ungleichbehandlung bei der Gewährung des Al­leinverdiener- und Alleinerzieherabsetzbetrages aufgrund des gestaffelten Ferienbe­ginns im Jahr 2014 (2815/AB-BR/2015 zu 3033/J-BR/2014)

des Bundesministers für Landesverteidigung und Sport auf die Anfrage der Bundesräte Mag. Christian Jachs, Kolleginnen und Kollegen betreffend Tilly-Kaserne in Freistadt (2816/AB-BR/2015 zu 3035/J-BR/2014)


BundesratStenographisches Protokoll838. Sitzung / Seite 6

der Bundesministerin für Gesundheit auf die Anfrage der Bundesräte Edgar Mayer, Kolleginnen und Kollegen betreffend Blutsicherheits- und Arzneiwareneinfuhrgesetz (2817/AB-BR/2015 zu 3041/J-BR/2014)

der Bundesministerin für Bildung und Frauen auf die Anfrage der Bundesräte Edgar Mayer, Kolleginnen und Kollegen betreffend Verankerung von „Erster Hilfe“ im Lehr­plan (2818/AB-BR/2015 zu 3040/J-BR/2014)

des Bundesministers für Wissenschaft, Forschung und Wirtschaft auf die Anfrage der Bundesräte Marco Schreuder, Kolleginnen und Kollegen betreffend Softwarenutzung im Vollzugsbereich des Bundesministers für Wissenschaft, Forschung und Wirtschaft (2819/AB-BR/2015 zu 3055/J-BR/2014)

der Bundesministerin für Inneres auf die Anfrage der Bundesräte Marco Schreuder, Kolleginnen und Kollegen betreffend Softwarenutzung im Vollzugsbereich der Bundes­ministerin für Inneres (2820/AB-BR/2015 zu 3044/J-BR/2014)

des Bundesministers für Arbeit, Soziales und Konsumentenschutz auf die Anfrage der Bundesräte Marco Schreuder, Kolleginnen und Kollegen betreffend Softwarenutzung im Vollzugsbereich des Bundesministers für Arbeit, Soziales und Konsumentenschutz (2821/AB-BR/2015 zu 3048/J-BR/2014)

des Bundesministers für Land- und Forstwirtschaft, Umwelt und Wasserwirtschaft auf die Anfrage der Bundesräte Marco Schreuder, Kolleginnen und Kollegen betreffend Softwarenutzung im Vollzugsbereich des Bundesministers für Land- und Forstwirt­schaft, Umwelt und Wasserwirtschaft (2822/AB-BR/2015 zu 3052/J-BR/2014)

des Bundesministers für Justiz auf die Anfrage der Bundesräte Marco Schreuder, Kol­leginnen und Kollegen betreffend Softwarenutzung im Vollzugsbereich des Bundesmi­nisters für Justiz (2823/AB-BR/2015 zu 3051/J-BR/2014)

der Bundesministerin für Bildung und Frauen auf die Anfrage der Bundesräte Marco Schreuder, Kolleginnen und Kollegen betreffend Softwarenutzung im Vollzugsbereich der Bundesministerin für Bildung und Frauen (2824/AB-BR/2015 zu 3043/J-BR/2014)

der Bundesministerin für Gesundheit auf die Anfrage der Bundesräte Marco Schreu­der, Kolleginnen und Kollegen betreffend Softwarenutzung im Vollzugsbereich der Bun­desministerin für Gesundheit (2825/AB-BR/2015 zu 3046/J-BR/2014)

des Bundesministers für Landesverteidigung und Sport auf die Anfrage der Bundesräte Marco Schreuder, Kolleginnen und Kollegen betreffend Softwarenutzung im Vollzugs­bereich des Bundesministers für Landesverteidigung und Sport (2826/AB-BR/2015 zu 3053/J-BR/2014)

des Bundeskanzlers auf die Anfrage der Bundesräte Marco Schreuder, Kolleginnen und Kollegen betreffend Softwarenutzung im Vollzugsbereich des Bundeskanzlers (2827/AB-BR/2015 zu 3047/J-BR/2014)

des Bundesministers für Finanzen auf die Anfrage der Bundesräte Marco Schreuder, Kolleginnen und Kollegen betreffend Softwarenutzung im Vollzugsbereich des Bundes­ministers für Finanzen (2828/AB-BR/2015 zu 3050/J-BR/2014)

des Bundesministers für Verkehr, Innovation und Technologie auf die Anfrage der Bun­desräte Marco Schreuder, Kolleginnen und Kollegen betreffend Softwarenutzung im Vollzugsbereich des Bundesministers für Verkehr, Innovation und Technologie (2829/AB-BR/2015 zu 3054/J-BR/2014)

des Bundesministers für Kunst und Kultur, Verfassung und Medien auf die Anfrage der Bundesräte Marco Schreuder, Kolleginnen und Kollegen betreffend Softwarenutzung im Vollzugsbereich (2830/AB-BR/2015 zu 3056/J-BR/2014)


BundesratStenographisches Protokoll838. Sitzung / Seite 7

des Bundesministers für Europa, Integration und Äußeres auf die Anfrage der Bun­desräte Marco Schreuder, Kolleginnen und Kollegen betreffend Softwarenutzung im Vollzugsbereich des Bundesministers für Europa, Integration und Äußeres (2831/AB-BR/2015 zu 3049/J-BR/2014)

der Bundesministerin für Familien und Jugend auf die Anfrage der Bundesräte Marco Schreuder, Kolleginnen und Kollegen betreffend Softwarenutzung im Vollzugsbereich der Bundesministerin für Familie und Jugend (2832/AB-BR/2015 zu 3045/J-BR/2014)

des Bundesministers für Justiz auf die Anfrage der Bundesräte Werner Herbert, Kol­leginnen und Kollegen betreffend Verleumdung von öffentlich Bediensteten und Beam­ten des Bundesministers für Justiz (2833/AB-BR/2015 zu 3042/J-BR/2014)


 


BundesratStenographisches Protokoll838. Sitzung / Seite 8

09.00.37Beginn der Sitzung: 9.01 Uhr

 


Präsidentin Sonja Zwazl: Meine sehr geehrten Damen und Herren! Ich eröffne die 838. Sitzung des Bundesrates.

Ich bedanke mich recht herzlich bei unseren Gästen und bei unseren Besuchern. Ganz besonders freue ich mich, dass Finanzminister Dr. Hans Jörg Schelling heute hier ist. Hans Jörg, herzlich willkommen und vielen Dank! (Allgemeiner Beifall.)

Stellvertretend für alle Besucherinnen und Besucher begrüße ich recht herzlich Herrn Professor Dr. Schambeck, den sogenannten „Mister Bundesrat“. Ein herzliches Will­kommen, Herr Professor! (Allgemeiner Beifall.)

Ich bedanke mich auch bei der Jugend für ihr Interesse am Bundesrat.

*****

Als verhindert gemeldet sind heute die Mitglieder des Bundesrates Mag. Ernst Gödl und Mag. Reinhard Pisec.

09.02.19Antrittsansprache der Präsidentin

 


9.02.20

Präsidentin Sonja Zwazl: Herr Minister! Geschätzte Kolleginnen und Kollegen! Ge­schätzte Besucherinnen und Besucher! Meine sehr geehrten Damen und Herren! De­mokratie ist das, was wir aus ihr machen. Mir ist dieser Zugang sehr wichtig, weil in Österreich Politikverdrossenheit herrscht, die wir sehr ernst nehmen müssen. Was kön­nen wir tun, was müssen wir tun, um dieser Stimmung entgegenzuwirken? Wie können wir den Menschen die Bedeutung einer politischen Mitwirkung wieder näherbringen? – In meiner Funktion als Präsidentin der Wirtschaftskammer Niederösterreich bin ich ständig in Gesprächen und im Kontakt mit Ein-Personen-Unternehmen, mit Handwer­kern, mit dem Mittelstand, mit großen Unternehmen aller Branchen genauso wie mit Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern.

Dabei höre ich sehr oft, dass man der Politik nicht mehr zutraut, wichtige und drän­gende Reformen umzusetzen. Die Menschen spüren und wissen, dass große Rich­tungsentscheidungen zu treffen sind, um Wohlstand und sozialen Frieden in Österreich zu erhalten. Sie spüren und wissen, dass wir unsere Kinder auf eine Welt vorbereiten müssen, die sich sehr viel schneller dreht. Das birgt zwar viele Risiken, eröffnet aber auch sehr viele Chancen. Aber viele Menschen trauen der Politik nicht zu, diese Ent­wicklung aktiv zu gestalten. Es liegt an uns, ihnen das Gegenteil zu beweisen.

Die Welt erlebt einen Umbruch, und wir in Österreich müssen diesen Umbruch aktiv mitgestalten. Wir sind Gestalter und keine Passagiere. Wir entscheiden, ob wir im glo­balen Wettlauf auf der Überholspur unterwegs sind oder uns selbst tatenlos auf den Pannenstreifen stellen.

Der Grat ist ein schmaler, und es braucht heute mehr denn je gestandene Persönlich­keiten als Gestalter der Demokratie. Es braucht Politikerinnen und Politiker, die Positio­nen einnehmen, Ziele definieren und den Menschen ein klares Angebot machen. Wir sind gefordert, ein Bild der Zukunft zu zeichnen und auch den Weg dorthin zu skiz­zieren. Wir brauchen keine Sonntagsreden und Papiere, die in der Schreibtischlade ver­gilben, sondern was Österreich braucht, sind Entscheidungen und beherztes Anpacken.

Wir Bundesrätinnen und Bundesräte sind Gestalter. Wir sind die starken Vertreter der Bundesländer im Parlament und der direkte Draht der Regionen in die Bundeshaupt-


BundesratStenographisches Protokoll838. Sitzung / Seite 9

stadt. Wir alle repräsentieren die Menschen unserer Heimatregionen und haben es in der Hand, ihre Anliegen und Wünsche ins Hohe Haus zu tragen. Und jeder von uns ist gefordert, daheim darüber zu informieren, was hier geschieht, worüber wir über die Parteigrenzen hinweg diskutieren, was wir beschließen, wo etwas weitergeht und wo wir neue Wege suchen müssen.

Dazu gehört Verantwortungsbewusstsein, und viele von uns dürfen mit mehr Selbstbe­wusstsein agieren. Wir sind Parlamentarier, keine Durchwinker von Gesetzen aus dem Plenarsaal nebenan. Unsere Stimme hat Gewicht, und es ist mir wichtig, das aufzu­zeigen. Wir Bundesräte unterziehen neue Gesetze dem Regionencheck und sagen, wenn nötig, auch Nein, wenn es den Interessen der Menschen entgegenläuft. Es geht dabei aber nicht um Blockadepolitik und Justamentstandpunkte, sondern darum, Ge­setze zu initiieren und positiv mitzugestalten.

Diese Politik des Gestaltens muss positiv spürbar und sichtbar sein. Die Politik muss wieder zurück aus dem Out auf das Spielfeld der Demokratie. Wir müssen Politik ma­chen und den Menschen näherbringen. Ich sehe hier sehr viele Kolleginnen und Kolle­gen, die Politik mit jeder Faser rund um die Uhr leben. Auch für mich ist sie eine Lei­denschaft, die mich seit Jahrzehnten nicht mehr loslässt.

Etwas verändern zu wollen, etwas bewegen zu können – das ist es, was mich jeden Tag antreibt. Und wenn ich hier in die Reihen schaue, dann weiß ich, dass es vielen von euch genauso geht.

Geschätzte Kolleginnen und Kollegen, 2015 ist das Jahr, in dem wir großer Ereignisse gedenken. 1945, 1955, 1995 – das sind die Jahreszahlen, die Österreich als Nation, als Republik, als starke Volkswirtschaft geformt haben. 2015 müssen wir uns dieser Meilensteine bewusst werden, damit wir nicht aus den Augen verlieren, was uns so er­folgreich gemacht hat. Dieses Jahr 2015 kann für uns erneut ein Meilenstein sein, wenn wir es schaffen, neue Wege zu gehen – in der Steuerpolitik, in der Gesundheits­politik, in der Bildung und in der Demokratie. Es liegen viele Ziele vor uns, viele Chan­cen eröffnen sich, und dafür werden wir unsere ganze Kraft brauchen.

1945 – das Ende des schrecklichen Weltkrieges. 1955 – der Staatsvertrag macht Ös­terreich zu einer freien Republik. Julius Raab und Leopold Figl – das sind die Persön­lichkeiten, die auf diesem Weg in die Freiheit Außerordentliches geleistet haben.

Ich habe als Kind den Wiederaufbau Österreichs miterlebt. Es war für unsere Eltern ei­ne harte Zeit, in der sie aus dem Nichts das Fundament für unseren heutigen Wohl­stand geschaffen haben. Unsere Eltern haben die Bäume gepflanzt, deren Früchte wir bis heute geerntet haben. Jetzt sind wir an der Reihe, Bäume zu pflanzen, damit auch unsere Kinder einmal etwas zu ernten haben. Und deshalb ist es mir wichtig, ge­meinsam mit euch den Vorsitz im Bundesrat zu nutzen, um im Bildungsbereich Ak­zente zu setzen.

Meine Vorgängerin, Präsidentin Ana Blatnik, hat hier bereits einen Anstoß gegeben – liebe Ana, ich bedanke mich recht herzlich dafür –, aber jetzt muss die Arbeit für die junge Generation weitergehen. Endlich raus aus dem „Kastldenken“! Es geht nicht um ein Match Gymnasium gegen Gesamtschule, sondern es geht darum, wie wir die Be­gabungen unserer Kinder bestmöglich erkennen und fördern. Wir werden bei einer Zu­kunftskonferenz im Mai in St. Pölten gemeinsam darüber reden.

Ich bin fest davon überzeugt, dass eine Berufs- und Bildungsorientierung als Fixpunkt in der 7. Schulstufe unseren Kindern dabei hilft, ihren Weg zu finden.

In Niederösterreich haben wir mit dem „Begabungskompass“ einen erfolgreichen Schritt in diese Richtung gesetzt. Ich werde meine Funktion als Präsidentin der Länderkam­mer dazu nutzen, um mit der Bildungsministerin, unserem Vizekanzler und Wirtschafts-


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minister, den Sozialpartnern und den Landesschulräten darüber zu reden, wie wir die­ses Erfolgsmodell allen Jugendlichen österreichweit zugänglich machen können. Dabei werden wir zeigen, wie talentiert unsere Jugend ist, egal, ob in der Schule oder in der Lehrlingsausbildung.

Vergessen wir nicht, denn das ist ganz wichtig: Österreich profitiert stark vom Hand­werk! Unsere Wettbewerbsfähigkeit hängt davon ab, wie gut unsere Fachkräfte ausge­bildet und weitergebildet werden. Seien wir doch stolz auf unsere Lehrlinge, die jedes Jahr aufs Neue bei internationalen Wettbewerben auf dem Siegespodest stehen!

Geschätzte Kolleginnen und Kollegen! Leistung – darüber müssen wir reden! Wer et­was leistet, der muss auch etwas davon haben! Dazu braucht es Leistungsanreize, und zwar für Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer ebenso wie für Unternehmerinnen und Unternehmer. Mit der Steuerreform werden wir die Chance haben, all jene zu fördern, die bereit sind, jeden Tag aufs Neue ihr Bestes zu geben. Unser Finanzminister Hans Jörg Schelling ist dabei, diese Mammutaufgabe zu bewältigen und auch hinsichtlich der Effizienz der staatlichen Strukturen wichtige Akzente zu setzen. Mittelfristig gehört auch der Finanzausgleich dazu. Noch einmal ein herzliches Dankeschön, Herr Bun­desminister, lieber Hans Jörg! Danke, dass du heute hier bist, und danke, dass du dich diesem Thema widmest. (Allgemeiner Beifall.)

Österreich braucht den Willen zu Leistung und Innovationsdenken, denn wir sind als Teil der Europäischen Union Mitspieler in einem globalen wirtschaftlichen Wettbewerb. Ne­ben 1945 und 1955 erinnern wir uns im heurigen Gedenkjahr auch an das Jahr 1995 und damit an den Beitritt Österreichs zur EU. Die EU bietet neue Chancen, neue Märk­te, viele neue Herausforderungen und stellt vor allem ein weltweit einzigartiges Frie­densprojekt dar. Gerade vor dem Hintergrund des feigen Terrors in Paris, in Frank­reich, wird klar, wie wichtig es ist, dieses Europa des Friedens und der Toleranz mit voller Kraft zu erhalten.

Wir im Bundesrat sind die Klammer zwischen den österreichischen Regionen und Brüssel. Vor fünf Jahren wurden die Rechte der Regionen bei der Mitwirkung an EU-Regelungen mit dem Vertrag von Lissabon wesentlich gestärkt. Für uns Bundesräte und Bundesrätinnen bedeutet das, dass wir im EU-Ausschuss brisante Themen auf­greifen und in den direkten Dialog mit der EU-Kommission treten. Das sperrige Wort „Subsidiarität“ ist somit auch auf europäischer Ebene zu einer zentralen Funktion des Bundesrates geworden, um die Rechte der Regionen zu wahren und neue Gesetze auf Länder- und Regionentauglichkeit zu prüfen. Das ist unsere Verantwortung im Bundesrat.

Wenige wissen, dass unser EU-Ausschuss jenem des Nationalrates gleichgestellt ist. Stärken wir die Länderkammer weiter, indem wir zum Beispiel EU-Abgeordneten aller Couleurs ein Rederecht im Bundesrat geben! So stärken wir die Brücke in einem Eu­ropa der starken Regionen.

Die Länder haben ein deutliches Bekenntnis zum Bestand und zur Stellung des Bun­desrates abgegeben. Wie können wir diesem Auftrag gerecht werden? – Indem wir noch stärker als bisher unser Mitwirkungsrecht an Bundesgesetzen wahrnehmen und die Interessen der Bundesländer hier im Parlament mit starker Stimme vertreten. Dabei sollten wir jedoch nie den direkten Draht zu den Menschen verlieren, die wir vertreten.

Seit ich mein Engagement in der Politik begonnen habe, lautet mein Credo: Zuhören und dann umsetzen! Ich bin davon überzeugt, dass es nur dieser Weg sein kann, der die Politik im Bewusstsein der Menschen wieder positiv verankert. Demokratie ist das, was wir aus ihr machen.

Große Reformen brauchen die demokratische Auseinandersetzung und Willensbil­dung. In diesem Zusammenhang wird viel über direkte Demokratie und Bürgerbeteili­gung geredet. Dabei ist die Teilnahme an Wahlen die direkteste Form der demokrati-


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schen Willensbekundung. Allein in diesem Jahr stehen in vier Bundesländern entschei­dende Wahlen an. Unser gemeinsames Ziel muss es sein, die Menschen dazu zu bewegen, ihr Wahlrecht wahrzunehmen und damit an einem starken, zukunftsträchti­gen Österreich mitzubauen – über die Landesgrenzen hinweg, über Bundeskompeten­zen hinweg, über Parteigrenzen und ideologische Schranken hinweg. Der Bundesrat soll Ausdruck dieser offenen politischen Kultur sein, an deren Ende Lösungen mit Herz und Hirn stehen und für die Menschen spürbar sind.

Ich freue mich, ein halbes Jahr mit euch gemeinsam gestalten zu dürfen, und bitte um eine kollegiale, verantwortungsbewusste Zusammenarbeit auf allen Ebenen. – Danke schön. (Allgemeiner Beifall.)

9.16

Ankündigung einer Erklärung des Bundesministers für Finanzen gemäß § 37 Abs. 4 der Geschäftsordnung

 


Präsidentin Sonja Zwazl: Unser Bundesminister Dr. Schelling hat seine Absicht be­kundet, eine Erklärung zum Thema „Finanzausgleich“ gemäß § 37 Abs. 4 GO-BR ab­geben zu wollen.

Bevor ich dem Herrn Bundesminister das Wort erteile, gebe ich bekannt, dass mir ein schriftliches Verlangen von fünf Bundesräten im Sinne des § 37 Abs. 5 GO-BR vor­liegt, im Anschluss an die vom Herrn Bundesminister abgegebene Erklärung eine De­batte durchzuführen. Da dieses Verlangen genügend unterstützt ist, werde ich ihm oh­ne Weiteres stattgeben.

09.16.26Erklärung des Bundesministers für Finanzen zum Thema „Finanzausgleich“

 


Präsidentin Sonja Zwazl: Ich bitte dich nun, Herr Finanzminister, um deine Erklärung und erteile dir das Wort. – Bitte.

 


9.17.10

Bundesminister für Finanzen Dr. Johann Georg Schelling: Frau Präsidentin! Ge­schätzte Damen und Herren! Zuerst einmal ein Dankeschön für die Möglichkeit, diese Erklärung heute abzugeben. Es ist mein dritter Versuch, mich hier im Bundesrat offiziell vorzustellen – einmal war ich durch den ECOFIN verhindert, einmal durch Krankheit. Umso mehr freue ich mich, heute hier sein zu dürfen. Ich möchte dir, liebe Sonja, auch zur Übernahme der Präsidentschaft gratulieren und wünsche dir eine glückliche Hand bei der Führung dieses wichtigen Bundesratshalbjahres, das jetzt vor uns steht.

Einen besonderen Gruß möchte ich noch an Professor Schambeck richten. Ich bin jetzt alt genug, um sagen zu können, dass ich noch bei ihm studiert habe. (Heiterkeit und Zwischenrufe bei der ÖVP.) Mich holt ja einiges ein in meinem Leben. Auch Gouver­neur Nowotny war noch einer meiner akademischen Lehrer, mit dem ich – wie Sie alle wissen – jetzt im Rahmen der EZB, der Oesterreichischen Nationalbank und generell der Banken sehr viel zu tun habe. Es ist gut, wenn man sich auf so einer persönlichen Basis nach langen Jahren wieder austauschen kann.

Dass ich ersucht habe, diese Erklärung abgeben zu können, hat einen tieferen Grund: Sie wissen, dass der Finanzausgleich vor allem für die Bundesländer und für die Ge­meinden, aber natürlich auch für den Bund von entscheidender Bedeutung ist. Er be­stimmt, in welche Richtung das Land steuert, und zwar sowohl in Bezug auf die Struk­turen als auch in Bezug auf die Finanzströme.

Es wurde zwischenzeitlich ja viel diskutiert. Die erste und wichtigste Feststellung ist jedoch sicherlich, dass es einige Wochen nach meinem Amtsantritt gelungen ist, ge-


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meinsam mit den Ländervertretern und den Gemeinden den Finanzausgleich bis Ende 2016 zu verlängern. Das war in dieser Übergangsphase nicht ganz einfach. Ich glaube aber, es war wichtig, dass wir dieses Signal gesetzt haben, um uns ausreichend Zeit zu geben, über die zukünftige Struktur des Finanzausgleichs zu verhandeln, aber gleichzeitig auch den Ländern und Gemeinden die Sicherheit zu geben, dass sie bis Ende 2016 mit dem bestehenden Finanzausgleich auskommen können, auskommen müssen und die Verantwortung dafür gemeinsam tragen.

Es wird immer wieder darüber diskutiert, dass der aktuelle Finanzausgleich mit dem Schlüssel von 67 - 22 - 11 für die Verteilung der Steuereinnahmen – also 67 Prozent Bund, 22 Prozent Länder und 11 Prozent Gemeinden – natürlich jeweils Auswirkungen hat. Doch wenn gesagt wird, dies hat Auswirkungen auf die Gemeinden oder auf die Länder, werde ich nicht müde, immer wieder aufs Neue zu betonen: Es hat zu 67 Pro­zent Auswirkungen auf den Bund! Es ist meiner Meinung nach in diesem Zusammen­wirken sehr wichtig, dass wir das auch klarstellen.

Der zweite Punkt ist: Wir brauchen, um den Finanzausgleich 2015/16 zu verhandeln und 2017 in Kraft zu setzen, einige Voraussetzungen, die wichtig sind, um zu einem guten Ergebnis zu kommen.

Die erste Maßnahme, die ich eingeleitet habe, betrifft ein Projekt, das mich begleitet, seit ich selbst 2007/2008 noch im Nationalrat war, nämlich die Frage der Harmoni­sierung des Haushaltsrechtes. Ich halte es für eine wesentliche Voraussetzung, dass wir in Zukunft auf der Grundlage von transparenten, vergleichbaren Daten den Finanz­ausgleich fair verhandeln können.

Daher bin ich mit den Ländern übereingekommen, dass wir dieses Projekt in Angriff nehmen. Es ist praktisch durchverhandelt. Es hängt noch an einigen ganz kleinen Punkten. Ich mache darauf aufmerksam, dass es nicht allein die Verordnungsermäch­tigung des Finanzministers ist, sondern ich brauche dazu die Zustimmung des Prä­sidenten des Rechnungshofes. Daher sind wir in ständigem Kontakt, um das abzuglei­chen. Ich gehe aber davon aus, dass wir im ersten Quartal das Projekt Harmonisierung des Haushaltsrechts erfolgreich abschließen können und in die Umsetzung gehen.

Warum ist das so wichtig? – Wir haben unterschiedliche Buchungsvorgänge in den einzelnen Ländern. Manche Dinge sind nicht vergleichbar. Dadurch kann es zu Vor- oder Nachteilen kommen. Wir sind gemeinsam übereingekommen, wir sollten das sau­ber und transparent darstellen. Daher ist einer der wesentlichen Schritte für die Vo­raussetzung dafür, den nächsten Finanzausgleich erfolgreich in Angriff zu nehmen, die Harmonisierung des Haushaltsrechts. (Beifall bei der ÖVP sowie bei Bundesräten der SPÖ.)

Das bricht sich klarerweise dann auch auf die Gemeinden herunter, und wir sind in gu­ten Gesprächen darüber, wie wir das auf der Gemeindeebene umsetzen können. Ge­rade die letzten Tage, vor allem mit den dramatischen Entwicklungen betreffend den Schweizer Franken, haben gezeigt, wie wichtig es ist, dass wir transparent mit diesen Dingen umgehen. Daher glaube ich, dass die Schaffung dieser Voraussetzung ein wich­tiges Ziel war, um den Finanzausgleich 2017 in Angriff nehmen zu können.

Der zweite wesentliche Punkt und der Grund, warum wir die Verhandlungen zum Fi­nanzausgleich im zweiten Quartal des heurigen Jahres mit einer Veranstaltung begin­nen werden, ist die Steuerreform. Die Steuerreform in der jetzigen Prägung, wie wir sie vorhaben, hat selbstverständlich Auswirkungen auf den Finanzausgleich bis Ende 2016. Das ist bedingt dadurch, dass, wenn der Bund weniger Einnahmen lukriert, zum Bei­spiel durch starke Absenkungen des Eingangssteuersatzes, das natürlich auf die Län­der und die Kommunen durchschlägt.


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Ich halte es für fair und erforderlich, dass wir nach Vorliegen des Ergebnisses der Steuerreform in die Verhandlungen eintreten, um auch die Auswirkungen sichtbar zu machen. Das halte ich für eine notwendige Maßnahme, damit auch aus der Sicht des Bundes sehr transparent dargestellt wird, wie wir die Entwicklung des Bundeshaushalts in den nächsten Jahren erwarten. Daher werden wir nach Ende der Diskussion und der Verhandlungen zur Steuerreform diese Kick-off-Veranstaltung für den Finanzausgleich machen. Ich werde dann noch gesondert auf einen Spezialpunkt eingehen, der in der ganzen Runde auch eine wichtige Rolle spielen wird.

Zur Steuerreform selbst. Sie kennen den Zeitplan: Am 17. März soll das Ganze bereits im Ministerrat sein. Es wird de facto auf der Expertenebene permanent verhandelt, im Moment eigentlich rund um die Uhr. Die politischen Steuerungsgruppen sind ständig eingeschaltet. Wir haben mehrere Kapitel abzuarbeiten.

Das wichtigste Kapitel, das derzeit in Behandlung ist, ist auch bekannt, das sind die Frage des Tarifs und die Diskussion darüber, wie man jene Menschen entlastet, die keine Lohn- oder Einkommensteuern bezahlen, also im Wesentlichen Bezieher von Jah­reseinkommen bis 11 000 €. Das ist der eine große Abschnitt der Steuerreform, der in Verhandlung steht, wo es durchaus gute Fortschritte gibt – das möchte ich nicht ver­hehlen –, aber noch keine wirkliche Einigung. Wichtig ist dabei, dass wir immer sehr transparent auch darstellen, was die Auswirkungen einzelner Maßnahmen sind, damit dann keine wie immer gearteten Überraschungen eintreten.

Der zweite große Themenblock ist das Thema Gegenfinanzierung. Darüber wird eben­falls sehr intensiv verhandelt. Hinsichtlich der Gegenfinanzierungsmaßnahmen gibt es mehrere Modelle. Eines der großen Modelle betrifft unter anderem auch die Frage: Wie gehen wir denn im Bereich der Förderungen um? Wie gehen wir denn im Bereich auch der eigenen Kraft der Gegenfinanzierung um? Wie stark muss der Tarif dorthin wirken? Welche Auswirkungen hat das in der Gegenposition? Und das möchte ich nur als ein Beispiel anführen: Wenn die Eigenfinanzierungskraft der Steuerreform hoch ist, dann lukrieren ja daraus die Länder und Gemeinden wieder Einnahmen, denn das sind wie­der Steuereinnahmen, die dann gemeinsam wiederum in die Aufteilungsschlüssel ein­gebracht werden.

Wir wissen natürlich auch, dass es im Bereich des Missbrauchs, im Bereich Steuer- und Sozialmissbrauch notwendige Maßnahmen geben wird. Auch hier ist ein ganzes Paket in Ausarbeitung, und zwar nicht nur national, sondern auch international.

Ich möchte Ihnen, nachdem die Frau Präsidentin auch von der Wichtigkeit Europas ge­sprochen hat, eine Zahl näherbringen: Man schätzt, dass der organisierte Betrug, der sogenannte Karussellbetrug bei Mehrwertsteuern in ganz Europa 17 Milliarden € aus­macht. Hinsichtlich des Anteils Österreichs geht man von einer Untergrenze von 500 Mil­lionen € aus. Das müssen wir also in den Griff bekommen, auch diese internationalen Dinge. Dafür setzen wir uns seit fünf Monaten, seit ich Finanzminister bin, in den ein­zelnen Gremien jeweils wieder ein, dass wir das auf europäischer Ebene lösen.

Wir haben hiefür ein Reverse-Charge-System vorgeschlagen, durch das dieses Pro­blem praktisch gelöst wird. Es sind zwischenzeitlich neun beziehungsweise zehn Län­der in der Eurogruppe und im ECOFIN bereit, hier mitzumachen. Die Kommission wird daher bis Juni ein solches Modell vorstellen.

Das bedeutet, wir brauchen im internationalen Bereich Maßnahmen – wenn Sie an Lux Leaks und Belgien und Irland und Malta und woran auch immer denken –, aber wir brauchen auch im nationalen Bereich entsprechende Maßnahmen, und diese sind ebenso in diesem Paket vorzubereiten. Das ist der nächste Schritt, den wir abarbeiten.

Und der dritte Schritt ist ein Bereich, den wir ebenfalls angehen wollen, nämlich dass wir eine Förder- und Verwaltungsreform in Angriff nehmen. Verwaltungsreformen ha-


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ben in diesem Land eine lange Tradition. Ich erinnere an den Konvent und an andere Maßnahmen, ich erinnere an Hunderte von Vorschlägen, die dazu gemacht wurden. Wir wollen das jetzt auf der Ebene eines Kostendämpfungspfades auf allen Ebenen der Gebietskörperschaften – Bund, Länder und Gemeinden – in Angriff nehmen. Die­ses Modell ist ebenfalls in Ausarbeitung; Sie sehen, es geht jetzt sehr zügig voran. Daher bin ich zuversichtlich, dass wir am 17. März ein Ergebnis zur Steuerreform prä­sentieren können.

Der nächste Schritt ist: Start der Verhandlungen für den Finanzausgleich. Was sind die konkreten Ziele, die hinter dem neuen Finanzausgleich stehen? – Ein konkretes Ziel ist die Maßnahme 1, nämlich eine Aufgabenkritik durchzuführen, um festzustellen: Wo pas­siert jetzt was? Wo passiert es doppelt? Wo passiert es dreifach? Und wie können wir das in den Griff bekommen?

Ich glaube, dass die Diskussion über die Kompetenzen in Österreich eine lange Tra­dition hat, aber ich glaube, über die Aufgabenkritik wird es bewusster, dass wir uns hier entsprechend bewegen müssen.

Frau Präsidentin Zwazl hat von einem der wichtigsten Prinzipien gesprochen, nämlich: Hinter der Frage des Finanzausgleichs und der Aufgabenorientierung, die der zweite Punkt des Finanzausgleichs ist, steht die Frage der Subsidiarität. Es geht nicht um die Frage: zentral oder föderal?, sondern es geht um die Frage der Subsidiarität: Auf wel­cher Ebene können wir die Leistungen so bürgernah wie möglich und so effizient wie möglich erbringen?

Da wird jeder darüber nachdenken müssen, ob das, was wir heute machen, noch richtig ist für die Menschen, die von uns erwarten, dass wir eine bürgernahe Verwal­tung haben. Daher ist dieses Subsidiaritätsprinzip im Hintergrund, und nicht immer die Frage dieses eher populistischen Streits: zentralisieren oder dezentralisieren?, al­so: zentral oder föderal?

Das ist eine wichtige Voraussetzung, um dann den Punkt Aufgabenorientierung sicher­stellen zu können, denn wenn man das nicht beleuchtet, dann wird es zu keiner Dis­kussion über die Aufgabenorientierung kommen. Daher ist es ein wichtiges Anliegen, dass wir das in den Vordergrund stellen und bei diesen Verhandlungen, auch jenen nach der Aufgabenkritik, gemeinsam mit der wesentlichen Prämisse der Subsidiarität zu einem Maßnahmenpaket kommen, mit dem wir dieses Ziel „bürgernahe Verwaltung mit hoher Effizienz“ erfüllen können.

Ein besonderes Anliegen ist mir – weil ich die derzeitige Aufteilung auch aus anderen Tätigkeiten schon sehr lange als typisch österreichische Situation kenne – die Zusam­menführung von Zuständigkeit und Verantwortlichkeit. Ich glaube, dass es grund­sätzlich falsch ist, dass einer bestellt und der andere bezahlt. Ich glaube, das ist falsch. Ich habe auch in meiner früheren Tätigkeit als Vorsitzender des Hauptverbandes der Sozialversicherungsträger immer wieder auf dieses Prinzip hingewiesen, dass wir Zuständigkeit und Verantwortlichkeit in eine Hand bringen müssen. Da geht es jetzt nicht um die Frage, wer die Hand ist, sondern wer das nach dem Subsidiaritätsprinzip am besten macht – das ist der entscheidende Punkt –, aber dann zusammen, so, dass die Verantwortung mit der Zuständigkeit gebündelt ist.

Ich glaube, dass der Zustand der Verantwortlichkeit ein ganz wichtiger ist – denn das erwarten auch die Bürgerinnen und Bürger von uns, dass wir die Verantwortung für die Leistungen übernehmen. Zuständig kann man schnell einmal sein, verantwortlich zu sein ist viel schwieriger. Wenn wir das aber zusammenbringen, haben wir einen we­sentlichen Schritt gemacht.

Ein vierter wesentlicher Punkt, dem wir uns in Zusammenarbeit mit den Ländern und den Gemeinden widmen müssen, wird die Frage sein: Wie transparent kann man die


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Finanzströme darstellen? Viele Dinge, glaube ich, sind derzeit nicht übertrieben trans­parent. Das hängt auch mit dem von mir eingangs erwähnten Punkt zusammen, der Notwendigkeit der Harmonisierung des Haushaltsrechts. Wenn wir das harmonisiert haben, wird auch die transparente Darstellung leichter.

Daraus resultierend gibt es eine ganz wichtige Botschaft, die wir im Rahmen des Fi­nanzausgleichs diskutieren werden, nämlich: Wo haben wir Best-Practice-Beispiele, aus denen wir lernen können? Und wo haben wir Benchmarks, an denen wir uns orien­tieren können? Ich glaube, das ist ein guter, vernünftiger und sinnvoller Wettbewerb der Regionen, Wettbewerb der Kommunen und Wettbewerb auch zwischen Bund, Län­dern und Gemeinden.

Es ist mir ein wichtiges Anliegen, dort hinzukommen, wo etwas besonders gut gemacht wird und wo wir davon etwas mitnehmen und daraus lernen können. In vielen Fällen müssen wir nicht das Rad neu erfinden – wir müssen es nur so benutzen, dass es alle einheitlich übersetzen und auch verwenden können.

Wie lautet der aktuelle Plan? – Zum Thema Zuständigkeit und Verantwortlichkeit habe ich die Schweizer Finanzministerin, Frau Widmer-Schlumpf, eingeladen, anlässlich des Kick-offs, wahrscheinlich im Mai, hier in Österreich einen Vortrag über Vor- und Nach­teile der kantonalen Steuer zu halten. Denn eines, glaube ich, muss man schon offen sagen: Wenn man über Zuständigkeit und Verantwortlichkeit diskutiert, dann muss man die Frage autonomer Steuern mitdiskutieren. Es muss ja nicht sein, dass sie kommen – aber ich halte nichts davon, dass das Thema immer wieder hochgefahren wird, und dann sagt einfach irgendjemand, darüber diskutieren wir nicht.

Daher habe ich den Ländern vorgeschlagen, das Ganze ergebnisoffen zu diskutieren. Schauen wir uns einmal an, welche Vorteile und welche Nachteile dahinter stecken. Wir sollten die Diskussion offen führen, um nicht von vornherein Positionen aufzubau­en – der eine ist dafür und der andere ist dagegen –, sondern wir sollten überlegen, welche Vorteile und welche Nachteile es hat.

Ich habe aus einem Gespräch mit der Schweizer Finanzministerin eine Botschaft – ne­ben vielen anderen – schon mitgenommen: Es darf durch solche Maßnahmen zu kei­nem ruinösen Steuerwettbewerb innerhalb der Bundesländer kommen. Das führt näm­lich dazu, dass sie, sobald ihnen das Geld ausgeht, zum Finanzminister kommen und sagen, bitte gib uns wieder Geld. Das wird es dann auch nicht geben.

Daher meine ich, gehen wir das Ergebnis offen an, seien wir in dieser Diskussion be­müht, die guten und schlechten Argumente abzuwägen, um am Schluss zu einem Er­gebnis zu kommen. Ich weiß auch noch nicht, was dabei herauskommen kann, ich weiß auch noch nicht, welche Hebel man im Detail ansetzen kann. Wir haben viele internationale Studien, die wir für die Diskussion zur Verfügung stellen. Aber ich glau­be, dieses Thema ergebnisoffen zu diskutieren führt auch dazu, dass man das Kapitel am Schluss abhakt – entweder in dieser oder in jener Richtung. Ich glaube, wir müssen in der Politik auch lernen, Kapitel abzuarbeiten, sie abzuhaken und zu sagen: Ist erle­digt, hat nichts gebracht!, beziehungsweise: Hat viel gebracht, tun wir dort weiter!

Daher ist in unserem Zeitplan vermutlich im Mai eine gemeinsame Kick-off-Veranstal­tung der Verhandler für den Finanzausgleich vorgesehen. Danach werden wir die ein­zelnen Themen Arbeitsgruppen zuordnen – wir werden die Arbeitsgruppen entsprechend mit Bund, Ländern und Gemeinden oder eben nur dual, wenn es erforderlich ist, be­setzen – und werden versuchen, bis Jahresende 2015 die Kapitel abzuarbeiten, so­dass im Jahr 2016 noch ausreichend Zeit für allfällige politische Nachjustierungen ist und wir anschließend in selben Jahr an die legistische Umsetzung gehen können. Diese ist bei einem Finanzausgleich ziemlich aufwendig, weil dahinter, wie Sie alle wis­sen, nicht nur der Finanzausgleich selbst steht, sondern eine Unsumme von 15a-Ver-


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einbarungen, die an den Finanzausgleich gekoppelt sind – die größte hat mich früher als Vorsitzenden des Hauptverbandes selbst betroffen, nämlich die Krankenanstaltenfi­nanzierung, die ist der größte Brocken dahinter. Auch darüber sollten wir einmal offen diskutieren, ob wir diesen Wildwuchs von 15a-Vereinbarungen wirklich brauchen, um eine gute Zusammenarbeit zwischen Bund, Ländern und Gemeinden gewährleisten zu können.

Ich glaube, dass man das vereinfachen und reduzieren kann. Daher steckt auch da­hinter das Verlangen, offen über diese Punkte zu diskutieren und uns das Jahr 2015 vorzunehmen, um in diese Strukturen entsprechende Ordnung zu bringen. 2016 kommt die Frage der Umsetzung, da wissen dann auch bereits alle, wie der mit­telfristige Finanzplan bis 2019, den wir demnächst vorlegen werden, aussehen wird. So können sich alle darauf einstellen, welche Erwartungshaltungen wir haben, welche Aus­wirkungen wir uns durch einen Kostendämpfungspfad in der Verwaltung sowie aus den Ergebnissen der Steuerreform erwarten und welche Auswirkungen daraus für die bud­getären Verpflichtungen der Länder und der Gemeinden abzuleiten sind. – Das sind die Überlegungen, die wir angestellt haben.

Daher glaube ich, dass der Prozess gut aufgestellt ist, dass er gut laufen wird. Und ich möchte gerade in diesem Hause eines noch einmal betonen, weil es immer so ein My­thos ist, dass die Länder reformunwillig seien – es gibt in Österreich solche Mythen, die immer wieder transportiert werden –: Ich kann Ihnen nach den letzten fünf Monaten, seit ich verschiedene Themen mit den Ländern behandle, bestätigen, dass die Länder sehr wohl reformwillig sind. Es gehört aber eine bestimmte Vorgangsweise dazu: Es ist besser, man richtet sich die Vorschläge nicht über die Medien aus, sondern man setzt sich zusammen und spricht miteinander auf Augenhöhe über Lösungen.

Es wird immer darauf hingewiesen, dass schon vier Finanzminister vor mir es versucht haben – die Halbwertszeit von Finanzministern ist ja oft gar nicht so lange, die ist oft sehr kurz. (Heiterkeit.) – Ja, es ist so! – Ich darf dazu vielleicht eine kleine Anekdote er­zählen: Ich war in der Bundesfinanzakademie, wo die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter der Finanz- und Zollverwaltung ausgebildet werden, und da kam ein älterer Herr, also ungefähr meines Alters, auf mich zu und hat mich gefragt, ob er mit mir ein Foto ma­chen kann. Da habe ich gesagt, na selbstverständlich, und habe natürlich nach dem Grund gefragt – denn wer will normalerweise schon ein Foto mit dem Finanzminister? (Heiterkeit) –, und er hat zu mir gesagt, ich sei sein 13. Finanzminister. Meine Reaktion war: 13 ist bekanntlich eine Glückszahl! – Also versuchen wir, dieses Glück auch fort­zusetzen.

Ich will damit sagen: Dass diese Reformunwilligkeit besteht, stimmt einfach nicht. Sich hinzusetzen, Probleme darzustellen, aufzureißen, Lösungen anzupeilen, das führt da­zu, dass wir auch zu guten Ergebnissen kommen. Ich glaube, wir haben in den letzten Monaten bewiesen, dass das gut funktioniert.

Daher geht mein Appell in zwei Richtungen: Erstens, die Frau Präsidentin hat auf die Vergangenheit hingewiesen, und ich würde mir in vielen Fragen wünschen, dass wir, so wie 1955, das Gemeinsame vor das Trennende stellen. Dann würde uns vieles ge­lingen, was zu erledigen ist, und zwar unter schwierigsten Bedingungen: Die geopoliti­sche Lage ist nicht sehr günstig, das Wirtschaftswachstum sehr eingeschränkt, wir sind bedroht vom Krieg in der Ukraine, wir sind bedroht vom Terrorismus, der sich auch auf die Wirtschaftsentwicklung schlägt – das Wachstum ist nicht so überragend. Daher ist das erste Prinzip, das Gemeinsame vor das Trennende zu stellen. So kommen wir auch zu guten Lösungen, und dann wird das passieren, was die Frau Präsidentin ge­sagt hat: Die Frage der Politik- oder Politikerverdrossenheit wird sich in die richtige Richtung bewegen, sodass die Menschen wieder sagen werden, hier wird gut für uns ge­arbeitet.


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Und das zweite Grundprinzip lernt man, wenn man in Organisationen wie der Sozial­versicherung tätig ist: Es ist viel wichtiger, das Richtige und nicht das Populistische zu tun. Aber für uns in der Politik ist es genauso wichtig, das Richtige am Schluss populär zu machen. Das ist unsere Aufgabenstellung und ich hoffe, dass der Finanzausgleich ein Beispiel dafür sein wird, dass wir diesen Weg gemeinsam beschreiten und zu guten Lösungen kommen. – Vielen herzlichen Dank. (Beifall bei ÖVP, SPÖ und Grünen.)

9.37


Präsidentin Sonja Zwazl: Herr Bundesminister, recht herzlichen Dank für deine Aus­führungen. Sie weisen hoffnungsvoll in die Zukunft! Gerade von mir als Niederösterrei­cherin ein herzliches Dankeschön!

Wir gehen jetzt in die Debatte ein.

Zu Wort gemeldet hat sich Herr Bundesrat Krusche. Ich erteile es ihm und mache da­rauf aufmerksam, dass die Redezeit 10 Minuten beträgt. Ich bitte, sich auch daran zu halten.

 


9.37.45

Bundesrat Gerd Krusche (FPÖ, Steiermark): Sehr geehrte Frau Präsident! Ich danke für den Hinweis. Herr Bundesminister! Meine Kolleginnen und Kollegen! Werte Zuseher zu Hause! Ich bin vor dieser Sitzung gefragt worden, ob ich ein Pro- oder ein Kontra­redner bin, was mich etwas gewundert hat, weil ich mir gedacht habe, bei einer Erklä­rung des Finanzministers, wo es keine Abstimmungen gibt, ist diese Entscheidung schwer. Im Zweifelsfall entscheide ich mich aber natürlich immer für Kontra. (Allgemei­ne Heiterkeit. – Beifall bei der FPÖ. – Ruf bei der ÖVP: Sehr „konstruktiv“!)

Ihre erste Aussage hat mir recht gegeben, als Sie gesagt haben, es ist etwas gelun­gen, nämlich den Finanzausgleich zu verlängern, also die bestehende Rechtslage qua­si fortzuschreiben. Das kann jetzt nicht stimmen. Damit haben Sie eigentlich gesagt, dass es gelungen ist, keine Reform zu machen, zumindest bis dato.

Sie haben dann den Weg skizziert, wie diese Reform Ihrer Meinung nach ausschauen soll, mit einem Zeitplan, den ich für sehr ambitioniert halte und hinsichtlich dessen ich jetzt schon zu prognostizieren wage, dass er nicht halten wird. (Zwischenruf des Bun­desrates Kneifel.)

Sie haben nämlich als ersten Punkt angeführt, dass die Harmonisierung der Haushalts­rechte eine wichtige Voraussetzung ist, um überhaupt an die entsprechenden Zahlen und Daten zu kommen. Da gebe ich Ihnen völlig recht. Auch ich bin der Überzeugung, dass diese Harmonisierung notwendig ist, bloß hat bis jetzt neben dem Bund, der das schon gemacht hat, nur die Steiermark heuer begonnen, das neue Haushaltsrecht – weg von der Kameralistik – umzusetzen. (Bundesrat Mayer: Wir haben das schon län­ger!) – Vorarlberg hat es auch. Da gibt es also noch sehr viel zu tun, und bis das auf die Gemeinden heruntergebrochen ist und bis wir hier Zahlen bekommen werden, ist das Jahr 2017 schon lange vorbei. Wenn wir das 2020 erreicht haben, dann können wir noch stolz darauf sein.

Sie haben auch die Steuerreform angesprochen. Es wäre jetzt verlockend, hier über die Steuerreform zu debattieren. Ich werde dieser Verlockung aber nicht erliegen, denn ich glaube, wir haben noch genügend Gelegenheit, über dieses Reförmchen, das sich da abzeichnet, in den nächsten Sitzungen zu diskutieren, da wir ja ab 17. März die Er­gebnisse vorliegen haben sollen.

Sie haben von Aufgabenkritik, Aufgabenorientierung, vom Subsidiaritätsprinzip und von den Zuständigkeiten in der Verantwortung gesprochen. Die Kette Aufgaben-, Ausga­ben- und Finanzierungsverantwortung ist mit dem letzten Punkt, nämlich der Finanzie­rungsverantwortung, erst – etwas kryptischer – in ihren Best-Practice-Beispielen mit


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der Schweiz angesprochen worden. Ich gebe Ihnen völlig recht, dass wir hier darüber diskutieren müssen: Wer nimmt die Steuern ein? Wer hat die Verantwortung dafür? Was tut er mit diesem Geld? Wie wird es verwendet? – Nur sind wir davon ja auch noch meilenweit entfernt.

Es wird also immer noch – man braucht sich beispielsweise nur die entsprechenden Seiten des Gemeindebundes anzuschauen – um den Bevölkerungsschlüssel ge­kämpft, nämlich ob es einen abgestuften Bevölkerungsschlüssel geben soll oder nicht. Der Gemeindebund ist der Meinung, jeder Kopf ist gleich viel wert. Der Städtebund ist da anderer Meinung. Da ich aus einer Stadt komme, schließe ich mich eher der Mei­nung des Städtebundes an, weil es ja tatsächlich so ist, dass man die Ballungskosten hier nicht außer Acht lassen kann. Der Gemeindebund bringt das Argument, dass das ein Relikt aus der Nachkriegszeit sei, wo es in erster Linie darum gegangen ist, Bom­benschäden und Kriegsschäden zu beheben, und das gelte nicht mehr. Tatsache ist aber, dass gerade die Städte zentralörtliche Aufgaben wahrnehmen und man nicht sa­gen kann, dass die Kosten einer Kommune linear mit der Größe der Bevölkerung ab­nehmen. Es gibt Untersuchungen, dass es da einen u-förmigen Verlauf gibt, das heißt, mit zunehmender Größe steigen die Kosten dann wieder an.

Gerade dabei handelt es sich ja nicht nur um einen Konflikt zwischen den Städten und den kleinen Gemeinden, den Landgemeinden, die sagen, das ist notwendig, weil sie viel längere Wege haben, ein längeres Kanalnetz und so weiter, dabei aber vergessen, dass sie selber es waren, die diese Verhüttelung zu einem Gutteil zu verantworten haben (Zwischenrufe bei der ÖVP), es ist auch ein Konflikt zwischen Rot und Schwarz, weil ja die Städte eher rot sind und die Gemeinden, die kleinen Gemeinden, schwarz sind. (Bundesrat Füller: Das wird immer hineininterpretiert!)

In der Verwaltung gibt es also sehr viel zu tun: Hier ist allein der Unsinn zu nennen, dass die Ertragsanteile, die die Gemeinden bekommen, zu einem Teil noch an das Land abgeführt werden und das Land dann das Geld in Form von Bedarfszuweisungen wieder zurückgibt. Das ist auch ein Relikt aus fürstlichen Zeiten, wo es darum gegan­gen ist, dass der zuständige Landeshauptmann oder Landesrat gegenüber den Ge­meinden so tun kann, als ob er aus seinem eigenen Säckel Geld für irgendeinen Sport­platz, ein Hallenbad oder was auch immer zur Verfügung stellt (Zwischenrufe bei der ÖVP) – Geld, das er vorher den Gemeinden weggenommen hat, um es ihnen dann „groß­zügig“ wieder zurückzugeben.

Die Kostensituation gerade für die Gemeinden wird immer dramatischer. Ich darf viel­leicht nur ein Beispiel aus meiner Heimatstadt bringen: Leoben hat für das heurige Jahr Ertragsanteile in der Höhe von ungefähr 23,5 Millionen € budgetiert, und über 8 Millio­nen € gehen allein in den Sozialhilfeverband – dort explodieren also die Kosten. Da gibt es dann auch – wenn man schon von Aufgaben und Verantwortlichen redet – et­was skurrile Situationen. Beispielsweise zahlt der Sozialhilfeverband Leoben die Kos­ten für Schubhäftlinge aus Vordernberg, die zum Arzt müssen. Diese Arztkosten wer­den vom Sozialhilfeverband Leoben getragen, obwohl es sich dabei um ein reines Bun­deszentrum des Innenministeriums handelt.

Ich wünsche Ihnen viel Glück bei Ihrer Reform. Sie klingt ambitioniert, als gelernter Ös­terreicher habe ich aber die Befürchtung, dass wieder nur ein Reförmchen herauskom­men wird und wir zuerst einmal das Ganze fortschreiben. Ich hoffe aber, dass es we­nigstens gelingen möge, die größten Unsinnigkeiten zu beseitigen.

Um ein abschließendes Beispiel zu bringen: Allein der Verwaltungsaufwand bei den Musikschulen ist gigantisch. Die Gegenverrechnung der Lehrer und der Schüler mit anderen Gemeinden, mit dem Land, bindet für die Musikschule in Leoben über eine Ganztagskraft, alleine um diese Hin- und Herverrechnerei bewältigen zu können.


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Also, wie gesagt, ich wäre schon glücklich, wenn es gelingen würde, die größten Ver­waltungsunsinnigkeiten und Doppelgleisigkeiten zu beseitigen, und wenn es gelingen würde, einen einigermaßen gerechten Aufteilungsschlüssel zwischen Ländern und Ge­meinden zu erreichen. – Danke. (Beifall bei der FPÖ.)

9.47


Präsidentin Sonja Zwazl: Als Nächster zu Wort gemeldet ist Herr Bundesrat Per­hab. – Bitte.

 


9.47.30

Bundesrat Franz Perhab (ÖVP, Steiermark): Sehr geehrte Frau Präsidentin! Herr Bun­desminister! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Zum Thema Finanzausgleich gäbe es ja eigentlich in unseren Reformpapieren bezüglich der Reform des Bundesra­tes einen Vorschlag, nämlich dass wir diesen in Zukunft hier zu einer unserer Kern­kompetenzen, einem unserer Kernthemen machen könnten. Vielleicht gelingt es uns ir­gendwann einmal, dieses Thema hier im Bundesrat zu fixieren, denn wo sonst als im Bundesrat als Länderkammer muss das diskutiert werden – mit allen Varianten und na­türlich mit allen differenzierten Meinungen aus den Ländern, das ist keine Frage.

Was für den menschlichen Organismus der Blutkreislauf ist, ist eben für die Länder der Finanzausgleich. Wir wissen, dass das ein zähes Ringen um Positionen, um viel Geld ist. Ich denke, dass die Basis dieses Finanzausgleichs natürlich ein zukünftiges positi­ves österreichisches Budget ist, denn nur wenn Budgetmittel vorhanden sind, kann man irgendetwas auf die Länder, auf die Kommunen verteilen. Ich denke, dass dieses Ringen auch in Zukunft nur dann zu einem positiven Abschluss gebracht werden kann, wenn wir jetzt im Zuge der Steuerreform unseren Haushalt in Ordnung bringen und da­durch Bewegungsfreiheit und Flexibilität in der Verwendung unserer Mittel haben. Dass es diesbezüglich niemals zu einer totalen Einigkeit zwischen Ländern, Bund und Ge­meinden kommen wird, sondern immer ein Kompromiss notwendig sein wird, liegt in der Natur der Sache.

Herr Kollege Krusche, noch ein paar Sätze zu dir: Die Reformfreudigkeit – du sprichst schon wieder von Reförmchen und so weiter; es sind ja nur 5 oder 7 Milliarden, um die es hier geht, das ist ja nichts – und die Vorschläge der FPÖ in der Steiermark als Ver­gleich anzuführen, ist überhaupt das Größte, was ich je gehört habe. Ich glaube, ihr habt zu 80 Prozent bei jeder Reform in der Steiermark dagegen gestimmt: bei der Ge­meindestrukturreform, bei der Verwaltungsreform, bei der Bezirksreform.

Kollege Krusche, du sagst, die Musikschulen kosten so viel: Das haben wir auch schon reformiert. (Bundesrat Krusche: Ich habe gesagt, die Verwaltung kostet so viel!) Wir werden wahrscheinlich in den nächsten Jahren bezirksübergreifende Musikschuldirek­toren haben, und, und, und. Die steirische Landesregierung hat in den letzten zehn Jahren Reformen gemacht, die einzigartig sind. Ihr seid eigentlich die, die versuchen, politisches Kleingeld aus diesen Reformen zu schlagen! (Zwischenruf der Bundesrä-
tin Mühlwerth.)

Aber ich hoffe – und es schaut so aus –, dass sich die Stimmung und das Klima in der Steiermark verbessern. Es gibt viele vernünftige Steirer und Steirerinnen, die sagen: Okay, diese Reform tut mir in meinem persönlichen Bereich, in meinem Wohnbereich, in meinem Bezirksbereich, weh, aber summa summarum macht diese Reform Sinn.

Wir haben diese Reformen oben und nicht unten angesetzt. Wir haben sie oben bei der Landesregierung angesetzt, bei den Landesverwaltungseinheiten, bei den Abgeordne­ten und zum Schluss auch in Form der Gemeindestrukturreform, und ich bin optimis­tisch, dass eure Rechnung in der Steiermark Ende März bei den Gemeinderatswahlen nicht aufgeht.


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Ich glaube, dass wir als ÖVP sowieso Bürgermeisterpartei bleiben und auch die SPÖ ihren Erfolg einfahren wird, und ich glaube – ich bin davon überzeugt –, dass ihr nicht einmal einen Bürgermeister in der Steiermark stellen werdet. Sieben Namenslisten hat sie, aber keinen Bürgermeister in der Steiermark wird die FPÖ stellen! (Beifall bei der ÖVP und bei Bundesräten der SPÖ.)

Und das Zweite: Die Budgetpolitik der Kärntner FPÖ – wir haben ja gesehen, wohin die führt – hüllen wir, glaube ich, bei diesem Tagesordnungspunkt einfach in den Mantel des Schweigens. (Zwischenruf der Bundesrätin Mühlwerth.)

Meine sehr verehrten Damen und Herren, sehr geehrter Herr Finanzminister! (Bundes­rat Krusche: Redest du jetzt über uns oder den Finanzausgleich?) – Ich rede jetzt gleich auch über den Finanzausgleich, aber du hast natürlich wie immer mit ein paar Be­merkungen provoziert, die wir beantworten müssen.

Meine sehr verehrten Damen und Herren! Die Aufgabe unseres Finanzministers, in der Steuerreform auch ein Ergebnis abzuliefern, ist natürlich eine schwierige, weil ja die Aus­gangsposition nicht mehr so positiv ist wie vor einem Jahr. Wir haben zusätzliche ex­terne Probleme, wir haben konjunkturelle Probleme, und es werden – wenn man die Medien verfolgt – auch kein wesentlicher Wirtschaftsaufschwung und keine wesentli­chen Wachstumsimpulse von den Wirtschaftsforschern prognostiziert, daher sind die Rahmenbedingungen für eine Steuerreform schwieriger geworden.

Die Ausgangslage ist, dass die Abgabenquote in Österreich bei 43 Prozent liegt. Damit sind wir 8 Prozentpunkte über dem OECD-Durchschnitt, also ist es um den Verhand­lungsspielraum eher schlecht bestellt. Aber nicht nur bei den Steuern liegen wir über dem EU-Schnitt, sondern auch bei den Sozialversicherungsbeiträgen liegen wir 6 Pro­zent über dem OECD-Durchschnitt. Im Jahr 2013 betrug das gesamte Abgabenauf­kommen rund 137 Milliarden €, das sind 14 Prozent mehr als 2010. Wir haben also trotz dieser schlechten Rahmenbedingungen mehr Einnahmen gehabt, die aber im letz­ten Quartal des Jahres 2014 nicht mehr erreicht wurden.

Daher gilt es, alles zu versuchen, auf der Ausgabenseite Reformen durchzusetzen, da­mit wir in der Gegenfinanzierung natürlich auf neue Steuern verzichten können. Wir ha­ben beides erreicht: Wir haben Höchststände bei den Sozialversicherungen und Höchst­stände bei den Steuern. Daher ist mit größter Kraft zu versuchen, hier in den Reformen weiterzukommen, damit wir nicht unseren Mittelstand belasten, damit wir nicht Massen­steuern erhöhen müssen, sondern diese Gegenfinanzierung in eine gute Zukunft füh­ren können, was sowohl eine Entlastung im Tarifbereich bringt als auch eine Ent­lastung im Unternehmerbereich und eine Entlastung im Familienbereich. Das sind zu­mindest die Ziele meiner Fraktion. – Vielen Dank. (Beifall bei der ÖVP und bei Bundes­räten der SPÖ.)

9.53


Präsidentin Sonja Zwazl: Als Nächste zu Wort gemeldet ist Frau Bundesrätin Dr. Rei­ter. – Bitte.

 


9.53.40

Bundesrätin Dr. Heidelinde Reiter (Grüne, Salzburg): Frau Präsidentin! Herr Minister! Werte Kollegen und Kolleginnen! Werte Zuseher an den Fernsehgeräten! Auch ich ha­be mich mit dieser Positionierung pro oder kontra betreffend eine Erklärung des Minis­ters schwergetan.

Ich bin der festen Überzeugung, dass Steuerreform und Finanzausgleich miteinander gedacht, diskutiert, verhandelt und auch umgesetzt werden müssen. Wir haben gehört, das wird jetzt in Abfolge geschehen, und ich fürchte, dass man dann halt mit den Fest­legungen der Steuerreform hinausgeht und sagt: Jetzt haben wir weniger Geld, und wie verteilen wir das jetzt? Schicken wir das durch denselben Blutkreislauf?


BundesratStenographisches Protokoll838. Sitzung / Seite 21

Mir ist die Debatte um den Finanzausgleich nach wie vor viel zu wenig transparent, auch viel zu wenig heftig und intensiv. Während eben das Thema Steuerreform in den Medien Thema Nummer eins ist und auch die Parteien sich die Bälle und Konzepte zuspielen – nicht immer fair –, herrscht bezüglich Finanzausgleich doch weitgehend Schweigen. Von wem, wo wird was verhandelt?

Ich glaube, dass man in der Analyse relativ schnell einen Konsens schaffen kann. Die Aufgabenkritik ist wichtig und soll passieren. Kollege Perhab hat bezüglich des Finanz­ausgleichs von einem „Blutkreislauf“ gesprochen. – Ich glaube, wenn dem tatsächlich so wäre, hätten wir hier sehr viele Infarkte, Thrombosen – die wir ja tatsächlich haben – und einen sich mühsam weiterbringenden Organismus.

Wir haben eben eine zu zentralistische Einnahmenseite und einen sehr teuren, intrans­parenten Transferdschungel. Das ist, glaube ich, in der Analyse sicher. Es gab ja be­reits unzählige Kommissionen, es gab groß angelegte Versuche wie den Österreich-Konvent, hier grundlegend etwas zu verändern. Allein der Finanzausgleich wurde im­mer wieder nur verlängert, etwas verkompliziert, behübscht oder verändert durch un­zählige Artikel-15a-Vereinbarungen, und ich fürchte, es wird so wie in den vorangegan­genen Perioden weitergewurschtelt.

In der Vereinbarung des jetzt gerade verlängerten, 2008 begonnenen Finanzausgleichs – ich habe mir die Vereinbarung von damals noch einmal durchgelesen – hieß es:

„Eine Arbeitsgruppe zur grundsätzlichen Reform des Finanzausgleichs“ wird eingesetzt „sowie je eine Arbeitsgruppe zur Struktur und Finanzierung der Gesundheit und Pfle­ge“. Das Ergebnis dieser Arbeitsgruppen muss „bis zum Beginn der zweiten Etappe“ vorliegen. – Das wäre 2011 gewesen. Jetzt wurde wieder verlängert, und von einer grund­sätzlichen Reform sind wir mindestens so weit entfernt wie 2008 oder 2011.

Einer der grundlegenden Fehler ist meiner Meinung nach, dass nach wie vor versucht wird, das Problem top-down zu lösen, anstatt den zwar mühsamen, aber in Zeiten wie diesen – mit einer aufgeklärten und gebildeten Bevölkerung, einem großen Potenzial in der Verwaltung, in den Ländern und in den Gemeinden – möglichen Weg von unten nach oben zu gehen. Das bedeutet, die ernst gemeinte Frage im Rahmen der Aufga­benkritik und in der Analyse zu stellen: Was braucht ihr auf Gemeindeebene, in eurem Umfeld, um die Probleme zu lösen, welche nächste Ebene ist notwendig und wie kann die Kommunikation effizient gestaltet werden? – So muss man sich von unten nach oben arbeiten, um damit auch Verantwortung, Gestaltungsspielraum und Motivation nach unten zu bringen.

Ich bin da mit Ihnen einer Meinung, ich glaube, dass das durchaus auch Ihre Intention ist, aber darüber zu reden und sich hier auf dieser Ebene darin zu bestärken, ist das eine. Mir fehlen dazu die Taten, und ich sage das so wie draußen in den Dörfern, in den Gemeinden. Wie eine heiße Kartoffel wird ja die Frage immer wieder hin- und her­geschoben, zuerst Aufgabenreform und dann Kompetenzverteilung neu, Henne vor Ei, Ei vor Henne, und man hat immer wieder das Gefühl, das Ganze dreht sich in einer Endlosschleife. Wie kommt man von dieser Situation zu einer konstruktiven Debatte und damit eben zu einem aufgabenorientierten Finanzausgleich, statt immer wieder in Machtspielen und ineffizienten und teuren Strukturen stecken zu bleiben?

Wir brauchen flexible, differenzierte und partnerschaftliche Lösungen, und das Mitein­ander muss dabei im Vordergrund stehen. Ein einheitliches Haushaltsrecht ist eine Grundbedingung, ist ein Handwerkszeug, ebenso wie entsprechende Benchmarks, um Erfolg und Misserfolg überhaupt messen zu können. Teilweise sind wir ja hier wirklich mit dem Faustkeil unterwegs und haben das Computerzeitalter und eine zeitgemäße Methodik bei Weitem noch nicht erreicht. Aber vor allem braucht es meiner Meinung nach auch eine stärkere Beteiligung der Bürger und Bürgerinnen und deshalb einen anderen Ansatz, nämlich eine Reform von unten nach oben.


BundesratStenographisches Protokoll838. Sitzung / Seite 22

Organisieren und initiieren müssen natürlich jene, die oben sind. Lassen Sie uns aber damit beginnen, die Menschen tatsächlich zu beteiligen und zu fragen: Welche Schule wollt ihr? Wie wollte ihr eure Kinder betreuen, und was braucht ihr dafür?

Ich möchte, dass wir aufhören, für die Menschen Politik zu machen, und dass wir da­mit beginnen, mit ihnen Politik zu machen und mit ihnen zu gestalten. Ich glaube, ge­rade dem Bundesrat kann hier eine ganz wesentliche Rolle und Aufgabe zukommen. – Danke. (Beifall bei den Grünen.)

10.00


Präsidentin Sonja Zwazl: Als Nächste zu Wort gemeldet ist Frau Bundesrat Fetik. – Bitte.

 


10.00.48

Bundesrätin Ilse Fetik (SPÖ, Wien): Sehr geehrter Herr Minister! Sehr geehrte Frau Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Sehr geehrte Zuseherinnen und Zuseher! Herr Minister! Sie haben heute zu Recht den Zusammenhang zwischen dem Thema Finanzausgleich und dem Thema Steuerreform hergestellt, wobei ich glaube, im Hin­blick darauf erhebt sich weniger die Frage, ob man das jetzt hintereinander oder gleich­zeitig beginnt, sondern wichtig ist, was am Ende herauskommt.

Daher möchte ich jetzt nicht über Bilder wie Fürstensäckel oder Henne-und-Ei-Prinzip reden, sondern den Blick darauf lenken, dass wir in Wirklichkeit das zentrale Problem haben, dass das Wirtschaftswachstum eben so niedrig ist, wie es ist, und dass die Ar­beitslosigkeit so hoch ist, wie sie ist, nämlich furchtbar hoch. Daher wird es die eine richtige Antwort betreffend die Vorgehensweise nicht geben, und wird es schon gar nicht die eine richtige Antwort im Hinblick auf das Ergebnis geben können.

Im Arbeitsprogramm der Bundesregierung haben Sie für den Finanzausgleich wichtige Eckpunkte beschrieben und diese auch schon genannt, etwa die Transparenz der Fi­nanzströme, die notwendige Überprüfung von Doppelgleisigkeiten beziehungsweise vor allem auch die Frage der aufgabeadäquaten Mittelausstattung.

Sie haben auch angesprochen, dass dabei auch auf die jeweils zu tragenden Aufgaben im Sinne einer konsensualen Zielorientierung Rücksicht zu nehmen ist, und ich denke mir: Bei einem bedarfsorientierten Finanzausgleich müssen Gemeinden und vor allem Städte ausreichend Geld erhalten, um ihre vielfältigen Aufgaben finanzieren zu kön­nen. Insbesondere Städte übernehmen ja auch zentralörtliche Aufgaben für ihr Um­land. Sie haben auch von dieser besonderen Aufgabennotwendigkeit gesprochen, aber ich glaube, es ist absolut diskussionswürdig, ob der Bevölkerungsschlüssel der richtige Zugang dazu ist.

Diskussionswürdig ist auch, ob damit eine Abgabenautonomie verbunden ist. Ein steu­erlicher Wettbewerb zwischen den einzelnen Gebietskörperschaften trägt überhaupt nichts Positives zur Finanzierung der öffentlichen Leistungen bei. Im schlimmsten Fall erodiert die Einnahmengrundlage für alle. Sie haben das ja auch in Ihrer Erklärung an­gesprochen, dass Wettbewerb der Besten nicht heißen kann, dass wir uns sozusagen gegenseitig umbringen.

Ich denke zum Beispiel auch an die europäische Ebene, die Sie ebenfalls angespro­chen haben, und nenne das besonders negative Beispiel der Steueroasen in Europa, die den Staaten wichtige Einnahmen entziehen, obwohl die Wertschöpfung auf ihrem Gebiet stattfindet. – Ich möchte mit diesem Beispiel das betonen, was Sie auch gesagt haben: Wir können in Österreich nicht alles alleine lösen, sondern wir brauchen, ganz im Gegenteil, in manchen Bereichen eben auch die europäische Ebene dazu und müs­sen uns hier Verbündete suchen.

Der Finanzausgleich folgt der österreichischen Gliederung der Verwaltungsebenen. Die angestrebte Transparenz der Finanzströme und die Beseitigung von Doppelgleisigkei-


BundesratStenographisches Protokoll838. Sitzung / Seite 23

ten werden in Verbindung mit dem Ziel einer aufgabenadäquaten Mittelausstattung ein wesentlicher Reformschritt sein.

Sie haben hier gesagt, man muss das Richtige tun und das dann populär machen. – Ich würde es gerne so formulieren: Das Richtige richtig zu tun wäre mein Anspruch an Ihre Verhandlungen, die ohne Zweifel besonders schwierig sind, weil die Erwartungs­haltung der einzelnen Interessengruppen natürlich sehr unterschiedlich ist und jeder von diesem Tischtuch seinen Zipfel ganz fest in die Hand nehmen und möglichst weit herüberziehen möchte. Jeder möchte die eigenen Schmerzen, wenn es um Einschnitte in Kompetenzen geht, natürlich möglichst gering halten und hält den Veränderungs­spielraum naturgemäß bei den anderen Parteien immer für den größten.

Ich denke mir, bei dieser Steuerreform, die ich jetzt zum Abschluss noch ansprechen möchte, ist es ein ganz großes Ziel, das Wirtschaftswachstum anzukurbeln, und ist es ein ganz großes Ziel, die Arbeitslosigkeit einzudämmen. Deswegen wird es auch not­wendig sein, konsumbelebend zu wirken, aber auch den Kommunen – um den Bogen noch einmal zu diesen zu spannen – die Möglichkeit zu geben, in Maßnahmen zu in­vestieren, die wieder Arbeitsplätze schaffen.

In diesem Sinne wünsche ich mir natürlich auch aussagekräftige Planungsdaten und –wie ich schon gesagt habe – eine gute Balance von Effizienz, Effektivität und Vertei­lungsgerechtigkeit, wenn es darum geht, woher die Mittel kommen sollen und wer sie ausgeben darf.

In diesem Sinne wünsche ich Ihnen für diese sehr schwierige Aufgabe einen kühlen Kopf, eine dicke Haut, einen gesunden Magen, einen breiten Buckel und – wie ich als Gewerkschafterin sagen möchte – ein lebendiges Herz für die Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer. – Danke. (Beifall bei der SPÖ und bei Bundesräten der ÖVP.)

10.06


Präsidentin Sonja Zwazl: Als Nächster zu Wort gemeldet ist Herr Bundesrat Mag. Ze­lina. – Bitte.

 


10.06.44

Bundesrat Mag. Gerald Zelina (STRONACH, Niederösterreich): Sehr geehrte Frau Prä­sidentin, danke für das Wort! Liebe Mitglieder des Bundesrates! Liebe Österreicher an den Fernsehgeräten! Frau Präsidentin! „Wir sind Gestalter“ – das ist ein Zitat aus Ihrer sehr proaktiven Rede im Sinne der politischen Selbstverantwortung, und genau das ist es, was Österreich braucht, nämlich eine Politik des Gestaltens und der Selbstverant­wortung.

Lieber Herr Finanzminister, es freut mich, dass Sie es heute geschafft haben, in den Bundesrat zu kommen! Ewald Nowotny von der Oesterreichischen Nationalbank war übrigens auch mein Lehrer an der Wirtschaftsuniversität Wien. – Zusätzlich kommen Sie aus der Privatwirtschaft und sind finanziell unabhängig. Damit entsprechen Sie auch dem idealen politischen Anforderungsprofil von Frank Stronach. (Ironische Heiter­keit und Zwischenrufe bei ÖVP und SPÖ.)

Wir haben derzeit in Österreich die höchste Arbeitslosigkeit seit 60 Jahren. Jeder zehn­te Österreicher ist arbeitslos. Nur vor 1954 war die Arbeitslosenquote höher als heute. Unsere Wirtschaft wächst nicht mehr, sie schrumpft, wir steuern Richtung Rezession. Die Lohnsteuer- und Umsatzsteuereinnahmen drohen einzubrechen, und die Sozial­kosten explodieren. Auch die Mineralölsteuereinnahmen werden im Hinblick auf den Ölpreis rückgängig verlaufen.

Dazu kommen Rekordschulden wie in einer Kriegswirtschaft. Die Schulden und unsere Zinslast fesseln unseren Staat bei dringend notwendigen Zukunftsinvestitionen. Jedes Kind in Österreich kommt mit 32 000 € Schulden auf die Welt.


BundesratStenographisches Protokoll838. Sitzung / Seite 24

Unsere Jahresbudgets sind nach wie vor nicht ausgeglichen. Jedes Jahr kommen 8 Mil­liarden € an zusätzlichen Schulden dazu. Die Zahlungen an Banken und Finanzdienst­leister machen bereits 12 Prozent unserer gesamten Staatsausgaben aus. Unser Zins­aufwand übersteigt bereits unser Bildungsbudget. Jedes Jahr zahlen wir 10 Milliar­den € an Zinsen, und das vorwiegend an ausländische Staatsanleihenbesitzer. 80 Pro­zent, meine Damen und Herren, unserer Zinszahlungen gehen ins Ausland, und das, wohlgemerkt, bei historisch niedrigstem Zinsniveau.

Die Lage ist ernst, der Handlungsbedarf ist gewaltig. Österreich ist ein gigantischer Sa­nierungsfall. Wenn die Zinssätze wieder steigen, die Konjunktur weiter einbricht oder zusätzliche Bankenhilfen wie zum Beispiel das 20-Milliarden‑Exposure der Raiffeisen Bank International in Russland schlagend werden, zerreißt es uns gewaltig und damit auch unser ganzes Sozialsystem.

Zur Staatssanierung braucht es einen nationalen Schulterschluss unter Einbindung al­ler Landeshauptleute, der Sozialpartnerschaften, Gewerkschaften und Kammern. Alle Bundesländer müssen zur Sanierung des Staatshaushaltes beitragen. Alle müssen an einem Strang ziehen.

Das Einschlagen eines harten Sanierungskurses und ein Zurückfahren unnotwendiger Staatsausgaben sind unabdingbar und nicht mehr aufschiebbar. Das muss jedem poli­tischen Entscheidungsträger klar sein. Unser Staatshaushalt hat einen Staatsausga­benkonsolidierungsbedarf von 4 Prozent des Bruttoinlandsproduktes, also von 12 Milli­arden €, pro Jahr, um nachhaltig ausgeglichen zu sein.

Wir müssen unseren fetten Verwaltungsapparat abspecken, Förderungen an Nichtbe­dürftige stoppen, Steuerausnahmen und Steuerschlupflöcher reduzieren, das Pensi­onsantrittsalter an die steigende Lebenserwartung koppeln, das Gesundheitssystem vereinheitlichen und der Selbstbedienungsmentalität unserer Selbstverwaltungskörper­schaften ein Ende setzen.

Wenn wir Finanzstabilität im Sinne unserer EU-Stabilitätspaktziele wollen, sind folgen­de vier Punkte prioritär umzusetzen:

Erstens: statt dem Finanzausgleich strikte nominelle Budgetvorgaben für die Länder. – Der Bund soll über den Finanzminister den Ländern mehr Jahresbudgets vorgeben, mit denen sie auskommen müssen, welche sie aber ausgabenseitig in Selbstbestimmung verwenden können.

Zweitens: ein Neuschuldenaufnahmeverbot für die Länder und deren ausgegliederte Gesellschaften als Schuldenbremse. – Länder dürfen durch zusätzliche Schuldenauf­nahmen nicht mehr ausgeben als ihr vom Finanzminister zugeteiltes Budget ausmacht.

Drittens: eine Haftungsgenehmigungspflicht durch den Finanzminister, wenn Länder zu­sätzliche Haftungen übernehmen wollen.

Viertens: ein bundeseinheitliches Haushaltsrecht mit Bilanzerstellungspflicht für sämtli­che Gebietskörperschaften, nicht nur für den Bund, auch für die Länder und Gemein­den auf Basis internationaler IFRS-Rechnungslegungsstandards.

Mit einem bundeseinheitlichen Haushaltsrecht wären viele Probleme gelöst, Staatsfi­nanzentransparenz gegeben, Benchmarkerstellungen und Vergleiche zwischen den Bundesländern möglich und Verwaltungseinsparungspotenziale, gemessen am effizien­test geführten Land, auf einen Blick sichtbar gemacht.

Zur Verhinderung von korrupten Vermögenstransaktionen, zum Beispiel Vermögens­verkäufen unter Wert, Verlustversteckungen und zweckentfremdeten Fördergeldver­wendungen, müssen die Gebietskörperschaften, so wie alle Firmen auch, jährlich Bi­lanzen erstellen, die neben den Schulden auch das Vermögen und die jährlichen Ver­mögensveränderungen darstellen. Es ist ein riesiger Unterschied, ob ich Schulden


BundesratStenographisches Protokoll838. Sitzung / Seite 25

aufnehme und damit investiere und Infrastrukturinvestitionen tätige oder ob ich Schul­den aufnehme und konsumiere, indem ich gewaltige Heere von Verwaltungsbeamten und Politfunktionären samt deren Privilegien, Luxusgehältern, Frühpensionen und Luxuspen­sionen aufbaue.

Übernommene Haftungen sind im Anhang der Bilanzen wahrheitsgemäß und vollstän­dig offenzulegen, und für sämtliche Risiken und Eventualverbindlichkeiten sind Rück­stellungen zu verbuchen. Die intransparente Kameralistik muss durch die transparente doppelte Buchhaltung abgelöst werden.

Noch etwas zum Finanzausgleich: Die Auszahlungen des Länderanteils der Steuerein­nahmen gehören an verbindliche Strukturreformen bei Föderalismus, Förderungen, Ge­sundheitssystem und Schulverwaltung gekoppelt.

Wir brauchen absolute Transparenz der Staatsfinanzen auf Bundes-, Landes- und Ge­meindeebene. Ohne ein klares Bild von der aktuellen Finanzlage kann man keinen Staat professionell steuern.

Herr Finanzminister, alles Gute für die schwierige Aufgabe!

10.14


Präsidentin Sonja Zwazl: Liegen noch weitere Wortmeldungen vor? – Das ist nicht der Fall.

Die Debatte ist geschlossen.

Ich bedanke mich recht herzlich bei dir, Herr Finanzminister, dass du heute zu uns in den Bundesrat gekommen bist. Es ist für uns schön, nachdem Niederösterreich heute den Vorsitz übernommen hat, dass du hier deine Erklärung abgegeben hast. Es hat uns sehr viel bedeutet, dich heute hier begrüßen zu dürfen, und ich bedanke mich bei dir. – Danke schön. (Allgemeiner Beifall.)

Recht herzlich willkommen heißen wir nun dich, Herr Minister für Land- und Forstwirt­schaft Dipl.-Ing. Andrä Rupprechter.

Bevor ich in der Tagesordnung weitergehe, möchte ich dir, Herr Minister, ein g’sundes Brot aus dem Waldviertel überreichen. Es ist ein Health-Brot, das in Zusammenarbeit mit Bäckern aus ganz Europa gemacht wird. Dies ist etwas ganz Außergewöhnliches, und man sieht, dass Landwirtschaft und Wirtschaft gemeinsam etwas G’scheites und G’sundes machen. – Bitte schön. (Allgemeiner Beifall. – Bundesminister Rupprechter: Vielen Dank!)

10.16.00Aktuelle Stunde

 


Präsidentin Sonja Zwazl: Geschätzte Kolleginnen und Kollegen! Wir gelangen nun zur Aktuellen Stunde zum Thema:

„Zukunftsstrategie für den ländlichen Raum“

Der Herr Bundesminister für Land- und Forstwirtschaft steht uns nun zur Verfügung und wird mit uns diskutieren.

In der Präsidialkonferenz wurde Einvernehmen über folgenden Ablauf erzielt:

Zunächst kommt je ein Redner/eine Rednerin pro Fraktion zu Wort, dessen bezie­hungsweise deren Redezeit jeweils 10 Minuten beträgt. Sodann folgt die Stellungnah­me des Herrn Bundesministers, die ebenfalls 10 Minuten nicht überschreiten soll. Da­nach folgt wieder je ein Redner/eine Rednerin der Fraktionen sowie anschließend eventuell eine Wortmeldung des Bundesrates ohne Fraktion mit jeweils einer 5-minü-


BundesratStenographisches Protokoll838. Sitzung / Seite 26

tigen Redezeit. Zuletzt kann noch eine abschließende Stellungnahme des Herrn Bun­desministers erfolgen, die nach Möglichkeit 5 Minuten nicht überschreiten soll.

Als Erster zu Wort gemeldet hat sich Herr Bundesrat Kneifel. – Bitte.

 


10.16.56

Bundesrat Gottfried Kneifel (ÖVP, Oberösterreich): Sehr geschätzte Frau Präsiden­tin! Herr Bundesminister! Meine sehr geehrten Kolleginnen und Kollegen in der Länder­kammer! Es ist außerordentlich zu begrüßen, dass heute das Thema ländliche Ent­wicklung und die Chancen des ländlichen Raumes hier in der Länderkammer diskutiert werden.

Ich glaube, dass die ländliche Entwicklung eine Schlüsselfrage für die Entwicklung un­seres Staates ist, denn der ländliche Raum, meine sehr geehrten Damen und Herren, ist wesentlich mehr als nur der Bereich Landwirtschaft. Dabei geht es um wesentlich mehr. Es geht selbstverständlich auch um Landwirtschaft, aber nicht nur im Hinblick auf eine kartografische Kategorie, sondern es geht auch um das Land rund um die Bal­lungsräume, rund um die Großstädte Österreichs. Der ländliche Raum ist ein wirt­schaftliches und soziales Gefüge, wenn ich das so bezeichnen darf, selbstverständlich mit Land- und Forstwirtschaft, mit den Betrieben, mit dem Handel, mit Dienstleistungen und allem, was dazugehört.

Etwas sollten wir, glaube ich, auch festhalten: Der ländliche Raum sichert wesentliche Ressourcen auch für die Ballungsräume. Hier besteht eine Wechselbeziehung zwi­schen ländlichem Raum und den Ballungszentren sowie den städtischen Bereichen bei­spielsweise im Erholungstourismus oder bei der Bereitstellung der Ressourcen Was­ser, Wald, Erholungsflächen sowie der Ressourcen für Kultur und Freizeit. Es geht ins­gesamt um alles, was wir als „Lebensqualität“ bezeichnen, und es spielen Wirtschaft, Arbeit und die gesamte regionale Entwicklung in diesen Bereich hinein.

Ich glaube, wenn wir diese wichtigen Fragen – und Sie hier in diesem Hause kommen ja auch aus ländlichen Bereichen – hier im Bundesrat gemeinsam ernsthaft diskutieren wollen, dann ist in manchen Bereichen ein Umdenken in allen wichtigen und relevanten Politikfeldern absolut erforderlich.

Ziel muss es immer sein, eine Gleichwertigkeit der Lebensbedingungen und der Lebens­verhältnisse in den Bereichen Verkehr, Mobilität, Bildung, Kultur, Gesundheit und so weiter für die Menschen in Österreich zu erreichen. Da darf es möglichst keine Un­terschiede geben, ob jemand in einer Großstadt oder in einer Markt- oder Dorfgemein­de wohnt: Es geht um die Herstellung der Gleichheit der Lebensbedingungen der Be­wohnerinnen und Bewohner im ländlichen Raum.

Ich rede hier nicht einem Gegeneinander von Städten und ländlichem Raum das Wort, sondern es muss vielmehr eine Partnerschaft gelebt werden, eine Zusammenarbeit, denn eines steht fest: Der ländliche Raum braucht den Ballungsraum, und die Bal­lungsräume brauchen die ländliche Gegend. Es muss zu einem Miteinander in den wichtigen, elementaren Fragen unserer ländlichen und städtischen Entwicklung kommen.

Werfen wir einen Blick auf die Statistik: 66 Prozent der Bevölkerung wohnen in ländli­chen Gebieten Österreichs. Es geht also schon um eine beträchtliche Zahl von Bür­gerinnen und Bürgern, die klare Antworten darauf erwarten, wie sich ihr Lebensraum, wie sich ihre engere Umgebung in Zukunft entwickeln soll.

Ich meine, wir müssen ohne Wenn und Aber ein klares Bekenntnis zur Gleichwertigkeit der Lebensbedingungen und der Lebensverhältnisse im gesamten österreichischen Staat abgeben. Wir dürfen aber nicht nur davon reden, sondern müssen das auch um­setzen. Ich werde noch darauf zu sprechen kommen, welche Werkzeuge uns zur Ver­fügung stehen, um an dieser Zielerreichung konsequent zu arbeiten.


BundesratStenographisches Protokoll838. Sitzung / Seite 27

Meine sehr geschätzten Damen und Herren, ich glaube, dass hinsichtlich dieser grund­sätzlichen Fragen, dass es gleichwertige Lebensbedingungen und Lebensverhältnisse für alle Bürgerinnen und Bürger dieses Landes geben soll, kein Dissens herrscht. Wir stellen aber fest, dass es einen Rückzug aus den ländlichen Regionen in die Bal­lungsräume gibt, dass es einen Rückzug in die Großstädte, in die Landeshauptstädte, in die anderen Ballungszentren, das müssen nicht immer nur die Landeshauptstädte sein, gibt und dass eine weitere Verdichtung der Verdichtungsräume in unserer Re­publik stattfindet. Ich stelle in Frage, ob das eine gesunde Entwicklung ist, denn die Städte und die Ballungsräume müssen ja mit dieser Verdichtung zurechtkommen. Sie müssen aufgrund dieser Entwicklung die Infrastruktur ändern, müssen neue Einrich­tungen schaffen.

Ich denke, dass es umweltschädlich ist, dass es auf Dauer unfinanzierbar ist – wenn wir einen Blick auf unsere staatlichen Finanzen werfen, erkennen wir das –, dass es unausgewogen ist und dass es auch ungesund und unmenschlich ist, wenn wir einer weiteren Verdichtung der Verdichtungsräume und der Ballungsräume das Wort reden und sich dieser Trend fortsetzt.

Ich begrüße es daher sehr, dass im Regierungsprogramm auf Seite 21, wo es um die ländliche Entwicklung geht, auch von Gegenmaßnahmen die Rede ist, von ganz kon­kreten Gegenmaßnahmen.

Ich habe mir eine Untersuchung zukommen lassen, die zeigt, wie es beispielsweise mit der Aufteilung der Bundesdienststellen in Österreich aussieht. Meine sehr geehrten Da­men und Herren, das ist hochinteressant. Ich habe hier diese Grafik. (Der Redner zeigt eine Grafik.) Das ist Österreich – ich hoffe, Sie können es sehen –, und da ist ein „Turm“ oberhalb von Wien. Alle Bundesdienststellen, die es gibt, befinden sich in der Bundeshauptstadt. Sogar die Bergbauernförderungsagentur ist in Wien angesiedelt. Man könnte meinen, sie könnte auch in Klagenfurt, Salzburg, Innsbruck oder Bregenz angesiedelt sein. (Bundesrat Stadler: Enns!) Einzig die Weinbau-Zentrale ist in Eisen­stadt.

Sehen Sie sich die Grafiken betreffend die Aufteilung der Bundesdienststellen in der Bundesrepublik Deutschland beziehungsweise in der Schweiz an (der Redner zeigt die entsprechenden Grafiken): In der Schweiz ist in fast jedem Kanton eine Bundesdienst­stelle. In der heutigen Zeit ist das kein Problem mehr, mit Internet, dem schnellen Breit­band und anderen Möglichkeiten, die es heute schon gibt. Denken Sie daran, in Deutschland befindet sich der Verfassungsgerichtshof in Karlsruhe, die Bundesanstalt für Arbeit in Nürnberg, das Bundeskriminalamt in Wiesbaden – es ist nicht alles in Ber­lin.

Ich glaube, wir sollten auch einmal ein Bewusstsein dafür schaffen – ich bin nicht dafür, dass alle Ministerien gleich auf die Bundesländer verteilt werden, ich bitte, mich richtig zu verstehen, aber es geht um das Bewusstsein –, dass hier eine Ballung zustande ge­kommen ist und dass man, wenn es einmal um zukünftige Bundesdienststellen geht, daran denken sollte, dass man im Zeitalter moderner, digitaler Technologie eine Bun­desdienststelle in einer anderen Stadt ansiedeln könnte.

Meine sehr geehrten Damen und Herren, ich habe gesagt, dass es auch Instrumente gibt. Ich nehme hier die Bundesländer überhaupt nicht aus, ich sage nicht, dass der Bund alles machen muss, sondern die Länder haben natürlich auch durch die Raum­ordnungsgesetzgebung wesentliche Instrumente in der Hand, um entsprechende Maß­nahmen zu setzen.

Unsere jetzige Verwaltung ist im Zeitalter der Schreibmaschine entstanden, das muss man auch wissen. Und was ist von der Schreibmaschine übrig geblieben? – Die Tasta­tur und sonst nichts! Daher könnte man ohne Weiteres Verwaltungsdienststellen, Bun-


BundesratStenographisches Protokoll838. Sitzung / Seite 28

desdienststellen an andere Standorte verlegen beziehungsweise neue woanders ansie­deln.

Meine sehr geehrten Damen und Herren, ich habe gesagt, dass die Raumordnungs­gesetzgebung wesentliche Möglichkeiten bietet, regionale Impulse zu setzen. Ich erinnere an ein Gesetz, das wir hier im Bundesrat initiiert haben, das Gemeindeko­operationsgesetz. Das Gemeindekooperationsgesetz versetzt die Gemeinden und die Länder in die Lage, zu kooperieren, Aufgaben gemeinsam zu übernehmen, und es wird auch umgesetzt.

Ich bringe Ihnen ein Beispiel aus meinem Heimatbundesland. Vor wenigen Tagen wur­de die Powerregion Enns-Steyr gegründet. In diesem Gebiet wurde eine neue Straße errichtet, die B 309, und alle Gemeinden an dieser Straße, von Enns bis Steyr, haben sich bereit erklärt, die Zukunft gemeinsam zu gestalten, die regionalen Aufgaben ge­meinsam zu erfüllen, Raum- und Standortentwicklung gemeinsam zu betreiben, neue Standorte für Wohnen, Arbeiten und Einkaufen zu schaffen, große Verantwortung dem Naturraum gegenüber walten zu lassen, den langfristigen Schutz der Lebensgrundla­gen und Ressourcen in diesem Raum festzulegen.

Es geht weiters um die Minimierung von Nutzungskonflikten und Umweltbelastungen, also darum, diese Probleme gemeinsam einer Lösung zuzuführen, und um die Stär­kung des Zusammenhalts und der Zusammenarbeit in der Powerregion auf Ebene der Gemeinden. Es geht auch darum, die Kommunalsteuer aufzuteilen und den Wettlauf um Standorte und Betriebsgründungen hintanzuhalten.

Acht Gemeinden, acht einstimmige Gemeinderatsbeschlüsse – das ist ein klares Be­kenntnis zur Zusammenarbeit im ländlichen Raum, in der ländlichen Entwicklung und ist eine Frucht, die sich aufgrund einer gesetzlichen Initiative hier im Bundesrat gebildet hat.

Meine sehr geehrten Damen und Herren, ich freue mich darüber und glaube, dass wir diesen Bereich betreffend auf einem guten Weg sind, die Entwicklung im ländlichen Raum durch ganz konkrete Maßnahmen positiv zu beeinflussen. (Beifall bei ÖVP und SPÖ sowie des Bundesrates Zelina.)

10.28


Präsidentin Sonja Zwazl: Als Nächster zu Wort gemeldet ist Herr Bundesrat Ing. Bock. Ich erteile es ihm.

 


10.28.34

Bundesrat Ing. Hans-Peter Bock (SPÖ, Tirol): Sehr geehrte Frau Präsidentin! Ge­schätzter Herr Bundesminister! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich darf zuerst unserer neuen Präsidentin noch einmal recht herzlich gratulieren, ich gratuliere auch zur Veran­staltung am gestrigen Abend. (Präsidentin Zwazl: Vielen Dank!) Herzlichen Dank da­für. (Präsidentin Zwazl: Danke schön!)

Liebe Kolleginnen und Kollegen, es wurde bereits von Klubobmann Kneifel berichtet: Mehr als 65 Prozent der Österreicherinnen und Österreicher leben im sogenannten ländlichen Raum. Es ist klar, dass damit nicht nur die bäuerliche Bevölkerung gemeint ist – dieser Bevölkerungsgruppe gehören nur mehr 4 Prozent unserer Mitbürger an.

In den letzten Jahrzehnten kann man eine Trendumkehr beobachten: Zogen in den siebziger Jahren des letzten Jahrtausends sehr viele Menschen aufs Land, so ist jetzt zu erkennen, dass der Druck der Landbevölkerung auf die Städte ständig wächst. Ab­wanderung im ländlichen Bereich: im Durchschnitt 0,5 bis 1,5 Prozent; Zuzug und Zu­wanderung in den urbanen Gebieten: 1 bis 2 Prozent jährlich. Österreich wächst an Einwohnern, aber beinahe ausschließlich in den Städten.


BundesratStenographisches Protokoll838. Sitzung / Seite 29

Diese Verhaltensänderung hat viele Ursachen, es ist nicht nur eine Modeerscheinung und nicht nur ein österreichisches Phänomen. Wenn die Abwanderung vom Land in die Städte im Ausmaß der letzten Jahre anhält, so wird sich der Anteil der in den Städten wohnenden Bevölkerung in 20 Jahren umdrehen. Es werden also 60 Prozent in den Städten wohnen und nur mehr 40 Prozent im ländlichen Raum. Dieser Trend ist in al­len größeren Städten weltweit zu beobachten.

Die Ursache dieser Entwicklung ist auch weltweit fast die gleiche. Das Einkommen in den Städten liegt im Durchschnitt um 20 Prozent höher als das auf dem Lande. Die Ein­kommensstatistik bestätigt diese Unterschiede bereits über Jahrzehnte. Bei den Frau­en ist der Unterschied noch wesentlich größer.

Die Chancen auf eine gute Ausbildung und damit die Aussicht auf ein höheres Ein­kommen sind in den Städten wesentlich besser. Der Akademikeranteil ist in den Städ­ten fast zehnmal höher als auf dem Lande. Kulturelle Angebote in den Städten sind mit jenen im ländlichen Raum nicht zu vergleichen, und jene im städtischen Bereich wer­den zum größten Teil aus Steuergeldern finanziert. (Vizepräsidentin Posch-Gruska über­nimmt den Vorsitz.)

Beim öffentlichen Verkehr gibt es riesige Unterschiede zwischen den Städten und den ländlichen Gemeinden. In kleinen Gemeinden sind öffentliche Verkehrsmittel fast nicht vorhanden, oder der Fahrplan ist aus finanziellen oder aus Auslastungsgründen äu­ßerst dünn.

Der Drang nach einer besseren Ausbildung hat auch auf dem Land Einzug gehalten, allerdings kehren die jungen Ausgebildeten nicht mehr in die Heimat zurück. Zum ei­nen haben diese die bereits erwähnten Vorteile einer Stadt, die besseren Angebote bei Kultur, Bildung und öffentlichem Verkehr erkannt. Zum anderen schätzen viele junge Menschen auch die Anonymität in einer großen Stadt. Viele junge Menschen haben dadurch weniger Kontrolle durch die Eltern, weniger Einfluss durch die Verwandten und die Unabhängigkeit von Bekannten und Freunden. Nur selten gibt es auf dem Land der Ausbildung entsprechende Jobangebote, da die gut dotierten Arbeitsplätze im öffentlichen Dienst, in der Forschung und Entwicklung sowie in der höheren Dienstlei­tung und Verwaltung meistens in den Zentren zu finden sind.

Diese Entwicklung wird durch die Auflösung von Post- und Polizeistellen, von Kaser­nen und Schulen verstärkt. Die Tiroler schimpfen auf die Wiener Zentralisten, obwohl die Zentralisierung in unserem Bundesland, sehr wahrscheinlich in allen Bundeslän­dern, ebenfalls vollzogen wird.

Die Bezirksstädte tragen zur Zentralisierung bei, indem die Nahversorgung und die ärzt­liche Versorgung nur mehr in großen Einheiten und Zentren zusammengefasst werden. Lebensmittelgeschäfte auf dem Land sperren zu, Landarztpraxen sind nur schwer nach­zubesetzen. In Gemeinden mit mehreren Fraktionen und Ortsteilen wird durch die Schließung von Kleinschulen ebenfalls zentralisiert. Schulen und Kindergärten werden zusammengelegt. Deshalb merkt man auch die Abwanderung innerhalb der Gemein­den von den kleinen Fraktionen in die Ortszentren, von den kleinen Gemeinden in die Bezirksstädte, von den Bezirken in die Landeshauptstädte, von den Bundesländern in die Bundeshauptstadt.

Interessanterweise findet auch eine Abwanderung von den Seitentälern in die mit Auto­bahnen und Bahnen besonders gut erschlossenen Orte statt. Eine Studie über Abwan­derung in Südtirol ergab das gleiche Ergebnis. Damit scheint der Spruch unseres Alt­landeshauptmannes Wallnöfer aus den 1960er Jahren: Wo Verkehr ist, da ist Leben!, bestätigt zu sein. (Zwischenruf bei der ÖVP.)

Die Schönheit der Natur im ländlichen Raum ist nicht mehr in der Lage, diese Nachteile auszugleichen, man kann ja ohnehin am Wochenende hinaus aufs Land fahren. Die


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Bindung an die vielen Vereine und Musikkapellen, Schützenvereine, Chöre und ande­re, scheint im Laufe der Jahre geschwunden zu sein. Es stellt sich für mich die Frage, ob es überhaupt möglich ist, diesen Trend durch politische und wirtschaftliche Maßnah­men umzukehren oder zumindest zu stoppen.

Der Druck auf die Städte verteuert die Mieten in den Städten, während auf dem Land die Häuser leer stehen. Eine Abwanderung vom Land in die Städte bedeutet, dass vie­le gepflegte Kulturlandschaften verloren gehen. Das Landschaftsbild hat sich bereits ver­ändert, viele Äcker wurden zu Grünflächen, und es wird sich noch weiter ändern. Die Waldflächen werden sicher zunehmen.

Es stellt sich daher die Frage: Was können wir, was wollen wir für die Zukunft des ländlichen Raumes machen? Nehmen wir diese Entwicklung einfach zur Kenntnis? – Die Bundesregierung hat, wie bereits Kollege Kneifel berichtet hat, im Koalitionsab­kommen einige Maßnahmen gegen die Abwanderung aus dem ländlichen Raum vor­gesehen und bereits eingeleitet. Mit der Breitbandoffensive wird der ländliche Raum besser an den Rest der Welt angebunden. Damit könnten Dienstleistungen, die aus technischen Gründen derzeit nur im Zentralraum durchgeführt werden, auch in ländli­che Gegenden ausgelagert werden. Dies gilt für den Bund, für die Bundesländer und deren Landesgesellschaften, aber auch für andere Einrichtungen.

Aufgrund der heutigen Glasfasertechnik könnten viele Leistungen in der Verwaltung auch außerhalb der Zentren erfolgen. Warum kann eine Verwaltungszentrale des Fi­nanz- oder Sozialversicherungswesens nicht in einem der Bundesländer sein? Dabei ist jedoch nicht gemeint, dass diese dann wieder in der Landeshauptstadt sein sollte.

Forschung und Entwicklung können auch außerhalb der städtischen Zentralräume an­gedacht und umgesetzt werden. Forschungsaufträge werden meistens von der EU, vom Bund, vom Land aus Steuermitteln finanziert. Wer zahlt, schafft an! Ich weiß, das ist nicht immer möglich, aber in einigen Fällen muss man es nur wollen.

Fachhochschul- und Studienlehrgänge müssten in den Bezirksstädten angeboten wer­den. Damit erhielten die Bezirksstädte ein wenig Flair, das junge Menschen zum Blei­ben brauchen.

Die bürokratischen Hürden und Bürden für Kleinbetriebe, auch in der Landwirtschaft, müssten abgebaut werden, sodass ein Kleinbetrieb nicht 30 Prozent seiner Arbeitszeit für Verwaltungsaufgaben benötigt. (Ruf bei der ÖVP: Bravo!) Dies gilt vor allem für land­wirtschaftliche Betriebe unter 15 Hektar und für EPUs. Die Wirtschaftskammer und die Landwirtschaftskammern müssen diesen Kleinunternehmen diese Verwaltungsabwick­lung erleichtern.

Die Gesetzgebung – damit meine ich alle – ist gefordert, nicht nur über Entbürokratisie­rung zu sprechen, sondern auch zu handeln.

Das, was in den vergangenen Jahren mit den Almbauern passiert ist, darf sich nicht wie­derholen. Viele Bauern haben aus diesem Grund ihren Betrieb aufgegeben.

Gemeinden müssen laufend mehr Aufgaben übernehmen. Der Verteilungsschlüssel, der sogenannte abgestufte Bevölkerungsschlüssel, ist ungerecht und nicht mehr zeit­gemäß. Kleingemeinden sind nicht mehr in der Lage, der Bevölkerung wettbewerbs­fähige Angebote im Kultur-, Kinderbetreuungs-, Bildungs- und Freizeitbereich zu machen.

Der Bund hat sehr viel Geld für die Kinderbetreuung und für den öffentlichen Verkehr bereitgestellt, allerdings werden die meisten Mittel wieder in den Zentralräumen ver­wendet. Längerfristig kann es gelingen, dass insbesondere berufstätige Frauen nicht zuletzt wegen der schlechten Kinderbetreuung im ländlichen Bereich in die Städte ab­wandern. Ganzjährige und ganztägige Angebote bei der Kinderbetreuung sind notwen­dig, damit die Menschen in ihrer angestammten Umgebung bleiben.


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Geschätzte Kolleginnen und Kollegen! Natur- und Kulturlandschaften können nur erhal­ten werden, wenn es noch genügend Menschen in den Tälern gibt. Ohne Arbeitsplätze werden die Wälder bis an die Wohnsiedlungen heranwachsen. Die Vergabe von Wohn­bauförderungsmitteln muss gezielt für von Abwanderung bedrohte Gebiete erfolgen.

Die sicher wichtigen Einrichtungen, Vereine im Sport- und Kulturbereich, auch die reli­giösen Einrichtungen müssen für Frauen noch mehr geöffnet werden. Ein funktionie­rendes Vereinswesen hilft gegen Abwanderung, reicht jedoch nicht aus, um die Ab­wanderung zu stoppen.

Geschätzte Kolleginnen und Kollegen! Ob der ländliche Raum eine Zukunft hat, ich meine damit, ob dieser Raum auch bewohnt ist, hängt von vielen Faktoren ab. Dass sich die Menschen dort wohlfühlen, ist eine der wichtigsten Voraussetzungen. Zum Wohlfühlen gehören die Chance auf Ausbildung, auf einen gut bezahlten Arbeitsplatz, eine soziale Absicherung, leistbares Wohnen, das Gefühl der Sicherheit, eine solide medizinische Versorgung und uneingeschränkte Mobilität.

Wenn wir den Menschen im ländlichen Raum diese Unterstützung nicht geben, werden wir die Abwanderung nicht stoppen können.

Ich bin nicht überzeugt davon, dass die bereits genannten Zentralisten im Bund, in den Ländern, in den größeren Städten und Gemeinden bereit sind, Arbeitsplätze und Geld und damit Macht an die Gemeinden des ländlichen Raumes abzutreten. Leider ist die­se Entwicklung über alle Parteigrenzen hinweg festzustellen, auch bei den Verwal­tungsreformen. Jeder will eine Verwaltungsreform, jeder weiß, wie man es machen könnte, jeder weiß, bei wem man sparen könnte, jedoch ist niemand bereit, Macht, Geld und Einfluss vom eigenen Land, von der eigenen Gemeinde, von den eigenen In­teressen und von der eigenen Partei abzutreten.

Liebe Kolleginnen, liebe Kollegen, ich vermute, dass der Kantönligeist auch in Zukunft den ländlichen Raum begleiten wird. Ich würde mich freuen, wenn ich damit nicht recht hätte. (Beifall bei der SPÖ sowie bei Bundesräten der ÖVP.)

10.41


Vizepräsidentin Inge Posch-Gruska: Als Nächster zu Wort gelangt Herr Bundesrat Dörfler. – Bitte.

 


10.41.29

Bundesrat Gerhard Dörfler (FPÖ, Kärnten): Geschätzter Herr Bundesminister! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Die beiden Vorredner haben eigentlich im Grunde die Sorge, die auch ich und wohl wir alle in diesem Haus teilen, dass es eine weltweite Globalisierung, aber letztendlich auch eine nationale, eine österreichische Globalisie­rung gibt, die gemäß Fakten, Zahlen, Daten und auch nach den Aussagen meiner Vor­redner im ländlichen Raum spürbar ist. Wir haben die große Sorge, dass Österreich auseinanderdriftet. Es gibt Zentralräume, die es ja auch nicht leicht haben. Der länd­liche Raum ist aber tatsächlich in einer Situation, in der es ein Vielfaches an Maßnah­men geben wird müssen, wenn wir Österreich so bunt erhalten wollen, wie es ganz be­sonders auch der ländliche Raum garantiert.

Ich habe einige Zahlen aus dem Agrarstrukturbericht 2013 der Kärntner Landwirtschafts­kammer hergenommen, um zu hinterfragen: Wie hat sich die Landwirtschaft in Kärn­ten – und das wird wohl in ganz Österreich ähnlich sein – entwickelt?

Seit dem EU-Beitritt 1995 gibt es in Kärnten einen Betriebsrückgang von insgesamt 21 Prozent. Die Zahl der Haupterwerbsbetriebe hat sich um 34 Prozent auf 4 595 re­duziert, jene der nebenerwerbsbäuerlichen Betriebe um 24 Prozent auf 11 443. Von 1970, da hatten wir in Kärnten 31 332 landwirtschaftliche Betriebe, bis 2013 ist die Zahl um 13 866 auf 17 466 gesunken. Das ist ein Minus von 44 Prozent. – Auch diese Ent­wicklung wird wohl in Gesamtösterreich ähnlich sein.


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Nun zur Beschäftigung in Kärnten: 1995 gab es im landwirtschaftlichen Bereich 52 664 Be­schäftigte, 2013 waren es 38 811. Das ist ein Minus von fast 14 000 Beschäftigten oder 26 Prozent. Wenn wir die Entwicklung von 1970 bis 2013 betrachten, so sehen wir, dass in Kärnten von 60 200 Beschäftigten im landwirtschaftlichen Bereich nur mehr 38 800 übriggeblieben sind. Das ist ein Minus von 21 400 Beschäftigten oder 35 Pro­zent.

In Österreich hat sich in den letzten zehn Jahren, von 2004 auf 2014, die Zahl der Ar­beitsplätze am Bauernhof von etwa 151 000 auf etwa 120 000 reduziert, das sind ganz genau 30 442 – oder 20 Prozent – weniger Arbeitsplätze.

Das ist ein Entwicklungsprozess, der natürlich durch die Technisierung der Landwirt­schaft, durch die sogenannte Optimierung und durch den Wettbewerbsdruck, den auch die Landwirtschaft hat, ein Faktum ist. Diese Beschäftigten drängen aber ganz beson­ders in die Zentralregionen und dort auf den Arbeitsmarkt, und in Österreich gibt es 2015 Rekordarbeitslosigkeit. Die im ländlichen Raum verloren gegangenen Arbeits­plätze kann auch der Zentralraum nicht mehr auffangen. Das ist das Dilemma, das wir haben. Und so gesehen ist es einmal ein Faktum, dass es, wie man an der dramati­schen aktuellen Arbeitsmarktentwicklung ablesen kann, leider so weitergeht.

Auch die Einkommen pro Arbeitskraft haben sich ja verschlechtert, in den letzten drei Jahren hat die bäuerliche Wertschöpfung wieder abgenommen. Wir hatten 2007 pro Beschäftigtem eine Wertschöpfung von 124 €, im Krisenjahr 2009 91 €, das ist dann 2011 wieder auf 129 € gestiegen, in den letzten drei Jahren aber wieder auf 105 € ge­sunken. Das heißt, auch die Einkommenssituation hat sich in der Landwirtschaft mas­siv verschlechtert.

Zum Außenhandel: Die österreichische Landwirtschaft hat 2005 um 6 Milliarden € ex­portiert und um 6,3 Milliarden € importiert, das ergibt ein Handelsbilanzdefizit von 300 Mil­lionen €. 2014 haben wir – in erster Linie wohl dank Red Bull – um 9,7 Milliarden € ex­portiert, aber um 10,7 Milliarden € importiert, das heißt 1 Milliarde € Handelsbilanzdefi­zit an agrarischen Produkten. Von 2005 bis 2014 hat sich das Handelsbilanzdefizit von 300 Millionen auf 1 Milliarde € zulasten Österreichs erhöht. Oh glückliches Agrar-Öster­reich!

Ich habe am 31. Jänner einen Testkauf in einem Einkaufsmarkt in meiner Bezirksstadt gemacht und habe einmal versucht, auch die Wettbewerbssituation am Agrarmarkt ein wenig zu hinterfragen. Ich habe einen Schärdinger Käse, einen Gouda, gekauft. 150 Gramm kosten 2,25 €. Diese Handelskette hat aber auch Billigkäse im Angebot, ebenfalls einen Gouda, 400 Gramm um 2,39 €. 400 Gramm! Das heißt, 400 Gramm Schärdinger Gouda kosten 6 €, 400 Gramm Gouda aus der EU, nicht aus Österreich, kosten in einem österreichischen Geschäft 2,39 €. Das ist eine Preisdifferenz von 157 Pro­zent! Wie sollen da die österreichische Landwirtschaft und damit der ländliche Raum überhaupt wettbewerbsfähig sein? Von den Umweltkosten, von der Massentierhaltung und von allen anderen Wettbewerbsproblemen, die die österreichische Landwirtschaft hat, will ich überhaupt nicht reden. (Beifall bei der FPÖ.)

Der Präsident der Österreichischen Landwirtschaftskammer sagt dann aber: Wir wer­den jetzt Erbsen, Bioerbsen, in die USA exportieren. Wissen Sie, wie der Erbsenmarkt in Österreich aussieht? Auch diesen Testkauf habe ich gemacht. 330 Gramm Iglo Erb­sen vom Marchfeld, aus Niederösterreich, unsere Hauserbsen sozusagen, wenn wir nicht im Garten im Sommer selbst welche haben, kosten 2,29 €, runtergerechnet auf 300 Gramm sind das 1,97 €. In derselben Handelskette kosten 300 Gramm sogenann­te Schmalspur-Budget-Erbsen aus der EU  man weiß nicht, wo sie produziert wurden, abgepackt wurden sie jedenfalls in der EU, sie kommen aber sicher nicht aus Öster­reich, das steht fest – 1,39 €. Das ist eine Preisdifferenz von 29 Prozent. Wie will man da dann Erbsen in die USA exportieren, gegen die großen Multis? Ich nenne nur das


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Stichwort TTIP. Das ist bei der Situation, die sich hier entwickelt, wohl eine kühne An­nahme

Wenn wir auch noch die ausgelaufene Milchquote als Problemstellung dazunehmen, so wird es, wie man in Deutschland prognostiziert hat, heuer Milchpreise von 25 Cent geben. Da ist ein österreichischer Bauer nicht mehr lebensfähig. Das heißt, auch der Milchmarkt wird ab 2015 zum großen Problem für die österreichischen Bauern und damit wieder einmal mehr für den ländlichen Raum werden.

Jetzt zum Holzland Österreich, auch da haben wir eine interessante Situation. Der weltgrößte Holzimporteur ist China mit 38 Millionen Festmetern, ein bissel was wird vielleicht sogar aus Österreich dorthin geliefert werden. Der zweitgrößte Holzimporteur der Welt – raten Sie einmal, wer das ist! – ist Österreich. Österreich importiert 8,1 Mil­lionen Festmeter Holz. Der drittgrößte Importeur ist übrigens auch ein Holzland, und zwar Schweden, mit 7,3 Millionen Festmetern. (Bundesrat Kneifel: Weil dort die Säge­industrie ...! Holzindustrie!)

Im Bereich der Biomasse haben wir ein Delta zwischen Verbrauch und heimischer Ern­te von 5,4 Millionen Tonnen. Das heißt, Österreich muss bereits jährlich 5,4 Millionen Tonnen Energieholz importieren, um diese Werke letztendlich auch beliefern und be­feuern zu können.

Europa wird immer mehr von Nahrungsimporten abhängig sein. TTIP ist ja hier im letzten Jahr schon einmal sehr ausführlich diskutiert worden. Dafür hatten wir einen Rüffel einzustecken, in der Zwischenzeit hat sich die Situation ja geändert. Faktum ist, Europa wird in Zukunft in weit größerem Maße zur Lebensmittelimportregion. Wer wird denn wohl den Vorteil aus diesen schrägen Zukunftsplänen der Amerikaner ziehen? Nicht die österreichische und die europäische Landwirtschaft! Die Multis der USA wer­den über Europa drüberfahren, und die Konsumenten werden mit Käse verführt wer­den, der 150 Prozent billiger ist als der hochwertige österreichische Käse. (Bundesrat Kneifel: Die Konsumenten sind sehr mündig, sehr mündig!) Aber der Konsument kann es sich vielfach nicht leisten! Ein Haushalt mit vier Kindern muss eben den billige­ren Käse kaufen, weil er sich den Qualitätskäse leider nicht mehr leisten wird können. (Zwischenruf des Bundesrates Tiefnig.) Das heißt, der Druck am Arbeitsmarkt und die steigende Armut sind eben auch der Grund, warum diese hochwertigen Lebensmittel nicht für alle leistbar sind. (Beifall bei der FPÖ.)

Ein weiteres Problem des ländlichen Raumes ist die regionale Arbeitslosigkeit. Nicht nur national, sondern auch regional haben wir die höchste Arbeitslosigkeit seit dem Zwei­ten Weltkrieg.

Am härtesten ist davon wiederum der ländliche Raum betroffen. Es gibt eine Öster­reich-Karte, die aufzeigt, dass in Kärnten, in der Steiermark und in Niederösterreich, dort, wo es viele ländliche Bezirke gibt, die Arbeitslosigkeit am höchsten ist. Wien ist eine Ausnahme, durch die spezielle Situation der starken Zuwanderung. Die Arbeitslo­senzahlen steigen ja besonders dort, wo man die Zuwanderer nicht am Beschäfti­gungsmarkt unterbringen kann. In Wien ist die Arbeitslosigkeit also überdurchschnitt­lich hoch. Aber wenn man Wien ausklammert, so sind, wie man feststellen kann, der Bezirk Spittal mit 12,5 Prozent, der Bezirk Völkermarkt mit 11,5 Prozent und Villach Land sowie Lienz mit über 10 Prozent die problematischsten Bezirke Österreichs, was die Beschäftigung betrifft – also wieder der ländliche Raum.

Es ist auch die ärztliche Versorgung angesprochen worden. In meinem Bezirk, in Feld­kirchen, gehen bald einige Ärzte in Pension. Zwei mögliche Nachfolger, die gerade Me­dizin studieren, haben erklärt, sie kommen nicht mehr nach Kärnten zurück, weil die Ein­kommenssituation im ländlichen Raum für einen Arzt derzeit völlig uninteressant ist. Es besteht also die Problematik der Überalterung der niedergelassenen Ärzte im ländli­chen Raum.


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Und das Problem ist letztendlich ... (Bundesrat Tiefnig: ...! Das haben wir gestartet, wir von der ÖVP ...!) – Ich habe euch auch zugehört! Die ÖVP ist immer so nervös. Die Frau Präsidentin hat heute alle dazu eingeladen, im Haus einen entsprechenden Stil zu pflegen und Verantwortung zu tragen, und Verantwortung heißt, reden zu dürfen und zuhören zu müssen. Das erwarte ich mir. (Beifall bei der FPÖ.)

Zur Schließung der Polizeiinspektionen – es sind ja alleine in Kärnten 22 Polizeiinspek­tionen betroffen –: Ich finde es ja „sehr ehrlich“, dass im Nationalrat die Abgeordneten der SPÖ Kärnten, sogar der Abgeordnete Lipitsch, Gewerkschaftschef und Präsidiums­mitglied der SPÖ Kärnten, für die Schließung der Polizeiinspektionen gestimmt ha­ben. – Interessanterweise jaulen jetzt der Kärntner Landeshauptmann und die Kärntner SPÖ auf und fordern neue Polizeiinspektionen beziehungsweise eine Erhöhung der Anzahl Dienststellen. Also so unehrlich darf man mit Menschen nicht umgehen! Wenn man im Parlament dafür stimmt, dass die Frau Innenminister die Polizeiinspek­tionen zurückfährt, dann kann man nicht ein halbes Jahr später das Gegenteil verlangen.

Faktum ist, dass die Sicherheit ein großes Problem ist und dass mit jeder geschlos­senen Polizeiinspektion im ländlichen Raum dort letztendlich Arbeitsplätze verschwin­den und damit schließlich eine Abwanderung verbunden ist. Ein Polizist, der in Ober­vellach seinen Arbeitsplatz hatte und dort ein Haus gebaut hat, wird von dort absiedeln, wenn sein Arbeitsplatz nach Ferlach verlegt wird.

Es ist ein Problem, und da gehe ich mit meinen Vorrednern durchaus konform, dass mit dem Verschwinden der öffentlichen Einrichtungen – Post, Polizei und anderer – letztendlich eine Abwanderung einhergeht. Es wird auch nicht mehr in Wohnen und Hausbauen investiert, und darunter leidet die regionale Wirtschaft, die übrigens oh­nehin ein riesiges Problem hat. Heute wird im Zuge des europäischen Wettbewerbs und der europaweiten Ausschreibungen versucht, auch gewisse Einrichtungen zu zen­tralisieren, sodass der Bund für alle einkauft. Das finde ich nicht schlecht, wenn es um Rechnungen, um Zahlen geht. Aber hinsichtlich der Fakten heißt das, dass die regio­nale Wirtschaft, etwa der kleine Bäcker, die Kaserne nicht mehr beliefern kann, der kleine Bürohändler nicht mehr öffentliche Einrichtungen versorgen kann, weil man alles zentralisiert. Das heißt, man muss die Wertschöpfung in den Vordergrund stellen und darf nicht immer Zahlenspiele betreiben und alles zentralisieren, weil man dadurch re­gionale Wirtschaftskreisläufe unmöglich macht.

Zum Thema Bundesheer habe ich letztes Mal schon Stellung genommen. In Kärnten wird eine Kaserne geschlossen, noch dazu im zweisprachigen Gebiet und noch dazu die Kaserne Bleiburg/Pliberk, die im letzten Jugoslawien-Konflikt eine wichtige Aufgabe hatte. Anstatt dass man aus Villach und Klagenfurt Aufgaben nach Bleiburg disloziert und delegiert und somit eine Grenzkaserne aufrechterhält und damit sogar eine Grenz- und ländliche Region stärkt, macht man genau das Gegenteil: Man schließt Kasernen im ländlichen Raum und zentralisiert auch die Sicherheitsaufgaben des österreichi­schen Bundesheeres. Das ist auch ein Problem, und ich bin mit dieser Vorgehens­weise nicht einverstanden.

Zu den Kleinschulen: Die Bildungsministerin hat vor einigen Wochen forsch erklärt, 300 Schüler seien das Mindestmaß für mittlere Schulbereiche, und die Kleinschulen seien zu sperren. Stirbt die Schule, stirbt der Ort! Stirbt die Post, macht die Polizei zu, sperrt der Wirt zu, ist der Bauer nicht mehr da. Dann hat man einen ländlichen Raum – wenn ich zum Beispiel an das Metnitztal oder das Obere Mölltal bei uns in Kärnten denke –, in dem man, wenn man untertags durchfährt, kein Dorfleben mehr sieht, weil alle gezwungen sind auszupendeln. Da ist es die große Aufgabe, Arbeit in den ländlichen Raum zu bringen. Wenn wir das nicht schaffen, wird es weiter eine un­gebremste Zentralisierung geben.


BundesratStenographisches Protokoll838. Sitzung / Seite 35

Ich glaube, dieses Österreich hat etwas anderes verdient – vor allem die ländliche Be­völkerung, die ein unverzichtbarer Kultur- und Leistungsträger dieser Republik ist, vor allem auch die bäuerliche Bevölkerung, die für viele Bereiche wichtig ist, vom Touris­mus bis zur Volkskultur. Österreich besteht ja aus diesen beiden Polen: Es gibt einer­seits dieses wunderbare, fantastische Wien und die Landeshauptstädte, aber anderer­seits auch den ländlichen Raum.

Ich möchte mir nicht vorstellen müssen, dass Regionen wie das Gurktal, das Metnitztal und andere Täler in Österreich nur mehr Nebenschauplätze unserer Zukunft sind.

Herr Bundesminister, ich freue mich auf Ankündigungen, die endlich dazu führen, dass wir die Sorgen dieser Menschen ernst nehmen, dass wir versuchen, auch politisch steu­ernd einzugreifen, und dass regionale Wirtschaftskreisläufe nicht weiter im Wettbewerb der Großen quasi die Verlierer sind. Wir müssen alles dafür tun, dass wir bezüglich des ländlichen Raumes nicht nur schöne Aussagen treffen, sondern dass wir ihm mit kon­kreten Taten und mit konkreten Zukunftsvisionen wieder eine neue Chance und starke Zukunft geben, denn er hat es sich verdient. (Beifall bei der FPÖ sowie des Bundes­rates Zelina.)

10.55


Vizepräsidentin Inge Posch-Gruska: Als Nächste zu Wort gelangt Frau Bundesrätin Mag. Schreyer. – Bitte.

 


10.55.22

Bundesrätin Mag. Nicole Schreyer (Grüne, Tirol): Hohes Haus! Sehr geehrter Herr Minister! Sehr geehrte Zuseher hier und vor den Bildschirmen! „Zukunftsstrategie für den ländlichen Raum“ – das Thema der Aktuellen Stunde beinhaltet so viele verschie­dene Aspekte, dass es wirklich sehr schwer fällt, einzuschränken. Es geht darum, den ländlichen Raum zu stärken und attraktive Rahmenbedingungen für das Leben, Woh­nen und Arbeiten am Land zu schaffen.

Zur Zukunftsstrategie für den ländlichen Raum gehören auf jeden Fall – das haben auch alle Vorredner und Vorrednerinnen schon angesprochen – der Erhalt und die Schaf­fung von Arbeitsplätzen, die entweder in den ländlichen Gebieten selbst liegen oder zu­mindest gut zu erreichen sind. Die Schaffung von Infrastruktur ist da eine ganz zentrale Frage. Die Menschen am Land müssen die Möglichkeit haben, schnell und kosten­günstig vom Job zum Wohnort zu gelangen oder von zu Hause aus zu arbeiten.

Es ist aus unserer Sicht unerlässlich, dass die teure Abhängigkeit vom Auto in vielen Regionen endlich gezielt reduziert wird. Dabei ist es wichtig, Regionalbahnen zu mo­dernisieren statt sie einzustellen, wie das gerade in Niederösterreich und im Burgen­land stark erfolgt ist. Mindeststandards für die Versorgung mit öffentlichem Verkehr müssen endlich, wie das in der Schweiz schon der Fall ist, gesetzlich verankert und rasch umgesetzt werden.

Um das zu finanzieren, sollen die Gelder, die jetzt in riesige Projekte zum überholten Neubau von Landesstraßen gepumpt werden, in die Erhaltung der bestehenden Stra­ßen, die teilweise in einem desaströsen Zustand sind, und in die Schaffung von mehr Öffis umgelenkt werden. Damit diese Angebote, die im Bereich öffentlicher Verkehr und Erreichbarkeit geschaffen werden, auch angenommen werden, müssen attraktive Tarifangebote geschaffen werden – zum Beispiel wie die jetzt auf eine Initiative der Grünen nach Wien auch in Vorarlberg bereits umgesetzte 365-Euro-Jahreskarte –, weil natürlich auch die Tarife finanziell attraktiv gestaltet werden müssen, wenn der öffent­liche Verkehr da ist und angeboten wird. All diese Verbesserungen des öffentlichen Verkehrs schlagen sich auch direkt positiv auf die Klimabilanz Österreichs nieder.

Es ist aber nicht nur wichtig – und das haben auch alle Vorredner schon angespro­chen –, dass man schnell zum Arbeitsplatz kommt, sondern idealerweise kommt der


BundesratStenographisches Protokoll838. Sitzung / Seite 36

Arbeitsplatz auch zu einem nach Hause, ins Homeoffice. Dazu muss man jetzt wirklich einmal schauen, dass die Breitbandoffensive endlich vom Fleck kommt.

Seit der Frequenzauktion im Herbst 2013 sind die Mittel vorhanden, sie müssen nur endlich mobilisiert werden. Österreich fällt in den Rankings zur Breitbandversorgung im Europavergleich Jahr um Jahr zurück, dabei wäre eine gute Versorgung für die Wirt­schaft gerade im ländlichen Raum so wichtig. Der Breitbandzugang ist einfach ein sehr wichtiges Instrument, um die Wirtschaft vor Ort zu stärken.

Ein weiterer ganz wichtiger Punkt – und der ist auch schon von allen erwähnt worden, also es dreht sich eh immer um dieselben Inhalte – ist die Vereinbarkeit von Familie und Beruf im ländlichen Raum. Es müssen die Kinderbetreuungsplätze noch viel mehr ausgebaut und an die Gegebenheiten vor Ort angepasst werden.

Ich möchte gerne ein gutes Beispiel aus Tirol, und zwar aus dem Paznauntal, bringen. Das ist eine Wintersportregion, eine Tourismusregion. Dort ist in einem Pilotprojekt die Kinderbetreuung an den Tourismus, den größten Arbeitgeber vor Ort, angepasst wor­den. Man hat gesehen, dass es nichts bringt, wenn eine Kinderbetreuungseinrichtung von 8 bis 17 Uhr geöffnet hat, weil sich das mit den Arbeitszeiten im Tourismus nicht vereinbaren lässt.

Genau darum muss es bei einer Zukunftsstrategie für den ländlichen Raum gehen. Man muss schauen, was die Menschen im ländlichen Raum brauchen, und das muss man dann anbieten. Wenn dies nicht geschieht, braucht man sich nicht über Landflucht zu wundern. Zu nutzen, was man vor Ort hat – das passt gut, um jetzt noch einen Schwenk zur Bedeutung von Umwelt und Naturschutz im ländlichen Raum zu machen.

Unsere wunderbare Natur ist nicht nur für die Tiere und Pflanzen gut. Sie bietet auch für uns Menschen viel. Sie bietet uns Ruhe und Erholung, sie bietet uns Freizeitmög­lichkeiten, sie sorgt für gute Luft und gutes Wasser. Eine weitere wichtige Leistung unserer Natur ist aber auch die wirtschaftliche. Bis auf den Städtetourismus, bis auf den Kulturtourismus hängt in ganz Österreich der gesamte Tourismus von unserem Naturschatz ab. Die Leute kommen nach Österreich, um diesen Naturschatz zu genie­ßen, und das müssen wir als Chance für die ländlichen Gebiete sehen und für uns nutzen.

Ich komme jetzt noch einmal auf ein Beispiel aus Tirol zurück: das Natura-2000-Gebiet und der Naturpark Lechtal. In den letzten zehn Jahren wurden dort fast 400 Projekte umgesetzt, die sich auch direkt auf den Tourismus ausgewirkt haben, mit einem Näch­tigungsplus im zweistelligen Bereich. Das kann in anderen Regionen sicher auch sehr gut umgesetzt werden.

Wenn wir vom ländlichen Raum reden, kann natürlich ein Aspekt nicht außen vor ge­lassen werden, nämlich die Landwirtschaft. Meine und die Argumentation der Grünen geht da vielleicht ein bisschen in eine andere Richtung: Österreich ist ein kleines Land; wir haben zwar gerade hier im Osten viel Fläche, aber im internationalen Vergleich ist diese auch eher gering. Die Strategie für die ländliche Entwicklung kann also im Land­wirtschaftsbereich nicht in Richtung Intensivierung gehen – da sind wir nicht konkur­renzfähig –, die Strategie muss in Richtung Spezialisierung gehen. Gerade unsere Klein­räumigkeit und unsere sehr guten Produkte müssen gestärkt werden, in der Herstel­lung und in der Vermarktung.

Wir Grünen halten diese Entwicklung vor allem im Biolandbau für möglich und treten schon sehr lange für eine Stärkung des Biolandbaus ein. Zuletzt ist der Anteil der Bio­bauern unter den heimischen Landwirten leicht gestiegen – um 1 Prozent auf 17 Pro­zent –, das Plus ist aber bedeutend geringer ausgefallen als erwartet. Dabei gibt es wirklich sehr viele Vorteile des biologischen Landbaus, die nicht nur wir Grünen so sehen, sondern die mehr oder weniger Konsens sind. Das ist einerseits der Wegfall der


BundesratStenographisches Protokoll838. Sitzung / Seite 37

Pestizidbelastung und damit auch eine Förderung der Artenvielfalt, andererseits ein geringerer CO2-Ausstoß – beziehungsweise sogar die Bindung von CO2 im Boden durch Humusbildung – oder Schutz vor Bodenerosion.

Bei der Tierzucht ist der Vorteil die viel artgerechtere Haltung. Österreich ist das ein­zige Land, das sich im Aktionsplan der EU ein Ziel von 20 Prozent vorgenommen und auch erreicht hat. Ich kann mich allerdings des Eindrucks nicht erwehren, dass sich Ös­terreich damit begnügt. Es fehlt in Österreich an ausreichenden Anreizen, auf die bio­logische Landwirtschaft umzusteigen, es fehlt an expliziten Initiativen – beispielsweise ein Bioaktionsplan, den es in den 2000er Jahren gegeben hat und den es seit 2010 nicht mehr gibt, um diese nachhaltigste und zukunftsfähigste Form der Landwirtschaft auszubauen.

Aus unserer Sicht gehören die Mittel für den Ausbau des biologischen Landbaus in Ös­terreich massiv erhöht, bis hin zu einer Verdoppelung des Ist-Zustandes, um die Re­gionen und den ländlichen Raum zu stärken. Am zielführendsten erscheint uns da eben die Wiedereinführung eines umfassenden Bioaktionsplans, der in Zusammenar­beit mit den Bioverbänden zu entwickeln wäre. So kann nämlich das Entwicklungs­potenzial in Österreich voll ausgeschöpft werden, und es können auch die dafür nö­tigen Begleitmaßnahmen, die es im Sektor Bildung, Forschung und Marktentwicklung braucht, umgesetzt werden.

Es gehört aber nicht nur der Biolandbau ausgebaut und erhalten, es müssen, um die kleinräumigen Strukturen am Land zu erhalten, wirkungsvolle Mittel gegen das Höfe­sterben entwickelt werden. Das Höfesterben geht nämlich ungebremst weiter. Seit 2010 sind über 5 800 Höfe aufgegeben worden. Die Pläne laufen derzeit aber genau in die entgegengesetzte Richtung: Investitionsförderungen wurden angehoben, diese hel­fen aber vor allem den großen Betrieben, die in die Intensivierung gehen wollen; Flä­chenförderungen, die vor allem die kleinen Betriebe dringend benötigen, sind gekürzt worden. Und oft scheint es so zu sein, als wäre die einzige Konsequenz hieraus: Wachsen oder Weichen. Weichen ist aber genau das, was wir in einer Zukunftsstrate­gie für den ländlichen Raum in Österreich nicht wollen. Wir müssen alles für einen starken ländlichen Raum, in dem die Menschen gerne bleiben wollen, tun. – Danke schön. (Beifall bei den Grünen und bei Bundesräten der ÖVP.)

11.03


Vizepräsidentin Inge Posch-Gruska: Als Nächster zu Wort gemeldet hat sich Herr Bundesminister Dipl.-Ing. Rupprechter. – Bitte.

 


11.03.51

Bundesminister für Land- und Forstwirtschaft, Umwelt und Wasserwirtschaft Dipl.-Ing. Andrä Rupprechter: Werte Frau Präsidentin! Hohes Haus! Erlauben Sie zunächst auch mir, dem Bundesland Niederösterreich zur Übernahme der Präsidentschaft und zu dem erfolgreichen Arbeitsprogramm, das Sie sich vorgenommen haben, zu gratulie­ren. Selbstverständlich werden mein Ressort und ich Sie dabei nach besten Kräften un­terstützen.

Ich bedanke mich auch dafür, dass Sie mich zu dieser Aktuellen Stunde zur Thematik der Zukunftsstrategie für den ländlichen Raum eingeladen haben. Ich denke, das ist ei­ne ausgesprochen aktuelle Thematik, die uns alle betrifft, denn eine ausgewogene räumliche Entwicklung muss im Mittelpunkt stehen, ist eine zentrale Aufgabenstellung für alle Politikbereiche, auch der Bundesregierung. Man kann heute die Bedeutung von sozialem und räumlichem Zusammenhang und Zusammenhalt nicht stark genug betonen.

Das ist auch gerade für den ländlichen Raum von Relevanz. Der ländliche Raum ist das Kernland Österreichs, er ist Bestandteil unseres Selbstverständnisses und damit von ganz wesentlicher Bedeutung – nicht nur in sozioökonomischer, sondern auch in emo­tionaler Hinsicht.


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Der ländliche Raum ist in Österreich nicht nur wegen seiner Flächenausdehnung von besonderer Bedeutung, sondern auch als Lebens-, Wirtschafts- und Sozialraum für im­merhin über fünf Millionen Menschen. Als Erholungsraum steht er nicht nur den Öster­reicherinnen und Österreichern – gerade in dieser Ferienwoche im östlichen Öster­reich – zur Verfügung, sondern er ist auch europaweit ein zentraler Erholungsraum und eine äußerst beliebte Urlaubsdestination. Dem ländlichen Raum eine Zukunftsstrategie zu geben, ist daher eine zentrale Aufgabe aller Politikbereiche. Es gilt, dem ländlichen Raum Perspektiven zu bieten, um ihn als vitalen, attraktiven Lebens-, Sozial-, Wirt­schafts- und eben auch Erholungsraum entwickeln zu können.

Im Rahmen der Gemeinsamen Agrarpolitik werden wir diesem Anspruch gerecht, ins­besondere indem wir Maßnahmen zur Stärkung der Landwirtschaft setzen, aber auch indem wir insgesamt allen Akteuren des ländlichen Raums bei der Umsetzung ihrer Maßnahmen, ihrer Aktivitäten entsprechend behilflich sind.

Diese Politikausrichtung der Gemeinsamen Agrarpolitik, diese zweite Säule der Ge­meinsamen Agrarpolitik, geht zurück auf einen Österreicher, der die europäische Politik ganz maßgeblich mitgestaltet hat: Agrarkommissar Franz Fischler hat in den zehn Jah­ren, in denen er als Kommissar für Landwirtschaft, Entwicklung des ländlichen Raumes und Fischerei gewirkt hat, diese zweite Säule der Gemeinsamen Agrarpolitik ganz maßgeblich ausgestaltet. In Österreich haben wir in der Umsetzung einen Schwerpunkt auf die Stärkung der ländlichen Räume gesetzt. Etwa zwei Drittel der im Rahmen der Gemeinsamen Agrarpolitik für Österreich vorgesehenen Mittel werden für die ländliche Entwicklung eingesetzt. EU-weit ist dieses Verhältnis von erster und zweiter Säule um­gekehrt.

Welche Strategie verfolgen wir mit der ländlichen Entwicklung? – Die Grundlage für die wirtschaftliche Entwicklung ist die Landwirtschaft, die Landbewirtschaftung. Der Weg der ökologisch orientierten Landwirtschaft, den wir verfolgen, im Sinne einer flächende­ckenden Ökologisierung der österreichischen Landwirtschaft, der Weg, den wir als Bei­trittsstrategie gewählt haben, die ökosoziale Agrarpolitik, setzt auf sichere, qualitativ hochwertige Lebensmittel, auf Landschaftspflege und Naturschutz und Erhalt der na­türlichen Ressourcen. Zentral ist es, regionale Wertschöpfung zu induzieren und damit Arbeitsplätze und Beschäftigung im ländlichen Raum zu schaffen.

Dazu setzt meine Strategie einerseits auf sektorspezifische Unterstützungsmaßnah­men, andererseits auch auf sektorübergreifende Investitions- und Bildungsaktivitäten im Rahmen des Österreichischen Programms für ländliche Entwicklung. Wir haben un­ser Programm für den Zeitraum 2014 bis 2020 bereits fertiggestellt. Das österreichi­sche Programm wurde am 12. Dezember 2014 als erstes von insgesamt 118 einge­reichten Programmen von der Europäischen Kommission genehmigt. Der zuständige Agrarkommissar Phil Hogan aus Irland hat bei der Präsentation das österreichische Programm als vorbildlich und Österreich als Vorreiter in der ländlichen Entwicklung be­zeichnet. Ich glaube, hierauf können wir gemeinsam stolz sein.

Für die Finanzierung des Programms stehen jährlich EU-Mittel aus dem Europäischen Landwirtschaftsfonds für die Entwicklung des ländlichen Raums ELER in der Höhe von immerhin 563 Millionen € zur Verfügung, über die sieben Jahre in Summe also fast 4 Mil­liarden €. Wir haben damit auch einen weit überdurchschnittlichen Anteil am ELER, mit 4 Prozent von 95 Milliarden € sind wir sogar Nettoempfänger im Rahmen der ländli­chen Entwicklung.

Gemeinsam mit den Beiträgen des Bundes und der Bundesländer – der nationale An­teil, die nationale Kofinanzierung ist ein maßgeblicher Teil des Arbeitsübereinkommens der Bundesregierung – haben wir insgesamt ein Programmvolumen von 1,1 Milliar­den € jährlich, also über sieben Jahre Investitionen in der Höhe von insgesamt 7,7 Mil­liarden € in die Wirtschaft im ländlichen Raum.


BundesratStenographisches Protokoll838. Sitzung / Seite 39

Das Programm und seine Strategie orientieren sich an den Herausforderungen der kom­menden Jahre, die auch in den Debattenbeiträgen vorhin sehr deutlich und richtig dar­gestellt wurden. Wir setzen im Sinne einer flächendeckenden Ökologisierung der hei­mischen Landwirtschaft im Wesentlichen beim bewährten Weg einer nachhaltigen, um­weltgerechten Landbewirtschaftung an. Mit dem neuen Programm setzen wir aber auch einen breiteren, innovativeren Ansatz um, beispielsweise mit Maßnahmen im Be­reich der sozialen Dienstleistungen im Sozialbereich, Maßnahmen zur Stärkung der kleinen und mittleren Unternehmungen und eben auch zur Unterstützung der Nutzung von erneuerbaren Energien, um auch den ländlichen Raum sehr stark an der notwen­digen Energiewende zu beteiligen. Auch die Unterstützung der Gründung von Unter­nehmen im ländlichen Raum, insbesondere im KMU-Bereich, ist ein Schwerpunkt in diesem Programm.

Zentral sind aber auch, wie bisher, Maßnahmen für die Land- und Forstwirtschaft. Da­bei geht es insbesondere um eine ressourcenschonende Produktion und den Erhalt der wertvollen Kulturlandschaft, die von der Land- und Forstwirtschaft, insbesondere auch der Almwirtschaft, ganz maßgeblich gestaltet werden. Mit einem umfassenden Maßnahmenbündel wird außerdem sichergestellt, dass die Land- und Forstwirtschaft innovativer, professioneller und wettbewerbsfähiger gemacht und der Fokus auf quali­tativ hochwertige Lebensmittel gesetzt wird.

Im Bereich der Investitionsförderung nützen wir die Hebelwirkung für die Wertschöp­fung der vor- und nachgelagerten Wirtschaftssektoren. Investitionen in die Modernisie­rung unserer Betriebe binden den vor- und nachgelagerten Bereich ein und sind ein sehr effektives Instrument zur Stärkung der Wettbewerbsfähigkeit nicht nur der bäuer­lichen Betriebe, sondern insgesamt der kleineren und mittleren Unternehmungen im länd­lichen Raum. Wir haben daher ganz bewusst die Mittel dafür um 25 Prozent aufge­stockt. Schwerpunkte sind auch hier die Umweltwirkung von Investitionen und eine bes­sere Ressourcennutzung.

Weitere wichtige Schwerpunkte sind auch ein breiteres Bildungs- und Innovationspro­gramm zur Stärkung des Know-hows in der Umsetzung über Bildungs- und Beratungs­leistungen sowie eine höhere Dotierung im Bereich Forschung und Entwicklung, vor al­lem über das neue Instrument der Europäischen Innovationspartnerschaft.

Es gibt weiters Infrastrukturmaßnahmen, die das Rückgrat der ländlichen Wirtschaft stär­ken sollen. Die Notwendigkeit des Ausbaus von Breitbandinternet wurde schon ange­sprochen. Da haben wir im Programm für ländliche Entwicklung für die Periode 2014 bis 2020 53 Millionen € als Ergänzung zur Breitbandmilliarde des Bundesministerium für Verkehr, Innovation und Technologie vorgesehen. Mit LEADER, dem bewährten An­satz, werden auch wie bisher ausgewählte Regionen unterstützt, wobei insbesondere der Bottom-up-Ansatz massiv gestärkt wird. Etwa 70 Regionen werden da wieder un­terstützt werden können.

Gemeinden – das möchte ich auch betonen – profitieren in besonderem Maße vom Programm für ländliche Entwicklung, weil alle Maßnahmen die Wirtschaftskraft und die Wirtschaftskreisläufe im ländlichen Raum stärken, weil eine Reihe von Maßnahmen direkt die Bedürfnisse der Gemeinden adressieren, wie zum Beispiel Kinder- und Alten­betreuung im Rahmen der sozialen Dienstleistungen, Bioheizwerke, der Ausbau des ländlichen Wegenetzes, die Breitbandinfrastruktur, und weil der ländliche Raum mit seinen Gemeinden durch alle Programmmaßnahmen insgesamt attraktiver gestaltet wird.

Geschätzte Mitglieder des Bundesrates! Frau Präsidentin! Hohes Haus! Der ländliche Raum ist meiner Meinung nach das Herz Österreichs. Seine Vitalität ist für den Stand­ort Österreich unglaublich wichtig, und ich bin stolz darauf, mit dem Programm für länd­liche Entwicklung Rahmenbedingungen geschaffen zu haben, die den ländlichen Raum


BundesratStenographisches Protokoll838. Sitzung / Seite 40

insgesamt stärken. Wir müssen durch weitere Maßnahmen dieses ländliche Entwick­lungsprogramm in anderen Politikbereichen ergänzen.

Ich werde gerne in einem zweiten Redebeitrag auf die Ansatzpunkte, die in den Debat­tenbeiträgen noch gebracht werden, eingehen. – Vielen Dank. (Beifall bei der ÖVP, bei Bundesräten der SPÖ sowie des Bundesrates Zelina.)

11.14


Vizepräsidentin Inge Posch-Gruska: Danke, Herr Minister.

Ich mache darauf aufmerksam, dass die Redezeit aller weiteren Teilnehmerinnen und Teilnehmer an der Aktuellen Stunde nach Beratung in der Präsidialkonferenz 5 Minu­ten nicht übersteigen darf.

Als Nächster zu Wort gemeldet ist Herr Bundesrat Preineder. – Bitte.

 


11.14.25

Bundesrat Martin Preineder (ÖVP, Niederösterreich): Geschätzte Frau Präsidentin! Herr Bundesminister! Werte Kolleginnen und Kollegen! Geschätzte Damen und Herren! Ich bin dankbar für das Thema „Zukunftsstrategie für den ländlichen Raum“ in dieser Aktuellen Stunde, weil der Bundesrat sich als Regionalrat vor allem durch seine Tätig­keit im EU-Ausschuss sehr gut positioniert hat und weil die Entwicklung der Regionen in unseren Bundesländern dem Bundesrat ein besonderes Anliegen ist. Es wurde schon darauf hingewiesen: Zwei Drittel der österreichischen Bevölkerung leben in die­sem ländlichen Raum, Kern des ländlichen Raums ist die Landwirtschaft, und das Herz sind unsere Bauern.

Ich darf deshalb speziell auf das Programm für ländliche Entwicklung für die Perio-
de 2014 bis 2020 eingehen, das jährlich 1,1 Milliarden € in die österreichische Land­wirtschaft und in den österreichischen ländlichen Raum bringt. Das Geld fließt zum einen in den Bereich des Agrarumweltprogramms, mit dem Fruchtfolge, Grünlanderhal­tung, Biodiversität gefördert werden, mit dem vor allem die biologische Landwirtschaft unterstützt wird. Es gibt einen Teil für die Bergbauern und die benachteiligten Gebiete, weil wir in Österreich flächendeckende Landwirtschaft haben wollen, aber auch, weil wir die Landschaft für Tourismus und Freizeitwirtschaft sehr, sehr notwendig brauchen.

Es gibt einen Teil für Investitionsförderung, weil es notwendig ist, dass die landwirt­schaftlichen Betriebe in die Zukunft investieren, und weil aus diesen Investitionen auch regionale Wertschöpfung erwachsen kann. Wir brauchen Bildung und Beratung, weil auch in der Landwirtschaft und in der Entwicklung des ländlichen Raums das Wissen in einer Wissensgesellschaft entscheiden wird. Und es ist notwendig – auch das ist ein Teil – unsere Junglandwirte zu unterstützen. Ich bin stolz darauf, dass wir in Österreich den höchsten Anteil an Jungbauern in ganz Europa haben.

Natürlich gehört dazu auch die Stärkung der Regionen, der Regionalprojekte, die Ent­wicklung von Genussregionen bis hin zur Dorferneuerung. Wir in Niederösterreich kön­nen in den nächsten Tagen 30 Jahre niederösterreichische Dorferneuerung feiern; bis dorthin geht Regionalentwicklung.

Geschätzte Damen und Herren, es gibt viele positive Ansätze in diesem Bereich, und es freut mich, dass ich in den nächsten Tagen die Vorsitzende des Agrarausschusses der Bundesrepublik Deutschland zu Gast haben werde: die Staatsministerin für Um­welt, Landwirtschaft, Ernährung, Weinbau und Forsten aus dem Bundesland Rhein­land-Pfalz, Frau Ulrike Höfken. Wir werden uns unter dem Titel „Wachsen ohne Wei­chen“ Projekte der Regionalentwicklung, der Landwirtschafts- und Agrarentwicklung anschauen, die im Zeichen von Sicherung und Schaffung von Arbeitsplätzen durch die Landwirtschaft stehen.

Da gilt es, sich positive Beispiele anzuschauen: Betriebe, die sich mit Direktvermark­tung von Gemüse, von Rindfleisch beschäftigen und viele neue Arbeitsplätze in ländli-


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chen Regionen schaffen, Dienstleistungsbetriebe mit Einstellpferden oder Bioeispro­duktion mit Verkaufsstandorten in Wien, Graz und in Zukunft auch in Klagenfurt. Wir werden uns auch den Träger des Innovationspreises der Österreichischen Jungbau­ernschaft anschauen, der sich in meiner Heimatregion, der Buckligen Welt, unter dem Titel „Bock auf Ziege“ mit Bioziegenkäseproduktion beschäftigt.

Geschätzte Damen und Herren, vor allem Herr Kollege Dörfler! Es ist gut, wenn man die Probleme analysiert, und ich stehe zu einer guten Problemanalyse, aber es ist auch notwendig, Lösungsansätze zu produzieren und Hoffnung und Zukunftschancen zu skizzieren. Ich glaube, gerade in der österreichischen Landwirtschaft hat der Bereich ländliche Entwicklung in seiner gesamten Breite eine durchaus positive Tradition, einen hohen Stellenwert. Diese Besonderheit müssen wir weiterentwickeln, dabei aber Irrtü­mer vermeiden.

Wir haben ein gutes Fördersystem für den ländlichen Raum, es muss aber einfacher, praktikabler und weniger bürokratisch gestaltet sein.

Wir haben eine umweltgerechte Landwirtschaft, die aber trotzdem auf integrierten Pflan­zenschutz setzt.

Wir haben weltweit den höchsten Anteil an Biolandwirtschaft, die sich aber nur mit dem Markt entwickeln kann.

Wir haben ein gesellschaftliches Bekenntnis zur Gentechnikfreiheit, aber dadurch nicht die billigsten Lebensmittel in Europa.

Wir haben regionaltypische Spezialitäten, die eines besonderen Schutzes bedürfen, aber damit auch Marktchancen in Übersee.

Wir haben kreative und innovative Bäuerinnen und Bauern, die sich nicht dem Diktat von Wachsen oder Weichen unterwerfen, sondern sich diesem erfolgreich entgegen­stellen.

Wir haben Bauern und vor allem Winzer, die stolz auf die Qualität ihrer Erzeugnisse sind, und nicht längst vergangenen Tagen nachtrauern.

Wir haben gut gebildete, zukunftsorientierte Jungbauern und Jungbäuerinnen mit vie­len Ideen, die durchlässige Grenzen hin zum Gewerbe brauchen.

Wir haben in der Agrarpolitik und in der Landwirtschaftskammer noch sehr viel zu tun. – Danke. (Beifall bei der ÖVP, bei Bundesräten der SPÖ sowie des Bundesrates Zelina.)

11.20


Vizepräsidentin Inge Posch-Gruska: Als Nächster zu Wort gemeldet hat sich Herr Bundesrat Schennach. – Bitte.

 


11.20.16

Bundesrat Stefan Schennach (SPÖ, Wien): Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr ge­schätzter Herr Minister! Lieber Edgar Mayer, meine Wiege stand zumindest auf 1 000 Me­ter und am Ende des Talschlusses, also ich glaube, ich weiß schon, wovon ich rede.

Wir reden über die „Zukunftsstrategie für den ländlichen Raum“, und leider, sehr ge­schätzter Kollege Preineder, zeigt mein Vorredner, dass die Krux der letzten 20 Jahre die ständige Verwechslung von ländlichem Raum mit Landwirtschaft und Agrarpolitik ist. Das ist das Problem. Die EU hat uns durch die ELER-Mittel in die Lage versetzt, die soziale Integration, die Armutsbekämpfung, die Wirtschaft voranzutreiben. Das ist in Österreich gegen den Widerstand der Agrarverbände erst seit 2014 möglich, und das nur mühsam mit einem Teil der Mittel, der 7,7 Milliarden €. Wie der Herr Minister zu Recht gesagt hat, ist man jetzt auf 3 Prozent, das sind 240 Millionen €, der Rest geht in die Agrarförderung.


BundesratStenographisches Protokoll838. Sitzung / Seite 42

Der Herr Dörfler hat gesagt: Stirbt die Schule, stirbt der Ort! – Der Ort stirbt früher. (Zwi­schenruf des Bundesrates Himmer.) Der Ort stirbt, wenn die Frauen aus den Dörfern abwandern. Und das ist ja das, was wir eigentlich feststellen – eine Null-Attraktivität. Bleiben wir im Gebiet des Herrn Kollegen Preineder, in der Landwirtschaft: Die Bäue­rinnen leisten 77 Prozent der Kinderbetreuungsarbeit, 80 Prozent der Pflegearbeit und noch dazu leisten 25 Prozent von ihnen Außenarbeiten.

Kollege Preineder sagt, wir hätten die meisten Jungbauern. Er vergisst dabei die Jung­bäuerinnen, die immer öfter Betriebsführerinnen werden, in der Altersgruppe von 18 bis 25 Jahren übernehmen vor allem Frauen die Betriebe. Es ist schön, wenn wir uns über Jungbauern freuen. Aber es sind die Frauen, die den Vielfachbelastungen in der Land­wirtschaft ausgesetzt sind. Deshalb sagen die Frauen, die in der Regel in ganz Ös­terreich – da macht Stadt und Land nicht ganz so viel Unterschied – höher gebildet sind als Männer, adieu zum Dorf (Beifall der Bundesräte Grimling, Dönmez und Schreyer), denn es fehlen ja ganz bestimmte Einrichtungen.

Wenn wir uns ansehen, dass es im ländlichen Raum in sechs von zehn Gemeinden ei­ne Betreuungsquote von unter 10 Prozent für Kinder unter drei Jahren gibt, muss man fragen: Welchen Bock haben junge Frauen, dort Kinder zu haben, bei doppelter Arbeit, Pflegeleistungen, und so weiter und so fort? Und wenn es nur in jeder fünften Gemein­de über 20 Prozent sind, dann ist das doch klar.

Die Sendung „Bauer sucht Frau“ genügt nicht, um die Dörfer zu retten. Im schönen Kärn­ten gibt es zum Beispiel ein Tal, in dem in den letzten zehn Jahren keine Ehe ge­schlossen worden ist, weil es keine Frauen gibt, die dort hingehen, weil es unattraktiv ist. Irgendjemand hat heute schon vom schönen Vereinsleben gesprochen. Bitte, was ist denn da interessant für die Frauen? Ein bisschen Schützenverein, ein bisschen Feuerwehr, ein bisschen Trachtenverein für eine moderne, gebildete Frau? Auch die Goldhauben sind wahrscheinlich etwas nicht wirklich Attraktives. (Beifall bei der SPÖ sowie der Bundesrätin Schreyer. – Zwischenruf bei der ÖVP.)

Deshalb stirbt dann der Ort. In meiner Gemeinde in Tirol, wo ich herkomme, gab es im letzten Jahr eine einzige Geburt, weil die Frauen gehen. Es gibt keine Attraktivität. Wo sind die Arbeitsplätze jenseits der Landwirtschaft? Wo sind die Ausbildungen? Wo ist die Infrastruktur? Infrastruktur heißt auch Mobilität, geistige Mobilität, kulturelle Mobili­tät. Das interessiert die jungen Frauen, und die sagen Tschüss zum ländlichen Raum.

Lieber Kollege Bock, ich glaube, 60 Prozent aller EU-Statistiken sagen, dass in 20 Jah­ren zwischen 70 und 75 Prozent der Menschen in den Städten leben werden. Nun, Kollege Dörfler, es wird dich vielleicht wundern: Die traurige Bilanz von Kärnten, die du gezogen hast, ist richtig. Aber vergessen wir nicht die 16 Jahre der Regierung Hai­der/Dörfler, denn das ist nicht in einem Jahr passiert, was du von Kärnten erzählt hast. (Beifall bei der SPÖ, bei Bundesräten der ÖVP sowie des Bundesrates Dönmez.)

Deshalb wird es wichtig sein, dass wir  (Zwischenruf des Bundesrates Dörfler.– Wir können gern über Kärnten reden, das ist immer ein schönes Thema, weil man dann auch ganz viele Fehlentwicklungen und viele Reformen sieht. (Bundesrätin Mühl­werth: Wir können uns auch gerne über die Rolle der SPÖ unterhalten!) Aber kommen wir zum Thema zurück: Wir werden diese 3 Prozent aus den ELER-Mitteln irgendwann verdoppeln müssen, damit wir anständige Kinderbetreuungseinrichtungen, anständige Bildungseinrichtungen, anständige Alternativen schaffen. Nur dann können wir die Ab­wanderung aufhalten und auch andere Arbeitsplätze schaffen, die dort notwendig sind.

Die EU gibt es uns in die Hand, wir haben nur in den letzten 20 Jahren alles in die Landwirtschaft gesteckt. Deshalb müssen wir jetzt schauen und uns daran orientieren, was junge Frauen in den Dörfern am Land brauchen. Wenn wir uns einmal auf sie kon-


BundesratStenographisches Protokoll838. Sitzung / Seite 43

zentrieren, sie in den Fokus nehmen und ihnen folgen, dann hat auch der ländliche Raum eine Chance. – Danke. (Beifall bei der SPÖ und bei Bundesräten der ÖVP.)

11.26


Vizepräsidentin Inge Posch-Gruska: Als Nächster zu Wort gelangt Herr Bundesrat Dr. Schmittner. – Bitte.

 


11.26.23

Bundesrat Dr. Dietmar Schmittner (FPÖ, Salzburg): Sehr verehrte Frau Vizepräsi­dentin! Herr Bundesminister! Kolleginnen und Kollegen! – Und natürlich die Fernsehzu­schauer! Da hoffe ich, dass auch sehr viele Altbauern zuschauen, denn ich werde mich hauptsächlich mit dem Thema Bauernschaft und Landwirtschaft beschäftigen. (Bun­desrat Stadler: Glaubst, die haben Zeit?)

Herr Bundesminister, ich glaube, eine erfolgreiche Politik für den ländlichen Raum hängt letztendlich auch davon ab, inwieweit wir eine Bauernschaft haben, die für ihre harte Arbeit und die hervorragenden Produkte ordentlich entlohnt wird. Am Sonntag hat mir ein Bauer im Pongau seinen Pensionsbescheid gezeigt und gefragt: Herr Doktor, kön­nen Sie mir da nicht helfen? – Er hat 47 harte Jahre gearbeitet, bekommt nun 412,45 €, davon 63,60 € Ausgleichszulage. Das ist die Hälfte dessen, was jeder Asylant, jeder Flüchtling und arbeitsscheue Österreicher an Mindestsicherung kriegt. Das muss man sich einmal vorstellen! (Bundesrat Füller: Ein Klassiker!) Und das ist der ländliche Raum, auch die Bauernschaft.

Ich fühle mich da überhaupt ein bisschen wie im falschen Film, angesichts dessen, was ich hier heute so gehört habe, wie gut es den Bauern gehe. Ich besuche anscheinend dauernd die falschen Bauern, denn bei mir klagen sie sehr viel an.

Jetzt komme ich gleich zum nächsten Thema: Almen. Almen sind ja Teil des ländlichen Raumes, da geht es natürlich um die leidvolle Almflächenförderung. Ich gestehe Ihnen zu, Herr Bundesminister, in der ersten Zeit Ihrer Regentschaft hat es wesentliche Ver­besserungen gegeben, Strafzahlungen wurden nicht eingehoben beziehungsweise wur­den zurückgezahlt. Aber mir kommt vor, dass jetzt wieder der alte Trott einkehrt.

Was ist das Grundproblem? – Ich habe vor ein paar Tagen einen Hundesteuerbe­scheid bekommen. Was kriegt der Bauer, wenn man ihm die Betriebsprämie oder Förderungen nach dem ÖPUL kürzt? – Er kriegt einen Erlagschein, und wenn die AMA ganz gut ist, dann kriegt er eine Mitteilung, aber er kriegt keinen Bescheid, gegen den er Rechtsmittel ergreifen kann. Ich fordere für die Bauern – erzählt es herum, ihr vor den Fernsehern – für jede Aktion, jede Entscheidung der AMA, die mit finanziellen Aus­wirkungen für die Bauernschaft verbunden ist, einen Bescheid mit einem Rechtsmittel­zug, der bis zum Verwaltungsgerichtshof gehen muss.

Auch ein Ermittlungsverfahren, das dem AVG entspricht, muss stattfinden, was bei den sogenannten VOKs nicht der Fall ist. – Ich weiß nicht, ob das jeder kennt, ich habe das am Anfang auch nicht gewusst und zu einem Bauern gesagt: Du, mir ist ein Speck ei­gentlich lieber als das! – Es bedeutet Vor-Ort-Kontrolle. Diese laufen in der Regel so ab, dass zwei Kontrolleure kommen, meistens mit sehr komplizierten Erhebungsbö­gen – da muss der Bauer schon eine Mischung aus Computerfachmann und Fremd­sprachenexperte sein, wenn er sich das durchliest –, der Bauer füllt das aus, unter­schreibt, und am nächsten Tag füllen die Beamten das im Büro aus. (Zwischenruf des Bundesrates Tiefnig.) Das ist in der Regel die VOK, darum ist sie ja von der Bauern­schaft gefürchtet.

Ich glaube, Herr Bundesminister, da gehört sehr viel getan, die Bauern brauchen Rechts­sicherheit. Jeder Häuslbauer kriegt einen Bescheid, jeder, der eine Steuer zu zahlen hat, kriegt einen Bescheid, aber der Bauer kriegt nur einen Erlagschein. – Das geht nicht, da gehört eine Begründung her!


BundesratStenographisches Protokoll838. Sitzung / Seite 44

Nächster Punkt: Landschaftselemente. Das ist ein sehr großes Thema. Ich war am Freitag in Mittersill – wir haben ja jetzt Landwirtschaftskammerwahlen in Salzburg, wo man mit sehr vielen Problemen konfrontiert ist –, und dort müssen Bauern, die Pächter von landwirtschaftlichen Flächen sind, einen Punkteabzug hinnehmen, nur weil der Grundeigentümer sogenannte Landschaftselemente ohne naturschutzbehördliche Be­willigung beseitigt. (Bundesminister Rupprechter: Das stimmt so nicht !)

Das stimmt sicher, denn am Donnerstag tagte ein Einzelfallgremium, und da ist der ei­ne Bauer, ich kann sogar seinen Namen nennen, schon wieder durchgefallen. Dessen Eigentümer hat das beseitigt. – Und das finde ich nicht richtig. Ich glaube, auch dieses Problems wird man sich bewusst sein.

Was gehört noch zum ländlichen Raum? – Wildbäche, Gefahrenzonen  (Bundesrätin Zwazl: Betriebe!) – Nein, ich rede jetzt darüber, über das andere haben wir eh so viel geredet.

Zu den Gefahrenzonenplänen: Ich war vorige Woche in Werfenweng. Sie kennen ja das Szenario, es gibt ja eine eigene Verordnung Ihres Ministeriums – die ist schon alt, die Verordnung, ich glaube, aus dem Jahr 1956. Da wird eben aufgrund eines Vor­schlages der zuständigen Gebietssektion ausgearbeitet, wer in die gelbe, wer in die rote Zone kommt. Da gibt es eine Begehung, da dürfen die Grundeigentümer die Ein­wände dokumentieren, dann gibt es ein Schlussprotokoll, das wird dem Ministerium zu­geschickt, und aus ist es, es wird verordnet. Der Grundeigentümer hat auch da, wie im alten Rom, überhaupt keine Rechtsstellung. Auch das gehört verbessert!

Also das sind nur einige Probleme des ländlichen Raumes, die, glaube ich, mit dieser Scheinwelt, die man da zu vermitteln versucht, nichts gemein haben. – Danke. (Beifall bei der FPÖ.)

11.31


Vizepräsidentin Inge Posch-Gruska: Als Nächste zu Wort gemeldet ist Frau Bun­desrätin Dr. Reiter. – Bitte.

 


11.32.02

Bundesrätin Dr. Heidelinde Reiter (Grüne, Salzburg): Hohes Präsidium! Herr Minis­ter! Werte Kollegen und Kolleginnen! Es ist schon sehr viel gesagt worden, aber noch nicht von allen. Ehrlich gesagt tue ich mich auch mit der Abgrenzung des ländlichen Raumes schwer. Wo beginnt der Zentralraum? Wo beginnt der ländliche Raum? Wo beginne ich dann, auch entsprechende Strategien für diesen Raum zu entwickeln?

Noch schlimmer wird das ja, wenn wir uns das in globalen Maßstäben anschauen, näm­lich die Größe Österreichs und die Größe unserer Zentralräume. Wir haben in ganz Österreich so viele Einwohner, dass wir global gesehen zu den kleineren großen Städ­ten gehören. Die Schweiz hat schon vor vielen Jahren im Bereich der Raumordnung versucht, die ganze Schweiz als städtischen Raum zu definieren, weil eben auch die ländlichen Räume eng mit den Ballungsgebieten verwoben sind, Erholungsräume sind und so weiter. – Also ich tue mich da wirklich etwas schwer.

Ich möchte aber ein sehr positives Beispiel bringen, um das hier nicht einfach so ste­hen zu lassen. Der Kommunikationspreis zur Gemeinsamen Agrarpolitik konnte für die Informationskampagne „Lebenswert. Österreich. Die neue Ländliche Entwicklung 2020“ nach Österreich geholt werden. Es gab über 1 500 Einreichungen, und dieser Preis ist an das österreichische Projekt gegangen. Ich finde das ganz großartig. Es ist auch das Internet-Voting an Österreich gegangen, wo ein italienisches und ein französisches Projekt Konkurrenten waren, die also von der Einwohnerzahl her und von der Zahl je­ner, die dahinter gestanden sind, weit überlegen waren. Ich finde das ermutigend und möchte es deshalb hier auch erwähnen – auch weil ich es bezeichnend dafür finde,


BundesratStenographisches Protokoll838. Sitzung / Seite 45

was Zukunftsstrategie für den ländlichen Raum bedeuten kann und hoffentlich auch weiterhin bedeutet.

Zum Projekt, nur ganz kurz: Ein – nein, ich sage nicht „einfacher Bauer“ – Bauer setzte sich in den Kopf, vom Aussterben bedrohte Haustierrassen zu züchten, um sie zu er­halten – ein Kulturgut, wichtige Genreserve und so weiter. Ich erwähne hier nur eines dieser Tiere, das ist die Sprinzen, das Wiener Rind. Dieses ist ursprünglich in Südtirol für die Fleischversorgung Wiens gezüchtet worden. Diese Zucht wurde von den Fa­schisten aus politischen Gründen verboten. Wenige Individuen haben eben dank der Sturheit einiger Südtiroler auf den Hochalmen überlebt, und diesem Bauern ist es ge­lungen, einige dieser Tiere zu erwerben, was auch nicht einfach war. Das Ganze ist wirklich filmreif.

Die Zucht ist schwierig, und es ist notwendig, das Ganze auf eine wissenschaftliche Basis zu stellen. Das gelingt, und zwar mit ÖNGENE, mit engagierten Tierärzten. Es gibt inzwischen Gendatenbanken, entsprechende Anpaarungsempfehlungen, also das läuft auf einem hohen und internationalen wissenschaftlichen Standard.

Es braucht für das Ganze auch eine wirtschaftliche Basis: Es braucht Kooperationen mit anderen Landwirten, es braucht Information, es braucht Einbindung einer größeren Öffentlichkeit als Konsumenten, als Unterstützer einer artgerechten Tierhaltung, einer umweltgerechten Landwirtschaft und um den Gedanken der Biodiversität, nämlich dass vor allem in der Vielfalt die Chance für unsere Zukunft liegt, zu propagieren und zu verankern.

Das ist in diesem Fall gelungen, auch und vor allem mit der Unterstützung Ihres Minis­teriums – danke schön. Das macht wirklich Hoffnung, denn ich bin fest davon über­zeugt, dass die wesentliche Zukunftsstrategie für den ländlichen Raum, und nicht nur für diesen, ist, Chancen und Möglichkeiten zu erkennen, die Potenziale zu heben. Die Herausforderungen sind groß und vielfältig, aber auch die Potenziale, die wir in diesem Land haben.

Gestatten Sie mir noch einen kurzen Schwenk: TTIP halte ich in diesem Zusammen­hang für völlig kontraproduktiv. Ich halte es für eine Strategie von vorgestern, zur Ab­sicherung der Interessen von Großkonzernen mit einer Bürokratie nicht nur hoch zwei, sondern hoch vier zu agieren, denn das führt dazu, dass diese Strukturen weiter wu­chern, befördert und gedüngt werden – eben von so etwas wie TTIP – und möglicher­weise alles an Innovativem, an Neuem und anderem ersticken.

Es ist für mich kein Trost, dass die Dinosaurier auch ausgestorben sind, denn sie sind es erst nach einer großen Katastrophe. Das Absichern bestehender Großstrukturen durch Definition von Standards, durch Ausschließen Dritter ist meines Erachtens eine Politik von gestern. Ich bin derzeit in Sachen TTIP viel unterwegs, und im besten Fall finde ich es unendlich langweilig.

Wir müssen versuchen, unsere Probleme zu lösen, in großer Vielfalt, mit Engagement, und wir müssen aber auch Strukturen zurückbauen, die einfach zu groß geworden sind. Das genauer auszuführen, dazu fehlt mir leider die Zeit, aber lesen Sie bei Leo­pold Kohr, einem Nationalökonomen, Juristen, Staatswissenschaftler und Philosophen aus dem ländlichen Salzburg nach. – Danke. (Beifall bei den Grünen sowie des Bun­desrates Tiefnig.)

11.38


Vizepräsidentin Inge Posch-Gruska: Zu einer abschließenden Stellungnahme hat sich nochmals Herr Bundesminister Rupprechter zu Wort gemeldet. – Bitte, Herr Mi­nister.

 



BundesratStenographisches Protokoll838. Sitzung / Seite 46

11.38.13

Bundesminister für Land- und Forstwirtschaft, Umwelt und Wasserwirtschaft Dipl.-Ing. Andrä Rupprechter: Sehr geehrte Frau Präsidentin! Hohes Haus! Erlauben Sie mir, ganz kurz auf einige Debattenbeiträge einzugehen. Herr Bundesrat Kneifel, ich woll­te nur hinsichtlich der Bundesdienststellen, die sich sozusagen in der Bundeshaupt­stadt konzentrieren, darauf hinweisen, dass das stimmt, da hattest du natürlich recht. Aber ich glaube, mein Ressort agiert da vorbildlich, von einer Vielzahl von Bundesäm­tern und Höheren Bundeslehranstalten bis hin zu den Gebietsbauleitungen der Wild­bach- und Lawinenverbauung, die ihr segensreiches Wirken draußen in den Regionen, in den Bundesländern, in den ländlichen Räumen erbringen. Da, glaube ich, darf ich mich hier als Vorbildressort darstellen.

Herr Bundesrat Dörfler, Sie haben auf den Strukturwandel, auf die Abwanderung aus der Landwirtschaft hingewiesen. Dazu muss ich darauf hinweisen, dass wir vor dem EU-Beitritt Abwanderungsraten zwischen 3 und 5 Prozent hatten, je nach Jahr, und seit dem EU-Beitritt – das bestätigen Ihre Zahlen – hat sich eine Verflachung der Abwande­rung ergeben. Wir sind derzeit bei 1 bis 1,5 Prozent. Das ist wirklich ein sehr verträg­licher Strukturwandel, der sich da ergibt.

Auch was Ihre Agrarhandelsbilanzstatistiken anbelangt, muss ich etwas richtigstellen: Es war so, dass wir vor dem EU-Beitritt ein strukturelles Agrarhandelsdefizit hatten, in der Größenordnung von 1,5 Milliarden €.

Zwischenzeitig war das in der Hochphase sogar fast ausgeglichen. Heute liegen wir bei einem Defizit von etwa 500 Millionen €, aber es haben sich – Ihre Zahlen in der Grö­ßenordnung von 10 Milliarden € stimmen – die Exporte, die Lieferungen in die Europäi­sche Union und in Drittstaaten im Bereich der Landwirtschaft und Lebensmittelwirt­schaft verfünffacht. Das heißt, die österreichische Landwirtschaft und die Lebensmit­telwirtschaft, also Zollkapitel 1 bis 24, haben die Chancen des europäischen Marktes und der Drittlandmärkte wirklich genutzt und konnten hier erfolgreich reüssieren.

Herr Bundesrat Dörfler, auch was die Holzwirtschaft anbelangt, möchte ich schon da­rauf hinweisen, dass die Forst- und Holzwirtschaft neben dem Tourismus der zweit­größte Devisenbringer in Österreich ist. (Bundesrat Dörfler hält einen Zeitungsaus­schnitt in die Höhe.) Sie haben auf Importe hingewiesen: Ich darf darauf hinweisen, dass Ihre Parteifreunde in der Sägewirtschaft die größten Importeure sind – das möch­te ich nur festhalten.

Frau Bundesrätin Schreyer, mit meinen Tiroler Grünen habe ich wirklich eine große Freu­de. Wir sind – und ich glaube, das ist unbestritten – das größte Bioland mit einem An­teil der biologischen Bewirtschaftung von 20 Prozent der landwirtschaftlichen Nutzflä­che. Ich würde die Tiroler Grünen auffordern, sich ein Beispiel an den Salzburgern zu nehmen, denn dort haben wir 50 Prozent. Ihr seid jetzt dort in der Regierung, ihr könnt ja etwas dazu beitragen, dass mehr Bauern in die Biolandwirtschaft einsteigen. Wir ha­ben auch die Mittel aufgestockt. Leider tut ihr momentan eher viel für die Biovertrei­bung, das muss ich schon einmal deutlich sagen. (Oh-Rufe und Heiterkeit bei der ÖVP.)

Herr Bundesrat Schennach, was die 3 Prozent soziale Dienstleistungen anbelangt: Das ist richtig, der soziale Zusammenhalt ist uns auch sehr wichtig und ein großes Anlie­gen, das ist schließlich die Grundlage für den sozialen Frieden, auch im ländlichen Raum, aber die Agrarpolitik – auch die ländliche Entwicklungspolitik ist Teil der Agrar­politik – kann hier nicht allein tätig sein. Wir stellen gerne diese 3 Prozent zur Verfü­gung, aber Kinderbetreuungseinrichtungen muss man schon aus anderen Töpfen fi­nanzieren, und ich durfte die Frau Familienministerin hier im Bundesrat vertreten, als wir das große Familienpaket verabschiedet haben, im Zuge dessen es daraus eben jetzt massive Investitionen im ländlichen Raum gibt, um Kinderbetreuungseinrichtun­gen auch im ländlichen Raum sicherzustellen. (Bundesrat Schennach: Und die Pfle-


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ge?) Wir brauchen wirtschaftliches Auskommen und attraktive Arbeitsplätze, gerade für die jungen Frauen, damit sie auch im ländlichen Raum ein Auskommen haben.

Herr Bundesrat Schmittner, was die Almen anbelangt, sind wir, glaube ich, einer Mei­nung, dass wir das Problem, das es in der Vorphase meines Amtsantrittes gegeben hat, mittlerweile gelöst haben. Ich kann gerne einmal einen eigenen Bericht dazu brin­gen, wo wir dann ausführlich darüber debattieren können, dafür stehe ich gerne zur Ver­fügung.

Sie haben von der Vor-Ort-Kontrolle gesprochen. Ich darf darauf hinweisen, dass die Steuerzahler von uns erwarten, dass wir bei einem Einsatz von immerhin 1,8 Milliar­den € für die erste und zweite Säule auch ordentlich darüber Bericht erstatten, wie diese Mittel eingesetzt werden, und daher ist auch eine entsprechende Kontrolle vorge­sehen. Gerade der österreichische Rechnungshof – Sie alle kennen den Präsidenten – hat wiederholt auf die Notwendigkeit der Verstärkung der Vor-Ort-Kontrollen hingewie­sen. Dem sind wir nachgekommen; als Exekutive sind wir dem Rechnungshof, dem Kontrollorgan des Hohen Hauses, auch verpflichtet. Insbesondere im Zusammenhang mit den Landschaftselementen hat es die Aufforderung gegeben, dass wir diese digital erfassen, um das auch entsprechend kontrollieren zu können.

Sie haben angesprochen, dass ein Eigentümer im Pachtverhältnis bestraft wurde. Dies­bezüglich möchte ich richtigstellen, dass dieser sicherlich nicht von uns, sondern in die­sem Fall ganz eindeutig aufgrund eines naturschutzrechtlichen Verfahrens bestraft wur­de. Naturschutz ist, wie Sie wissen, Landessache und sicher nicht Zuständigkeit mei­nes Ressorts. Da muss man schon die Kuh im Stall lassen.

Zum Abschluss, Frau Bundesrätin Reiter, nur zur Bestätigung: Hinsichtlich der vom Aus­sterben bedrohten Nutztierrassen gibt es eine Maßnahme in dem neuen Ländlichen Entwicklungsprogramm. Ich bin selbst Pate von zwei Südtiroler Sprinzen, die sich im Tirolerhaus im Tiergarten Schönbrunn befinden, übrigens aus meiner Heimatgemein­de – das Tirolerhaus, nicht die Sprinzen. (Heiterkeit bei der ÖVP.) Sie können gerne – und ich lade Sie ein – auch die Patenschaft von einem dieser Sprinzen übernehmen. – Vielen Dank, Frau Präsidentin, vielen Dank, Hohes Haus! (Beifall bei der ÖVP sowie bei Bundesräten der SPÖ.)

11.45

Vizepräsidentin Inge Posch-Gruska: Danke schön, Herr Minister.

Die Aktuelle Stunde ist beendet.

11.45.01Einlauf

 


Vizepräsidentin Inge Posch-Gruska: Hinsichtlich der eingelangten, vervielfältigten und verteilten Anfragebeantwortungen 2811/AB-BR/2014 bis 2833/AB-BR/2015 und

eines Schreibens des Bundeskanzleramtes betreffend den Aufenthalt eines Mitgliedes der Bundesregierung in einem anderen Mitgliedstaat der Europäischen Union und

jenes Schreibens des Bundeskanzleramtes gemäß Artikel 23c Abs. 5 Bundes-Verfas­sungsgesetz betreffend österreichische ordentliche und stellvertretende Mitglieder für den Ausschuss der Regionen der EU für die neue Periode 2015 bis 2020

verweise ich auf die im Sitzungssaal verteilten Mitteilungen gemäß § 41 Abs. 1 der Ge­schäftsordnung des Bundesrates, die dem Stenographischen Protokoll dieser Sitzung angeschlossen werden.

Die schriftlichen Mitteilungen haben folgenden Wortlaut:

Liste der Anfragebeantwortungen (siehe S. 5)

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Schreiben des Bundeskanzlers betreffend Nominierung gemäß Art. 23c Abs. 5 B-VG:


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Schreiben des Bundeskanzleramtes betreffend Aufenthalt eines Mitgliedes der Bun­desregierung in einem anderen Mitgliedstaat der Europäischen Union:


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Vertretung von Mitgliedern der Bundesregierung

 


Vizepräsidentin Inge Posch-Gruska: Weiters eingelangt sind Schreiben des Minister­ratsdienstes des Bundeskanzleramtes betreffend den Aufenthalt des Bundesministers für Justiz Dr. Wolfgang Brandstetter vom 2. bis 8. Februar 2015 in den USA bei gleich­zeitiger Beauftragung der Bundesministerin für Gesundheit Dr. Sabine Oberhauser mit dessen Vertretung und des Bundesministers für Verkehr, Innovation und Technologie Alois Stöger, dipl. vom 31. Jänner bis 9. Februar 2015 auf den Malediven bei gleich­zeitiger Beauftragung der Bundesministerin für Bildung und Frauen Gabriele Heinisch-Hosek.

*****

Einlauf und Zuweisungen

 


Vizepräsidentin Inge Posch-Gruska: Eingelangt sind die nachstehend genannten Be­richte, die wie folgt den genannten Ausschüssen zur Vorberatung zugewiesen wurden:

Jahresvorschau des BMJ auf der Grundlage des Legislativ- und Arbeitsprogramms der Europäischen Kommission für 2015 sowie des Achtzehnmonatsprogramms des italieni­schen, lettischen und luxemburgischen Ratsvorsitzes – zugewiesen dem Justizausschuss;

Sozialbericht 2013–2014 und Jahresbericht 2015 des Bundesministers für Arbeit, So­ziales und Konsumentenschutz gemäß Art. 23f Abs. 2 B-VG und § 7 EU-InfoG auf der Grundlage des Legislativ- und Arbeitsprogramms der Europäischen Kommission für 2015 und des lettischen Arbeitsprogramms für das 1. Halbjahr 2015 sowie des Achtzehnmo­natsprogramms des italienischen, lettischen und luxemburgischen Ratsvorsitzes – zu­gewiesen dem Ausschuss für Arbeit, Soziales und Konsumentenschutz;

Jahresvorschau des BMG 2015 auf der Grundlage des Legislativ- und Arbeitspro­gramms der Europäischen Kommission für 2015 und des Programms des Rates (Lett­land und Luxemburg) – zugewiesen dem Gesundheitsausschuss;

Strategische Jahresplanung 2015 des Bundesministeriums für Bildung und Frauen auf der Grundlage des Arbeitsprogramms der Europäischen Kommission und des Arbeits­programms der lettischen Präsidentschaft sowie des 18-Monatsprogramms der italieni­schen, lettischen und luxemburgischen Präsidentschaften – zugewiesen dem Ausschuss für Unterricht, Kunst und Kultur;

Bericht der Bundesministerin für Inneres an das österreichische Parlament Legislativ- und Arbeitsprogramm der Europäischen Kommission für 2015 Achtzehnmonatspro­gramm des italienischen, lettischen und luxemburgischen Vorsitzes des Rates der Eu­ropäischen Union – zugewiesen dem Ausschuss für innere Angelegenheiten;

EU-Jahresvorschau des Bundesministeriums für Land- und Forstwirtschaft, Umwelt und Wasserwirtschaft 2015 – zugewiesen dem Ausschuss für Land-, Forst- und Was­serwirtschaft;

Bericht des Bundeskanzlers und des Bundesministers für Kunst und Kultur, Verfassung und Medien an das Parlament zum Arbeitsprogramm der Kommission für 2015 und zum 18-Monatsprogramm des Rates für 2014/15 gemäß Art. 23f Abs. 2 B-VG iVm § 7 EU-InfoG – zugewiesen dem Ausschuss für Verfassung und Föderalismus;

EU-Vorhaben – Jahresvorschau 2015 des Bundesministeriums für Wissenschaft, For­schung und Wirtschaft – zugewiesen dem Wirtschaftsausschuss;

EU-Arbeitsprogramm 2015; Bericht des Bundesministers für Europa, Integration und Äu­ßeres – zugewiesen dem Ausschuss für auswärtige Angelegenheiten;


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Jahresvorschau des BMVIT 2015 auf der Grundlage des Legislativ- und Arbeitspro­gramms der Kommission sowie des operativen Jahresprogramms des Rates – zuge­wiesen dem Ausschuss für Verkehr, Innovation und Technologie.

Weiters eingelangt sind und den zuständigen Ausschüssen zugewiesen wurden jene Verhandlungsgegenstände, die jeweils Gegenstand der heutigen Tagesordnung sind. Die Ausschüsse haben ihre Vorberatungen abgeschlossen und schriftliche Ausschuss­berichte erstattet.

Absehen von der 24-stündigen Aufliegefrist

 


Vizepräsidentin Inge Posch-Gruska: Es ist mir der Vorschlag zugekommen, hinsicht­lich des Tagesordnungspunktes 6 von der 24-stündigen Aufliegefrist des gegenständli­chen Ausschussberichtes Abstand zu nehmen.

Ich bitte daher jene Bundesrätinnen und Bundesräte, die mit dem Vorschlag einver­standen sind, bei dem gegenständlichen Ausschussbericht zu Tagesordnungspunkt 6 von der 24-stündigen Aufliegefrist Abstand zu nehmen, um ein Handzeichen. – Das ist Stimmeneinhelligkeit. Der Vorschlag ist mit der nach § 44 Abs. 3 der Geschäftsord­nung des Bundesrates erforderlichen Zweidrittelmehrheit angenommen.

*****

Ich habe die zuvor genannten Verhandlungsgegenstände auf die Tagesordnung der heu­tigen Sitzung gestellt.

Wird zur Tagesordnung das Wort gewünscht? – Es ist dies nicht der Fall.

Behandlung der Tagesordnung

 


Vizepräsidentin Inge Posch-Gruska: Es liegt mir der Vorschlag vor, die Tagesord­nungspunkte 4 und 5 unter einem zu verhandeln.

Erhebt sich dagegen ein Einwand? – Das ist nicht der Fall.

11.50.091. Punkt

Beschluss des Nationalrates vom 21. Jänner 2015 betreffend ein Bundesgesetz, mit dem das Fortpflanzungsmedizingesetz, das Allgemeine bürgerliche Gesetz­buch, das Gentechnikgesetz und das IVF-Fonds-Gesetz geändert werden (Fort­pflanzungsmedizinrechts-Änderungsgesetz 2015 – FMedRÄG 2015) (445 d.B. und 450 d.B. sowie 9316/BR d.B. und 9318/BR d.B.)

 


Vizepräsidentin Inge Posch-Gruska: Wir gehen in die Tagesordnung ein und gelan­gen zum 1. Punkt.

Ich darf in Vertretung der leider erkrankten Bundesministerin Dr. Sabine Oberhauser Frau Bundesministerin Gabriele Heinisch-Hosek bei uns sehr herzlich begrüßen. Liebe Gabi, willkommen! (Allgemeiner Beifall.)

Gleichzeitig darf ich sicher im Namen des gesamten Bundesrates unserer Ministerin Sabine Oberhauser die besten Genesungswünsche senden und alles, alles Gute wün­schen.

Berichterstatter zu diesem Punkt ist Herr Bundesrat Preineder. – Bitte um den


BundesratStenographisches Protokoll838. Sitzung / Seite 63

Bericht.

 


11.50.56

Berichterstatter Martin Preineder: Geschätzter Bundesrat! Ich bringe den Bericht des Gesundheitsausschusses über den Beschluss des Nationalrates vom 21. Jänner 2015 betreffend ein Bundesgesetz, mit dem das Fortpflanzungsmedizingesetz, das Allgemei­ne bürgerliche Gesetzbuch, das Gentechnikgesetz und das IVF-Fonds-Gesetz geän­dert werden.

Der Gesundheitsausschuss stellt nach Beratung der Vorlage am 3. Februar 2015 mit Stimmenmehrheit den Antrag, gegen den vorliegenden Beschluss des Nationalrates kei­nen Einspruch zu erheben.

 


Vizepräsidentin Inge Posch-Gruska: Ich danke für den Bericht.

Wir gehen in die Debatte ein.

Zu Wort gemeldet ist Frau Bundesrätin Mühlwerth. – Bitte.

 


11.51.41

Bundesrätin Monika Mühlwerth (FPÖ, Wien): Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr ge­ehrte Frau Minister! Sehr geehrte Damen und Herren im Saal und an den Bildschirm­geräten zu Hause! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Wir diskutieren heute über das Fortpflanzungsmedizingesetz, über ein Gesetz, bei dem das Höchstgericht ein Urteil gesprochen hat. Und zwar hat der Verfassungsgerichtshof festgestellt, dass Unglei­ches gleich zu behandeln ist, und hat daher Teile des Fortpflanzungsmedizingesetzes aufgehoben.

Was war der Auslöser? – Ein lesbisches Paar hat geklagt, dass es nicht in den Genuss der Fortpflanzungsmedizin kommen kann. Und es war nicht so, dass man da innege­halten hätte. Selbstverständlich muss man einem Höchstgerichtsurteil Folge leisten, das bekritteln wir nicht, aber wir bekritteln, dass hier nicht innegehalten wurde bei so einem wichtigen Gesetz, um wirklich darüber nachzudenken, was für ein Gesetz be­schlossen werden soll und nach welchen ethischen und moralischen Grundsätzen die­ses Gesetz beschlossen werden soll. Denn es kann nicht sein, dass wir ein Gesetz be­schließen, nur weil es machbar ist. Es ist bei jedem Gesetz und gerade bei einem so wichtigen Gesetz, das den Menschen so tief greifend betrifft, nachzudenken und or­dentlich zu diskutieren, ob das, was machbar ist, auch wirklich gewünscht ist. Aber Sie haben, wie Sie das so oft tun, in aller Eile und in aller Schnelligkeit ein Gesetz ge­bastelt, das jetzt so vorliegt, wie es eben vorliegt, und dem wir – das ist sicher keine Überraschung für Sie – ganz sicherlich nicht zustimmen werden.

Man muss schon auch beleuchten, was dazu führt, dass so ein Gesetz beschlossen wird. Wir leben heute in einer Welt der Beliebigkeit: Jeder darf alles, es ist alles erlaubt, es ist nichts verboten, und jeder darf das tun, was er will. Die ungeschriebenen Re­geln – was man tut und was man nicht tut oder was man tun kann und was man nicht tun kann –, die zum Beispiel in meiner Kindheit noch gegolten haben, die gibt es ein­fach nicht mehr, die existieren nicht mehr, die sind abgeschafft worden.

Heute ist es so: Weite Teile der Gesellschaft müssen alles haben, und das jetzt, sofort und sogleich. „Geiz ist geil!“ und „Ich bin doch nicht blöd!“, Werbeslogans zweier gro­ßer Handelsketten, kennzeichnen das schon sehr. Bescheidenheit, Verzicht, Disziplin, Selbstbeschränkung und Verlässlichkeit sind scheinbar keine Tugenden, mit denen man heute noch Furore machen kann. Scheinbar deswegen, weil es meistens eine Minder­heit ist, die sofort laut „Diskriminierung“ schreit, wenn ihr irgendetwas nicht passt, und die Medien, die da immer mit dabei sind und eines Sinnes sind, das willig aufgreifen und uns dann vorgegaukelt wird, das sei die Mehrheit, alle wollen das eigentlich. Aber das stimmt nicht. Und weil Sie der Überzeugung sind, dass alles, was machbar ist, auch getan werden muss, haben wir nun einmal dieses Gesetz.

Es ist aber so – und da bin ich wieder beim Ungleichen und beim Gleichen –, dass die Natur es nun einmal so eingerichtet hat, dass zur Zeugung eines Kindes ein Mann und


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eine Frau gebraucht werden. Homosexuelle – und ich werte und bewerte die sexuelle Orientierung nicht – können eben keine Kinder bekommen, das ist einfach so. Und da­mit würde ich auch sagen: Punkt. Es gibt nämlich schon Grenzen, und nur weil man et­was will, heißt das noch lange nicht, dass man das auch haben kann. Aber in diesem Fall ist es so, ein lesbisches Paar sagt: Wir wollen aber ein Kind haben, weil das für uns zu Familie dazugehört! Daher sagen Sie: Natürlich, das machen wir!

Kardinal Schönborn hat davor gewarnt, dass es zu einem Recht auf ein Kind um jeden Preis kommt, und da sind wir eigentlich schon angelangt. Bei der SPÖ und bei den Grünen wundert uns das ja nicht, sie haben ein Gesellschaftsmodell, in dem die Form der klassischen Familie eigentlich aufgebrochen ist. Es läuft immer unter dem Titel, das sei heute gesellschaftliche Realität, die klassische Familie gäbe es nicht mehr. Und da muss man sich fragen, ob Sie sie überhaupt noch wollen. Die Patchworkfamilien ken­nen wir sowieso, und die Homosexuellen müssen auch eine Familie sein, die müssen auch Eltern sein dürfen. England hat gerade beschlossen, dass man auch drei Eltern­teile haben kann. Und so geht es dahin.

Das überrascht uns ja überhaupt nicht, man muss sich ja nur anschauen, was da alles so kolportiert wird: An den Schulen in Wien werden die armen Buben gezwungen, Mädchenkleider anzuziehen, und umgekehrt – die Buben mussten sich im Fasching als Prinzessin verkleiden, um zu fühlen, wie es ist, ein Mädchen zu sein. (Zwischenruf des Bundesrates Tiefnig.) Die Buben wollten das nicht, und die Mädchen eigentlich auch nicht so wirklich, aber das ist halt Teil dieses Gesellschaftsbildes, das Sie heute als richtig und gut ansehen.

Wir müssen uns schon im Kindergarten über die verschiedenen sexuellen Ausrichtun­gen unterhalten, und wenn nicht im Kindergarten, dann doch spätestens in der Schule, damit die armen kleinen Volksschüler – wir reden von Sieben-, Acht- und Neunjähri­gen – auch darüber Bescheid wissen. In Deutschland ist das noch viel weiter fortge­schritten als bei uns, da gehen einige Bundesländer schon daran, das auch umzuset­zen. Ich sage Ihnen: Ich halte das für Kindesmissbrauch, ich halte das wirklich für Kin­desmissbrauch! (Beifall bei der FPÖ.) Die armen Kleinen sind damit wirklich total überfordert und wissen überhaupt nicht mehr, wo oben und unten und hinten und vorn ist.

Von der ÖVP sind wir natürlich schon sehr überrascht, dass Sie da zustimmen; wir werden es ja heute sehen, ob Sie das einheitlich machen oder nicht – aber allein, dass dieses Gesetz im Nationalrat von Ihnen schon eine Mehrheit bekommen hat, über­rascht uns wirklich sehr, denn Sie sind doch die selbst ernannte Familienpartei! Sie halten doch dieses konservative Bild zumindest in Ihren Sonntagsreden immer hoch, Sie haben sich ja das Fähnlein der Familie auf Ihr Revers geheftet. Nur merkt man ei­gentlich nicht sehr viel davon.

Ich kann mich noch erinnern, als 2012 die Gleichstellung der Homosexuellenehe be­schlossen worden ist, hat Kollege Perhab gesagt – ich zitiere aus dem Stenographi­schen Protokoll von damals –:

„Wenn ich heute zustimmen kann – und das nicht aus Überlegungen, die leichtfertig sind –, dann deswegen, weil im Gesetz zwei Dinge nicht passiert sind. Das Erste ist: keine Adoptionsmöglichkeiten für Paare gleichgeschlechtlicher Ausrichtung.“ – Darauf habe ich einen Zwischenruf getätigt: „Das werden wir erst sehen, ob das hält!“ – Und Sie haben darauf gesagt: „Das wäre für mich, Frau Kollegin Mühlwerth, der absolute Knackpunkt einer Ablehnung. Das ist so. Ich habe das auch in meinen eigenen Reihen kundgetan.“ (Bundesrat Perhab: Ich bleibe dabei!) – Schön für Sie!

In einer langen Kette von Umfallern der ÖVP ist das halt jetzt ein weiteres Glied, was uns nicht weiter überrascht. (Bundesrat Poglitsch: Außer Populismus könnt ihr gar nichts! – Vizepräsident Himmer übernimmt den Vorsitz.)


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Um allen Kollegen – vielleicht gibt es auch von der SPÖ den einen oder anderen Kol­legen, der das Gesetz nicht so toll findet – die Möglichkeit zu geben, diesen Beschluss und ihre Einstellung dazu und das Abstimmungsverhalten noch einmal zu überdenken, darf ich einen Einspruchsantrag namens der Freiheitlichen einbringen, den ich jetzt ver­lesen werde:

Antrag

der Bundesräte Mühlwerth und Kollegen betreffend Einspruch gem. Art. 42 B-VG

Der Bundesrat wolle beschließen:

„Gegen den Beschluss des Nationalrates vom 21. Jänner 2015 betreffend ein Bundes­gesetz, mit dem das Fortpflanzungsmedizingesetz, das Allgemeine bürgerliche Gesetz­buch, das Gentechnikgesetz und das IVF-Fonds-Gesetz geändert werden (Fortpflan­zungsmedizinrechts-Änderungsgesetz 2015 – FMedRÄG 2015) (445 d.B. und 450 d.B.) wird gemäß Art. 42 B-VG mit folgender Begründung Einspruch erhoben:

Gegen die in diesem Gesetz vorgesehene Einführung der Präimplantationsdiagnostik sowie der Adoption durch gleichgeschlechtliche Paare bestehen schwerwiegende Be­denken sowohl im Hinblick auf das Kindeswohl, aus moralischen Erwägungen, als auch aus gesundheitlichen Gründen sowohl der Eizellenspenderinnen als auch der künstlich befruchteten Mütter. Derartig tiefgreifende Änderungen bedürfen einer eingehenderen Abwägung als dies im Fall dieser ‚Reparaturnovelle‘ aufgrund eines VfGH-Erkenntnis­ses geschehen ist.

In formeller Hinsicht wird gemäß § 54 Abs. 3 GO-BR eine namentliche Abstimmung über diesen Antrag verlangt.“

*****

Was die FPÖ an diesem Gesetz am meisten stört, ist, dass nicht ein einziges Mal das Wohl des Kindes besprochen worden ist. Um das Wohl des Kindes geht es offen­sichtlich überhaupt nicht. Das Kind wird als eine Sache behandelt, die man sich wün­schen kann oder auch nicht, und das halten wir für grundlegend falsch.

Alle dazu unterschriebenen UN-Konventionen, die das Wohl des Kindes in den Vorder­grund stellen, werden hier ad absurdum geführt, denn über das Wohl des Kindes ist überhaupt nicht geredet worden. Wir verstehen schon: Es gibt Paare, die keine Kinder kriegen können, aber gerne ein Kind hätten. Es gibt auch bereits die Möglichkeit einer künstlichen Befruchtung, und dass den künftigen oder den sein-wollenden Eltern dafür auch finanzielle Unterstützung gegeben wird, dafür hat sich die FPÖ schon vor Jahren starkgemacht. Aber dieses Gesetz – sage ich Ihnen – geht einfach zu weit, denn hier ist zu viel hineingepackt worden, das die FPÖ für wirklich bedenklich hält.

Das ist furchtbar für die Frauen, weil sie durch die Hormonstimulierung et cetera, et ce­tera einer extremen Belastung ausgesetzt sind. Jetzt kann man natürlich sagen: Na ja, das entscheiden die Frauen, die Paare natürlich selber. Das ist schon richtig, aber trotzdem sollte man das nicht außer Acht lassen.

Furchtbar ist es auch im Bereich der Präimplantationsdiagnostik, denn dann befindet man sich auf einem Weg, wo man sich künftig Designer-Babys wünschen können wird. Vielleicht kennen einige von Ihnen das Buch von Aldous Huxley „Brave New World“: Darin werden die Alphas, die Betas, die Gammas, die Deltas und die Epsilons in der Flasche gezeugt, dann aber nicht geboren, sondern entkorkt. Die Alphas und die Betas sind die Leittiere, und die Epsilons sind die, die die niedersten Arbeiten zu verrichten haben, und die werden auch dorthin getrimmt, dass sie solche Epsilons werden. – Als


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eine „Schöne neue Welt“ wie der deutsche Titel dieses Buchs aus den 1930er Jahren lautet – empfinden wir von der FPÖ das nicht. Wir empfinden das als eine furchtbare und ganz grausliche Welt, die wir so nicht wollen.

Sie wissen auch, dass die Kinder spätestens in der Pubertät Schwierigkeiten bekom­men. Sie wissen es schon aus Erfahrung, dass es da Beziehungsprobleme gibt, dass es da Identitätsprobleme gibt; und dass bereits die normale Pubertät einem Jugendli­chen zusetzt, weil da verschiedene körperliche Prozesse neu gestaltet werden, und dass das so noch viel, viel ärger ist. All das nehmen Sie billigend in Kauf. Als Be­ruhigungspille sagen Sie dann: Na gut, da muss man halt eine psychologische Be­treuung machen. Na bravo, kann ich Ihnen nur sagen! Sie wissen um all diese schwerwiegenden Dinge und sagen: Na ja, der Psychologe, der eh alles richten kann, wird es schon richten.

Die FPÖ ist der Meinung – und das hat Kollege Kickl im Nationalrat auch schon ge­sagt, und da sind wir im Bundesrat der gleichen Meinung –, dass mit diesem Gesetz die Natur völlig auf den Kopf gestellt wird. Da muss man sich schon fragen, wo Sie da mit Ihrer christlich-sozialen Lehre sind. Es ist Ihnen offensichtlich wurscht, um der Be­liebigkeit recht zu geben und nicht als irgendwelche Ewiggestrigen oder Superkonser­vativen dazustehen.

Da verstehen wir Sie wirklich nicht und möchten daher noch einmal an Ihr Gewissen appellieren: Denken Sie noch einmal darüber nach, ob Sie diesem Gesetz wirklich zu einer Mehrheit verhelfen wollen!

Die FPÖ tut das nicht, sie springt nicht auf diesen Zug der Modernität auf. Die FPÖ bleibt dabei, dass die Ehe ein wichtiges Konstrukt ist, und bleibt auch dabei, dass eine Familie vorwiegend aus Vater, Mutter und Kind besteht. Sie vergessen dabei, dass die meisten Familien ganz klassische Familien sind, mit Vater, Mutter, Kind, mit oder ohne Trauschein – das alleine ist ja jetzt nicht der Punkt –, und die schweigende Mehrheit gibt Ihnen auch nicht recht. Die trauen sich nur nicht, sich dazu zu äußern, weil sie ja sofort diskriminiert werden, als Diskriminierer einerseits und dazu noch als Rechts­extreme und Nazis, und ich weiß nicht, was Ihnen da alles einfällt. – Aber die schwei­gende Mehrheit sieht das in den meisten Fällen genauso wie die FPÖ.

Daher sage ich Ihnen, dass die FPÖ aus gutem Gewissen diesem Gesetz nicht die Zu­stimmung geben wird, und ich bitte Sie: Denken Sie noch einmal darüber nach, ob Sie das, wie es hier ist, auch wirklich wollen! (Beifall bei der FPÖ.)

12.05


Vizepräsident Mag. Harald Himmer: Nun gelangt Frau Bundesrätin Köberl zu Wort. – Bitte.

 


12.05.59

Bundesrätin Johanna Köberl (SPÖ, Steiermark): Sehr geehrter Herr Präsident! Frau Bundesminister! Sehr geehrte Zuseherinnen und Zuseher! Geschätzte Kolleginnen und Kollegen! Ganz sicher hat sich niemand hier im Parlament – weder im Nationalrat noch heute hier im Bundesrat – diese Entscheidung leicht gemacht; gerade bei so einem heik­len Thema, das sehr viele Fragen und noch mehr divergierende Antworten aufwirft.

Jeder und jede von uns hat zu den verschiedenen Punkten, die in diesem Gesetz be­handelt werden, eine andere Meinung, auf die Fragen eine andere Antwort, weil wir eben alle verschiedene Zugänge dazu haben. Gerade hier wird es aber nicht die eine richtige Antwort geben, weil wir eben diese verschiedenen Zugänge haben, denn es wird die eigene Lebenserfahrung mithineingenommen, es werden eigene Erlebnisse eingebracht. Die eigene Geschichte spielt hier eine wesentliche Rolle.

Meiner Meinung nach ist es aber ein notwendiger Beschluss, um in Österreich ein mo­dernes Fortpflanzungsmedizingesetz zu haben, das der gesellschaftlichen Entwicklung


BundesratStenographisches Protokoll838. Sitzung / Seite 67

entspricht, das den medizinischen Fortschritt widerspiegelt und das den betroffenen Menschen Sicherheit gibt und sie nicht zwingt, für medizinische Eingriffe ins Ausland zu fahren. Österreich und Italien sind die einzigen Staaten, die dieses Gesetz noch nicht haben.

Der Verfassungsgerichtshof hob Teile des Fortpflanzungsmedizingesetzes auf – wie die Frau Kollegin schon berichtet hat –, und es gab lange, sehr kontroverse Diskus­sionen. Es wurden viele Expertinnen und Experten gehört, wobei einige fanden, dass es zu wenige waren, andere wieder sagen, es wurde zu wenig Zeit zum Diskutieren gegeben. Die Bioethikkommission beschäftigt sich, wie ich weiß, seit mehr als zehn Jah­ren mit der Frage, wie man das österreichische Fortpflanzungsmedizingesetz den inter­nationalen Standards anpassen kann. – Jetzt ist es gelungen.

Es wird wahrscheinlich auch noch nicht das Ende sein. Es ist ein Prozess, denn da sich die medizinischen Erkenntnisse ändern, wird uns das Gesetz sicherlich noch lan­ge begleiten. Um das Gesetz ständig zu verbessern – zum Wohle der Österreicherin­nen und Österreicher –, bedarf es daher weiterer konstruktiver Diskussionen.

Im Parlament können nur die Rahmenbedingungen geschaffen werden, die gesetzli­chen Vorgaben festgelegt werden. Wie diese in der Gesellschaft gelebt werden – ge­rade bei einem so persönlichen Thema –, wie die Art der Lebensgemeinschaft und die des Kinderwunsches, der Fortpflanzung sein wird, darf jeder Bürger und jede Bürgerin in Österreich selber entscheiden. Ich bin sicher, dass die Menschen dabei keine Be­vormundung vonseiten der Politik brauchen und wollen. Sie sollen ihr Leben so ge­stalten und so leben können, wie sie es für richtig halten und wie es für sie das Beste ist – und das müssen sie nicht, Frau Kollegin Mühlwerth, wie Sie es beschrieben ha­ben.

Daher freut es uns von der SPÖ, dass die Erfüllung des Kinderwunsches von Frauen in einer gleichgeschlechtlichen Partnerschaft nun auch in Österreich ganz legal durch ei­ne Samenspende möglich ist, auch die Zulassung der Eizellenspende wird von uns be­grüßt. Die Kommerzialisierung sowohl von Samen- als auch von Eizellenspenden ist durch die gesetzliche Regelung so gut wie ausgeschlossen.

Ein Kind hat dem Gesetz nach grundsätzlich das Recht, nach Vollendung des 14. Le­bensjahres Informationen über den leiblichen Vater oder die leibliche Mutter zu erhal­ten. Dies soll nicht zuletzt durch umfassende Aufzeichnungspflichten sichergestellt wer­den. Aber auch das werden die Eltern selber entscheiden, wie es auch jetzt schon bei einer Adoption gemacht wird, oder manchmal ist ja auch der Lebenspartner nicht der wirkliche Erzeuger und Vater.

Da die Entscheidung für eine Samenspende, eine Eizellenspende oder eine künstliche Befruchtung für die Betroffenen ein sehr langer Prozess ist, ein meist sehr schmerzli­cher Weg – viele Untersuchungen, viele ärztliche Gespräche und dazwischen wieder Enttäuschungen –, und sie nicht von heute auf morgen gefällt wird, glaube ich, dass es gerade diese Eltern sind, die sich der Verantwortung ihren Kindern gegenüber vielleicht noch mehr bewusst sind.

Jede Schwangere, die auf natürliche Weise schwanger geworden ist, kann sich im Rah­men einer Fruchtwasseruntersuchung versichern, ob ihr Kind gesund oder nicht ge­sund ist, ob es gesund oder nicht gesund auf die Welt kommen wird. Sie muss dann entscheiden: Schaffe ich das, schafft das die Familie, möchte ich das? Und jede Frau kann oder muss sich entscheiden, ob sie die Schwangerschaft möchte oder nicht. Und diese Entscheidung wird sich sicher keine Frau und keine Familie leicht machen. Sie muss die Möglichkeiten und die Folgen abwägen.

Bei der In-vitro-Fertilisation kann in ganz speziellen Fällen zur Erkennung von Erbkrank­heiten und Anomalien der Chromosomen die Präimplantationsdiagnostik angewandt wer-


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den. Das ist eine zellbiologische und molekulargenetische Untersuchung des Embryos, bevor er in die Gebärmutter eingepflanzt wird, eben um unnötige Leiden sowohl für die werdende Mutter, wie etwa eine Probeschwangerschaft, als auch für das Kind zu ver­meiden. Und ich denke, wieso soll man hier nicht im Vorfeld schon eine schwere Fol­geerscheinung einer Erbkrankheit, eine Behinderung – eine auch für das Kind schmerz­liche Erkrankung – ausschließen, eben zum Wohle des Kindes.

Die Zulassung erfolgt nur in einigen sehr schwerwiegenden Fällen mit einem strengen Reglement. Die Präimplantationsdiagnostik darf niemals im Sinne eines Screenings an­gewandt werden. Und der Spruch „Medizin – Fluch oder Segen?“: Diese Frage müssen wir uns bei medizinischen Errungenschaften immer wieder stellen. Und auch hier wird es nicht die eine richtige Antwort geben.

Ich bin aber überzeugt davon, dass dieses Gesetz dem medizinischen Fortschritt ent­spricht, den gesellschaftspolitischen Veränderungen Rechnung trägt und bestimmt mit sehr großer Sorgfalt umgesetzt wird. (Beifall bei SPÖ und Grünen sowie bei Bundes­räten der ÖVP.)

12.12


Vizepräsident Mag. Harald Himmer: Ich gebe bekannt, dass der von den Bundesrä­ten Monika Mühlwerth, Kolleginnen und Kollegen eingebrachte Antrag gemäß § 43 Abs. 1 der Geschäftsordnung des Bundesrates, gegen den vorliegenden Beschluss des Nationalrates mit der beiliegenden Begründung Einspruch zu erheben, ausreichend un­terstützt ist und demnach mit in Verhandlung steht.

Zu Wort gelangt nun Herr Bundesrat Krusche. – Bitte, Herr Kollege.

 


12.12.38

Bundesrat Gerd Krusche (FPÖ, Steiermark): Hohes Präsidium! Sehr geehrte Frau Bun­desminister! Meine Damen und Herren! Werte Zuseher und Zuseherinnen zu Hause! Quo vadis?, frage ich mich – es wurde heute bereits erwähnt. Vorgestern hat uns die Nachricht erreicht, dass es jetzt in England möglich ist, Kinder von drei genetischen El­tern zu bekommen.

Wo führt uns dieser Weg hin? Wir hatten schon einmal ein entsetzliches Regime, das sich unter anderem auch der Zucht von Menschen und dem Aussortieren von wertem und unwertem Leben gewidmet hat. Und was machen wir mit diesem Gesetz? Wir öff­nen die Büchse der Pandora und ebnen den Weg genau in diese Richtung, meine Da­men und Herren! Denn das machen wir mit dieser Präimplantationsdiagnostik. Auf Ba­sis einer genetischen Disposition wird zwischen wertem und unwertem Leben unter­schieden. Wir geben da ein „tolles“ Signal an alle Eltern oder viele Eltern – nicht alle, aber sehr viele – von behinderten Kindern und an viele Behinderte selber auch. Es lautet: So etwas wie ihr, das passiert uns jetzt nicht mehr! Das können wir jetzt schon im Vorfeld aussortieren.

Hat das noch irgendetwas mit Moral, mit Ethik zu tun? Warum machen wir solche Ge­setze und warum spielt die ÖVP da eigentlich mit: aus Opportunismus, aus Feigheit? Ich weiß es nicht. Ich bin gespannt, ob einer von euch den Mut haben wird, gegen dieses Gesetz zu stimmen – dem zolle ich Respekt. Üblicherweise ist das Maximum an Mut, das aufgebracht wird, ja das Hinausgehen. (Bundesrat Mayer: Deine Sorgen möch­te ich haben!)

Man verschanzt sich hier hinter einem Gerichtsurteil und sagt: Da können wir leider nichts machen, wir müssen ja, denn das Gericht hat so entschieden. Man übersieht da­bei, dass dieses Urteil nur auf der Grundlage von Gesetzen, die schon gemacht wur­den, entstanden ist: Die Legalisierung der gleichgeschlechtlichen Partnerschaft hat den Weg dazu geebnet. Und dieses Urteil war natürlich die logische Konsequenz.


BundesratStenographisches Protokoll838. Sitzung / Seite 69

Gerade bei der ÖVP wundert es mich sehr, dass sie so verzweifelt den linken Gleich­machern hinterherhechelt. Ich muss ehrlich sagen, ich habe mir nie träumen lassen, dass ich als freiheitlich denkender Mensch jemals in die Situation kommen würde, christliche Werte gegenüber der ÖVP verteidigen zu müssen. Freiheit (Bundesrat Kneifel: Das tun wir schon selber! Da brauchen wir dich nicht dazu! – Weitere Zwi­schenrufe bei der ÖVP.) – Nein, das tut ihr eben nicht mehr! Freiheit bedeutet für mich nicht, die Natur und die Schöpfung auszuhebeln. Jeder soll nach seiner Fasson leben. (Bundesrat Kneifel: Mit bestem Wissen und Gewissen!) Aber Freiheit heißt nicht, ohne Rücksicht auf Verluste Egoismen befriedigen zu dürfen.

Kollegin Köberl hat gesagt: Jeder soll leben, wie er will. – Ja, das soll er. Und wenn er in einer gleichgeschlechtlichen Partnerschaft leben will, so soll er das tun. Aber er er­wirbt deswegen noch lange nicht das Recht, alles zu bekommen. Man muss die Kon­sequenzen aus einem Weg, den man beschreitet, ziehen. Es ist nicht alles möglich im Leben, und so ist es nicht möglich – das hat die Natur so vorgesehen –, dass gleichge­schlechtliche Paare Kinder zeugen beziehungsweise Kinder bekommen können.

Im Mittelpunkt der Fortpflanzung sollte das Kindeswohl stehen und nicht das Wohl – oder das Wohlempfinden – der Erwachsenen. Diesen Pfad verlassen wir hier eindeu­tig, denn die Argumentation, die immer vorgebracht wird, dass es das alles ja schon gibt, kann ich nicht mehr hören. Natürlich gibt es alles Mögliche! Es gibt sehr viele Kin­der, die mit einem Mann, einer Mutter, einem Vater, mit Tante, Onkel, Tante und Oma und Mutter und Oma und so weiter aufwachsen. Aber es kann nicht Ziel einer Politik und einer Familienpolitik sein, dass man Ausnahmesituationen – Situationen, die oft aus tragischen Umständen entstanden sind – zum Regelfall macht.

Es gibt viele Geisterfahrer auf Österreichs Straßen und verhältnismäßig wenige Geis­terfahrerunfälle. Deswegen kommt kein Mensch auf die Idee zu sagen: Eigentlich könn­ten wir sowieso fahren, wo wir wollen, es ist eh egal. Das machen wir nämlich mit die­sem Gesetz! (Bundesrat Mayer: Der Vergleich hinkt!)

Auch das Argument, dass das soziale Umfeld – nur das soziale Umfeld – wichtig und das genetische bedeutungslos sei, stimmt nicht. Ich weiß aus eigener Erfahrung, wel­che psychische Belastung für viele damit verbunden ist, dass sie ihre Wurzeln nicht kennen und auf der Suche nach ihnen sind. Ganze Fernsehsendungen und sehr viele Internetseiten beschäftigen sich mit diesem Thema. So egal kann das den Menschen also nicht sein!

Aber es werden nicht nur die Interessen der Kinder missachtet, sondern auch die der Frauen. Bei der Eizellenspende, die hier ebenfalls ermöglicht wird, ignoriert man die gesundheitlichen Risiken, vor allem jene, die im Zusammenhang mit der notwendigen Hormonbehandlung entstehen. Diese kann laut Medizinern zu massiven Gesundheits­gefährdungen und vor allem zu einem erhöhten Brustkrebsrisiko führen.

Dieses Gesetz geht weit über das Notwendige, nämlich das, was aus diesem Urteil resultiert, hinaus – quasi in vorauseilendem Gehorsam. Bis jetzt hat das Gesetz ja mit Ausnahme dieses einen Punktes vor den europäischen Gerichten gehalten, aber es könnte ja einmal nicht mehr halten, weil der medizinische Fortschritt, der technische Fortschritt sich weiterentwickelt. Und deshalb beugen wir lieber gleich vorsorglich vor und machen dieses Gesetz neu.

Meine Damen und Herren! Die Medizin und der medizinische Fortschritt sollen dazu dienen, Kranken zu helfen, Leben zu retten und Prävention zu ermöglichen, aber nicht, um lieber Gott spielen zu können. „Wehret den Anfängen!“, sage ich dazu nur. In die­sem Gesetz ist wiederholt vom Stand der medizinischen Wissenschaft die Rede. Auch Frau Köberl hat bereits gesagt: Das wird nicht das Ende sein, die Entwicklung geht weiter. Das halte ich im Zusammenhang mit diesem Gesetz für eine gefährliche Dro­hung.


BundesratStenographisches Protokoll838. Sitzung / Seite 70

Im Gesetz steht sogar drinnen, dass jene Methode zu wählen ist, bei der mit einer ge­ringeren gesundheitlichen Beeinträchtigung zu rechnen ist. Kann das der Sinn ei­nes Medizingesetzes sein, etwas zu ermöglichen, was nur geringere Beeinträchtigun­gen mit sich bringt? Es soll überhaupt keine Beeinträchtigungen geben!

Wir werden diese Gesetzesvorlage aus vollster Überzeugung ablehnen. (Beifall bei der FPÖ.)

12.21


Vizepräsident Mag. Harald Himmer: Als Nächster zu Wort gemeldet ist Herr Bun­desrat Mag. Fürlinger. – Bitte, Herr Kollege.

 


12.21.48

Bundesrat Mag. Klaus Fürlinger (ÖVP, Oberösterreich): Hohes Präsidium! Sehr ge­ehrte Frau Bundesminister! Ich freue mich, dass anlässlich einer parlamentarischen Debatte die Freiheitliche Partei ihre tiefchristlichen Wurzeln, ihre traditionell tiefchrist­lichen Wurzeln freilegt. (Bundesrat Schennach: Camouflage!)

Herr Kollege Krusche! Im Unterschied zu Ihnen habe ich es ein bisschen schwieriger. Ich bin Mitglied einer Regierungspartei. Ich verschanze mich nicht hinter Gerichtsurtei­len, aber ich habe so wie Sie einen Eid auf die Republik abgelegt, und diesen Eid auf die Republik muss ich auch dann achten, wenn mir vielleicht einmal ein Urteil nicht so gut gefällt.

Anlass sind, und das haben Sie, Frau Kollegin, richtig gesagt, das hat Frau Kollegin Köberl richtig gesagt, Höchstgerichtsurteile. Ich kann mich natürlich heute wie auch bei anderen Gelegenheiten dazu entscheiden, das Höchstgerichtsurteil nicht umzusetzen. Was aber, meine Damen und Herren, ist die Folge, wenn ich es nicht umsetze? (Bun­desrat Krusche: Es geht weit darüber hinaus!) Herr Kollege, lassen Sie mich das ganz kurz ausführen! Ich glaube das übrigens nicht, was Sie sagen, dass es darüber hi­nausgeht. – Was habe ich dann? Dann habe ich einen rechtsfreien Raum. Was ist im rechtsfreien Raum? Kollege Brückl kann Ihnen das erklären, er arbeitet auch bei Ge­richt. (Bundesrat Schreuder: Es ist alles möglich!) Es ist alles erlaubt! Das wäre die Folge von dem, was Sie uns jetzt hier predigen, denn Sie sagen, wir sollen kein Gesetz beschließen oder dieses Gesetz nicht beschließen.

Frau Kollegin! Ich achte Ihren gesellschaftspolitischen Vortrag, abgesehen davon, dass er fehl am Platz ist bei diesem Gesetz. Wenn wir es nicht beschließen, passiert genau das, was Sie hier sozusagen als Teufel an die Wand malen. (Bundesrat Herbert: Völ­liger Unsinn, was Sie da sagen!)

Dieses Gesetz, Herr Kollege, hat medizinische Indikation als Grundsatz. Das Gesetz heißt Fortpflanzungsmedizinrechts-Änderungsgesetz, und die Grundlage bildet die me­dizinische Indikation. Meine Damen und Herren, speziell von der FPÖ! Nur dort und dann geschieht irgendetwas, wenn und wo eine medizinische Indikation gegeben ist. Das beginnt damit, dass es Paare gibt, die einen Kinderwunsch haben und sich den aus medizinischen Gründen nicht erfüllen können. Das gibt es, meine Damen und Her­ren.

Ich gehe davon aus, dass jeder Zweite hier herinnen Bekannte hat, die schon länger Probleme damit haben, ein Kind zu bekommen. Ich möchte Sie sehen, Frau Kollegin Mühlwerth, ob Sie dann zu dieser präsumtiven Mutter hingehen, sich vor sie hinstellen und sagen: Pech gehabt, du nicht! Oder: Ich möchte Sie in der Rolle des Arztes in ei­ner Kinderwunschklinik, beispielsweise in Wels, sehen, der sagt: Richten Sie den Kol­legen in Tschechien schöne Grüße aus, nehmen Sie viel Geld mit und schauen Sie, dass Sie nebenher Tschechisch lernen, damit Sie sich dort dann auch noch eine or­dentliche Belehrung geben lassen können.


BundesratStenographisches Protokoll838. Sitzung / Seite 71

Das ist jetzt möglich. (Bundesrätin Mühlwerth: Das war vorher auch schon möglich!) Nein, denn das, was mit diesem Gesetz beschlossen werden soll, war davor explizit nicht möglich, und das ist der Irrtum. Ich habe ein bisschen den Eindruck, meine lie­ben Kolleginnen und Kollegen, nicht jeder von euch, der hier darüber spricht, hat das Gesetz auch gelesen, denn sonst wäre dieser harte Abwehrkampf, den Sie hier unter Berufung auf Ihre tiefchristlichen Wurzeln führen, wohl nicht ganz so hart ausgefal­len. – Das eine Thema ist also, dass dann, wenn eine Frau beziehungsweise ein Paar aus medizinischer Gründen kein Kind bekommen kann, mit diesem Gesetz Abhilfe le­gal möglich wird.

Gegen das zweite Thema, Herr Kollege Krusche, die Präimplantationsdiagnostik, sind Sie mit großer Dramatik zu Felde gezogen. Das ist ein heikles Thema, da teile ich völ­lig Ihre Meinung. Wenn Sie sich das Gesetz durchlesen, müssten Sie aber sehen, wie viele Schranken und Hürden eingebaut worden sind, um genau das nicht zu ermög­lichen, was in einer oberflächlichen Kritik diesem Gesetz vorgeworfen wird, nämlich Designer-Babys et cetera. Genau das geht nämlich nicht, genau das verbietet dieses Gesetz, meine Damen und Herren.

Der Punkt ist wieder, jemandem zu helfen, wenn es dafür eine medizinische Indikation gibt. Versetzen Sie sich bitte einmal in eine Frau hinein, wenn es das überhaupt gibt, die schon drei Fehlgeburten hinter sich hat, die die psychisch überstanden hat, von den körperlichen Leiden möchte ich hier überhaupt nicht reden. (Bundesrätin Mühl­werth: Ihr Kollege Huainigg hat das anders gesehen!) Kollege Huainigg hat das anders gesehen, und das ist sein gutes Recht als freier Abgeordneter des Nationalrates. (Bun­desrätin Mühlwerth: Und für uns gilt das nicht?) Das ist auch Ihr gutes Recht; ich bestreite Ihnen das Recht nicht, aber ich trete mit Ihnen in einen Diskurs ein, dass das, was Sie hier an die Wand gemalt haben, teilweise in diesem Gesetz ausdrücklich ver­boten ist. Und diesen Diskurs gestatten Sie mir! Den setze ich hier heraußen auch fort. (Beifall bei ÖVP, SPÖ und Grünen.)

Eine schwere genetische Erkrankung in der Familie, drei Fehlgeburten sind hier als Schranken dafür eingebaut, dass sich eine künftig mögliche Mutter dafür entscheiden kann, eine Untersuchung zu machen. Sie muss sich auch erst einmal dafür entschei­den; denn es ist ja kein Muss, was hier im Gesetz drinsteht.

Ich sage eines auch ganz klar, und ich sage das aus Sicht einer Frau, die Mutter wer­den will, für beide Varianten, nämlich sowohl was die Präimplantationsdiagnostik als auch was die Eizellen- oder Samenspende betrifft: Wenn eine Frau all das auf sich nimmt in Kliniken, in Kinderwunschkliniken, all das an nicht natürlicher Empfängnis, die Kosten auf sich nimmt, dann will diese Frau Mutter werden, und das ist doch das, was wir alle wollen müssen, Leute: dass Kinder zur Welt kommen. Das ist doch ein ganz entscheidender Punkt! (Bundesrätin Mühlwerth: Ich möchte das nicht entscheiden müs­sen!) Die entscheidet das ja auch für sich selbst. Ihr müsst euch damit konfrontieren, was dort wirklich passiert. Lasst euch das bitte einmal von einem Mediziner erklären, was das für eine „wunderbare“, „angenehme“ Sache für eine Frau ist, sich einer IVF zu unterziehen mit allen möglichen verschiedenen Varianten, mit zig Fehlversuchen und dem, was das an Kosten verursacht. Wenn eine Frau all das auf sich nimmt, dann will sie Mutter werden, und das Recht dazu muss man ihr einräumen. Ich bitte darum! (Bei­fall bei ÖVP, SPÖ und Grünen. – Zwischenruf des Bundesrates Herbert.)

Herr Kollege Herbert, wir können über alles diskutieren. Ich respektiere Ihre andere An­sicht, aber ich führe hier als Bundesrat keine parlamentarische Diskussion über ein Ur­teil des Verfassungsgerichtshofs. (Bundesrat Herbert: Das wollen wir ohnehin nicht!) Das hat keinen Sinn. Ich führe diese Diskussion nicht, denn ich habe dort stehend den Eid auf die Gesetze der Republik abgelegt, und daher habe ich dem auch zu folgen. (Beifall bei ÖVP, SPÖ und Grünen.)


BundesratStenographisches Protokoll838. Sitzung / Seite 72

In Summe, meine Damen und Herren, ist das Gesetz bei Weitem nicht das, als das es in der öffentlichen Diskussion von einigen Institutionen dargestellt worden ist. Es ist in der Diskussion nach draußen viel mehr aufgeblasen worden mit einigem Anteil an In­formationsdefizit. Ich betone noch einmal: Fortpflanzungsmedizinische Maßnahmen für Alleinstehende sind verboten, weil ein Kind das Recht auf zwei Eltern hat. Das Social Egg Freezing ist verboten, die Leihmutterschaft ist verboten.

Alles, was Sie als Kritik an diesem Gesetz vorgebracht haben, wird mit diesem Gesetz verboten. Ich gebe Ihnen in einem Punkt recht, dass nämlich die Politik, meine Damen und Herren, monopolartig in diesem Haus, in den beiden Kammern des Parlaments, Nationalrat und Bundesrat, vor sich zu gehen hat. Meine Damen und Herren! Wir ha­ben in diesem Haus Gesetze zu beschließen, die keinen Interpretationsspielraum da­für offen lassen, dass sie immer wieder durch Gerichte, sei es in Wien, Brüssel oder Straßburg, ausgelegt werden.

Alles, was Sie von der Freiheitlichen Partei kritisiert haben, ist laut diesem Gesetz ex­plizit ausgeschlossen. Ich denke auch, meine Damen und Herren, wenn Sie in der De­batte mit dem Begriff des Kindeswohls hausieren gehen, dann wird der Begriff miss­bräuchlich verwendet, denn all das hat mit Kindeswohl prima vista nichts zu tun. (Bei­fall bei ÖVP, SPÖ und Grünen.)

Ein Kind, meine Damen und Herren, kommt auf die Welt. Und wenn es von einer Frau geboren wird, die diesen Weg geht, die durch diesen Tunnel des Leistens und des Lei­dens durchmuss, damit sie das Kind bekommt, dann können Sie sich sicher sein, dass es dort auch gut aufgehoben sein wird. – Danke. (Beifall bei ÖVP, SPÖ und Grünen.)

12.29


Vizepräsident Mag. Harald Himmer: Als Nächster zu Wort gemeldet ist Herr Bundes­rat Längle. – Bitte, Herr Kollege.

 


12.30.30

Bundesrat Christoph Längle (FPÖ, Vorarlberg): Sehr geschätzte Zuseher via Live­stream und Fernsehen! Geschätztes Präsidium! Sehr geehrte Kolleginnen und Kolle­gen! Sehr geehrte Frau Ministerin! Bezüglich des Fortpflanzungsmedizinrechts-Ände­rungsgesetzes möchte ich anmerken, dass dieses Gesetz innerhalb kürzester Zeit sei­tens der ÖVP und der SPÖ im Nationalrat abgesegnet wurde, obwohl dieses Gesetz eine Reihe von medizinischen und ethischen Fragen aufwirft, die äußerst kritisch zu hinterfragen sind.

Eine Begutachtungsfrist sollte eigentlich rund sechs Wochen dauern, doch bei diesem Gesetz war dies offensichtlich nicht so wichtig. Es ist schon irgendwie unglaublich, dass das alles auf gut zehn Tage zusammengekürzt wurde. Es scheint, dass die Ver­antwortlichen keine öffentliche Debatte wollten. Noch erstaunlicher ist, dass gerade die ÖVP, Herr Kollege Fürlinger, als eine Partei, die angeblich auf einer christlichen Basis steht, diese Gesetzesnovelle im Nationalrat einfach durchwinkt und somit alle Beden­ken wegwischt.

Ebenso zu erwähnen ist, dass rund 800 000 E-Mails das Parlament erreichten, welche sich ganz klar gegen dieses Gesetz aussprachen. Sogar noch heute Morgen gab es viele Menschen vor diesem Haus, die herkamen, um ihren Unmut über dieses Gesetz zum Ausdruck zu bringen. Eigentlich sollte ja der Wille vom Volk ausgehen, und es ist sicherlich nicht im Sinne der Demokratie, dass so etwas einfach ignoriert und in kür­zester Zeit abgehandelt wird. Es wäre wünschenswert gewesen, dass hiezu eine regu­läre Begutachtung und eine öffentliche Diskussion stattgefunden hätten und der Wille des Volkes gehört worden wäre. Es muss auch wieder ganz klar gesagt werden, dass in unserem Land mehr Demokratie dringend nötig wäre.


BundesratStenographisches Protokoll838. Sitzung / Seite 73

Stolz und froh bin ich, dass wir von der FPÖ bei dieser Novelle des Fortpflanzungs­medizinrechts-Änderungsgesetzes nicht mitgemacht haben und die Meinung der ande­ren Parteien nicht teilen. Gerade die Zulassung der Eizellspende wirft besondere Fra­gen auf. Diese kommt nicht nur in einigen Fällen einer gewissen Ausbeutung der Frau gleich, sondern es wird damit der Kommerzialisierung Tür und Tor geöffnet. Es scheint so, dass damit wirklich ein Gewerbe installiert werden soll. Es darf doch nicht sein, dass eine Eizelle zur Handelsware wird und das Kind zwischen einer biologischen und einer genetischen Mutter steht. Sorgt man sich wirklich um die Paare, die keine Kinder bekommen können, oder hat man einfach nur das Geld im Sinn? Identitätsprobleme und gesellschaftliche Komplikationen sind damit bereits vorprogrammiert. Die Kinder sollten im Mittelpunkt stehen.

Diese Gesetzesnovelle hat große gesundheitliche und psychologische Probleme bei den Betroffenen zur Folge. Berichte über Risiken gibt es viele. Gerade wenn wir unse­ren Blick in das bereits angesprochene Ausland richten, sieht man, dass dabei immer wieder Folgeschäden auftreten können. Nierenversagen, geschwollene Eierstöcke und Wasser im Bauchraum einer Frau sind keine Seltenheit. Es kommt einem so vor, als wäre die Reproduktionsmedizin ohnehin nur auf Profit aus.

Die Einführung der Präimplantationsdiagnostik, mit der eine Auswahl zwischen unwer­tem und lebenswertem Leben ermöglicht wird, ist ebenso äußerst kritisch zu hinterfra­gen. Es stellt sich nämlich auch die Frage, wo das Ganze hinführt. In Großbritannien wurde vorgestern erlaubt, dass ein Kind sogar aus mehreren Personen entstehen kann. Zudem gibt es bereits auch hier in Österreich Stimmen, die eine Leihmutterschaft für Homosexuelle wollen. Dies ist ethisch nicht akzeptabel, und ich frage mich, ob es wirklich ein Ziel ist, dass wir mit Menschenleben so umgehen. Wo ist der Wert eines Menschenlebens?

Ich muss entschieden und vehement betonen, dass ich mir so etwas für Österreich und gerade auch für mein Heimatland Vorarlberg nicht wünsche. Eigentlich sollten die Fa­milien im Mittelpunkt unserer Gesellschaft stehen, so wie es die Natur auch vorge­sehen hat. Dies sollte ein Ort sein, wo Kinder geliebt werden, wie sie sind. Mit Men­schenleben darf man nicht herumspielen. Leider wird das mit diesem neuen Gesetz geändert und unsere Kinder zu einem Objekt der persönlichen Glückserfüllung herab­gesetzt. Ich frage mich da schon: Wo bleiben die Rechte der Kinder?

Bezüglich gleichgeschlechtliche Paare muss auch erwähnt werden, dass eine künstli­che Befruchtung dazu führt und von vornherein die Absicht besteht, dass das Kind oh­ne leiblichen Vater aufwächst. Kinder haben ein Recht auf Mutter und Vater. Vaterlo­sigkeit beziehungsweise eine allgemeine Elternlosigkeit ist bei Pflegekindern und Wai­senkindern schon traurig genug. Dieser Umstand wird jetzt gezielt und bewusst er­zeugt. Familienrecht und vor allem auch Kinderrechte sprechen ganz klar gegen dieses neue Fortpflanzungsmedizinrechts-Änderungsgesetz.

Wir von der FPÖ-Fraktion sind entschieden gegen diese Gesetzesnovelle und werden unsere Zustimmung nicht erteilen. (Beifall bei der FPÖ.)

12.36


Vizepräsident Mag. Harald Himmer: Als Nächster zu Wort gelangt Herr Bundesrat Schreuder. – Bitte, Herr Kollege.

 


12.37.01

Bundesrat Marco Schreuder (Grüne, Wien): Herr Präsident! Frau Ministerin! Auch von­seiten unserer Fraktion wünschen wir natürlich der Gesundheitsministerin Oberhauser baldige Genesung und alles, alles Gute. Es ist wichtig, das gerade jetzt, in diesem Mo­ment, zu sagen.


BundesratStenographisches Protokoll838. Sitzung / Seite 74

Ich bedanke mich auch ganz ausdrücklich bei meinen Vorrednern und Vorrednerinnen der ÖVP und der SPÖ für diese sachliche und gute Debatte. Ich glaube, die ist bei ei­nem solchen durchaus nicht leichten Thema auch sehr notwendig, wie ja schließlich auch die Debatte gezeigt hat. Man wird schon mit sehr schwerwiegenden Vorurteilen konfrontiert. Es erheben sich natürlich auch Grundfragen wie die, was eigentlich die Konsequenz dessen ist, wenn man das in der Form ablehnt und auch so begründet. Wollen wir den Verfassungsgerichtshof abschaffen? – Ich frage das nur einmal so in den Raum, weil es tatsächlich um ein Erkenntnis des Verfassungsgerichtshofes geht.

Es hat viele, viele Jahre Diskussionen darüber gegeben. Wenn man sich die ethische Frage stellt, muss betont werden, dass die Bioethikkommission sich Jahre, wenn nicht sogar Jahrzehnte mit diesem Thema beschäftigt hat, und wir in unserem demokrati­schen Gefüge diese Bioethikkommission – es ist das Wort „undemokratisch“ gefallen – mit einer großen Bandbreite von Menschen, von Expertinnen und Experten, aber eben auch mit Theologen und Theologinnen besetzt haben, die sich genau mit solchen The­men auseinandersetzen. Die kam ganz klar zu einem Ergebnis, und das setzen wir heu­te mit diesem Gesetz um. Das halte ich für ganz wichtig.

Ich möchte allerdings schon betonen, dass ich – und es ist ja kein Wunder, dass es sich um die Ausführungen der freiheitlichen Vorrednerinnen und Vorredner handelt – für besonders bemerkenswert halte, wenn zum Beispiel Teilhabe am Familienbegriff aus­schließlich heterosexuellen Beziehungen ermöglicht wird. Ich weiß, das seht ihr so. Ich kann euch versichern, dass in den allerallermeisten Fällen auch Lesben und Schwule aus Familien kommen. Sie wissen ganz genau, was Familien sind. Und ja, sie ent­scheiden sich auch dafür, Familien zu gründen. Und eigentlich ist ja das Konzept einer Familiengründung, einer Ehe, die Idee, dass man füreinander sorgt, dass man Verant­wortung übernimmt, also etwas, was wir als Staat begrüßen sollten.

Deshalb kann ich nicht nachvollziehen, warum man hier einen Unterschied zwischen einer Familienform und der anderen machen will, wenn man einfach bedenken muss, dass wir in einer vielfältigen Gesellschaft leben. Ich finde es auch ganz interessant, dass die christlichen Werte vor allem von der Freiheitlichen Partei so betont worden sind. Denn in der anderen Diskussion, die wir derzeit noch viel heftiger führen, nämlich der Islamismus-Debatte, wird immer wieder betont – vor allem von den Freiheitlichen – wie wichtig es ist, die Trennung von Kirche und Staat zu betonen. (Bundesrätin Mühl­werth: Ja eh, das ist nicht unwichtig!) Sie haben ja darüber gesprochen, dass das hier eine Rolle spielen soll. Da müssen wir auch die Vielfalt der Religionen und Nicht-Reli­gionen, der verschiedenen Familienformen, der verschiedenen Formen des Zusam­menlebens berücksichtigen. Und es geht hier nicht darum, dass man Menschen bevor­munden kann, sondern darum, dem, was existiert, einen rechtlichen Rahmen zu ge­ben. Darum geht es!

Noch in den siebziger und achtziger Jahren haben Politiker und Politikerinnen gesagt, die Ehe sei Voraussetzung, um Kinder zu bekommen. Wir wissen mittlerweile, dass das Quatsch ist und dass die Geschlechtsreife die Voraussetzung ist, um Kinder zu be­kommen – Das gilt auch für Lesben. Und Lesben wissen ganz genau, wie man schwan­ger wird. Das wissen sie ganz genau. Und sie wissen auch, dass sie es im Ausland machen konnten, dass sie nach Bratislava fahren konnten, dass sie nach Kopenhagen fahren konnten, dass sie nach Amsterdam fahren konnten, dass sie nach Berlin oder Paris oder nach London oder sonst wohin fahren konnten. Sie konnten es nicht in Ös­terreich machen. (Bundesrätin Mühlwerth: Das war ein Geschäft!) – Ja, es war ein Geschäft, sehr wohl. Aber genau dafür sorgt dieses Gesetz: dass es nicht zu Geschäf­temacherei kommt, denn es ist sehr, sehr gut vorbereitet worden. (Beifall bei Grünen und SPÖ.)

Und weil noch dazu – im Übrigen – nicht nur Lesben, sondern auch alleinstehende Frau­en genau wissen, wie man schwanger wird, gibt es auch bis jetzt natürlich Methoden,


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wie man es zu Hause macht. Ehrlich gesagt, wenn ich als Politiker die Entscheidung habe, ob die das irgendwie in Hinterhöfen machen, in irgendwelchen Kellern oder mit der sogenannten „Bechermethode“ oder dergleichen, oder ob ich ihnen die Möglichkeit gebe, dass das gut, sorgfältig, medizinisch betreut passiert, dann entscheide ich mich ganz klar für die medizinische Betreuung. (Beifall bei Grünen und SPÖ.)

Wir haben ja noch Diskussionen, die auf uns zukommen – ich sage nur Adoptions­recht –, aber wir müssen auch ganz klar einmal festhalten, dass es die Rolle eines Staates ist, für die Vielfalt der Lebensformen gestalterisch Rahmen zu schaffen, und dass niemandem etwas weggenommen wird, denn ich sage auch gleich – so sehr ich dieses Gesetz unterstütze –: Wenn jemand aus religiösen Gründen eine medizinisch unterstützte Fortpflanzung ablehnt, dann ist das ihr gutes Recht. Es wird auch niemand gezwungen, das in Anspruch zu nehmen, man kann sich dagegen entscheiden. Ich finde, das ist legitim, das ist Toleranz, das ist Respekt – und zwar in alle Richtungen. Und deswegen ist dieses Gesetz der richtige Weg, den wir zu gehen haben. (Beifall bei Grünen und SPÖ sowie bei Bundesräten der ÖVP.)

Freilich haben auch wir sehr intensiv darüber diskutiert. Natürlich gab es auch – gerade was die Präimplantationsdiagnostik betraf – bei uns sehr tiefgehende Diskussionen, sehr kontroverse Diskussionen. Das soll auch so sein – wir leben ja in einer Demokra­tie und nicht in einer Diktatur –, dass eine solche Diskussion stattfinden darf. Es ist auch ein gutes Recht, dagegen zu stimmen, nebenbei gesagt. Das sehe ich auch so.

Wo wir allerdings bei diesem Gesetz noch etwas unglücklich sind, das ist bezüglich der alleinstehenden Frauen. Denn mit der Logik, die ich gerade erzählt habe, dass Frauen genau wissen, wie man schwanger wird, wissen das natürlich auch alleinstehende Frauen. Und alleinstehenden Frauen ermöglichen wir es mit diesem Gesetz nicht, sich medizinisch betreut fortzupflanzen. Sie müssen nach wie vor die Reise ins Ausland antreten oder das abseits der Medizin machen. Das finden wir bedauerlich. Das hätten wir uns natürlich gewünscht. Aber, man muss immer überlegen: Ist es ein guter Schritt vorwärts? – Und da sagen wir ganz klar: Ja!

Meine Kollegin Nicole Schreyer wird dann noch detaillierter auf den einen oder ande­ren Punkt eingehen, aber erlauben Sie mir am Ende schon noch eine vielleicht nicht ganz so ernst gemeinte – ja doch, es ist schon eine ernst gemeinte Bemerkung: Bitte, liebe Freiheitliche, hört auf mit diesem Argument der Natur. Zum einen haben Men­schen den Vorteil, dass sie intelligente Wesen sind, sie sind also kultur- und ver­nunftbegabt (Bundesrat Dörfler: Na ja?!) – mit all ihren Schattenseiten, ich weiß. Aber wenn Sie schon dieses verrückte Argument der Natur in Anspruch nehmen, dann darf ich Sie aufklären, dass Homosexualität in über 500 Spezies gefunden und entdeckt wurde, dass es sogar Adoptionen bei Delphinen, bei Enten, bei Störchen und so weiter gibt, dass die sehr liebevoll aufgezogen werden. (Allgemeine Heiterkeit.) Es gab im Kölner Zoo ein schwules Storchenpaar mit Babys. (Beifall bei Grünen und SPÖ.) Es gibt nur ein Phänomen, das ausschließlich bei einer Spezies gefunden wurde, und zwar, dass Homosexuelle ausgegrenzt werden – und das ist bei der Spezies Homo sapiens. – Danke. (Beifall bei Grünen und SPÖ.)

12.46


Vizepräsident Mag. Harald Himmer: Zu Wort gelangt Frau Bundesrätin Blatnik. – Bit­te, Frau Kollegin.

 


12.46.52

Bundesrätin Ana Blatnik (SPÖ, Kärnten): Meine sehr geehrten Damen und Herren! Spoštvane dame in gospodje! Es ist ein sensibles Thema, ja, aber bitte lassen wir es nicht zu, dass mit diesem Thema polarisiert wird – polarisiert wird, dargelegt am Bei­spiel eines Mails, das ich bekommen habe, dass keine Frau ein Recht auf ein gesun­des Kind hat, polarisiert wird, indem man hier am Rednerpult diese Präimplantations-


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diagnostik mit einer schweren Zeit vergleicht, in der es, wenn ich Sie richtig verstanden habe, um bestimmte Kinder gegangen ist – die blauäugig und vielleicht blond sein soll­ten. – Das ist für mich inakzeptabel und das lehne ich wirklich strikt ab. (Beifall bei SPÖ und Grünen.)

Wer von uns kann oder darf werten, was er oder was sie bekommen darf, und was nicht? Wer hat das Recht dazu? Ich kann nicht werten, was mein Kollege Stadler macht. Ich bin für die Selbstbestimmung, dass jeder das macht und auch das machen darf und kann, was er oder sie will. Keiner soll irgendwie bevormunden und sagen, was zu machen ist und nicht zu machen ist, und jeder und jede soll freiwillig entscheiden, ob sie die Möglichkeit einer Präimplantationsdiagnostik macht und zulässt oder nicht.

Wenn man die Familie so darstellt, dass die beste Familie aus Vater, Mutter und Kind besteht, dann ist das noch immer kein Garantieschein, dass das Kindeswohl funktio­niert. Bei einer Familie, wie Sie sie sich vorstellen – Vater, Mutter, Kind –, kann die Er­ziehung oder das Kindeswohl gut gehen oder auch nicht. Die Lebensformen haben sich wirklich verändert. Deshalb ist es praktisch ein Punkt dieses Beschlusses, dass man damit den gesellschaftlichen Entwicklungen und den aktuellen Gegebenheiten ge­recht wird.

Meine sehr geehrten Damen und Herren, wir SPÖ-Frauen haben immer die partner­schaftliche Erziehung verlangt. Schauen wir uns heute an, wie Sie sich vorstellen, wie in dieser Familie die partnerschaftliche Erziehung funktioniert: Noch immer sind es wir Frauen, die zum Großteil die Erziehung übernehmen, und noch immer haben sich nur wenige Väter – es hat sich schon etwas verändert – dazu bekannt, dass sie in Väter­karenz gehen. Ich möchte nicht noch einmal alles wiederholen. Ich kann zu 100 Pro­zent unterschreiben, was du (in Richtung Bundesrat Schreuder) gesagt hast, und auch alle von ÖVP und SPÖ. Ich möchte nur etwas ergänzen: Es geht nicht um Zwang, es geht um die Möglichkeit zu entscheiden  zu entscheiden, ob ich eine künstliche Be­fruchtung will, ja oder nein. Und ich glaube, das ist legitim, das ist ein großer Meilen­stein zur Gleichbehandlung und praktisch auch eine Beseitigung der Diskriminierung.

Die Präimplantationsdiagnostik ist ja grundsätzlich verboten – das muss man ja auch sagen. Hier gibt es ja nur in Ausnahmefällen diese Möglichkeit, nämlich wenn ich drei Fehlgeburten gehabt habe, wenn ich eine Totgeburt habe oder zum Beispiel auch, wenn die große Gefahr einer Erbkrankheit besteht. Und da muss man sich schon fra­gen, was eine Erbkrankheit ist. Das ist nicht so ein kleine Beeinträchtigung, da geht es zum Beispiel um Hirnschäden, da geht es zum Beispiel um Schmerzen, die ein Kind aushalten muss, die medizinisch nicht mehr regelbar sind. Dabei geht es aber bitte nicht um die Frage wertes oder unwertes Leben. Es geht auch nicht um perfekt oder nicht perfekt, es geht nicht um Designerbabys und es geht hier bitte auch nicht um Ausselektieren. Es geht hier um Fragen, die schwerwiegend sind, um lebensbedrohli­che Situationen, und jeder kann entscheiden, ob er das durchstehen kann oder nicht.

Dafür stehen wir und deswegen werde ich diesem Gesetz sehr gern zustimmen.

(Die Rednerin setzt ihre Ausführungen in slowenischer Sprache fort.)

Hvala, danke. (Beifall bei SPÖ und Grünen sowie bei Bundesräten der ÖVP.)

12.52


Vizepräsident Mag. Harald Himmer: Nächster Redner ist Herr Bundesrat Tiefnig. – Bitte, Herr Kollege.

 


12.53.20

Bundesrat Ferdinand Tiefnig (ÖVP, Oberösterreich): Sehr geehrter Herr Präsident! Frau Bundesminister! Auch von unserer Seite an die Frau Bundesminister Oberhauser sehr wohlwollende Genesungswünsche, dass sie die Wege, die sie vorgezeichnet hat, auch weiter fortsetzen kann.


BundesratStenographisches Protokoll838. Sitzung / Seite 77

Geschätzte Damen und Herren, mit dem heutigen Fortpflanzungsmedizingesetz hat die ÖVP bewiesen, wie breit aufgestellt sie ist. Wir haben in unserer Fraktion eine breite Diskussion gehabt, noch offen gelassen nach den Entscheidungskriterien. Ich glaube, das ist ein ganz wichtiger Schritt.

Wenn Sie, liebe Kollegen von der Freiheitlichen Partei, Entscheidungen des Verfas­sungsgerichtshofes oder Entscheidungen des Europäischen Gerichtshofes für Men­schenrechte nicht ernst nehmen, dann wird es wirklich Zeit, zu hinterfragen, welche Interessen Sie wirklich verfolgen. Ich weiß noch, welche Äußerungen vor sieben, acht Jahren Ihr Freund John Gudenus hier im Bundesrat gemacht hat. – Ist der noch immer Parteimitglied? (Bundesrat Jenewein: Was hat das damit zu tun?) – Weil Sie, wie Sie sagen, leben schützen, die christlichen Werte vertreten. Ich hoffe, dass ich nicht von der katholischen Kirche ausgeschlossen werde, wenn ich heute diesem Gesetz zustim­me. Ich werde meinen Glauben trotzdem nicht ändern, denn Gott liebt Kinder, und mit diesem Gesetz ermöglichen wir, Leben zu ermöglichen.

Liebe Freunde, wenn wir es heute mit diesem Gesetz den Frauen ermöglichen, hier in Österreich dementsprechend ihren Kinderwunsch zu erfüllen, dann schaffen wir keine Zweiklassengesellschaft. Und diese hatten wir bis jetzt, den diejenigen, die es sich leisten konnten, sind ins Ausland gereist, um die Präimplantationsdiagnostik vorneh­men zu lassen. Gott sei Dank sind wir jetzt auch in unserer Gesellschaft so weit, dass wir diesen Beschluss hier im Bundesrat vollziehen können.

Die Bioethik-Kommission hat jahrelang darauf hingearbeitet, dass wir heute auch im Bundesrat diesen Beschluss fassen können. Ich verstehe nicht, dass Sie, wenn wir Le­ben ermöglichen, dagegen stimmen, denn es ist ein wesentlicher Punkt, dass nicht nur in Familien, wo Vater und Mutter sind, geliebt wird, sondern auch bei gleichgeschlecht­lichen Partnerschaften.

Ich kenne einige Familien, die in der Vergangenheit zu mir gekommen sind und gesagt haben: Wir hatten ein Problem, Kinder zu bekommen, und sind ins Ausland gereist, das hat uns viel Mühe und Geld gekostet!, und die mir jetzt gesagt haben: Deshalb sa­ge bitte du als Mitglied der ÖVP das in deiner Fraktion, setze dieses Gesetz in die Tat um und sprich nicht nur davon!

Ich habe auch einen Bekannten, bei dem drei Mädchen hintereinander zwei bis fünf Monate nach der Geburt verstorben sind und dem die Ärzte gesagt haben, dass auch in Zukunft kein Mädchen älter werden würde. – Wer hat hier mehr Leid?

Wenn die Präimplantationsdiagnostik eingesetzt wird, um eine Fehlgeburt oder das Ab­leben zu vermeiden, ist es der ÖVP aber auch ein wichtiges Anliegen, dass entspre­chende psychologische Betreuung geleistet wird, auch für diejenigen, die dann in spä­terer Folge Probleme haben. Sie haben ja angeführt, dass möglicherweise die Frau mit dem Gedanken an eine fremde Eizellenspenderin nicht alleine fertig wird. Daher ist es für uns wichtig, dieses Gesetz so darzustellen, wie es auch den Bürgerinnen und Bür­gern zugutekommt, und nicht, wie es von manchen Seiten populistisch ausgelegt wird.

Wir werden diesem Gesetz gerne zustimmen und danken auch den Mitarbeitern des Ministeriums für die Vorbereitung, allen Fachkräften, wie zum Beispiel Prof. Hengst­schläger, dem Justizministerium für die gute Information, damit hier ein breite Mehrheit dem Gesetz zustimmen kann. Und ich danke all denjenigen, die dem Kinderwunsch der Menschen in Österreich zustimmen. In diesem Sinne ein herzliches Dankeschön.

Wir stimmen diesem Gesetz gerne zu. (Bundesrat Jenewein: Alle?!) – Das werden wir sehen, wir sind eine offene Partei. (Beifall bei der ÖVP.)

12.59


Vizepräsident Mag. Harald Himmer: Zu Wort gelangt Frau Bundesrätin Mag. Schrey­er. – Bitte, Frau Kollegin.

 



BundesratStenographisches Protokoll838. Sitzung / Seite 78

12.59.14

Bundesrätin Mag. Nicole Schreyer (Grüne, Tirol): Hohes Haus! Sehr geehrte Frau Mi­nisterin! Sehr geehrte Zuseher hier und zu Hause! Ich möchte gern nahtlos an meinen grünen Kollegin Marco Schreuder anknüpfen und sagen, auch ich freue mich wirk­lich sehr, denn der hier heute vorliegende Gesetzentwurf ist ein sehr wichtiger Schritt – weg von der Diskriminierung und hin zur Gleichstellung! Es ist ein sehr wichtiger Schritt für unsere Gesellschaft, dass homosexuelle Frauen nicht nur ganz gleichberechtigt Steu­ern zahlen dürfen, sondern auch ganz gleichberechtigt wie alle heterosexuellen Frauen in Österreich dieselben Angebote legal in Anspruch nehmen dürfen.

Ich möchte noch auf ein paar Meldungen von vorhin eingehen. Liebe Frau Kollegin Mühlwerth, die Grünen wollen die Familie nicht abschaffen, wie das immer wieder gern propagiert wird. Wir wollen, dass es eine Gleichstellung und eine Gleichwertigkeit für alle Familienformen gibt, die es in Österreich gibt. Das ist die klassische Vater-Mutter-Kind-Familie – zu der ich ja selbst gehöre, die will ich natürlich nicht abschaffen –, das sind AlleinerzieherInnen, das sind Patchwork-Familien und das sind eben auch Fami­lien mit gleichgeschlechtlichen Elternteilen. Für uns, für die Grünen ist eine Familie ein­fach die Gemeinschaft, in der Kinder und Eltern glücklich sind. So einfach ist das, mehr wollen wir nicht. (Beifall bei Grünen und SPÖ.)

Das Zweite: Es sind auch die Vorredner schon darauf eingegangen; ich möchte noch ein bisschen präzisieren und wirklich auch für die ZuseherInnen zu Hause noch einmal konkretisieren, was mit Präimplantationsdiagnostik genau gemeint ist. Die Präimplanta­tionsdiagnostik ist wirklich nur im Ausnahmefall zulässig, und es ist immer eine Einzel­fallbeurteilung.

Präimplantationsdiagnostik wird durchgeführt im Vier- bis Zehnzellstadium, also wirk­lich in einem ganz, ganz frühen Beginn nach Zusammenführung von Eizelle und Sa­menzelle. Sie ist nur zulässig, wenn vorher drei oder mehr Übertragungen nicht funktio­niert haben, wenn es vorher zumindest – das hat der Kollege vorhin auch schon ange­sprochen – drei ärztlich nachgewiesene Fehl- oder Totgeburten gegeben hat – da muss also wirklich schon sehr, sehr viel passiert sein – und wenn aufgrund der genetischen Disposition von zumindest einem Elternteil die ernste Gefahr besteht, dass es zu einer Fehl- oder Totgeburt beziehungsweise zu einer Erbkrankheit des Kindes kommt. Das ist auch schon angesprochen worden.

Eine Erbkrankheit wird im § 2 dieses Fortpflanzungsmedizingesetzes so definiert: Un­ter Erbkrankheit wird verstanden, dass das Kind „während der Schwangerschaft oder nach der Geburt ... nur durch den ständigen Einsatz moderner Medizintechnik“ oder den fortdauernden Einsatz anderer medizinscher und pflegerischer Hilfe am Leben er­halten werden kann, wenn „schwerste Hirnschädigungen“ zu erwarten sind oder wenn das Kind auf Dauer unter „nicht wirksam behandelbaren schwersten Schmerzen“ leidet.

Wir reden da also nicht von irgendwelchen kleinen Fuzi-Krankheiten, sondern wir re­den wirklich von schwersten Erkrankungen.

Gut, ich möchte jetzt aber – das hat der Kollege schon angekündigt – auf eine weitere sehr große Gruppe in der österreichischen Gesellschaft eingehen, die noch von der Mög­lichkeit zur künstlichen Befruchtung ausgenommen ist, und möchte da auch gleich an Sie, verehrte Frau Ministerin, meinen Appell richten. Ich möchte hier für die alleinste­henden Frauen mit Kinderwunsch sprechen. Trotz des Antrages von uns Grünen im Nationalratsausschuss kommen alleinstehende Frauen nämlich noch nicht in diesem Gesetzesantrag vor.

Hier im Bundesrat sind über 70 Prozent der Abgeordneten Männer, und Männer kön­nen sich bekanntlich bis ins hohe Alter uneingeschränkt fortpflanzen. Daher möchte ich jetzt die Situation von Frauen ein bisschen ausführlicher beschreiben, damit meine Ar­gumentation hier auch nachvollziehbar ist.


BundesratStenographisches Protokoll838. Sitzung / Seite 79

Die durchschnittliche Frau hat in etwa 30 Jahre Zeit, um Kinder zu bekommen. Bis Mit­te 20 sind die meisten Mädchen und Frauen mit Schule und Studium beziehungsweise Arbeitsbeginn beschäftigt. Die letzten Jahre sind schon sehr ungewiss, was die Er­folgsaussichten, Kinder zu bekommen, betrifft. Es bleiben also ungefähr zehn bis fünf­zehn Jahre, die wirklich ideal für eine durchschnittliche Frau in Österreich zum Kinder­kriegen sind.

In diesen zehn bis fünfzehn Jahren den genau passenden Partner oder die genau pas­sende Partnerin zu finden, ist großes Glück, und ich freue mich für alle, die dieses Glück haben. Aber was, wenn nicht? – Beziehungen gehen auseinander, fast jede zwei­te Ehe in Österreich wird geschieden. Habe ich dann einfach Pech gehabt, und muss ich für den Rest dieses Lebens, dieses einen Lebens, das ich habe, verzichten auf das irrsinnige Glück, Mutter zu sein?

Normalerweise hat eine alleinstehende Frau dann drei Möglichkeiten – wie sie auch lesbische Paare bis zu dieser jetzigen Novelle bekommen haben –, schwanger zu wer­den, nämlich mithilfe eines privaten Samenspenders, über eine Samenbank im Aus­land oder, als dritte Möglichkeit, über Geschlechtsverkehr mit einem Gelegenheitspart­ner, die einfachste und unbürokratischste aller Methoden. Das sind alles in allem sehr wenig attraktive Optionen. Was spricht dagegen, dass diese alleinstehenden Frauen die Möglichkeit der Fortpflanzungsmedizin nutzen?!

Das Argument, dass ein Kind schon von der Planung an beide Eltern braucht, lasse ich nicht gelten. Das ist vielleicht der Idealfall, aber der Normalfall ist es sehr oft nicht mehr. Im Jahr 2013 gab es in Österreich 154 000 AlleinerzieherInnen mit 230 000 Kin­dern. Also dieser Normalfall, dass immer Vater, Mutter und Kind zusammen eine Fami­lie bilden, ist einfach nicht mehr die Realität.

Hier bin ich gleich am zweiten, noch wichtigeren Punkt in der Argumentation: dem Kin­deswohl, das heute schon sehr oft bemüht worden ist. Im Fortpflanzungsmedizingesetz ist die Auskunftspflicht ab 14 Jahren die Regel; das heißt, dass die Kinder einen Rechts­anspruch auf Auskunft darüber haben, wer ihr leiblicher Vater ist. Bei den nicht medi­zinisch unterstützten Fortpflanzungen ist das nicht gegeben. Ganz im Gegenteil: Eine Frau muss den Vater ihrer Kinder weder benennen noch kennen.

Es stellt sich daher auch nicht die Frage, ob eine alleinstehende Frau ihren Kinder­wunsch realisieren können soll oder nicht – denn die Möglichkeit dazu hat sie ja ir­gendwie –, sondern die Frage ist, ob sie dies unter medizinischer Betreuung tun darf und ob das Kind einen Rechtsanspruch auf Kenntnis des biologischen Vaters haben soll. Das ist die Diskussion, um die es dabei gehen soll.

Wenn man alleinstehenden Frauen den Zugang weiterhin nicht erlaubt, bewirkt das nicht, dass Kinder beide Elternteile haben, sondern es schadet den Frauen. Es schadet den Frauen, die keine medizinische Betreuung bei der Fortpflanzung erhalten. Man scha­det damit auch den Kindern, die kein Recht auf Kenntnis ihres biologischen Vaters ha­ben.

Wir Grünen stehen da mit unserer Forderung bei Weitem nicht allein da. In der Begut­achtung hat diese Forderung unter anderem die Arbeiterkammer, die Bioethikkommis­sion, der Städtebund und der Verband der PsychotherapeutInnen unterstützt. (Vizeprä­sidentin Posch-Gruska übernimmt den Vorsitz.)

Ich möchte abschließend noch einmal betonen, wie froh wir Grünen sind, dass mit die­sem Gesetz schon sehr viel für Frauen mit Kinderwunsch in Österreich erreicht ist. Ich möchte aber auch an Sie appellieren – es ist jetzt eben bis zu deren Genesung nicht die Frau Gesundheitsministerin da, aber in diesem Fall ist, glaube ich, die Frauenmi­nisterin ohnehin die bessere Ansprechperson dafür –, also an Sie möchte ich appellie-


BundesratStenographisches Protokoll838. Sitzung / Seite 80

ren, hier noch einen Schritt weiter zu gehen, umzudenken und die alleinstehenden Frau­en Österreichs in das Fortpflanzungsmedizingesetz aufzunehmen. – Danke schön. (Bei­fall bei Grünen und SPÖ.)

13.07


Vizepräsidentin Inge Posch-Gruska: Als Nächster zu Wort gemeldet ist Herr Bundes­rat Mag. Himmer. – Bitte.

 


13.07.18

Bundesrat Mag. Harald Himmer (ÖVP, Wien): Sehr geehrte Frau Präsidentin! Hohes Haus! Ich denke, dass wir beim Fortschritt der modernen Medizin immer wieder an Punkten anlangen werden, wo es selbst für fundierte Moraltheologen nicht einfach sein wird, einfache Antworten zu geben, was falsch und was richtig ist.

In jedem Fall finde ich, dass es richtig ist, dass wir in Österreich eine Trennung zwi­schen Staat und Kirche haben, dass wir hier im Parlament diejenigen sind, die die Ge­setze für die gesamte Gesellschaft zu machen haben, und dass selbstverständlich un­terschiedliche Religionen und auch die Institutionen unterschiedlicher Religionen das Recht auf ihre eigenen ethischen und moralischen Vorstellungen haben.

Ich bin überzeugt davon, dass es, auch wenn es diese Gesetzeslage gibt, weiterhin Menschen geben wird, die aus moralischen oder religiösen Gründen so handeln wer­den, wie sie bis jetzt gehandelt haben, und von den Möglichkeiten einer potenziell neu­en Gesetzeslage nicht Gebrauch machen werden, weil eben ihre religiöse Überzeu­gung, ihre moralischen Gedanken eine andere Kategorie schaffen.

Gleichzeitig, denke ich, erleben wir hier auch gemeinsam – weil wir immer wieder die Höchstgerichte zitieren – den Punkt in der Politik, an dem uns auch eines klar sein muss: Wenn wir als Gesetzgeber, wenn wir als unterschiedliche Parteien nicht in der Lage sind, Gesetze mit Zweidrittelmehrheit zu regeln, weil wir hier keinen Konsens auf dieser breiten Basis haben, dann werden eben Höchstgerichte interpretieren, was für eine Grundsatzgesetzgebung wir geschaffen haben.

Was ich in jedem Fall positiv finde in der Debatte, die wir heute gehabt haben, ist, dass ich eigentlich von allen Rednern gehört habe, dass es die ideale Konstellation für jedes Kind ist, Vater und Mutter zu haben. Das finde ich einmal einen guten Beitrag dieser Debatte, dass das immer wieder auch von allen gesagt wurde.

Ich glaube, jeder von uns kennt und weiß um das Leid der Kinder Bescheid, die einen Vater vermissen, die eine Mutter vermissen oder die beide Elternteile vermissen. Gleich­zeitig wissen wir aber auch, so vielfältig, wie die Gesellschaft ist, in der wir leben, gibt es dann Gott sei Dank oft andere Personen, die eine Vaterrolle übernehmen, die eine Mutterrolle übernehmen, und es ist natürlich auch für die kleinen Menschen, die dann große Menschen werden, trotzdem ein lebenswertes Leben, das sie gelebt haben, auch wenn sie aus einer schwierigen Situation gekommen sind.

Ich denke, so wie wir bisher, wo es noch nicht viel Medizin gegeben hat, manchmal selber überrascht darüber waren, dass wir Leben geschaffen haben, ungeplant Leben geschaffen haben, das nachher keiner mehr rückgängig machen wollte, wenn er die­sem geschaffenen Leben in die Augen geschaut hat, so wird es, denke ich, auch so sein, dass wir aufgrund dieser neuen Möglichkeiten irgendwann einmal Menschen in die Augen blicken werden, die aufgrund der Fortschritte der Medizin zur Welt gekom­men sind. Wir werden diesen Menschen genauso in die Augen blicken und nicht den­ken, dass es gescheiter wäre, wenn sie nicht zur Welt gekommen wären.

Es gibt, sobald der Mensch auf der Welt ist, das Phänomen, dass die meisten Men­schen – nicht alle, aber die meisten Menschen – gerne auf der Welt sind und auch dankbar sind, wenn sie auf der Welt sind, selbst wenn es unter komplizierten Umstän­den im persönlichen Umfeld stattfindet.


BundesratStenographisches Protokoll838. Sitzung / Seite 81

Ich möchte hier ausdrücklich betonen, dass ich nicht eine Kategorisierung sehe von denen, die für das Gesetz stimmen, und denen, die gegen das Gesetz stimmen, dass man hier das Recht hat, zu sagen, dass die einen die Guten und die anderen die Schlechten sind und dass die einen moralisch und die anderen unmoralisch sind.

Wir werden lernen müssen, dass wir in einer Gesellschaft leben – wahrscheinlich war es immer schon so, aber es wird eben jetzt immer deutlicher –, wo es unterschiedliche ethische und moralische Vorstellungen gibt, wo es den Wahnsinn gibt, den wir erleben rund um unterschiedliche Terrororganisationen, wo Kriege geführt werden aus pseudo­moralischen Gründen und wo auch Götter zitiert werden oder wo aufgrund von reli­giösen Motiven brutalste Vorgangsweisen Realität sind. Also ich glaube, dass wir ler­nen müssen, in einer Welt zu leben mit unterschiedlichen ethischen und moralischen Vorstellungen. Es müssen auch unterschiedliche ethische und moralische Vorstellun­gen nebeneinander gelebt werden können.

Wir als Gesetzgeber überlassen es mit diesem Gesetzesbeschluss, wenn er heute so die Mehrheit findet, aus meiner Sicht jeder Familie, jedem Menschen, weiterhin auch nach seinen eigenen ethischen und moralischen Vorstellungen zu leben. Das ist eine Kernaufgabe eines Gesetzgebers. (Beifall bei ÖVP, SPÖ und Grünen.)

13.12


Vizepräsidentin Inge Posch-Gruska: Als Nächste zu Wort gemeldet ist Frau Minis­terin Heinisch-Hosek. – Bitte.

 


13.13.04

Bundesministerin für Bildung und Frauen Gabriele Heinisch-Hosek: Frau Präsi­dentin! Geschätzte Kolleginnen und Kollegen im Bundesrat! Liebe Sabine Oberhauser, ich vertrete dich heute hier sehr, sehr gerne. Eine gewisse Symbolhaftigkeit hat es auch, weil ich als Frauenministerin hier stehen darf und ich gleich auf die Mehrdimen­sionalität der heutigen Debatte eingehen möchte. (Vizepräsident Himmer übernimmt wieder den Vorsitz.)

Aber zunächst einmal ein kurzer Rückblick. Wenn Sie sich gemeinsam mit mir erin­nern, sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen: der lange Weg, bis wir das Gesetz zur eingetragenen Partner-/Partnerinnenschaft gehabt haben, die vielen Verhandlungen. Heute stehen wir – und die Reparatur ist bis 31. Dezember zu tun – auch vor der De­batte um ein Adoptionsrecht homosexueller, gleichgeschlechtlicher Paare.

Das heißt, Schritt für Schritt nähern wir uns einer, würde ich sagen, Lebensrealität im 21. Jahrhundert an. Die Aussage vieler Rednerinnen und Redner heute ist auch gewe­sen, dass das 21. Jahrhundert verschiedenste Lebens- und Familienformen hat, in de­nen wir uns auch selbst wiederfinden. Stellen Sie sich vor, sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen – oder vielleicht ist es auch in realiter so –, dass Söhne von Ihnen viel­leicht schwul sind oder Töchter von Ihnen vielleicht lesbisch sind und diese dann auch einen Kinderwunsch äußern. Das kann uns ja im täglichen Leben, in unserer eigenen Geschichte, in der eigenen Familie passieren, das ist so. Statistisch gesehen müssten hier auch Menschen sein, deren Kinder vielleicht gleichgeschlechtlich lieben und leben möchten, auch eine Familie haben möchten und einen Kinderwunsch haben. Ich denke also, wir sollten uns hier doch nicht einer Realität verwehren, die gelebt wird.

Weil heute auch gesagt wurde, Familie ist ein Ort, wo Kinder geliebt werden sollen – das wurde auch von einer der Vorrednerinnen, von Bundesrätin Ana Blatnik gesagt –: Es ist nicht sicher, dass in heterosexuellen Familien Kinder immer so geliebt werden, wie es der Fall sein sollte. Ich denke da an Gewalterfahrungen, Missbrauchserfah­rungen von Kindern, auch ganz kleinen Kindern. Da haben wir auch eine hohe Dun­kelziffer, würde ich glauben, an Missbrauchsfällen, die wir gar nicht erahnen und ken­nen.


BundesratStenographisches Protokoll838. Sitzung / Seite 82

Die heutige Mehrdimensionalität ist gesellschaftspolitisch auf der einen Seite gegeben, gesundheitspolitisch – ich komme gleich noch darauf zurück – auf der anderen Seite, aber auch der ethische Umgang mit diesem Thema, der sehr umsichtig sein soll – die­ser Meinung bin ich auch –, und der frauenpolitische Aspekt gehören dazu. Ich glaube, dass das Fortpflanzungsmedizinrechts-Änderungsgesetz, das ja einige Gesetze subsu­miert, ein nächster wichtiger Schritt in die Richtung ist, wie wir im 21. Jahrhundert mit­einander umgehen sollten und wie wir auch unser Zusammenleben gestalten können. Da braucht man nicht herumzumoralisieren. Ich glaube, dass man jeden und jede sein und ihr Leben so leben lassen sollte, wie er oder sie das möchte, ob mit Kindern oder ohne Kinder.

Ja, ich gestehe zu, ich hätte gerne auch für alleinstehende Frauen gehabt, dass die Samenspende möglich wird; das ist dann vielleicht der nächste Schritt. Ich hätte auch gerne gehabt, dass die Öffnung der Ehe für gleichgeschlechtliche Paare demnächst Wirklichkeit wird; vielleicht ist das der übernächste Schritt. Ich bin da also durchaus op­timistisch.

Dieses Mal sind es Erkenntnisse und Urteile gewesen für diese nächsten Schritte in der Gesundheitspolitik, in der Ethik, wo die Bioethikkommission – mit den Mitgliedern bin ich ja auch seit Jahren in Verbindung – seit mehr als zehn Jahren diese Anpassung an internationale Standards fordert, damit nichts im Ausland passieren muss oder ir­gendwie unrecht passieren soll, was jetzt unter hohen Auflagen rechtens ist.

Da komme ich zur ethischen Debatte, die sehr heikel ist. Da bin ich sehr froh, dass bei der Präimplantationsdiagnostik – und ich mag ja das Wort „Designerbaby“ überhaupt nicht mehr in den Mund nehmen – ganz genau darauf geschaut wird, Dinge zu verhin­dern, die Frauen bisher zugemutet wurden – nämlich Schwangerschaft auf Probe, nicht zu wissen, ob der Embryo überlebt, der unter den Bedingungen eingepflanzt wird, die hier im Gesetz auch aufgeführt und aufgelistet sind, oder ein schwerstbehindertes Kind zur Welt zu bringen, das unmittelbar nach der Geburt oder dann im Anschluss daran sowieso sterben muss. Das wurde bisher den Lebewesen, die geboren wurden, und auch den Frauen, die schwanger waren, zugemutet.

Das ist nur eine Dimension, die in diesem Gesetz abgebildet wird. Es gibt auch die Di­mension, dass Eizellenspende unter gewissen Bedingungen möglich sein muss. Leih­mutterschaft ist nicht – da braucht man, glaube ich, gar nicht darüber zu reden – ir­gendwie industrialisiert, sondern mit Altersgrenzen, Kommerzialisierungsverbot und all dem, was dazugehört, ganz streng geregelt. Da haben wir uns die deutschen Gesetze gut angeschaut. Ich glaube, dass da auch jede und jeder mitkönnen sollte, wenn unter diesen Auflagen hier Veränderungen kommen, die den Kinderwunsch erfüllen.

Und jetzt bin ich beim Kinderwunsch angelangt. Die IVF-Methode ist eine Situation, die ohnehin – und das wurde auch schon gesagt – für Frauen und Männer, die Männer nicht direkt, sondern indirekt, aber für Frauen sehr belastbar sein kann, sodass es hier auch die Möglichkeiten des Hinschauens gibt, um zu verhindern, dass nachher Leid passieren muss.

Ich wünsche allen gleichgeschlechtlichen Paaren – und ich kenne sehr viele als Pflege­eltern, bei denen Kinder aufwachsen, denen es völlig wurscht ist, ob sie zwei Mamas oder zwei Papas haben, die wollen glücklich sein, die wollen ein gutes Leben haben –, dass hier mit diesem Gesetz auch ein nächster Schritt passieren kann.

Ich glaube, Dinge in Frage zu stellen, die nicht im Gesetz drinstehen, das muss man nicht tun, das ist nur das Schlagen von politischem Kleingeld. Ich ersuche darum, das auf der einen Seite zu verhindern und sich genau die gesetzliche Vorlage anzuschauen und auf der anderen Seite bitte auch im 21. Jahrhundert anzukommen und zur Kennt­nis zu nehmen, dass wir uns nicht einzumischen haben in Lebensformen, in Familien-


BundesratStenographisches Protokoll838. Sitzung / Seite 83

formen. Wir sollten akzeptieren, wie Menschen zusammenleben wollen, ob mit oder oh­ne Kinder.

Ich freue mich darüber, dass hier sehr wohl der Fortschritt über den Rückschritt siegen wird. (Beifall bei SPÖ, ÖVP und Grünen.)

13.19

13.19.40

 


Vizepräsident Mag. Harald Himmer: Weitere Wortmeldungen liegen dazu nicht vor.

Wünscht noch jemand das Wort? – Das ist nicht der Fall. Die Debatte ist geschlossen.

Wir kommen zur Abstimmung über den Beschluss des Nationalrates vom 21. Jän­ner 2015 betreffend ein Fortpflanzungsmedizinrechts-Änderungsgesetz 2015.

Es liegt ein Antrag der Bundesrätin Monika Mühlwerth, Kolleginnen und Kollegen vor, gegen den vorliegenden Beschluss des Nationalrates mit der beigegebenen Begrün­dung Einspruch zu erheben.

Es ist hiezu namentliche Abstimmung verlangt worden.

Da dieses Verlangen von fünf Bundesräten gestellt wurde, ist gemäß § 54 Abs. 3 der Geschäftsordnung eine namentliche Abstimmung durchzuführen. Ich gehe daher so vor.

Im Sinne des § 55 Abs. 5 der Geschäftsordnung erfolgt die Stimmabgabe nach Aufruf durch die Schriftführung in alphabetischer Reihenfolge mündlich mit „Ja“ – das heißt Einspruch – oder „Nein“ – kein Einspruch. Ich bitte um deutliche Worte.

Ich ersuche nunmehr die Schriftführung um den Aufruf der Bundesrätinnen und Bun­desräte in alphabetischer Reihenfolge.

*****

(Über Namensaufruf durch die Schriftführerin Junker geben die Bundesrätinnen und Bundesräte ihr Stimmverhalten mündlich bekannt.)

*****

 


Vizepräsident Mag. Harald Himmer: Die Stimmabgabe ist beendet.

Ich unterbreche zur Auszählung der Stimmen kurz die Sitzung.

*****

(Die Stimmenzählung wird vorgenommen. – Die Sitzung wird um 13.24 Uhr unterbro­chen und um 13.26 Uhr wieder aufgenommen.)

*****

 


Vizepräsident Mag. Harald Himmer: Ich nehme die unterbrochene Sitzung wieder auf und gebe das Abstimmungsergebnis bekannt.

Demnach entfallen auf den Antrag, gegen den vorliegenden Beschluss des Nationalrates vom 21. Jänner 2015 betreffend ein Fortpflanzungsmedizinrechts-Änderungsgesetz 2015 mit der beigegebenen Begründung Einspruch zu erheben, bei 59 abgegebenen Stim­men 8 „Ja“-Stimmen und 51 „Nein“-Stimmen.

Der Antrag auf Erhebung eines Einspruches ist somit abgelehnt.


BundesratStenographisches Protokoll838. Sitzung / Seite 84

Mit „Ja“ stimmten die Bundesrätinnen und Bundesräte:

Brückl;

Dörfler;

Herbert Werner;

Jenewein;

Krusche;

Längle;

Mühlwerth;

Schmittner.

Mit „Nein“ stimmten die Bundesrätinnen und Bundesräte:

Beer, Bierbauer-Hartinger, Blatnik, Bock, Brunner;

Dönmez;

Ebner Adelheid, Ebner Bernhard;

Fetik, Füller, Fürlinger;

Grimling, Gruber-Pruner;

Himmer;

Jachs, Junker;

Kneifel, Köberl Günther, Köberl Johanna, Köck, Köll, Kurz;

Lampel, Ledl-Rossmann, Lindinger;

Mayer;

Novak;

Oberlehner;

Perhab, Pfister, Poglitsch, Posch-Gruska, Preineder, Pum;

Reich, Reisinger, Reiter;

Saller, Schennach, Schödinger, Schreuder, Schreyer, Stadler, Stöckl;

Temmel, Tiefnig, Todt;

Wilhelm, Winkler;

Zelina, Zwazl.

*****

 


Vizepräsident Mag. Harald Himmer: Wir gelangen nun zur Abstimmung über den Aus­schussantrag, gegen den vorliegenden Beschluss des Nationalrates keinen Einspruch zu erheben.

Ich ersuche jene Bundesrätinnen und Bundesräte, die diesem Antrag ihre Zustimmung erteilen, um ein Handzeichen. – Das ist die Stimmenmehrheit. Der Antrag, gegen den vorliegenden Beschluss des Nationalrates keinen Einspruch zu erheben, ist somit an­genommen.


BundesratStenographisches Protokoll838. Sitzung / Seite 85

13.27.022. Punkt

Beschluss des Nationalrates vom 21. Jänner 2015 betreffend ein Bundesgesetz, mit dem das Medizinischer Masseur- und Heilmasseurgesetz, das MTD-Gesetz und das Medizinische Assistenzberufe-Gesetz geändert werden (444 d.B. und 451 d.B. sowie 9319/BR d.B.)

 


Vizepräsident Mag. Harald Himmer: Wir gelangen nun zum 2. Punkt der Tagesord­nung.

Berichterstatter ist Herr Bundesrat Preineder. Ich bitte um den Bericht.

 


13.27.21

Berichterstatter Martin Preineder: Hoher Bundesrat! Ich bringe den Bericht des Ge­sundheitsausschusses über den Beschluss des Nationalrates vom 21. Jänner 2015 be­treffend ein Bundesgesetz, mit dem das Medizinischer Masseur- und Heilmasseurge­setz, das MTD-Gesetz und das Medizinische Assistenzberufe-Gesetz geändert werden.

Der Gesundheitsausschuss stellt nach Beratung der Vorlage am 3. Februar 2015 mit Stimmenmehrheit den Antrag, gegen den vorliegenden Beschluss des Nationalrates keinen Einspruch zu erheben.

 


Vizepräsident Mag. Harald Himmer: Ich danke für den Bericht.

Wir gehen in die Debatte ein.

Zu Wort gemeldet ist Herr Bundesrat Krusche. – Bitte, Herr Kollege.

 


13.28.01

Bundesrat Gerd Krusche (FPÖ, Steiermark): Hohes Präsidium! – Kein Minister. – Mei­ne Damen und Herren! Dieses Gesetz, das hier vorliegt, hat im Wesentlichen zum In­halt, dass die Ausbildungszeit für Heilmasseure massiv reduziert wird und ein quasi neuer Zweig, ein neuer Beruf für die Basismobilisation eingeführt wird.

Es ist nicht ganz einsichtig, warum dieses Gesetz beschlossen werden soll, was dahin­ter steht, denn mit einer Reform hat das Gesetz nichts zu tun. Eine Reform wäre ge­wesen, wenn man diesen Dschungel, diesen Wildwuchs an verschiedensten medizini­schen Berufen, Qualifikationen und Voraussetzungen endlich einmal durchforstet hätte und hier klarere und nachvollziehbarere Regeln geschaffen hätte. Das ist unterblieben.

Es ist auch nicht einsichtig, dass – während die Entwicklung in der Medizin immer mehr in Richtung der ganzheitlichen Medizin und einer ganzheitlichen Betrachtung geht und die Komplexität des menschlichen Körpers immer mehr in den Vordergrund gestellt wird – eine Ausbildung in diesem Ausmaß reduziert wird. Die Aufgabe ist nicht leichter geworden. Alle einschlägigen Begutachtungen haben gesagt, dass es gerade im Bereich der Basismobilisation ein sehr hohes Risiko gibt, dass Fehler passieren. Daher ist diese kurze Ausbildungszeit, die da vorgesehen ist, nicht nachvollziehbar. (Präsidentin Zwazl übernimmt wieder den Vorsitz.)

Aber ich würde sagen, wenn Sie nähere Details über das Gesetz und seine Proble­matik haben wollen, dann fragen Sie die Frau Abgeordnete Stöckl von der ÖVP. Die war zumindest im Ausschuss dagegen, ist jetzt aber leider nicht auf der Rednerliste. Jedenfalls weiß sie, wovon sie spricht, da sie ja selber Physiotherapeutin ist. Also dürf­ten wir mit unserer Ablehnung nicht so ganz falsch liegen. – Danke. (Beifall bei der FPÖ.)

13.30


Präsidentin Sonja Zwazl: Zu Wort gemeldet ist Frau Bundesrätin Köberl. – Bitte.

 


13.30.59

Bundesrätin Johanna Köberl (SPÖ, Steiermark): Sehr geehrte Frau Präsidentin! Frau Bundesminister! Geschätzte Zuseherinnen und Zuseher! Liebe Kolleginnen und Kolle-


BundesratStenographisches Protokoll838. Sitzung / Seite 86

gen! Die Rechte und Pflichten der Berufe in Österreich unterliegen einem ständigen Wandel, einer ständigen Innovation, und da ist es auch erforderlich, ständig Anpassun­gen zu machen. Mit diesem vorliegenden Gesetzentwurf werden eben solche Anpas­sungen gemacht, welche auch den Anforderungen in der Praxis entsprechen.

Auf der einen Seite sollen die Berufsausübungsmöglichkeiten der medizinischen Mas­seure und der Heilmasseure durch eine Spezialqualifikation, und zwar der Basismobili­sation, erweitert werden. Mit dieser Zusatzausbildung von 80 Stunden werden medizi­nische Masseure und Heilmasseure in Zukunft berechtigt sein, Patienten im sicheren Umgang mit Gehhilfen zu schulen und zu unterstützen.

Auch ich komme aus dem medizinischen Bereich, und ich denke, in einer gewissen Weise haben sie das bis jetzt schon gemacht. Ich arbeite in einer Sonderkrankenan­stalt, und oft war es so, dass die Physiotherapeutin zeigt, wie man aufsteht, wie man weggeht. Die haben das jetzt schon umgesetzt und können das in Zukunft noch bes­ser, weil sie eben geschult sind und wissen, wie die Menschen richtig von der Liege aufstehen, wie sie ihre Gehhilfe benützen. Die Regelungen müssen an die Gegeben­heiten angepasst werden, darum bin ich dafür.

Auch die Verkürzung der Ausbildung von gewerblichen Masseuren zu medizinischen Masseuren wurde der Praxis angepasst und die Durchlässigkeit der zwei Berufe da­durch ermöglicht. Die Ausbildung berufsbegleitend zu machen war wegen der hohen Stundenanzahl – bisher waren es nämlich 875 Stunden – nahezu unmöglich. Die ge­werblichen Masseure haben ja schon einen Beruf und sollen ihre bereits erlernten Techniken eben mit dem Fokus auf kranke Menschen erweitern und vertiefen, und dies alles unter Anleitung und Aufsicht von Fachkräften im medizinischen Bereich, um die Qualitätskriterien zu erfüllen. Die müssen den Beruf ja nicht völlig neu erlernen, son­dern da gibt es eben ein paar Dinge, die man als medizinischer Masseur am kranken Menschen anders macht, als wenn man ein gewerblicher Masseur ist.

Die Regelung im Gesetz über die medizinisch-technischen Dienste betrifft ebenfalls ei­ne Anpassung an die Praxis. Da werden für alle sieben MTD-Sparten flexible Berufs­ausübungsregelungen in verfassungskonformer Weise geschaffen, die den Anforde­rungen der Zielsteuerung und der Primärversorgung entsprechen. Ebenso wird auch die Erweiterung der Berufsausübungsmöglichkeit der OrdinationsassistentInnen vorge­nommen, es wird nämlich der Einsatz in nicht bettenführenden Organisationseinheiten ermöglicht.

Mit diesen Änderungen wird bei der Ausbildung, aber auch bei der Berufsausübung in den betroffenen Gesundheitsberufen die Praxisnähe gestärkt, Bestimmungen werden aktualisiert. Es wird für eine gute, in der Praxis machbare Berufsausbildung gesorgt, und der Einsatzbereich wird erweitert.

Durch die demographische Veränderung stehen wir immer neuen Herausforderungen gerade im Gesundheitsbereich gegenüber, und diesen müssen wir uns stellen. Es wird daher gerade in diesem Bereich eine ständige Anpassung nötig sein. Die Menschen in Gesundheitsberufen haben es sich verdient, und mit dem vorliegenden Gesetz sind wir wieder einen Schritt weiter. (Beifall bei der SPÖ.)

13.34


Präsidentin Sonja Zwazl: Als Nächster gelangt Herr Bundesrat Dr. Köll zu Wort. – Bitte.

 


13.34.33

Bundesrat Dr. Andreas Köll (ÖVP, Tirol): Sehr geehrte Frau Präsidentin! Geschätzte Frau Bundesminister! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Meine Vorrednerin hat zum In­halt dieser Gesetzesnovellierungen schon sehr vieles gesagt und zum Ausdruck ge-


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bracht. Ich kann mir also diese Detailausführungen sparen. Ich möchte vielleicht noch kurz auf den generellen Bedarf, speziell auch im Gesundheitsbereich für ein kohären­tes System zu sorgen, eingehen.

Wir haben da nicht nur europarechtliche Verpflichtungen, sondern natürlich auch inner­halb Österreichs jetzt mit dem neuen Zielsteuerungskatalog und mit der ständig sich abspielenden Gesundheitsreform die Verpflichtung, einerseits für erhöhte Spezialisie­rungen zu sorgen, andererseits natürlich auch für erhöhte Durchlässigkeit, für Möglich­keiten eines Upgradings im Bereich der Gesundheitsberufe.

Eine Evaluierung hat ergeben, dass es hier in diesen drei Gesetzesmaterien Ände­rungsbedarf gibt. Sie wurden von der Frau Kollegin schon angesprochen. Sie sind in Summe sicherlich sinnvoll, aber, lieber Herr Kollege Krusche, es ist nicht notwendig, dass Sie in dieser Hinsicht versuchen, unsere Kollegin Stöckl, die vom Fach kommt, in Geiselhaft zu nehmen. Sie ist Physiotherapeutin, und ihre Bedenken beziehen sich ausschließlich auf den Bereich der Basismobilisation, wo es natürlich sehr schwierig ist, im Detail Kontrollen vorzunehmen, speziell in öffentlichen Wohn- und Pflegeheimen beispielsweise. Da geht es um die ärztliche Anordnung, es geht um die ärztliche Kon­trolle dieser Maßnahmen im Sinne von „Draufschau“, von „Draufsicht“, von nachträgli­cher Kontrolle. Da wird es sicherlich schwierig sein, eine entsprechende fachliche Qua­lifikation auch dementsprechend unter Kontrolle zu stellen.

Diese Bedenken kann ich durchaus auch teilen, aber in Summe sind diese Gesetzes­materien absolut sinnvoll.

Es sind in Österreich derzeit circa 110 000 Personen in den Gesundheitsberufen tätig. Wir müssen da nicht nur schauen, dass wir im Ausbildungs- und Bildungsbereich dem Bologna-Prozess entsprechend zum Durchbruch verhelfen, sondern wir müssen auch schauen, dass es nicht unnötig erschwert wird, innerhalb der einzelnen Berufsgruppen höhere Qualifikationen zu erwerben. Das bezieht sich nicht nur auf die Pflege, sondern natürlich auch auf viele andere Berufe.

So ist es durchaus sinnvoll – und das hat entgegen manch freiheitlicher Wortmeldun­gen im Nationalrat nichts mit dem Ärztemangel zu tun –, wenn man beispielsweise im Bereich der medizinischen Assistenzberufe, beispielsweise der Ordinationsassistentin­nen und -assistenten, die Möglichkeit schafft, dass diese zukünftig auch in nicht betten­führenden Abteilungen von Spitälern Dienst versehen.

Ich teile auch nicht die Bedenken, dass es Probleme geben würde, wenn die Ausbil­dung von gewerblichen Masseurinnen und Masseuren verkürzt wird. Wenn die Leute diese Ausbildung künftig in 460 oder 560 Stunden statt wie bisher in 875 Stunden ab­solvieren können, dann wird die Republik daran nicht scheitern!

Das sind also durchaus sinnvolle Evaluierungsmaßnahmen, die dazu geeignet sein wer­den, das österreichische Gesundheitssystem weiter zu verbessern.

Im Sinne der heutigen Eingangsausführungen unserer geschätzten neuen Präsidentin Frau Sonja Zwazl, was die Aufgabe des Bundesrates hier ist, nämlich weniger Interes­senkonflikte zu beurteilen oder im Nachhinein darüber zu urteilen, ob ein Gesetz des Nationalrates in manchen Bereichen mehr oder weniger sinnvoll ist: Wir haben diese Gesetze in erster Linie einem EU-Check zu unterziehen, einem Regionencheck, zu prü­fen, ob sie kompatibel sind mit den Absichten und Rechten der österreichischen Bun­desländer und der Gemeinden. Und das können wir bei diesen drei Gesetzesmaterien guten Gewissens sagen.

Ich ersuche daher um Unterstützung des Antrags, gegen diese drei Gesetzesmaterien keinen Einspruch zu erheben. (Beifall bei ÖVP und SPÖ.)

13.39



BundesratStenographisches Protokoll838. Sitzung / Seite 88

Präsidentin Sonja Zwazl: Als Nächste ist Frau Bundesrätin Dr. Reiter zu Wort gemel­det. – Bitte.

 


13.39.10

Bundesrätin Dr. Heidelinde Reiter (Grüne, Salzburg): Frau Präsidentin! Werte Kolle­ginnen und Kollegen! Wir werden dem Gesetz zustimmen, wenngleich wir damit – das wird Sie vermutlich wenig überraschen – nicht ganz zufrieden sind. Die Debatte im Be­reich der Berufsgruppe der Masseure geht ja schon viele Jahre: Wer darf da was tun, an wem, unter welchen Bedingungen und so weiter? Für Betroffene, sage ich als je­mand, der als Kundschaft betroffen ist, ist das in vielen Fällen draußen, aber auch intramural nicht mehr ganz leicht zu erklären. Mit dem Gesetz kommt es nun zu einer gewissen Straffung und Klärung, deswegen auch unsere Zustimmung.

Unsere Zustimmung erteilen wir auch deshalb, weil diese Regelungen gerade im Be­reich der Ordinationsassistenten und -assistentinnen notwendig sind, damit eben Ein­schränkungen bezüglich Arbeitgebers beziehungsweise Beschäftigungsverhältnissen und so weiter fallen und somit der Aufbau dieser Primärversorgungszentren überhaupt möglich wird. Das erscheint uns dringend geboten.

Genauso erscheint es uns geboten, dass es wirklich zu einer Zusammenführung der bestehenden Masseurberufe kommt. Seit dem Inkrafttreten des Bundesgesetzes über die Berufe und die Ausbildungen zum medizinischen Masseur und zum Heilmasseur wird eben davon der gewerbliche Masseur unterschieden. Es gibt eine Vielzahl an un­terschiedlichen Tätigkeits- und Kompetenzprofilen, die auf Basis dieses Gesetzes und der Gewerbeordnung geschaffen worden sind. Das hat zu großer Unsicherheit unter den Masseuren geführt, hat teilweise auch existenzbedrohende Ausmaße angenom­men und hat den Lehrberuf in diesem Bereich sehr in Bedrängnis gebracht. So dürfen zum Beispiel gewerbliche Masseure in Deutschland nicht arbeiten.

Wir haben im Nationalrat einen Antrag, der leider keine Mehrheit fand, zur Zusammen­führung dieser Berufsbilder eingebracht. Und wir glauben nach wie vor, dass es mit et­was gutem Willen möglich sein sollte, diese Berufe mit einer guten Ausbildung zusam­menzuführen und die Berechtigungsvorschriften weiter zu entrümpeln.

Aber, wie gesagt, wir halten das für einen ersten wichtigen Schritt, hoffen aber, dass es da auch noch eine entsprechende Weiterentwicklung geben wird. (Beifall bei den Grü­nen sowie bei Bundesräten der SPÖ.)

13.42


Präsidentin Sonja Zwazl: Zu Wort ist Herr Bundesrat Novak gemeldet. – Bitte.

 


13.42.07

Bundesrat Günther Novak (SPÖ, Kärnten): Frau Präsidentin! Frau Bundesministerin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Wenn ich heute hier stehe und zum Medizinischer Masseur- und Heilmasseurgesetz spreche, dann ganz einfach deshalb, weil ich selbst an die 15 bis 17 Jahre, glaube ich, einen österreichweiten Cluster als Geschäftsführer betrieben habe – den ÖVP-Bundesräten wird Mag. Julian Hadschieff, in dessen Cluster „Best Health Austria“ ich mit tätig war, bekannt sein – und selbst eine Gruppe der bes­ten Wellness- und Kurhotels im Marketingbereich, „schlank und schön in österreich“, mit beraten und Marketingmaßnahmen umgesetzt habe.

Warum sage ich das? – Ganz einfach aus dem Grund heraus, weil wir mit Julian Had­schieff für uns selbst immer festgestellt haben, dass wir diesen Wirkungsnachweis er­bringen müssen: im Gesundheitsbereich genauso wie auch in der Wirtschaft. Wenn man irgendetwas tut, dann muss man sehen, dass dabei schlussendlich etwas heraus­schaut.

Wenn ich alleine zum Thema Massage, das ja als Übertitel da mit dabei ist, ganz kurz Stellung nehmen darf: Man weiß, dass es wahnsinnig viele Massagetechniken gibt, die


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sich aus vielen Kulturen und aus deren Medizin heraus entwickelt haben – aus China kommend diese klassischen Gesundheitsmassagen, Thai- und Fußreflexzonenmassa­gen und was es in diesem Bereich sonst noch gibt –, und das hat dazu beigetragen, dass die Wirkungen dieser Massagen je nach Massageart sehr unterschiedlich sind, aber bekannterweise in weiterer Folge Wohlbefinden für jeden bewirken sollten.

Was meine ich damit? – Jene Betriebe, mit denen ich zusammenarbeiten durfte, haben es halt immer sehr flexibel gehandhabt und gesagt, dass sie jetzt auf neue Trends setzen müssen. Ich glaube, dass das, was wir heute hier besprechen, nämlich diese Gesundheitsberufe in einem gewissen Bereich zu verändern und an die neue Situation des Marktes anzupassen, der richtige Schritt in die richtige Richtung ist. Das ist in diesem Fall geschehen.

Es wird dann auch möglich sein, Zusatzausbildungen zu machen und mit diesen Zu­satzausbildungen im Bereich der Basismobilisation, die wir schon besprochen haben, auf die älteren Menschen einzugehen. Wir alle werden bekannterweise älter und sind dann nicht mehr so beweglich, und es wird möglich sein, dass MasseurInnen in diesem Fall auch Anwendungen, die der Zeit entsprechen und richtig sind, machen. Und ich glaube, es liegt auf der Hand, dass es so sein sollte, dass dabei auch noch das MTD-Gesetz, also medizinisch-technischer Dienst, und das Medizinische Assistenzberufe-Gesetz mit verändert und mit angepasst wird.

Insgesamt werden mit diesen Veränderungen Verbesserungen und Vereinfachungen im Sinne der betroffenen Berufsgruppen erreicht und neue Berufsfelder für sie eröffnet. Die Betonung liegt, wie ich meine, auf „neue Berufsfelder für sie eröffnet“. Es ist sehr wichtig zu erkennen, dass das notwendig ist. Andererseits ist es wichtig, für Patienten eine bessere Versorgung und damit auch Hilfe zu gewährleisten. Das scheint – und Sie haben es ja richtigerweise gesagt – der demografischen Entwicklung zu entsprechen.

Zum Schluss möchte ich einfach diese Worte noch einmal loswerden: Es entsteht da­durch auch der sogenannte Wirkungsnachweis. Und ich glaube, in der Wirtschaft und vor allem auch im Gesundheitsbereich ist es sehr wichtig, festzustellen, dass dann, wenn eine Anwendung erfolgt ist, eine Wirkung nachgewiesen werden kann, indem es einem in weiterer Folge besser geht.

Wir werden diesem Gesetz auf jeden Fall zustimmen. (Beifall bei der SPÖ.)

13.46


Präsidentin Sonja Zwazl: Weitere Wortmeldungen liegen dazu nicht vor.

Wünscht noch jemand das Wort? – Das ist nicht der Fall. Die Debatte ist somit ge­schlossen.

Wir kommen zur Abstimmung.

Ich ersuche nun jene Bundesrätinnen und Bundesräte, die dem Antrag zustimmen, ge­gen den gegenständlichen Beschluss des Nationalrates keinen Einspruch zu erheben, um ein Handzeichen. – Das ist die Stimmenmehrheit. Der Antrag ist somit angenom­men.

13.46.453. Punkt

Beschluss des Nationalrates vom 21. Jänner 2015 betreffend ein Bundesgesetz, mit dem das Beamten-Dienstrechtsgesetz 1979, das Gehaltsgesetz 1956, das Ver­tragsbedienstetengesetz 1948, das Richter- und Staatsanwaltschaftsdienstgesetz, das Landeslehrer-Dienstrechtsgesetz, das Landesvertragslehrpersonengesetz 1966, das Land- und forstwirtschaftliche Landeslehrer-Dienstrechtsgesetz, das Land- und forstwirtschaftliche Landesvertragslehrpersonengesetz, das Pensionsgesetz 1965,


BundesratStenographisches Protokoll838. Sitzung / Seite 90

das Bundesbahngesetz, das Bundes-Bedienstetenschutzgesetz und das Finanz­prokuraturgesetz geändert werden (454 d.B. und 457 d.B. sowie 9317/BR d.B. und 9320/BR d.B.)

 


Präsidentin Sonja Zwazl: Wir gelangen nun zu Tagesordnungspunkt 3.

Berichterstatter ist Herr Bundesrat Saller. – Bitte.

 


13.47.10

Berichterstatter Josef Saller: Frau Präsidentin! Frau Bundesminister! Frau Staatsse­kretär! Ich bringe den Bericht des Ausschusses für Verfassung und Föderalismus über den Beschluss des Nationalrates vom 21. Jänner 2015 betreffend ein Bundesgesetz, mit dem das Beamten-Dienstrechtsgesetz 1979, das Gehaltsgesetz 1956, das Ver­tragsbedienstetengesetz 1948, das Richter- und Staatsanwaltschaftsdienstgesetz, das Landeslehrer-Dienstrechtsgesetz, das Landesvertragslehrpersonengesetz 1966, das Land- und forstwirtschaftliche Landeslehrer-Dienstrechtsgesetz, das Land- und forst­wirtschaftliche Landesvertragslehrpersonengesetz, das Pensionsgesetz 1965, das Bun­desbahngesetz, das Bundes-Bedienstetenschutzgesetz und das Finanzprokuraturge­setz geändert werden.

Der Bericht liegt Ihnen in schriftlicher Form vor; ich komme daher gleich zur Antrag­stellung.

Der Ausschuss für Verfassung und Föderalismus stellt nach Beratung der Vorlage am 3. Februar 2015 mit Stimmenmehrheit den Antrag, gegen den vorliegenden Beschluss des Nationalrates keinen Einspruch zu erheben.

 


Präsidentin Sonja Zwazl: Ich bedanke mich für den Bericht.

Bevor wir in die Debatte eingehen, begrüße ich recht herzlich Frau Staatssekretärin Mag. Steßl. (Beifall bei SPÖ und ÖVP.)

Wir gehen nun in die Debatte ein.

Als Erster zu Wort gemeldet hat sich Herr Bundesrat Herbert. – Bitte.

 


13.48.40

Bundesrat Werner Herbert (FPÖ, Niederösterreich): Frau Präsidentin! Geschätzte Kol­leginnen und Kollegen! Geschätzte Frau Staatssekretärin! Wir werden dieser Dienst­rechtsreform keine Zustimmung geben, und das, wie ich meine, auch aus gutem Grund.

Die hier in Rede stehenden Bestimmungen dieser Dienstrechtsreform sind ein Schlag ins Gesicht aller öffentlich Bediensteten, der Verwaltungsbediensteten und Beamten im öffentlichen Dienst, die für unseren Staat in den verschiedensten Berufsgruppen gute, wertvolle Dienste leisten, einen harten, oft unbedankten Job erledigen und denen mit dieser Dienstrechtsreform einmal mehr Missachtung und Geringschätzung entgegen­gebracht werden.

Warum sage ich das? – Die hier in Rede stehenden Gesetzesbestimmungen bedeuten für die Bundesbeamten eine massive Schlechterstellung in besoldungsrechtlicher, aber auch – daraus resultierend – in pensionsrechtlicher Hinsicht. Sie bringen einen Nach­teil in der Lebensverdienstsumme der Bediensteten, aber auch einen schweren Nach­teil in der daraus resultierenden Pensionsberechnung während der Übergangsphase. Dies betrifft nämlich diejenigen, die jetzt in diesen kommenden vier Jahren rückgestuft werden, vielleicht schon einen Feststellungsbescheid des Bundes in Händen halten und dann plötzlich erkennen, dass sie sich nicht in der Gehaltsstufe befinden, mit der sie eigentlich gerechnet haben, sondern eine oder vielleicht sogar zwei Stufen darun­ter. Das werden die Betroffenen in den nachfolgenden Jahren nie mehr aufholen können.

Diese Bestimmungen sind aber auch aus anderer Sicht höchst bedenklich. Mit der in dieser gesetzlichen Bestimmung verankerten pauschalen Überstellung in ein neues Be-


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soldungssystem wird nämlich in bereits bestehende Verträge von öffentlich Bediens­teten nachteilig und im Nachhinein eingegriffen, und zwar in einer Form, wie es zivil­rechtlich absolut unüblich ist und wie man es sich in der Privatwirtschaft kaum vorstel­len kann. Es werden dabei die Bediensteten in einer Art pauschalen Feststellung der Behörde eingestuft, welche die Behörde alleine trifft und bei der der Beamte kein Ein­spruchsrecht hat, kein Mitspracherecht hat und auch kein Widerspruchsrecht hat. Der Betroffene kann also nicht sagen, ob er damit einverstanden ist oder nicht.

Es wird also, wie gesagt, in bestehende Dienstverträge eingegriffen. Dabei ist einer­seits zu befürchten, und das ist auch in der Debatte zu dieser Dienstrechtsreform zum Ausdruck gekommen, dass nicht mehr alle Vordienstzeiten zum Tragen kommen, die bisher Grundlage für das Gehaltssystem und für die daraus resultierenden pensions­rechtlichen Ansprüche waren, sondern nur jene Vordienstzeiten, die – ich sage es einmal salopp – für die Behörde nützlich sind. Dabei ist zu befürchten, dass Ausbil­dungszeiten, die vielleicht noch vor Jahren von der jeweiligen vorgesetzten Dienstbe­hörde wohlwollend den Beamten auferlegt – um nicht zu sagen: aufgetragen – wurden, nunmehr überhaupt keinen Stellenwert mehr haben und bei der Überstellung in dieses neue Besoldungssystem nicht mehr berücksichtigt werden.

Das heißt, gegeben ist eine massive Schlechterstellung der Beamten auf Bezugsebe­ne, und daher ist dieses neue Dienstrecht rechtlich höchst bedenklich. Zwei EuGH-Ent­scheidungen hat die Republik Österreich in dieser Causa schon verloren: wegen der nicht adäquaten Anrechnung von Vordienstzeiten, wegen nicht gesetzeskonformer Be­achtung von Rechtsansprüchen einzelner Bediensteter, aber auch wegen der Diskrimi­nierung der betreffenden Bediensteten. Dabei spielte nicht nur Altersdiskriminierung ei­ne Rolle, sondern auch die Frage der Gleichstellung eines Beamten mit einem ande­ren. All diese Probleme werden mit der neuen Regelung einmal mehr prolongiert.

Aber es ist auch die Frage, wie man generell in dieser Sache verfährt. Ich kann Ihnen jedenfalls topaktuell berichten, dass ich hier ein weiteres EuGH-Urteil vorliegen habe, nämlich jenes vom 28. Jänner 2015, das genau in der Frage der Anrechnung von Vor­dienstzeiten vor dem 18. Geburtstag einmal mehr dieser Dienstrechtsreform eine – ich sage es einmal auf gut Wienerisch – kräftige Watschn erteilt. Denn damit wurde ak­tuell, also vor wenigen Wochen, festgestellt, dass nicht nur berechtigte Ansprüche ein­zelner Bediensteter zu wahren sind, sondern – und das ist der wesentliche Aspekt – ihnen derselbe Vorteil zu gewähren ist, wie er den von diesem System begünstigten Bediensteten allgemein gewährt wird.

Das ist doch ein Widerspruch in sich: Sie haben hier nicht auf die Rechtsprechung des EuGH reagiert, und zwar in zwei Fällen, die Sie als Republik verloren haben! Sie ha­ben in beiden Fällen nicht den entsprechenden Schluss gezogen und diesen Urteilen nicht Rechnung getragen. Nun erhalten Sie auch in einem neuen Urteil in der fast identischen Causa, wie wir sie schon zweimal zum Nachteil der Republik Österreich erlebt haben, noch einmal eine Bestätigung, dass das hier zur Diskussion stehende Dienstrechtspaket nicht gesetzeskonform ist und eine hohe Chance hat, abermals auf dem Klagsweg erfolgreich bekämpft zu werden. Unter diesen Bedingungen ist es doch einigermaßen interessant, dass dieses Dienstrechtspaket in dieser Schnelle und Ve­hemenz im Parlament durchgepeitscht wird.

Erlauben Sie mir als Mitglied des Bundesrates zu diesem Aspekt auch eine inhaltliche Anmerkung. Es gab bei diesem Gesetz, wie Sie alle wissen, keine Begutachtungsfrist, keinen zeitlichen Vorlauf für eine Stellungnahme. Es gab hier entgegen dem, was bei anderen Dienstrechtsreformen oder bei anderen großen Eingriffen im Bereich des öf­fentlichen Dienstes bisher Usus war, keine Diskussion im Vorfeld. Ja, es gab nicht ein­mal ausreichend Zeit, um sich auf dieses Gesetzeskonvolut, das über mehrere Seiten geht, vorzubereiten. Der Weg, da erzähle ich Ihnen nichts Neues, war folgenderma-


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ßen: Am Freitag ist der Antrag gekommen, am Montag der Abänderungsantrag, jeweils mehrseitig, zig Seiten, und am Nachmittag war dann die Ausschussfeststellung, ob man dafür oder dagegen ist.

Schon alleine aufgrund dieses Ablaufes ist es parlamentarisch unzumutbar, diesem Gesetz zuzustimmen – schon alleine deswegen, weil sich ein Nationalrat oder ich mich als Mitglied des Bundesrates genau informieren möchte. So weit sollte man den Dialog zwischen den Fraktionen schon schätzen und als zumutbar empfinden. Schließlich ma­chen wir hier schwere Eingriffe in den Bereich des öffentlichen Dienstes, wo es um viele Bedienstete und damit um Menschen geht. Da geht es nicht um anonymisierte Personen, um irgendeine fiktive Zahl – da geht es um Einzelschicksale! Und ich den­ke, dass dieses Gesetz schon alleine deswegen und wegen dieses parlamentarischen Weges unzumutbar ist, nämlich auch dem Parlamentarismus gegenüber.

Erlauben Sie mir noch eine abschließende Bemerkung: Ich stelle mir gerade die Dis­kussion vor, wenn diese Regelung nicht den öffentlichen Dienst betreffen würde, diese 120 000 bis 130 000 Bundesbediensteten, sondern den privaten Bereich. Wenn eine große Firma wie Siemens beispielsweise, das ist jetzt nicht negativ zu sehen, aber in Bezug auf die Größenordnung, oder auch der Raiffeisen-Konzern so salopp sagen würde, ich greife in die bestehenden Dienstverträge ein, verursache damit einer großen Anzahl von bei mir beschäftigten Personen, nämlich, wie gesagt, 120 000 bis 130 000, einen schweren finanziellen, besoldungsrechtlichen wie auch pensionsrechtlichen Nach­teil, na, da möchte ich nicht wissen, wie der Klassenkampf aufleben würde! Da würde mich dann schon interessieren, ob die Gewerkschaft – in diesem Fall die Gewerkschaft Öffentlicher Dienst – da auch so stillschweigend, ja fast schon im Geheimen schnell eine Resolution verabschiedet, aber sonst eigentlich relativ untätig bleibt und zum Steig­bügelhalter der Bundesregierung wird bei diesem Gesetzesmissbrauch, möchte ich schon fast sagen.

Ich bin davon überzeugt, dass man im Fall der Privatwirtschaft seitens der zuständigen Gewerkschaft, aber auch der Kammern enormen Druck erzeugen würde. Aber da geht es eben nicht so sehr darum, ein paar Bedienstete schlechter zu stellen, sondern es geht – und das unterstelle ich dieser Bundesregierung – einmal mehr um eine Budget­sanierung auf Kosten der öffentlich Bediensteten. Denn: Wo sind denn die Zahlen, die zeigen, was uns diese Reform kostet?

Vorgestern habe ich im Ausschuss diese Frage einmal mehr konkret gestellt, denn bis­lang liegen uns ja keine Zahlen vor, und habe keine Antwort darauf bekommen. Frau Staatssekretärin, vielleicht können Sie uns heute dazu etwas sagen. Vielleicht können Sie heute mit faktischen Zahlen aufwarten, nicht mit allgemeinen Stehsätzen, wie ich sie in der Vergangenheit erlebt habe. (Staatssekretärin Steßl: Na geh!) Das wäre schon sehr sinnvoll. Ich bin davon überzeugt, dann würden wir nämlich sehen, dass es gar nicht so sehr um diese 3 Milliarden €, die immer kolportiert wurden, an Ansprüchen geht, die man seitens der Bundesregierung ohnedies nicht umsetzen würde oder möchte, obwohl sie gerichtlich zuerkannt wurden. Es geht vielmehr darum, unter der Argu­mentation des „Spargedankens“ – unter Anführungszeichen – einmal mehr durch die Hintertür Einsparungen, die budgetwirksam sind, auf Kosten der Bundesbediensteten – in einer Mogelpackung als Dienstrechtsreform gut getarnt oder zumindest zu kaschie­ren versucht – voranzutreiben. Die Leidtragenden sind die österreichischen Beamten und Vertragsbediensteten im Bundesdienst.

Darum geht es doch eigentlich, und nicht so sehr um die Einschätzung und um die Fra­ge, wie weit hier ausgeglichen, umverteilt, weggeschoben, wieder zurückgegeben wird. Das ist eine Darstellung, die wohl eher dazu dient, so wie es auch in den Ausschüssen der Fall war, pauschal und mit viel Rhetorik von den wesentlichen Dingen abzulenken. Und die wesentlichen Dinge sind eben eine Gesetzesvorlage oder ein Gesetz, das


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rechtlich höchst bedenklich ist, das vom sozialen Aspekt her unannehmbar ist und das eigentlich gar nicht das ist, was es angeblich sein soll, nämlich eine Reform für die Be­diensteten, sondern ein Sparpaket, damit die Bundesregierung ihr Budget wahrschein­lich noch einigermaßen über die Runden bekommt – zum Nachteil der öffentlich Be­diensteten.

Aus diesem Grund, geschätzte Kolleginnen und Kollegen, darf ich auch einen entspre­chenden Antrag auf Erhebung eines Einspruchs einbringen, den ich Ihnen nunmehr zur Kenntnis bringen darf:

Antrag

der Bundesräte Herbert und Kollegen betreffend Einspruch gemäß Artikel 42 B-VG

Der Bundesrat wolle beschließen:

Gegen den Beschluss des Nationalrates vom 21. Jänner 2015 betreffend ein Bundes­gesetz, mit dem das Beamten-Dienstrechtsgesetz, das Gehaltsgesetz, das Vertragsbe­dienstetengesetz, das Richter- und Staatsanwaltschaftsdienstgesetz und weitere Ge­setze geändert werden (454 d.B und 457 d.B. sowie 9317/BR d.B.), wird gemäß Arti­kel 42 B-VG mit folgender Begründung Einspruch erhoben:

Die gegenständliche Novelle benachteiligt öffentlich Bedienstete, die aufgrund höchst­gerichtlicher Entscheidungen Ansprüche gegen die Republik hätten, indem diese durch die Neuregelung wiederum verloren gehen. Außerdem sind die finanziellen Konse­quenzen bis jetzt nicht bekannt. Eine solche Vorgangsweise ist rechtsstaatlich bedenk­lich und höchstwahrscheinlich abermals verfassungswidrig.

*****

Ich darf an Ihr Gewissen als Mitglieder des Bundesrates appellieren: Geben Sie dieser Dienstrechtsreform keine Zustimmung! Ich denke, Sie tun weder Ihrer Fraktion etwas Gutes und schon gar nicht den öffentlich Bediensteten, die davon betroffen sind. Je­denfalls aber setzen Sie das denkbar schlechteste Zeichen, das man in diesem Hohen Haus nur setzen kann, auch gegenüber der Bevölkerung, den Menschen, die ja nicht nur Arbeitnehmer und Wahlberechtigte sind, sondern die zu Hause auch Familien ha­ben und die auch irgendwie einen Anspruch auf gerechte Entlohnung haben. Diesen Menschen gegenüber setzen Sie das schlechteste Zeichen, nämlich: Ihr seid uns nichts wert! Ihr habt bei uns keinen Stellenwert! Wir verachten euch! – Das ist die Bot­schaft, die mit dieser Reform verbunden ist. (Widerspruch bei Bundesräten der ÖVP.)

Daher ersuche ich Sie, dieser Dienstrechtsreform nicht zuzustimmen. – Danke schön. (Beifall bei der FPÖ.)

14.03


Präsidentin Sonja Zwazl: Der von den Bundesräten Werner Herbert, Kolleginnen und Kollegen eingebrachte Antrag gemäß § 43 Abs. 1 der Geschäftsordnung, gegen den vor­liegenden Beschluss des Nationalrates mit der beigegebenen Begründung Einspruch zu erheben, ist genügend unterstützt und steht demnach in Verhandlung.

Als weitere Wortmeldung liegt mir jene von Herrn Bundesrat Todt vor. – Bitte.

 


14.04.07

Bundesrat Reinhard Todt (SPÖ, Wien): Sehr geehrte Frau Präsidentin! Zuerst ein­mal: Viel Erfolg für deine Präsidentschaft! (Präsidentin Zwazl: Danke schön!) Sehr ge­ehrte Frau Staatssekretärin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Werner Herbert hat in seiner Rede gesagt, dass hier Gesetzesmissbrauch begangen wird. Wir beschließen


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hier ein Gesetz – das kann doch noch nicht missbraucht werden! Das ist einmal eine grundsätzliche Feststellung, die man dazu treffen muss.

Worum geht es bei diesem Gesetz? – Es geht um die Sanierung des Vorrückungs­stichtages. Die Ausgangslage ist, dass aufgrund des EuGH-Urteils vom 11. November das Gehaltssystem der rund 200 000 Bundesbediensteten und Landeslehrer erneut sa­niert werden muss. Da jedenfalls mit einem neuen Verfahren vor dem EuGH zu rech­nen ist, muss so gut wie möglich dargestellt sein, dass es sich um eine Sanierung und um ein grundlegend neues System handelt, in das die derzeitigen Bundesbediensteten besitzstandswahrend übergeleitet werden.

Herr Kollege Herbert! Hier geht es um die Besitzstandswahrung, darum, dass bei der Überleitung diejenigen, die bedienstet sind, ihren Besitzstand wahren – und das ge­schieht bei diesem Gesetz. (Bundesrat Herbert: Vermeintlich!) Das geschieht ja! (Bun­desrat Herbert: Vermeintlich, aber nicht wirklich!) Das ist nicht vermeintlich, sondern das ist so! Und die Neuregelung orientiert sich im Prinzip am unionsrechtskonformen deutschen Modell.

Es geht weiter: Für neu Eintretende werden Ausbildungen nicht mehr individuell ange­rechnet, wie das bisher geschehen ist – Sie haben das ja recht deutlich erläutert –, sondern diese sind bereits pauschal in den neu berechneten und damit höheren Ge­haltsansätzen berücksichtigt. Das ist so. Das steht auch so drinnen. (Bundesrat Her­bert: Es steht drinnen, aber so ist es nicht!) Es wird auch so umgesetzt.

Das bedeutet, dass neu Eintretende in Zukunft grundsätzlich und tatsächlich in der Ge­haltsstufe 1 beginnen. Individuell – und jetzt kommt der Punkt, den Sie angesprochen haben – ist es, was die Anrechnung betrifft, so, dass grundsätzlich nur sechs Monate Präsenzdienst und Zivildienst angerechnet werden. Das ist auch bei allen anderen Beschäftigten in Österreich, auch in der Privatwirtschaft, üblich: Sechs Monate werden angerechnet. Das ist so. Warum soll das bei den öffentlich Bediensteten anders sein? Warum soll das anders sein? – Daher ist das nichts anderes als eine Gleichstellung der gesamten österreichischen Bevölkerung.

Was neu ist, ist Folgendes: Es können zwischen sechs Monaten und zehn Jahren Be­rufserfahrung und Verwaltungspraktika angerechnet werden.

Was die Überleitung betrifft, so ist wegen der neu berechneten Gehaltsansätze zur Wahrung des Lebenseinkommens ein komplexes Modell notwendig, in dem ein durch neue Gehaltsansätze niedrigerer Biennalsprung durch einen früheren nächsten Bien­nalsprung ausgeglichen wird. Das heißt nichts anderes, als dass die Akademiker statt nach zwei Jahren nach eineinhalb Jahren einen früheren Biennalsprung haben, dass die Maturanten nach einem halben Jahr bereits einen Biennalsprung haben und dass damit ein Ausgleich erfolgt. Das heißt, es ist Vorsorge getroffen, dass genau bei den Vorrückungen das nicht passiert (Bundesrat Herbert: Das stimmt ja nicht!), was Sie hier an die Wand gemalt haben. Das wird so nicht passieren, weil diesbezüglich schon Vorsorge getroffen worden ist. (Bundesrat Herbert: Das stimmt nicht! Es wird ja zuerst zurückgerechnet!)

Also erzählen Sie nicht irgendetwas, was da alles passieren wird, sondern sagen Sie, worum es geht! Und schauen Sie nach – es steht ja alles klar und deutlich da, und es ist ja vorhanden!

Es kommt beim Lebensverdienst in manchen Bereichen zu Verlusten von 0,6 Promille. Das sind ungefähr 50 bis 100 € Lebensverdienst. (Bundesrat Herbert: Nein, das geht sich nicht aus! – Bundesrat Brückl: Nein, das sind drei Monate! Sollen es vier sein!) – Gut, das zum Thema Lebensverdienst.

Ich glaube, das ganz Wesentliche bei diesem Bereich ist, dass auch vereinbart wur­de – und das steht auch im Regierungsübereinkommen –, dass 2015 bereits im März


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mit der Gewerkschaft Verhandlungen über den Abschluss – und zwar ist vorgesehen, bis Ende 2016 – eines neuen, modernen Dienstrechts geführt werden. Und ich denke, das ist ganz wichtig, dass es hier zu einem neuen, modernen Dienstrecht kommt. (Bei­fall bei der SPÖ sowie des Bundesrates Kneifel.)

14.09


Präsidentin Sonja Zwazl: Als Nächster zu Wort gemeldet ist Herr Bundesrat Dön­mez. – Bitte.

 


14.10.13

Bundesrat Efgani Dönmez, PMM (Grüne, Oberösterreich): Hohes Präsidium! Ge­schätzte Kolleginnen und Kollegen! Diese Novelle schafft ja eigentlich ein komplett neu­es System der gehaltsmäßigen Einstufung von öffentlich Bediensteten. Anlass ist ein im November 2014 ergangenes Urteil des EuGH, in dem das Gesetz auch nach der Gesetzesreparatur von 2010, die ebenfalls aufgrund einer EuGH-Judikatur erfolgt war, für altersdiskriminierend befunden wurde.

Die Einstufung der Bundesbediensteten bestimmt Gehaltsverlauf und Pensionsansprü­che. Maßgeblich für die Einstufung sind die Ausbildungszeiten und die sonstigen Zei­ten. Die Anrechnung dieser Zeit ist höchst komplex, eine Denksportaufgabe, die oft in den Ressorts auch unterschiedlich gelöst wird. – Das war das alte System.

2008 befand der EuGH, dass die Nichtanrechnung von Ausbildungs- und Dienstzeiten vor dem 18. Lebensjahr als altersdiskriminierend zu bewerten ist. Der Gesetzgeber sah für neu Eintretende die Anrechnung von Schul- und Lehrjahren vor dem 18. Lebensjahr vor. Für bestehende Dienstverhältnisse eröffnete er die Möglichkeit, eine Neueinstu­fung zu beantragen. Damit das dadurch höhere Gehalt nicht zu einer budgetären Be­lastung wird, wurde der Biennalsprung verzögert – fünf statt zwei Jahre.

2014 befand dann wiederum der EuGH, dass diese Lösung angesichts des Weiterbe­standes des alten Systems diskriminierend sei.

Die in dieser Reform getroffene Lösung sieht vor, dass zum einen „die Zeiten für absol­vierte Ausbildungen anrechnungsneutral werden und zum anderen insbesondere jene Zeiten, die keinerlei Widmung aufweisen (‚sonstige Zeiten‘) und damit unter einem al­tersdiskriminierenden Gesichtspunkt einer sachlichen Rechtfertigung völlig entbehren, für die Anrechnung unbeachtlich sein“ sollen.

„Die Berücksichtigung von Zeiträumen, die auf die besoldungswirksame Zeit weiterhin anrechenbar sind, beschränkt sich auf jene Vordienst-Zeiten (im Ausmaß von maximal zehn Jahren), die eine einschlägige Bedeutung im Hinblick auf die aufzunehmende Tä­tigkeit im Bundesdienst aufweisen. Zusätzlich sind noch Zeiten des abgeleisteten Prä­senz- oder Zivildienstes im Ausmaß“ – so wie es Kollege Todt vorhin schon angespro­chen hat – „von sechs Monaten anrechenbar.“

Auch das ist meines Erachtens vollkommen logisch, weil das in der Privatwirtschaft ge­nauso ist.

Die Reform wird sich auf neue Dienstverhältnisse, aber auch auf alle bestehenden Dienstverhältnisse auswirken. Alle bestehenden Dienstverhältnisse werden in das neue System übergeleitet. Kompensatorisch werden die Gehaltstabellen adaptiert, also auch verbessert. Jedoch holt sich der Dienstgeber dieses Geld durch verspätete Bien­nalsprünge, jetzt aber bei allen, wieder zurück.

2014 hat der EuGH die Verzögerung des Biennalsprungs für altersdiskriminierend be­funden, und jetzt kann potenziell jeder Dienstnehmer eine Anrechnung von Dienst- und Ausbildungszeiten vor seinem 18. Lebensjahr beantragen, ohne dass ein verzögerter Biennalsprung folgen könnte. 6 000 Anträge wurden schon gestellt. Um eine Belastung des Budgets zu verhindern und eine einheitliche, aber auch eine europarechtskonfor-


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me Vorgehensweise sicherzustellen, sollte schnell eine neue Rechtslage geschaffen werden, was ja Intention dieses Gesetzes ist und was wir auch prinzipiell begrüßen.

Was wir aber nicht begrüßen und weswegen wir unsere Zustimmung nicht geben wer­den, ist einfach die Vorgehensweise. Meines Erachtens ist für das Parlament die Vor­gehensweise seitens des Bundeskanzleramtes kaum akzeptabel. Die Neuregelung wurde nicht, wie angekündigt, als Regierungsvorlage während der NR-Sondersitzung am 14. Jänner eingebracht, sondern erst als 46-seitiger Abänderungsantrag am 16. Jän­ner, und zwar am späten Nachmittag. Der Verfassungsausschuss hat am 19. Jänner getagt. Das heißt, die haben ja fast gar keine Zeit gehabt, sich mit diesem Gesetz in­tensiv zu befassen und auseinanderzusetzen.

Alleine aufgrund dieser Vorgehensweise darf man, wie ich meine, nicht zustimmen, weil derartige Vorgehensweisen nicht Einzug halten sollten. – Das ist der eine Punkt.

Der andere Punkt ist: Kollege Herbert von der FPÖ, du hast das Wort menschenver­achtend in den Raum geworfen. Das sind doch sehr harte Worte, denke ich mir, die in dieser Diskussion sehr deplatziert sind. Ich weiß, du bist auch im öffentlichen Dienst tätig, du willst auch in diese Richtung Signale setzen – beim nächsten Tagesordnungs­punkt werden wir zu dieser Thematik eine eigene Diskussion führen –, aber ich denke, mit solchen Begrifflichkeiten sollte man auch bei einem für einen persönlich vielleicht sehr stark emotional behafteten Thema sehr vorsichtig umgehen.

Wir werden dieser Vorlage unsere Zustimmung nicht erteilen. – Danke. (Beifall bei Bun­desräten der Grünen sowie des Bundesrates Herbert.)

14.15


Präsidentin Sonja Zwazl: Als Nächster zu Wort gemeldet hat sich Herr Bundesrat Ober­lehner. – Bitte.

 


14.15.48

Bundesrat Peter Oberlehner (ÖVP, Oberösterreich): Frau Präsident! Hohes Präsidium! Sehr geehrte Frau Staatssekretärin! Liebe Kolleginnen und Kollegen im Bundesrat! Lie­be Zuseherinnen und Zuseher an den TV-Geräten! Ich darf zuerst kurz auf die Aus­führungen des Kollegen Werner Herbert Bezug nehmen. Ich habe eigentlich geglaubt, dass die Personalvertretungswahlen im vergangenen Herbst gewesen sind und wir da­her bei solchen Diskussionen wieder zur Sachlichkeit zurückkehren können. Ich frage mich, warum man mit Halbwahrheiten die Kollegenschaft verunsichern muss, denn ich glaube, es ist auch bis zu dir durchgedrungen, dass es auch einen Entschließungsan­trag dazu gibt, der ein Verschlechterungsverbot beinhaltet. (Zwischenrufe der Bundes­räte Herbert und Mühlwerth.)

Genau dort ist die GÖD, die Gewerkschaft Öffentlicher Dienst, ja gemeinsam mit den Regierungsparteien schon aktiv geworden. Daher ist auch dein Vorwurf, dass die Ge­werkschaft nichts tut, sehr unfair, und den muss man, glaube ich, auch entkräften.

Zum Einwand von Efgani Dönmez darf ich sagen: Damit kann ich leben, dass er sagt, die Vorgehensweise ist zu kritisieren, deswegen findet er es nicht gut. An der Sache ändert das natürlich auch nichts, und daher: Man muss in manchen Dingen eben ver­suchen, Lösungen anzustreben, und das ist hier der Fall.

Wie schon vom Kollegen Reinhard Todt ausgeführt, ist der zentrale Gegenstand in die­sem Tagesordnungspunkt ja die Berechnung des Einstufungs- und Vorrückungsstich­tags und damit die Anrechnung von Vordienstzeiten für öffentlich Bedienstete. Das Pro­blem geht eigentlich auf das Jahr 2009 zurück, denn damals gab es eben das EuGH-Erkenntnis, in dem eine Altersdiskriminierung festgestellt wurde, und zwar bei den An­rechnungen von Zeiten vor dem 18. Lebensjahr und bei Ausbildungs- und Schulzeiten.

In den Folgejahren kam es dann zur Reparatur dieses Gesetzes, deren Ergebnis wie­derum vor den EuGH gebracht wurde, und wie allseits bekannt ist, wurde das leider


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wieder zurückgewiesen, weil wieder eine Altersdiskriminierung festgestellt wurde, wo­mit neuerlich eine Reparatur und eine Neuregelung notwendig wurden.

Ich gebe zu – und das ist keine Frage –, das Gefühl der Rechtssicherheit wurde da­durch sicherlich nicht wirklich gestärkt, und eine Verunsicherung unter den öffentlich Be­diensteten ist in dieser Frage ganz bestimmt gegeben.

Daher muss rasch Rechtssicherheit geschaffen werden, und dazu ist es notwendig, dass die nun vorliegende Neuregelung einige Anforderungen erfüllt. Erstens muss sie die Europarechtskonformität erfüllen. Das ist eine ganz wichtige Sache. Ich glaube, wir haben ja die Möglichkeit, uns am deutschen Modell anzulehnen, und das ist jetzt bei der Neufassung auch erfolgt. Dieses Modell ist ja bereits durch den Europäischen Ge­richtshof gegangen, und ich denke mir, dass die Chance besteht, dass seine Haltung dazu dann auch für unsere Regelung gilt. Die Umstellung auf Erfahrungszeiten ist da­bei die große Veränderung.

Aus Sicht der Staatsfinanzen – und das verstehe ich auch – ist es zweitens ein wichti­ges Ziel, dass Kostenneutralität erreicht wird, da hohe Kosten durch diese Maßnahmen kaum zu finanzieren wären und wahrscheinlich erst recht aus den Budgetansätzen des öffentlichen Dienstes wieder durch Sparmaßnahmen kompensiert werden müssten, also durch Sparmaßnahmen beim Personal. Ich glaube, eine verantwortungsvolle Ver­tretung – und das ist die Gewerkschaft Öffentlicher Dienst zweifellos – möchte auch das nicht. Das führt zu neuen Unsicherheiten, zu neuen Problemen. Daher finde ich es auch gut, wenn man versucht, da Kostenneutralität zu erwirken.

Die dritte Forderung und Anforderung aber ist – und dies ist auch für mich als Mitglied des Bundesvorstandes der Gewerkschaft Öffentlicher Dienst eine ganz wichtige und die logischerweise wichtigste –, dass es durch diese Reform für die betroffenen öffent­lich Bediensteten keine Verluste geben darf. In concreto heißt das, dass die Lebens­verdienstsummen in gleicher Höhe erhalten werden müssen und dass es auch bei der Umstellung zu keinen Nachteilen für die Kolleginnen und Kollegen kommen darf.

Ich weiß, dass über diese Forderung innerhalb der Regierungsparteien breiter Konsens herrscht und das ja auch mit der GÖD entsprechend abgesprochen oder verhandelt ist.

Ganz wichtig ist es daher – und jetzt komme ich zu dem Punkt, von dem Kollege Her­bert offensichtlich noch nichts weiß –, dass seitens der Regierungsparteien eben ein Ent­schließungsantrag eingebracht wurde, mit dem dieses Verschlechterungsverbot bei allen Berufsgruppen eingefordert wird und der in dieser Form auch beschlossen wor­den ist.

Für jede Berufsgruppe muss somit durchgerechnet werden, ob sich in Einzelfällen tat­sächlich Nachteile ergeben, und wenn das der Fall ist, dann müssen entsprechende Maß­nahmen gesetzt werden, um diese Verschlechterungen zu verhindern.

Da der vorliegende Beschluss des Nationalrates in Verbindung mit diesem Entschlie­ßungsantrag alle von mir eingeforderten Anforderungen erfüllt und eine Verschlechte­rung bei den Lebensverdienstsummen für die Kolleginnen und Kollegen im öffentlichen Dienst definitiv ausgeschlossen werden kann, werden wir seitens der ÖVP-Fraktion dem vorliegenden Gesetz die Zustimmung erteilen.

Selbstverständlich werden wir sehr genau darauf achten, dass alle Vorgaben tatsäch­lich erfüllt werden und das auch so umgesetzt wird, wie es ausverhandelt ist.

Ich bitte aber darüber hinaus Sie, sehr geehrte Frau Staatssekretärin, auch dafür zu sor­gen, dass versucht wird, diese Regelungen in weiteren Verhandlungen mit der GÖD mög­lichst einfach zu gestalten, und dass vor allem Klarheit geschaffen wird, umfassende Klar­heit, wie die Regelungen dann tatsächlich ausschauen, weil die Bundesländer darauf warten, was der Bund macht. Der Bund ist in der Vorreiterrolle für alle oder für viele


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Bundesländer, die sich dann an dieser Regelung anlehnen möchten, daher halte ich es für ganz wichtig, hier rasch und klar zu agieren.

Unabhängig von dieser Sanierung eines europarechtswidrigen Rechtszustandes – und mehr ist das nicht, das ist keine Dienstrechtsreform, so wie du das gesagt hast – muss aber auch rasch eine Besoldungs- und Dienstrechtsreform im Bundesdienst in Angriff ge­nommen werden.

Ich ersuche Sie, Frau Staatssekretärin, diesbezüglich rasch in Gespräche mit der GÖD einzutreten – das ist auch schon vereinbart, und im März soll es zu ersten Gesprächen kommen –, damit ein modernes und zeitgemäßes Dienstrecht für den österreichischen öffentlichen Dienst entstehen kann und dann Klarheit und eine gute Qualität gewähr­leistet sind. – Danke schön. (Beifall bei der ÖVP sowie bei Bundesräten der SPÖ.)

14.21


Präsidentin Sonja Zwazl: Zu Wort gemeldet hat sich Frau Staatssekretärin Mag. Steßl. – Bitte.

 


14.22.01

Staatssekretärin im Bundeskanzleramt Mag. Sonja Steßl: Frau Präsidentin! Ein­gangs darf ich Ihnen zu Ihrer Präsidentschaft gratulieren und Ihnen alles Gute für Ihre bevorstehende Arbeit wünschen. Meine geschätzten Kolleginnen und Kollegen im Bun­desrat, es wurde einiges in der Diskussion gesagt, was ich in meinem Redebeitrag klar­stellen möchte, weil Verschiedenes verwechselt wird, Verschiedenes mitunter nicht ge­sagt wird und es sich um eine sehr, sehr komplizierte Materie handelt.

Wir haben ja noch vor Weihnachten im Bundesrat das Thema Vorrückungsstichtag be­handelt. Ich kann mich erinnern, damals hat sich ein Redner zu Wort gemeldet, und ich habe damals schon die gesamte Historie, die das Thema betrifft – denn das war ja nicht das erste Mal, dass wir ein Verfahren vor dem Europäischen Gerichtshof hatten –, er­läutert. Ich werde daher heute nur mehr kurz auf den historischen Ablauf Bezug nehmen.

Ich möchte auf die Kritik der Vorredner eingehen: Besondere Situationen machen auch besondere Vorgehensweisen notwendig. Wir sind hier vor einer besonderen Situation gestanden, weil wir keinerlei klare Rechtslage hatten, was die Bundesbediensteten be­trifft, aber auch keine klare rechtliche Situation, was die Landesbediensteten und was teilstaatliche Unternehmen betrifft.

Wir hatten keinen einheitlichen Rechtsvollzug, nachdem wir das Urteil vom Europäi­schen Gerichtshof erhalten haben. Es waren bereits zirka 6 000 Anträge auf Neufest­setzung des Vorrückungsstichtages gestellt worden, und ohne eine einheitliche Rechts­lage ist auch kein einheitlicher Vollzug gewährleistet.

Ich muss Ihnen eines sagen, meine sehr verehrten Damen und Herren: Sicherlich war der Zeitplan, den wir für die parlamentarische Debatte hatten, ein sehr, sehr enger. Ich möchte heute in meinem Redebeitrag aber auch ausführen, warum er derartig eng war. Das war er nicht nur aufgrund der Besonderheit der Situation, sondern auch, weil es mir immer ein Anliegen ist, mit der Gewerkschaft Öffentlicher Dienst gemeinsam an Lö­sungen zu arbeiten.

Ich habe – das möchte ich heute auch noch einmal wiederholen – bis zuletzt daran ge­arbeitet, zusammen mit der Gewerkschaft Öffentlicher Dienst eine Lösung herbeizu­führen. Daher wurde innerhalb der 24-Stunden-Frist vor dem Verfassungsausschuss ein Abänderungsantrag übermittelt: weil ich der Überzeugung war, ich kann unter Um­ständen noch eine gemeinsame Lösung herbeiführen.

Wenn man Verantwortung trägt, gelangt man dann aber auch an einen Punkt, an dem man einen Schritt zur parlamentarischen Verhandlung setzen und ein Gesetz vorlegen


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muss. Für mich als zuständige Staatssekretärin war eines klar: Auf der einen Seite muss die Rechtsunsicherheit rasch im Sinne der Dienstbehörden, aber auch im Sinne der öffentlich Bediensteten beseitigt werden. Darüber hinaus sollten aber auch – das sollte nicht unerwähnt bleiben – keine zu hohen Kosten für die Steuerzahler und Steu­erzahlerinnen entstehen. Diese könnten aber entstehen, wenn der Bund nicht handelt. Mir war wichtig, mir in späterer Folge nicht den Vorwurf gefallen lassen zu müssen: Frau Staatssekretärin für öffentlichen Dienst, Sie haben nicht gehandelt! Daher haben wir die Verhandlungen mit der Gewerkschaft Öffentlicher Dienst geführt.

Ich werde jetzt auch noch darlegen, wie der Zeitplan sich dargestellt hat. Es ist auch in unser aller Verantwortung, eine unionsrechtskonforme Lösung herbeizuführen. Ich war zur gleichen Zeit wie der Kollege Herbert Mitglied im Hohen Haus, und mir ist auch klar, dass der Zeitplan eng und die parlamentarische Behandlung eine sehr besondere und eine sehr, sehr kurze war, aber die Situation war nun einmal sehr, sehr heraus­fordernd. So herausfordernd die Situation war, so notwendig war auch dieser Zeitplan.

Meine sehr verehrten Damen und Herren, lassen Sie mich noch einmal kurz die Situa­tion schildern, warum wir derartige Maßnahmen setzen mussten. Der Europäische Ge­richtshof erkannte am 11. November 2014 in der Rechtssache Schmitzer, dass das Gehaltssystem des Bundes altersdiskriminierend ist. Da geht es im Grunde um die An­rechnung von Vordienstzeiten – zum Beispiel Lehr- und Schulzeiten vor dem 18. Ge­burtstag – und deren Auswirkung auf die Entlohnung. Das Urteil des Europäischen Ge­richtshofes erging zu einer Rechtslage, die bereits als Reparatur gedacht war.

Eines möchte ich auch festhalten: Der Europäische Gerichtshof hat in seinem Urteil nichts von finanziellen Auswirkungen erwähnt, sondern er hat lediglich festgestellt, dass wir ein altersdiskriminierendes System haben. Wir sollten also den Menschen und den öffentlich Bediensteten nicht das Blaue vom Himmel versprechen, sondern ihnen auch transparent darstellen, was der Europäische Gerichtshof in dieser Rechtssache darge­legt hat.

Wir haben das Urteil im Bundeskanzleramt zusammen mit dem Verfassungsdienst ein­gehend geprüft und analysiert und sind zu dem Schluss gekommen, dass wir das Sys­tem komplett neu aufstellen müssen. Wir haben ein Gehalts- und Entlohnungssystem, das aus dem Jahre 1914 stammt. Die letzte Reform des Besoldungsrechtes wurde im Jahr 1994 vorgenommen, mit einigen Reparaturen, die in den Jahren darauf erfolgt sind. Wir haben nach der Analyse die Konsequenzen gezogen und am 15. Dezember 2014 sofort mit den Verhandlungen mit der Gewerkschaft Öffentlicher Dienst begon­nen, und zwar insofern begonnen, als wir das Gehaltssystem diskriminierungsfrei ma­chen möchten und unionsrechtskonform gestalten wollen.

Bei der Modellerstellung und bei den Verhandlungen waren meine politischen Spiegel, der Herr Vizekanzler wie auch der Herr Finanzminister, miteingebunden und mit am Tisch, und ich möchte mich hier herzlich für die Unterstützung und für die Akkordierung in dieser Zeit bedanken, denn es ist wichtig, dass man diesbezüglich einheitlich vor­geht. Für diese Zusammenarbeit möchte ich mich bedanken.

Daraufhin haben wir – auch über Weihnachten und Neujahr – mit der Gewerkschaft Öf­fentlicher Dienst Verhandlungen geführt. Die Gespräche waren äußerst konstruktiv und sehr, sehr ergebnisorientiert, und wir haben bis zuletzt mit der Gewerkschaft Öffentli­cher Dienst verhandelt, um eine Einigung zu erzielen.

Vor der parlamentarischen Befassung wurde selbstverständlich wieder mit der Gewerk­schaft Öffentlicher Dienst gesprochen, daher wurde auch im Plenum ein Abänderungs­antrag eingebracht: damit wir technische Anpassungen, die die Gewerkschaft Öffent­licher Dienst moniert hat, noch miteinbringen können. Was kann man sich darunter vor­stellen? – Das war zum Beispiel eine 3-Cent-Rundung bei gewissen Staffeln, das war


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eine qualitätssichernde Maßnahme bei den Lehrergehaltsstaffeln, und wir haben be­reits jetzt in dem vorliegenden Gesetzentwurf die Opting-out-Regelung, die ja beson­ders bei den öffentlich Bediensteten im BMI sehr, sehr geschätzt wird, miteingebracht. All das ist also in diesen Gesetzentwurf miteingeflossen.

Leider konnten wir mit der Gewerkschaft Öffentlicher Dienst keine Einigung erzielen, da­her ist das Gesetz in dieser Form in die parlamentarische Debatte eingegangen.

Die Gewerkschaft Öffentlicher Dienst hat aber Forderungen an uns, die Bundesregie­rung, gestellt, denen wir nachkommen werden. Eine Forderung, welcher wir auch nach­kommen werden, ist beispielsweise, Anomalien, die durch die Anwendung des mathe­matischen Modells entstehen – in einzelnen Bereichen kommt es zu Abweichungen von 0,6 Promille; ich werde das nachher noch erklären –, technisch anzupassen. Das System steht, aber wir werden das innerhalb des ersten Halbjahres mit der Gewerk­schaft Öffentlicher Dienst verhandeln, und wir befinden uns bereits in Gesprächen mit der Gewerkschaft.

Meine sehr verehrten Damen und Herren, noch ein paar kurze Bemerkungen zum Mo­dell, damit hier einige Klarstellungen erfolgen können und vor allem, damit das auch für die Bundesräte transparent werden kann: Auf der einen Seite war es mir wichtig, dass wir eine EU-rechtskonforme Lösung vorliegen haben, das heißt: keine Altersdiskrimi­nierung. Der zweite Punkt ist, dass wir besitzstandswahrend für die öffentlich Bediens­teten agieren. Der dritte Punkt ist selbstverständlich, dass wir auch budgetschonend vorgehen und dass keine strukturellen Mehrkosten für die Steuerzahler und Steuerzah­lerinnen entstehen dürfen.

Somit gilt das neue Gehaltssystem für alle Bundesbediensteten. Warum für alle? – Wenn man sich das Urteil des Europäischen Gerichtshofes näher anschaut und vor allem auch genauer durchliest, wird man bemerken, dass gerade die Optionenrege­lung, die unser altes System gekannt hat – das heißt, es gab nach wie vor Altbediens­tete und Neubedienstete –, der Punkt war, warum unser System altersdiskriminierend war.

Daher haben wir gesagt, alle Bundesbediensteten werden in das neue System über­stellt, damit es zu keinerlei Altersdiskriminierung mehr kommt und das Lebensalter kei­nen entscheidenden Faktor mehr darstellt. Dann schaffen wir die individuelle Anrech­nung von Vordienstzeiten ab. Ich weiß nicht, wer von den sehr verehrten Damen und Herren Bundesräten sich schon einmal den § 12 des derzeit noch geltenden Systems des Vorrückungsstichtages angesehen hat. Dieser Paragraph umfasst siebeneinhalb Seiten zur individuellen Anrechnungsmöglichkeit für den einzelnen Bediensteten.

Von diesem System gehen wir ab, indem wir auf ein System umstellen, das auf der tatsächlichen Berufserfahrung basiert. Hierbei handelt es sich um einen Punkt, der den Bund als modernen Dienstgeber darstellt, wir haben nämlich die Anrechnung von Zei­ten, in denen in der Privatwirtschaft gearbeitet wurde, von sechs auf bis zu zehn Jahre erhöht. Das heißt, der Bund wird auch ein attraktiver Arbeitgeber für Bedienstete, die zuvor in der Privatwirtschaft tätig waren und jetzt in den öffentlichen Dienst querein­steigen.

Im neuen Gehaltssystem – das möchte ich noch einmal auf den Punkt bringen – ist das Lebensalter kein entscheidender Faktor mehr, das heißt, dass wir eine Altersdiskrimi­nierung für die Zukunft ausschließen können.

Eines möchte ich auch noch dezidiert sagen: Für die Bundesbediensteten kommt es durch dieses neue System zu keinem Minus auf dem Gehaltszettel. (Bundesrat Brückl schüttelt verneinend den Kopf.) Das kann man sagen – auch wenn Sie den Kopf schütteln; ich werde das jetzt noch einmal erklären, und Sie sind dann ohnehin nach mir zu Wort gemeldet –: Wir haben kein Minus am Gehaltszettel.


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Sie schütteln den Kopf wahrscheinlich aufgrund der Tatsache, dass wir eine Abwei­chung von 0,6 Promille beim erwarteten Zugewinn für den Lebensverdienst haben. Ich weiß nicht, wer sich schon einmal bemüht hat, Menschen auf der Straße zu fragen, was ein Lebensverdienst ist. Die meisten können sich nicht vorstellen, was das ist. Wir haben im öffentlichen Dienst aber einen Lebensverdienst vereinbart – sozialpartner­schaftlich –, zu dem wir auch stehen.

Daher befinden wir uns jetzt in Verhandlungen mit der Gewerkschaft Öffentlicher Dienst, um diese Anomalien, die durch das mathematische System entstanden sind, auszugleichen, und mit dem nächsten Biennalsprung wird der öffentlich Bedienstete in das neue Gehaltssystem überführt.

Die erste Vorrückung fällt geringer aus, als nach dem bisherigen System zu erwarten wäre. Diesem Umstand wird aber Rechnung getragen, indem die darauffolgende Vor­rückung entsprechend vorgezogen wird, eineinhalb Jahre für Akademikerinnen und Aka­demiker, ein halbes Jahr für MaturantInnen und ein Jahr für die restlichen öffentlich Be­diensteten. Damit wird der einmal geringere Gehaltssprung durch einen früheren nächst­höheren Gehaltssprung innerhalb von zwei Jahren ausgeglichen.

Meine geschätzten Damen und Herren, es wurde vieles zu Stehsätzen und zum Bud­get gesagt. Sie kennen mich, Herr Kollege Herbert, ich bin niemand für Stehsätze, son­dern ich stehe zu meinem Wort. Ich habe eine gesetzliche Regelung vorgelegt, die die Prämissen auch trägt, die ich jetzt gerade vorgetragen habe. In Bezug auf alles ande­re – das werden Sie auch aus den Medien erfahren haben beziehungsweise stelle ich das jetzt noch einmal klar – gilt Folgendes: Wir haben, seit diese Anomalien bekannt geworden sind, natürlich zugesagt, hier entsprechend mit der Gewerkschaft Öffentli­cher Dienst weiterzuverhandeln, und wir haben auch letzte Woche im Ministerrat dies­bezüglich einen Ministerratsvortrag beschlossen.

Diesen Auftrag nehme ich natürlich an, und ich werde mein Möglichstes versuchen, mit dem Finanzminister und mit meinem politischen Spiegel, dem Herrn Vizekanzler, zu­sammen mit der Gewerkschaft Öffentlicher Dienst eine Lösung herbeizuführen, damit wir diese erwarteten Verluste von 0,6 Promille in der Lebensverdienstsumme ausglei­chen können.

Eines möchte ich zum Schluss noch dezidiert sagen, meine sehr verehrten Damen und Herren: Aufgrund der Dringlichkeit, die wir in dieser Causa haben – ich habe erwähnt, 6 000 Anträge liegen derzeit auf –, aufgrund der Rechtsunsicherheit – wir haben der­zeit keine Regelung, die einen einheitlichen Vollzug gewährleisten könnte – und auf­grund einer Kostenlawine, die niemand abschätzen könnte, wenn wir als Bund nicht tä­tig werden, bitte ich und ersuche ich Sie, sehr verehrte Damen und Herren Bundesräte, dieser Neuregelung des Gehaltssystems in der vorliegenden Form zuzustimmen. – Dan­ke. (Beifall bei SPÖ, ÖVP und Grünen.)

14.37


Präsidentin Sonja Zwazl: Mir liegt noch eine Wortmeldung von Herrn Bundesrat Brückl vor. – Bitte.

 


14.38.00

Bundesrat Hermann Brückl (FPÖ, Oberösterreich): Sehr geehrte Frau Präsident! Ge­schätzte Frau Staatssekretärin! Werte Kolleginnen und Kollegen! Es gilt also, hier ein Urteil des Europäischen Gerichtshofes umzusetzen im Beamtendienstrecht, Gehalts­recht, Vertragsbedienstetengesetz und so weiter, und da ist es legitim, denke ich, auch vonseiten der Regierung, dass sie an die Lösung dieses Problems mit dem Grundsatz herangeht, keine Mehrkosten verursachen zu wollen. Die Republik kann sich das im Grunde genommen nicht leisten. Es ist zumindest nachvollziehbar und verständlich.


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Es sind aber zwei Dinge, die nicht in Ordnung sind: Zum einen sind es die Art und die Vorgehensweise, die bei der Umsetzung an den Tag gelegt wurden – das haben ja auch einige meiner Vorredner bereits erwähnt. Man hat hier unter Außerachtlassung aller bis­herigen parlamentarischen Gepflogenheiten in einer Verhandlungssitzung diese Ver­handlungen abgebrochen, ist aufgestanden und hat gesagt: Wir legen da jetzt eine Re­gierungsvorlage vor! Man hat sie den Regierungsparteien, aber vor allem der Opposi­tion am Freitag sozusagen hingeknallt, am Montag war dann Ausschuss, wo man da­rüber abstimmen sollte. Es wurde darüber abgestimmt, und zwei Tage später wurde es im Nationalrat beschlossen. Hier hat es also keine Möglichkeit gegeben – auch nicht für Experten –, das in der Kürze dieser Zeit halbwegs ordentlich zu prüfen. Von einem Begutachtungsverfahren rede ich ja schon gar nicht mehr.

Frau Staatssekretärin, weil Sie die Dringlichkeit auch angesprochen haben: Ein Monat früher oder später wäre völlig egal gewesen. Die 6 000 Anträge, von denen Sie gespro­chen haben, liegen ja nicht seit dem 23. Jänner auf dem Tisch, sondern schon seit zwei Jahren und länger, die kennt man ja. Also, so dringlich wäre es nicht gewesen.

Ich weiß schon, warum es dringlich war: weil Ende November Personalvertretungswah­len waren. Deswegen wollte man es natürlich nicht vorher noch behandeln, aber so, Frau Staatssekretärin, arbeitet man nicht und so geht man in einer Demokratie auch nicht miteinander um. (Beifall bei FPÖ und Grünen.)

Das widerspricht genau jenen Worten, die heute Frau Präsidentin Zwazl in ihrer An­trittsansprache gesagt hat. Die Umgangsformen sind andere.

das Produkt, das hier eingebracht worden ist, ist mehr als ein Pfusch – und das ist eigentlich eine Schande für den österreichischen Staat.“ – Ich habe jetzt zitiert. Damit es keine Aufregung gibt: „Schande“, „Pfusch“, das stammt nicht von mir.

Lieber Kollege Oberlehner, du hast vorhin gesagt, warum ihr zustimmt und dass das Gesetz ohnehin klass und toll ist, und als Mitglied des Vorstandes der Gewerkschaft öf­fentlicher Dienst hast du das alles super erklärt, aber diese Worte: „ das Produkt, das hier eingebracht worden ist, ist mehr als ein Pfusch – und das ist eigentlich eine Schande für den österreichischen Staat.“, diese Worte stammen vom Vorsitzenden der Gewerkschaft öffentlicher Dienst, vom ehemaligen Präsidenten des Nationalrates Fritz Neugebauer. Das können Sie auf der Homepage der Gewerkschaft nachlesen, dort steht das noch.

Es ist also ein Gesetz, das ein „Pfusch ist“, das wieder nicht halten wird und von dem man heute schon weiß, dass man es ändern muss, andernfalls bräuchte man ja nicht in neue Verhandlungen einzutreten.

Ich gehe davon aus, dass sich die Bediensteten im öffentlichen Dienst, die Mitarbeiter im öffentlichen Dienst das auf Dauer nicht gefallen lassen werden. Beispiele dafür hat­ten wir ja schon: Die Richterschaft, die Staatsanwälte haben im Jänner erste Maßnah­men ergriffen, indem sie für einen Tag die Verhandlungen abberaumt haben. Ja, einen Tag nicht zu verhandeln, das lässt sich verkraften, das spürt man nicht. Zwei Tage lassen sich verkraften, die spürt man nicht, aber wenn es mehr werden, wenn plötzlich bei Gericht nicht mehr die Entscheidungen getroffen werden, die notwendig sind, dann wird das irgendwann, spätestens nach zwei, drei, vier Wochen, spürbar. Spüren tut es dann nämlich nicht nur die Anwaltschaft, tun es nicht nur die Notare, nicht nur alle Ju­risten im Land spüren das, sondern irgendwann spürt es auch die Wirtschaft, denn
da geht es um Geld, da geht es um Grundstreitigkeiten, da geht es in Wirklichkeit um Rechtssicherheit.

Zusammenfassend: Laut ehemaligem Nationalratspräsidenten Fritz Neugebauer ist die­ses Gesetz ein „Pfusch“. Man hat es unter Außerachtlassung aller parlamentarischen Usancen beschlossen, und man weiß heute schon, dass es nicht halten wird, denn


BundesratStenographisches Protokoll838. Sitzung / Seite 103

sonst bräuchte man nicht neuerlich in Verhandlungen mit den Personalvertretern ein­zutreten.

Wir werden diesem Gesetz daher nicht zustimmen. (Beifall bei der FPÖ sowie des Bun­desrates Dönmez.)

14.42

14.42.10

 


Präsidentin Sonja Zwazl: Weitere Wortmeldungen liegen dazu nicht vor.

Wünscht noch jemand das Wort? – Das ist nicht der Fall. Die Debatte ist somit ge­schlossen.

Wir kommen nun zur Abstimmung über den Beschluss des Nationalrates vom 21. Jän­ner 2015 betreffend ein Bundesgesetz, mit dem das Beamten-Dienstrechtsgesetz 1979 und weitere Gesetze geändert werden.

Es liegt ein Antrag der Bundesräte Werner Herbert, Kolleginnen und Kollegen vor, ge­gen den vorliegenden Beschluss des Nationalrates mit der beigegebenen Begründung Einspruch zu erheben.

Es ist hiezu namentliche Abstimmung verlangt worden. Da dieses Verlangen von fünf Bundesräten gestellt wurde, ist gemäß § 54 Abs. 3 der Geschäftsordnung eine nament­liche Abstimmung durchzuführen.

Wir gehen daher so vor: Im Sinne des § 55 Abs. 5 der Geschäftsordnung erfolgt die Stimmabgabe nach Aufruf durch die Schriftführung in alphabetischer Reihenfolge münd­lich mit „Ja“, das heißt Einspruch, oder mit „Nein“, kein Einspruch. Ich bitte um deutli­che Stimmabgabe.

Ich ersuche nunmehr die Schriftführung um den Aufruf der Bundesrätinnen und Bun­desräte.

*****

(Über Namensaufruf durch den Schriftführer Lindinger geben die Bundesrätinnen und Bundesräte ihr Stimmverhalten mündlich bekannt.)

*****

 


Präsidentin Sonja Zwazl: Die Stimmabgabe ist beendet.

Ich unterbreche die Sitzung zur Auszählung der Stimmen.

Die Sitzung ist unterbrochen.

*****

(Die Stimmenzählung wird vorgenommen. – Die Sitzung wird um 14.47 Uhr unterbro­chen und um 14.48 Uhr wieder aufgenommen.)

*****

 


Präsidentin Sonja Zwazl: Ich nehme die unterbrochene Sitzung wieder auf und gebe das Abstimmungsergebnis bekannt:

Demnach entfallen auf den Antrag, gegen den vorliegenden Beschluss des Nationalra­tes vom 21. Jänner 2015 betreffend ein Bundesgesetz, mit dem das Beamten-Dienst­rechtsgesetz und weitere Gesetze geändert werden, mit der beigegebenen Begründung


BundesratStenographisches Protokoll838. Sitzung / Seite 104

Einspruch zu erheben, bei 53 abgegebenen Stimmen 12 „Ja“-Stimmen und 41 „Nein“-Stimmen.

Der Antrag auf Erhebung eines Einspruches ist somit abgelehnt.

Mit „Ja“ stimmten die Bundesrätinnen und Bundesräte:

Brückl;

Dönmez, Dörfler;

Herbert Werner;

Jenewein;

Krusche;

Längle;

Mühlwerth;

Reiter;

Schmittner, Schreuder, Schreyer.

Mit „Nein“ stimmten die Bundesrätinnen und Bundesräte:

Bierbauer-Hartinger, Bock;

Ebner Adelheid, Ebner Bernhard;

Fetik, Füller, Fürlinger;

Gruber-Pruner;

Himmer;

Jachs, Junker;

Kneifel, Köberl Johanna, Köck, Köll, Kurz;

Lampel, Ledl-Rossmann, Lindinger;

Novak;

Oberlehner;

Perhab, Pfister, Poglitsch, Posch-Gruska, Preineder, Pum;

Reich, Reisinger;

Saller, Schennach, Schödinger, Stadler, Stöckl;

Temmel, Tiefnig, Todt;

Wilhelm, Winkler;

Zelina, Zwazl.

*****

 


Präsidentin Sonja Zwazl: Wir gelangen zur Abstimmung über den Ausschussantrag, gegen den vorliegenden Beschluss des Nationalrates keinen Einspruch zu erheben.

Ich ersuche jene Bundesrätinnen und Bundesräte, die diesem Antrag ihre Zustimmung erteilen, um ein Handzeichen. – Das ist die Stimmenmehrheit. Der Antrag, gegen den vorliegenden Beschluss des Nationalrates keinen Einspruch zu erheben, ist somit ange­nommen.


BundesratStenographisches Protokoll838. Sitzung / Seite 105

14.50.044. Punkt

Antrag der Bundesräte Werner Herbert, Kolleginnen und Kollegen betreffend Schaf­fung von Schwerarbeiterregelungen für Exekutivbedienstete (198/A-BR/2014 sowie 9321/BR d.B.)

5. Punkt

Entschließungsantrag der Bundesräte Werner Herbert, Kolleginnen und Kollegen betreffend Schaffung eines Exekutivdienstgesetzes beziehungsweise von weite­ren dienstrechtlichen Spezialbestimmungen im Beamtendienstrechtsgesetz (Beson­derer Teil, 2. Abschnitt) und Gehaltsgesetz (Abschnitt VII) (203/A(E)-BR/2014 sowie 9322/BR d.B.)

 


Präsidentin Sonja Zwazl: Wir gelangen nun zu den Punkten 4 und 5 der Tagesord­nung.

Berichterstatter ist Herr Bundesrat Saller. Bitte um den Bericht.

 


14.50.32

Berichterstatter Josef Saller: Frau Präsidentin! Frau Staatssekretär! Sehr geehrte Da­men und Herren! Ich bringe den Bericht des Ausschusses für Verfassung und Föde­ralismus über den Entschließungsantrag der Bundesräte Werner Herbert, Kolleginnen und Kollegen betreffend Schaffung eines Exekutivdienstgesetzes bzw. von weiteren dienstrechtlichen Spezialbestimmungen im Beamtendienstrechtsgesetz und Gehaltsge­setz.

Der Bericht liegt Ihnen in schriftlicher Form vor; ich komme daher gleich zur Antrag­stellung:

Der Ausschuss für Verfassung und Föderalismus stellt nach Beratung am 3. Febru­ar 2015 mit Stimmenmehrheit den Antrag, dem Antrag 203/A(E)-BR/2014 keine Zu­stimmung zu erteilen.

Weiters bringe ich den Bericht des Ausschusses für Verfassung und Föderalismus über den Antrag der Bundesräte Werner Herbert, Kolleginnen und Kollegen betreffend Schaffung von Schwerarbeiterregelungen für Exekutivbedienstete.

Auch dieser Bericht liegt Ihnen in schriftlicher Form vor; ich komme daher auch da gleich zur Antragstellung:

Der Ausschuss für Verfassung und Föderalismus stellt nach Beratung am 3. Febru­ar 2015 mit Stimmenmehrheit den Antrag, dem Antrag 198/A-BR/2014 keine Zustim­mung zu erteilen.

 


Präsidentin Sonja Zwazl: Danke für die Berichte.

Wir gehen in die Debatte ein.

Zu Wort gemeldet ist Herr Bundesrat Herbert. – Bitte.

 


14.52.12

Bundesrat Werner Herbert (FPÖ, Niederösterreich): Frau Präsidentin! Frau Staatsse­kretärin! Geschätzte Kolleginnen und Kollegen! Im Hinblick auf die von der Frau Prä­sidentin gerade eingeforderte Zeitökonomie darf ich meine Ausführungen zu diesen bei­den Anträgen tatsächlich etwas kürzer halten.

Beide Anträge betreffen die Exekutive, eine Besserstellung der Exekutive im Zusam­menhang mit den dienstrechtlichen Rahmenbedingungen.

Der erste Antrag, Tagesordnungspunkt 4, beinhaltet die Schaffung von tatsächlichen Schwerarbeiterregelungen für die Exekutive. Einerseits geht es um die Abschaffung be-


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ziehungsweise Reduktion der derzeitigen massiven Abschläge, denen gerade die Be­amtinnen und Beamten der Exekutive nicht zuletzt aufgrund der hohen Nebengebüh­ren ausgesetzt sind. Dies ist aber auch unter dem Aspekt zu sehen, dass das Pen­sionsantrittsalter bei der Exekutive ohnedies momentan bei 57 Jahren liegt und viele der Exekutivbeamten die von ihnen erwartete dienstliche Arbeitsleistung oft nicht mehr erfüllen können, nämlich in körperlicher Hinsicht.

Wir haben nicht zuletzt aufgrund der personellen Situation bei der Exekutive das Pro­blem, dass sehr viele ältere Kollegen nunmehr verstärkt in den Außendienst kommen, was einerseits für die Aufgabenerfüllung problematisch ist, aber auch aus dem Blick­winkel der persönlichen Betrachtung des jeweiligen Beamten schwierig ist.

Daher fordern wir, der erhöhten Gefährdung, dem nicht ungefährlichen Einsatz, auch infolge des Nachtdienstes und der sonstigen Rahmenbedingungen, unter denen diese besondere Berufsgruppe tätig ist, durch den Zugang dieser Berufsgruppe zur Schwer­arbeiterregelung Rechnung zu tragen.

Zweitens geht es im ersten Antrag um unterschiedliche Abschlagsregelungen zwischen dem Pensionsgesetz und dem Allgemeinen Pensionsgesetz, nämlich je nachdem, ob man vor oder nach dem 1. Jänner 1955 geboren ist und ob man aus gesundheitlichen Gründen vorher in Pension gehen muss oder ob man die normale Pensionsschiene in Form des normalen Pensionsanspruchs wählen kann.

Der zweite Antrag behandelt die Schaffung eines eigenen Exekutivdienstgesetzes. Wie Sie wahrscheinlich wissen, vertrete ich und habe ich hier schon öfter die Meinung ver­treten, dass das derzeitige Dienstrechtssystem, das sich grundsätzlich in der Dienst­rechtsreform fortsetzt, aus einem riesigen Konvolut an Gesetzen besteht, mit unter­schiedlichen übergreifenden Bestimmungen, die immer mehr werden, sodass die Kennt­nis und die Fachkenntnisse aufgrund der Komplexität dieser gesetzlichen Materie für viele schon jenseits der Wahrnehmungsgrenze liegen, und daher vereinfacht werden muss. Man muss für jede Berufsgruppe im öffentlichen Dienst, im speziellen Fall für die Exekutive, aber das gilt auch für andere Berufsgruppen – ich denke dabei an die Leh­rer, an die Richter, an die Staatsanwälte, an die Kindergärtner und so weiter, die alle einen guten und wichtigen Dienst für die Bevölkerung und für die Allgemeinheit leis­ten –, eine berufsspezifische gesetzliche Regelung finden, indem jede Berufsgruppe ein eigenes Dienstrecht hat, eigene dienst- und besoldungsrechtliche Rahmenbedin­gungen, die auch die pensionsrechtlichen Zugänge klären.

Die unterschiedlichen Tätigkeiten sind einfach nicht miteinander vergleichbar, beispiels­weise die Tätigkeit eines Verwaltungsbeamten mit jener eines Richters oder jene eines Bundesheerangehörigen mit jener einer Kindergärtnerin oder jene eines Lehrers mit jener eines Polizisten. Es findet sich momentan aber alles in einem komplexen Ge­samtgesetz wieder, und wir wollen das so gelöst haben, dass jede Berufssparte im öf­fentlichen Dienst ihr eigenes Gesetz bekommt. Und mit dem Antrag betreffend Schaf­fung eines Exekutivdienstgesetzes soll der Anfang gemacht werden. – Danke schön. (Beifall bei der FPÖ.)

14.57


Präsidentin Sonja Zwazl: Als Nächster zu Wort gemeldet ist Herr Bundesrat Dön­mez. – Bitte.

 


14.57.14

Bundesrat Efgani Dönmez, PMM (Grüne, Oberösterreich): Hohes Präsidium! Sehr ge­ehrte Frau Staatssekretärin! Geschätzte Kolleginnen und Kollegen! Lieber Kollege Her­bert, wir haben mittlerweile Systeme geschaffen, die wirklich wie ein schwarzes Loch nicht mehr beherrschbar sind und wo wir selbst nicht mehr wissen, wie viel Geld wohin fließt, und dann forderst du hier noch für jede Berufsgruppe eigene Regelungen, ob-


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wohl es, glaube ich, auch bei der FPÖ die Grundlinie gibt, eine Vereinheitlichung der Systeme, Pensionssysteme und so weiter, anzustreben. (Bundesrat Herbert: Das ist eh eine Vereinheitlichung!) Daher verstehe ich den Ansatz und die Intention nicht (Bun­desrat Herbert: Ist ja eine Vereinheitlichung!), obwohl ich unseren Exekutivbeamten jeden Cent, den sie mehr verdienen, zutiefst vergönne, weil sie unter schwierigsten Be­dingungen hervorragende Arbeit leisten. Aber das gilt auch für viele, viele andere Be­rufsgruppen.

Du hast die KindergärtnerInnen angesprochen. Es ist nicht einfach, wenn ein, zwei Pä­dagogInnen eine Gruppe mit 25 Kindern betreuen müssen. Es ist nicht einfach, wenn man in einer Klasse mit 25 Pubertierenden allein unterrichten muss. Es ist nicht ein­fach, wenn man im Krankenhaus unter schwierigsten Bedingungen bis in die Nacht hinein arbeiten muss oder wenn Rechtsanwälte und Konzipienten auch am Wochen­ende bis tief in die Nacht hinein arbeiten müssen, damit sie die Aufträge aufarbeiten können. Ich verstehe das nicht: Wo fangen wir dann an und wo hören wir auf, wenn wir diesen Ihren Weg beschreiten?

Im Sinne einer Vereinfachung der Systeme plädiere ich doch für eine einheitliche Vor­gehensweise und nicht für das, wofür du hier ein Plädoyer gehalten hast, nämlich dass jede Berufsgruppe ihre eigenen Regelungen bekommt, denn da möchte ich dann an­fangen zu diskutieren, von der Putzfrau bis zum Universitätsprofessor. Wie ist denn das, wenn sie bis zur Pensionierung 40 Wochenstunden arbeiten und dann vielleicht eine Pension in der Höhe von 700 oder 800 € – wenn überhaupt – bekommen?

Wenn wir uns auf diese Diskussion, auf diese Ebene einlassen, wird es noch schwie­riger und noch komplizierter. Ich glaube auch nicht, dass das im Interesse der Frau Staatssekretärin sein wird, aber dazu wird sie, nehme ich an, etwas sagen. Ich kann dem nicht recht viel abgewinnen, sondern ich bin eher dafür, dass wir die Systeme vereinheitlichen und so effizient und transparent wie möglich gestalten. (Vizepräsident Himmer übernimmt den Vorsitz.)

Dein Vorschlag würde, glaube ich, genau in die andere Richtung laufen. Wir wissen, wie aufwendig der Verwaltungsapparat mittlerweile ist. Wir reden ja von Verwaltungs­vereinfachung, von Bürgernähe und so weiter und dass die Leute sich selber ausrech­nen können, was sie verdienen können. Wenn man da wieder zig unterschiedliche Sys­teme einführt, wird das ein noch unüberschaubarerer Komplex, und dagegen bin ich. (Beifall bei den Grünen sowie bei Bundesräten von ÖVP und SPÖ. Bundesrat Her­bert: Da geht es um die Vereinfachung der rechtlichen Rahmenbedingungen!)

15.00


Vizepräsident Mag. Harald Himmer: Als Nächste zu Wort gelangt Frau Staatssekre­tärin Mag. Steßl. – Bitte.

 


15.00.36

Staatssekretärin im Bundeskanzleramt Mag. Sonja Steßl: Herr Präsident! Ganz kurz, weil ich vom Vorredner dazu aufgefordert wurde, meine Meinung zu den beiden Anträ­gen kundzutun:

Der erste Antrag zielt ja auf die Schaffung eines eigenen Schwerarbeits-Sonderpen­sionsrechts für BeamtInnen, die großteils Exekutivbedienstete sind, ab, das günstiger wäre als die derzeitige Schwerarbeiterregelung im ASVG; die Altersgrenze soll von 60 
auf 57 Jahre gesenkt werden.

Meine sehr verehrten Damen und Herren, Ziel der Bundesregierung ist es, das fakti­sche Pensionsalter, wenn möglich, anzuheben, und darüber hinaus soll das Pensions­recht der BeamtInnen so weit wie möglich an das ASVG angeglichen werden. Die Umsetzung dieses Antrages würde eine Attraktivierung der Frühpensionierungen für BeamtInnen nach sich ziehen, was sicherlich so nicht gewollt sein kann.


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Der zweite Antrag zielt auf die Schaffung eines eigenen Exekutivdienstgesetzes ab. Ich kann nur sagen, im Regierungsprogramm wurde vereinbart, dass wir mit der Gewerk­schaft Öffentlicher Dienst über ein neues Dienst- und Besoldungsrecht verhandeln und dieses vorbereiten sollen. Im Rahmen der Diskussion, die wir über den vorigen Tages­ordnungspunkt geführt haben, darf ich festhalten, dass ich der Gewerkschaft Öffentli­cher Dienst bereits jetzt angeboten habe, im März mit den Verhandlungen über dieses neue Dienst- und Besoldungsrecht zu sprechen. Ich denke, dass derartige Anträge in einem Gesamtkontext behandelt werden sollten. Danke. (Beifall bei der SPÖ sowie bei Bundesräten von ÖVP und Grünen.)

15.02


Vizepräsident Mag. Harald Himmer: Weitere Wortmeldungen liegen dazu nicht vor.

Wünscht noch jemand das Wort? – Das ist nicht der Fall. Die Debatte ist geschlossen.

Wir gelangen zur Abstimmung.

Die Abstimmung erfolgt getrennt.

Wir kommen zunächst zur Abstimmung über den Antrag 198/A-BR/2014 der Bundes­räte Herbert, Kolleginnen und Kollegen betreffend Schaffung von Schwerarbeiterrege­lungen für Exekutivbedienstete.

Da der Ausschuss für Verfassung und Föderalismus mit Stimmenmehrheit beschlos­sen hat, dem gegenständlichen Antrag keine Zustimmung zu erteilen, ersuche ich jene Bundesrätinnen und Bundesräte, die dem Antrag auf Annahme des gegenständlichen Antrages keine Zustimmung erteilen, um ein Handzeichen. – Das ist die Stimmen­mehrheit. Der Antrag auf Nichtannahme des gegenständlichen Antrages ist somit an­genommen.

Nun kommen wir zur Abstimmung über den Entschließungsantrag 203/A(E)-BR/2014 der Bundesräte Herbert, Kolleginnen und Kollegen betreffend Schaffung eines Exeku­tivdienstgesetzes beziehungsweise von weiteren dienstrechtlichen Spezialbestimmun­gen im Beamtendienstrechtsgesetz und Gehaltsgesetz.

Da der Ausschuss für Verfassung und Föderalismus mit Stimmenmehrheit beschlos­sen hat, dem gegenständlichen Entschließungsantrag keine Zustimmung zu erteilen, ersuche ich jene Bundesrätinnen und Bundesräte, die dem Antrag auf Annahme des gegenständlichen Entschließungsantrages keine Zustimmung erteilen, um ein Hand­zeichen. – Das ist die Stimmenmehrheit. Der Antrag auf Nichtannahme des gegen­ständlichen Entschließungsantrages ist somit angenommen.

15.04.236. Punkt

Vorhaben im Rahmen der Europäischen Union gemäß Art. 23e B-VG betreffend CM 4133/14, Friends of the Presidency Group: Improving the functioning of the EU system (38185/EU XXV.GP sowie 9323/BR d.B.)

 


Vizepräsident Mag. Harald Himmer: Wir gelangen zum 6. Punkt der Tagesordnung.

Berichterstatter ist Herr Bundesrat Schödinger. Bitte um den Bericht.

 


15.04.30

Berichterstatter Gerhard Schödinger: Sehr geehrter Herr Präsident! Werte Bundes­räte! Ich bringe Ihnen den Bericht des EU-Ausschusses über das Vorhaben im Rah­men der Europäischen Union gemäß Artikel 23e B-VG betreffend Friends of the Presi­dency Group: Improving the functioning of the EU system.

Der EU-Ausschuss hat das gegenständliche Vorhaben im Rahmen der Europäischen Union in seiner Sitzung am 4. Februar 2015 in Verhandlung genommen.


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Bei der Abstimmung wurde der von den Bundesräten Mayer, Schennach, Kolleginnen und Kollegen eingebrachte Entschließungsantrag gemäß § 23 Abs. 1 GO-BR betref­fend Möglichkeiten zur Stärkung nationaler Parlamente in der EU mit Stimmeneinhel­ligkeit angenommen.

Ich komme zur Verlesung des Entschließungsantrages:

„Die Bundesregierung wird ersucht, im Sinne der aufgezählten Problembereiche im Rah­men der Mitwirkung der nationalen Parlamente beim EU-Gesetzgebungsprozess auf europäischer Ebene eine Weiterentwicklung der Mitgestaltungsmöglichkeiten der natio­nalen Parlamente auszuloten und im Rahmen der vorhandenen Möglichkeiten in einem Diskussionsprozess mit der neu gewählten Kommission diesbezüglich einzubringen.“

Der EU-Ausschuss stellt nach Beratung des gegenständlichen Vorhabens im Rahmen der Europäischen Union gemäß Artikel 23e Abs. 1 B-VG am 4. Februar den Antrag, der Bundesrat wolle die angeschlossene Entschließung annehmen.

 


Vizepräsident Mag. Harald Himmer: Danke für die Berichterstattung.

Wir gehen in die Debatte ein.

Als Erster zu Wort gemeldet ist Herr Bundesrat Mayer. – Bitte.

 


15.06.12

Bundesrat Edgar Mayer (ÖVP, Vorarlberg): Sehr geehrter Herr Präsident! Sehr ver­ehrte Kolleginnen und Kollegen! Zuseher an den Bildschirmen zu Hause! Zur vorlie­genden Materie, zu dem Entschließungsantrag: Die Grundlage ist an und für sich, wie schon der Berichterstatter erwähnt hat, der vom EU-Ausschuss eingebrachte Ent­schließungsantrag an den Rat. Es wurde eine entsprechende Arbeitsgruppe eingerich­tet, die sich die Gruppe der „Freunde der Präsidentschaft“ nennt. – Ja, so kann man auch Freunde gewinnen, insbesondere im Bundesrat. Es geht im Prinzip um die Funk­tionsweise der Europäischen Union im Rahmen der bestehenden Verträge und darum, diese Verträge zu überprüfen.

Besonders intensiv war in diesem Zusammenhang auch die Diskussion über die Rolle der nationalen Parlamente und deren Stärke sowie über die Stärkung der Subsidiarität und der Verhältnismäßigkeit. Da ist natürlich der Bundesrat als vorbildliche parlamen­tarische Kammer in Europa bekannt.

Der Bundesrat – beziehungsweise der EU-Ausschuss des Bundesrates – setzt sich auch sehr intensiv mit diesen Materien auseinander, und immer wieder wird auch von uns die Subsidiarität und deren Überprüfung im Rahmen der Subsidiaritätsprüfung in den Vordergrund gestellt, weil es darum geht, entsprechende Fristen einzuhalten, wir aber aufgefordert sind, auch mit den Landtagen und mit NGOs zu kommunizieren. Da ist diese Acht-Wochen-Frist oft ein wirklich großer Hemmschuh. Das ist einer der großen Kritikpunkte, wobei diesen Punkt aber nicht nur das österreichische Parlament bezie­hungsweise der österreichische Bundesrat kritisiert, sondern in diesem Zusammen­hang gibt es auch einen Schulterschluss mit mehreren anderen Ländern.

Damit hat man sich auch bereits auf Konferenzen auseinandergesetzt. Ich war zum Beispiel vor einem Jahr zu der Föderalismuskonferenz in Berlin eingeladen, und auch dort haben nationale Parlamente diese Frist vielfach kritisiert, weil sie nun einmal im Vertrag festgeschrieben ist. Sie sollte aber doch flexibler gestaltet werden können – so wie über die Sommerpause, da gilt diese Frist auch nicht in diesem Umfang.

Wenn man das flexibler gestalten sollte, dann gibt es einfach an die Kommission oder den Rat den Auftrag, das auch entsprechend umzusetzen.

In der entsprechenden EU-weiten Versammlung, die COSAC genannt wird, in der auch die Vorsitzenden der EU-Ausschüsse der nationalen Parlamente vertreten sind, hat es dazu wirklich große Übereinstimmung gegeben.


BundesratStenographisches Protokoll838. Sitzung / Seite 110

Es geht uns also auch um die Stärkung der Widerspruchsrechte nicht nur im Zusam­menhang mit der Subsidiaritätsprüfung, deren Rahmenbedingungen wir immer wieder kritisieren, sondern auch im Zusammenhang mit diesen delegierten Rechtsakten, die sich inzwischen zu einem Unfug entwickelt haben, weil bei manchen Materien, bei man­chen Verordnungen und Richtlinien mehr delegierte Rechtsakte, mehr Delegierungs­möglichkeiten – und somit eine Umgehung der nationalen Parlamente – vorgesehen sind, als die Verordnung selber Artikel hat.

Diese Häufung gilt es natürlich hintanzuhalten, und das habe ich – und wir tun das auch immer wieder bei diesen COSAC-Versammlungen – dem neuen Vizepräsidenten der Kommission, Frans Timmermans, auch in meinem Redebeitrag entsprechend deut­lich klargemacht.

Übrigens muss man auch sagen: Es gibt schon eine Aufbruchstimmung in der Kom­mission, denn nicht nur Jean-Claude Juncker stellt sich der Kommunikation und dem Dialog und fordert dies auch, sondern auch der dafür zuständige Vizepräsident Frans Timmermans. Bei ihm merkt man schon, dass es ihm auch ein Anliegen ist, mit den Nationalstaaten stärker, schneller und intensiver zu kommunizieren. Er sieht auch die Kommission nicht als abgehobenes Konglomerat, sondern möchte einen entsprechen­den Dialog führen.

In diesem Entschließungsantrag ist weiters die Rede davon, dass die Überregulierung und die Folgenabschätzung kritisiert werden müssen. Da muss man sagen, dass dies eigentlich im Vertragswerk selten oder kaum vorgesehen ist, aber wir in unseren Stel­lungnahmen des Bundesrates dies auch immer wieder kritisieren, dass eben die Fol­genabschätzung verbessert werden muss.

Die Bemühungen und die Vorgaben der nationalen Parlamente tragen auch Früchte; das muss man sagen. Es gibt bereits Ergebnisse, angeregt von den Briten – man höre und staune: von den Briten! –, und verbunden mit den Dänen gibt es jetzt auch Bestre­bungen, eine sogenannte Green Card einzuführen. Mit dieser Green Card möchte man bei entsprechend schwierigen Gesetzesvorhaben der EU, Richtlinien oder Verordnun­gen, bereits im Vorfeld eine Kommunikationsebene dahin gehend einschieben, dass sich die nationalen Parlamente mit derartigen Rechtsmaterien frühzeitig auseinander­setzen können. Es wird ja von uns – lieber Kollege Schennach, du wirst mir recht ge­ben – auch immer kritisiert, dass wir sehr früh Richtlinien und Verordnungen bekom­men, sozusagen Rohlinge, dass diesen Rohlingen aber oft in Ratsarbeitsgruppen noch vieles abgeschliffen werden muss, dass vieles saniert werden muss. Das ist auch ein Problem in der Gesetzwerdung der EU. Dieses Anliegen haben wir auch immer wieder vorgebracht.

Jetzt soll es ein Instrument geben, dass bei gewissen Materien eine sogenannte Green Card eingeführt wird. Das ist ein sehr gutes Vorhaben, das übrigens bei der nächsten COSAC-Sitzung Ende Mai auf der Agenda, auf der Tagesordnung steht.

Das wurde auch seitens der neuen Kommission durchaus als positiv erwähnt. Deshalb kann man sagen: Es wird sich in nächster Zeit hoffentlich einiges tun, dass die Aus­legung dieses sehr wichtigen Lissabon-Vertrages doch etwas flexibler wird.

Ich möchte auch die Initiative unserer Präsidentin Zwazl unterstützen, die gesagt hat: Versuchen wir doch, die Geschäftsordnung des Bundesrates zu ändern, um auch Mit­gliedern des Europäischen Parlaments die Möglichkeit zu geben, im Bundesrat zu spre­chen! Wenn ich den Dialog und die Diskussion im EU-Ausschuss betrachte, kann ich mir durchaus vorstellen, dass es eine gute Möglichkeit wäre, auch hier im Plenum EU-Schwerpunkte und Themen von EU-Sitzungen zu debattieren, was man dann vielleicht mit Kolleginnen und Kollegen aus dem Europäischen Parlament aufwerten könnte.

Ja, Dialog und Kommunikation sind im EU-Ausschuss ein hochgeschätztes und auch sehr in den Vordergrund gestelltes Gut. Wir werden ja auch immer wieder als Europa-


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Kammer bezeichnet. Nicht nur wir selber sagen das, sondern wenn man gestern Abend den Empfang der Niederösterreicher anlässlich der Vorsitzübernahme im Bundesrat mit­verfolgt hat, so hat man gehört, dass der niederösterreichische Landtagspräsident ge­sagt hat: Wir haben das wohl festgestellt. Wir kennen den Bundesrat inzwischen auch als Europa-Kammer. – Wenn das der Landtagspräsident des größten österreichischen Bundeslandes sagt, dann hat das für uns natürlich auch einen entsprechenden Stellen­wert. Das kann man nur in aller Form unterstützen. (Vizepräsidentin Posch-Gruska über­nimmt den Vorsitz.)

Wir bedanken uns auch für die Zusammenarbeit mit den Bundesländern, die für uns im EU-Ausschuss wesentlich und essenziell ist. Es gibt auch die Aufforderung, das noch zu intensivieren. – So viel zu unserem Entschließungsantrag.

Zum Entschließungsantrag, der dann von Monika Mühlwerth und Marco Schreuder ein­gebracht wird, ist zu sagen, dass es sich dabei um einen Entwurf handelt, den wir im Vorfeld des EU-Ausschusses ausgesendet haben und der jetzt in einer „heiligen Al­lianz“ von Monika Mühlwerth und Marco Schreuder hier präsentiert wird.

Das ist mir schon recht, aber im EU-Ausschuss sind wir solche Schlitzohrigkeiten an und für sich nicht gewohnt, denn politisch korrekt und fair, liebe Kolleginnen und Kol­legen, ist das nicht. Ich möchte das jetzt einfach als einmaligen Ausritt werten, dass ihr hier praktisch einen Entwurf einbringt, der ja nicht freigegeben und für euch nur zur in­ternen Kommunikation vorgesehen war.

Deshalb werde ich natürlich die Empfehlung im Namen des EU-Ausschusses ausspre­chen, eurem Entschließungsantrag nicht die Zustimmung zu erteilen, sondern den vom EU-Ausschuss einstimmig beschlossenen Entschließungsantrag umzusetzen. In Hin­kunft geht einfach die Bitte an alle EU-Ausschussmitglieder, zu Fairness und Political Correctness zurückzukehren. – Vielen herzlichen Dank. (Beifall bei ÖVP und SPÖ.)

15.15


Vizepräsidentin Inge Posch-Gruska: Als Nächster gelangt Herr Bundesrat Schen­nach zu Wort. – Bitte.

 


15.16.13

Bundesrat Stefan Schennach (SPÖ, Wien): Frau Präsidentin! Lieber Edgar Mayer! Vielleicht könnte man zuerst einmal sagen, das sind ja zwei Dokumente. Wir haben eine direkte Mitteilung an die EU-Kommission geschickt, und wir schicken heute eine Entschließung an die eigene Bundesregierung. Das ist ein Willensbild eines Parla­ments, eines Ausschusses, der zu folgender Grundsatzposition gekommen ist: Es ist schön, wenn sich die Freunde der Präsidentschaft, die Kommission und der Rat, Ge­danken darüber machen, wie Parlamentarismus funktioniert, aber das machen wir uns doch lieber selber, denn die Regierung hat ihre Interessen und das Parlament hat sei­ne Interessen.

Die verschiedenen Kollegen und Kolleginnen anderer EU-Ausschüsse haben ihre Posi­tionen im Rahmen der COSAC übermittelt. Der österreichische Bundesrat ist wahr­scheinlich der einzige EU-Ausschuss, der diesen Weg geht und damit in Europa ein Signal sendet, das wahrscheinlich andere EU-Ausschüsse zur Nachahmung anregt. Das nehme ich jetzt einmal als ganz sicher an.

Es ist gut, wenn sich der Rat überlegt, wie er sich stärkt. Parlamentarisch gesehen muss man das aber nicht unbedingt haben. Es ist auch gut, wenn sich Kommission und Rat darüber den Kopf zerbrechen, wie eine bessere Rechtsetzung ausschaut, und da kommen wir als Parlamente ins Spiel. Da haben wir einmal zum Vertrag von Lis­sabon, der uns ja erst die Möglichkeit zu dieser demokratischen Mitwirkung gibt, der die EU demokratischer gemacht und den Parlamenten eine gewisse Rolle zugeschrie­ben hat, festgestellt, wo Reformbedarf besteht.


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Wie Edgar Mayer schon gesagt hat: Die gesamte Subsidiaritätsprüfung und Verhält­nismäßigkeitsprüfung ist in einem föderal aufgebauten Staat, wie Österreich einer ist, mit acht Wochen extrem kurz bemessen. Vielfach erreichen uns Stellungnahmen der Länder erst nach den acht Wochen, und der EU-Ausschuss des Bundesrates erahnt in seiner Weisheit, was die Länder in etwa wollen, damit die Acht-Wochen-Frist auch ein­gehalten wird. Da wollen wir zumindest einen Monat mehr bekommen.

Zum Zweiten: Ja, es kommt manchmal vor, dass wir im EU-Ausschuss eine Stel­lungnahme auf Verdacht machen. Es liegt das erste Dokument vor, es gab noch gar keine Arbeitssitzung im Rahmen der EU, und wir müssen auf Verdacht reagieren. Nun entwickelt sich etwas in der Rechtsetzung in Europa, aber es kommt nie wieder zurück. Das sind Punkte, wo wir sagen: Da wollen wir einfach eine andere Involvierung der na­tionalen Parlamente.

Was auch eine einmalige Sache in Europa ist, ist, glaube ich, wie der Bundesrat mit dem Thema Delegierung von Rechtsakten umgeht beziehungsweise diese kritisiert. Manche Rechtsakte, die seitens der Kommission vorgelegt werden, umfassen mehr delegierte Rechtsakte als eigentliche Grundmaterie. Das verstehe ich schon. Das ist ein „Ranglgspü“, auf Wienerisch gesagt – ein Tiroler kann das sogar auf Wienerisch sagen –, wo man versucht, Kompetenzen zu verschieben. Das geht ja auch in Öster­reich zwischen Bund und Ländern – es ist sehr gut bekannt, wie das Kompetenzspiel geht – oder zwischen Regierungen und Parlamenten. Da sagen wir allerdings: hallo und stopp!

150 Rechtsakte werden sozusagen aus dem nationalen Bereich in die Kompetenz der Europäischen Kommission delegiert. Das geht so nicht, denn wir wissen gar nicht, wo­zu diese Rechtsakte dann eingesetzt werden. Auch da wollen wir eine Einbindung der Parlamente.

Gestern kam vom Präsidenten des Niederösterreichischen Landtags ein wichtiger Hin­weis, und auch Landeshauptmann Häupl hat schon von der Europakammer und der neuen Aufgabe des Bundesrates gesprochen. Und in diesem Zusammenhang ist in dieses Papier, in diesen Entschließungsantrag auch die Mitteilung von zwei Seiten, so­wohl vom Land Wien als auch vom Städtebund, eingeflossen, vor allem die Idee, dass wir diese Überregulierung der europäischen Rechtssetzung in den Griff bekommen müssen und dass wir vor allem auch begreiflich machen müssen, dass wir eine euro­päische Folgenabschätzung brauchen.

Jetzt haben wir eine Präsidentin, die aus der Wirtschaftskammer kommt, da wäre zum Beispiel der Small Business Act ein Thema, Folgenabschätzung von Rechtssetzungen im Rahmen der Europäischen Union, Folgen für KMUs, die oft nicht bedacht werden. Man denkt über die Konzerne nach, aber nicht über die KMUs. Dieses Thema ist uns wichtig, und das steht hier im Antrag auch extra drinnen.

Etwas, wo wir als nationales Parlament gar keine Transparenz haben, ist das soge­nannte Trilogverfahren. In die Planung der aktuellen und der nachfolgenden Präsident­schaft betreffend Rechtssetzung Transparenz zu bringen, wäre zum Beispiel auch für Institutionen wie den AdR oder für Gemeinde- und Städtebund sehr wichtig.

Jetzt komme ich zu einem weiteren Punkt: Wir haben da Informationsrechte drinnen, das ist uns sehr wichtig.

Vielleicht sollte ich aber vorher noch etwas anderes sagen: Mit unseren Vorschlägen tangieren wir nicht eine Öffnung des Vertrags von Lissabon, denn damit könnten wir die Büchse der Pandora öffnen, denn dann könnte sich zum Beispiel das Vereinigte Königreich querlegen. Das heißt, all das, was wir vorschlagen, ist mit dem bestehen­den Vertrag möglich, und vieles wird wahrscheinlich auch kommen.


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Was zum Beispiel kommen kann, ist, dass wir im Rahmen der Währungs- und Wirt­schaftspolitik sehr viele Kompetenzen abgeben werden. Aber es ist eine Forderung der COSAC – bei der Edgar Mayer und ich den Bundesrat und den EU-Ausschuss vertre­ten –, dass es beim ESM zum Beispiel eine Mitwirkung der nationalen Parlamente ge­ben soll, dass wir da mehr Transparenz hineinbekommen, denn die Schwerpunktset­zung im Bereich der Währungspolitik und im Bereich der Budget- und Wirtschaftspolitik ist von elementarer Bedeutung.

Da wir jetzt das Europäische Semester haben, müssen wir das auch auf nationaler Ebene abbilden. Dänemark zum Beispiel stoppt im März alles. Da werden keine Ge­setze über Fortpflanzungsmedizin oder Beamtendienstrecht beschlossen, sondern das Parlament macht einen Monat lang nur nationales „Europäisches Semester“, um genau das abzubilden, was die europäische Diskussion nach sich zieht. Das wäre auch für uns von enormer Bedeutung.

Nun noch ein letzter Punkt, und dann komme ich zur Opposition: Wir spüren jetzt einen großen Unterschied zu früher. Vorher war Šefcovic für uns zuständig, für die EU-Aus­schüsse, für unsere Mitteilungen, für unsere begründeten Stellungnahmen, und Edgar Mayer und ich haben bei jeder COSAC-Tagung mit Šefcovic die Form der Beant­wortung und die Geringschätzung nationaler EU-Ausschüsse kritisiert; das geht so nicht. – Jetzt ist tatsächlich ein Paradigmenwechsel eingetreten, ich kann das nur un­terstreichen.

Eine Revision der Europäischen Bürgerinitiative – das sei nur kurz angemerkt – wer­den wir in zwei Monaten hier vorlegen.

Ich verstehe die Opposition – wir waren Opposition zu Schwarz-Blau –, da verwendet man Tricks, okay. Edgar Mayer hat von Fairness gesprochen. Ich glaube, der EU-Aus­schuss, Frau Mühlwerth, lieber Marco Schreuder, ist der einzige Ausschuss, der in ei­ner erstaunlichen Weise Einstimmigkeit präsentiert.

Wir haben bisher immer gesagt, wir zeigen auch den Diskussionsverlauf zwischen ÖVP und SPÖ. Da gibt es einen unterschiedliche Meinungen, und darauf legt ihr euch jetzt fest, wohingegen wir sagen – und das völlig zu Recht –: Liebe Leute, Außenhan­delsabkommen wie TTIP und CETA gehören auch von den nationalen EU-Aus­schüssen behandelt, obwohl wir wissen, dass sie nicht dem Subsidiaritätsprüfungs­verfahren unterliegen. Solche Verträge werden von Kommission und Rat ausgehan­delt, aber am Ende ratifizieren sie die Parlamente. Und die Parlamente können nur mehr Ja sagen, weil es sonst zu einem Verstoß gegen die loyale Zusammenarbeit kom­men würde, die ein Grundprinzip der Europäischen Union ist.

Die Parlamente dürfen aber nicht in dieser Zwangsjacke, in einer Zwangsanstalt sein, sondern müssen frühzeitig in diese Schritte eingebunden werden. Wir wollten das, und ich weiß, dass viele in der ÖVP nicht glücklich darüber sind, dass das Wirtschafts­ministerium das nicht einmal 24 Stunden vorher blockiert hat. Den Inhalt haben wir aber gemeinsam gerettet, und diesen könnt ihr alle nachlesen. Unter „Informations­rechte“ steht im Antrag „CETA und TTIP“ und „Transparenz und Information“. Es ist eu­ropäische Diskussion, dass die Zuständigkeit der nationalen Parlamente bei Außen­handelsabkommen gestärkt wird. Die europäische Debatte ist da eindeutig. Im Grunde ist die Europäische Bürgerinitiative, die zwar nicht zugelassen wird, in allen Ländern mittlerweile abgeschlossen und hat ihre Mehrheiten erreicht. Wir müssen uns dieser Diskussion stellen.

Aber fair ist fair, wir werden für euch auch zukünftig unter Umständen Meinungsver­schiedenheiten zwischen den Parteien sichtbar machen. Ich glaube, der im EU-Aus­schuss einstimmig beschlossene Entschließungsantrag, das, worauf wir uns alle ge­einigt haben, hat hier mehr Wert, denn das, was ihr vorschlagt, würde eine Änderung


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des Vertrags von Lissabon nach sich ziehen und bleibt somit ein Wunsch. Alles, was im Entschließungsantrag steht, kann man machen. Nur dieser eine Passus ist erst möglich, wenn der Vertrag von Lissabon aufgeschnürt wird, und dann werden wir mit diesem Thema hier wieder präsent sein. – Danke. (Beifall bei der SPÖ.)

15.28


Vizepräsidentin Inge Posch-Gruska: Bevor ich der nächsten Rednerin das Wort er­teile, möchte ich gerne die Abordnung der Landjugend Bildein recht herzlich bei uns im Bundesrat begrüßen. Herzlich willkommen! (Allgemeiner Beifall.)

Als Nächste zu Wort gemeldet ist Frau Bundesrätin Mühlwerth. – Bitte.

 


15.28.43

Bundesrätin Monika Mühlwerth (FPÖ, Wien): Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrte Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Kollege Schennach hat uns jetzt eindrucksvoll vorgeführt, wie man die Kurve kratzen kann. Ich habe ein ge­wisses Verständnis dafür. Ich weiß, man ist in einer Koalition gewissen Zwängen un­terworfen, auch wir haben das schon einmal erlebt. (Bundesrat Stadler: Ich wollte ge­rade sagen: Diese Art ist euch auch nicht fremd, oder?!)

Das Interessante am EU-Ausschuss des Bundesrates ist aus meiner Sicht, dass wir eben aufgrund der Subsidiaritätsprüfung und auch der Möglichkeit einer Klage die meis­ten Materien vor dem Nationalrat behandeln, wobei man auch in Erinnerung rufen muss – bei aller Kritik, die wir sonst an der EU und am Vertrag von Lissabon im Besonderen üben –, dass es ein Beschluss war, der hier im Haus erfolgt ist, der es erst möglich ge­macht hat, dass der Bundesrat dem Nationalrat überhaupt gleichgestellt ist. Das war ursprünglich von der ersten Kammer nicht so vorgesehen. (Ruf bei der SPÖ: Genau!) Ich finde es aber schon sehr interessant und gut, dass das jetzt so ist.

Ja, es stimmt, die meisten Beschlüsse erfolgen einstimmig, wenn auch mit unter­schiedlichen Voraussetzungen. Die Regierungsparteien, die eher EU-euphorisch sind, sagen halt das eine oder andere Mal, es sei sonst alles gut, aber das laufe falsch. Wir sagen: Wir sind sehr kritisch mit der EU (Zwischenruf bei der ÖVP), sie zieht ohnehin zu viel an sich – und da ist es ganz besonders so. Und das führt dann zu einem – für außenstehende Betrachter – Kuriosum: dass es trotz unterschiedlicher Ansätze sehr oft zu Einstimmigkeiten kommen kann.

Ein Beispiel zu dieser Einstimmigkeit: Ich kann mich noch erinnern, bei der Konzes­sionsrichtlinie, über die wir diskutiert haben, haben wir alle festgestellt, dass da ver­packt ist, dass eine Privatisierung des Wassers stattfinden soll. Und da waren wir uns allen Unterschieden zum Trotz einig, dass wir das nicht wollen. Es wäre uns als kleines Österreich natürlich nicht gelungen, das zu Fall zu bringen. Da brauchte es schon auch andere Länder, wie das bei anderen Materien auch der Fall ist. In diesem Fall war es günstig, weil Deutschland auf derselben Schiene gefahren ist wie wir, und es ist uns letzten Endes gemeinsam gelungen, diese Konzessionsrichtlinie in dieser Form zu­rückzudrängen; diese muss jetzt neu gefasst werden. (Bundesrat Schennach: Slo­wenien, Luxemburg!)

Das sind schon positive Aspekte, und auch wenn wir den Vertrag von Lissabon nach wir vor nicht mögen und der EU in ihrer Überregulierungswut immer noch kritisch ge­genüberstehen, sind wir doch Realisten genug, zu sagen: Es gibt den EU-Ausschuss, wir können uns da einbringen, wir können da mitgestalten, und das wollen wir auch nützen.

Kollege Mayer hat von angeblicher Unfairness gesprochen: Ich habe eher unfair ge­funden, was du jetzt gemacht hast – und dann Fairness einzufordern, finde ich doch kühn! Mit der Political Correctness, die du dann so hintennach gestreut hast – das kann


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ich dir sagen, und das wirst du ja auch wissen –, haben wir genau überhaupt nichts am Hut; also das hättest du dir sparen können, das gerade an uns zu richten.

Worum geht es aber in diesem Entschließungsantrag? – Es geht generell um die Stär­kung der nationalen Parlamente, und das wollen wir ja immer, viel mehr noch als die Regierungsparteien. Der Entschließungsantrag war schon in Ordnung, nur hat uns der erste Entwurf einfach besser gefallen. Und da darf man als Opposition  (Bundesrat Schennach: Wir bedanken uns dafür ! – Zwischenruf des Bundesrates Mayer.) – Ich verhehle ja nicht, dass wir der zweiten Fassung zugestimmt haben.

Das ist ja das Kuriosum, vor dem wir heute stehen: Wir halten uns an den Beschluss von gestern. Im Gegensatz zu manchen anderen ist es bei uns nicht so, dass das über Nacht in Vergessenheit gerät und heute alles anders ist. (Zwischenruf des Bundesrates Mayer.) Es gibt jetzt das Kuriosum, dass wir einen Entschließungsantrag einbringen – Marco Schreuder von den Grünen und meine Wenigkeit von den Freiheitlichen –, und wir werden beiden Anträgen zustimmen. Das ist ein bisschen kurios, aber geschäfts­ordnungstechnisch leider nicht anders zu machen, wie wir alle wissen.

Bevor ich den Antrag einbringe, lese ich noch einen Absatz vor, damit auch die Damen und Herren, die uns heute hier besuchen, aber auch jene Kollegen, die nicht im EU-Ausschuss sind, wissen, worum es da eigentlich geht. Dieser eine Absatz, den wir im Entschließungsantrag drinnen haben möchten, lautet:

„Außenhandelsabkommen im ausschließlichen Zuständigkeitsbereich der Union unter­liegen zwar nicht dem Subsidiaritätsprüfungsverfahren, zeitigen aber oft wesentliche Aus­wirkungen auf Bereiche der geteilten oder der nationalen Zuständigkeit. Die verstärkte Einbindung der nationalen Parlamente bei der Mandatserteilung von Verhandlungsman­daten einerseits sowie im Verhandlungsprozess von Außenhandels- und gemischten Ab­kommen andererseits ist daher erforderlich.“

Natürlich geht es da um das Außenhandelsabkommen TTIP, aber auch um CETA, das ja eigentlich schon ausverhandelt ist. Diese Dinge bergen sehr viel Brisanz in sich, selbst dann, wenn man nicht generell gegen Freihandelsabkommen ist. Sie haben schon auch etwas Positives. Den Abbau von Zollschranken finde ich in Ordnung, aber bei diesen beiden Abkommen ist der Abbau von Zollschranken ein winzig kleiner Teil, und alles, was nicht Zollangelegenheiten betrifft, ist so brisant, dass wir – zumindest sind das unsere Befürchtungen, daran glauben wir – als Feinkostladen Österreich zu­sperren können. Und da wollen wir schon mitreden. Es soll nicht so sein, dass das Parlament nur jene Dokumente zu lesen bekommt, die die Verhandlungspartner weiter­geben.

Wir können uns das ja nicht aussuchen, wir bekommen ja nur das, was wir zu lesen bekommen sollen. Das ist uns zu wenig, und daher ist uns dieser Absatz eben auch so wichtig. Ich bringe daher folgenden Antrag ein:

Entschließungsantrag

der Bundesräte Monika Mühlwerth, Marco Schreuder, Kolleginnen und Kollegen betref­fend Möglichkeiten zur Stärkung nationaler Parlamente in der EU

„Der Bundesrat wolle beschließen:

Die Bundesregierung wird ersucht, im Sinne der aufgezählten Problembereiche im Rah­men der Mitwirkung der nationalen Parlamente beim EU-Gesetzgebungsprozess auf europäischer Ebene eine Weiterentwicklung der Mitgestaltungsmöglichkeiten der natio­nalen Parlamente auszuloten und im Rahmen der vorhandenen Möglichkeiten in einem Diskussionsprozess mit der neu gewählten Kommission diesbezüglich einzubringen.

*****


BundesratStenographisches Protokoll838. Sitzung / Seite 116

Wir halten diesen Antrag eigentlich für den wichtigeren, aber er wird – so wie es sich jetzt abzeichnet – keine Mehrheit bekommen. Man kann auch dem anderen, etwas la­scheren, ein bisschen weicheren und ein bisschen unverbindlicheren Antrag seine Zu­stimmung geben. Da wir das gestern im EU-Ausschuss gemacht haben, werden wir das auch heute hier im Plenum tun. (Beifall bei der FPÖ.)

15.36


Vizepräsidentin Inge Posch-Gruska: Der von den Bundesräten Mühlwerth, Schreu­der, Kolleginnen und Kollegen eingebrachte Entschließungsantrag betreffend Möglich­keiten zur Stärkung nationaler Parlamente in der EU ist genügend unterstützt und steht demnach mit in Verhandlung.

Als Nächster zu Wort gemeldet ist Herr Bundesrat Schreuder. – Bitte.

 


15.36.52

Bundesrat Marco Schreuder (Grüne, Wien): Frau Präsidentin! Sehr geehrte Damen und Herren! Ich finde es ja sehr interessant, dass ein Satz, der ursprünglich geplant war, jetzt als Angriff wahrgenommen wird. Wenn er so wahrgenommen wird, dann tut es mir auch tatsächlich leid. Ich glaube aber, dass wir da offensichtlich eine Wunde ge­funden haben – und das ist das wirklich Interessante an dieser Angelegenheit. (Beifall bei Bundesräten der FPÖ.)

Die größte Kritik, die – zu Recht – an TTIP und CETA geäußert wird, ist die Intranspa­renz, die schon ganz am Anfang mit der Frage beginnt, welches Verhandlungsmandat die denn eigentlich haben.

Da stellt sich die Frage, wer wissen darf, welches Verhandlungsmandat erteilt wurde. Wir haben das im Ausschuss recht intensiv diskutiert und waren uns ja auch alle einig, dass es da mehr Transparenz, mehr Einbindung der nationalen Parlamente braucht. Wir haben ja auch darüber diskutiert, ob die Parlamente oder überhaupt die Bevölke­rung darüber informiert werden sollen. Ich persönlich würde ja gleich für die volle Trans­parenz plädieren. Wir haben in diesem Bereich gesagt, dass wir der Meinung sind, dass nationale Parlamente beim Verhandlungsmandat für Freihandelsabkommen im Vorfeld miteinbezogen werden sollten – also ohnehin schon weniger als das, was ich mir denke, dass angemessen wäre. Das wäre ja auch eine große Hilfe, und das haben wir ja auch schon öfter diskutiert.

Ehrlich gesagt, ich verstehe in diesem Fall weder die Europäische Kommission noch die Regierung der Vereinigten Staaten von Amerika. Man hätte ja aus ACTA lernen können, mit anderen Worten. Ich verstehe nicht, warum man Verhandlungen derartig intransparent macht und damit Verschwörungstheorien aller Art sämtliche Türen öffnet. Wir diskutieren ja nach wie vor vor allem Dinge, von denen wir noch nicht wissen, was am Ende herauskommt; das ist ja immer so bei Verhandlungen. Je transparenter man das aber machen würde, je stärker nationale Parlamente eingebunden werden würden, desto sachlicher wäre auch die Diskussion zu Freihandelsabkommen. Und das wäre eine ganz wesentliche Sache.

Was ich auch nicht ganz verstehe, ist, dass es offensichtlich ja doch sehr unterschied­liche Wahrnehmungen, auch in den Regierungsparteien, gibt. Es gibt noch und nöcher Resolutionsanträge von Landtagen, von Gemeinderäten quer durch ganz Österreich, in denen mehr Transparenz bei Freihandelsabkommen wie TTIP und CETA gefordert wird, und meistens wurden diese Resolutionen mit den Stimmen aller Parteien, inklu­sive Sozialdemokratie und inklusive Volkspartei, beschlossen.

Jetzt komme ich zum zweiten wesentlichen Punkt: dem Selbstverständnis einer Län­derkammer. Wollen wir als Länderkammer diese Resolutionen aus den Landtagen, aus den Gemeinden zur Bundesregierung tragen? Oder lassen wir uns zum Beispiel so ei-


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nen Absatz schon im Vorfeld vom Wirtschaftsministerium streichen? Dann sind wir aber keine Länderkammer mehr, die der Regierung sagt, was aus den Gemeinden und aus den Ländern kommt, sondern nichts anderes als ein Bundesorgan, das tut, was die Bundesregierung will. So verstehe ich nicht die Selbstdefinition dieser Kammer. Im Na­tionalrat wäre es womöglich anders als hier, aber wie gesagt: Wir sind die Länder­kammer, und eigentlich finde ich schon, dass die Resolutionen zu TTIP und CETA, die in den Landtagen quer durch Österreich beschlossen worden sind, auch für die von den Landtagen entsandten Bundesräte und Bundesrätinnen gewissermaßen bindend sein sollten.

Nichtsdestotrotz, es stimmt schon, was vorhin gesagt wurde – ich habe dieses Konflikt­feld sozusagen gleich einmal abgehandelt , und es wird auch in Zukunft so bleiben. Wir werden dem nicht so weitgehenden Entschließungsantrag auch zustimmen, weil er immer noch besser ist als gar keiner. (Bundesrätin Mühlwerth: Genau!) Wir hätten nur gerne den weitergehenden. Aber vielleicht überlegt sich ja noch der eine oder andere Bundesrat, ob er sich nicht seinem Landtagsbeschluss eher zugehörig fühlt als einem Wunsch des Wirtschaftsministeriums. (Bundesrat Mayer: Das hat mit dem Beschluss nichts zu tun, dieser Absatz!)

Es gibt zu TTIP und CETA sehr viele Beschlüsse, auch das Verhandlungsmandat wird in ganz vielen Landtagsbeschlüssen explizit erwähnt. (Bundesrat Mayer: Das stimmt nicht!) Aber es stimmt, dass wir im Grunde genommen im EU-Ausschuss des Bundes­rates sehr gut miteinander gearbeitet haben, und das wird auch weiterhin so bleiben. Manchmal ist man anderer Meinung, that’s democracy. Man kann ganz gelassen damit umgehen, dass man in der Demokratie manchmal anderer Meinung ist, darüber braucht man sich nicht aufzuregen.

Es stimmt, dass wir im EU-Ausschuss sehr gut miteinander arbeiten und dass wir die Rolle, die uns der Lissabon-Vertrag gegeben hat, sehr gewissenhaft, sehr genau und sehr sorgfältig ausfüllen. Ich hoffe  und bin davon überzeugt , dass es auch in Zukunft so sein wird, auch wenn hier heute eine kleine Dissonanz herrschen mag.

Ich möchte allerdings auch betonen, dass wir über die Handlungsmöglichkeiten der na­tionalen Parlamente oder deren Zusammenspiel in das EU-Werkl – so nenne ich das einfach einmal salopp – hineinspielen könnten. Ich verstehe den Ansatz und halte ihn auch für richtig –, dass man in den Entschließungsantrag, wie du, Stefan, gesagt hast, nicht Dinge hineinnimmt, die einen neuen Vertrag notwendig machen. Ich erlaube mir trotzdem, für den Fall, dass man einmal einen neuen Vertrag machen möchte, darüber hinaus zu denken: Welche Möglichkeiten gäbe es da zusätzlich?

Wir als Bundesrat sind geradezu prädestiniert dafür, für ein so föderales Instrument wie die Europäische Union die Idee einer zweiten Kammer innerhalb der Europäischen Union zu propagieren, um endlich diesen absurden Wanderzirkus abzuschaffen, den wir täglich zwischen Brüssel und Straßburg haben, der Millionen kostet und den kein Mensch will. Warum schaffen wir nicht in Straßburg eine zweite Kammer, wo die na­tionalen Parlamente direkt, auch im Nachhinein, mitbestimmen? Wir können im EU-Ausschuss ja nur Vorhaben prüfen. Wenn sie fertig sind, kommen sie ins Europapar­lament, manchmal ratifizieren auch nationale Parlamente.

Durch eine zweite Kammer innerhalb der Europäischen Union, zum Beispiel in Straß­burg, hätten wir ja die Möglichkeit, bei der Beschlussfassung aus den jeweiligen regio­nalen und nationalen Perspektiven der Mitgliedstaaten auch noch einmal parlamenta­risch mitzustimmen.

Jetzt stellt sich natürlich die Frage: Was passiert dann mit dem Rat? Das ist eine ähnliche – das habe ich auch schon im Ausschuss gesagt – Konkurrenzstellung wie wir sie als Bundesrat mit der Landeshauptleutekonferenz haben, mit dem Unterschied, dass


BundesratStenographisches Protokoll838. Sitzung / Seite 118

die Landeshauptleutekonferenz nicht in der Verfassung steht, aber der Rat in den Ver­trägen – aber gut.

Deutschland wäre ein Beispiel – man könnte den Rat da hinein integrieren. Der könnte genau dort auch sitzen. Ich glaube, das wäre eine durchaus sinnvolle Maßnahme, dem Rat diese zusätzliche legislative Ebene zu geben. Das wäre mein Wunsch.

Ansonsten, weil ja eh schon alles gesagt worden ist und manche auch noch einen Zug erreichen wollen, ich weiß, sind wir der Meinung, dass wir dem Entschließungsantrag sehr gerne zustimmen, so wie er jetzt von den Mehrheitsfraktionen eingebracht worden ist. Wir hätten uns gefreut, wenn der andere Antrag eine Mehrheit hätte finden kön­nen. – Danke schön. (Beifall bei den Grünen sowie bei Bundesräten der FPÖ.)

15.44


Vizepräsidentin Inge Posch-Gruska: Weitere Wortmeldungen liegen dazu nicht vor.

Wünscht noch jemand das Wort? – Herr Bundesrat Schennach. – Bitte.

 


15.45.16

Bundesrat Stefan Schennach (SPÖ, Wien): Frau Präsidentin, ich schwöre, es sind nur drei Sätze. Im Antrag Schennach/Mayer, Mayer/Schennach steht drinnen, dass wir bei Freihandelsabkommen mehr Transparenz und Information als einen wesentlichen Faktor sehen und dass die Kommission dafür verantwortlich ist, für Transparenz ge­genüber den nationalen Parlamenten und gegenüber den Bürgern und Bürgerinnen zu sorgen. Das ist richtig. (Bundesrat Schreuder: Aber das Verhandlungsmandat steht nicht drinnen!)

Nun geht es bei dem, was wir vielleicht in einem Jahr miteinander diskutieren, darum, was die nationalen Parlamente schon bei der Genehmigung, bei der Erteilung von Ver­handlungsmandaten tun sollten. Ich möchte daran erinnern, dass der EU-Ausschuss des Bundesrates mit einer Mitteilung und einer Entschließung genau das getan hat. Wir haben, was TTIP betrifft, an den Wirtschaftsminister einen Entschließungsantrag gerichtet und eine Mitteilung gemacht. Das hätten die im Nationalrat nie zustande ge­bracht, und ganz viele Parlamente in Europa haben das nicht zustande gebracht. Wir haben das, was hier jetzt nicht enthalten ist, bereits getan, wir haben die Regierung in der Geschichte des EU-Ausschusses bereits zweimal gebunden. (Beifall bei SPÖ und ÖVP.)

15.46


Vizepräsidentin Inge Posch-Gruska: Gibt es dazu noch weitere Wortmeldungen? –Das ist nicht der Fall. Die Debatte ist geschlossen.

Wir gelangen nun zur Abstimmung.

Ich ersuche jene Bundesrätinnen und Bundesräte, die dem Antrag des EU-Ausschus­ses auf Annahme der dem Ausschussbericht angeschlossenen Entschließung ihre Zu­stimmung erteilen, um ein Handzeichen. – Das ist die Stimmeneinhelligkeit. Der An­trag auf Fassung dieser Entschließung ist somit angenommen. (E 243-BR/2015.)

Es liegt auch der Antrag der Bundesräte Mühlwerth, Schreuder, Kolleginnen und Kolle­gen auf Fassung einer Entschließung betreffend Möglichkeiten zur Stärkung nationa­ler Parlamente in der EU vor. Ich lasse nun über diesen Entschließungsantrag abstim­men.

Ich bitte jene Bundesrätinnen und Bundesräte, die diesem Antrag zustimmen, um ein Handzeichen. – Das ist die Stimmenminderheit. Der Antrag auf Fassung der gegen­ständlichen Entschließung ist daher abgelehnt.

Die Tagesordnung ist erschöpft.


BundesratStenographisches Protokoll838. Sitzung / Seite 119

15.47.40Einlauf

 


Vizepräsidentin Inge Posch-Gruska: Ich gebe noch bekannt, dass seit der letzten beziehungsweise in der heutigen Sitzung vier Anfragen, 3058/J-BR/2015 bis 3061/J-BR/2015, eingebracht wurden.

*****

Die Einberufung der nächsten Sitzung des Bundesrates wird auf schriftlichem Wege erfolgen. Als Sitzungstermin ist Donnerstag, der 12. März 2015, 9 Uhr, in Aussicht ge­nommen.

Für die Tagesordnung dieser Sitzung kommen insbesondere jene Beschlüsse in Be­tracht, die der Nationalrat bis dahin verabschiedet haben wird, soweit diese dem Ein­spruchsrecht beziehungsweise dem Zustimmungsrecht des Bundesrates unterliegen.

Die Ausschussvorberatungen sind für Dienstag, 10. März 2015, ab 14 Uhr, vorgesehen.

Diese Sitzung ist geschlossen.

15.48.21Schluss der Sitzung: 15.48 Uhr

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Parlamentsdirektion

1017 Wien