Parlament Österreich

 

 

 

 

Stenographisches Protokoll

 

 

 

Bild des Parlamentsgebäudes

 

 

858. Sitzung des Bundesrates der Republik Österreich

 

 

 

Donnerstag, 6. Oktober 2016

 

 


Stenographisches Protokoll

858. Sitzung des Bundesrates der Republik Österreich

Donnerstag, 6. Oktober 2016

Dauer der Sitzung

Donnerstag, 6. Oktober 2016: 9.04 – 17.25 Uhr

*****

Tagesordnung

1. Punkt: 39. Bericht der Volksanwaltschaft (1. Jänner bis 31. Dezember 2015)

2. Punkt: Tätigkeitsbericht des Verfassungsgerichtshofes für das Jahr 2015

3. Punkt: Tätigkeitsbericht des Verwaltungsgerichtshofes für das Jahr 2015

4. Punkt: Kunst- und Kulturbericht 2015

*****

Inhalt

Bundesrat

Unterbrechung der Sitzung .......................................................................................... 75

Personalien

Verhinderungen ................................................................................................................ 4

Aktuelle Stunde (46.)

Thema: „Die Chancen für eine starke Wirtschaft nutzen – mehr Inves­ti­tionen und Kaufkraft für Wettbewerbsfähigkeit und Beschäftigung“ ................................................................ 5

Redner/Rednerinnen:

Reinhard Todt ......................................................................................................... ....... 5

Anneliese Junker .................................................................................................... ....... 7

Hans-Jörg Jenewein, MA ....................................................................................... ..... 10

Mag. Nicole Schreyer ............................................................................................. ..... 13

Bundeskanzler Mag. Christian Kern ...................................................................  15, 27

Mag. Michael Lindner ............................................................................................. ..... 21

Mag. Klaus Fürlinger .............................................................................................. ..... 23

Monika Mühlwerth .................................................................................................. ..... 24

David Stögmüller .................................................................................................... ..... 25

Mag. Gerald Zelina .................................................................................................. ..... 27

Ausschüsse

Zuweisungen .................................................................................................................. 31

Dringliche Anfrage

der Bundesräte Hans-Jörg Jenewein, MA, Kolleginnen und Kollegen an den Bundesminister für Europa, Integration und Äußeres betreffend die Schaffung geeigneter Rechtsgrundlagen zur Repatriierung unberechtigt Aufhältiger im Staatsgebiet zum Schutze des sozialen Friedens im Lande und der realen Kapa-zitätserweiterung für tatsächlich Schutzbedürftige (3176/J-BR/2016) .......................... 76

Begründung: Hans-Jörg Jenewein, MA ....................................................................... 76

Bundesminister Sebastian Kurz ................................................................................ 80

Debatte:

Werner Herbert ....................................................................................................... ..... 84

Gerhard Schödinger ............................................................................................... ..... 86

Mag. Susanne Kurz ................................................................................................ ..... 88

Mag. Dr. Ewa Dziedzic ........................................................................................... ..... 90

Edgar Mayer ............................................................................................................ ..... 93

Monika Mühlwerth .................................................................................................. ..... 95

Verhandlungen

1. Punkt: 39. Bericht der Volksanwaltschaft (1. Jänner bis 31. Dezember 2015) (III-588-BR/2016 d.B. sowie 9645/BR d.B.) ................................................................................................................. 32

Berichterstatter: Mag. Michael Lindner ........................................................................ 32

Redner/Rednerinnen:

Ferdinand Tiefnig .................................................................................................... ..... 32

Mag. Daniela Gruber-Pruner ................................................................................. ..... 33

Werner Herbert ....................................................................................................... ..... 36

Mag. Dr. Ewa Dziedzic ........................................................................................... ..... 39

Sonja Ledl-Rossmann ................................................................................................. 40

Martin Weber ........................................................................................................... ..... 42

Volksanwältin Dr. Gertrude Brinek ...................................................................... ..... 44

Volksanwalt Dr. Günther Kräuter ......................................................................... ..... 46

Volksanwalt Dr. Peter Fichtenbauer ..................................................................... ..... 48

Annahme des Antrages des Berichterstatters, den Bericht III-588-BR/2016 d.B. zur Kenntnis zu nehmen        ............................................................................................................................... 50

Gemeinsame Beratung über

2. Punkt: Tätigkeitsbericht des Verfassungsgerichtshofes für das Jahr 2015 (III-591-BR/2016 d.B. sowie 9643/BR d.B.) ................................................................................................................. 51

Berichterstatter: Dr. Andreas Köll ................................................................................ 51

3. Punkt: Tätigkeitsbericht des Verwaltungsgerichtshofes für das Jahr 2015 (III-599-BR/2016 d.B. sowie 9644/BR d.B.) ................................................................................................................. 50

Berichterstatter: Dr. Andreas Köll ................................................................................ 50

Redner/Rednerinnen:

Mag. Michael Raml .................................................................................................. ..... 51

Reinhard Todt ......................................................................................................... ..... 54

Christoph Längle .................................................................................................... ..... 56

Edgar Mayer ............................................................................................................ ..... 58

Dr. Heidelinde Reiter .................................................................................................... 60

Annahme des Antrages des Berichterstatters zu Punkt 2, den Bericht III-591-BR/2016 d.B. zur Kenntnis zu nehmen ........................................................................................................................... 61

Annahme des Antrages des Berichterstatters zu Punkt 3, den Bericht III-599-BR/2016 d.B. zur Kenntnis zu nehmen ........................................................................................................................... 61

4. Punkt: Kunst- und Kulturbericht 2015 (III-596-BR/2016 d.B. sowie 9646/BR d.B.)                   61

Berichterstatterin: Mag. Daniela Gruber-Pruner ......................................................... 62

Redner/Rednerinnen:

Rosa Ecker .............................................................................................................. ..... 62

Elisabeth Grimling .................................................................................................. ..... 64

Mag. Reinhard Pisec, BA ............................................................................................. 65

Gregor Hammerl ........................................................................................................... 68

David Stögmüller .................................................................................................... ..... 70

Rene Pfister ............................................................................................................. ..... 72

Bundesminister Mag. Thomas Drozda ................................................................. ..... 74

Annahme des Antrages der Berichterstatterin, den Bericht III-596-BR/2016 d.B. zur Kenntnis zu nehmen        ............................................................................................................................... 75

Eingebracht wurden

Anfragen der Bundesräte

Arnd Meißl, Kolleginnen und Kollegen an den Bundesminister für Verkehr, Innovation und Technologie betreffend Lärmschutz an der S 6 (Semmering Schnellstraße) im Bereich von St. Marein im Mürztal (3174/J-BR/2016)

Mag. Reinhard Pisec, BA, Kolleginnen und Kollegen an den Bundesminister für Kunst und Kultur, Verfassung und Medien betreffend Tätigkeiten des Bundesdenkmalamtes (3175/J-BR/2016)

Hans-Jörg Jenewein, MA, Kolleginnen und Kollegen an den Bundesminister für Europa, Integration und Äußeres betreffend die Schaffung geeigneter Rechtsgrund-lagen zur Repatriierung unberechtigt Aufhältiger im Staatsgebiet zum Schutze des sozialen Friedens im Lande und der realen Kapazitätserweiterung für tatsächlich Schutzbedürftige (3176/J-BR/2016)

Christoph Längle, Kolleginnen und Kollegen an den Bundesminister für Verkehr, Innovation und Technologie betreffend Ausbau des Vorarlberger Schienennetzes (3177/J-BR/2016)

Peter Samt, Kolleginnen und Kollegen an den Bundesminister für Inneres betreffend Asylquartier Schloss Mühleck (3178/J-BR/2016)

 

 

 


 

09.04.01Beginn der Sitzung: 9.04 Uhr

 


Präsident Mario Lindner: Einen wunderschönen guten Morgen, meine sehr geehrten Damen und Herren, liebe Kolleginnen, liebe Kollegen! Ich eröffne die 858. Sitzung des Bundesrates und darf in unserer Runde unseren Herrn Bundeskanzler Mag. Christian Kern ganz besonders herzlich begrüßen. Guten Morgen! (Beifall bei SPÖ und ÖVP sowie bei Bundesräten von FPÖ und Grünen.)

Ebenfalls besonders herzlich begrüße ich unsere Frau Staatssekretärin im Bundes­kanzleramt Mag. Muna Duzdar. Guten Morgen! (Beifall bei SPÖ und ÖVP sowie bei Bundesräten von FPÖ und Grünen.)

Ich darf ganz herzlich alle Besucherinnen und Besucher bei uns begrüßen, stellver­tretend für alle den Gemeindevorstand aus der Gemeinde Micheldorf. (Allgemeiner Beifall.)

Die nicht verlesenen Teile des Amtlichen Protokolls der 857. Sitzung des Bundesrates vom 23. September 2016 sind aufgelegen, unbeanstandet geblieben und gelten daher als genehmigt.

Als verhindert gemeldet sind die Mitglieder des Bundesrates Wolfgang Beer, Stefan Schennach, Dr. Dietmar Schmittner und Angela Stöckl-Wolkerstorfer.

09.05.18Aktuelle Stunde

 


Präsident Mario Lindner: Wir gelangen nun zur Aktuellen Stunde mit dem Thema

„Die Chancen für eine starke Wirtschaft nutzen – mehr Investitionen und Kaufkraft für Wettbewerbsfähigkeit und Beschäftigung“

mit Bundeskanzler Mag. Christian Kern, den ich noch einmal herzlich willkommen heißen darf.

In der Präsidialkonferenz wurde Einvernehmen über folgenden Ablauf erzielt: Zunächst kommt je ein Redner/eine Rednerin pro Fraktion zu Wort, dessen/deren Redezeit jeweils 10 Minuten beträgt. Sodann folgt die Stellungnahme des Herrn Bundeskanz­lers, die ebenfalls 10 Minuten nicht überschreiten soll. Danach folgt wiederum je ein Redner/eine Rednerin der Fraktionen sowie anschließend je eine Wortmeldung der Bundesräte ohne Fraktionszugehörigkeit mit einer jeweils 5-minütigen Redezeit. Zuletzt kann noch eine abschließende Stellungnahme des Herrn Bundeskanzlers erfolgen, die nach Möglichkeit 5 Minuten nicht überschreiten soll.

Als Erster zu Wort gemeldet ist Herr Bundesrat Todt. Ich erteile ihm das Wort und mache darauf aufmerksam, dass entsprechend der Vereinbarung in der Präsidial­kon­ferenz die Redezeit 10 Minuten beträgt. – Bitte.

 


9.06.25

Bundesrat Reinhard Todt (SPÖ, Wien): Sehr geehrter Herr Präsident! Sehr geehrter Herr Bundeskanzler! Sehr geehrte Frau Staatssekretärin! Liebe Kolleginnen und Kolle­gen! Sehr geehrte Damen und Herren! In Österreich liegt die Arbeitslosigkeit bei 8,2 Prozent, 391 939 Menschen waren ohne Arbeit. In Europa liegt die Arbeitslosigkeit bei 8,6 Prozent. Die Jugendarbeitslosigkeit lag in Europa bei 20,7 Prozent, in Öster­reich bei 10,6 Prozent.

Positiv ist, dass die Arbeitslosigkeit in Österreich im September leicht gesunken ist. Die Steuerreform zeigt ihre Wirkung. Durch die Ankurbelung des privaten Konsums ist es gelungen, das Wirtschaftswachstum zu beschleunigen, der Konsum der privaten Haushalte lieferte heuer – seit drei Jahren erstmals wieder – mit 1,5 Prozent einen wichtigen Beitrag für das österreichische Wirtschaftswachstum.

Die Schwäche der internationalen Konjunktur belastet aber die heimische Wirtschaft und führt zu einer geringen Dynamik der Außenwirtschaft. Die österreichischen Exporte werden heuer nur um 2,8 Prozent steigen, nach 3,6 Prozent im Vorjahr. Auch 2017 bleibt die Exportentwicklung mit 2,8 Prozent verhalten. Das IHS erwartet um 3,3 Pro­zent mehr Exporte. Auch die Importe sollen sich im kommenden Jahr abschwächen, nämlich von 4,5 Prozent beziehungsweise 4 Prozent auf 3 Prozent beziehungsweise 3,4 Prozent.

Es ist daher unbedingt notwendig, eine europäische Perspektive zu entwickeln. Unser Bundeskanzler hat in einem Artikel in der „Frankfurter Allgemeinen Zeitung“ über das Thema „Europa muss wieder gerecht werden“ geschrieben: „Die EU ist in den Augen ihrer Bürger zum Förderer einer unfairen Modernisierung geworden, die nur einigen wenigen nützt. Sie kann das Vertrauen nur zurückgewinnen, wenn sie die Menschen vor den sozialen Verwerfungen der Globalisierung schützt.“

Zu bekämpfen ist das Problem der Jugendarbeitslosigkeit. Österreich steht im euro­päischen Vergleich gut da, mit 10 Prozent sind wir Zweitbester. (Zwischenruf bei der FPÖ.) – Wir waren schon Erster, ja. In den Krisenländern des Südens liegt die Jugend­arbeitslosigkeit bei 40 bis 50 Prozent. Da müssen Antworten gegeben werden. Es kann nicht sein, dass eine ganze Generation keine Perspektive hat.

Ein weiteres Problem ist die Steuerfrage betreffend multinationale Konzerne, wie das Beispiel Apple in Irland zeigt. Auch da muss es Antworten geben, und das kann nicht nur auf nationaler Ebene gelöst werden, sondern muss europaweit gelöst werden.

Entscheidend ist, dass Europa genügend Mittel bereitstellt, um mit Investitionen die Konjunktur wieder anzukurbeln. Ein erster Schritt ist der Juncker-Fonds. Es ist ein Modell, das es erlaubt, öffentliche Mittel durch privates Geld zu heben – aber wird das ausreichen? Wesentlich ist, dass es uns gelingt, den Wohlstand zu erhalten.

Betrachtet man die Entwicklungen, so sieht man: Auf die Industrialisierung folgt die Automatisierung, und jetzt kommt die Digitalisierung. Wie werden derzeit Sozialleistun­gen finanziert? – Nahezu ausschließlich von den Löhnen und Gehältern; davon werden die Beiträge der Arbeitgeber und Arbeitnehmer zur Krankenversicherung, zur Pen­sions­versicherung und zur Arbeitslosenversicherung bezahlt.

Es wird auch Veränderungen in der Arbeitswelt geben: Früher standen in einer Fabrik viele Arbeiterinnen und Arbeiter, heute bereits deutlich weniger. In Zukunft werden hauptsächlich computergesteuerte, weltweit vernetzte Maschinen und Roboter in menschenleeren Fabrikhallen produzieren. Computer und Roboter zahlen keine Beiträge zur Krankenversicherung oder ins Pensionssystem, für die Sozialleistungen bedeutet das daher, dass das Geld für Gesundheitsversorgung, Alterssicherung und Arbeitslosenversorgung fehlen wird. Daher sollen in Zukunft nicht mehr nur Löhne und Gehälter alleine die Sozialleistungen finanzieren, sondern die gesamte betriebliche Wertschöpfung muss berücksichtigt werden. (Beifall bei der SPÖ sowie des Bun­desrates Stögmüller.)

Es soll aber keine Maschinensteuer geben – dieser Begriff ist eine bewusste Diffa­mierung –, denn Investitionen und der Kauf von Maschinen sollen von einer Besteu­erung ausgenommen werden. Es handelt sich auch deshalb nicht um eine Maschi­nensteuer, weil zum Beispiel auch eine Finanzdienstleistungsfirma, die mit nur zwei Beschäftigten und ohne Maschinen hohe Gewinne erzielt, mehr als bisher zahlen soll.

Damit sind wir bei dem Thema, dass es geheißen hat, es solle keine neuen Steuern geben. – Es handelt sich eben nicht nur um eine Steuer, sondern um eine Aufteilung beziehungsweise Umverteilung der Finanzierung der sozialen Versorgung. Es sollen nicht mehr einseitig nur die Löhne und Gehälter alleine herangezogen werden, sondern die gesamte Wertschöpfung der Betriebe und Unternehmen. Personalintensive Betriebe zahlen weniger, kapitalintensive Unternehmen mehr.

Was bedeutet Wertschöpfungsabgabe? – Der frühere Sozialminister Alfred Dallinger entwickelte auf dem 10. Bundeskongress des ÖGB 1983 die Idee, dass Unternehmen mit ihrer gesamten Wertschöpfung zur Finanzierung der Sozialsysteme beitragen, dass also auch Gewinne, Zinsen, Mieten et cetera berücksichtigt werden.

Ziel ist es, Unternehmen mit vielen Beschäftigten zu entlasten. Die Lohnnebenkosten jener Betriebe, die viele Arbeiter und Angestellte haben, sollen durch die Umstellung gesenkt werden – Industrieunternehmen, Bauwirtschaft, Metallindustrie, Handel. Betriebe mit tendenziell wenig Beschäftigten, hoher Wertschöpfung und hohen Ge­winnen sollen entsprechend mehr zahlen – Versicherungen, Realitätenmakler, Finanz­dienstleister. Wichtig ist, zu erwähnen, dass auch internationale Konzerne, die meis­tens steuerschonende Konstrukte aufweisen, an der Wertschöpfungsabgabe nicht vorbeikönnen. Für Kleinbetriebe und Einpersonenunternehmen soll es eine Freibe­trags­re­gelung geben.

In Italien gibt es bereits eine Wertschöpfungsabgabe, und zwar auf regionaler Ebene. Auch in Frankreich werden Familien- und Pflegeleistungen wertschöpfungsbezogen finanziert. Dies funktioniert klaglos. Dass die Wirtschaft dagegen ist, ist eigentlich unverständlich, denn durch die Umstellung von einer reinen Beitragsfinanzierung auf die Wertschöpfungsabgabe werden personalintensive Betriebe von den hohen Lohnnebenkosten entlastet. Das will auch die Wirtschaft. Wichtig ist, zu erwähnen, dass die Wertschöpfungsabgabe nicht investitionsfeindlich ist, denn betriebliche Inves­titionen sollen explizit ausgenommen werden.

Warum führen wir diese Debatte gerade jetzt? – Die Digitalisierung verändert die Arbeitswelt jetzt und in den nächsten Jahren fundamental, daher muss auch die Finanzierung der sozialen Sicherungssysteme – Krankenversorgung, Pensionen, Ar­beitslosengeld et cetera – auf eine breite Basis gestellt werden.

Die Wertschöpfungsabgabe bringt auch Beschäftigungsimpulse, dies ist angesichts hoher Arbeitslosenzahlen wichtig; deshalb wäre eine schrittweise Einführung der Wert­schöpfungsabgabe ein Gebot der Stunde.

Auf all diese Fragen müssen Antworten gegeben werden. Ich freue mich, dass unser Bundeskanzler Kern bei uns im Bundesrat ist und dazu auch Stellung nehmen wird. Ich freue mich auf seine Antworten zur Gestaltung der Gegenwart und der Zukunft.

Schließen will ich mit einem kleinen Gedicht der Arbeiterbewegung: „Was wir begehren von der Zukunft Fernen: Dass Brot und Arbeit uns gerüstet stehen, dass unsere Kinder in der Schule lernen und unsere Greise nicht mehr betteln gehen.“ – Diese Verse sind auch heute noch Verpflichtung für uns. (Beifall bei der SPÖ und bei Bundesräten der Grünen.)

9.16


Präsident Mario Lindner: Als nächste Rednerin gelangt Frau Bundesrätin Junker zu Wort. – Bitte.

 


9.17.25

Bundesrätin Anneliese Junker (ÖVP, Tirol): Sehr geehrter Herr Präsident! Ge­schätzter Herr Bundeskanzler! Frau Staatssekretärin! Meine Damen und Herren! Das heutige Thema „Die Chancen für eine starke Wirtschaft nutzen – mehr Investitionen und Kaufkraft für Wettbewerbsfähigkeit und Beschäftigung“ betrifft uns alle. Ob Pen­sionisten, ob Kinder, ob Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer, ob Unternehmerinnen und Unternehmer, wir sind alle davon betroffen. Auf dem Weg, Österreich an die Spitze zu bringen, braucht es unsere gemeinsamen Anstrengungen. Es muss sinnvolle Ver­besserungen für den Standort geben, und das geht nicht über neue Schulden und schon gar nicht über neue Steuern – mögen sie heißen wie auch immer –, denn die Wirtschaft ist ein zartes Pflänzchen und reagiert auf solche Störungen massiv. (Beifall bei der ÖVP sowie des Bundesrates Zelina.)

Eine Verschlechterung der Wirtschaft kann ein Jahr dauern, aber der Aufbau dauert mehrere Jahre. Wir brauchen Schwerpunkte. Ich nenne jetzt einmal drei Schwer­punkte, die wir wirklich angehen sollen: Wir brauchen ein flexibleres Arbeitsrecht. (Zwischenrufe des Bundesrates Stögmüller.) – Nein, warte nur ab! – Auftragsspitzen müssen besser abgearbeitet werden können. (Rufe und Gegenrufe zwischen Bundes­rat Stögmüller und Bundesräten der ÖVP.)

Es geht dabei nicht darum, dass die Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer zwölf Stunden am Tag arbeiten müssen, sondern das Motto muss lauten: Arbeit dann, wenn Arbeit anfällt! – ohne die Gesamtwochenarbeitszeit zu erhöhen. (Pst-Rufe bei Bundes­räten der ÖVP.) Eine Möglichkeit wäre ein Arbeitszeitkonto. Pauschale Arbeitszeitrege­lungen können nicht mehr zufriedenstellend sein. Zwei Betriebe in der gleichen Branche haben ganz unterschiedliche Anforderungen an ihre Arbeitnehmer, und auch die Arbeitnehmer haben ganz unterschiedliche Anforderungen an die Betriebe.

Ich darf jetzt zwei Beispiele nennen, an denen man sieht, wie schnell man in einen Graubereich hineinkommt, der gesetzlich nicht gedeckt ist: Eine Bilanziererin – ein Kind, kein familiäres Umfeld – arbeitet im Büro, und wenn mit ihrem Kind irgendetwas ist, schnappt sie ihre Ordner, fährt heim und arbeitet von zu Hause. – Das ist nicht ge­regelt.

Wenn irgendwo irgendetwas passiert, wer übernimmt Verantwortung? Hat sie der Unternehmer, der durch seine Großzügigkeit und Wertschätzung der Mitarbeiterin gegenüber sich in einem ungeregelten Bereich bewegt? Wer deckt das? – Das ist ein Graubereich, der geregelt werden muss.

Ein anderes Beispiel: Wir haben in Tirol Seitentäler, beispielsweise das Kühtai, weitab vom Zentralraum Innsbruck, aber es gibt Menschen, die im Kühtai arbeiten. Ist es ihnen zuzumuten, dass sie nach der Wintersaison, die im Höchstfall vier Monate dauert, eineinhalb Stunden täglich – vor allem geht es da um Frauen – aus dem hin­tersten Kühtai, Gries im Sellrain, nach Innsbruck, nach Hall pendeln, um zu arbeiten? Die brauchen drei Stunden, bis sie am Arbeitsort und wieder retour sind. Da ist es unmöglich, Familie und Kind unter einen Hut zu bringen.

Da wäre ein Arbeitszeitmodell nötig, das die Arbeitnehmerinnen an den Unternehmer herangetragen haben, wonach man die Arbeitszeit blocken und dafür dann länger in Beschäftigung bleiben könnte. Erstens bekommen sie oft die Zeiten nicht zusammen, um Arbeitslosengeld zu bekommen, und zudem wären sie mit dieser Regelung selbst versichert. Sie sagen, dass sie nicht arbeitslos sein wollen, sondern die Zeit, die sie im Winter gearbeitet haben, einfach strecken, damit sie bis in den Sommer auskommen. In den Monaten Juli und August gibt es wieder Arbeit und die Anwartschaft für den Bezug von Arbeitslosengeld ist erreicht. Das würde auch dem Staate und auch der Wirtschaft guttun. (Bundesrätin Posch-Gruska: Nur den Frauen nicht!) Beide hätten etwas davon, aber das geht nicht, denn es gibt kein Arbeitszeitmodell, mit dem man so arbeiten kann.

Man muss moderne Regelungen am Puls der Zeit schaffen; Klarheit und Sicherheit für alle benötigt die Wirtschaft, aber auch die Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer benötigen dies.

Was zweitens wirklich benötigt wird, ist ein praxistaugliches Arbeitnehmerschutzrecht. In vielen Bereichen, vor allem in der Lebensmittelbranche – überall dort, wo mit Lebensmitteln gearbeitet wird –, gibt es einen Bürokratieaufwand, eine Zettelwirtschaft, bei der der Unternehmer drei Viertel des Tages irgendetwas dokumentieren muss, damit er nicht mit einem Fuß im Kriminal steht. Da gehören zig Paragrafen reformiert, verbessert und auch der heutigen Zeit angepasst.

Das Dritte ist ein gutes Umfeld für private Investoren. Der private Sektor benötigt Anreize für ein positives Investitionsklima. Österreichische Unternehmen müssen noch erfolgreicher und noch motivierter wirtschaften können. Das Start-up-Paket, das Unternehmerinnen und Unternehmern maßgebliche Erleichterungen bringt, war ein erster Schritt, aber die Erfüllung der alten Forderungen – Investitionsfreibetrag oder Investitionszuwachsprämie – wäre auch für unsere alteingesessenen kleinen Betriebe ein Anreiz dafür, Investitionen zu tätigen, weil sie den Betrieben und natürlich auch den Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern helfen.

Wir dürfen nicht vergessen, dass Österreich von Kleinstunternehmern geprägt ist. Der Großteil unserer Unternehmungen hat fünf bis 15 Mitarbeiter; und das sind Kleinst­unternehmer, das sind nicht die großen Spieler auf dem Weltmarkt.

Natürlich merkt man nicht, wenn der eine oder andere Betrieb verschwindet, da gibt es keinen Aufschrei, weil ja nur fünf oder sechs Menschen arbeitslos werden, aber in der Masse entsteht da die Beschäftigung für unsere Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer. Das gibt Sicherheit. Die Klein- und Mittelbetriebe geben Sicherheit und ernähren die Familien. (Beifall bei der ÖVP.)

In diesen Betrieben kennt noch jeder jeden, der Arbeitgeber weiß, welche Sorgen seine Mitarbeiter haben, und geht auch darauf ein.

Die Abschaffung der kalten Progression ist eine Forderung, die ja bereits seit Länge­rem im Raum steht. Wir haben jetzt einen ersten Schritt gemacht, aber in null Komma nichts ist das wieder aufgefressen. Lohnerhöhungen sollten in der Tasche der Arbeit­nehmer bleiben. Es nützt nichts, wenn ihnen von 25 € Lohnerhöhung im Monat gar nichts mehr bleibt, weil sie in eine andere Steuerklasse fallen und daher prozentmäßig mehr an Lohnsteuer bezahlen; der Krankenkassenbeitrag bleibt bis zur Höchstbemes­sung gleich. Das muss auf die gleiche Basis gestellt werden – so wie bei den Mieten mit dem Verbraucherpreisindex –, dass es automatisch indexgerecht angehoben wird.

Die Gewerbeordnung ist ein weiterer Brocken. Natürlich gehört die Gewerbeordnung reformiert. Wir erleben, dass sich die Zeit verändert; die Modernisierung muss aber mit Augenmaß erfolgen. Sie darf die Qualität und die Qualifikationen, die wir in unseren Betrieben haben, nicht vernachlässigen. Die Qualität, die Qualifikationen und die Zuverlässigkeit sind und bleiben die Goldwährungen von heute und morgen. Gerade ein kleines Land wie Österreich lebt von seiner ausgezeichneten Qualität. Unsere Exporte sind auch darauf zurückzuführen, dass wir Qualität und Zuverlässigkeit bieten. Zugleich sind unsere Qualität und unsere Zuverlässigkeit auch ein Anreiz für ausländische Unternehmen, bei uns Unternehmungen zu gründen.

Eine weiteres Qualitätsmerkmal ist unsere duale Ausbildung. Wir bilden unsere Mitarbeiter selber aus. Wenn wir aber unsere Meisterbetriebe nicht mehr haben, wenn wir unsere Ausbildungen vernachlässigen, wer soll dann unsere Lehrlinge ausbilden, wer soll sie zu Facharbeitern machen? Das ist Qualität, unsere Lehrlinge sind die Qualität, die Facharbeiter von morgen. Von denen leben unsere Unternehmungen, und natürlich gibt es Sicherheit. Ein Lehrling hat den Fuß in der Arbeitswelt, der steht schon einmal viel besser da als jemand, der eine Hochschule besucht hat und dann erst suchen muss, wo er unterkommt, wo man mittleres Management braucht.

Der Lehrling hat die Chance, von unten bis ganz nach oben zu kommen. Viele Unter­nehmer haben eine Lehre gemacht, haben den Meister gemacht und können den Betrieb meisterlich fortführen.

Es bedarf der Gewerbeordnung Neu. Wir müssen sie reformieren, aber mit Augenmaß und mit Herz, damit unsere Betriebe unseren Wohlstand in Österreich weiter sichern. (Beifall bei der ÖVP und bei Bundesräten der SPÖ.)

Herr Bundeskanzler, da das rote Licht schon leuchtet und nicht mehr blinkt, möchte ich Ihnen einfach die Tiroler Deklaration mitgeben. In Tirol haben sich am 8. April alle Wirtschaftslandesräte Österreichs getroffen und ein wirklich tolles Papier ausgear­beitet. (Die Rednerin überreicht Bundeskanzler Kern ein Schriftstück.) Wenn Sie die Maßnahmen für Bund und Länder, die alle Wirtschaftslandesrätinnen und -landesräte gemeinsam niedergeschrieben haben, gemeinsam umsetzen wollen und daran arbei­ten, dann spreche ich Ihnen, Herr Bundeskanzler, meinen herzlichen Glück­wunsch aus. (Beifall bei der ÖVP und bei Bundesräten der SPÖ.)

9.28


Präsident Mario Lindner: Herr Bundesrat Jenewein ist als Nächster zu Wort ge­meldet. – Bitte, Herr Bundesrat.

 


9.28.26

Bundesrat Hans-Jörg Jenewein, MA (FPÖ, Wien): Sehr geehrter Herr Präsident! Herr Bundeskanzler! Frau Staatssekretärin! Der Abschluss der Rede der Frau Kollegin Junker war jetzt durchaus versöhnlich. Ich möchte trotzdem ganz kurz auf die Aus­führungen des Kollegen Todt und das Gedicht, das er zum Schluss vorgebracht hat, eingehen. Mir ist auch eines dazu eingefallen, und zwar das Bundeslied für den Allgemeinen Deutschen Arbeiterverein:

„Mann der Arbeit, aufgewacht!
Und erkenne deine Macht!
Alle Räder stehen still,
Wenn dein starker Arm es will.“

Wenn es danach geht, was wir in den letzten Tagen vom Bundeskanzler gehört haben, wird es bald keinen „Mann der Arbeit“ mehr geben, denn wir haben ja beim Wirt­schaftsforum in Velden gehört, dass es den Supermarktkassier oder die Supermarkt­kassierin auf Dauer nicht mehr geben wird und dass das der Digitalisierung geschuldet ist. Jetzt ist es natürlich prinzipiell richtig, was er sagt; die Frage ist nur, wie die öster­reichische Innenpolitik darauf reagiert. Reagiert die österreichische Innenpolitik darauf mit Umverteilung, mit einer neuen Abgabe, mit einer neuen Steuer? – Man hat zuerst einmal das Wort „Maschinensteuer“ verwendet. Du hast es heute in deinem Rede­beitrag auch angesprochen. (Zwischenruf des Bundesrates Todt. – Bundeskanzler Kern: Du hast das Gegenteil gesagt!) Der Bundeskanzler ist schon wieder davon abgegangen. Offenbar haben ihm seine Berater schon gesagt, dass es vielleicht doch nicht so gut ist, wenn man von der Maschinensteuer spricht, sondern dass es vielleicht besser ist, wenn man von der Wertschöpfungsabgabe spricht. Im Endeffekt ist es völlig egal, alter Wein in neuen Schläuchen. Es ist ganz genau dasselbe, und die Antwort der Bundesregierung, die Antwort des Bundeskanzlers ist nichts anderes, als zu sagen: Na ja, das wird es halt dann nicht mehr geben. (Bundesrätin Kurz: Wer es nicht versteht, versteht es einfach nicht!)

Die Frage ist vielmehr, welche Perspektiven wir denn in Zukunft diesen Leuten, diesen Minderqualifizierten geben. Es ist doch eine Illusion, zu glauben – ich weiß schon, es führt jeder groß auf der Lippe –, dass das mit der Bildung alles aufhören wird, denn das haben wir schon früher immer gehabt. Man hat gesagt, wenn die Pferdekutschen durch das Automobil abgeschafft werden, werden die Kutscher arbeitslos. Nein, die Kutscher sind nicht arbeitslos geworden, die sind Chauffeure geworden, aber die Pferde sind arbeitslos geworden. Die Pferde sind dann nämlich im Endeffekt in den Küchen verar­beitet worden, und heute findet man sie noch in der Lasagne. Das ist der Punkt, und im Endeffekt geht es doch der Supermarktkassierin genauso.

Wo möchte denn die Supermarktkassierin in Zukunft noch arbeiten? – Die wird nicht Programmiererin für die volldigitalisierten Supermärkte sein. Die wird nicht zuständig dafür sein, wenn es irgendwo einmal einen Software- oder einen Hardwarecrash gibt. Die ist im Endeffekt auf Almosen angewiesen; und da sage ich Ihnen ganz ehrlich, da wären Arbeitsschutzbestimmungen, Arbeitnehmerschutzbestimmungen, wie Frau Kol­le­gin Junker das gesagt hat, notwendig, sodass man nach wie vor eben auch Bereiche für Leute, die nicht so gut qualifiziert sind, schafft. Die wird es immer geben, und die hat es immer gegeben, und es ist eine Illusion, zu glauben, dass man das mit der Digitalisierung alles wegbekommt. Der Bundeskanzler hat beim Wirtschaftsforum in Velden nämlich die Frage nach dem bedingungslosen Grundeinkommen vorerst abschlägig beantwortet, er hat gesagt, es sei momentan nicht die richtige Antwort. – Ja, ja, die Betonung liegt auf momentan!

Im Endeffekt geht es ja genau in diese Richtung, denn was wollen wir mit Leuten, die nicht qualifiziert sind, machen? Und momentan importieren wir uns ja Hunderttausende davon nach Europa, wobei wir jetzt mit Alphabetisierungskursen arbeiten müssen. Was werden denn die in 20 bis 30 Jahren machen? – Es braucht doch niemand zu glauben, dass die in 20 bis 30 Jahren so viel an Bildung aufgeholt haben, dass die dann in den qualifizierten Berufen arbeiten werden.

Aber ich möchte auch auf ein anderes Thema eingehen, das meine beiden Vorredner nicht angesprochen haben, das aber in den letzten Tagen doch breiten Raum in der medialen Öffentlichkeit gehabt hat – und ich möchte es deshalb ansprechen, weil es natürlich auch ein wirtschaftliches Thema ist –, und zwar das Thema CETA.

Wir haben ja vor gar nicht allzu langer Zeit, nämlich vor zwei Wochen, eine parlamen­tarische Enquete zu diesem Thema abgehalten, und dabei war es ganz interessant, dass der Vorsitzende der Österreichischen Forschungsstiftung für Internationale Ent­wick­lung, Herr Dr. Werner Raza, dort gesagt hat, die Wachstumseffekte von CETA sind klein bis sehr klein, die durchschnittlichen Zollsätze des bilateralen Handels sind ohnehin schon sehr niedrig, der Abbau nichttarifärer Handelsbarrieren, also die Angleichung unterschiedlicher Standards, bringt nur geringe Effizienzgewinne.

So, ich möchte jetzt einmal CETA an sich ausklammern – da kann man jetzt dazu stehen, wie man will. Der Bundeskanzler hat angekündigt, er wird CETA verhindern, weil – so hat er es angekündigt – da Bestimmungen drinnen sind – Schiedsge­richts­barkeit auf der einen Seite und auch solche, die die Daseinsvorsorge betreffen –, mit welchen er nicht ganz glücklich ist. In Wien pfeifen mittlerweile die Spatzen von den Dächern, dass der KAV privatisiert werden soll, das ist auch eine sehr interessante Entwicklung, wenn man sich das im Zusammenhang mit der jetzigen Zustimmung des Bundeskanzlers, nämlich zu CETA, vergegenwärtigt.

Da muss man dann schon fragen, was denn aus diesen vollmundigen Ankündigungen des Herrn Bundeskanzlers eigentlich geworden ist. Nachdem er von Herrn Juncker und auch von Herrn Mitterlehner zum Rapport berufen wurde, hat er im Endeffekt gesagt: Na gut, dann stimmen wir dem halt zu! (Heiterkeit bei der ÖVP.) – Ja, ich sage das ja nicht nur zum Spaß, dass er zum Rapport zum Herrn Mitterlehner zitiert wurde. (Bundesrat Mayer: Ja, ja!) Ich sage das nicht nur zum Spaß, denn wenn man sich da zum Beispiel dieses Mythen- und Faktenpapier der SPÖ so durchliest, glaubt man wirklich, man ist in den 1980er-Jahren gelandet. Da (ein Schriftstück in die Höhe hal­tend) steht: „Jetzt tut der Koalitionspartner aus purer Betonierer-Mentalität heraus, als wären diese Ideen wirtschaftsschädigende und arbeitsplatzvernichtende Tagträume­reien.“

Und im nächsten Punkt steht da: „Anstatt innerhalb der Koalition ergebnisoffen zu diskutieren kommt auch da ein reflexartiges ‚Njet‘.“ 

Das ist interessant, also da sitzen die Betonierer, die Njet sagen, und da sind die Weltoffenen, die so flexibel sind, dass sie innerhalb von 24 Stunden ihre Meinung zweimal ändern können. (Zwischenrufe bei der SPÖ.) Einmal sagen sie Nein, dann sagen sie Ja, dann sagen sie Vielleicht und dann wieder Nein und dann wieder Ja. Das ist ja alles sehr interessant. (Bundesrat Mayer: Du bist ein Phrasenschmeichler!)

Die Frage, die sich nun stellt, ist: Was ist denn aus diesem New Deal geworden? Ist dieser New Deal nicht ein No Deal geworden? – Herr Doskozil kritisiert die Politik der Frau Merkel als verantwortungslos. Herr Kern fährt nach Berlin und sagt, dass er da nichts Verantwortungsloses erkennen kann, und dann sagt er, Ziel müsse natürlich sein, die Flüchtlingszahlen durch den Schutz der EU-Außengrenzen zu begrenzen, dabei dürfen aber humanitäre Aspekte nicht außer Acht gelassen werden.

Am nächsten Tag sagt er, aufgegriffene Bootsflüchtlinge sollte man gleich wieder übers Mittelmeer zurückbringen. – Na, Herr Bundeskanzler, was sind denn das für Bock­sprünge? – Da merkt man, Sie sind kein Macher, Sie sind ein Gemachter, und vor allem sind Sie ein Gemachter der Medien. Sie sind ein Gemachter derjenigen, die sich gewünscht haben, dass Werner Faymann endlich weg ist, dass Sie einen neuen Weg haben. Und nur, Herr Bundeskanzler, weil Sie bei Ihren Regierungserklärungen mehr Wörter verwendet haben, als Herr Faymann überhaupt kennt (Zwischenrufe bei der SPÖ), heißt das noch lange nicht, dass Sie einen neuen Stil in die politische Debatte gebracht haben, an dem sich jetzt die Republik orientieren könnte. (Unruhe im Sit­zungssaal.)

Ja ganz das Gegenteil ist doch in Wirklichkeit der Fall! Wissen Sie, Herr Bundes­kanzler, Cicero hat einmal gesagt: „Epistula enim non erubescit.“ – Ein Brief errötet nicht. Wenn Formulierungen erröten könnten, wenn Formulierungen sich schämen könnten, dann sollten sich diejenigen schämen, die zuerst mit Kraftmeierei in Öster­reich verkünden, sie werden sich dafür einsetzen, dass die Türkei nicht Mitglied der Europäischen Union wird, und dann knapp 70 Kilometer von der Bundeshauptstadt entfernt im Sitzen ein weiteres Mal umfallen. Die sollten sich schämen, Herr Bundes­kanzler! Die sollten sich wirklich schämen! (Beifall bei der FPÖ.)

Und dann liest man im „Kurier“ – der Bundeskanzler ist ja sehr umtriebig –, dass er jetzt einen neuen Berater hat. Man braucht sich ja nur die Tagesordnungen des Nationalrates anzuschauen, man braucht sich ja nur die Tagesordnungen des Bundes­rates anzuschauen: Eine alte Weisheit sagt, dass am Ende der Gesetzgebungsperiode die Tagesordnungen immer dünner werden – das ist leider so –; also man sieht es ja auch an der nächsten Tagesordnung, die für den Nationalrat angesetzt wird, dass es nicht mehr viele Regierungsvorlagen gibt. In welche Richtung geht denn das?

Auf der anderen Seite liest man dann in der Zeitung, dass der Bundeskanzler jetzt einen neuen Berater hat, nämlich Herrn Robert Misik. Der ist eine sehr interessante Person; ich schaue mir auch immer gern die Videoblogs auf „derStandard.at“ an. (Heiterkeit des Bundeskanzlers Kern.) – Da lacht er, es ist ja auch manches Mal durchaus amüsant, sich das anzuhören.

Es ist sehr interessant, wenn man weiß, woher Herr Misik kommt und was er vertritt; das ist ein Globalisierungskritiker. Das ist gut, das gefällt mir sogar persönlich sehr gut. (Zwischenrufe der Bundesräte Kurz und Winkler.) Ich bin ja auch der Meinung, dass diese Form der Globalisierung, mit der wir es zu tun haben, nicht erstrebenswert ist. Und dann schauen wir uns ganz kurz – ganz kurz! – die Wege an, die die SPÖ-Kanzler oder die SPD-Kanzler der vergangenen zehn bis 15 Jahre gegangen sind.

Herr Gusenbauer ist dann als Lobbyist in Weißrussland und in Kasachstan aufge­schlagen. (Neuerliche Zwischenrufe der Bundesräte Kurz und Winkler.) Herr Faymann, der im Mai noch Kanzler war, ist jetzt im Lobbyingregister eingetragen. (Bundesrätin Kurz: Der Herr Grasser!) Herr Schröder ist Lobbyist für Gazprom. Man hat bei dieser Politik, die Sie, Herr Bundeskanzler, da machen, schon ein bisschen den Eindruck, Sie bauen schon ein bisschen vor – als Übergangskanzler. Sie warten noch bis zur nächsten Wahl. Wenn es gut geht, ist es gut, dann bleiben Sie Kanzler, und wenn nicht, dann werden Sie halt in Zukunft auch irgendwo im Lobbyingregister aufpoppen. Sie betonen ja oft, dass Sie ein Mann aus der Wirtschaft sind, das ist ja auch nicht uninteressant. Sie waren bei den ÖBB, vorher waren Sie auch in der geschützten Werkstätte. Im Endeffekt hatten Sie mit der freien Wirtschaft relativ wenig zu tun. (Beifall bei der FPÖ.)

Sie haben immer dann die Hand aufgehalten und immer aufgezeigt, wenn es wieder einmal darum ging, Steuergelder in die staatsnahen Betriebe umzuleiten. Das haben Sie gemacht, aber zu sagen, Sie sind ein Mann der freien Wirtschaft, das ist schon ein bisschen bemerkenswert. (Bundesrätin Posch-Gruska: Wenn wir mit den persönlichen Diffamierungen fertig wären, dann könnten wir mit der Aktuellen Stunde fortfahren!) Darum, Herr Übergangskanzler Kern (Präsident Lindner gibt das Glockenzeichen) – meine Redezeit ist beendet –, wünsche ich dieser Republik, dass sich das, was sich abzeichnet, nämlich relativ zeitnahe Neuwahlen, sehr bald in die Realität umsetzt, denn bei dem, was Sie bisher gemacht haben, nämlich ein Ankündigungskanzler zu sein und Ihre Ankündigungen laufend, innerhalb von ein paar Stunden selbst zu overrulen, wünscht man sich ja fast Faymann wieder zurück. (Beifall bei der FPÖ.)

9.38


Präsident Mario Lindner: Als Nächste zu Wort gemeldet ist Frau Bundesrätin Mag. Schreyer. – Bitte, Frau Bundesrätin.

 


9.39.10

Bundesrätin Mag. Nicole Schreyer (Grüne, Tirol): Hohes Präsidium! Sehr geehrter Herr Bundeskanzler! Sehr geehrte Frau Staatssekretärin! Liebe Kolleginnen und Kolle­gen! Werte ZuseherInnen! Ja, ich freue mich sehr über das Thema der heutigen Aktu­ellen Stunde. Ich wiederhole es nur, weil es schon ein bisschen länger her ist: „Die Chancen für eine starke Wirtschaft nutzen – mehr Investitionen und Kaufkraft für Wettbewerbsfähigkeit und Beschäftigung“.

Ich möchte mich diesem Thema sehr positiv nähern, weil Österreich ein sehr, sehr guter Standort ist und mit einer sehr guten, hochentwickelten Volkswirtschaft aufwarten kann. Aber: Es gibt auch sehr große Baustellen; die sind da, die müssen wir angehen, und wir Grünen haben da sehr viele konstruktive Herangehensweisen, die sehr viel konstruktiver sind als die Herangehensweisen mancher VorrednerInnen. (Beifall bei Grünen und SPÖ.)

Ich möchte auf drei große Blöcke eingehen. Der erste große Block, den ich be­schreiben möchte, sind Investitionen in die Zukunft. Damit meine ich vor allem solche in Bildung und Forschung sowie Investitionen in zukunftsträchtige Technologien. Österreich ist bekanntermaßen ein Land mit sehr wenigen Rohstoffen. Um unsere Wettbewerbsfähigkeit auch weiterhin gewährleisten zu können, müssen wir massiv in Bildung und Forschung und Innovation investieren. Wir müssen in kluge Köpfe, in innovative Geister investieren, und wir müssen diese Frauen und Männer in Österreich ausbilden und vor allem auch in Österreich halten können.

Ein grüner Vorschlag dazu sind natürlich die Green Jobs, indem Umwelttechnologie als Kernkompetenz der österreichischen Technologielandschaft forciert wird und Öster­reich zum Umwelttechnologieland Nummer eins weltweit wird. Fakt ist nämlich auch, dass der Sektor Umwelttechnologie eineinhalbfach bis doppelt so schnell wächst wie der Welthandel insgesamt. Es braucht dazu einen verstärkten Ausbau von Export­schienen speziell für Umwelttechnologien, eine Exportoffensive für Umwelt- und Ener­gietechnik made in Austria. Es braucht den Ausbau von Technologie- und Forschungs­förderungen im Umwelttechnologiebereich. Und es braucht Förderprogramme, die gezielt an einen Ökobonus für Ressourcen- und Energieeffizienz anknüpfen.

Die Bundesregierung hat da leider in den vergangenen Jahren genau in die entge­gengesetzte Richtung gearbeitet. Nach der Reduktion der Solareinspeisetarife 2014 sind die Förderungen für die thermische Sanierung in diesem Jahr fast um die Hälfte gekürzt worden. Es ist also der Energiewende, der Innovation und heimischer Wirt­schaft gleichzeitig entgegengearbeitet worden. Zukunftsinvestitionen sehe ich da anders.

Ein weiterer wichtiger Punkt, was Investitionen in die Zukunft betrifft, ist die Investition in die Infrastruktur der Zukunft. Mich wundert eigentlich, dass das bis jetzt noch nicht angesprochen wurde. Eine moderne, wettbewerbsfähige Infrastruktur ist vor allem für uns hier in der Länderkammer von immenser Bedeutung. Der Breitbandausbau vor allem in ländlichen und abgelegeneren Regionen wird für die Frage maßgeblich sein, ob wir künftig auch in ganz Österreich den Anschluss halten können und nicht nur in den großen Zentren. Ob man den digitalen Gap schließen kann und wie schnell man den digitalen Gap schließen kann, um nicht hinter die Konkurrenz zurückzufallen und hinterherzuhinken, wird vor allem eben in den peripheren Räumen Österreichs aus­schlaggebend sein.

Der Breitbandausbau wird ja schon vorangetrieben, aber es muss einfach viel schneller gehen. Die Breitbandmilliarde ist da nicht genug. Wir müssen schneller sein, wir müssen das Tempo erhöhen, um nicht den Anschluss zu verlieren und den Heraus­forderungen zukünftig auch gewachsen zu sein. Es ist ohnedies vorhin ein Beispiel aus einem Seitental in Tirol genannt worden, und das sind genau die Realitäten, vor denen wir hier stehen und mit denen wir hier in der Länderkammer alltäglich zu tun haben.

Der zweite Punkt, auf den ich gerne eingehen möchte, ist die Erhöhung der Kaufkraft. Es braucht dringendst, und darauf pochen wir Grüne schon seit Jahren, eine Modernisierung des österreichischen Steuersystems. Die Probleme sind bekannt: Wir haben in Österreich eine viel zu hohe Belastung der Löhne und im Gegenzug eine viel zu geringe Besteuerung von Umweltbelastung und Ressourcenverbrauch sowie von Vermögen. Und das sind keine Theorien der Grünen, sondern das ist durch zahlreiche OECD-Studien und andere Studien untermauert.

Alles in allem, um es kurz zu fassen, braucht es eine Ökologisierung des Steuer­systems. Wir bringen es immer wieder einmal ein, und irgendwann wird es schon werden. Es müssen Umweltbelastung und Ressourcenverbrauch viel stärker besteuert werden, weil es die Allgemeinheit trifft. Die Allgemeinheit leidet an stärkerer CO2-, Stickoxid- und Feinstaubbelastung. Und im Moment ist es leider auch so, dass die Allgemeinheit für die dadurch entstandenen Beeinträchtigungen auch selbst zahlen muss.

Wir müssen da weg von der derzeitigen Solidarisierung der Verluste hin zu einem echten Verursacherprinzip. Im Gegenzug können dann auch die Lohnnebenkosten gesenkt werden, nämlich kostenneutral, und das schafft neue Arbeitsplätze und erhöht die Kaufkraft, was wiederum die Wirtschaft im Land ankurbelt. Und wir wissen alle, dass die Vermögensverteilung in Österreich eine immens ungleiche ist, dass die Schere da extrem weit auseinanderklafft. Eine Vermögensteuer ab einem Vermögen von 500 000 € wirkt da sehr entgegen. Und auch da hinken wir im internationalen Vergleich extrem hinterher. Und das sind auch keine grünen Ideen, sondern das sind wirklich im internationalen Vergleich gewonnene, durch internationale Studien – und keine grünen Studien – untermauerte Erkenntnisse.

Der dritte Punkt, auf den ich gerne eingehen würde, ist das Schaffen von Rahmen­bedingungen, die Innovationen zulassen, die innovative Unternehmerinnen und Unternehmer in Österreich zulassen, und das sind – das haben wir auch vorhin schon gehört – vor allem Ein-Personen-Unternehmen und kleine und mittlere Unternehmen. Solche Maßnahmen wären beispielsweise ein Abbau der Bürokratie mit einer Entwicklung hin zu One-Stop-Shops. Es muss die Unternehmensgründung einfach leichter gemacht werden, auch da zum Beispiel durch One-Stop-Shops bei Betriebs­anlagengenehmigungen.

Verfahren in Österreich dauern im internationalen Vergleich einfach immer noch viel zu lange. Es müssen Verfahren bei gleichbleibender und besserer Qualität verkürzt wer­den – das muss ein Ziel sein –, und natürlich dürfen darunter auch die Umweltstan­dards nicht leiden. Ich bin mir sicher, dass das trotzdem hinhauen kann.

Ein-Personen-Unternehmen und Start-ups – gerade das sind die innovativen Kräfte in Österreich – muss massiv unter die Arme gegriffen werden, zum Beispiel auch mit einer Angleichung der sozialen Rahmenbedingungen, zum Beispiel durch Verbes­serun­gen bei der Krankenversicherung – damit für Start-ups und Ein-Personen-Unter­nehmen nicht jede Grippe gleich zu einem existenzbedrohenden Fall wird –, mit Ver­besserungen beim Zugang zu Risikokapital und natürlich mit Förderinstrumen­tarien, die genau auf diese Zielgruppe zugeschnitten werden.

Ich habe eingangs schon gesagt, Österreich ist ein sehr guter Standort. Österreich ist eine moderne und auch eine hoch entwickelte Volkswirtschaft mit vielen innovativen Unternehmen, mit regionalen Unternehmen, die global agieren, und auch mit nicht wenigen WeltmarktführerInnen in diesen Bereichen. Aber ich habe auch gesagt, wir haben einige Baustellen offen, und diese Baustellen müssen wir dringend angehen. Und damit wir auch weiterhin eine so innovative Gesellschaft bleiben, müssen wir schauen, dass wir wirklich alle Chancen aufgreifen und vorantreiben, um den An­schluss zu halten, uns zu verbessern und den Vorsprung auch auszubauen. – Danke schön. (Beifall bei Grünen und SPÖ.)

9.46


Präsident Mario Lindner: Für eine erste Stellungnahme zu Wort gemeldet hat sich der Herr Bundeskanzler. Ich erteile es ihm. Auch seine Redezeit soll 10 Minuten nicht überschreiten. – Bitte, Herr Bundeskanzler.

 


9.46.56

Bundeskanzler Mag. Christian Kern: Sehr geehrter Herr Präsident! Sehr geehrte Mitglieder des Bundesrates! Die heutige Fragestellung ist natürlich eine besonders umfangreiche und nicht ganz unkomplexe. Man kann darüber sicherlich deutlich länger als zehn Minuten reden. Ich möchte daher nur ein paar Aspekte betonen, die mir aktuell bedeutend erscheinen, und vielleicht auf das eine oder andere eingehen, was meine Vorredner gesagt haben. Dabei bitte ich bei der Bundesrätin Schreyer schon um Nachsicht: Wir werden natürlich nicht alle Themen, die aktuell anstehen, hier aus­führlich erörtern können.

Wenn wir uns unser Umfeld anschauen, dann muss man zunächst einmal Folgendes festhalten: Der IMF hat jüngst die Prognosen über die Weltwirtschaft abgegeben, und was wir dort sehen können, ist eine Entwicklung, angesichts deren man klar sagen muss, dass das, was jetzt in der globalen wirtschaftlichen Entwicklung passiert, nicht an die Boom-Zeiten vergangener Jahre anschließt. Und wenn man sich das Bild einmal genauer vor Augen führt, dann sieht man, dass wir wirtschaftliche Schwächeperioden in der Eurozone haben – das ist uns gut bekannt –, aber auch in den Vereinigten Staaten und ganz besonders in den Emerging Markets. Das betrifft uns, dem kann man sich grundsätzlich nicht einfach entziehen.

Der Schlüssel für uns ist natürlich, auf unsere eigenen Entwicklungen, Probleme und Chancen zu schauen. Und da muss man zunächst einmal festhalten, dass wir mit 1,7 Prozent Wachstum im heurigen Jahr – das ist die jüngste Wifo-Prognose – eine Entwicklung haben, mit der man nicht restlos zufrieden sein kann, aber angesichts derer man einmal sehen kann, dass es in die richtige Richtung geht. Diesbezüglich war eine Reihe von klugen Maßnahmen, die die Bundesregierung – insbesondere meine Vorgänger – gesetzt hat, zu verzeichnen. Wir rechnen mit 1,7 Prozent für 2016, ich habe es betont.

Das große Thema, das uns aber zu beschäftigen hat – und das ist das, was Herr Bundesrat Todt ganz zu Beginn gesagt hat –, ist die Frage: Wie können wir Be­schäftigung schaffen und wie gehen wir mit dem Phänomen Arbeitslosigkeit um? Das muss im Mittelpunkt unserer Überlegungen stehen. Und wenn man sich die Situation auf dem Arbeitsmarkt anschaut, dann sieht man zunächst einmal, es ist so, wie du zitiert hast: 8,2 Prozent ist die Arbeitslosigkeit in Österreich gewesen; sie ist zuletzt, im letzten Monat, um ein Zehntel hinuntergegangen. 6 Prozent ist sie auf Basis der Eurostat-Statistik. Damit liegt Österreich unter dem europäischen Schnitt, aber bei Weitem nicht mehr dort, wo wir einmal gewesen sind.

Bei der Problemanalyse bietet sich uns ein nüchternes Bild, wo wir sehen, dass wir eine absolut steigende Zahl an Arbeitslosen zu verzeichnen haben, was so nicht hinnehmbar ist. Wenn man das Phänomen dann aber etwas ausführlicher zu analysie­ren beginnt, zeigt sich folgendes Bild: Wir haben gegenüber dem Vorjahr 52 000 Jobs mehr in Österreich erreicht – also wir haben nicht nur eine hohe Arbeitslosigkeit, sondern wir haben auch Rekordbeschäftigung erzielt: 52 000 Jobs mehr –, gleichzeitig ist die Zahl der Arbeitslosen allerdings um 1 000 gestiegen.

Geht man in die Details und schaut sich die einzelnen Sektoren an, dann sieht man, dass wir mit ein paar Phänomenen konfrontiert sind, die uns ganz stark von anderen europäischen Ländern unterscheiden und die man eigentlich durchaus auch mit einer gewissen positiven Grundhaltung sehen kann. Da ist zunächst einmal der Umstand, dass in den letzten fünf Jahren etwa 250 000 Menschen, die älter als 50 Jahre sind, auf den Arbeitsmarkt gekommen sind. Das ist das Ergebnis der Pensionsreformpolitik, bei der man sich ja bewusst das Ziel gesetzt hat: Wir wollen mehr Menschen, die älter sind, im Arbeitsmarkt behalten. – Das ist gut gelungen, aber das führt naturgemäß auch dazu, dass diese Menschen Arbeitsplätze in Anspruch nehmen.

Besonders erfreulich war in den letzten fünf Jahren auch die Entwicklung der Erwerbs­quote bei den Frauen. Wir haben in den letzten fünf Jahren um 109 000 Frauen mehr auf dem Arbeitsmarkt. Die Frauenerwerbsquote ist in Richtung von etwa 67 Prozent gestiegen. Auch das ist das Ergebnis einer erfolgreichen Frauenpolitik. Das war ja genau das, was wir wollten. Es führt umgekehrt aber naturgemäß dazu, dass sich mehr Menschen auf dem Arbeitsmarkt bewerben.

Dann gibt es noch ein Phänomen, das interessant ist und das man sehen muss, und das ist jenes, dass wir 150 000 Menschen aus dem EU-Ausland haben, die in Öster­reich arbeiten, und dazu heuer noch einmal 160 000 Entsendungen auf unseren Arbeitsmarkt, ebenso aus dem EU-Ausland.

Was ich damit sagen möchte, ist: Was man sieht, ist eine Dynamik auf unserem Arbeitsmarkt, im Zuge derer wir in den letzten Jahren mehr Jobs gesehen haben, aber nicht ausreichend, weil da die Demografie – Menschen, die auf den Arbeitsmarkt kommen, Menschen, die aus dem Ausland zu uns kommen – eine erhebliche Rolle spielt. 25 000 Asylberechtigte wären hier auch noch zu verzeichnen.

Wenn man sich diesen Kosmos an wirtschaftspolitischen Entwicklungen anschaut, dann muss man allerdings auch auf einen Punkt hinweisen, der auch interessant ist. Ich möchte hier Notwendigkeiten, Herausforderungen und Probleme nicht kleinreden, aber was eine durchaus nicht unermutigende Geschichte ist – ohne Rankings über­bewerten zu wollen, denn die haben mitunter auch so ihre Tücken –, ist die Tatsache, dass die letzten drei Rankings, die veröffentlicht worden sind – egal, ob es das World Economic Forum gewesen ist, das IMD in Lausanne oder das Innovation Scoreboard der EU –, gezeigt haben, dass sich Österreich, nach Jahren der rückläufigen Entwick­lung, jetzt wieder positiv zu entwickeln beginnt und Plätze in diesen Rankings gewinnt.

Was ist jetzt unsere Aufgabe aus der Regierungspolitik heraus? – Unsere Aufgabe muss es sein, zu versuchen, diese zarten positiven Entwicklungen weiter zu befördern und zu guten Ergebnissen zu führen und die Dynamik da zu beschleunigen.

Was wir deshalb in den ersten Monaten der Regierungszusammenarbeit mit der ÖVP getan haben – insbesondere mit dem Vizekanzler –, war, dass wir gesagt haben, wir wollen einen Schwerpunkt bei Unternehmensgründungen setzen, und dort ganz beson­ders im Start-up-Bereich. Wir haben dementsprechend ein Paket formuliert, das demnächst in die parlamentarische Umsetzung gehen wird – also auch Sie beschäf­tigen wird –, von 100 Millionen € per anno, das dem Versuch folgt, ein Ecosystem zu gestalten, also nicht nur an einer Stelle einen Zipfel eines Problems zu lösen, sondern umfassend auf das Thema zu schauen: Wie können wir Unternehmensgründungen im Start-up-Bereich fördern? Das geht von Steuererleichterungen für Investoren über eine Lohnnebenkostensenkung für die Mitarbeiter bis hin zu verbesserten Förderungen und leichterem Zugang zu Stipendien, damit sich Menschen von Universitäten aus leichter Gründungen erlauben können und es für sie leichter möglich wird, hier auf dem Arbeitsmarkt aktiv zu sein.

Ich habe mir vorige Woche ein Beispiel in Kärnten angeschaut, das der ehemalige Landeshauptmann Dörfler vermutlich gut kennen wird, nämlich den Lakeside Park, wo man sieht, dass diese Verschränkung aus öffentlichen Initiativen … (Bundesrat Dörfler: Danke, dass Sie ein Projekt, das wir damals entwickelt haben, erwähnen!) – Ich habe Sie gerade erwähnt, ja. (Bundesrat Dörfler: Danke!) – Bei diesem Lakeside Park ist es so, dass das Projekt über die Jahre gewachsen ist. Das ist eine gemein­same Initiative des Infrastrukturministeriums, des Landes Kärnten und der Gemeinde Klagenfurt, und dort sind mittlerweile 1 100 Menschen beschäftigt und 64 Unternehmen untergebracht. Und wenn man mit den Vertretern der Unternehmen dort redet, dann erfährt man, dass diese die Möglichkeiten schätzen, die ihnen dort zur Verfügung gestellt werden, und vor allem schätzen sie die Möglichkeiten, die sie durch die Finanzierungen und Garantien, die sie vom Bund bekommen, nützen können. Und das hat auch dazu geführt, dass sie die ersten schwierigen Monate und Gründungsjahre überdauern konnten. – Da wollen wir mehr investieren, weil wir glauben, das wird ein Sektor sein, der besonders dynamisch zum Jobwachstum beitragen kann.

Auch die Bankenabgabe zählt dazu – für einen Sozialdemokraten kein typisches Anliegen, ich weiß es schon, aber ich glaube, es ist auch wichtig, dass wir in unserem Land einen gesunden Bankensektor haben. Und wenn Sie sich die Eigenkapitalquoten unserer Banken anschauen, dann sehen Sie, dass diese, im europäischen Vergleich jedenfalls, na ja, bestenfalls Anschluss an das Mittelfeld haben, und das kann uns nicht egal sein. Das ist für uns wichtig, weil natürlich die Eigenkapitalstärkung der Banken auch eine Voraussetzung ist, um die Kreditvergabe wieder zu befördern, was ja letzt­endlich wiederum den Unternehmen und der Wirtschaft in unserem Land helfen wird. Das war ein konkreter Schritt.

Und dann sind wir ja der Meinung, dass man nicht nur private Investitionen, sondern eben auch öffentliche Investitionen stärken soll, und deshalb haben wir vor dem Sommer eine dritte Geschichte vereinbart – auch die geht jetzt in die parlamentarische Umsetzung –, nämlich insbesondere den Ausbau der Ganztagsschulen und der Nachmittagsbetreuung für alle Kinder. Wir haben uns vorgenommen, dass wir in allen größeren Städten, in den Bezirkshauptstädten Ganztagsbetreuungen ermöglichen wollen. 40 Prozent der Kinder – das ist unser Ziel – sollen in solchen Schulen sein. Das hat bildungspolitische Notwendigkeiten, das hat sozialpolitische und frauenpolitische Vorteile, aber das ist in Wirklichkeit auch ein staatliches Investitionsprogramm, denn da geht es natürlich in hohem Maße auch darum, dass in die Infrastruktur investiert wird und die Gemeinden die Möglichkeit bekommen, in diesem Bereich zu bauen und langjährige Projekte zu realisieren. (Beifall bei der SPÖ, bei Bundesräten der ÖVP sowie der Bundesrätin Schreyer.)

Das ist der Punkt, an dem wir ansetzen wollen, und ich darf Ihnen kurz schildern, was die nächsten Schritte sein werden.

Ganz wichtig für uns war, zu signalisieren, dass wir Investitionen fördern wollen, weil das die Voraussetzung ist, um in Zukunft wirtschaftlich erfolgreich zu sein. Da geht es uns um öffentliche Investitionen – ich habe das gerade beschrieben –, aber auch um private Investitionen. Und wenn man sich auch da das Bild und die nüchternen Zahlen anschaut, dann sieht man, dass seit dem Krisenjahr 2008 die Investitionsquote in Österreich um 1 Prozent zurückgegangen ist. Sie liegt aber immer noch bei 23,5 Pro­zent, das ist im europäischen Schnitt exzellent – das ist zum Beispiel deutlich mehr, als Deutschland hat, dort liegt sie nämlich bei 19,2 Prozent, dort ist der Rückgang noch deutlich größer gewesen –, kann uns aber nicht zufriedenstellen, weil wir natürlich wissen, dass die Stärke unserer Wirtschaft in Zukunft davon abhängt, dass wir heute investieren und ein positives Zukunftsbild haben. Deshalb wollen wir dort ganz konkret und ganz gezielt Investitionsanreize für Unternehmen schaffen, also nicht nur für jene im Start-up-Bereich, sondern breit in der Wirtschaft, von KMUs bis hin zu Großunter­nehmen.

Das Zweite, was natürlich im Kontext des Schaffens von Investitionen wichtig ist, ist, die Kaufkraft zu stärken. Das ist entscheidend, und wenn man sich die Wirtschafts­entwicklung in den ersten sechs Monaten dieses Jahres anschaut – ich habe das Plus von 1,7 Prozent erwähnt –, dann sieht man, dass das ganz stark daran liegt, dass die Früchte der Steuerreform wirken, sprich: dass die Menschen das Mehr an Geld, dass sie dadurch in der Tasche haben, ausgeben, in den Wirtschaftskreislauf einbringen und dort letztendlich zu einer Belebung beitragen. (Beifall bei der SPÖ.)

Dazu zählt auch das aus meiner Sicht wichtigste Projekt – Reinhard Todt hat es bei seinen Ausführungen zur Wertschöpfungsabgabe beschrieben –: dass es natürlich unser Ziel sein muss, Arbeitskosten zu reduzieren, Lohnnebenkosten zu reduzieren, weil auch das die Wettbewerbsfähigkeit unserer Wirtschaft stärkt und gleichzeitig den Menschen hilft, tatsächlich ihre Kaufkraft zu stärken und mehr Geld in der Tasche zu haben.

Investitionen stärker fördern, Kaufkraft stärken, und der dritte Punkt, der kommen wird, ist natürlich, unternehmerisches Arbeiten deutlich zu erleichtern. Wir beschäftigen uns gerade intensiv mit einem Langzeitprojekt, nämlich mit der Gewerbeordnungsreform. Da ist meine Auffassung, dass wir wirklich einen weitgehenden, weitreichenden Schritt setzen sollten, weil es wichtig ist, dass wir die Rahmenbedingungen für jene, die in Österreich etwas machen wollen, verbessern. Aber wir beschäftigen uns auch mit Fragen wie zum Beispiel dem Betriebsanlagenrecht, weil wir wissen, dass das für viele Unternehmen ein besonderes Hemmnis darstellt.

Und wir haben uns, das ist meine feste Überzeugung – wir werden schauen, ob wir in der Koalition dazu kommen –, auch mit der Frage zu beschäftigen, wie wir das Wirtschaftsrecht in Österreich gestalten, denn ich glaube, es ist niemandem plausibel zu erklären, dass jemand, der in Österreich eine Tanzschule betreiben will, neun verschiedene Kriterien, Zulassungsverfahren und Auflagen zu berücksichtigen hat (Bundesrätin Posch-Gruska: Genau!), oder dass ein Architekt, der in verschiedenen Bundesländern arbeitet, neun verschiedene Bauordnungen zu berücksichtigen hat. Auch das sind alles Bremsen, die wir lockern wollen, wodurch wir uns dann mehr unternehmerische Aktivität erwarten.

Die vierte Säule, die ganz entscheidend ist – das muss auch kurzfristig kommen, wir haben uns vorgenommen, das im Oktober noch um einen großen weiteren Schritt voranzubringen –, ist das Thema Bildung. Ganztagsschulen habe ich erwähnt. Worauf wir große Hoffnungen setzen, ist das Thema Schulautonomie. Es entspricht meinem Verständnis, dass wir den Direktoren und den Lehrern die Möglichkeiten geben müs­sen, mehr Spielräume zu nutzen, das Beste für die Kinder zu machen. Ich glaube, das wird auch für die Motivation unserer Pädagogen ein wichtiger Punkt sein.

Da möchte ich noch auf einen Punkt eingehen, weil wir nächste Woche im Hohen Haus die Budgetberatungen haben werden; diese beginnen mit der Budgetrede des Finanzministers. Um ein paar Missverständnisse zu vermeiden: Was völlig klar ist, ist, dass wir in Österreich eine Staats- und Abgabenquote haben, die ein bestimmtes Niveau erreicht hat, und unser Ziel kann es nicht sein, diese weiter zu erhöhen. Jetzt muss man dazusagen, diese Diskussion über Staats- und Abgabenquoten ist immer ein bisschen holzschnittartig, klar ist jedoch, diese Quote ist in Österreich hoch – das ist so – und wir wollen sie senken – das ist auch so –, aber wenn man das mit Großbritannien vergleicht, dann darf ich auf Folgendes hinweisen: Während Sie in Österreich in vielen Bundesländern die Möglichkeit haben, den Gratiskindergarten zu nutzen, ist es in einem Land, in dem die Staatsquote besonders niedrig ist, nämlich in Großbritannien, nun einmal so, dass man 1 200 € für einen Kindergartenplatz bezahlt. Also wenn man A sagt, indem man unsere Staatsquote kritisiert, muss man auch B sagen, nämlich die Konsequenzen dieser politischen Entscheidungen auch mit berücksichtigen und überlegen, was man damit auslöst.

Dasselbe – auch ein wichtiger Punkt – gilt natürlich für die Frage des Budgetdefizits. Diese Diskussion, dass, wenn man sich für Investitionen ausspricht, das in Österreich mit einer Schuldenmacherei-Debatte einhergeht, ist mir, ehrlich gesagt, ein bisschen zu billig, und jeder, der ein bisschen in der Lage ist, sich die Analysen und Papiere zu Gemüte zu führen, sieht, dass wir in der Bundesregierung ein Ziel haben, das da lautet: Wir wollen die Staatsverschuldung reduzieren. Diese soll auf 80 Prozent und darunter gehen, das ist wichtig.

Was man aber auch nicht vergessen darf, ist die Frage: Warum ist sie überhaupt auf über 85 Prozent hinaufgegangen? – Na ja, erstens liegt das an den Folgen der Wirt­schaftskrise, weil uns das Wachstum gefehlt hat – ein ganz entscheidender Punkt –, aber zweitens daran, dass wir natürlich in höchstem Maße die Banken aufgefangen haben, insbesondere in Kärnten. Sie kennen ja die Situation der Hypo. Das, was da an Politik betrieben worden ist, hat den Steuerzahler sehr viel Geld gekostet und hat natürlich dazu geführt, dass die Staatsschuldenquote in die Höhe gegangen ist. Auch da plädiere ich dafür, die Zusammenhänge gesamthaft zu be­trachten.

Jetzt wäre ich angesichts des Referats des Kollegen Jenewein versucht gewesen, darauf zu replizieren, aber ich habe das Gefühl gehabt, Sie mögen mich zwar nicht, aber eigentlich haben Sie mir doch fast in allen Punkten recht gegeben, soweit ich es verstanden habe. (Heiterkeit bei der SPÖ. – Zwischenruf des Bundesrates Jenewein.)

Warum Sie dann sozialdemokratische Politiker, die sich sozusagen in der Wirtschaft ohne öffentliche Unterstützung bewähren, auch noch beleidigt haben, ist mir ein bisschen unklar. (Bundesrat Jenewein: Wieso beleidigt? Ich habe nur gesagt, wie’s ist!) Bei dieser Gelegenheit darf ich schöne Grüße, was die Wege der Menschen betrifft, an die Herren Rumpold und Dobernig ausrichten. Sie wissen ja, wo man diese in den nächsten Jahren und Monaten anzutreffen weiß. (Heiterkeit und Beifall bei der SPÖ und bei Bundesräten der ÖVP sowie des Bundesrates Stögmüller. – Bundesrat Jenewein: Dem Blecha auch!)

Ein ganz aktueller Punkt, der heute auch erwähnt wurde, betrifft CETA und die Frage, wie man damit umgeht. Ich bin gestern im Europaparlament gewesen und habe mit Martin Schulz und dem Kommissionspräsidenten Juncker zu diesem Thema disku­tieren können. Bei der Enquete ist, glaube ich, klar geworden, worum es geht, die Positionen in Österreich sind klargemacht worden. Freihandel ist ja etwas, wozu wir uns grundsätzlich bekennen, er ist wichtig für die österreichische Wirtschaft, die sehr exportorientiert ist. Dementsprechend wichtig ist es für uns, Zölle zu reduzieren und nichttarifäre Handelshemmnisse zu beseitigen.

Was bei dieser Sache nur immer unser Problem gewesen ist, waren drei Punkte, bei denen Dinge mit diesem Freihandelsabkommen mitkommen, die wir so nicht geregelt haben wollen: Da gibt es Druck hinsichtlich der Privatisierungen von staatlichen Vor­sor­gesektoren, von dem, was man Public Services, also öffentliche Dienste, nennt. Da gibt es das Problem, dass wir Grund zur Sorge haben, dass unsere Umwelt- und Sozial­standards nicht nachhaltig abgesichert werden können und auch da ein Druck entstehen mag, und als dritten Punkt gibt es die Frage, wie sozusagen politische Ent­scheidungsspielräume erhalten bleiben können angesichts des Umstands, dass große Konzerne Klagsrechte bekommen, die über das hinausgehen, was österreichischen Unternehmern in Österreich zur Verfügung steht.

Das sind unsere Probleme, und wir haben immer gesagt, dass man sich mit diesen Problemen auseinandersetzen muss, weil das ja keine Fundamentalopposition ist, sondern der Versuch, das beste Abkommen für Österreich zu erreichen und sicherzu­stellen. Diesbezüglich haben wir gestern eine Reihe von Vereinbarungen getroffen, die nach den Verhandlungsrunden mit den Kanadiern über Nacht in einen Text gegossen wurden. Aus meiner Sicht ist jetzt der Zeitpunkt gekommen, zu dem man das nüchtern analysieren muss, schauen muss, was wirklich in dem Text steht. Das ist eine relativ kurze Analyse, das Papier hat nur vier Seiten (Ruf bei der ÖVP: Fünf Seiten!), aber man muss vor allem prüfen, wie sich das mit den Gesamtvereinbarungen des CETA-Vertragswerks zusammenfügt.

Mein Problem bei dem Text ist immer gewesen, ich habe das klar gesagt: Wenn man CETA liest, dann findet man in den einzelnen Paragrafen sehr viele Befürwortungs­argumente, und in denselben Paragrafen findet man auch das Gegenteil, weil viele Dinge einfach zu unklar formuliert sind und im Fall von Streitigkeiten Spielräume eröffnen, die zu weiteren Folgeproblemen führen können.

Ich möchte an dieser Stelle meine Überlegungen beenden. Wir werden dann in der zweiten Runde noch Gelegenheit haben, uns etwas ausführlicher zu vertiefen. – Danke. (Beifall bei SPÖ und Grünen sowie bei Bundesräten der ÖVP.)

10.03


Präsident Mario Lindner: Ich danke dem Herrn Bundeskanzler.

Ich mache darauf aufmerksam, dass die Redezeit aller weiteren Teilnehmerinnen und Teilnehmer an der Aktuellen Stunde aufgrund einer Vereinbarung in der Präsidial­konferenz 5 Minuten nicht überschreiten darf.

Zu Wort gemeldet hat sich Herr Bundesrat Mag. Michael Lindner. – Bitte, Herr Bun­desrat.

 


10.04.14

Bundesrat Mag. Michael Lindner (SPÖ, Oberösterreich): Sehr geehrter Herr Bun­deskanzler! Frau Staatssekretärin! Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich bin sehr froh über dieses optimistische Motto unserer Aktuellen Stunde, auch sehr froh über den positiven und optimistischen Zugang unseres Bundes­kanzlers, denn die Chancen für eine starke Wirtschaft und damit für Aufbruch, Wachs­tum, Arbeitsplätze und Wohlstand sind ja da, nur politisch ergreifen müssen wir sie.

Wenn europaweit acht Jahre nach Ausbruch einer der schwersten Wirtschaftskrisen die privaten und öffentlichen Investitionen und auch der private Konsum stagnieren, wenn acht Jahre danach die Arbeitslosigkeit europaweit noch immer höher ist als vor der Krise, dann darf man schon kräftig hinterfragen, ob denn diese europäische Krisen­politik die richtige ist.

In Österreich machen wir ganz konkret unsere Hausaufgaben – das ist schon ange­sprochen worden –: Die Steuerreform 2015 hat die größte Entlastung in der Zweiten Republik gebracht, 5 Milliarden € an Steuerentlastung, 90 Prozent davon für Einkom­men unter 4 500 €, und – es ist schon zweimal angesprochen worden – das bringt jetzt die gewünschten Ergebnisse, weil erstmals seit drei Jahren der private Konsum wieder wächst. Das heißt, unsere Mitbürgerinnen und Mitbürger geben das durch diese Ent­las­tung Ersparte in den Geschäften auch wieder aus. Ich denke, der nächste Schritt wird und muss auch die Abschaffung der kalten Progression sein, also eine kleine Steuerreform de facto jedes Jahr. (Beifall bei SPÖ und Grünen.)

Aber neben diesen Investitionsanreizen und Steuerentlastungen, die es mit dem Start-up-Paket und so weiter bereits gibt, ist es meiner Meinung nach auch die Einkom­mensgerechtigkeit, die Kaufkraft schafft. In den letzten zwei Jahrzehnten ist die Pro­duktivität unserer Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer, unserer Wirtschaft insgesamt um 30 Prozent gestiegen. Die Bruttolöhne sind aber nicht einmal halb so stark ge-stiegen. Vor allem die Verteilung der Lohneinkommen ist massiv ungleicher gewor­den. Wenn man sich die Zahlen genauer ansieht, dann sieht man, dass das gering ver­die­nende Viertel unserer Bevölkerung netto preisbereinigt um fast 8 Prozent weniger im Börsel hat als vor zehn Jahren, während – zum Vergleich – die Gagen von Vor­stands­vorsitzenden börsennotierter Unternehmen im gleichen Zeitraum um mehr als ein Drit­tel gestiegen sind.

Warum spitze ich das so bewusst zu? – Weil sich diese Einkommensungleichheiten in Österreich ganz unabhängig vom Wirtschaftswachstum verfestigen, und das schadet der Kaufkraft in unserem Land ganz enorm. Das heißt, neben der Steuerentlastung wird es, glaube ich, auch ordentliche Gehaltsabschlüsse bei den Kollektivvertrags­ver­handlungen brauchen, denn Autos kaufen eben keine Autos. (Heiterkeit und Beifall bei der SPÖ.)

Aber im Kern müssen wir uns natürlich fragen, wie es mit Europa weitergeht, denn diese europäische Debatte ist für uns schon eine Überlebensfrage. Über 69 Prozent unseres Außenhandels werden mit EU-Partnern abgewickelt, wir sind massiv davon abhängig, wie sich Europa weiterentwickelt.

Es gibt ja noch manche, die unbeirrt dieser mysteriösen unsichtbaren Hand des Mark­tes vertrauen, die alles regelt, nur hat diese unsichtbare Hand des Marktes in den letzten 100 Jahren ein paar Mal ganz ordentlich in den Gatsch gegriffen, und das, was jetzt manche zu einer ideologischen Debatte hochstilisieren wollen, ist, glaube ich, eine rein pragmatische Debatte. Nämlich: Warum funktioniert diese Wirtschaftspolitik in Europa nicht? Warum stagnieren Wirtschaftswachstum und Konsumnachfrage? Warum sinkt die Arbeitslosigkeit nicht deutlicher? Warum hängen uns die USA und Japan teilweise ganz massiv beim Wirtschaftswachstum ab, und warum riskieren sie ein höheres Schuldenniveau? – Weil sie und mittlerweile sogar der IWF allesamt wissen, dass sinnvolle staatliche Investitionen in Ergänzung auch zu privaten Inves­titionen ein wirtschaftlicher Turbo sein können. Es kommt eben darauf an, wofür man investiert. (Beifall bei der SPÖ.)

Die Beispiele hat unser Bundeskanzler schon mehrfach gebracht: Google, Apple. Ich glaube, auch wir als VertreterInnen der Bundesländer können ganz offen sagen, wenn wir an die vielen Staatsförderungen für Betriebe in unseren Wirtschaftsressorts in den Bundesländern denken oder etwa daran, dass in Oberösterreich ein Skigebiet von vier Gemeinden übernommen wird und das Land den Verlust abdeckt: Ganz ohne staatliche Investitionen kommen wir jetzt schon nicht aus. Da können wir, glaube ich, ehrlich mit uns selbst umgehen.

In Europa haben wir uns in Wirklichkeit mit Fiskalpakt und Schuldenbremsen auf ein gefährliches, niedriges Investitionsniveau heruntergebremst, und es gäbe genug Felder, in die wir ordentlich investieren sollten: in die europäische Infrastruktur, in Ver­kehrsnetze, in Energie- und digitale Netze, in Bildung und Ausbildung. Mit dem Ausbau der Ganztagsschulen machen wir in Österreich aus meiner Sicht einen enormen Schritt. Das ist ein Bildungsturbo, aber auch ein Konjunkturturbo.

Ein weiteres Feld – gerade haben wir im Europäischen Parlament den Weltklima­vertrag ratifiziert – ist auch die Umwelt- und Energietechnik. Da zeigen erfolgreiche Förderprogramme das, was in Österreich möglich ist, und da ginge wahrscheinlich noch viel, viel mehr. Also es gibt genügend Felder, die wir gemeinsam mit der Euro­päischen Union anpacken können.

Aber auf einen ganz bestimmten Wettbewerb möchte ich am Schluss meiner Aus­führungen noch eingehen, auf den wir in Europa, glaube ich, dankend verzichten können: Das ist der Wettbewerb um die niedrigsten Steuern, Sozialstandards und Lohnkosten, denn neben den fehlenden öffentlichen Investitionen ist, glaube ich, die Steuerleistung vieler multinationaler Konzerne auch ein Riesenproblem für die Wirtschaft und für die Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer.

Die Großkonzerne und Multis sollen ihre Steuern dort zahlen, wo sie auch ihre Geschäfte machen, denn durch legale und illegale Steuervermeidungen entgehen den EU-Mitgliedstaaten knapp 1 000 Milliarden € jährlich. Wenn man sich anschaut, dass das gesamte Defizit aller EU-Mitgliedstaaten knapp über 400 Milliarden € beträgt, dann, glaube ich, wird jedem klar, dass dieses Geld aus der Steuervermeidung eigent­lich dringend für strategische Investitionen notwendig wäre.

An Kollegen Jenewein möchte ich noch folgende Worte richten: Ich glaube, das Problem sind nicht die Schlauchboote, mit denen sich die Flüchtlinge über das Mittel­meer retten, sondern das Problem sind aus meiner Sicht die Luxusjachten zu den Offshore-Inseln. (Beifall bei SPÖ und Grünen.) Und wenn wir wirklich gleiche Wettbe­werbsbedingungen für alle haben wollen, dann müssen wir gemeinsam auch diese Steueroasen trockenlegen. – Herzlichen Dank. (Beifall bei SPÖ und Grünen.)

10.11


Präsident Mario Lindner: Zu Wort gemeldet hat sich als Nächster Herr Bundesrat Mag. Fürlinger. – Bitte, Herr Bundesrat.

 


10.11.10

Bundesrat Mag. Klaus Fürlinger (ÖVP, Oberösterreich): Sehr geehrter Herr Präsi­dent! Herr Bundeskanzler! Frau Staatssekretärin! Herr Bundeskanzler, Sie haben es gut gehabt, Sie konnten zu diesem Thema immerhin 10 Minuten reden. Mir sind nur 5 Minuten zugeteilt, sodass ich es wahrscheinlich nicht schaffen werde, dem Kollegen Jenewein ein paar Anmerkungen mitzugeben, wenngleich ich ganz offen sage: Ich habe den Gott sei Dank nicht zu Ende gedachten Vergleich der endverarbeiteten Pferde hin zu den Supermarktkassiererinnen noch nicht ganz verdaut.

Aber lassen Sie mich zwei Anmerkungen machen, eine zu meinem Vorredner: Alles in Ordnung, aber das mit den staatlichen Investitionen, für die wir jedes Jahr ein Inves­titionspaket machen, Herr Kollege, hilft uns auf Dauer auch nicht weiter, denn wenn es wirklich so funktionieren würde, wäre es ein sogenanntes Perpetuum mobile des Steuereinnehmens und Steuerausgebens bei gleichbleibenden oder nicht vorhandenen Schulden.

Dass das nicht der Fall ist, sehen wir, und wir müssen ein bisschen aufpassen, damit wir nicht versuchen, uns selbst als Staat immer die Kaufkraft zu kaufen, weil das nicht funktioniert. Irgendwann einmal endet das; wenn die Schulden zu viel sind, wird dann – wie wir es ja jetzt teilweise auf europäischer Ebene beginnen zu tun – die Währung entsprechend entwertet, damit wir diese Schulden, diesen Schuldenstatus, den die Gesamtunion und die Staaten der Union haben, überhaupt in irgendeiner Weise im Griff behalten können.

Das Zweite, Herr Bundeskanzler, was ich anmerken möchte: Selbstverständlich sind wir – das kann ich auch in Richtung Blau und Grün sagen – jederzeit bereit, das Steuer- und Abgabensystem zu diskutieren, ob das in eine ökologische Richtung geht, ob das in andere Richtungen geht. Wir sind für diese Debatte jederzeit offen, und wir sind für eine Reform offen. Die Überschrift der Reform, meine Damen und Herren, muss aber die Senkung der Quote sein, denn eines muss uns auch klar sein: 45,6 Prozent Abgabenquote, da sind wir längst an der Grenze zu einer Enteignung, und Enteignung in diesem Bereich ist nicht mehr rechtmäßig.

Und ich sage es auch dazu: Das trifft ja nicht nur Wirtschaft und Unternehmen. Das trifft ja genauso die Arbeitnehmer, die unselbständigen Erwerbstätigen, die vielleicht einen Lohn über dem Medianeinkommen haben. Also die Überschrift muss Senkung der Abgabenquote lauten, und wenn sie unter 40 Prozent ist, Herr Bundeskanzler, bin ich bei unserem System der tiefen Überzeugung, dass Kindergartenplätze dann nicht gleich 1 200 € kosten werden. (Bundesrat Bock: … Subventionen!) – Das beste Kon­junk­turprogramm, Herr Kollege, und das können Sie überall nachlesen, ist eine kräftige Abgabensenkung, weil das Geld auch ausgegeben wird und wir uns dabei den bürokratischen Aufwand des vorherigen Einhebens ersparen.

Herr Bundeskanzler, Sie waren ja auch Vorsitzender eines Konzerns. Wirtschaft, das wissen Sie, das wissen wir, ist auch Psychologie, und wenn ich nach einer Steuer­reform, die teilweise heute als geglückt bezeichnet worden ist, in manchen Bereichen vielleicht viel Diskussionsbedarf mit sich gebracht hat, heute schon wieder von neuen oder höheren Steuern rede, und zwar ganz egal, von welchen Steuern, dann trägt das natürlich nicht zur Hilfe, zum Positiven, zur positiven Sicht der Unternehmer bei Inves­titionen, aber auch nicht zur positiven Sicht des unselbständigen Erwerbstätigen bei der Anschaffung und den Ausgaben im privaten Konsum bei, denn dann besteht ja die Befürchtung, dass der Staat schon wieder vor der Tür steht und dort noch einmal und noch einmal zugreift.

Das heißt: Ja zu einer Debatte über eine Reform des Steuersystems unter Beiziehung von Steuerberatern, unter Beiziehung der Finanzbeamten. Es braucht eine ordentlich aufgesetzte Debatte mit der Überschrift: Wir senken die Abgabenquote!, ohne jede Woche über andere und neue Steuern eine öffentliche Diskussion zu führen, dann werden wir mit Sicherheit jenen psychologischen Faktor schaffen, der uns auch mehr Wachstum bescheren wird. – Danke. (Beifall bei der ÖVP und bei Bundesräten der SPÖ.)

10.15


Präsident Mario Lindner: Ich begrüße die Kolleginnen und Kollegen des Bezirkspen­sionistenverbandes aus meinem Heimatbezirk Liezen. – Herzlich willkommen im österreichischen Bundesrat! (Allgemeiner Beifall.)

Als Nächste zu Wort gemeldet hat sich Frau Bundesrätin Mühlwerth. – Bitte, Frau Bundesrätin.

 


10.15.36

Bundesrätin Monika Mühlwerth (FPÖ, Wien): Sehr geehrter Herr Präsident! Sehr geehrter Herr Bundeskanzler! Sehr geehrte Frau Staatssekretärin! Sehr geehrte Da­men und Herren, die Sie uns heute besuchen oder die vor dem Computer oder Fernseher zuschauen, herzlich willkommen bei uns!

Herr Bundeskanzler! Das, was Sie heute gesagt haben, klingt ja zum Teil durchaus ambitioniert. Aber, das sage ich Ihnen schon, der Knochen muss jetzt auch einmal Fleisch bekommen, da muss jetzt auch tatsächlich etwas gemacht werden. Wenn man sich anschaut, wie Sie Ihr Amt angetreten und gemeinsam mit dem Vizekanzler den New Deal verkündet haben, und dann, als ein paar Wochen später eine Diskussion war, ob wir, wenn es um die Notstandsverordnung geht, von Asylberechtigten oder Asylwerbern sprechen, hat der New Deal schon begonnen, alt auszuschauen.

Und wenn wir uns die letzten Wochen anschauen, was da gestritten worden ist inner­halb der Regierung, dann erinnern wir uns doch schon sehr daran, dass wir gefühlte hundertmal gehört haben, bei jedem Wechsel an der Regierungsspitze oder wenn Minister ausgetauscht worden sind, dass jetzt alles ganz anders wird, alles viel besser werden wird und alles ganz wunderbar werden wird. Kaum waren diese Worte verklun­gen, ist der alte Streit, wie wir es gewohnt waren, weitergegangen. Das bringt die Republik nicht weiter. Die Republik braucht eine Regierung, die ihre Animositäten persönlicher oder auch sachlicher Art hintanstellt und sich auf etwas einigt, wovon sie überzeugt ist.

Das sage ich auch als Oppositionelle, wenn wir gewisse Dinge kritisieren. Eine Regie­rung tritt dazu an, das umzusetzen, wofür sie gewählt worden ist. Das erleben wir aber leider überhaupt nicht. Und wenn man sich die Kollegen, vor allem von der SPÖ, heute angehört hat, dann denke ich: Okay, der Klassenkampf ist nach wie vor da. Auf der einen Seite gibt es die Reichen und die Unternehmer, quasi der ausbeuterische Kapitalist, und die müssen natürlich zur Kasse gebeten werden. Vielleicht fällt dieser Regierung auch einmal ein, dass man irgendwo sparen könnte. Das nehmen Sie zwar immer in den Mund, aber Sie denken nicht im Traum daran, das zu machen.

Ich möchte Ihnen nur mitgeben, was der ehemalige sozialistische Landeshauptmann der Steiermark hier an diesem Rednerpult gesagt hat. Da war man noch mitten in der Finanzkrise, da hat er schon gesagt: 20 Prozent unserer Schwierigkeiten und auch unserer Schulden sind durch die Finanzkrise verursacht, 80 Prozent sind hausge­macht. Der Rechnungshof hat es auch nicht erst einmal moniert. Also fangen Sie dort einmal an!

Und die ÖVP könnte endlich einmal ihre viel gerühmte Transparenzdatenbank, bei der es darum geht, die Doppel- und Dreifachförderungen zwischen Bund, Ländern und Gemeinden aufzuzeigen und abzuschaffen, mit Leben erfüllen. Das ist ja jetzt schon sieben Jahre her, dass das beschlossen worden ist. (Bundesrat Mayer: Wir sind bereit!) Da passiert auch nichts. Und wenn Kollege Todt sagt, der Sozialstaat soll erhalten bleiben: Ja, natürlich, ja, wir wollen ihn, alle wollen wir den Sozialstaat erhalten haben. (Zwischenruf des Bundesrates Todt.– Unterschiedliche Zugänge! Das ist in einer Demokratie völlig normal und selbstverständlich, dass es hierfür unter­schiedliche Zugänge gibt.

Die Sozialdemokraten haben, als sie sich gegründet haben, richtig erkannt, dass der Zugang nur über die Bildung erfolgen kann, auch der berufliche und gesellschaftliche Aufstieg. Was haben Sie daraus gemacht? – Eine Bildungspolitik der Gleichmacherei, bei der Sie sich damit zufriedengeben, ein Mittelmaß zu haben; und keiner darf mehr etwas können. Wir brauchen aber auch geistige Eliten. Wir brauchen wieder Nobel­preisträger. Die hatten wir alle einmal. (Beifall bei der FPÖ.)

Aber Ihre Bildungspolitik hat dazu geführt, dass wir sie eben nicht mehr haben. Und das wird auch bei den Zuwanderern nur funktionieren, wenn die an der Bildung teil­nehmen. (Zwischenruf des Bundesrates Stögmüller.) Ich kann es nicht mehr hören, wenn gesagt wird, sie können das nicht. Sie können schon – wenn sie wollen! Sie müssen wollen und sie müssen sich auch anstrengen, und das müssen wir ihnen auch sagen. Das Ausruhen in der Hängematte des Sozialstaates ist nicht mehr möglich. Dort ist – zumindest nach meinem Dafürhalten – zuallererst anzusetzen, dann ergeben sich viele weitere Schritte von selbst, und Sie werden sehen, das System wird daran auch genesen.

Es wäre vielleicht auch einmal für die Regierung nicht das Schlechteste, nicht immer nur zu glauben, sie allein habe die Weisheit erfunden – was sich dann ja ohnehin als falsch herausstellt –, sondern vielleicht auch einmal Ideen und Vorschläge der Oppo­sition aufzugreifen. Es gibt genügend Vorschläge von uns, im Nationalrat, im Bundes­rat – greifen Sie diese einmal auf, schauen Sie sich an, was davon für Sie brauchbar ist, dann, glaube ich, kann dieses System besser werden! (Beifall bei der FPÖ.)

10.20


Präsident Mario Lindner: Zu Wort gemeldet hat sich Herr Bundesrat Stögmüller. – Bitte, Herr Bundesrat.

 


10.20.59

Bundesrat David Stögmüller (Grüne, Oberösterreich): Herr Präsident! Sehr geehrter Herr Bundeskanzler! Frau Staatssekretärin! Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen! Schönen guten Morgen! Herr Bundeskanzler, Sie haben ja schon einige Kritik beziehungsweise auch Kritik von der Opposition vernehmen müssen, ganz speziell – ich will jetzt auf ein anderes Thema eingehen, Sie haben es vorhin auch ange­sprochen – im Zusammenhang mit TTIP und CETA. Diese Kritik ist meiner Meinung nach zu Recht erfolgt, weil nämlich das, was Sie da in den letzten Tagen geleistet haben, gerade in Brüssel, einem Umfallen Ihrerseits gleichkommt. Mich wundert, dass kein Protest vonseiten der SPÖ gekommen ist. Ich kann mich noch daran erinnern, dass ich mit vielen SPÖlern, die gesagt haben: Stop CETA!, Stop TTIP!, auf der Straße gestanden bin, in Oberösterreich, in Wien. Tausende Protestanten sind dort gewesen und haben gemeinsam einen sofortigen Stopp gefordert. (Zwischenrufe bei der FPÖ.) – Natürlich auch von der FPÖ, ja; ich glaube, von der Opposition ohnehin eher allge­mein, aber mich wundert es ganz speziell vonseiten der SPÖ.

Ich kann mich auch noch gut daran erinnern, als Sie, Herr Bundeskanzler, sich damals medienwirksam, ziemlich medienwirksam vor die Kameras gestellt und gesagt haben, Sie werden einen breiten Widerstand gegen TTIP und CETA vorantreiben. Sie haben Ihre SPÖ-Leute darauf eingeschworen, Sie haben die Bevölkerung darauf einge-schworen, sich vehement dagegen einzusetzen. Leider ist nichts daraus geworden. Sie haben sich auf den Mitterlehner-Kurs eingelassen, und somit haben Sie, Herr Bun-deskanzler, und auch Österreich auf das Vetorecht verzichtet. Das ist eine vertane Chance, die wir gehabt hätten, das Abkommen wirklich de facto auf Eis zu legen, beiseitezulegen. Das ist beinhartes Umfallen! Sie sind in Ihrer Position umgefallen. Wir hätten uns da wirklich Standhaftigkeit und Ehrlichkeit erwartet.

Durch ein paar Sätzchen im Vorwort eines Abkommens wird kein Recht eines Vertra­ges außer Kraft gesetzt oder sonst irgendwie verändert. Das muss doch jedem hier klar sein. Also davon dürfen wir uns nicht irgendwie beeinflussen lassen, wenn jetzt in schönen Worten davon geredet wird. Vorworte irgendwie zu verändern hat keinen Einfluss auf den Vertrag oder auf das Gesetz. Das ist nur Augenauswischerei, was uns hier gepredigt wird.

Ich möchte Sie auch noch einmal daran erinnern, dass Sie gegenüber der „Frankfurter Allgemeinen Zeitung“ gesagt haben, Sie wollen einen radikalen Kurswechsel der europäischen Wirtschaftspolitik. – Tut mir leid, aber so ein Kurswechsel wird mit so einem Vorgehen ganz sicher nicht gelingen. Das passiert nicht, wenn Sie jetzt auf einmal auf den Mitterlehner-Kurs aufspringen.

Als Bundesrat und Ländervertreter muss ich Sie auch noch an eine gemeinsame Stellungnahme der Landeshauptleutekonferenz aus dem Mai 2016 erinnern. In dieser gemeinsamen Stellungnahme spricht man sich gegen eine vorläufige Anwendung von CETA aus. – Sie haben sie nicht berücksichtigt, Sie haben auf uns, auf die Länder einfach vergessen!

Wir Grüne werden uns weiterhin mit all unseren parlamentarischen und auch zivil­gesellschaftlichen Mitteln gegen dieses Abkommen einsetzen. Das kann ich Ihnen versprechen, Herr Bundeskanzler! Das wird uns ganz klar ein Anliegen sein. (Beifall der Bundesrätin Dziedzic.) – Danke. (Allgemeine Heiterkeit.) Das ist der Nachteil einer kleinen Fraktion.

Aber ich will jetzt nicht nur über TTIP und CETA reden, sondern ein Punkt für die Themenwahl für die Aktuelle Stunde ist ja auch Beschäftigung und Arbeitspolitik. Da muss man dringend etwas unternehmen, da gebe ich Ihnen recht. Man muss sich ja nur die aktuellen Arbeitslosenzahlen anschauen, die, wenn man ein bisschen weiter zurückschaut, gegenüber September 2011 bis September 2016 um 29 Prozent gestie­gen sind. Da lässt sich arbeitsmarktpolitisch schon nicht mehr wirklich viel verändern, sondern es braucht eine wirkliche Strukturreform, die wir angehen müssen.

Was müssen wir tun? – Wir müssen von einer Ökosozialsteuer reden – meine Kollegin Schreyer hat es ja schon angesprochen –, wir müssen von einer tatsächlichen Arbeits­zeit­verkürzung, über existenzsichernde Mindestlöhne, allgemein über die Anhebung der Löhne reden. Wir müssen über die immer weiter auseinanderklaffende Schere zwischen den Lehrstellen anbietenden Betrieben und den jungen Menschen, die noch bereit sind, einen Lehrberuf einzugehen, eine Lehre anzufangen, reden. Das funktio­niert nicht nur über irgendwelche Medienaktionen, die immer wieder geschalten wer-den, sondern das funktioniert nur durch wirkliche Reformen.

Es braucht eine zukunftsfähige Standortpolitik, und da richte ich mich auch ein wenig an jene Partei, die seit Jahrzehnten das Wirtschaftsressort leitet, nämlich an die ÖVP. Es wäre angebrachter, weniger über Kürzungen und Deckelungen der Mindestsiche­rung für Familien zu reden, sondern mehr Power in die Standortentwicklung zu stecken. Dafür, liebe ÖVP, würden wir an eure Seite appellieren, das wäre dringend nötig! Eine sinnvolle Wirtschaftsentwicklung und dann hoffentlich auch eine Reduzie­rung der Arbeitslosenzahlen wären wichtig.

Herr Bundeskanzler Kern! Wir Grüne sind gerne gesprächsbereit, wenn es wirklich um Reformen geht, wenn es um, wie gesagt, Arbeitszeitverkürzung, Ökosozialsteuer, Mindestlöhne, Anhebung der Löhne geht. Wir sind gerne bereit, gehen wir es an, tun wir etwas! – Vielen Dank. (Beifall bei den Grünen.)

10.26


Präsident Mario Lindner: Als Nächster zu Wort gemeldet hat sich Herr Bundesrat Mag. Zelina. Ich erteile es ihm.

 


10.26.25

Bundesrat Mag. Gerald Zelina (STRONACH, Niederösterreich): Sehr geehrter Herr Bundeskanzler! Liebe Frau Staatssekretärin! Wenn wir eine starke Wirtschaft wollen und das Arbeitslosigkeitsproblem reduzieren wollen, dann müssen wir besonders an vier Stellschrauben drehen, und das sind: erstens Unternehmensinvestitionen, zwei­tens staatliche Investitionen in die Infrastruktur, drittens die Exportseite – wenn wir die Arbeitslosigkeit reduzieren wollen, müssen wir mehr Produkte verkaufen, und das geht vor allem am Exportmarkt, also brauchen wir eine Erhöhung des Nettoexportes, das heißt abzüglich Import, also auch möglichst Importunabhängigkeit – und viertens die Erhöhung der Kaufkraft der Konsumenten.

Wir haben auf der Lohnsteuerseite eine Steuerreform durchgeführt. Das ist zu be­grüßen und sehr positiv. Woran es bei der Kaufkraft fehlt und was selten diskutiert und auch bei der Gewerkschaft nicht forciert wird, sind Mitarbeiterbeteiligungen, Beteiligun­gen am Unternehmensgewinn, und zwar zusätzlich zu den Löhnen. Mitarbeiter sollten jährlich 10 Prozent des Unternehmensgewinns ausbezahlt bekommen.

Ich spreche aus der Praxis, ich habe selbst bei zwei Unternehmen – das geht auch bei Klein- und Mittelbetrieben, nicht nur bei Großkonzernen über Mitarbeiterstiftungen – Mitarbeiterbeteiligungen eingeführt. Das heißt, wir haben das Unternehmen in Profit­center eingeteilt, Umsätze zugeteilt, alle direkten Kosten zugeteilt und auch Gemein­kos­tenstellen wie die Buchhaltung, das Lager nach gewissen Umlageschlüsseln, wie zum Beispiel Lieferscheinen oder in der Buchhaltung Ausgangsrechnungen, zugeteilt. Damit war jeder Mitarbeiter verantwortlich für die Kosten, die er selbst produziert. Das Unternehmen wird dadurch schlanker, weil sich jeder überlegt, ob er einen Dienst­wagen oder einen zusätzlichen Mitarbeiter braucht, ob die Verwaltung optimal läuft, weil alle mitdenken. Die Ziele des Unternehmers und der Mitarbeiter sind gleichge­schalten. Alle sitzen in einem Boot, und alles wird effizienter.

Also ich würde mir wünschen, dass bezüglich Kaufkrafterhöhung auch einmal eine Diskussion über die Einführung von Mitarbeitergewinnbeteiligungen geführt wird. Die Gewinnbeteiligungsauszahlung an die Mitarbeiter könnte man steuerlich mit 25 Prozent flat begünstigen; ähnlich wie eine KESt-Gewinnausschüttung an die Firmeneigentümer.

Zur Kaufkraft: Die Lohnsteuerreform wurde durchgeführt, was aber fehlt, ist eine Reform bei den Sozialabgaben. Wenn wir uns die Sozialabgaben und die Beiträge zahlenmäßig anschauen, dann sehen wir, dass die Sozialversicherungsbeiträge fast doppelt so hoch sind wie die Lohnsteuer. Die Lohnsteuereinnahmen vom Staat liegen bei circa 25 Milliarden € und die Sozialbeiträge sind doppelt so hoch, liegen also weit über 50 Milliarden €. Sogar wenn man die Lohnsteuereinnahmen und die Umsatz­steuereinnahmen zusammenrechnet, ergibt das einen Betrag in der Höhe der Sozial­beiträge. Das ist ganz gewaltig, das heißt, da schlummert enormes Einsparungspo­tenzial. Das sollte man angehen.

Die Pensionen kosten den Staat 25 Prozent vom gesamten Ausgabenbudget. Schauen wir uns doch einmal die Luxuspensionen an, schauen wir uns die Frühpensionen an, da ist einiges zu machen! Auch bei den Krankenversicherungsbeiträgen könnte man durch eine vernünftige Zusammenlegung der Krankenversicherungen einiges einspa­ren.

Wenn man es bei den Dienstgeberbeitragsabgaben schafft, von derzeit 18 Prozent auf 15 Prozent herunterzukommen, würde man 3 Prozent mehr Lohn für alle haben.

Wie schon gesagt, Arbeitsplätze schafft man nur dann, wenn man mehr Produkte verkauft. Wir müssen auf die Exportmärkte, und dafür müssen wir wettbewerbsfähig sein. Wettbewerbsfähig zu sein heißt, auf der Qualitätsseite und auch auf der Kosten­seite hervorragend zu sein. Bei der Kostenstruktur brauchen wir wettbewerbsfähige Unternehmenssteuern. Nicht ausgeschüttete Gewinne müsste man nicht unbedingt sofort besteuern, sondern sollte man erst besteuern, wenn sie ausgeschüttet werden, weil sie in der Zwischenzeit für Investitionen verwendet werden können. (Vizepräsident Gödl übernimmt den Vorsitz.)

Auch das Eigenkapital ist in Österreich dem Fremdkapital steuerlich nicht gleichge­stellt. Wenn man sein Unternehmen über Eigenkapital finanziert, ist man steuerlich schlechtergestellt, als würde man es mit Fremdkapital finanzieren, weil man die Zinsen aufwandsmäßig abziehen kann, die Dividenden hingegen nicht.

Die Lohnnebenkosten gehören gesenkt, und zwar wesentlich. Und auch bei den Finanzierungskosten sollten wir schauen, dass wir unabhängiger von der Bankenfinan­zierung werden, dass wir einen europäischen Kapitalmarkt aufbauen und mehr in Richtung Eigenkapitalfinanzierung kommen.

In Summe – die rote Lampe leuchtet –: Kosteneinsparungen sind ganz wesentlich für die Wettbewerbsfähigkeit für Österreich, und das nicht nur auf Betriebsseite, sondern auch auf Staatsseite!

Der letzte Punkt, den ich noch ansprechen möchte, ist das, was Sie, Herr Bundes­kanzler, auch gesagt haben und was ich auch unterstütze: Wo haben wir noch eine Chance? – Abgesehen von der Qualitäts- und Kostenseite brauchen wir spezielle Nischen mit innovativen neuen Produkten, wofür wir quasi eine Monopolstellung haben. Umso wichtiger ist es, dass wir die ganze Start-up-Szene unterstützen und för­dern. In diese Richtung sollte es gehen. – Vielen Dank.

10.32


Vizepräsident Mag. Ernst Gödl: Zur Abgabe einer abschließenden Stellungnahme hat sich nochmals der Herr Bundeskanzler zu Wort gemeldet. Ich erteile es ihm und darf bitten, die Redezeit von 5 Minuten nach Möglichkeit einzuhalten.

 


10.32.36

Bundeskanzler Mag. Christian Kern: Meine sehr geehrten Damen und Herren! Ich freue mich besonders über die Anwesenheit der Pensionisten aus Liezen. Sie kommen sozusagen wie bestellt, weil die Obersteiermarkt ja für mich eine Region ist, von der man sehr viel lernen kann. Es gibt positive Entwicklungen, und wir haben auch schwierigere Entwicklungen gesehen.

Ich möchte nur auf ein paar Gedanken der BundesrätInnen eingehen und mich ganz herzlich für die Anregungen bedanken, die da heute gekommen sind. Wir werden einiges mit nach Hause nehmen und weiter daran arbeiten und darüber nachdenken, wie wir das eine oder andere umsetzen können, denn um das Umsetzen geht es schlicht und einfach.

Wenn man über Wirtschaftspolitik redet, dann, glaube ich, ist man gut beraten, dass man in einer Welt, die so komplex geworden ist, wo es so viele verschiedene Einflüsse gibt, wo vollkommen klar ist, dass Österreich ein Teil Europas ist und dieses Europa wiederum einen Platz in der Welt sucht, akzeptiert, dass halt die einfachen Antworten nie funktionieren können. Was meine ich damit? – Herr Bundesrat Fürlinger, sehen Sie es mir bitte nach, aber ich habe seinerzeit auch dieses Buch gelesen: Weniger Staat, mehr privat, das war eine Welle, die es damals gegeben hat und die vielleicht ihre Berechtigung gehabt haben mag, aber mittlerweile wissen wir doch, dass es nur eine intelligente Kooperation zwischen dem Öffentlichen und dem Privaten geben kann, damit sich sozusagen wirtschaftlich etwas entwickelt. (Beifall bei SPÖ und Grünen.)

Ich habe oft genug die Geschichte erzählt, wie das Apple iPhone entstanden ist und wie dieses Unternehmen das wertvollste auf der ganzen Welt werden konnte. Wer jemals im Silicon Valley, in Stanford gewesen ist und sich angesehen hat, wie sich das entwickelt hat, wer da Beiträge geleistet hat, weiß: So genial Steve Jobs war – ohne öffentliche Investitionen würden wir heute jedenfalls nicht mit iPhones telefonieren und auf Apple-Computer setzen können.

Ich erwähne dieses Beispiel, weil es so exzellent zur Obersteiermark passt. Wir brauchen gar nicht nach Kalifornien zu schauen, wir haben derartige Erfolgsmodelle ja im eigenen Land. Ich habe selbst bei der Bahn gearbeitet, wie Sie wissen, und kann sagen, einer unserer wichtigsten Zulieferer ist die Voest gewesen. Die Voest hat in Donawitz ein Schienenwerk, weltweit eines der führenden Werke. Wie hat das dort funktioniert? – Die Voest hat großartige Entwicklungen in der Metallurgie vorangetrie­ben und hat gewusst, dass sie mit den ÖBB, den Österreichischen Bahnen, einen Partner hat, der ihr diese Schienen abnimmt, verlegt und ausprobiert, ob das funktio­niert. Das ist natürlich deshalb möglich gewesen, weil die Steuerzahler die ÖBB dabei unterstützt haben, damit sie diese Produkte letztendlich in Anwendung bringen.

Das ist nicht nur ein interessantes Beispiel für Österreich gewesen, denn diese Schie­nen werden heute in die ganze Welt exportiert. Zwischen Peking und Shanghai sind genauso Voest-Schienen verlegt wie zwischen Moskau und St. Petersburg. Und das meine ich, wenn ich von dieser Kooperation zwischen öffentlich und privat rede. Natür­lich brauchen wir die Unternehmer, die Kreativen, die etwas riskieren, die sich Tag für Tag engagieren, aber wir haben als öffentliche Hand eine Verpflichtung, zum Wohle unseres Landes Beiträge zu leisten, damit sich das auch wirklich entwickeln kann.

Die Obersteiermark ist ein hervorragendes Beispiel. Der Herr Vizekanzler hat gerade ein Tunnel-Forschungsinstitut in Eisenerz eröffnet – auch eine Stärke: die österreichi­sche Tunnelbaumethode. Das müssen wir fördern, unterstützen, entwickeln, und wir müssen den Leuten, die in diesem Bereich arbeiten, den Rücken stärken. (Beifall bei SPÖ, ÖVP und Grünen.) Das wird aber nur dann gehen, wenn wir uns auch zur Rolle der öffentlichen Hand bei diesen Projekten bekennen.

Ebenso haben wir in Österreich eine wirklich erstklassige Universität, nämlich die Montanuni. Das finanzieren zum Beispiel Sie da hinten (in Richtung Besuchergruppe) mit Ihren Steuerbeiträgen jedes Mal mit. Das bringt dem Land etwas, denn das Ausbildungsniveau in diesem Sektor ist allgemein und weltweit hervorragend und führend.

Ich darf zum Schluss noch eines erwähnen, nämlich zu TTIP und CETA, weil Herr Bundesrat Stögmüller noch einmal darauf zurückgekommen ist. Ich habe in diesen vier Monaten in der Politik einiges gelernt. Offenbar gehört zu einem guten Politiker auch die Notwendigkeit, dass man sich im rechtzeitigen Moment aufregen kann, ohne dass eigentlich klar ist, worüber man sich aufregt. Entschuldigen Sie diese Bemerkung, aber ich habe mein persönliches Erlebnis dazu:

Ich saß gestern mit dem Kommissionspräsidenten zusammen, und wir gingen Punkt für Punkt die Texte durch. Ich erklärte ihm, was unsere Probleme sind, wo wir uns verbessern müssen, wo wir Entwicklungen wollen. Und es gibt diesen Verhandlungs­prozess mit Kanada. Es gibt keinen finalen Text, der veröffentlicht worden ist, und bevor man noch irgendetwas abgewartet hat, tritt man auf und sagt: Das ist alles Mist, da sind wir dagegen! Da ist man umgefallen! – Ehrlich gesagt: Politik nach dem Prinzip: Ich weiß zwar nicht, worum es geht, aber ich bin auf jeden Fall dagegen!, das dürfen Sie von mir nicht erwarten. (Beifall bei SPÖ und ÖVP sowie des Bundesrates Zelina.)

Bei aller Wertschätzung und bei allen Gemeinsamkeiten, natürlich verstehe ich Ihre Anregungen und Anmerkungen und natürlich gibt es Probleme in dem Kontext, aber die Verantwortung zu übernehmen heißt, das Bestmögliche aus der Situation zu machen. Und ich kann Ihnen sagen: Das ist kein Kinderfasching, denn da geht es um globale Interessen. Ich habe jetzt (in Richtung Bundesrätin Schreyer) nicht Sie per­sönlich gemeint, entschuldigen Sie! Bei dem ganzen Vorgang, bei dem es einen Riesendruck von den Kanadiern bis zur EU-Kommission, von den anderen EU-Ländern gibt, weil wir uns auch gut überlegen müssen, wie denn das eigentlich ist, wenn Österreich gegen alle Entscheidungsprinzipien der EU am Ende allen anderen 27 Län­dern ausrichtet: Eure Meinung interessiert uns nicht! – das ist das Problem, das wir haben –, müssen wir das Beste daraus machen.

Auf dem Weg, den wir gegangen sind, sind wir ein schönes Stück weit gekommen. Ich weiß noch genau, es war mein erster Europäischer Rat in Brüssel, als vorgeschlagen worden ist, dass die EU-Kommission das macht, dass das durchgewinkt wird, es keine parlamentarische Behandlung dieser Abkommen geben wird. Ich habe damals gesagt: Nein, das ist falsch, das wollen wir nicht! Dann ist der Kommissionspräsident rausge­gangen und hat erklärt, das sei österreichischer Klamauk, das könnten wir vergessen, das würden sie alles ignorieren. – Mittlerweile ist der österreichische Klamauk, dank dieses Widerstands, Realität geworden. (Zwischenruf des Bundesrates Stögmüller.)

Auch die Mitgliederbefragung der SPÖ hat einen großen Beitrag dazu geleistet, weil zu dem Zeitpunkt alle verstanden haben, dass das unser absoluter Ernst ist, dass wir es ernst meinen mit den Kritikpunkten und dass wir Verbesserungen wollen. Wir werden nicht akzeptieren – wie Sie (in Richtung Bundesrat Stögmüller) gesagt haben –, dass es irgendwie ein Vorwort zu einem Vertrag gibt. Am Ende muss es rechtlich bindende Vereinbarungen geben, die im EU-Amtsblatt veröffentlicht und gemeinsam mit dem Vertrag unterzeichnet werden müssen. Das ist für mich eine rote Linie, das ist so umzugestalten und so zu machen.

Zu der ganzen Konstellation muss man ganz klar sagen: Als kleines Land in der EU wird man nur gehört, wenn man sich auf die Hinterfüße stellt und ganz klar sagt, was seine Interessen, was seine Standpunkte sind. Dann kann man diese Dinge auch ein schönes Stück weitertreiben. Mein Plädoyer ist: Schauen wir uns einmal an, wo wir gestartet und wie weit wir gekommen sind, und überlegen wir uns, ob uns das ausreicht! Wir werden daher alle miteinander gut daran tun, die Texte sorgfältig zu studieren. Ich weiß, das ist mühsam, das sind viele Hundert Seiten zu lesen, aber glau­ben Sie mir, es lohnt sich.

Das, was wir heute erleben, ist: Wir haben einen gewissen Reflex zu sagen: Nein, wir wollen das alles nicht!, aber – unter uns gesagt – auch bei denen, die sagen, das ist alles großartig, bin ich mir nicht sicher, wie tief sie sich auf die Sache eingelassen haben, denn eines ist ein Faktum: Die Entwicklungen, die wir bei CETA sehen, werden Österreich nicht aus den Schuhen heben – und zwar in keinem Fall! –, denn: Die EU-Kommission hat drei Studien vorgelegt, und die beste dieser Studien sagt, es gibt einen Effekt von 0,005 Prozent zum europäischen Bruttoinlandsprodukt, und wenn man das auf Österreich herunterbricht, bedeutet das für die Damen und Herren, die heute hier Gast sind, 6 € – im besten Fall! –, und da bin ich der Meinung, dass wir uns das ganz genau anschauen werden und dann versuchen werden, das weiterzu­entwickeln – aber im Geiste der europäischen Solidarität! Außerdem wissen wir als ein Land mit einer exportorientierten Wirtschaft, dass an Exporten 1 Million Arbeitsplätze dranhängen. Daher brauchen wir auch die Integration der Volkswirtschaften und kön­nen nicht so einfach Nein sagen zu allem, was daherkommt. – Danke. (Beifall bei SPÖ, ÖVP und Grünen.)

10.40


Vizepräsident Mag. Ernst Gödl: Die Aktuelle Stunde ist beendet.

Ich darf mich bei der Frau Staatssekretärin und beim Herrn Bundeskanzler für ihr Erscheinen herzlich bedanken.

10.40.50Einlauf und Zuweisungen

 


Vizepräsident Mag. Ernst Gödl: Eingelangt sind und den zuständigen Ausschüssen zugewiesen wurden jene Berichte, die Gegenstand der heutigen Tagesordnung sind.

Die Ausschüsse haben ihre Vorberatungen abgeschlossen und schriftliche Ausschuss­berichte erstattet.

Ich habe die zuvor genannten Verhandlungsgegenstände auf die Tagesordnung der heutigen Sitzung gestellt.

Wird zur Tagesordnung das Wort gewünscht? – Das ist nicht der Fall.

Behandlung der Tagesordnung

 


Vizepräsident Mag. Ernst Gödl: Aufgrund eines mir zugekommenen Vorschlages beabsichtige ich, die Debatte über die Tagesordnungspunkte 2 und 3 unter einem durchzuführen.

Erhebt sich dagegen ein Einwand? – Das ist nicht der Fall.

10.41.28Ankündigung einer Dringlichen Anfrage

 


Vizepräsident Mag. Ernst Gödl: Bevor wir in die Tagesordnung eingehen, gebe ich bekannt, dass mir ein Verlangen im Sinne des § 61 Abs. 3 der Geschäftsordnung des Bundesrates auf dringliche Behandlung der schriftlichen Anfrage der Bundesräte Jenewein, Kolleginnen und Kollegen betreffend die Schaffung geeigneter Rechtsgrund­lagen zur Repatriierung unberechtigt Aufhältiger im Staatsgebiet zum Schutze des sozialen Friedens im Lande und der realen Kapazitätserweiterung für tatsächlich Schutz­bedürftige an den Herrn Bundesminister für Europa, Integration und Äußeres vorliegt.

Im Sinne der Geschäftsordnung verlege ich die Behandlung an den Schluss der Sitzung, aber nicht über 16 Uhr hinaus.

10.42.141. Punkt

39. Bericht der Volksanwaltschaft (1. Jänner bis 31. Dezember 2015) (III-588-BR/2016 d.B. sowie 9645/BR d.B.)

 


Vizepräsident Mag. Ernst Gödl: Wir gehen nun in die Tagesordnung ein und gelan­gen zu deren 1. Punkt.

Berichterstatter ist Herr Bundesrat Mag. Lindner. Ich bitte um die Berichterstattung und begrüße gleichzeitig die drei Volksanwälte, Frau Dr. Brinek, Herrn Dr. Kräuter und Herrn Dr. Fichtenbauer.

 


10.42.43

Berichterstatter Mag. Michael Lindner: Ich erstatte den Bericht des Ausschusses für BürgerInnenrechte und Petitionen über den 39. Bericht der Volksanwaltschaft (1. Jän­ner bis 31. Dezember 2015).

Der Bericht liegt Ihnen in schriftlicher Form vor, daher komme ich gleich zur Antrag­stellung.

Der Ausschuss für BürgerInnenrechte und Petitionen stellt nach Beratung der Vorlage am 4. Oktober 2016 den Antrag, den 39. Bericht der Volksanwaltschaft (1. Jänner bis 31. Dezember 2015) zur Kenntnis zu nehmen.

 


Vizepräsident Mag. Ernst Gödl: Ich danke für die Berichterstattung.

Wir gehen in die Debatte ein.

Als Erster zu Wort gemeldet hat sich Herr Bundesrat Tiefnig. – Bitte.

 


10.43.15

Bundesrat Ferdinand Tiefnig (ÖVP, Oberösterreich): Geschätzter Herr Präsident! Geschätzte Volksanwälte! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Der 39. Bericht der Volks­an­waltschaft ist ebenfalls wieder umfangreich, so wie wir es von den VA-Berichten aus den letzten Jahren kennen. Es ist für uns eine Replik auf die Gesetze, die wir be­schließen, darauf, ob diese Gesetze eingehalten werden. Manchmal beziehungs­weise immer öfter kommt die Volksanwaltschaft darauf, dass wir Gesetze beschließen, die dann teilweise durch Verordnungen oder andere Mittel umgangen werden, und die Volksanwaltschaft weist dann auch immer darauf hin, dass die Gesetze, die die Abgeordneten zum Nationalrat und wir im Bundesrat beschlossen haben, dann draußen auch zu vollziehen sind.

Viele Themen, mit denen sich die Volksanwälte befassten, betreffen die Bauordnung. Ein weiteres Thema, das die Volksanwälte behandelten, ist das der Menschenrechte. Im vergangenen Jahr war es natürlich das Thema Flüchtlinge, die in großer Zahl durch Österreich gezogen sind, und da besonders das Thema der unbegleiteten Minder­jährigen, wobei die große Anzahl sehr stark aufgefallen ist und Missstände aufgedeckt worden sind, und zwar vor allem in den Durchgangslagern, was deren Zustand betrifft.

Chronisch kranke Kinder sind auch ein Thema gewesen, das die Volksanwälte im letzten Jahr aufgegriffen haben. Und ich kann nur eines sagen: Wir im Ausschuss für Familien-, Kinder- und Jugendrechte sind gerne bereit – da wird mir die Ausschuss­vorsitzende, Kollegin Posch-Gruska, sicher zustimmen –, uns einmal mit Ihnen von der Volksanwaltschaft zusammensetzen, entweder im Rahmen des Familien- und Jugend­ausschusses des Bundesrates oder bei einer Enquete, um die Probleme, die im Kinder- und Jugendbereich auftreten, mit Ihnen entsprechend zu erörtern.

Weitere Punkte in diesem Bericht betreffen die verschiedenen Gesetzeslagen in den Gemeinden, die vielen verschiedenen Zuständigkeiten der gesetzlichen Körperschaf­ten. Besonders aufgefallen ist im Bericht, dass sich die Verwaltungsgerichtsbarkeit eigentlich kaum auf die Wartezeit der Bevölkerung ausgewirkt hat, denn die Verfahren dauern trotzdem so lange wie bisher.

Beim Thema Unternehmensgründung wurde darauf hingewiesen, dass Unternehmer in sehr vielen Fällen zu wenig Informationen erhalten und dadurch oft die Frist bei der Antragstellung versäumen und dann die Unternehmensgründungsprämie nicht ausbe­zahlt bekommen.

Nächstes Thema: Sachwalterschaft, auf das sicherlich meine Kollegin noch näher eingehen wird. Dabei geht es auch um die Frage: Wie geht man in Zukunft mit demenzkranken Menschen um? Und: Wie wird sich da der politische Wille bezie­hungsweise die politische Ausrichtung in Zukunft entwickeln?

Beim Thema Strafverfahren geht es vor allem um die Frage: Wie geht es den Häftlingen in den Justizanstalten? Da ist in den letzten Jahren sehr viel Positives geschehen, auch aufgrund der Tätigkeit der Volksanwaltschaft. Und ich kann nur Danke schön sagen, dass Sie von der Volksanwaltschaft auch immer wieder in der Sendung „Bürgeranwalt“ des öffentlich-rechtlichen Rundfunks auftreten, die von circa 400 000 Seherinnen und Sehern verfolgt wird. Auch die Internetplattform, die Home­page der Volksanwaltschaft, wird immer mehr genutzt, weil die Menschen doch eher den Zugang über die modernen Medien suchen.

Im internationalen Bereich ist die Volksanwaltschaft federführend tätig, mit 170 Mitglie­dern in 90 Ländern. Ich finde, das ist eine hervorragende Zahl. Dies tut sie besonders auch in Begleitung der osteuropäischen Länder. Auch in der Türkei will sich die Volks­anwaltschaft einbringen. Wir wissen, was sich in diesem Land zurzeit abspielt.

Von der Bevölkerung sind, soweit ich weiß, schon zirka 18 000 Anliegen an die Volks­anwaltschaft herangetragen worden – also eine Riesendimension für die schmale Besetzung. Die Volksanwaltschaft wird ja vom Personal her sehr knapp geführt, aber ihr Aufgabenbereich hat sich in den letzten Jahren sehr ausgeweitet.

Ich möchte Ihnen von der Volksanwaltschaft noch einmal danken und gleichzeitig die Bürger aufrufen, sich an die Volksanwaltschaft zu wenden, wenn sie Probleme haben. Die Volksanwaltschaft steht auch in den Bezirken zur Verfügung, und zwar immer an den Sprechtagen. Die gibt es auch in den Bundesländern und sind, finde ich, eine hervorragende Einrichtung. Ich bedanke mich herzlich für Ihre Arbeit und für Ihr Engagement für die Österreicherinnen und Österreicher und wünsche mir, dass es auch in Zukunft so eine gute gemeinsame und parteiübergreifende Zusammenarbeit gibt. Das ist wichtig für Österreich, das bräuchten wir auch oft im Parlament, damit in unserem Land etwas weitergeht.

In diesem Sinne alles Gute und noch einmal herzlichen Dank für Ihre Arbeit und den Mitarbeitern in der Volksanwaltschaft für den ausführlichen Bericht. – Danke schön. (Beifall bei der ÖVP und bei Bundesräten von FPÖ und Grünen.)

10.48


Vizepräsident Mag. Ernst Gödl: Als Nächster darf ich Frau Bundesrätin Mag. Gruber-Pruner das Wort erteilen. – Bitte, Frau Bundesrätin.

 


10.49.02

Bundesrätin Mag. Daniela Gruber-Pruner (SPÖ, Wien): Hohes Präsidium! Sehr geschätzte Frau Volksanwältin! Sehr geschätzte Herren Volksanwälte! Geschätzte Kolleginnen und Kollegen! Uns liegt heute hier dieser umfangreiche Bericht der Volksanwaltschaft für das Jahr 2015 vor, und man kann sich auf sehr vorbildliche und sehr leserInnenfreundliche Art und Weise einen Überblick über das Aufgabenspektrum der Volksanwaltschaft und ihrer Kommissionen verschaffen: einerseits über die Erfolge, die im letzten Jahr durchaus erzielt worden sind, aber auch über die Problem­felder, mit denen die Volksanwaltschaft konfrontiert ist. Ich möchte mich eingangs an dieser Stelle sehr herzlich bei Ihnen und bei Ihren MitarbeiterInnen für diesen sehr informativen Bericht bedanken.

Als Bürgerin dieses Landes bin ich sehr froh, dass es die Einrichtung der Volks­anwaltschaft gibt, die auf Missstände und Systemfehler unserer Einrichtungen und Strukturen schaut und darauf hinweist, und zwar mit einer großen Gewissenhaftigkeit und Sensibilität. Diese Sensibilität drückt sich für mich beispielsweise darin aus, dass Interviews mit Menschen, die sie besuchen, vertraulich geführt werden, und zwar in den Sprachen, die sie benötigen, und durchaus auch in der Gebärdensprache und auch in nonverbaler Kommunikation. Darin zeigt sich für mich eine hohe Reflexions­bereitschaft und Sensibilität, mit der in der Volksanwaltschaft gearbeitet wird, und dafür bin ich als Bürgerin sehr dankbar. Und das gibt mir auch die Sicherheit, dass hier in diesem Land alle Menschen mit all ihren Rechten geachtet werden.

Als Politikerin dieses Landes macht es mich aber wiederum sehr hellhörig und sehr nachdenklich, wie sehr diese Institution Volksanwaltschaft offensichtlich notwendig ist, was man daran sieht, dass es viele Beanstandungen in unseren Einrichtungen gibt und dass es auch Problemstellungen gibt, die sich mittlerweile über Jahre hinziehen, in allen Berichten immer wieder vorkommen und bei denen es anscheinend auch schwer gelingt, eine Lösung zu finden.

Es hat, nur um das zu veranschaulichen, im Jahr 2015 bei insgesamt 312 Einsätzen Beanstandungen der menschenrechtlichen Situation gegeben. Also das ist schon eine beachtliche Zahl. Es ist mir natürlich klar, dass Systeme fehleranfällig sind, aber umso mehr müssen sie regelmäßig dahin gehend überprüft werden, wie Entscheidungen getroffen werden, wie mit Macht, die eine Institution, eine Einrichtung durchaus hat, umgegangen wird und vor allem wie mit den MitarbeiterInnen, die dort arbeiten, aber besonders auch mit der AdressatInnengruppe umgegangen wird.

Ich möchte in diesem Zusammenhang Folgendes aus dem Bericht zitieren: „Dass eine erhöhte Gefahr von Misshandlungen besteht, wenn Menschen durch Freiheitsentzug der Gewalt staatlicher oder privater Akteure in besonderem Maße unterworfen und zugleich dem Blick einer kontrollierenden Öffentlichkeit entzogen sind, ist die hinter dem präventiven Besuchssystem stehende Überzeugung.“

Ich möchte – ich habe es ganz kurz schon einmal betont – auch erwähnen, dass so manche Beanstandung der Volksanwaltschaft im Berichtszeitraum behoben werden konnte und zu Verbesserungen geführt hat. Zum Beispiel – nur als eines von mehre­ren – können wir mittlerweile davon sprechen, dass in Psychiatrien die Netzbetten so gut wie Geschichte sind. Zum Glück! Es ist Zeit geworden.

Die Volksanwaltschaft arbeitet in einer recht komplexen Struktur. Ein Mechanismus ist die präventive Menschenrechtskontrolle, und da kommt der nationale Präventions­mechanismus zum Tragen. Und der zweite Bereich ist die Kontrolle der öffentlichen Verwaltung. Es wird in sechs multiprofessionellen Teams in ganz Österreich gearbeitet, zusammen mit dem Menschenrechtsbeirat, dem Ministerien und NGOs angehören, und es wird auch mit BewohnerInnenvertretungen und Kinder- und Jugendanwaltschaf­ten als Kooperationspartnern gearbeitet.

Man sieht, es ist eine sehr kommunikationsintensive, sehr komplexe Struktur, die aber gerade in diesem großen Aufgabenfeld durchaus Sinn macht. Es werden klassische Anhalteorte, wie zum Beispiel Justizanstalten, Polizeiinspektionen, polizeiliche Anhalte­zentren, aber auch die sogenannten Less Traditional Places of Detention, nämlich Psychiatrien, Krankenanstalten, Alten- und Pflegeheime, Kinder- und Jugendeinrich­tun­gen und Einrichtungen für Menschen mit Behinderungen, besucht und beobachtet. Und seit 2016 gehören – das ist ein neues Betätigungsfeld – auch Flugabschiebungen in den Aufgabenbereich der Volksanwaltschaft.

Ich möchte aus dieser Fülle an Einrichtungen und Strukturen, die beobachtet und besucht werden, einige wenige herausnehmen, um zu veranschaulichen, um welche großen Themenstellungen es da geht.

Im Bereich der Alten- und Pflegeheime sind eine der aktuellen Herausforderungen die Individualität und die Autonomie der BewohnerInnen, also: Wie kann es gelingen, in den Abläufen einer Einrichtung den Bedürfnissen der einzelnen BewohnerInnen gerecht zu werden?

Da wurde unter anderem beklagt, dass es eine frühe Bettruhe gibt, die mit dem beginnenden Nachtdienst zu tun hat. Also da geht es um starre Strukturen, die hinter­fragt gehören und auf die genau geschaut werden muss – im Sinne der BewohnerIn­nen, die dort leben. Es wird auch versucht, die BewohnerInnen partizipativ in die Abläufe einzubinden.

Ein Thema, das in Krankenhäusern und Psychiatrien nach wie vor ein großes ist, ist die Freiheitsbeschränkung. Es gibt verschiedene Arten von Zwangsmaßnahmen. Da ist immer darauf zu schauen, wie sie dokumentiert werden, ob sie gerechtfertigt sind, welches Mittel in welchem Fall angewendet wird. Und da möchte ich die Forderung der Volksanwaltschaft nach einem Register für freiheitsbeschränkende Maßnahmen sehr unterstützen.

Ein Bereich, der mir als Pädagogin ein Herzensanliegen ist, ist die Kinder- und Jugendhilfe. Es wurden 78 WGs und Wohnheime besucht. Und auch Renate Winter, die uns im UN-Kinderrechteausschuss vertritt, sagt, eines der großen Themen in Österreich ist tatsächlich die mangelnde Versorgung von psychisch kranken Kindern. Es fehlen psychiatrische Plätze für Kinder; mein Kollege Tiefnig hat das auch kurz angesprochen. Also da zu investieren, da Plätze zu schaffen, geeignete Betreuungs- und Rehabilitationsangebote zu schaffen ist dringend geboten.

Begrüßenswert ist, dass Kinder und Jugendliche verstärkt in ihren neuen Wohnum­gebungen an den Prozessen, die sie betreffen, beteiligt werden, dass es Beschwer­dekästen gibt, dass auch ihre Privatsphäre mehr Thema wird. All das ist natürlich zu begrüßen. Aber trotzdem ist da das Thema der sexuellen Gewalt nach wie vor eine Herausforderung. Es wurde beanstandet, dass in vielen Einrichtungen sexualpädago­gische Konzepte fehlen. Da bin ich stolz darauf, dass es in Wien mit dem Wiener Kinder- und Jugendhilfegesetz gelungen ist, die Sexualpädagogik in allen Einrichtun­gen zu verwirklichen. Aber das muss natürlich bundesweit gelingen.

Ein letzter Punkt, der mir ein Anliegen ist, ist der Bereich der minderjährigen Flücht­linge. Auch dazu hat mein Vorredner schon einiges vorweggenommen. Aber alles, was da im Bericht bekrittelt wird – nämlich dass die Verfahren unverhältnismäßig lange dauern, dass lange Verzögerungen bei Familienzusammenführungen nachgewiesen werden, dass sogar schwangere Frauen mit Kleinkindern zu Abschiebungen geholt werden, dass die Abschiebungen für Familien nach wie vor mitten in der Nacht pas­sieren –, all das sind Dinge, worüber ich denke, dass wir es nicht notwendig haben, dass solche Grauslichkeiten in Österreich stattfinden.

Also man sieht, das Tätigkeitsspektrum der Volksanwaltschaft ist enorm groß und ihre Arbeit ist enorm wichtig. Und da möchte ich wieder ein Zitat aus Ihrem Bericht bringen, womit ich meine Ausführungen beenden möchte, und dieses lautet: „Die Verpflichtung, den Schutz und die Achtung von Menschenrechten und Menschenwürde zu gewähr­leisten, kann ein Rechtsstaat auch nicht punktuell abstreifen. In diesem Sinne ist die Unantastbarkeit der Menschenwürde wörtlich zu verstehen. Mit ihr steht und fällt auch die Rechtsstaatlichkeit.“ – Danke schön. (Beifall bei SPÖ und ÖVP.)

10.58


Vizepräsident Mag. Ernst Gödl: Als Nächstem darf ich Herrn Bundesrat Herbert das Wort erteilen. – Bitte, Herr Bundesrat.

 


10.58.50

Bundesrat Werner Herbert (FPÖ, Niederösterreich)|: Herr Präsident! Frau Volksan­wältin! Meine Herren Volksanwälte! Geschätzte Kolleginnen und Kollegen! Ich darf mich einmal grundsätzlich dem Lob und der Anerkennung meiner Vorredner für die Tätigkeit der Volksanwaltschaft anschließen.

Die Anerkennung und die Akzeptanz der Volksanwaltschaft sind ja nicht nur hoch­gradig auf politischer Ebene gegeben, sondern auch auf breiter Basis in der Bevölke­rung, und das zeigt sich auch an den ständig steigenden Prüfverfahren, die von der Volksanwaltschaft durchzuführen sind, sei es jetzt im Bereich der Kontrolle der öffentlichen Verwaltung oder sei es auch im präventiven Menschenrechtsbereich.

Einiges wurde von meinen Vorrednern punktuell bereits angeführt, ich darf mich daher auch auf einige Themenbereiche beschränken, die mir wichtig erscheinen und die, wie ich meine, auch von besonderem Interesse sind.

Die Steigerung der Prüfverfahren: Ich habe es bereits erwähnt, es ist hier ein roter Faden, der sich seit Jahren durch die Tätigkeit der Volksanwaltschaft zieht, und zwar immer mehr auch, wie wir aus diesem Bericht entnehmen können, im Bereich der Bundesländer. Umso mehr ist es erstaunlich, dass da die Akzeptanz bei den Bun­desländern nicht überall gleich ausgeprägt ist.

Im Ausschuss habe ich herausgehört, dass man da durchaus Nachholbedarf hat. Es klappt in einigen Bundesländern hervorragend. Vorarlberg und Tirol haben ja auch einen Landesvolksanwaltschaftsbereich, aber in vielen anderen Bundesländern gibt es das nicht. Da wäre eine bessere Zusammenarbeit zwischen den Landesregierungen und der Volksanwaltschaft, die auf weiter Ebene ja sehr gut klappt, aber in vielen Bereichen doch etwas verbesserungswürdig erscheint, jedenfalls angebracht.

Auch ein interessanter Aspekt den Bereich Prüfverfahren betreffend, den wir im Aus­schuss erfahren haben – quasi ein Vorgriff, den Dr. Kräuter mitgeteilt hat –, ist, dass der Tendenz bei den Verfahrensabläufen zu entnehmen ist, dass sich gegenüber dem Vorjahr – gemäß dem hier in Rede stehenden Bericht aus dem Jahr 2015 – heuer, 2016, eine Steigerung um weitere 20 Prozent abzeichnet. Das ist eine nicht unwesent­liche Mitteilung und Feststellung, weil wir ja wissen, dass die Volksanwaltschaft wie fast alle Bereiche im öffentlichen Verwaltungswesen natürlich auch mit mangelnden personellen Ressourcen zu kämpfen hat und natürlich auch da an der Decke des personell Leistbaren und Machbaren angelangt ist.

Ich darf daher an dieser Stelle auch den Wunsch der Volksanwälte an die Bundes­regierung und insbesondere an den Bundeskanzler, weil das Bundeskanzleramt ja für die Planstellensituation und Planstellenverwaltung im öffentlichen Dienst zuständig ist, weitergeben, zusätzliche drei Akademikerplanstellen für die Volksanwaltschaft mög­lichst rasch umzusetzen. Ich höre, dass es dazu gute Verhandlungen gibt, aber ich möchte mir die Gelegenheit nicht entgehen lassen, das auch von dieser Stelle als Vorsitzender des Ausschusses für Bürgerrechte und Petitionen im Bundesrat noch einmal nachdrücklich einzufordern.

Ein weiterer roter – ich muss fast sagen, negativer – Faden ist der Umstand, dass es im Bereich der Kontrolle der Verwaltung noch immer eine Lücke gibt, die es zu schließen gilt, nämlich jene der Kontrolle der ausgelagerten Rechtsträger, also ÖBB, Asfinag, Post und dergleichen, die zwar organisatorisch auf privatrechtlich umgestellt wurden, aber noch immer einen großen und nicht unwesentlichen Bereich in der öffentlichen Verwaltung einnehmen.

Es ist nicht einzusehen, warum ein Rechnungshof eine Prüfkompetenz in diesem Bereich hat, eine Volksanwaltschaft aber nicht. Ich darf daher an Sie, geschätzte Kolle­ginnen und Kollegen, appellieren, dass wir auch dieses Thema des Lückenschlusses in der Kontrolle der Verwaltung hier vorantreiben. Ich denke, es ist wichtig und auch not­wendig – und das zeigt auch der Ausfluss aus den Prüfberichten –, dass wir diesen Lückenschluss im Bereich der ausgegliederten öffentlichen Verwaltung jedenfalls vornehmen sollten, um den Staatsbürgern, den Österreicherinnen und Österreichern, die mit berechtigten Anliegen an die Volksanwaltschaft herantreten, wenn es eben um diese ausgelagerten Bereiche geht, auch jene Unterstützung geben zu können, die sie momentan nicht haben.

Derzeit darf die Volksanwaltschaft in diesem Bereich ja nicht tätig werden, und der Staatsbürger hat das Problem, dass er, ich will nicht sagen, auf verlorenem Posten steht, aber, dass er jedenfalls eine wesentliche Unterstützungsmöglichkeit weniger hat. In diesem Sinne wäre dieser Lückenschluss in der Kontrolle der öffentlichen Ver­waltung natürlich dringend notwendig und auch jedenfalls geboten.

Erlauben Sie mir, zum Abschluss noch punktuell zwei Dinge anzusprechen, die mir als Polizeibeamtem im Brotberuf in diesem Bericht besonders aufgefallen sind und die, wie ich meine, jedenfalls auch, und das wurde auch so festgestellt, einer gesetzlichen Reparatur bedürfen.

Das eine ist die Sache, dass Polizeibeamte, wenn sie bei der Ausübung ihres Dienstes verletzt werden, die Möglichkeit einer finanziellen Abdeckung des Schadens durch das Wachebediensteten-Hilfeleistungsgesetz haben, allerdings nur dann, wenn sie den Unfall oder die Verletzung in Ausübung des Dienstes erleiden, nämlich im Einsatz.

In diesem Bericht wird der Fall eines Polizeibeamten einer Sondereinheit aufgezeigt, der eine Verletzung während der Ausbildung erlitten hat. Es handelt sich dabei um eine schwere Verletzung, die bleibende Auswirkungen für die Gesundheit zur Folge hatte und sich auf die weitere Dienstausübung gerade bei dieser Sondereinheit sehr nach­teilig ausgewirkt hat.

Der Beamte hat für diese Verletzung, die während der notwendigen und auch von der Behörde vorgeschriebenen Ausbildung passiert ist, keine Entschädigung bekommen. Es ist nicht so, dass er privat in einem Fitnessstudio war, sondern das war eine im Rahmen der Polizeiausbildung für seine Sondereinheit vorgeschriebene Ausbildung! Dass er keine finanzielle Abgeltung für die Verletzung bekommt, ist ein Umstand, der nicht nachvollziehbar ist, sodass jedenfalls auch diese Gesetzeslücke geschlossen werden muss.

Die zweite Sache ist der Umstand, dass in diesem Bericht der Volksanwaltschaft auch auf die in der Öffentlichkeit derzeit sehr stark diskutierte Frage des Waffenpasses für Polizeibedienstete Stellung genommen wird. Die Volksanwaltschaft hat sich – und dafür darf ich Ihnen meinen besonderen Dank aussprechen – klar dazu bekannt, dass man Polizeibediensteten einen Waffenpass ausstellt, der ihnen das Tragen von Waffen auch außerhalb der Dienstzeit oder des Rahmens der dienstlichen Verpflichtungen ermöglicht.

Seit gestern wissen wir: Es gibt eine Begutachtung einer Gesetzesnovelle, die darauf eingeht. Diese Novelle ist ein Schritt in die richtige Richtung, allerdings stellt sich da eben nicht alles so positiv dar, wie es vonseiten der Exekutive gewünscht wird. Der Waffenpass für Organe des öffentlichen Sicherheitsdienstes soll nämlich auf das 9-Millimeter-Kaliber beschränkt werden.

Ich höre, dass man sich vonseiten der SPÖ dagegen verwahrt hat, da eine größere oder eine uneingeschränkte Kaliberoption zu ermöglichen, weil man Angst hat, dass Polizeibeamte, die außerhalb des Dienstes bewaffnet sind, als Pistoleros – so war der Wortlaut, der mir mitgeteilt wurde – auftreten würden. Das ist eigentlich eine schwere Diffamierung des Berufsstandes der Polizei, der Kolleginnen und Kollegen.

Dazu möchte ich zwei Dinge anmerken: Wenn ein Polizist sich außerhalb des Dienstes in den Dienst stellt, dann gelten für ihn die dienstlichen Verpflichtungen, als hätte er eine Uniform an. Nicht wie bei einem Privaten. Wenn ein Privater im Rahmen seiner erlaubten Möglichkeiten eine private Waffe zur Anwendung bringt, dann unterliegt er waffenrechtlichen Bestimmungen, aber hauptsächlich den zivilrechtlichen Problem­stellungen, wenn es um die Frage geht, wer für einen Schaden aufkommt. Wenn sich allerdings ein Polizeibeamter außerhalb des Dienstes in den Dienst stellt, dann gelten die gleichen Regeln, wie wenn er eine Uniform anhätte. Das heißt, es gelten für ihn genau die gleichen Einschränkungen nach dem Waffengebrauchsgesetz und er müsste genau die gleichen Abwägungen treffen, wie wenn er die Waffe in seiner Dienstzeit gebraucht hätte.

Da wäre die Abwägung der Verhältnismäßigkeit: Wann darf ich welche Waffe zur Anwen­dung bringen?, aber auch die Frage der Abgrenzung, dass andere nicht zu Schaden kommen. Das gilt, wie gesagt, auch für die Beamten, wenn sie außerhalb des Dienstes sind und sich in den Dienst stellen.

Zweitens möchte ich in diesem Zusammenhang auf ein Paradoxon aufmerksam machen: Unter bestimmten Umständen hat sich der Polizist, auch wenn er sich außer­halb des Dienstes befindet, nach den gesetzlichen Verpflichtungen in den Dienst zu stellen. Er kann es sich also nicht aussuchen; bei schweren Delikten hat sich der Poli­zeibeamte in den Dienst zu stellen, um anderen zu helfen, denn darum geht es ja in erster Linie, wenn er sich in den Dienst stellt. Ich spreche jetzt nicht von Notwehr. Dann hat er nämlich sowieso jedes Recht – wie jeder andere auch, wenn es um die Verteidigung seines eigenen Lebens, seiner Gesundheit, seiner körperlichen Unver­sehrtheit geht, das ist ja nicht das Thema.

Das Thema ist, dass er jemand anderem als Polizist helfen, beistehen muss, weil eben eine schwere Straftat droht. Und dass man da sagt, die bösen Buben, sei es vom IS oder von sonstigen schlimmen Organisationen, dürfen mit halbautomatischen Waffen in der Gegend herumlaufen – zwar nicht legal, aber sie machen es einfach –, aber den Beamten, der da pflichtgemäß einschreiten muss, beschränkt man auf ein 9-Millimeter-Kaliber, das ist ein Paradoxon, dessen Sinnhaftigkeit mir erst einer erklären muss!

Trotzdem danke ich noch einmal der Volksanwaltschaft für diesen umfassenden und, man muss auch sagen, sehr kurzweiligen Bericht. Trotz der vielen Seiten, die gefüllt wurden, ist es interessant zu lesen, was sich alles im Bereich der Verwaltung in Österreich Positives, aber auch Negatives abspielt. Das ist eine wichtige Rückmeldung für uns als Gesetzgeber. (Vizepräsident Gödl gibt das Glockenzeichen.)

Schlusssatz: Ich wünsche der Volksanwaltschaft alles Gute, weiterhin viel Erfolg und bestmögliches positives Wirken zum Wohle der österreichischen Staatsbürger. – Danke. (Beifall bei der FPÖ.)

11.11


Vizepräsident Mag. Ernst Gödl: Frau Bundesrätin Mag. Dr. Dziedzic gelangt als Nächste zu Wort. – Bitte, Frau Bundesrätin.

 


11.11.55

Bundesrätin Mag. Dr. Ewa Dziedzic (Grüne, Wien): Geschätzte Volksanwälte! Frau Volksanwältin! Wertes Präsidium! Werte Kollegen und Kolleginnen! Ich habe ein wenig das Gefühl, dass bei diesem Tagesordnungspunkt die Aufmerksamkeit hier im Saal enorm gesunken ist. Ich führe das darauf zurück, dass der Herr Bundeskanzler und die Kameraleute den Saal verlassen haben.

Ich denke aber, dass wir der Volksanwaltschaft genau diese Aufmerksamkeit zukom­men lassen sollten; und zwar nicht nur weil ihre Stellung sehr relevant und ihre Arbeit sehr wichtig ist, sondern weil wir auch darüber reden müssen, wie notwendig eine unabhängige Beurteilung seitens der Volksanwaltschaft für unser politisches Tun ist. (Beifall bei Grünen und ÖVP.)

Ich schließe mich jedenfalls dem wertschätzenden Dank meiner Vorredner und Vor­rednerinnen an und möchte betonen, dass die Kontrollfähigkeit genauso wichtig ist wie die Vorschläge präventiver Natur. Sehr wichtig für mich ist aber auch die Rolle der Volksanwaltschaft, wenn es darum geht, Mängel, Lücken beim Schutz der Grund- und Menschenrechte aufzuzeigen.

Aktuell ist für mich – und das nicht nur vor, sondern auch nach dem Sommer – der Sonderbericht der Volksanwaltschaft zu einem Prüfverfahren im Anhaltezentrum Vordernberg, wo Schubhäftlinge in vielen Bereichen von privatem Sicherheitspersonal betreut werden.

In aller Kürze: Wir haben die Zustände dort bereits vor dem Bericht kritisiert, und die Volksanwaltschaft kommt mehr oder weniger auf dieselben Missstände, die es zu kritisieren gilt. Ich hoffe deshalb sehr, dass dieser Bericht auch dazu beitragen wird, dass in Zukunft diese Verträge tatsächlich aufgelöst werden.

Aktuell und wichtig ist auch die internationale Rolle der Volksanwaltschaft. In zwei Wochen erscheint nämlich ein Bericht zur Lage in Polen. Das finde ich politisch wie persönlich sehr spannend. Wir wissen nämlich jetzt schon, dass die rechtsautoritäre Regierung in Polen nicht nur die Arbeit des Verfassungsgerichtshofes de facto verun­möglicht hat, zumindest die objektiv-neutrale Beurteilung der Vorgänge, sondern dass die verfassungsrechtlichen Entwicklungen enorme Auswirkungen auf die Om­buds­einrichtung der Volksanwaltschaft in Polen haben.

Das heißt, die Einrichtung des polnischen Ombudsmannes war in jüngster Zeit nicht nur mit Budgetkürzungen, sondern auch mit Mandatseinschränkungen konfrontiert; und ich glaube, ich muss Ihnen allen nicht erklären, wie wesentlich da natürlich das Agieren der polnischen Partei Recht und Gerechtigkeit war.

Daraus können wir in Österreich jedenfalls Folgendes lernen: Die Unabhängigkeit der Volksanwaltschaft ist wichtig, richtig und auch zu forcieren. Deshalb bin ich sehr froh, dass es hier Offenheit gegenüber der Diskussion gibt, wie in Zukunft die Volksanwalt­schaft bestellt werden soll. Wir wissen, dass es derzeit einen parteipolitischen Proporz gibt, der genau diese Unabhängigkeit untergräbt. (Zwischenruf der Bundesrätin Mühlwerth.)

Da muss es aus unserer Sicht – das wird Ihnen wahrscheinlich auch bekannt sein – vor allem Transparenz geben. Der Bestellmodus darf eben nicht auf diesem Proporz beruhen, weil nämlich die Erfolgsgeschichte der Volksanwaltschaft in Österreich nicht für parteipolitische Ansichten und Beurteilungen instrumentalisiert werden darf. In diesem Fall sollten wir uns kein Beispiel an Polen nehmen.

Ich rege nochmals an, dass diese Diskussion, was die Bestellung anbelangt, tat­säch­lich auch in Zukunft geführt wird. – Vielen Dank. (Beifall bei den Grünen. – Zwischenruf der Bundesrätin Mühlwerth.)

11.16


Vizepräsident Mag. Ernst Gödl: Bevor ich Frau Bundesrätin Ledl-Rossmann das Wort erteile, darf ich bei uns in der Bundesratssitzung die Kolleginnen des Wiener Frauenpräsidiums der Produktionsgewerkschaft sehr herzlich begrüßen. – Herzlich willkommen im Bundesrat! (Allgemeiner Beifall.)

Bitte, Frau Bundesrätin.

 


11.16.49

Bundesrätin Sonja Ledl-Rossmann (ÖVP, Tirol): Herr Präsident! Geschätzte Frau Volksanwältin! Geschätzte Herren Volksanwälte! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Wie auch allen Vorrednerinnen und Vorrednern ist es auch mir wieder wichtig, über die Volksanwaltschaft zu reden.

Es ist ja schon fast Tradition, dass ich das jedes Jahr mache. Dies zum einen, weil die Themen, die darin enthalten sind, auch mir ein wirklich ganz großes Anliegen sind; andererseits finde ich es auch spannend, wenn man sich jedes Jahr genau mit diesem Bericht auseinandersetzt und da Gott sei Dank auch feststellen kann, dass auch so manche, muss ich auch sagen, schlimmen Bilder, die mich auch immer sehr belastet haben, in dieser Form vielleicht nicht mehr vorkommen. Aber wir wissen alle, es gibt auch genug zu tun.

Ich glaube, wir alle können unsere berufliche Herkunft nicht leugnen. Meistens lesen wir gerade jene Kapitel sehr genau, die von Themen handeln, mit denen wir aufgrund unserer Ausbildung oder unseres Berufs sehr verbunden sind. So darf auch ich einen Bereich herausnehmen, stellvertretend für alle, die darin angeführt werden, nämlich jenen der Alten- und Pflegeheime.

Es wurden im Berichtszeitraum 105 Alten- und Pflegeheime besucht. Einmal mehr lese ich das mit sehr gemischten Gefühlen. Ich weiß, dass es sehr viele Heime gibt, in denen wirklich großartig gearbeitet wird. Umso mehr macht es mich traurig und nachdenklich, dass es immer wieder Themen gibt, die meiner Ansicht nach in der heutigen Zeit nicht mehr vorkommen dürften.

Kollegin Gruber-Pruner hat es auch schon angesprochen: Einer der Punkte, die zu ändern, es mir eigentlich relativ einfach erscheint, ist der Tagesablauf. Es wird teil­weise von Tagesabläufen berichtet mit Essenszeiten, die keiner von uns so leben wür­de: dass um 9 Uhr gemeinsames Frühstück ist, dass man um 11.15 Uhr schon Mittag essen kann, dass man zwischen 16 Uhr und 16.30 Uhr das Abendessen bekommt und dann – ich sage es jetzt wirklich überspitzt – „rechtzeitig“ um 16.30 Uhr unter Um­ständen schon im Bett ist.

Aus eigener Erfahrung weiß ich – und es wurde ja auch angeführt –, dass man das durch Verschiebung von Dienstzeiten wie zum Beispiel durch Einführung eines Spät­dienstes personell sehr wohl so aufstellen kann, dass ein Tagesablauf gewährleistet wird, der auch dem reellen Leben entspricht.

Das Thema Medikation ist leider nach wie vor dabei. Wenn es um Sedierungs­maßnahmen geht, wenn der Eindruck entsteht, dass manche Leute damit nur ruhig­gestellt werden oder, wie bereits erwähnt, schon um 16.30 Uhr mit der Schlafmedi­kation im Bett liegen, dann sind das Umstände, wobei ich froh bin, wenn diese ganz klar aufgezeigt werden.

Ein Bereich, der die Altenpflege betrifft, ist natürlich die Sturzprävention. Das Heim­aufenthaltsgesetz gibt es schon lange, und es gibt eine Meldepflicht bei freiheits­beschränkenden Maßnahmen. Aber auch da gibt es leider noch Häuser, in denen das nicht funktioniert, in denen nicht gemeldet wird oder auch nicht das gelindeste Mittel gesucht wird.

Mir ist immer wichtig, festzuhalten, dass es für das Pflegepersonal nicht einfach ist. Auch wenn sie der Meinung sind, dass es das gelindeste Mittel ist, müssen sie gleichzeitig Angst davor haben, was mit ihnen geschieht, falls dieser Bewohner oder diese Bewohnerin trotzdem stürzt. Nichtsdestotrotz gehört ein solcher Vorfall gemeldet und mit der Bewohnervertretung besprochen. Werden Fälle bekannt, in denen alte Menschen mit einem Bademantelgurt fixiert werden, was unter Umständen auch zu lebensbedrohlichen Situationen führen kann, dann gehört eine solche Praxis wirklich abgeschafft.

Das Thema Sturzprävention ist im Zusammenhang mit dem Thema Barrierefreiheit zu behandeln. Diesbezüglich möchte ich noch auf einen kleinen Punkt eingehen, der mich wirklich sehr überrascht hat: Dass es für ein älteres, jahrelang bestehendes Heim natürlich oft schwierig ist, Umbaumaßnahmen durchzuführen, um dieses zeitgerecht zu gestalten, verstehe ich ja noch, aber dass es neu gebaute Wohn- und Pflegeheime gibt, die nicht barrierefrei sind, hat mich wirklich negativ beeindruckt. Ich hätte eine sehr leicht umsetzbare Empfehlung, um so etwas in Zukunft zu vermeiden: Es ist während der Planung das Pflegepersonal miteinzubinden. Ich glaube, dass dieses am allerbesten weiß, worauf zu achten ist.

Die vorangegangenen Punkte, die von mir erwähnt wurden, hängen wie so viele Bereiche oft mit der Problematik der fehlenden Personalressourcen zusammen.

Es gibt ein Kapitel, das für mich immer sehr unangenehm zu lesen ist, nämlich wenn es um das Thema Gewalt in der Pflege geht. Da geht es um Gewalterfahrungen, die wir uns alle nicht vorstellen wollen. Für eines bin ich diesem Bericht, der weder wertend noch urteilend geschrieben ist – das war Gott sei Dank noch nie der Fall –, dankbar: Diesmal scheint mir die Aussage, dass das Personal oft wirklich nichts dafür kann und es am System scheitert, klarer formuliert denn je.

Es mag einzelne Personen geben, bei denen man vielleicht sagt, sie hätten anstatt des Pflegeberufs einen anderen wählen sollen, aber der große Teil der Vorfälle ereignet sich aufgrund der Anspannung und Personalknappheit, wenn das Pflegepersonal sehr unter Druck steht. Falls solche Phasen nur kurze Zeit andauern, dann bin auch ich der Meinung, dass man es trotzdem schaffen muss, Menschen würdig und liebevoll zu pflegen. Wenn aber ein Personalmangel und der Druck auf das Pflegepersonal über Monate anhalten, kommt das Team an seine Grenzen. In diesem Bericht wurde genau diese Gratwanderung ganz klar aufgezeigt und auch, wie wichtig es ist, auf die Mitarbeiter zu schauen, ihnen Supervision anzubieten, besser mit ihnen zusammen­zuarbeiten, aber natürlich auch zu schauen, dass genügend Personal vorhanden ist.

Das ist wahrscheinlich auch oft der schwierigste Teil. Ich weiß selbst, wie schwierig es ist, ein Budget zu verantworten, zu vertreten, die Tagsätze zu kalkulieren – also jenen Betrag, den die Bewohnerinnen und Bewohner im Monat für das Heim bezahlen –, mit denen eigentlich alle Kosten abgedeckt werden sollten, was aber in Wirklichkeit nicht funktionieren kann. Ich kann jedes Budget drehen und wenden, wie ich will, der größte Kostenpunkt bleibt das Personal. Sollte es sich mit dem Budget nicht ausgehen, dann trifft es natürlich auch den Träger. Ich möchte keine Träger pauschal verurteilen.

Wer sind die Träger von Wohn- und Altenpflegeheimen? – Es gibt private Träger, aber vielfach sind es eben auch die Gemeinde oder Gemeindeverbände. Und ich möchte mich dagegen verwahren, jenen Vertretern oder Bürgermeisterinnen und Bürgermeis­tern, die da drinnen sitzen, einen Vorwurf zu machen. Sie haben selbst dieses Budget zu verantworten, und zum großen Teil sind sie oft einfach nicht nahe genug an diesem Thema dran. Ich glaube, diesbezüglich bedarf es in Zukunft ganz viel Bewusst­seins­bildung, denn hinsichtlich der demographischen Entwicklung wird uns dieses Thema noch sehr lange und intensiv begleiten. Aber es ist machbar.

Ich kann auch aus eigener Erfahrung berichten: Ich habe jährlich 37 Bürgermeister davon überzeugen müssen und dürfen, dass es wichtig ist, für diesen Bereich zusätz­liches Geld in die Hand zu nehmen. Es kann auch viel damit erreicht werden, manche Personen immer wieder darauf hinzuweisen, dass niemand einen Garantiezettel in der Hand hält, der verspricht, dass man selbst nicht einmal in dieses Heim kommt. Es hilft auch, die Person zu fragen, welche Pflege sie sich in einem solchen Fall wünschen würde. (Beifall bei ÖVP, SPÖ und Grünen.)

Zum Abschluss, mein Appell und meine Aussage sind folgende: Es wurden Fälle aufge­zeigt, die es leider immer noch gibt, aber ich will immer wieder eine Lanze brechen für all jene Heime, in denen es gut funktioniert, die uns beweisen, dass solche Dinge nicht mehr vorkommen müssen und man viel machen kann, um Problemen entgegenzuwirken. Aber genau diese Fälle zeigen – und darin sind wir, die heute dazu reden, uns auch alle einig –, wie wichtig es ist, dass wir die Einrichtung der Volksan­waltschaft haben. Ein parlamentarisches Organ, das eine Anlaufstelle ist, welches das Vertrauen der Menschen in Österreich genießt, zur Kontrolle dient, aber auch zur Prävention.

Meinem Dank für die Arbeit und den Einsatz der Volksanwaltsanwälte möchte ich zusätzlich hinzufügen, dass uns allen bewusst ist, dass die Arbeit eures Teams keine einfache ist. Ihr befindet euch in einem Spannungsfeld: Bei Kontrollbesuchen werdet ihr sicher nicht gerade mit offenen Armen empfangen, und trotzdem gelingt die Arbeit immer.

Ich glaube, es ist wichtig, nicht immer nur die Missstände aufzuzeigen, sondern auch das Bemühen der Betroffenen, der Einrichtungen festzustellen und gemeinsam eine Lösung zu finden. Das ist der richtige Weg.

Auch wenn es oft schwierige Themen sind, müssen wir, glaube ich, alles dafür tun, die Kultur des Wegschauens zu beenden. Es gehört genauer hingeschaut, und hoffentlich erreichen wir einen Punkt, an dem solche Fälle immer weniger werden. Und alles, was wir politisch dazu beitragen können, müssen wir auch tun. Damit darf ich abschließend dem ganzen Team weiterhin alles Gute wünschen. Bitte zeigt weiterhin so viel Einsatz, Engagement und Herz, denn die Menschen in Österreich brauchen euch! – Danke. (Beifall bei ÖVP, SPÖ und Grünen.)

11.26


Vizepräsident Mag. Ernst Gödl: Als Nächster gelangt Herr Bundesrat Weber zu Wort. – Bitte.

 


11.26.46

Bundesrat Martin Weber (SPÖ, Steiermark): Sehr geehrter Herr Präsident! Werte Frau Volksanwältin! Meine werten Herren Volksanwälte! Liebe Kolleginnen und Kolle-gen! Gegenüber dem Jahr 2014 verzeichnet die Volksanwaltschaft im Jahr 2015 doch einen erheblichen Rückgang an Beschwerden. In 17 732 Fällen fühlten sich Personen von einer Behörde schlecht behandelt oder unzureichend informiert. Die Beschwerden gingen somit im Jahr 2015 um circa 9 Prozent zurück. Die Volksanwaltschaft kontrol­liert seit 38 Jahren im Auftrag der Bundesverfassung die öffentliche Verwaltung in Österreich.

Es setzt sich wie im Jahr 2014 fort, dass auch im Jahr 2015 nicht mehr der Sozial­bereich bei Beschwerden an erster Stelle steht, sondern der Bereich der inneren Sicherheit. Dabei sind es, in absoluten Zahlen angegeben, nur um acht Fälle weniger gegenüber der inneren Sicherheit. Beide Bereiche gemeinsam machen fast 60 Prozent aller Beschwerdefälle aus.

Jedoch stieg die Anzahl der Beschwerden im Sozialbereich gegenüber dem Vorjahr um 39 Prozent an. Anlass zur Beschwerde gaben insbesondere Mängel im Bereich des Arbeitsmarktservices, der Pflegegeldeinstufung sowie Probleme rund um das Pen­sionsversicherungsrecht, anhaltend hoch ist auch das Beschwerdeaufkommen von Menschen mit Behinderung.

Im Jahr 2015 waren durchschnittlich 90 Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter in der Volksanwaltschaft tätig, welche durchschnittlich 69 Eingaben pro Arbeitstag bekommen haben, im Jahr 2014 waren es 84 Eingaben pro Tag. Die Zahl der Beschwerden hat abgenommen, was darauf schließen lässt, dass die Unzufriedenheit mit der Arbeit der Verwaltung und Behörden ebenfalls abnimmt, was sehr positiv ist.

In rund 4 000 Fällen war die Volksanwaltschaft nicht zuständig, hat aber in diesen Fällen Information und Auskunft zur weitergehenden Beratung gegeben. Kurz gesagt, sie ist eine wertvolle Servicestelle für alle Bürgerinnen und Bürger. Wie schon gesagt, im Bereich der Justizverwaltung sind die Beschwerden stark gestiegen. Hauptgründe dafür sind hierbei die Zunahme an asylrechtlichen Beschwerden. 760 Prüfverfahren wurden aufgrund von Beschwerden über die Justiz eingeleitet. Diese Anliegen betref­fen die Dauer von Gerichtsverfahren und Verfahren der Staatsanwaltschaften und den Strafvollzug.

Es geht ebenfalls um Themen, für welche die Volksanwaltschaft nicht direkt zuständig ist, allerdings die Möglichkeit aufgreift, darauf aufmerksam zu machen. Es geht vor allem um Probleme rund um die Sachwalterschaft.

In der Landes- und Gemeindeverwaltung gab es 2015 insgesamt circa 2 900 Prüfver­fahren, hierin findet sich auch ein leichter Rückgang. Das dürfte meiner Meinung nach auch auf die gute Arbeit, die unsere Bürgermeisterinnen und Bürgermeister vor Ort bei den Menschen leisten, zurückzuführen sein. Ich möchte all meinen Kolleginnen und Kollegen auch herzlich dazu gratulieren. (Beifall bei der SPÖ.)

Die meisten Beschwerden auf Landes- und Gemeindeebene entfallen auf die Bereiche Raumordnung und Baurecht. Ungebrochen hoch ist die Anzahl der Prüffälle betreffend Jugendwohlfahrt, Mindestsicherung und Angelegenheiten von Menschen mit Behinde­rungen im Landes- und Gemeindebereich. Die erfreuliche Bilanz 2015 zeigt – und das gehört für mich auf jeden Fall auch zu diesem Bericht –, dass mehr als 7 800 Fälle, welche die Volksanwaltschaft angenommen hat, auch abgeschlossen werden konnten. Zusätzlich zu den 2 300 abgeschlossenen Fällen aus dem Jahr 2014 ergeben sich insgesamt über 10 000 Fälle, welche abgeschlossen werden konnten. Die Volksanwalt­schaft informiert die Betroffenen im Schnitt nach 45 Tagen über das Ergebnis der Überprüfung. Es wurden 2015 auch 90 amtswegige Prüfverfahren eingeleitet, was ebenfalls einen leichten Rückgang gegenüber dem Vorjahr bedeutet.

Der Erfolg der Volksanwaltschaft lässt sich unter anderem daran messen, wie hoch die Akzeptanz in der Bevölkerung ist. Die bereits erwähnten Zahlen belegen eindrucksvoll, dass sich viele Bürgerinnen und Bürger an die Volksanwaltschaft wenden, wenn sie sich von der Verwaltung nicht fair behandelt fühlen. Eine maßgebliche Rolle spielt dabei, dass die Volksanwaltschaft sehr einfach formlos zu kontaktieren ist. Beschwer­den können persönlich, telefonisch oder schriftlich eingebracht werden.

Die Bilanz hierzu zeigt folgendes Bild: 243 Sprechtage mit 1 500 Vorsprachen wurden durchgeführt, 7 900 Menschen kontaktierten den Auskunftsdienst persönlich oder tele­fonisch, 17 200 Menschen schrieben an die Volksanwaltschaft, davon 6 800 Frauen, 9 700 Männer und 630 Personengruppen.

Im Rahmen des Nationalen Präventionsmechanismus wurden gemeinsam mit Exper­ten­kommissionen rund 500 Einsätze in öffentlichen und privaten Einrichtungen getätigt, in denen es zu Freiheitsbeschränkungen kommt oder kommen kann. Der überwie­gende Anteil, nämlich 85 Prozent, der Besuche fand unangekündigt statt. Meine Vor­rednerin hat es schon gesagt, beim einen oder anderen Besuch wurde wahrscheinlich nicht mit offenen Armen empfangen. Hierzu zählen zum Beispiel Justizanstalten, Alten- und Pflegeheime, psychiatrische Anstalten und Krisenzentren. Darüber hinaus kon­trolliert sie Einrichtungen und Programme für Menschen mit Behinderung, um Aus­beutung, Gewalt und Missbrauch hintanzuhalten.

Die Volksanwaltschaft und ihre Kommissionen beobachten und überprüfen auch die Ausübung unmittelbarer Befehls- und Zwangsgewalt durch die Exekutive, insbeson­dere bei Abschiebungen und Demonstrationen.

Zu erwähnen ist noch, dass die Breitenwirkung der ORF-Sendung „Bürgeranwalt“ mit bis zu 500 000 Zuseherinnen und Zusehern eine weitere öffentlich-wirksame Plattform für die Volksanwaltschaft ist. Es kommen Beschwerdeführerinnen und Beschwerde­führer, Behördenvertreter sowie Volksanwälte zu Wort, um aus dem Leben gegriffene Problemfälle lösungsorientiert zu diskutieren. Ebenso erwähnenswert ist auch die internationale Aktivität, welche die Volksanwaltschaft betreibt.

Abschließend kann ich Ihnen allen, liebe Kolleginnen und Kollegen, empfehlen, den Newsletter der Volksanwaltschaft zu abonnieren, denn Bürgernähe funktioniert in der Volksanwaltschaft hervorragend.

Liebe Kolleginnen und Kollegen! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Es würde uns allen sehr gut tun, den Bericht der Volksanwaltschaft genau zu lesen und genau zu studieren, denn viele Punkte, die sich in diesem Bericht auf das Jahr 2015 beziehen, sind aktueller denn je. Es werden die Herausforderungen für unsere Gesellschaft sehr gut abgebildet, wenn es um Prävention, Integration, soziale Sicherheit und Men­schenrechte, Wahrnehmung tatsächlicher behördlicher Vorschriften und die Bürokratie geht.

Daher nehmen wir diesen Bericht sehr gerne zur Kenntnis. Ich darf mich bei den Kolleginnen und Kollegen der Volksanwaltschaft für diesen umfangreichen Bericht und ihre Arbeit für die Bürgerinnen und Bürger in Österreich herzlich bedanken. – Danke. (Beifall bei SPÖ, ÖVP und Grünen.)

11.36


Vizepräsident Mag. Ernst Gödl: Als Nächste gelangen die Volksanwältinnen und Volksanwälte zu Wort.

Als Erste zu Wort gemeldet ist Frau Volksanwältin Dr. Brinek. – Bitte.

 


11.36.17

Volksanwältin Dr. Gertrude Brinek: Sehr geehrter Herr Präsident! Hoher Bundesrat! Ich melde mich als Erste zu Wort, da ich zu der schon erwähnten Aufzeichnung der Sendung „Bürgeranwalt“ fahren muss. Anschließend werden meine Kollegen zu ihren jeweiligen Arbeitsbereichen genauer ausführen.

Ich möchte ebenfalls mit einer Danksagung beginnen: Danke für die Aufmerksamkeit, die der Bundesrat, die Bundesrätinnen und Bundesräte, unserer Arbeit schenkt. Wir wissen es zu würdigen und wertzuschätzen. – Vielen Dank in diesem Zusammenhang.

Eine Grundregel unserer Arbeit, aber auch Ihrer Arbeit ist: Gesetze und Verordnungen sind einzuhalten. Daher prüfen wir das verordnungsgemäße und gesetzeskonforme Vorgehen der Behörden und Ämter der Behörden, und wenn nötig, auch die Säum­nisse der Gerichte.

Das heißt, kein Problem ist uns zu klein, aber auch keines zu groß. Wir haben keine besondere Scheu, wenn es um große Angelegenheiten geht oder darum, eventuell amtswegig tätig zu werden. Ich möchte für unsere generelle Arbeitshaltung sagen und unterstreichen, dass wir uns sicher nicht von irgendeinem Unternehmen oder einem Projekt eingeschüchtert zeigen oder übermäßigen davor Respekt haben.

Letztlich gilt für uns, dass die Einführung der Verwaltungsgerichte unsere Arbeit sicher auch beeinflusst hat, weil sie an die Stelle der Oberbehörden getreten sind. Ich bitte jedoch, darauf aufmerksam machen zu dürfen – da vorhin das Thema ihrer Arbeitszeit oder Erledigungsdauer aufgeworfen wurde –, dass sie an sechs Monate gebunden sind, was gegenüber anderen Normalgerichten erstaunlich ist, da diese ja mit keiner Erledigungsdauer konfrontiert sind – also sechs Monate. Diese werden in der Regel auch genutzt und gebraucht, da erste Erfahrungswerte gesammelt werden müssen.

In der Tat sind wir auch mit nicht gerade bürgernahen Formen der Erledigung konfron­tiert, etwa in meinen Bereichen Finanzverwaltung und Angelegenheiten, die die Selbständigen und Unternehmer betreffen. Das betraf etwa im Vorjahr den Handwer­kerbonus. Wenn laufend Stichtage, Modi der Erledigung, Bearbeitung geändert wer­den, dann kennt sich am Ende keiner aus, weder der Handwerker noch der Bonus­einreicher oder sonst jemand. Der Anspruch war ja, gute Lösungen zu machen, die Unternehmertätigkeit aus der Schwarzarbeit zu holen, diese anzuregen. Wenn diese aber so kompliziert sind, dann nützt sie niemand. Es wurde Besserung zugesagt. Wir werden sehen.

Justiz und Justizanstalten sind angesprochen worden: Auch hierbei hat das gemein­same Drängen zu einer Aufstockung des Personals geführt. Die Herausforderung ist groß – wenn Sie so wollen und das kein Paradox ist –, die jeweiligen Maßnahmen den Kriminalitätskulturen entsprechend anzupassen, Therapie statt Strafe etwa im gegen­wärtig heiß diskutierten Maßnahmenvollzug walten zu lassen. Dennoch ist die Sicher­heit nicht nur für das Personal, sondern auch für die Bevölkerung an die oberste Stelle zu reihen. Es wird diesbezüglich sehr systematisch vorgegangen, und wir rechnen damit – nicht zuletzt auch, weil wir alle miteinander darauf drängen –, dass demnächst ein neues Maßnahmenvollzugsgesetz kommen wird.

Das „schönere“ Gesetz, das wir erwarten, weil hoffentlich mehr Leute in einem guten Sinn davon profitieren werden, ist das Erwachsenenschutzgesetz. Da ist die Begut­achtungsfrist bereits abgelaufen. Es wird am finalen Produkt gearbeitet, das hoffentlich in diesem Herbst rasch den Ausschuss im Nationalrat und dann auch den Bundesrat erreichen wird. Damit soll etwas, was die Volksanwaltschaft über Jahre hinweg bean­standet hat, beendet werden, dass nämlich zu früh, zu lang, zu umfassend und zu unkontrolliert Sachwalterschaften angeordnet werden, die letztlich auf Entmündigung und Entrechtung hinauslaufen. Es wird nunmehr mit abgestuften Varianten gearbeitet, mit der Bewerbung der Vorsorgevollmacht, mit der gewählten, der gesetzlichen und dann erst mit der gerichtlich angeordneten Vertretung, sodass der Sachwalter alten Typs erst die Ultima Ratio ganz am Ende ist, das wäre das Ziel. Und ich lade Sie jetzt schon ein, ich ersuche Sie, diesem Gesetz große Aufmerksamkeit zu schenken und dann Ihre Zustimmung zu geben.

Es ist die Zusammenarbeit mit den Bundesländern angesprochen worden und die Reaktion der Institutionen auf die Kontrolle durch den Nationalen Präventions­mecha­nis­mus. Ich stelle fest, dass es ein größeres Verständnis gibt, weil es ein größeres, immer mehr zunehmendes Wissen über die Tätigkeit gibt. Die Bundesländer laden uns auch immer öfter in die Landtage ein. Am Freitag hatten wir gleichzeitig Wien und Tirol zu besuchen, was dazu führte, dass wir uns aufteilen mussten. Wir sind zuversichtlich, dass diese gute Übung und Praxis weiterhin stattfinden und unserer Arbeit auch zuträglich sein wird.

Die Sendung „Bürgeranwalt“ ist schon erwähnt worden. Über die freuen wir uns sehr und hoffen, dass das auch weiterhin gut funktionieren wird.

Damit möchte ich mich nunmehr auf den Weg zum Küniglberg begeben. Soweit noch Fragen meinen Arbeitsbereich betreffend offen geblieben sind, bitte ich Sie, diese schriftlich zu stellen. Wir werden sie dann auch schriftlich beantworten.

Ich habe herausgehört, dass Sie mit unserer sensiblen, transparenten, hartnäckigen und kompetenten Arbeit sehr zufrieden sind. Das nehmen wir als Auftrag und werden auch in der nächsten Zeit entsprechend weiterarbeiten. – Ich bedanke mich für die Aufmerksamkeit. (Allgemeiner Beifall.)

11.41


Vizepräsident Mag. Ernst Gödl: Danke, Frau Volksanwältin. (Volksanwältin Brinek: Ich hoffe, Sie finden es nicht unhöflich, wenn ich jetzt gehe!) – Nein, wir haben volles Verständnis.

Als Nächstem darf ich Herrn Volksanwalt Dr. Kräuter das Wort erteilen. – Bitte.

 


11.42.15

Volksanwalt Dr. Günther Kräuter: Meine sehr geehrten Damen und Herren! Mit Zu­stimmung des Präsidenten habe ich mich ans Rednerpult begeben; das ist irgendwie auch eine Rückkehr ins Hohe Haus.

Ich möchte mich bei Ihnen für die freundlichen Worte und die Anerkennung sehr herz­lich bedanken. Ich werde das sehr gerne an unsere Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter weiterleiten. Sie haben ein Save-the-Date erhalten. Wir haben im Jänner hier im Parlament eine Feierstunde „40 Jahre Volksanwaltschaft“, und wir wünschen uns sehr, dass Sie uns die Ehre geben und bei dieser Veranstaltung dabei sind.

Die Individualbeschwerden gehen wieder Richtung 20 000 jährlich. Wir haben zurzeit 16 Prozent Steigerung gegenüber dem Vergleichsmonat des Vorjahres, und daher haben wir auch ein großes Anliegen an den Gesetzgeber im Interesse der Bevöl-kerung, das ich dann später noch gerne formulieren möchte.

Wir führen österreichweit Sprechtage durch, sehr viele Beschwerden kommen aber schriftlich oder online zu uns. Rund 15 Prozent sind dann letztlich Missstände, die wir feststellen, und dazu leiten wir dann Empfehlungen und Reformvorschläge an die zuständigen Stellen weiter.

Hin und wieder kommt es auch zu amtswegigen Prüfverfahren. Frau Bundesrätin Mag. Gruber-Pruner hat hervorragend unser Präventivmandat beschrieben, unser Menschenrechtsmandat mittels unserer Besuchskommissionen. In der Kinder- und Jugendpsychiatrie haben wir tatsächlich einen Notstand in Österreich. Erfreulich ist, dass im Wiener Landtag vor einigen Tagen – vorige Woche war die Sitzung – ein Bekenntnis aller Parteien zustande kam, dass man da dringend etwas tun muss. Und ich gehe davon aus, dass wir da jetzt auch in der Steiermark – bitte, da gibt es keine einzige Kassenplanstelle für Kinder- und Jugendpsychiatrie – ein paar entscheidende Schritte weiterkommen. In Wien ist es so, dass im Durchschnitt täglich noch zwei Kinder oder Jugendliche auf der Erwachsenenpsychiatrie landen, mit entsetzlichen Folgen. Da gibt es einen Suizidfall. Ein 16-jähriges Mädchen hat sich aufgrund dieser Umstände das Leben genommen. Das heißt, da ist wirklich Handlungsbedarf gegeben.

Ich bedanke mich auch sehr für die politische Unterstützung, was den präventiven Menschenrechtsschutz in Pflegeeinrichtungen betrifft. Bei Demenzerkrankungen beispielsweise, die ja leider sehr stark zunehmen, ist es extrem wichtig, dass die Betreuung wirklich entsprechend geschult, professionell, kompetent und auf men­schenrechtlicher Basis erfolgt, und da ist in vielen Bereichen noch sehr, sehr viel zu tun. Frau Bundesrätin Ledl-Rossmann, vielen Dank für Ihre Hinweise!

Wir haben in Wien seit 2009 das Generalsekretariat des weltweiten Verbandes, des International Ombudsman Institutes. Wir haben weltweit derzeit 175 Mitglieder in mehr als 90 Ländern. Wir bieten Trainings und Seminare an, führen Forschungsprojekte durch, vergeben Regionalsubventionen. In Vilnius beispielsweise haben wir selbst im Frühjahr ein Training zum präventiven Menschenrechtsschutz im Zusammenhang mit psychiatrischen Einrichtungen veranstaltet. Wir haben auch einen Teil des Forums Alpbach mitgestaltet. „Human Rights on the Run“, also Menschenrechte auf der Flucht, war dort unser Thema. Wir sind Teil eines Netzwerkes auf der sogenannten Balkan­route. Wir haben vor Kurzem in Tirana eine Deklaration zum Menschenrechtsschutz im Zusammenhang mit Menschen auf der Flucht verabschiedet und unterstützen natürlich auch Ombudseinrichtungen, wenn Ombudsleute unter Druck geraten.

Frau Bundesrätin Dziedzic hat die Situation in Polen angesprochen. Ich war mit dem europäischen Präsidenten des Verbandes vor einigen Wochen vor Ort. Wir haben Gespräche geführt mit NGOs, mit Höchstrichtern, mit Regierungsstellen, aber auch mit verschiedensten Vertretern der Wissenschaft, Forschung und Medien in Polen und haben leider auch ein erschütterndes Resümee zu ziehen. Wir werden am 24. Oktober bei einer Pressekonferenz in Warschau unseren Bericht veröffentlichen, weil die Situ­ation für den polnischen Ombudsmann tatsächlich eine sehr prekäre ist und er sehr unter Druck steht. Er setzt sich sehr für Minderheiten ein, für Menschenrechte, und Dr. Bodnar, der ein ausgesprochen kompetenter und initiativer Kollege ist, verdient unsere volle Unterstützung.

Auch die Türkei wurde angesprochen. Ich habe natürlich auch Schriftverkehr mit den türkischen Kollegen. Sie versichern schriftlich, dass sie derzeit keine Einschränkungen erleben. Ich muss aber ganz ehrlich sagen, dass die türkische Einrichtung sehr jung ist. Es gibt sie erst drei Jahre. Wie sehr dort letztendlich die Unabhängigkeit ausgeprägt ist, muss man ein bisschen mit einem Fragezeichen versehen. Jedenfalls versuchen wir, die Situation sehr genau zu beobachten.

Die Frau Kollegin der grünen Fraktion hat auch den Bestellvorgang der Volksanwälte angesprochen. Das ist letztendlich Sache des Parlaments. Im Jahr 1977 wurde die Regelung getroffen, dass alle sechs Jahre die jeweils drei stärksten Fraktionen im Parlament ein Vorschlagsrecht haben. Das hat man seither nie mehr geändert, es ist auch nicht ganz undemokratisch, wenn ich mir diese Bemerkung erlauben darf, es ist aber nicht unsere Sache, das zu entscheiden. Das muss das Parlament selbst tun. Wir meinen auch  das haben wir uns erlaubt hinzuzufügen –, dass ein umfangreicherer Bestellvorgang mit Hearing durchaus sinnvoll wäre. Da sind wir uns im Kollegium einig. Letztendlich aber – noch einmal – müssen das der Nationalrat, der Bundesrat ent­scheiden, so belassen oder verändern, wie auch immer.

Wir haben derzeit auch den Vorsitz im South-East Europe NPM Network inne, in dessen Rahmen wir verschiedene Besuchsprogramme absolvieren. Da geht es in erster Linie um Demenzerkrankungen. Es sind die Länder Albanien, Bulgarien, Kroatien, Mazedonien, Montenegro, Serbien, Slowenien, Bosnien-Herzegowina, Griechen­land, Ungarn und Kosovo dabei. Da versuchen wir uns gemeinsam mit den Kolle­ginnen und Kollegen weiterzuentwickeln und gemeinsame Programme und Standards für den menschenrechtlich optimalen Umgang mit Demenzerkrankungen innerhalb und auch außerhalb von entsprechenden Einrichtungen zu erarbeiten.

Wir stimmen uns auch regelmäßig mit den Schweizer und deutschen Kolleginnen und Kollegen ab, und vieles mehr.

Noch kurz zurück ins Inland, zu einem demokratiepolitischen Thema – der Herr Ausschussvorsitzende hat es kurz angesprochen –: Für uns ist es extrem wichtig, uns mit den Damen und Herren Parlamentariern auszutauschen, und die vielen interes­santen Beiträge heute sind auch für uns sehr, sehr wichtig. Natürlich ist es auch in den Ländern – wir sind ja die Volksanwaltschaft der Länder, Tirol und Vorarlberg haben zwar Landesvolksanwaltschaften, aber auch dort sind wir ja für Bundesangele­genhei­ten, die Bundesverwaltung zuständig – wichtig, dass wir dort vor Ort mit den Abge­ordneten diskutieren können. In Wien beispielsweise gab es das vergangene Woche. Da ist das verfassungsrechtlich eindeutig geklärt. In der Steiermark beispielsweise haben wir am 8. November unseren Termin, an dem wir im Ausschuss im steirischen Landtag unsere Themen diskutieren. Auch in Salzburg, Oberösterreich und Tirol haben wir ein Teilnahmerecht, die Möglichkeit zum Austausch.

Eine Annäherung gibt es im Burgenland und in Kärnten. Vorarlberg hat einen eigenen Präventionsmechanismus. Da haben wir aber jetzt auch eine Kooperations­verein­barung, und da werden wir früher oder später auch im Landtag landen.

In welchem Bundesland gibt es noch eine Bestemmhaltung? – Obwohl wir dort Hunderte Beschwerden haben und Hunderte Besuche unserer Kommissionen, haben wir leider in Niederösterreich im Landtag keine Möglichkeit zur Aussprache. Ich möchte an dieser Stelle wirklich appellieren, meine Damen und Herren, dass man das St. Pölten ausrichtet. Beste Grüße von dieser Stelle aus! Es wäre wichtig für die Bevöl­kerung in Niederösterreich, da wir ja auch Reformen, Empfehlungen rascher voran­bringen können, wenn wir den direkten Austausch im Landtag haben – zum Beispiel zu Themen wie Kinder- und Jugendpsychiatrie: Ein paar Dinge laufen da gut in Niederösterreich, das kann man durchaus auch lobend erwähnen. In Wien können wir das jedoch mit den Zuständigen diskutieren, in der Steiermark können wir es dis­kutieren. Und in Niederösterreich soll das nicht möglich sein? Ich bitte also wirklich sehr darum, dass man uns in dieser Angelegenheit unterstützt.

Abschließend noch eine große Bitte: Wir haben bei den Beschwerden bis zum 1. Oktober einen 16-prozentigen Anstieg gegenüber dem Vorjahr. Das können wir nicht schaffen. Daher ersuchen wir Sie, uns zu unterstützen, damit wir drei zusätzliche Akademikerplanstellen für das nächste Jahr bekommen. Wir haben einen starken Zuwachs im Asylwesen, einen starken Zuwachs im Gemeinde- und Landesbereich, im Sozialbereich. Wenn wir unsere Aufgabe professionell erfüllen sollen, dann brauchen wir das einfach.

Wir werden natürlich die Form wahren und uns offiziell auch ans Bundeskanzleramt, an das Finanzministerium wenden, das ist schon klar. Letztendlich aber ist es ja Sache des Parlaments, Sache des Nationalrates, wie das eigene Hilfsorgan mit Personal ausgestattet wird; daher eben die direkte Bitte, das hat Priorität. Wie der Nationalrat sein Organ, die Volksanwaltschaft, mit Ihrer Hilfe als Bundesrat ausstattet, wird ent­scheidend dafür sein, dass uns dann hoffentlich nächstes Jahr nicht große Schwierig­keiten drohen. – Ich danke Ihnen. (Allgemeiner Beifall.)

11.52


Vizepräsident Mag. Ernst Gödl: Als nächstem Redner darf ich Herrn Dr. Fichtenbauer das Wort erteilen. – Bitte.

 


11.52.29

Volksanwalt Dr. Peter Fichtenbauer: Danke, dass auch ich vom Pult aus in einer bequemeren Art und Weise sprechen darf.

Sehr geehrter Herr Präsident! Hoher Bundesrat! Ich bedanke mich natürlich auch sehr, sehr herzlich für die Aufmerksamkeit, die Sie dem Prüfbericht geschenkt haben, und dafür, dass Sie ihn in durchwegs positiver Weise würdigen. Ich möchte auf einige wenige Dinge eingehen und noch einmal den Grundsatz unterstreichen, dass die Aufgabenstellung der legislativen Körper darin besteht, gesetzliche Erzeugnisse zu liefern und die Vollziehung zu kontrollieren. Dafür gibt es zwei Hilfsorgane, also nicht nur die innerparlamentarischen Vorgänge, sondern auch zwei extern angesiedelte Ele­mente, das sind die Rechnungshöfe – der Rechnungshof des Bundes und die Rechnungshöfe der Länder – und die Volksanwaltschaft.

Die Volksanwaltschaft ist verfassungsrechtlich dazu berufen, Missstände der Verwal­tung zu prüfen und als solche zu beschreiben. Daher darf ich an das anknüpfen, was Dr. Kräuter schon gesagt hat. Es ist äußerst bescheiden von uns, dass wir nur drei Planstellen mehr erbitten. Wir sind das kleinste oberste Organ. Wir haben 30 Beamte, die in den drei Geschäftsstellen als Prüfreferenten tätig sind, und wir haben natürlich noch die Verwaltung und die EDV-Abteilung, Praktikanten und so weiter. Es sind höchstens 95 Personen, die bei uns aus und ein gehen. Die Gemeinde Wien hat, ich weiß es natürlich nicht genau, zirka 50 000 Beamte. Das war auch die Gesamtzahl der Beamten in der Monarchie für das große Gebiet damals. Ich weiß natürlich schon, dass sich alles geändert hat.

Also bescheidene drei Posten mehr – (in Richtung des auf der Regierungsbank Platz nehmenden Bundesministers Mag. Drozda:) Grüß Gott, Herr Minister! – für das Wohl, das wir zugunsten der und für die Legislative erbringen, das ist keine Eigenbe­reiche­rung, sondern eine Anreicherung der Kompetenzen der Legislative.

Ein Wort zur Thematik Vordernberg: Wir haben zu Vordernberg den ersten Sonderbe­richt, den die Volksanwaltschaft je gemacht hat, erarbeitet – gründlichst, ein Vorzeige­stück, würde ich sagen. Unserem Haupteinwand ist auch gefolgt worden, im Wesent­lichen gefolgt worden, obwohl sich die Gesamtumstände geändert haben. Erstens ist fairerweise festzuhalten, dass Vordernberg baulich und einrichtungstechnisch das Beste vom Besten ist. Das ist großartig. Es wird im Unterschied zum Status des Errichtungsentschlusses, als es noch eine große Anzahl an Haftfällen für auszu­liefernde Personen gegeben hat, für diese Aufgabe jetzt fast überhaupt nicht mehr gebraucht – es sind pro Jahr anstelle von ursprünglich 50 oder 60 nur mehr 6 oder 7 Fälle –; daher wird es jetzt als Erstaufnahmezentrum verwendet.

Ein Punkt gilt jedoch für Vordernberg damals wie heute und auch künftig: Hoheitliche Aufgaben sind nicht privatisierbar. Das ist der zentrale Inhalt unserer Aussage. Wenn da also private Securitys herumspazieren, soll das so sein, das liegt in der Ver­antwortung des Innenministeriums. Diese dürfen jedoch keine Menschen mit Zwangs­gewalt angreifen; das ist genau die Grenze. (Vizepräsidentin Winkler über­nimmt den Vorsitz.)

Der nächste Punkt, der mir sehr, sehr am Herzen liegt, und ich hoffe, Sie können diesbezüglich mitgehen: Wir haben schon aus gutem Grund mehrere Belange gehabt, die mit Kindern und Jugendlichen zusammenhängen: im Asylwesen die Behandlung unbegleiteter Minderjähriger, im psychiatrischen Bereich das Erfordernis, die Jugend­psychiatrie zu verbessern und auszubauen. Ein Punkt, der eher im Schatten steht, weil die Anzahl Betroffener nicht so dramatisch hoch ist, der aber trotzdem sehr wichtig ist, ist die Behandlung chronisch kranker Kinder in den Schulen.

Wir haben vor einem Jahr ein hervorragendes Symposium im Parlament gemacht, also drüben im Palais Epstein, bei dem Spitzenkräfte als Referenten geladen waren. Wir sind gerade dabei, das zu publizieren, und jeder Abgeordnete und jeder Bundesrat bekommt das. Wir können nicht so tun, als wäre da nichts. Ich wiederhole: Das Unterrichtsministerium weiß über den Gesamtsachverhalt sehr, sehr genau Bescheid, denn die Quelle des Wissens war Frau Dr. Damm aus dem Bundesministerium, die eine hochkarätige Kennerin der Materie ist.

Es gibt zirka 3 500 chronisch kranke Kinder, die sich ungefähr hälftig auf Diabetes und Epilepsie aufteilen, und dann gibt es noch eine kleine Anzahl furchtbar „schiacher“ Krankheiten, das muss man auch sagen; Gott sei Dank aber nur sehr vereinzelt. Damit sind wir bei der Behandlung, nämlich wie die Kinder vom Lehrpersonal behandelt werden. Das richtet sich alles um Gottes willen nicht gegen Lehrer, aber es gibt kein System, das nicht verbesserungsfähig ist.

Wir müssen es gemeinsam in parlamentarischen Prozessen und natürlich im Bündnis mit der Lehrergewerkschaft zuwege bringen, da eine Best-Practice-Methode zu ent­wickeln. Es darf nicht sein, dass eine Lehrerin zur Mutter eines Kindes mit Diabetes sagt: Ich will damit nichts zu tun haben; seien Sie so gut und warten Sie draußen im Auto, bis der Unterricht vorbei ist, und wenn mit dem Kind etwas geschieht, renne ich raus und hole Sie! – Das ist abenteuerlich.

Es muss erreicht werden, dass einfachste medizinische Kenntnisse in der Lehrer­ausbildung verankert werden, die ja jetzt ohnehin so lange dauert. Als ich jung war, hat man maturiert, dann hat man ein Jahr Lehrerausbildung gehabt, und das war es dann. Das ist jetzt eine vierjährige akademische Ausbildung, da wird doch ein Semester lang eine medizinische Ausbildung Platz haben, die ja ohnehin nicht auf das Niveau eines Arztes hinführt, sondern ein Grundwissen vermittelt, wie das in anderen Ländern auch praktiziert wird. Damit wären wir ja nicht völlig außerhalb der Welt. In England gibt es Public Nurses für Schulen; das wäre so quasi das Traumziel. Es geht um eine vertiefte Kenntnis des Lehrpersonals über den alltäglichen Umgang mit betroffenen Kindern.

Aber das Bohren harter Bretter gehört zu unserem Job. Davor fürchten wir uns auch nicht.

Ein Element, das ich noch apostrophieren darf, weil erfreulicherweise im Bundesrat ein gewisser historischer Anfangspunkt war – Kollege Herbert hat davon gesprochen –, ist die Prüflücke, die derzeit besteht. Sie muss geschlossen werden. Derzeit besitzt die Volksanwaltschaft keine Prüfkompetenz für ausgegliederte Rechtsträger, im Unter­schied zum gesetzlichen Zustand betreffs des Rechnungshofes.

Der Rechnungshof prüft und ist zuständig für alle ausgegliederten Rechtsträger, an denen die öffentliche Hand zu 50 Prozent beteiligt ist. Das ist bei der Volksanwaltschaft nicht so.

Ich darf nur in Erinnerung rufen: Es sind nicht so wenige! Es gibt über 150 ausge­gliederte Rechtsträger. Dagegen ist gar nichts einzuwenden, aber die legislativen Körper sollen die Prüf- und Kontrollfähigkeit diesbezüglich nicht verlieren. Beim Rech­nungshof ist das gegeben, bei der Volksanwaltschaft nicht.

Es wurde schon erwähnt, wir reden hauptsächlich von den dicken Brocken, ÖBB, ASFINAG und Ähnlichem. Wir haben im Prinzip kein Interesse, dem kleinsten ausge­gliederten Rechtsträger nachzulaufen. Es geht ja immer darum, dass wir in gravie­renden Fällen Anlass haben, von Amts wegen oder aufgrund von Individualbeschwer­den zu kontrollieren.

Mit einem sichtbaren Beispiel hat Kollege Kräuter zu tun gehabt. Es geht um einen fehlenden Aufzug in einer ÖBB-Haltestelle, wo Menschen mit Rollstuhl keine Chance haben, ein Stockwerk höher zu kommen. Das ist völlig unerträglich. Es geht also um kleinste Maßnahmen.

Ein anderes Beispiel findet sich in dem heißen Thema – auch wenn alles heiß war im heurigen Sommer – um den fehlenden Aufzug zur U-Bahn am Stephansplatz. Es gibt nur einen, und Leute im Rollstuhl müssen ewig in der Schlange warten.

Das ist ein kleines Ausschnittchen aus den thematischen Belangen, die wir für Sie bearbeiten. Ich danke für die Aufmerksamkeit. (Allgemeiner Beifall.)

12.02


Vizepräsidentin Ingrid Winkler: Erlauben Sie mir, in unserer Mitte Herrn Bundes-minister Mag. Drozda zu begrüßen. (Allgemeiner Beifall.)

Zum gegenständlichen Tagesordnungspunkt liegen mir keine weiteren Wortmeldungen vor.

Wünscht noch jemand das Wort? – Das ist nicht der Fall. Die Debatte ist geschlossen.

Wir kommen nun zur Abstimmung.

Ich ersuche jene Bundesrätinnen und Bundesräte, die dem Antrag zustimmen, den gegenständlichen Bericht zur Kenntnis zu nehmen, um ein Handzeichen. – Das ist die Stimmeneinhelligkeit, der Antrag ist somit angenommen.

12.03.182. Punkt

Tätigkeitsbericht des Verfassungsgerichtshofes für das Jahr 2015 (III-591-BR/2016 d.B. sowie 9643/BR d.B.)

3. Punkt

Tätigkeitsbericht des Verwaltungsgerichtshofes für das Jahr 2015 (III-599-BR/2016 d.B. sowie 9644/BR d.B.)

 


Vizepräsidentin Ingrid Winkler: Wir gelangen nun zu den Punkten 2 und 3 der Tagesordnung.

Berichterstatter zu beiden Punkten ist Herr Bundesrat Dr. Köll. – Ich bitte um die Be­richte.

 


12.04.00

Berichterstatter Dr. Andreas Köll: Frau Präsidentin! Geschätzter Herr Bundesminis­ter! Werte Kolleginnen und Kollegen! Ich bringe die Berichte des Ausschusses für Verfassung und Föderalismus über die Tätigkeitsberichte des Verfassungsgerichts­hofes sowie des Verwaltungsgerichtshofes für das Jahr 2015 zur Kenntnis.

Die Berichte liegen Ihnen in schriftlicher Form vor, weshalb auf eine Verlesung ver­zichtet werden darf.

Der Ausschuss stellt nach Beratung der Vorlagen am 4. Oktober 2016 mit Stim­menmehrheit den Antrag, den Tätigkeitsbericht des Verfassungsgerichtshofs zur Kenntnis zu nehmen, und mit Stimmeneinhelligkeit den Antrag, den Bericht des Verwaltungsgerichtshofs zur Kenntnis zu nehmen.

 


Vizepräsidentin Ingrid Winkler: Wir gehen in die Debatte ein.

Erster Redner ist Herr Bundesrat Mag. Raml. – Bitte.

 


12.04.50

Bundesrat Mag. Michael Raml (FPÖ, Oberösterreich): Sehr geehrte Frau Präsidentin! Herr Minister! Geschätzte Kolleginnen und Kollegen hier im Bundesrat! Der Tätig­keitsbericht des Verfassungsgerichtshofes, zu dem ich sprechen werde, zeigt auf den ersten Blick einen sehr, sehr großen Arbeitsaufwand, der für den Verfassungs­gerichtshof im Jahr 2015 angefallen ist. Ich möchte und kann Ihnen den Großteil der Zahlen hier ersparen, weil Sie alle den Bericht natürlich ausführlich studiert haben – zumindest die Mitglieder des entsprechenden Ausschusses. Aber ein paar Zahlen möchte ich nennen, damit man einfach sieht, wie viel Aufwand hier zu Recht betrieben wird, um den Menschen in Österreich zum Recht auch aus Sicht des Verfassungs­gerichtshofes zu verhelfen.

Der Verfassungsgerichtshof hat allein im Jahr 2015 3 488 Verfahren erledigt. Es hat letztes Jahr eine Neuerung gegeben, weshalb in einem Bereich die Zahlen relativ unerwartet trotzdem noch sprunghaft angestiegen sind. Aufgrund der neuen Geset­zesbeschwerde sind die Anträge auf Gesetzesprüfungen, ausgehend von 256 Anträ­gen im Jahr 2014, im Jahr 2015 auf 679 Anträge hinaufgeschnellt, obwohl man ursprünglich durchwegs mit einem geringeren Anfall gerechnet hat.

Eine Zahl, die mir auch aufgefallen und die nicht unbeträchtlich ist, ist der Arbeits­aufwand, der durch die Asylverfahren entstanden ist. Die Asylverfahren – das muss man sich einmal vorstellen! – beschäftigen den Verfassungsgerichtshof in 44 Prozent der Neuzugänge oder in 1 560 Fällen. 44 Prozent des Arbeitsaufwandes nur für Asylverfahren! Trotz dieser vielen Verfahren hat es der Verfassungsgerichtshof ge­schafft, die Verfahrensdauer von 7 Monaten auf 5 Monate zu verkürzen.

Bemerkenswert – das muss man auch noch erwähnen, und ich finde dies vor allem aufgrund der menschlichen Komponente sehr, sehr wichtig – ist die Verfahrensdauer in Asylbeschwerdesachen. Hier haben wir eine Erledigungsdauer von durchschnittlich nur 89 Tagen. Das ist wirklich eine großartige Leistung.

Auch wenn heute leider kein Richter und keine Richterin, und schon gar nicht die Präsidenten – der Präsident und die Vizepräsidentin – des Verfassungsgerichtshofs hier sind, bedanken wir uns noch einmal für diese großartige Tätigkeit.

Liebe Kollegen, jetzt werden Sie sich fragen: Wenn der Raml ohnedies alles so lobend erwähnt, warum stimmt dann die FPÖ gegen den Bericht? (Bundesrätin Schreyer: Das fragen wir uns auch!) – Ich kann das aufklären. (Bundesrätin Schreyer: Das ist aus Prinzip!) – Nein, nicht aus Prinzip, wir hätten ursprünglich auch vorgehabt, dafür zu stimmen, aber es gab in den letzten Tagen und Wochen einen „Schnizer“ im wahrsten Sinne des Wortes. Sie haben das medial verfolgt, daher erspare ich Ihnen die Vorgeschichte. Nur, meine sehr geehrten Damen und Herren, eines stellen wir schon fest: Was da in den letzten Tagen vonseiten eines Mitglieds des Verfassungs­gerichts­hofs gelaufen ist, kann man sich als demokratisch legitimierte Partei nicht gefallen lassen. (Beifall bei der FPÖ.)

Wenn den Freiheitlichen vorgeworfen worden ist, dass wir diese Wahlanfechtung, dieses Schriftstück, das zugegebenermaßen sehr, sehr umfangreich war – ja, da haben auch viele Menschen intensiv daran mitgearbeitet –, schon vorbereitet hatten und aktiv darauf hingewirkt hätten, dass es genau so falsch läuft, wie es im Schriftstück dargelegt ist, kann man das nicht auf sich sitzen lassen.

Dazu möchte ich Folgendes anmerken: Es ist dem Herrn Schnizer selbstverständlich die Privatmeinung zugestanden. Als Privatmann kann er Herrn Van der Bellen wählen, wie er es getan hat. Es steht mir und uns nicht zu, darüber zu urteilen, nur muss uns und auch Herrn Schnizer eines bewusst sein: Als Privatmann erhält man kein Interview im ORF. Dort war er nicht als Privatmann. Im ORF hat er als Verfassungsrichter gesprochen, und deren gibt es ja bekanntlich nicht allzu viele.

Dass sich die Arbeit des Verfassungsgerichtshofs deutlich von der Verantwortung und den Gepflogenheiten hier im Hohen Haus oder in der Politik allgemein unterscheidet, erklärt sich auch von selbst.

Es ist daher geboten gewesen, darauf zu reagieren. Nachdem wir gesagt haben, das lassen wir uns nicht gefallen, hat auch Herr Dr. Schnizer reagiert. Er hat sich bei seinen Kollegen im Verfassungsgerichtshof entschuldigt.

Ja, das ist einmal ein richtiger Schritt gewesen, denn es hat dem Gremium wirklich geschadet, dass einer der Richter in dieser Art und Weise nach außen geht.

Es wäre aber auch noch dringend geboten gewesen, dass man sich auch bei den Betroffenen entschuldigt, nicht nur bei den Richtern, dass man auch zur FPÖ sagt: Ich habe da übers Ziel hinausgeschossen, das tut mir leid, ich nehme das zurück. Da fällt niemandem ein Stein aus der Krone, glaube ich, jeder Mensch versteht es. Es ist zwar nicht positiv, aber es kann einmal etwas passieren, und man muss dann auch die Größe haben, dazu zu stehen und zu versuchen, das Ganze geradezubiegen.

Was hat Herr Dr. Schnizer gemacht? Er hat sich, wie gesagt, beim Verfassungs­gerichtshof entschuldigt. Der FPÖ hat er einen Dreizeiler zurückgeschrieben, er sehe sich da quasi überhaupt nicht dazu veranlasst und werde nichts machen.

Wir hätten Herrn Dr. Schnizer die Hand gereicht. Wir hätten ihm eine Unterlassungs­erklärung zukommen lassen, die völlig harmlos war, in der nichts Großartiges drinnen steht, außer dass er das zurücknimmt. Er hat das absichtlich nicht unterschrieben. Daher müssen sich jetzt leider auch die Gerichte mit dieser Sache beschäftigen. Es wirft natürlich wieder ein negatives Licht auf den ganzen Verfassungsgerichtshof. Das kennen wir, und das ist nicht notwendig. Die Causa hätte schon längst erledigt sein können.

Für mich stellt sich daher angesichts dieser Sache die Frage: Soll man so weiter­machen wie bisher, was den Verfassungsgerichtshof und vor allem die personelle Besetzung anlangt, oder wäre es nicht doch einmal Zeit für Konsequenzen, für Änderungen? Ich bin der festen Überzeugung, es muss Konsequenzen haben, und zwar in zweierlei Hinsicht:

Erstens wäre es in dieser einen Causa aus meiner Sicht wünschenswert und ver­nünftig, beim Verfassungsgerichtshof ein Disziplinarverfahren – wie es jetzt im Gesetz vorgesehen ist – gegen Herrn Dr. Schnizer einzuleiten. Es sollte sich damit beschäf­tigen, ob er nicht abberufen werden sollte, weil er sich durch seine Handlungen und Aussagen als der Achtung und des Vertrauens, die das Amt erfordert, unwürdig gezeigt hat. Darum können wir aber nur ersuchen, und derzeit sieht es leider nicht so aus, als würde man sich mit dieser Causa näher beschäftigen wollen.

Das zweite, viel allgemeinere und daher auch viel wichtigere Thema wäre, sich jetzt wieder einmal anzuschauen, wie sich der Verfassungsgerichtshof zusammensetzt. Der Verfassungsgerichtshof ist ein rein parteipolitisch zusammengesetztes Gremium.

Als Gesetzgeber müssten wir uns schon einmal vor Augen halten, dass 183 Abge­ordnete zum Nationalrat und 61 Bundesräte etwas beschließen und dann 14 Richter die Allmacht bekommen, darüber zu entscheiden, ob das, was die demokratisch legitimierten Volksvertreter beschlossen haben, hält oder nicht hält.

Dazu kommt, dass diese Richter rein parteipolitisch besetzt sind. Diese Meinung habe nicht nur ich, die vertritt auch ein viel belesenerer und gelehrterer Mensch als ich, der uns Freiheitlichen, glaube ich, wirklich nicht nahesteht, nämlich Verfassungsexperte Dr. Heinz Mayer.

Er hat im „Standard“ gesagt – ich zitiere ihn –: „Seit der ersten Republik befindet sich das Verfassungsgericht im Würgegriff der Parteien (…). Unabhängige haben keine Chance.“ – Das sagt Heinz Mayer, ein angesehener Verfassungsrechtler. Wir wün­schen uns daher, dass wir mit diesem rot-schwarzen Parteienproporz am Verfassungs­gerichtshof endlich aufhören, dass wir uns den Modus der Bestellung neu ansehen.

Wir hätten beispielsweise den Vorschlag, dass man eine Zweidrittelmehrheit für das Bestellungsquorum einführt. Überdies kann man auch darüber sprechen, wie lange die Richterinnen und Richter überhaupt im Amt bleiben sollen. Es gibt international beim EGMR ganz andere Regelungen als bei uns. Da gibt es die Altersgrenze von 70 Jahren nicht.

Meine sehr geehrten Damen und Herren, wir werden aufgrund dieser Causa dem Tätigkeitsbericht des Verfassungsgerichtshofs nicht zustimmen und erhoffen uns, dass dieser traurige Vorfall endlich Konsequenzen zeitigt. (Beifall bei der FPÖ.)

12.14


Vizepräsidentin Ingrid Winkler: Als Nächster zu Wort gemeldet ist Herr Bundesrat Todt. – Bitte.

 


12.14.38

Bundesrat Reinhard Todt (SPÖ, Wien): Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrter Herr Bundesminister! Meine Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Wir besprechen heute die beiden Tätigkeitsberichte 2015 des Verfassungsgerichtshofs und des Verwaltungsgerichtshofs.

Ich werde dann in der Folge noch zu diesen beiden Berichten kommen, möchte jedoch aus gegebenem Anlass einige einleitende Bemerkungen zum Judikat des VfGH betreffend die Wiederholung der Stichwahl der Bundespräsidentenwahl sowie zu den Vorgängen in der jüngsten Vergangenheit im Zusammenhang mit dieser Angelegenheit voranstellen.

Das Judikat des VfGH, von Herrn Präsidenten Holzinger am 1. Juli mündlich ver­kündet, ist wohl eines jener Urteile in der Geschichte des VfGH, die am häufigsten thematisiert und zum Gegenstand von wissenschaftlichen, politischen und öffentlichen Debatten wurden.

Der VfGH hat sich dabei auf eine vor rund 90 Jahren begründete Rechtsprechung berufen, obwohl der VfGH selbst festgestellt hat, dass es zu keinen Manipulationen im Ergebnis gekommen ist. Dies hat zu Irritationen in der öffentlichen Diskussion geführt, warum nämlich eine Wahl aufgehoben wird, obwohl keine Manipulationen nachweisbar waren.

Grundlage dafür ist die strenge Rechtsprechung des VfGH im Wahlverfahren, wonach schon Rechtsverletzungen auch ohne Manipulation zu einer Aufhebung führen können, wenn diese Auswirkungen auf das Ergebnis auch nur hätten haben können – ein Vorgang, der Statistiker und Mathematiker auf den Plan rief.

Die meisten kamen zum Ergebnis, dass bei diesem Sachverhalt nach statistischen Methoden keinerlei Beeinflussung auf das Wahlergebnis abgeleitet werden könne. Damit hat das Dilemma begonnen. Obwohl eine heftige Diskussion aufkam, verbunden mit heftiger Kritik am Erkenntnis des VfGH, aber auch an seinem Präsidenten oder anderen Richtern, wurde in der Öffentlichkeit dazu nicht Stellung genommen.

Vorige Woche hat ein Mitglied des VfGH das überraschend in der Öffentlichkeit getan und in diesem Zusammenhang auch ergänzende Bemerkungen fallen gelassen, wohl weniger im Zusammenhang mit der Verteidigung der Judikatur des VfGH durch ein Mitglied des VfGH. Die ergänzenden Bemerkungen waren vielmehr wieder Anlass zu heftiger politischer Diskussion, verbunden mit persönlichen Angriffen gegen dieses Mitglied des VfGH.

Ich möchte nichts herunterspielen oder deeskalieren, aber die Aussage des einen Richters allein zum Anlass für generelle Diskussionen zu nehmen, erscheint mir unernst und oberflächlich. Vielmehr müsste man sich fragen, ob nicht das System verbesserungswürdig ist, insbesondere was die Transparenz des Handelns von Höchstrichtern betrifft.

Ja, zugegebenermaßen erfolgte die Zeugeneinvernahme durch den Gerichtshof in höchster Transparenz. Ja, das Urteil wurde gegenüber der Öffentlichkeit verkündet und dargestellt, aber wohl nicht ausreichend erklärt. Sicher fehlte eines: eine Art Krisen­management oder Strategie, wie mit massiver öffentlicher und fachlicher Kritik umgegangen wird.

So führte vor zwei Tagen Professor Dr. Alexander Somek, Professor für Rechtsphilo­sophie und Methodenlehre der Rechtswissenschaften an der Universität Wien, im „Verfassungsblog.de“ aus – ich zitiere –:

„Diese Reflexion spielt mit dem Bild von der hohen Mauer der Institution. Die Men­schen – Richterinnen und Richter – haben hinter der Einfriedung des Kollegiums zu verschwinden. Gesichtslosigkeit garantiert Unpersönlichkeit, Unpersönlichkeit garan­tiert Unparteilichkeit. Der hohe und hoheitliche Charakter bleibt erhalten, wenn man die Entscheidung von oben nach unten kommuniziert und dann schweigt. Jeder Erläute­rungsversuch eines Richters gibt zu erkennen, dass konkrete Menschen für die Entscheidungen verantwortlich sind. Das Gesichtslose, Unpersönliche und Unpar­teiliche des Rechts geht verloren. Das Gericht droht, menschlich – also persönlich und parteilich – zu werden.“

Es ist eine harte, vielleicht etwas überzeichnete, aber dennoch begründete Analyse zum Zustand eines österreichischen Höchstgerichts. Ich möchte daher zwei Anre­gungen formulieren.

Erstens geht es zunächst um den Sachverhalt, wie ein Erkenntnis entstanden ist, und darum, ob es zu einem entscheidenden Thema verschiedene Rechtsansichten gege­ben hat. Dafür sehen die Verfassungen beziehungsweise die darauf beruhenden Gesetze einiger Staaten durchaus ein Instrument vor, nämlich die Darstellung einer Dissenting Opinion, also einer abweichenden Stellungnahme. Das deutsche Bundes­verfassungsgerichtsgesetz sieht im § 30 Abs. 2 folgende einfache Anordnung vor:

„Ein Richter kann seine in der Beratung vertretene abweichende Meinung zu der Entscheidung oder zu deren Begründung in einem Sondervotum niederlegen; das Sondervotum ist der Entscheidung anzuschließen. Die Senate können in ihren Entscheidungen das Stimmenverhältnis mitteilen.“

Dieser Weg gibt dem Richter Entscheidungsfreiheit, ob er seine abweichende Meinung dem Urteil beischließen möchte, und überlässt dem Senat die Entscheidung, ob er das Stimmverhältnis in der Öffentlichkeit darstellen möchte. Es ist also nicht als eine Mussbestimmung, sondern als eine Kannbestimmung konzipiert.

Von Gegnern der Dissenting Opinion wird eingewendet, dass diese zu einer Schwächung des Gerichts führen würde. Diese Behauptung ist aus der Luft gegriffen. Ein internationaler Vergleich ergibt im Gegenteil vielmehr, dass gerade jene Höchst­gerichte, die über die Möglichkeit einer Dissenting Opinion verfügen, eine besonders starke Stellung im Staat innehaben und dadurch in keiner Weise irgendwie geschwächt würden.

Ich meine, dass diese Möglichkeit die Verantwortung des einzelnen Richters schärfen und dessen Unabhängigkeit stärken kann, ohne dass damit die Öffentlichkeit mit völlig unverständlichen juristischen Diskussionen verunsichert werden muss. Auch dies läge jedoch in der Verantwortung des Gerichts und des einzelnen Richters.

Zweitens muss eine Vorgangsweise gefunden werden, wie trotz der Transparenz in der Urteilsfindung mit Kritik, die infolge eines Urteils aufkommt, umgegangen wird, also wie der jeweilige Gerichtshof damit umgeht. Da sind zugegebenermaßen sensible Schritte, sogar Tabubrüche notwendig, aber nur diese können zu einer akzeptierten, trans­parenten Judikatur führen, wie sie im Jahr 2016 verlangt wird.

Nunmehr komme ich jedoch zu den beiden Berichten. Einige grundsätzliche Bemerkungen: Der Bericht des VwGH zeigt eines deutlich auf, nämlich den Umstand, dass Richterinnen noch immer unterrepräsentiert sind. Wie die jüngsten Aufnahmen zeigen, wird diesem Umstand vermehrte Aufmerksamkeit geschenkt, und es gelingt auch, qualifizierte Frauen für diese Funktion zu finden. Gerade in den Führungs­be­reichen ist dieser Aufholbedarf besonders sichtbar. Ich bin aber überzeugt davon, dass sich die Frau Vizepräsidentin diesem Problem widmen wird.

Was den Geschäftsgang betrifft, hat der VwGH in diesem Berichtsjahr mit einer deutlichen Anfallsteigerung zu kämpfen. Trotzdem ist es wichtig, insbesondere die Altfälle rasch einer Lösung zuzuführen, damit die Rechtssuchenden in einer rechts­staatlich fairen Weise zu ihrem Recht kommen. Die Übersicht über die Entscheidungen ist äußerst gelungen und informativ.

Im Zusammenhang mit dem Tätigkeitsbericht des VfGH ist eines besonders fest­zuhalten, nämlich dass Gesetzesbeschwerden ihre Wirkung gezeigt haben. Nach langen Verhandlungen ist die Weiterentwicklung mit 1. Jänner 2015 in Kraft getreten, deren Auswirkungen selbst von Experten sehr unterschiedlich eingeschätzt wurden. Nunmehr liegt doch ein deutlicher Anstieg von Gesetzesprüfungsanträgen vor. Ich glaube jedoch, dass es zu früh ist, schon jetzt Erkenntnisse daraus ableiten zu können. Befürchtungen für die Zukunft können jedenfalls vernachlässigt werden.

Die Belastung durch die Streitbeilegung im Rahmen des neuen Untersuchungs­ausschuss-Verfahrens hielt sich in Grenzen und konnte in keiner Weise das Ausmaß der geäußerten Befürchtungen erreichen.

Abschließend danke ich den beiden Gerichtshöfen für ihre ausgezeichnete Arbeit, wobei ich damit sowohl das richterliche als auch das nichtrichterliche Personal an­sprechen möchte. – Danke für die Aufmerksamkeit. (Beifall bei der SPÖ und bei Bundesräten der ÖVP.)

12.25


Vizepräsidentin Ingrid Winkler: Liebe Kolleginnen! Liebe Kollegen! Gestatten Sie mir, mit großer Freude die SPÖ-Bezirksfrauen aus meinem Heimatbezirk Wiener Neustadt in unserer Mitte zu begrüßen. (Allgemeiner Beifall.)

Als Nächster zu Wort gemeldet ist Herr Bundesrat Längle. – Bitte.

 


12.25.46

Bundesrat Christoph Längle (FPÖ, Vorarlberg): Frau Vizepräsidentin! Sehr geehrter Herr Minister! Geschätzte Kolleginnen und Kollegen! Ich richte hier ebenfalls meine besten Grüße an Sie, meine Damen und Herren aus Wiener Neustadt. Ich schließe direkt an die Ausführungen meines Kollegen Michael Raml an, der vorhin unsere Bedenken bezüglich des Tätigkeitsberichts des Verfassungsgerichtshofs zum Aus­druck gebracht hat. Insbesondere bezüglich der Causa Schnizer sehen wir den Bericht besonders kritisch.

Ich darf hier aber auch noch etwas anderes ansprechen: In Vorarlberg gibt es in einer meiner Nachbargemeinden, in der Stadt Hohenems, eine grüne Ortsgruppe, deren Vorsitzender der dortige Vizebürgermeister ist. Dieser ist auch Vorsitzender eines Vereins mit dem Namen Legalize! Österreich. Dieser Verein will, dass Cannabiskon­sum beziehungsweise Cannabisrauchen legalisiert wird.

Im Zuge dessen hat der Verein in Form einer Grafik das Staatswappen, den Staatsadler etwas verändert. Im Schnabel des Adlers wurde ein Joint eingefügt und damit wollen sie für ihre Bestrebungen werben, Cannabis zu legalisieren. (Heiterkeit des Bundesministers Drozda. – Bundesrat Mayer: Ein kiffender Adler!)

Das möchte ich jetzt hier schon kritisch bewerten; da muss ich schon ehrlich sagen, ich finde das auch nicht in Ordnung. Es gab dann mehrere Verfahren von unterschied­lichen Stellen, die dann durch diesen grünen Vizebürgermeister beeinsprucht wurden. Er war damit nicht zufrieden, dass er wegen der Verunstaltung von Staatssymbolen mit 300 € bestraft wurde. Das Verfahren wurde dann wieder der nächsten Instanz zugewiesen, und so weiter und so weiter.

Jetzt hat der Verwaltungsgerichtshof entschieden, dass das Verfahren eingestellt wird, weil es sich anscheinend nicht um den Staatsadler handelt, sondern um das Logo der österreichischen Bundespolizei – ich finde das trotzdem nicht in Ordnung. Jetzt kommt da auf einmal dieser grüne Vizebürgermeister daher, verklagt die Republik Österreich und will einen Schadenersatz von rund 8 000 € haben.

Also da sage ich schon: Diese Vorgehensweise, gerade auch die Verunglimpfung von Staatssymbolen, finde ich doch sehr dubios! Das ist eigentlich etwas, was man nicht macht. Sie können das aber auch in der Zeitung nachlesen. Ich habe Ihnen das mitgebracht (eine Kopie eines Zeitungsartikels in die Höhe haltend) und gebe Ihnen das nachher.

Weiters wurde hier auch schon ausgeführt, dass die Verfahrensdauer verkürzt wurde. Dies war nicht nur beim Verfassungsgerichtshof so, sondern auch beim Verwaltungs­gerichtshof – dort konnte die Verfahrensdauer von 16 Monaten auf rund neun Monate gesenkt werden. Das bewerten wir natürlich auch sehr positiv.

Es ist ebenfalls bereits erwähnt worden, dass die Verfahren im Zusammenhang mit Asylwerbern und dergleichen schon auch gestiegen sind. Es gab da in den letzten Jahren immer rund 1 000 Fälle, jetzt sind es 1 400 Verfahren – bei einer Gesamt­verfahrensanzahl von rund 5 400 ist das schon eine ordentliche Anzahl, die eben doch stark gestiegen ist. Man sieht auch, dass wegen der Asylpolitik unserer Regierung jetzt in diesem Bereich der Verwaltungsgerichtsbarkeit die Kosten steigen.

Wir Freiheitliche haben ja in diesem Zusammenhang schon mehrere Lösungen und Verbesserungen vorgeschlagen, die wurden aber leider immer abgelehnt, ich darf da beispielsweise auf unsere Anträge bezüglich der Grenzsicherung verweisen. Man hätte da durchaus auch eine Verbesserung herbeiführen können.

Was sehen wir im Zusammenhang mit dem Verwaltungsgerichtshof noch positiv? – Es geht mir um die GIS-Zwangsgebühren. Es ist ja bekannt, dass man für Rundfunkgeräte GIS-Gebühren zahlen muss. Da gibt es ein Erkenntnis des Verwaltungsgerichtshofs, das besagt, dass für einen internetfähigen Computer keine GIS-Zwangsgebühren zu zahlen sind.

Ich denke, dass dies schon positiv zu bewerten ist, beziehungsweise verweise ich auch auf unsere freiheitliche Position, dass wir diese GIS-Gebühren generell sehr kritisch betrachten.

Abschließend halte ich fest, dass wir Freiheitliche unsere Zustimmung zum Bericht des Verfassungsgerichtshofs aus den zuvor erwähnten Gründen verweigern. Dem Bericht des Verwaltungsgerichtshofs werden wir unsere Zustimmung geben, da wir eben – wie vorhin ebenfalls erwähnt – die Geschehnisse und die Tätigkeiten dort insgesamt als positiv bewerten.

Zusätzlich möchte ich mich selbstverständlich auch noch bei all jenen bedanken, die für die Erstellung und für die Ausformulierungen der Berichte verantwortlich waren, und sage diesen Personen an dieser Stelle Danke. (Beifall bei der FPÖ.)

12.31


Vizepräsidentin Ingrid Winkler: Als Nächster zu Wort gemeldet ist Herr Bundesrat Mayer. – Bitte.

 


12.31.13

Bundesrat Edgar Mayer (ÖVP, Vorarlberg): Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrter Herr Minister! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Liebe Kollegen von den Frei-heitlichen, Kollege Längle und Kollege Raml! Ein Bericht ist ein Bericht, weil ein Bericht ein Bericht ist. (Allgemeine Heiterkeit. – Bundesrat Raml: Philosoph!)

Das ist eine tatsächliche Niederschrift über die Leistungen des Verfassungs- und des Verwaltungsgerichtshofs des letzten Jahres, sprich 2015. Den Bericht des Verfas­sungs­gerichtshofs jetzt abzulehnen, weil es da einen „Schnizer“ gegeben hat (Heiter­keit bei ÖVP und SPÖ), wie Kollege Raml gesagt hat, finde ich jetzt wirklich deplatziert, denn das hat nichts miteinander zu tun. Das sind Äpfel und Birnen, das kann man nicht vergleichen. (Beifall bei ÖVP und SPÖ.) – Dieser Beifall gebührt übrigens dem Verfassungsgerichtshof.

Man straft hier den Verfassungsgerichtshof für eine ausgezeichnete Arbeit, für einen ausgezeichneten Bericht, wobei diejenigen, die ihn erstellt haben, gar nichts dafür können (Bundesrätin Mühlwerth: Eben!), weil sie im guten Glauben nach bestem Wissen und Gewissen über 2015 Rechenschaft abgelegt haben. (Neuerlicher Zwischenruf der Bundesrätin Mühlwerth.)

Sie haben Rechenschaft über 2015 abgelegt; man bezieht sich aber auf ein Ereignis von 2016, das zugegebenermaßen ein Problem ist – ein großes Problem, das gebe ich zu. (Bundesrätin Mühlwerth: Ah geh?!) Dass man diese beiden Dinge jedoch ver­bindet, ist einfach für niemanden nachzuvollziehen. (Bundesrat Samt: Unglaublich, Herr Kollege!) – Ja, es ist unglaublich, du hast vollkommen recht, denn im Prinzip ist euch das ja nicht recht, denn ihr habt ja den Bericht positiv erwähnt! (Neuerlicher Zwischenruf der Bundesrätin Mühlwerth.)

Kollege Raml steht hier 10 Minuten am Rednerpult, referiert sehr viel Positives, sagt aber dann: Wir lehnen ihn ab! – Na ja, gut, man kann auch einen Bericht positiv ablehnen, das ist schon schön.

Wir haben von verschiedensten Kolleginnen und Kollegen einiges gehört, viele haben den Verfassungsgerichtshof und auch den Verwaltungsgerichtshof ins rechte Licht gerückt. Es gibt da wirklich einige besondere Dinge zu erwähnen, wie zum Beispiel die Zahlen, die schon bekannt gegeben wurden – das kann ich mir ja jetzt im Prinzip sparen.

Es ist uns aber doch allen bewusst, dass zum Beispiel die Situation im Asylbereich nicht nur den Verfassungsgerichtshof, sondern auch den Verwaltungsgerichtshof enorm herausfordern wird. Da gibt es tatsächlich hohe Zahlen, die auf uns zukommen werden, was man erahnt, wenn man bedenkt, wie die Asylzahlen gestiegen sind. 80 000 oder 90 000 Asylsuchende sind bei uns dazugekommen, und viele werden im Asylverfahren dann einen abschlägigen Bescheid bekommen. Diese abschlägigen Bescheide werden dann durch die Instanzen bis hinauf zu den Höchstgerichten – also Verwaltungsgerichtshof und Verfassungsgerichtshof – verhandelt, da kann man dann schon abschätzen, welche großen Probleme das ergeben wird.

Wenn man bedenkt, dass schon jetzt ein hoher Anteil der Verfahren des Verfas­sungsgerichtshofes auf Asylrechtsverfahren entfällt – nämlich mit 1 560 Fällen im Jahr 2015 fast 50 Prozent –, kann man die Dimension erkennen. Bei Betrachtung all dieser Fakten stellt sich natürlich auch die Frage, ob der manchmal doch überbor­dende Rechtsschutz nicht wie ein Damoklesschwert über dem Verfassungsgerichtshof hängt. Wenn nämlich, wie gesagt, jeder der zu erwartenden Tausenden Asylbescheide dann wieder beim Verfassungsgerichtshof landet und nicht beim Asylgerichtshof beziehungsweise bei den Verwaltungsgerichten enderledigt wird, dann ist das Dilemma vorhersehbar.

Für mich stellt sich dann oft die Frage, wer all diese Verfahren – seien sie jetzt berechtigt oder nicht –, die dann schlussendlich vom Verfassungsgerichtshof oft negativ beschieden werden, durch alle Instanzenzüge bezahlt. Nicht alle erhalten da nämlich Unterstützung vom Staat in diesen Verfahren.

Einige Details davon, was sich im Bereich des Verfassungsgerichtshofs sonst noch getan hat, möchte ich noch herausgreifen. Von 84 geprüften Normen hob der Verfas­sungsgerichtshof im vergangenen Jahr 27 zumindest teilweise auf, das sind sogar weniger als im Jahr 2014.

Das Bundesgesetz über Sanierungsmaßnahmen für die HYPO ALPE ADRIA BANK INTERNATIONAL AG, das Verkaufsmonopol von Trafiken für E-Zigaretten sowie Bestimmungen im Datenschutzgesetz und im Versicherungsvertragsgesetz hielten einer Prüfung durch den Verfassungsgerichtshof nicht stand.

Abgewiesen wurden zum Beispiel Beschwerden gegen das Bundesgesetz zur Schaf­fung einer Abbaueinheit, das Glücksspielgesetz, das Öffnungszeitengesetz und das Schaumweinsteuergesetz. Ende des Jahres 2015 waren noch 254 Gesetzprüfungs­verfahren offen.

Der Verfassungsgerichtshof ist aber nicht nur im Prüfbereich tätig, sondern hat auch ein Bürgerservice der Präsidialdirektion eingerichtet, ist also sozusagen näher an den Bürger herangerückt. Beantwortet werden dort nicht nur Anfragen rund um die Verfas­sungsmäßigkeit, sondern man kümmert sich auch direkt um die Anliegen der Bürger, etwa ob ein Verfahren im eigenen Bereich auch vom Verfassungsgerichtshof behandelt wird. So kommt man auf insgesamt 7 460 Anfragen über Telefon.

Es gibt außerdem in diesem Bürgerservice Kontakte zur – unter Anführungszeichen – „Außenwelt“, und zwar in Form von Besichtigungen durch Schülergruppen oder Ein­ladungen von Universitäten. Das ist also durchaus ein positiver Effekt, dass der Verfas­sungsgerichtshof da näher zum Bürger hinrückt.

Zum Verwaltungsgerichtshof hat Kollege Längle schon einiges ausgerichtet – bezie­hungsweise sollte man eigentlich berichtet sagen, nicht ausgerichtet, denn die Freiheitlichen stimmen natürlich dem Bericht des Verwaltungsgerichtshofs zu. Da gab es ihrer Meinung nach auch keinen „Schnizer“. Man muss schon auch das Volumen betrachten, das der Verwaltungsgerichtshof zu bewältigen hat: Da wurden 5 393 Ver­fah­ren abgeschlossen. Das ist ja ein unglaubliches Konvolut an Entscheidungen, wenn man bedenkt, wie hoch die Rechtssicherheit, wie stark die Rechtsstaatlichkeit in Österreich an und für sich ausgebildet sind – und trotzdem werden da so viele Fälle behandelt.

Es gibt ja seit 2014 eine neue Verwaltungsgerichtsbarkeit, das hat sich auch sehr positiv auf die Zahlen ausgewirkt. Wie schon erwähnt wurde: Beide Gerichte haben im Berichtszeitraum 2015 ihre Zahlen, was die Erledigungen anbelangt, steigern können. Beim Verwaltungsgerichtshof liegt jetzt die Verfahrensdauer bei zehn Monaten, im Vergleich zu 16 Monaten im Vorjahr – also da hat sich doch Wesentliches getan.

Wir haben im Ausschuss auch mit der Vizepräsidentin des VwGH Sporrer darüber diskutieren können, dass es angesichts dessen, dass sich die Asylfälle vermehrt in Richtung Verwaltungsgerichtshof und Verfassungsgerichtshof bewegen, natürlich schon Probleme bei den Planstellen gibt. Auch bei der Volksanwaltschaft hat man gehört, dass sie dringenden Bedarf an zusätzlichen Dienstposten für Akademiker hätten – so geht es natürlich auch dem Verwaltungsgerichtshof.

Insgesamt kann man sagen, dass beide Gerichtshöfe wesentlich zur Rechtssicherheit und vor allem zur Förderung der Rechtsstaatlichkeit beitragen. Allen Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern sei auf diesem Wege nochmals ein herzliches Dankeschön für diese beiden großartigen Berichte und natürlich auch für die Leistungen im Sinne des Bürgerservice, das beide Gerichtshöfe sich auf die Fahnen heften, ausgesprochen. –Danke. (Beifall bei ÖVP und SPÖ.)

12.39


Vizepräsidentin Ingrid Winkler: Als Nächste zu Wort gemeldet ist Frau Bundesrätin Dr. Reiter. – Bitte.

 


12.39.44

Bundesrätin Dr. Heidelinde Reiter (Grüne, Salzburg): Frau Präsidentin! Werte Kollegen und Kolleginnen! Werte Besucher! Mir bleibt jetzt die undankbare Rolle des letzten Redners, irgendetwas zu suchen, was noch nicht gesagt wurde – oder zu wiederholen. (Zwischenrufe der Bundesräte Mühlwerth und Mayer.)

Ich möchte als Erstes kurz auf den Bericht des Verwaltungsgerichtshofs eingehen, denn immerhin liegt jetzt damit der Bericht über das zweite Jahr nach der Verwal­tungsgerichtsbarkeitsreform vor, und somit liegen auch valide Erfahrungen über diese Reform vor. Es ist, denke ich, schon eine Bemerkung wert, dass sich diese Reform offensichtlich bewährt hat. Ich möchte auch ein Lob an alle Mitarbeiter dafür aus­sprechen, dass der Übergang problemlos bewältigt wurde, dass sich der Verwaltungs­ge­richtshof nun auf seine Rolle als Höchstgericht konzentrieren kann und doch maßgeblich entlastet wurde. Trotz einer Fallsteigerung um 16 Prozent wurde der Anhängigkeitsstand zum Jahresende 2015 im Vergleich zum Vorjahr um circa 25 Pro­zent gesenkt, und es wurde eine beeindruckende Verfahrensbeschleunigung erreicht.

Das ist natürlich auch nur durch den entsprechenden Kontakt mit den vorgelagerten Verwaltungsgerichten, durch entsprechende Schulungen, durch den Aufbau von Teams, von wissenschaftlichen Mitarbeitern zur Unterstützung der Senate möglich. Man scheint, da also wirklich auf einem sehr guten Weg zu sein. Diese positive Entwicklung wird sich allerdings in den kommenden Jahren nicht nahtlos fortsetzen lassen.

Aufgrund der vorgesehenen Kostendämpfungen im Bundesfinanzrahmen möchte ich an die politischen Entscheidungsträger appellieren, ausreichende Budgetmittel zur Verfügung zu stellen – das ist aber auch Teil des Berichts, also danke für den ausgezeichneten Bericht. Ich denke, es ist auch zu würdigen, dass diese Reform auf diese Weise bewältigt wurde und zu einer solch positiven Entwicklung geführt hat.

Übrigens: Außer den Asylverfahren, die eben zu diesen hohen Anfallsziffern führen, bewirkt auch das Glücksspielrecht sehr hohe Fallzahlen. Auch in diesem Bereich kann man durchaus von Massenverfahren sprechen. Ich glaube, auch das ist eine Erwäh­nung wert.

Zum Bericht des Verfassungsgerichtshofs: Wie immer man es dreht und wendet, es ist unverständlich, warum man mit Verweis auf Vorkommnisse aus dem Jahr 2016 den Bericht 2015 ablehnt, aber das ist schon erwähnt worden. Leider waren im Ausschuss nur Beamte da. Das soll nicht die Beamten abwerten, aber ich möchte doch darum bitten, dass in Zukunft bei der Terminplanung die Session des Gerichtshofs berück­sichtigt wird, sodass auch Richter im Ausschuss anwesend sind. Es wäre auch schön gewesen, wenn sie heute hier gewesen wären. Ich bitte, das in Zukunft bei der Ter­minisierung entsprechend zu berücksichtigen, wenn diese Berichte behandelt werden.

Es hätte nämlich selbstverständlich durchaus interessante Fragen politischer Natur gegeben, die von den Beamten natürlich nicht beantwortet werden konnten. Ich hätte von Präsident Holzinger wirklich gerne gewusst, wieso er eine Veröffentlichung ab­weichender Meinungen bei Urteilen vehement ablehnt, also was seine Argumente dafür sind, obwohl das eben bei anderen Gerichten – etwa in Deutschland auf Bundes- und auf Länderebene, auf EU-Ebene und praktisch in allen Ländern mit angelsäch­sischer Tradition – gang und gäbe ist, also die bewährte Praxis darstellt.

Gerade die jüngsten Vorkommnisse – eben die Aufhebung der Stichwahl der Bundes­präsidentenwahl und die darauffolgende Diskussion – sprechen meiner Meinung nach für eine Veröffentlichung von abweichenden Meinungen beziehungsweise für das Herstellen der entsprechenden Rahmenbedingungen, weil es dadurch vermutlich möglich wäre, die Debatte auf einem wesentlich besseren und solideren Niveau zu führen, als es derzeit der Fall ist.

Ich glaube, das sollte für den Gesetzgeber Anlass sein, über entsprechende Rege­lungen nicht nur nachzudenken, sondern sie wirklich in Angriff zu nehmen, damit es zu Veränderungen kommt.

Bemerkenswert sind die zahlreichen Parteianträge auf Normenkontrolle, die den Verfassungsgerichtshof nicht nur in quantitativer, sondern auch in qualitativer Hinsicht wirklich fordern, die aber laut Bericht auch sehr gut bewältigt werden konnten, was die Dauer der Verfahren betroffen hat, die ja wirklich maßgeblich ist.

Noch ein kurzes Wort zu Schnizer: Werte Kollegen und Kolleginnen, ich halte die Weh­leidigkeit der Freiheitlichen Partei in diesem Fall wirklich fast nicht aus (Zwischenruf des Bundesrates Samt), insbesondere wenn man daran denkt, wie gerade Ihre Partei immer wieder in verschiedenen Auseinandersetzungen mit dem Verfassungsge­richts­hof umgegangen ist. Ich darf an Jörg Haiders Auseinandersetzungen mit dem Ver­fassungsgerichtshof erinnern – der seine Kompetenzen überschritten hätte –, seine wütenden Attacken gegen den Präsidenten des Verfassungsgerichtshofs Adamovich damals, die mit sachlicher Begründung wirklich überhaupt nichts zu tun haben. (Bundesrat Samt: Gibt’s etwas Aktuelles auch, Frau Kollegin? – Zwischenruf des Bundesrates Längle.) – Sie haben den Bericht von 2015 mit aktuellen Entwicklungen abgelehnt!

Und jetzt mit dieser Wehleidigkeit auf die Aussagen Schnizers zu reagieren, finde ich wirklich komplett unangebracht. Was Sie ihm unterstellen, nämlich dass dadurch der Verfassungsgerichtshof beschädigt würde, kann ich in keiner Form nachvollziehen – im Unterschied dazu, wenn man dem Verfassungsgerichtshof vorwirft, dass er zur „Islamisten-Lobby“ werde und Ähnliches mehr. (Bundesrätin Mühlwerth: Wer macht das?) – Das war auch Landeshauptmann Jörg Haider, damals im Jahr 2008. (Bundesrat Samt: Deswegen frage ich ja: Gibt’s etwas Aktuelles, Frau Kollegin?)

Das ist Ihre Umgangsweise mit einer Institution wie dem Verfassungsgerichtshof, die uns, glaube ich, immer noch zu denken gibt. Angriffe auf diese Institution sind immer noch wesentlich. (Bundesrat Samt: Das war auf die Person, Frau Kollegin!) In der jetzigen Diskussion hat niemand, der diese Diskussion aufgegriffen hat, den Anschein gegeben, dass man dieses Erkenntnis nicht respektieren würde, und auch Schnizer ist ja angetreten, dieses Urteil zu verteidigen, aber Kritik an diesem Spruch ist zu akzeptieren und legitim. Das ist das Wesen der Demokratie.

Wir danken für beide Berichte. Ich möchte nur noch eine kurze Anmerkung zum Bericht des Verfassungsgerichtshofs machen: Ich glaube, dass man auf Teile der Bebilderung verzichten könnte. Ich würde ihn mir ähnlich wünschen wie jenen des Verwaltungs­gerichtshofs, also in der gegebenen Schlichtheit. Ich denke, auf so etwas – eine Doppelseite mit dem Tisch und den Kopfbedeckungen darauf und Ähnliches – kann man verzichten. Das unterstreicht dieses sehr Hoheitliche, das – auch mit den Talaren und so weiter – eigentlich nicht mehr unserer Zeit entspricht. Da, denke ich, könnte man durchaus einer gewissen Nüchternheit Raum geben. Wir werden aber selbstver­ständlich beiden Berichten zustimmen. (Beifall bei Grünen und SPÖ. – Bundesrätin Mühlwerth: … Allianzen …!)

12.48


Vizepräsidentin Ingrid Winkler: Weitere Wortmeldungen liegen dazu nicht vor.

Wünscht noch jemand das Wort? – Das ist nicht der Fall. Die Debatte ist geschlossen.

Die Abstimmung erfolgt getrennt.

Wir kommen zunächst zur Abstimmung über den Tätigkeitsbericht des Verfassungs­gerichtshofes für das Jahr 2015.

Ich ersuche jene Bundesrätinnen und Bundesräte, die dem Antrag zustimmen, den gegenständlichen Bericht zur Kenntnis zu nehmen, um ein Handzeichen. – Das ist die Stimmenmehrheit. Der Antrag ist somit angenommen.

Nun kommen wir zu Abstimmung über den Tätigkeitsbericht des Verwaltungsgerichts­hofes für das Jahr 2015.

Ich ersuche jene Bundesrätinnen und Bundesräte, die dem Antrag zustimmen, den gegenständlichen Bericht zur Kenntnis zu nehmen, um ein Handzeichen. – Das ist die Stimmeneinhelligkeit. Der Antrag ist angenommen.

12.49.514. Punkt

Kunst- und Kulturbericht 2015 (III-596-BR/2016 d.B. sowie 9646/BR d.B.)

 


Vizepräsidentin Ingrid Winkler|: Wir gelangen nun zu Punkt 4 der Tagesordnung.

Berichterstatterin ist Frau Bundesrätin Mag. Gruber-Pruner. Ich bitte um den Bericht.

 


12.50.15Berichterstatterin Mag. Daniela Gruber-Pruner: Frau Präsidentin! Herr Minister! Werte Kolleginnen und Kollegen! Ich bringe den Bericht des Ausschusses für Unter­richt, Kunst und Kultur über den Kunst- und Kulturbericht 2015.

Der Bericht liegt Ihnen in schriftlicher Form vor, daher komme ich sogleich zur Antrag­stellung.

Der Ausschuss für Unterricht, Kunst und Kultur stellt nach Beratung der Vorlage am 4. Oktober 2016 den Antrag, den Kunst- und Kulturbericht 2015 zur Kenntnis zu nehmen.

 


Vizepräsidentin Ingrid Winkler: Wir gehen in die Debatte ein.

Als Erste zu Wort gemeldet ist Frau Bundesrätin Ecker. – Bitte.

 


12.51.07

Bundesrätin Rosa Ecker (FPÖ, Oberösterreich): Manche halten ja heutzutage ihr Handy schon für ein Kulturgut. Schalten Sie bitte Ihre Handys aus und widmen Sie Ihre Aufmerksamkeit der Kunst und Kultur! – Das hört man schon sehr oft im Kino und im Theater. Ich ersuche auch um Ihre Aufmerksamkeit – für Kunst und Kultur in Papierform, nämlich für den Kunst- und Kulturbericht 2015.

Aufgrund der Zusammenlegung der Sektion Kunst mit der Sektion Kultur gibt es heuer erstmals diesen Bericht, eine Aufstellung der Ausgaben für das Vorjahr in einem Exemplar gesammelt. Das finden wir sehr positiv, das haben wir auch schon einmal gefordert.

Aufgefallen ist uns, dass bei den Bundestheatern die Basisabgeltung mit 149 Millio­nen € beinahe gleich geblieben ist, es gab nur eine geringfügige Verschiebung von etwa 30 000 € vom Naturhistorischen Museum zur Österreichischen Nationalbibliothek. Etwas irritierend war oder ist nur, dass im Kunst- und Kulturbericht 2014 die Einzel­summen etwas anders ausgeführt sind als im vorliegenden Bericht, und zwar insbe­sondere, wenn man sich die Bundestheater Holding GmbH anschaut, warum auch immer. Ich nehme einmal an, dass sich das erklären lässt.

Jetzt habe ich als Oberösterreicherin natürlich auch geschaut, wie Oberösterreich in diesem Bericht vorkommt, und ich habe gefunden die Förderungsausgaben Kunst: für das Festival der Regionen mit 200 000 €, das Theater Phönix mit 330 000 €; gefördert wird auch ein EU-Programm „Europa für Bürgerinnen und Bürger 2014–2020“, und für dieses zivilgesellschaftliche Projekt hat die Fachhochschule Oberösterreich 150 000 € bekommen. Die Tribüne Linz habe ich mit einer Theaterförderung von 47 000 € gefun­den, und last but not least – jeder wird es zumindest vom Begriff her kennen – das Ars Electronica Center, das Ars Electronica Festival, ein Highlight jedes Jahr, war voriges Jahr mit „POST CITY – Lebensräume im 21. Jahrhundert“ auch sehr erfolgreich. Zwei Oberösterreicherinnen konnten sich über ein Startstipendium in Höhe von je 6 600 € freuen. – So weit, so gut.

Bundesweit reden wir von 90 Millionen € Kunstförderung, und das sind Einzelför­de-rungen an Einzelinstitutionen, Stipendien, Förderprogramme. In diesem Bericht ist nicht nachvollziehbar, ob diese Förderwerber oder Förderempfänger auch noch zusätzliche Subventionen bekommen. Ich meine, wir alle hier wissen, es gibt Kunst- und Kulturbudgets in den Ländern, in den Städten, den Regionen, sogar kleinste Gemeinden haben dafür etwas Budget reserviert. Früher gab es ja ein alphabetisches Verzeichnis pro Fördertopf, dem man entnehmen konnte, ob es Mehrfachförderungen gibt, das habe ich jetzt nicht mehr gefunden.

Unsere Initiative dazu wäre – und das ist ja auch hinlänglich bekannt – eine Transpa­renzdatenbank. Kollegin Mühlwerth hat das heute an einem anderen Punkt auch schon erwähnt, und es kommt dann immer der lapidare Kommentar: Ja, da warten wir doch auf diese große, ominöse, riesige Transparenzdatenbank – seit sieben Jahren, hat Kollegin Mühlwerth heute festgestellt. Herr Minister Drozda, wie lange, glauben Sie, werden wir noch darauf warten müssen?

Den vorigen Berichten haben wir entnommen – ich durfte das ja schon beim Be­richt 2013 festhalten, der etwas später kam; heuer behandeln wir den Bericht ja etwas früher –, dass in der Vergabe-Jury Künstler und Kunstschaffende sitzen, die zeitgleich auch die Förderungen vergeben. Das heißt, man sitzt da drinnen und kann sich die Förderung selbst zuerkennen. Sie werden mir recht geben, Herr Minister, die Optik ist mehr als schief. Das kann es ja wohl wirklich nicht sein.

Lobend erwähnt wird im Bericht die soziale Absicherung, dieser Sozialversiche­rungs­fonds für Künstler und auch der Fonds für die notleidenden Künstler. Dazu gibt es etwa 150 € Beitragsbezuschussung, das heißt eine sofortige Verminderung der Pensions-, Unfall- und Sozialversicherungsabgaben bei einem Jahreseinkommen von etwa 4 900 €, wenn ich das richtig in Erinnerung habe. Ich würde mir einen solchen Fonds auch für manche Frauen wünschen, die geringfügig beschäftigt sind – das ist ungefähr dasselbe Jahreseinkommen – oder die sehr wenig verdienen. Die würden sich viel­leicht auch gerne freiwillig höher versichern oder überhaupt sozialrechtlich absichern. Wenn jemand einen solchen Fonds für diese Frauen zustande brächte, wäre das echt ein Hit. Das würde ich Ihnen gerne mitgeben, so von Frau zu Minister: Das wäre auch woanders wünschenswert.

Im Vorwort bedankt sich die Leiterin der Kunst- und Kultursektion bei den Mitarbei­terInnen für die Abwicklung dieses Berichts. Das verstehen wir ja auch; wie wir wissen, sind Sie noch nicht so lange im Ministerium mit dem Kunstbereich vertraut. Vielleicht, Herr Minister, können Sie nicht nur zum Bericht Stellung nehmen, sondern auch zu den Compliance-Vorwürfen, die im Raum stehen. Die meisten werden es vor einigen Tagen im „Kurier“ gelesen haben, die Vorwürfe sind sehr schwerwiegend. Angeblich gibt es eine sechsseitige Anzeige bei der Wirtschafts- und Korruptionsstaatsanwaltschaft. (Bundesrat Stögmüller: … Privatsache, oder? – Bundesrätin Grimling: … nicht vor Gericht!)

Ich glaube, dass dem Herrn Minister hier auch die Möglichkeit geboten werden sollte, dazu Stellung zu nehmen. Ich persönlich würde mir ja wünschen, dass Sie es entkräften können. Der „Kurier“ titelte ja gestern so im Theater-Jargon: „Die Rache der Vampire“. – Da stellt sich schon die Frage: Ist es wirklich nur dieses Rauschen im Blätterwald, oder gibt es Brösel mit dem Betriebsrat, so quasi im Nachhinein, weil irgendetwas geändert worden ist, was jetzt vielleicht nicht mehr so okay war? Sagen Sie uns ganz einfach ehrlich, was dran ist! Wie gesagt, ich würde mir wünschen, dass es da nichts gibt.

Zum Bericht gebe ich Ihnen abschließend noch ein To-do mit: Richten Sie endlich eine Transparenzdatenbank ein, vielleicht doch einmal vordringlich für Kunst und Kultur! Stellen Sie sich vor: Dann könnten wir den Bericht nächstes Jahr vielleicht positiv zur Kenntnis nehmen. (Beifall bei der FPÖ.)

12.57


Vizepräsidentin Ingrid Winkler: Als Nächste zu Wort gemeldet ist Frau Bundesrätin Grimling. – Bitte.

 


12.57.52

Bundesrätin Elisabeth Grimling (SPÖ, Wien): Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrter Herr Bundesminister Drozda! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Mit dem vorliegenden Kunst- und Kulturbericht 2015 hat das Bundeskanzleramt eine gelungene Publikation vorgelegt, und das in mehrfacher Hinsicht: Zum einen spiegelt die Veröf­fentlichung der beiden bisher getrennt erscheinenden Berichte in einem gemeinsamen Bericht die Änderungen in der Verwaltung, also die im letzten Jahr umgesetzte Zusammenlegung der Sektionen Kunst und Kultur, wider. Kunst und Kultur, diese so eng ineinanderspielenden Bereiche werden somit gemeinsam dargestellt und gemeinsam gedacht. Zum anderen wurde der Bericht durch den Relaunch auch inhaltlich nachvollziehbarer und transparenter gestaltet. Durch die redaktionelle Überarbeitung wurde er zudem lesbarer und kundenfreundlicher.

Die einheitliche Darstellung der Ausgaben nach dem etablierten LIKUS-Schema macht die Daten besser vergleichbar – ich sehe das anders als Sie, Frau Kollegin – und erleichtert damit auch die Nachvollziehbarkeit von budgetären Maßnahmen wie Sonderförderungen und neuen Förderungsprogrammen.

Besonders hervorheben möchte ich in Bezug auf die Gestaltung des Berichts einer­seits das neue Kapitel zu den rechtlichen Grundlagen, das den Leserinnen und Lesern einen sehr guten und informativen Überblick über die gesetzliche Basis der Kunst- und Kulturförderung liefert.

Andererseits möchte ich das umfangreiche Kapitel zu Genderpolitik und Gender Budgeting erwähnen, in dem die Förderungen detailliert und aufschlussreich nach dem Genderprinzip ausgewertet werden. Sehr erfreulich ist hier die Bilanz. Seit Beginn der Auswertung im Jahr 2007 hat sich das Geschlechterverhältnis, was den Anteil der Kunstförderung betrifft, zugunsten der Frauen deutlich verbessert. Damals gingen noch 57 Prozent der Fördermittel an Männer. Im Jahr 2015 sind bereits 49 Prozent an Frau­en gegangen.

Bei den Bundesmuseen und der Österreichischen Nationalbibliothek kann der Bericht ebenfalls Erfolge aufzeigen. So erfreut sich die Initiative „Freier Eintritt bis 19“ nach wie vor großer Beliebtheit. Über 5,78 Millionen Kinder und Jugendliche haben diese Ange­bote in den Jahren 2010 bis 2015 genutzt. Allein im Vergleich 2014 zu 2015 gibt es hier ein Plus von 5,4 Prozent. Auch die Gesamtbesucherzahlen bei den Bundes­museen und bei der Österreichischen Nationalbibliothek entwickeln sich erfreulich. Es gelang eine Steigerung von 4,715 Millionen Besucherinnen und Besuchern im Jahr 2014 auf 4,970 Millionen Besucher im Jahr 2015, also ebenfalls ein Plus von 5,4 Prozent.

Was die Kunst- und Kulturbudgets angeht, stellt der vorliegende Bericht die notwen­digen Zahlen, Daten, Fakten klar und nachvollziehbar dar. Im Kulturbereich findet man auf dem Papier zwar einen Rückgang der Ausgaben von 339 Millionen € im Jahr 2014 auf 322,29 Millionen €. Allerdings ist dies allein auf die Tatsache zurückzuführen, dass im Jahr 2014, also im Jahr vor dem Berichtsjahr, zahlreiche Sonder- und Inves­titions­projekte der Bundesmuseen und der Österreichischen Nationalbibliothek finanziert wurden, die zu einem großen Teil auch 2014 abgeschlossen wurden, wie zum Beispiel das Literaturmuseum der Österreichischen Nationalbibliothek. Somit fielen diese Mittel im Jahr 2015 nicht mehr an.

In der Kunstförderung, die auf Basis des Kunstförderungsgesetzes vergeben wird, kann im Vergleich zum Jahr 2014 sogar über eine kleine Erhöhung der Ausgaben um 1,364 Millionen beziehungsweise 1,6 Prozent berichtet werden.

Daher kann festgehalten werden, dass sich die Finanzierungen und Förderungen so­wohl im Bereich Kunst als auch im Bereich Kultur von 2014 auf 2015 stabil entwickelt haben.

Ich möchte abschließend noch allen Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern des Bundes­kanzleramtes für diesen gelungenen neuen Kunst- und Kulturbericht danken. Ihnen, sehr geehrter Herr Bundesminister, gratuliere ich zu dieser Publikation. – Danke. (Beifall bei SPÖ und ÖVP.)

13.03


Vizepräsidentin Ingrid Winkler: Als Nächster zu Wort gelangt Herr Bundesrat Mag. Pisec. – Bitte.

 


13.04.14

Bundesrat Mag. Reinhard Pisec, BA (FPÖ, Wien): Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrter Herr Bundesminister! Sehr geehrte Damen und Herren! Gerade unter dem Eindruck der Zerstörung Palmyras, dieser antiken Stadt im heutigen Syrien, und der vor Kurzem erfolgten Verurteilung eines Aggressors durch den Internationalen Gerichtshof in Den Haag ist es notwendig, sich mit dem Kulturgut, mit dem kulturellen Erbe Österreichs und Wiens zu beschäftigen: Wie sieht es eigentlich bei uns aus? Wie sieht es hier im eigenen Haus aus?

Da kommt man auf teilweise skurrile Ergebnisse, fragwürdige Ergebnisse, die ich hiermit analysieren möchte. Wichtig ist einmal das kulturelle Erbe: Was ist das kultu­relle Erbe? – Das kulturelle Erbe, wie der Name schon sagt, behandelt das Erbe von vorangegangenen Generationen und natürlich den Erhalt für die zukünftigen Gene­rationen, den Erhalt des kulturellen Erbes; aber nicht, sehr geehrter Herr Bundes­minister, wie hier steht: des materiellen kulturellen Erbes.

Wenn man sich § 1 des Denkmalschutzgesetzes ansieht, sieht man, da steht: Schutz von Denkmälern wegen „geschichtlicher, künstlerischer oder sonstiger kultureller Bedeutung“. Das Geschichtliche ist das Wichtige, denn das Geschichtliche beinhaltet die gesamte kulturelle Anthropologie: Das ist der Mensch, der in diesem Objekt, der in dieser Materie gewohnt, geschaffen und gelebt hat, das ist der Epochenbegriff; die Epoche, der Erhalt, die Erinnerung an diese Epoche ist wichtig.

Das ist für eine Nation, für ein Land wichtig, wie sich an der Zerstörung Syriens, an den tragischen Aggressionen durch kriegerische Einwirkungen, aber auch in Südosteuropa gezeigt hat. Die erinnern sich gerne, die suchen nach identitätsstiftenden Objekten. Das ist für das kollektive Gedächtnis einer Nation, einer Bevölkerung von enormer Wichtigkeit, gerade im Zuge dieser Migrationswelle; sonst wird man nie Identitäten oder Kollektive, Gemeinsamkeiten schaffen können – ein unabdingbares Muss für alle, vor allem hier in Österreich.

Wie sieht das nun hier in Österreich aus? – Nehmen wir zum Beispiel das Haas-Haus in Wien: Das ist bekanntlich in den neunziger Jahren erbaut worden, ist zwei Mal komplett umgebaut worden. Es wurde als Einkaufszentrum konzipiert, heute ist es ein Hotel, geht an den Bedürfnissen und dem Nutzen der Bevölkerung völlig vorbei. Das Haas-Haus steht unter Denkmalschutz – mag so sein, ich möchte das nur wertfrei analysieren.

Das Jagdschloss von Erzherzog Johann – ich glaube, ich brauche keinem Steirer zu erklären, wer Erzherzog Johann war: der Begründer des berühmten Joanneums in Graz – steht zum Beispiel nicht unter Denkmalschutz. Es wird auch ganz offen feilgeboten und zieht natürlich Bauspekulanten an, was bei der heutigen Inflation, was die Immobilienpreise anbelangt, natürlich kein Wunder ist.

Wie sieht es in Wien weiter aus? – In Wien haben wir es mit einer politischen Person zu tun, die mit 12 Prozent in das Amt des Vizebürgermeisters gewählt worden ist. Diese Person, mit einem Wahlvotum von 12 Prozent, entscheidet im Alleingang über Wien, die Residenzstadt Österreichs mit einer über 600-jährigen Geschichte, das Zentrum Europas im Heiligen Römischen Reich. Dabei gibt es zahlreiche Fehlent­wicklungen, die fragwürdig sind, denen vor allem Einhalt zu gebieten ist.

Es muss zum Beispiel allen Ernstes von der UNESCO, vom Ausland der Hinweis kommen: Passt endlich auf euer kulturelles Erbe auf! Das, was ihr vor dem Konzert­haus machen wollt, dieses Hochhaus vor dem Konzerthaus, das funktioniert nicht! Erst dann hat sie praktisch die Reißleine gezogen und gesagt: Nein, die Verbauung des Konzerthauses findet nicht statt!

Der zweite Fall spielt sich soeben vor der Karlskirche ab: Vor der barocken Karlskirche soll allen Ernstes ein Glaspalast errichtet werden. Es fällt auf, dass diese neue – mittlerweile auch schon über sechs Jahre im Amt befindliche – Vizebürgermeisterin immer ein offenes Ohr für Bauspekulanten hat. Es ist doch kein Wunder: Baut man heutzutage, bei Grundstückspreisen von 20 000 € pro Quadratmeter, ein Hochhaus, kann sich jeder ausrechnen, wie viel Profit die Bauspekulanten machen. Die Zürich Versicherungs-Aktiengesellschaft ist ein Finanzunternehmen, ein ins Trudeln gekommener Finanzkomplex, der in der heutigen Zeit schwer überleben kann und sich damit natürlich auf Kosten der Identität Österreichs und Wiens bereichern will.

Das wäre nach dem französischen Denkmalschutzgesetz nicht möglich. Die Franzosen interpretieren das anders. Da kommt auch das Wort historique vor, das monument historique. Das ist der Franzose, der sagt: 500 Meter vom geschützten Objekt entfernt darf es keine Veränderungen geben! Das Ensemble, der gesamte Raum, wie man in der heutigen Zeit so schön sagt, ist wichtig. Am Karlsplatz geht es um den Anbau eines Glaspalasts direkt an die Mauern dieser barocken Welt. – Nein, nein, das wollen wir Freiheitliche nicht, denn wir legen auf die Identität, auf den Erhalt unseres schönen Wiens besonderen Wert! (Beifall bei der FPÖ.)

Dazu kommt noch, dass dort Wissenschaftler sitzen – und deswegen gibt es ja das Bundesdenkmalamt –, die ausgebildet sind, die die Materie kennen und diesbezüglich auch Entscheidungen treffen können. Warum ist gerade diese mit 12 Prozent ins Amt gewählte Person diejenige, die hier die Entscheidungsbefugnisse hat, die darüber entscheiden kann? – Nein, das kann es nicht sein! Man muss auch fragen, wie die Besetzung, wie die Entscheidungsstruktur in Österreich gegenüber solchen – wie soll man sagen? – politischen Institutionen aussieht. Das gehört in jeder Hinsicht ver­bessert. 

Macht braucht Kontrolle! Das wollen wir Freiheitliche. Wir wollen die Macht beschrän­ken, dass solche Beispiele, wie gezeigt, solche Ausuferungen, Auswüchse gar nicht entstehen können.

Die Geschichte des roten Wiens ist auch eine Geschichte ich muss es euch sagen – der Zerstörung Wiens. (Bundesrätin Kurz: Geh!) Wenn man sich anschaut, was in Wien seit 1950 alles zerstört wurde, verschwunden ist: Palais Erzherzog Rainer, Palais Lanckoroński, der Heinrichshof vis à vis der Oper, von Theophil Hansen – der auch diesen prachtvollen Komplex hier errichtet hat – erbaut. Der heutige an dieser Stelle stehende Opernringhof erinnert mich auch ein bisschen an den Palast der Republik, der vor zehn Jahren in Berlin weggerissen wurde, wo heute mit Enthusiasmus das Schloss der Hohenzollern unter großem Beifall der Bevölkerung und auch unter der Beteiligung von privaten Spendern wieder errichtet wird. (Bundesrätin Kurz: Das hat aber mit uns gar nichts zu tun!) Das könnte man sich in Wien auch einmal überlegen: nicht immer nur zerstören, sondern auch einmal etwas Positives errichten.

Aber gehen wir weiter: das Dianabad an der Ringstraße – zerstört; das Wiener Stadttheater in der Josefstadt, das Wiener Bürgertheater, das Johann-Strauß-Theater gibt es nicht mehr. Das  Palais Paar in der Wollzeile (Bundesrätin Grimling: Na ja!): Wo findet man das Inventar? – Im Metropolitan Museum of Art in New York, die haben es für uns gerettet! Ganz tragisch: das Freihaus am heutigen Karlsplatz, wo Mozart seine „Zauberflöte“ uraufgeführt hat, wurde 1970 abgerissen.

Ja, die Zwischenrufe von der Sozialdemokratie, die sind klar, ihr habt ein schlechtes Gewissen (Bundesrätin Grimling: Ich habe kein schlechtes Gewissen!), wenn ihr vor Augen geführt bekommt, was in Wien alles abgerissen wurde – und es ist noch immer kein Ende in Sicht ist! 2000 wurde am Donaukanal, wo jetzt ein anderes Finanz­konglomerat besteht, nämlich die Uniqa, ein Palais weggerissen. Das zu machen, was hier in Wien alles möglich ist, wäre anderswo in Europa – in Zürich, in Prag, in Budapest – ein Unding. Da müsste man umdenken. (Bundesrat Todt: Wir sind eine lebende Stadt, das ist der Unterschied zu Zürich!)

Zum Schluss noch: Die Florianikirche, eine Barockkirche auf der Wiedner Hauptstraße, wurde auch abgerissen. Das muss man einmal sagen, und es ist kein Ende in Sicht. Daher ist es wichtig, sehr geehrter Herr Bundesminister, dass Sie sich dieses Themas einmal annehmen und das Bundesdenkmalamt personell aufstocken (Bundesrätin Grimling: Ach so, um das geht es!); es ist mit 200 Personen total unterbesetzt, mit einem Budget von, ich glaube, 30 Millionen €. Die Nationalbank hat über 5 000 zu bezahlende Mitarbeiter, und für die Erhaltung unseres kulturellen Erbes mit über 10 000 Objekten in ganz Österreich haben wir gerade einmal 200 Personen zur Verfügung.

Wir wollen das verstärken, und vor allem wollen wir die Entscheidungsträger kontrol­lieren. – Vielen Dank. (Beifall bei der FPÖ.)

13.13


Vizepräsidentin Ingrid Winkler: Als Nächster zu Wort gelangt Herr Bundesrat Hammerl. – Bitte.

 


13.13.15

Bundesrat Gregor Hammerl (ÖVP, Steiermark): Geschätzte Frau Präsidentin! Herr Bundesminister! Geschätzte Damen und Herren! Ich komme nun wieder zum positiven Bericht zurück. (Beifall bei ÖVP und SPÖ.) Es wurde heute schon diskutiert, ich brauche keine Zahlen mehr zu nennen. Frau Kollegin Rosa Ecker und Frau Elisabeth Grimling haben bereits über den Denkmalschutz gesprochen.

Jetzt komme ich zum Bericht, meine Damen und Herren, vielleicht ein bisschen positiv: Am Wochenende wurde die Lange Nacht der Museen veranstaltet. Viele waren vielleicht in ihren Bundesländern mit dabei. Diese Aktion zeigt die Vielfalt wie auch das dichte Angebot an Museen in unserem Land. Diese Vielfalt und Dichte findet auch im Kunst- und Kulturbericht 2015 ihren Ausdruck. Zugleich zeigt der große Anklang, den diese Veranstaltung über die Grenzen Österreichs hinaus fand, dass das Bedürfnis nach Auseinandersetzung mit den Wurzeln und den Ausformungen unserer Kultur sehr groß ist. Die große Vielfalt weist auf die Breite des Ausdrucks unserer Kultur in Österreich hin.

Meine Damen und Herren! Es geht nicht nur um eine Musealisierung unserer Kultur, sondern es geht auch um die lebendige Auseinandersetzung mit dem, was geschaffen worden ist, und mit dem, was wir heute an Gestaltung für die Zukunft vornehmen müssen.

Kunst und Kultur sind nichts Totes, sondern sich laufend verändernde Gebilde ange­sichts der Entwicklungen. Kunst und Kultur müssen laufend geschaffen werden. Dazu bedarf es, keine Frage, auch Förderungen. So schreiben Sie, Herr Minister für Kunst und Kultur, in dem über 450 Seiten starken Kunst- und Kulturbericht – das ist jetzt wichtig, wenn Sie den Bericht nicht ausgedruckt haben –: „Sowohl für das zeitge­nössische Kunst- und Kulturschaffen als auch für die Gegenwartskunst stellt das Bundeskanzleramt eine Fülle von Leistungen zur Verfügung – vielfältige Förderungs- und Stipendienprogramme“ – das wurde heute auch schon erwähnt – „unterstützen Künstlerinnen und Künstler bei ihrer Arbeit sowie Vereine und Einrichtungen bei der Präsentation und Vermittlung dieser Arbeiten.“

Meine Damen und Herren! Damit wird möglichst vielen Menschen eine lebendige Auseinandersetzung mit Kunst und Kultur in der Gegenwart ermöglicht.

Warum nun diese Förderung von Kunst und Kultur? – Es gibt viele Gründe dafür, etwa Österreich in der Welt über Kunst und Kultur – dazu, wenn Sie den Bericht gelesen haben, zählt auch der Film – zu präsentieren. So wurde 2015 der Kurzfilm „Alles wird gut“ von Patrick Vollrath für den Oscar in der Kategorie „Bester Kurzfilm“ nominiert – ein großer Gewinn für das Renommee Österreichs. Das ist in allen Medien in der ganzen Welt gut angekommen.

Dazu gilt es, meine Damen und Herren, das große Erbe an Kunst und Kultur, das uns übergeben wurde, zu pflegen. Das geschieht in Österreich durch die Museumstätigkeit, wie heute schon angedeutet, sowohl im Bund als auch in den Ländern; wir haben eine große Museumsdichte und Museumsvielfalt in Österreich. Das geschieht durch die Schaffung und Aufführung von Musik, Schauspiel, Film, Kleinkunst und Literatur.

Wir dürfen die große Anzahl von Festspielen und Festivals nicht vergessen, die sind ja nicht nur ein Aushängeschild für die veranstaltenden Städte und Orte, sondern insge­samt eine Werbung für Österreich. Allerdings muss man meines Erachtens darauf achten, dass diese Veranstaltungen, meine Damen und Herren, nicht inflationär werden, damit das Flair des Besonderen nicht verloren geht. Diese Veranstaltungen sind Anknüpfungspunkte für die Ausbildung eines positiven Bildes von Österreich in der Welt. Das Bild Österreichs ist das Bild einer Kunst- und Kulturnation.

Wie schon angedeutet, meine Damen und Herren, gilt aber auch in Kunst und Kultur der Satz von Goethes „Faust“: „Was du ererbt von deinen Vätern hast, erwirb es, um es zu besitzen.“ Es bedarf also der Pflege des Erbes in Bezugsetzung zur Gegenwart. Die Aneignung des Erbes bedeutet, dass aus der Tradition heraus in Verbindung mit ihr Neues geschaffen werden muss.

Sie schreiben zu Recht, Herr Minister: „Ebenso wichtig ist es, Rahmenbedingungen zu schaffen, damit sich Neues entwickeln kann: 2015 wurden die Grundlagen für ein eigenes Förderungsprogramm für den Neuen Zirkus geschaffen, eine Kunstform, die verschiedene Formen der darstellenden oder auch der bildenden Kunst mit Zirkus-elementen verbindet und – im internationalen Vergleich – in Österreich derzeit noch unterrepräsentiert ist.“

Es gilt also – meine Damen und Herren, das ist ganz wichtig – in der Kunst auch Mut für das Neue zu zeigen und in dieses Neue zu investieren, dafür auch Gelder, die in Österreich vielleicht zu stark auf die traditionellen Formen und Häuser konzentriert sind, umzuschichten. Gerade an der Förderung des Neuen Zirkus zeigt sich, dass das einseitig geprägte Bild einer Hochkultur, das stark durch Eliten geprägt ist, erweitert werden muss.

Herr Minister, Sie fordern am Ende des Vorworts: „Nützen Sie diesen Bericht als Handbuch künstlerischer Möglichkeiten und verstehen Sie ihn als Einladung, sich noch intensiver mit Kunst und Kultur auseinanderzusetzen.“

Meine Damen und Herren! Wenn Sie den Bericht ein wenig durchlesen, so sehen Sie, dass als Schwerpunkte fast alle Museen in Wien beschrieben sind. Sie schlagen auf und sehen: wann, was, wie, wo. Im Bereich der Museen ist alles Wissenswerte ent­halten. Die Auseinandersetzung, sei es in Form der ausführenden oder der dar­stellenden Kunst, sei es in Form von Musik und Literatur, bedeutet ja auch ein Element unserer Lebensbewältigung – und das, meine Damen und Herren, ist heute mehr denn je notwendig.

Ich möchte nur zwei Gründe dafür kurz betrachten. Der erste Punkt ist: Wir leben heute in einer Zeit des schnellen Wandels, in der es leicht zum Orientierungsverlust kommen kann. Uns geht es oft wie dem bekannten Münchner Komiker Karl Valentin, der einmal durch München ging und die ihm begegnenden Menschen gefragt hat: Entschuldigen Sie, wissen Sie, wohin ich will?

Der Mensch braucht gerade im schnellen Wandel Anhaltspunkte, und zu diesen gehören auch die Kunst und die Kultur. Die Besucherzahlen der Albertina, die um 8 Prozent gestiegen sind, fast 700 000 Besucher 2014, sind ein Zeichen solcher Suche nach Verankerungen. Das Kunsthistorische Museum hatte 2015 1,2 Millionen Be­sucher, das Museum Moderner Kunst Stiftung Ludwig – kein Mensch hätte das gedacht – hat mit fast 300 000 Besuchern sein besucherstärkstes Jahr verzeichnet. Meine Damen und Herren, es wird also Orientierung gesucht.

Nun zum zweiten und letzten Punkt, das ist ein ganz wichtiger Punkt: 2015 war von starken Migrationsbewegungen geprägt, die gerade auch unser Land forderten. Die Angst vor diesen Entwicklungen ist nicht zuletzt deswegen so stark, weil wir mit neuen Kulturen konfrontiert sind, deren Grundlagen uns zum Teil fremd, aber auch von manchen Migranten in einer Entschiedenheit vorgetragen worden sind und werden, die natürlich auch für uns herausfordernd ist. Dies lässt zum Teil unsere eigene Kulturver­gessenheit erkennen. Wir merken, dass wir oft die Grundlagen unserer eigenen Kultur schlecht oder gar nicht kennen. Diese Unkenntnis wird besonders dann sichtbar, wenn wir nach der Basis von gemeinsamen Grundwerten suchen müssen, die ein Zusam­menleben mit Menschen aus anderen Kulturen erst ermöglichen.

Meine Damen und Herren, angesichts der Migrationsbewegungen stellt sich nämlich die Überlebensfrage einer gemeinsamen Kultur, die wir suchen müssen und wozu uns Kunst – ich wiederhole – einen wertvollen Beitrag leisten kann. Die über 410 Millio­nen €, die für die Förderung von Kunst und Kultur 2015 ausgegeben wurden, sollen auch zur Kultur dieser Lebensbewältigung, die ich vorhin erwähnt habe, beitragen. Gerade auch deswegen, meine Damen und Herren, ist ein verantwortungsvoller Umgang mit diesen Geldern gefordert.

Sehr geehrter Herr Bundesminister, ich sage abschließend danke für diesen umfas­senden Bericht, aber auch – das betone ich jetzt noch einmal – für die mutigen Per­sonal­entscheidungen, die Sie in letzter Zeit getroffen haben. Noch einmal ein Danke für den Bericht und ein großes Danke an Ihre Mitarbeiter! – Danke schön. (Beifall bei ÖVP, SPÖ und Grünen.)

13.22


Vizepräsidentin Ingrid Winkler: Als Nächster zu Wort gemeldet ist Herr Bundesrat Stögmüller. – Bitte.

 


13.22.11

Bundesrat David Stögmüller (Grüne, Oberösterreich): Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrter Herr Minister! Sehr geehrte Damen und Herren! Ich glaube, das waren nicht nur mutige, sondern nötige Personalentscheidungen. Als vierter Redner lassen sich zum Kulturbericht gar nicht mehr so viele unerwähnte Punkte finden, die man noch erwähnen sollte, aber ich möchte vielleicht trotzdem auf ein paar Schwerpunkte eingehen, die wir Grüne sehr betonen möchten. (Präsident Lindner übernimmt den Vorsitz.)

Zum Bericht selbst: Dazu möchte ich Ihnen natürlich auch gratulieren. Der Bericht ist sehr umfangreich, aber zum Glück nicht mehr ganz so umfangreich wie die früheren Kunst- und Kulturberichte – die waren ja um einiges dicker und umfassender –; dieser ist jetzt schon ein bisschen übersichtlicher geworden. (Bundesrat Mayer: Qualität zählt, nicht Quantität!)

Es ist ein großer Fortschritt, dass es jetzt einmal einen gemeinsamen Bericht gibt, in dem auch die Förderungen des Kulturministeriums drinnen sind. Auch positiv ist, dass endlich LIKUS, sprich die LIKUS-Symptomatik aufgezeigt wird. Dazu muss man wissen, was LIKUS ist: LIKUS ist die Länderinitiative Kulturstatistik, die die Ausgaben trans­parenter aufzeigt und sie mit jenen der Länder vergleichbar macht. Das ist natürlich ein Fortschritt. Diesen Schritt, damit das auch klar aufgezeigt werden kann, begrüßen wir natürlich ganz besonders.

Vielleicht zu einem Punkt, den wir weniger begrüßen: Das ist die Verteilung der För­derausgaben. Zwei Drittel der Gelder flossen 2015 alleine in die großen Bundestanker. Alleine die Bundestheater und die Bundesmuseen fraßen 264 Millionen € von dem 410-Millionen-€-Kuchen auf – also knapp 65 Prozent des Gesamtbudgets –; das ist ein riesengroßes Stück des Kuchens, das hier aufgefressen wird. Da bleiben nur mehr Bröserl für die restlichen Kultursparten übrig. Das hätten wir uns natürlich etwas besser aufgeteilt gewünscht.

Natürlich bietet so ein Kunst- und Kulturbericht auch immer einen guten Anlass, um Themen des Berichts mit aktuellen Ereignissen zu verknüpfen. Keine Angst, Herr Minister, ich werde jetzt nicht auf die aktuellen Zeitungsschlagzeilen zu den laufenden Verfahren um den Compliance-Verstoß eingehen, das ist ein laufendes Verfahren. Ich gehe lieber ein bisschen auf die aktuellen Ereignisse in Kunst und Kultur ein.

Zum einen: Ich kann mich noch ganz gut an Ihre Antrittsrede erinnern, auch hier im Bundesrat, bei der Sie angekündigt haben, die zeitgenössische Kunst und die freie Szene mehr in den Fokus zu nehmen und die Förderungen zu erhöhen. – Ja, das haben Sie getan, wenn auch nur um 5 Millionen € bis 2018. Das ist jetzt kein Meilen­stein in diesem Bereich, aber der Wille und die Intention sind spürbar, sie sind da, und wir Grüne können nur begrüßen, dass Sie diesen Weg gehen. Sie haben unsere volle Unterstützung auf diesem Weg.

Ein Punkt, den ich im Zusammenhang mit dem Bericht natürlich auch ansprechen muss – das hat der Herr Kollege schon gesagt –, sind die Ereignisse rund um das Belvedere: Nicht nur, dass ich schon mit Spannung auf die Ernennung der neuen Direktorin beziehungsweise des neuen Direktors warte – ich glaube, Mitte Oktober, also nächste oder übernächste Woche, wird es dann so weit sein, habe ich in einem Zeitungsbericht gelesen –, aber diese Ereignisse haben klar gezeigt, dass es innerhalb der Bundesmuseen strukturelle Mängel gibt, und da haben Sie meiner Meinung nach richtig gehandelt und eine Museumsreform ausgerufen.

Was wir brauchen, ist eine klare Stärkung der Kontrollorgane und auch eine politische Unabhängigkeit dieser Kontrollorgane. Das ist ganz, ganz wichtig. Weiters braucht es natürlich auch Synergien in den Organisationsstrukturen innerhalb der Museen. Diesbezüglich hat Ihnen ja auch der Rechnungshof bereits Vorschläge unterbreitet. Ein Schlagwort dazu war die gemeinsame interne Revision. – Wir würden sehr begrüßen, dass es dorthin geht. Und es braucht, nicht zu vergessen, auch eine inhaltliche Neuordnung mit deutlich verschärften Profilen. Das würden wir Grüne uns von dieser Museumsreform erwarten, wir sind schon ziemlich gespannt darauf. Ich hoffe, Sie werden uns in zwei Wochen die neue Direktion und auch bald eine Reform vorstellen können.

Ich möchte auch kurz auf die Bundestheater eingehen: Ich habe am Anfang gesagt, dass sie ein großes Stück des Förderungskuchens serviert bekommen. Was mich aber schon wundert, ist – ich habe es auch Ihren Beamtinnen und Beamten im Ausschuss schon mitgeteilt –, dass sie nicht bereit sind, beim Kulturpass mitzumachen. Der Kultur­pass – für alle, die das nicht wissen – ist für sozial benachteiligte Menschen gedacht, die damit freien Eintritt in zahlreichen kulturellen Einrichtungen bekommen, aber leider nicht in den Bundestheatern. Ich bin der Meinung, dass auch Menschen mit finan­ziellen Engpässen ein Recht auf Kunst und Kultur haben. Gerade auch deswegen, weil die Bundestheater einen sehr großen Teil des Kuchens verschlingen, glaube ich, dass sie sich auch daran beteiligen müssen. Ich hoffe, Herr Minister, dass dies als Ihre Errungenschaft nächstes Jahr in den Bericht einfließen wird und dann auch die Bundestheater den Kulturpass akzeptieren werden.

Abschließend möchte ich noch auf einen anderen Punkt eingehen, es geht um die Salzburger Festspiele und eine Aussage der Präsidentin Helga Rabl-Stadler, die sich gerade um ihre siebente Amtszeit „bemüht“ – unter Anführungszeichen. Die Präsi­den­tin hat gegenüber der APA gesagt – ich zitiere –: „‚Jeder einzelne Kurator, jede ein­zelne Kuratorin‘ habe sie aufgefordert, sich wieder zu bewerben.“ (Bundesrätin Kurz: Ja, und?!)

Das Kuratorium ist ja ein Gremium, das die Mitglieder des Direktoriums und die Prä­sidentin bestellt. Dieses Kuratorium der Salzburger Festspiele besteht aus dem Salz­burger Landeshauptmann, dem Salzburger Bürgermeister, aus zwei Vertretern des Salzburger Tourismusförderungsfonds und dem Geschäftsführer der Bundestheater-Holding – also wieder sehr „unpolitisch“. All diese Personen haben die Präsidentin nach ihrer eigenen Aussage ermutigt, erneut zu kandidieren, zwei Monate bevor die eigentliche Ausschreibung erfolgt ist. Das erscheint dann so, als wäre es eh nur mehr eine Formsache, das Ganze abzuwickeln, wenn das ganze Kuratorium schon vorweg sagt: Bewirb dich doch wieder, du hast unsere vollste Unterstützung! (Bundesrätin Kurz: Geh bitte, misch dich nicht in Salzburg ein! Davon verstehst du gar nichts! – Zwischenruf des Bundesrates Hammerl.)

Es ist halt auch fraglich, ob sich überhaupt noch andere qualifizierte Kandidatinnen und Kandidaten an der Ausschreibung beteiligen, wenn es vorweg schon so eine breite Unterstützungserklärung des Kuratoriums betreffend dieses Amt gibt. Wenn sich doch jemand dazu durchringt, ist es fraglich, wie unabhängig die Prüfung der fachlichen Eignung dann abläuft, wenn sich das Entscheidungsorgan schon davor geeinigt hat, wer die nächste Präsidentin wird.

Aber nicht nur die bevorstehende Neubestellung steht in der Kritik, sondern auch die strukturellen Mängel innerhalb der Salzburger Festspiele, das hat auch der Rech­nungshof festgestellt. (Bundesrätin Kurz: Du hast keine Ahnung von den Salzburger Festspielen!) Lesen Sie den Vorschlag 812 des Rechnungshofes nach! Das hat jede Bundesrätin, jeder Bundesrat zugeschickt bekommen. Schlagen Sie 812 auf, ganz hinten, da können Sie das nachlesen:

„An oberster Stelle steht dabei die Schaffung einer Rechtsgrundlage für die Salzburger Festspiele, die geeignet ist, ein Kulturunternehmen mit einem Gebarungsumfang von rund 50 Millionen € zu führen. Das Salzburger Festspielfondsgesetz entspreche hin­sichtlich der Aufgabenverteilung zwischen Delegiertenversammlung, Kuratorium und Direktorium sowie der Vertretung des Salzburger Festspielfonds nach außen nicht dem Österreichischen Corporate Governance Kodex und den OECD-Leitsätzen zu Corpo­rate Governance in staatseigenen Unternehmen. Es sei kein unabhängiges, von der Geschäftsführung getrennt eingerichtetes Aufsichtsorgan als wesentliches Element guter Unternehmensführung eingerichtet.“

Also es gibt noch viele weitere Reformvorschläge, die die Salzburger Festspiele betref­fen und die dringend umgesetzt werden müssen. Bestimmt wissen Sie, Herr Minister, dass wir dazu auch eine parlamentarische Anfrage eingebracht haben. Wir sind schon ziemlich gespannt auf Ihre Antworten, und ich hoffe auch, dass doch die eine oder andere Reform kommen wird, denn die Salzburger Festspiele sind eine nicht wegzu­denkende Institution und eine Bereicherung der Kulturszene. (Bundesrätin Kurz: Die Salzburger Festspiele sind eine Erfolgsgeschichte!) – Ja, nennen wir sie Erfolgs­geschichte, aber es braucht eine unabhängige und transparente Struktur dahinter, ohne diese geht es nicht. (Bundesrat Mayer: Warum soll man das ändern? Völlig unverständlich!) Ich weiß nicht, warum Schwarz und Rot das nicht verstehen.

Also, Herr Minister, da haben Sie noch einiges zu tun. Ich bin neugierig. Man braucht sich ja nur immer wieder die Compliance-Vorwürfe betreffend die verschiedenen Ämter anzusehen, dann sieht man das Ganze. Ich bin schon neugierig auf die Umsetzung der Reform.

Wir Grüne werden dem Kunst- und Kulturbericht heute natürlich zustimmen. – Vielen Dank. (Beifall bei den Grünen.)

13.31


Präsident Mario Lindner: Als Nächster zu Wort gemeldet ist Herr Bundesrat Pfister. – Bitte.

 


13.31.01

Bundesrat Rene Pfister (SPÖ, Niederösterreich): Herr Präsident! Werter Herr Bundesminister! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich habe mich zu Wort gemeldet, weil wir am Dienstag im Ausschuss die Diskussion ja auch schon hatten und wir unsere Fragen von Ihren Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern – sehr, sehr umfangreich und sehr ausführlich, wirklich wie auf Knopfdruck – total toll beantwortet bekommen haben. Da es hier auch darum geht, Zahlen, Daten und Fakten auf den Tisch zu legen, darf ich Ihnen recht herzlich gratulieren, dass das so hervorragend funktioniert.

Wir sind Zahlenmenschen, und mit diesem neuen System, dem LIKUS-System gibt es jetzt auch Vergleichsmöglichkeiten. Immer mehr von uns allen wünschen sich den Vergleich mit den Vorjahren, mit den vergangenen Jahren. Das ist nicht nur in der Wirtschaft so, wo man Gewinne aus dem Vorjahr natürlich im nächsten Jahr noch erhöhen möchte, sondern da geht es auch um Kunst- und Kulturgüter, da geht es um kulturelles Erbe, da geht es auch um Denkmalschutz.

Lieber Kollege Pisec, wenn Sie Denkmalschutz und kulturelles Erbe in einen großen Topf werfen, dann möchte ich Ihnen von hier aus schon sagen, dass Denkmalschutz und das kulturelle Erbe da nicht zusammenpassen. (Bundesrat Pisec: Das ist ein Ganzheitsbegriff!) Das eine betrifft Bauten, und beim kulturellen Erbe geht es um mehr als nur Gebäude: Da geht es um Museen, da geht es um Theater, da geht es um Tätigkeiten, da geht es um Tätigkeiten von früheren Generationen, die Österreich aufgebaut haben.

Ich finde es sehr, sehr traurig, wenn Sie sich herausstellen und dem Herrn Minister in Ihren Ausführungen da Dinge, die vor 50 Jahren passiert sind, die vor 50 Jahren entschieden worden sind, zum Vorwurf machen. (Bundesrat Pisec: Er soll aufstocken, habe ich gesagt! Personal aufstocken!) Es gehört schon auch dazu, dass man zuhört und dass man sich das auch genau anhört, wenn es um Förderungen geht.

Auch in diesem Bericht findet sich der Anteil von Frauen in der Kunstförderung, und auch da hat sich seit 2007 – wenn man sich das genau anschaut – der Schnitt oder die Zuteilung der Förderungen massiv verbessert. Waren es 2007 noch 57 Prozent der Fördermittel, die an Männer gegangen sind, so sind es im Jahr 2015 nur mehr 49 Prozent. Also auch da tut sich etwas.

Ebenso gehört auch dazugesagt, dass mit der Novelle des Künstler-Sozialversiche­rungsfondsgesetzes der Zugang zu Zuschüssen erleichtert wurde, eine Unterstützung für in Not geratene Künstlerinnen und Künstler eingerichtet und der Zugang dazu auch erleichtert wurde. Dies haben wir bereits diskutiert und finden wir sehr positiv.

Wenn es hier darum geht, nur die Zahlen für das Jahr 2015 herzunehmen, der Denk­mal­schutz wurde schon angesprochen, dann bedeutet das, dass dieser im Bundes­kanzleramt hervorragend angesiedelt ist und dass allein im Jahr 2015 über 35 Millio­nen € an Aufwendungen betrieben wurden. (Bundesrat Pisec: Ganz tolle Summe!)

Wenn es ums kulturelle Erbe geht – das Sie angesprochen haben –, das es seit langer Zeit gibt, möchte ich auch an ein kulturelles Erbe anknüpfen, das man in jüngster Vergangenheit – das ist noch gar nicht so lange her – seitens der Freiheitlichen einem ganzen Bundesland mitgegeben hat. (Bundesrat Samt: Immer die Hypo ins Spiel bringen! Das ist ja abenteuerlich! – Bundesrat Todt: Das tut euch weh! – Zwischenruf der Bundesrätin Mühlwerth.) Heute weiß man davon nichts mehr oder man stellt sich hin und sagt, man war nie dabei. Wenn ich nur daran denke! Gott sei Dank ist diese leidige Diskussion um die Kärntner Hypo zu einem positiven Ende gekommen.

Da tut es schon sehr gut, dass wir einen Minister haben, der einen Kunst- und Kultur­bericht vorlegt, den alle goutieren und auch im Ausschuss alle auf Nachfrage positiv erwähnt haben. Daher verstehe ich nicht, dass man die Diskussionen hier in den Bundesrat bringt, dass Sie hier das alles durch den Kakao ziehen, nur weil es in Wien anscheinend irgendwelche Auffassungsunterschiede mit Ihnen gibt. Wien wird jedes Jahr wieder zu einer der lebenswertesten und kulturell wertvollsten Städte auf der ganzen Welt gewählt. (Bundesrätin Kurz: Genau!)

Lieber Herr Bundesminister! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Kulturelles Erbe: Der Kunst- und Kulturbericht 2015 ist ein umfangreiches Konvolut, dessen Zahlen, Daten und Fakten uns in den nächsten Jahren als Entscheidungsgrundlage für die finanziellen Ressourcen dienen werden. Sie sind genau das, was wir brauchen, um den nächsten Generationen, den Kindern und Kindeskindern unser kulturelles Erbe weiterzugeben: warum es schöne Ringstraßenbauten gibt, warum es in den Bun­desländern wunderschöne Gebäude gibt und warum es sich lohnt, in Österreich nicht nur Urlaub zu machen, sondern hier in Österreich auch zu leben.

Herr Minister, herzlichen Dank und alles, alles Gute! (Beifall bei SPÖ und ÖVP.)

13.36


Präsident Mario Lindner: Als Nächster zu Wort gemeldet ist Herr Bundesminister Mag. Drozda. – Bitte, Herr Minister.

 


13.36.31

Bundesminister für Kunst und Kultur, Verfassung und Medien Mag. Thomas Drozda: Danke zunächst einmal stellvertretend für die Kollegen, die diesen umfang­reichen, sehr guten, sehr komprimierten Bericht erarbeitet haben. Ich nehme das Lob gerne stellvertretend entgegen. Ich glaube auch, dass der aktuelle Bericht viel über­sichtlicher ist, dass er gut strukturiert ist.

Die Qualität der Vergleiche wird, jetzt, wo wir erstmals auf das LIKUS-System umge­stellt haben, in den Folgejahren deutlich besser werden. Ich glaube, dass diese beiden Bereiche jetzt wirklich als Sektion zusammengewachsen sind und zusammengekom­men sind. Damit ist jetzt ein sehr guter Organisationsentwicklungsprozess abgeschlos­sen, der von der Sektionschefin und ihren Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern auch sehr professionell geführt wurde. Man sieht auch im Bericht, dass das jetzt zusam­men­gehört.

Ich will jetzt nicht Willy Brandt zitieren – das ist doch ein größerer historischer Zusam­menhang, in den ich das jetzt nicht stellen möchte –, aber es freut mich, dass wir dort sind. Ich freue mich auch über 410 Millionen €, die ein eindrucksvoller Betrag sind. Man kann über die Verteilung immer diskutieren. Ich verstehe diese Diskussionen auch gut. Das ist einer der Gründe dafür, dass ich von Anfang an auch gesagt habe, ich möchte im Bereich der freien Gruppen, der Stipendien, der Ateliers Schwerpunkte setzen, was jetzt auch erfolgt ist.

Ich kann Ihnen darüber hinaus auch versichern, dass das auch budgetär gut weiter­gehen wird. Ich möchte dem Finanzminister, der am Mittwoch im Hohen Haus seine Budgetrede halten wird, nicht vorgreifen, aber die Verhandlungen sind für das Kunst- und Kulturbudget gut ausgegangen. Das ist beruhigend und gut für uns alle.

Ich möchte kurz auf einzelne Punkte eingehen: Die Förderung der Bundestheater, Frau Ecker, wurde mit 1. Jänner 2016 erhöht, weshalb die Erhöhung im Bericht 2015 keinen Niederschlag findet. Die Transparenzdatenbank ist derzeit in Verhandlung. Jetzt muss man sagen, dass sie schon lang in Verhandlung ist – ich verstehe, weshalb Sie lächeln. Da ich ja auch das Vergnügen habe, den Finanzausgleich – gemeinsam mit dem Finanzminister – als Bundesvertreter gegenüber den Ländern zu verhandeln: Ich habe bei der letzten Sitzung den Eindruck gehabt, dass auch von Länderseite eine große Akzeptanz in diese Richtung besteht, und ich glaube, dass wir das mit 1. Jänner 2017 umsetzen könnten, was ich auch für einen Fortschritt hielte.

Ich bedanke mich bei Ihnen, Kollege Hammerl, dafür, dass Sie mich in einem Umfeld zitieren, in dem ich mich bisher noch nicht bewegen durfte, nämlich bei Goethe und Valentin. Ich glaube auch, dass der Bericht sehr gut gelungen ist und dass wir vor allem über Erfreuliches berichten können; da fällt die Berichterstattung immer leichter.

Zu den einzelnen Punkten, die Sie, Kollege Stögmüller, angesprochen haben, wollte ich noch sagen, dass mir der Kulturpass sehr wichtig ist; ich habe das den Bun­destheatern auch unmissverständlich mitgeteilt. Ich habe das selbst, als ich Ge­schäftsführer der Vereinigten Bühnen war, beim ersten großen Theaterbetrieb, der starke Einnahmenabhängigkeit hat, durchgesetzt, weil mir der soziale Aspekt auch wichtig ist. Ich halte das daher durchaus für machbar. Gehen Sie davon aus, dass wir bei der nächsten Berichterstattung einen positiven Bericht bringen!

Beim Belvedere ist es so, dass tatsächlich diese Woche Hearings stattfinden und ich davon ausgehe, dass wir den Zeitplan bis Mitte Oktober halten können.

Weißbuch Museumsreform: Ich glaube, ehrlich gesagt, dass man sich fünfzehn Jahre nach der Ausgliederung der Museen wirklich überlegen muss, wie man diesen Bereich aufstellen kann, wie man mehr Zusammenarbeit erzeugt, gewisse Backoffice-Zusam­men­führungen macht und die Sache auch inhaltlich neu diskutiert und dimensioniert. Es ist eine sehr kompetente Arbeitsgruppe unter Leitung der Sektionschefin Ecker und des ehemaligen mumok-Direktors Köb einberufen, aber es ist auch ICOM dabei, also das ist sehr breit aufgestellt. Jetzt ist eine Unternehmensberatung ausgeschrieben, die den Prozess begleiten soll.

Apropos Ausschreibung: Auch die Wirtschaftsprüferausschreibung für die Bundes­museen ist jetzt in der Finalisierung. Es ist jedenfalls einmal sichergestellt, dass alle Bundesmuseen den gleichen Wirtschaftsprüfer oder die gleiche Wirtschaftsprüferin haben werden.

Betreffend Denkmalschutz kann ich Sie beruhigen: Das ist mir ein Anliegen, und das ist auch budgetär gut aufgestellt. Ich habe auch wirklich Vertrauen in die handelnden Akteure. Ich bin mir der Bedeutung des kulturellen Erbes für unser Land sehr bewusst, und alle KollegInnen, die dort arbeiten, arbeiten auch in diesem Bewusstsein.

Abschließend noch ein Wort in eigener Sache, weil das angesprochen wurde; ich versuche, das so sachlich und nüchtern wie möglich zu machen: Gegenstand ist eine anonyme Anzeige. Ich wurde mit dieser anonymen Anzeige – nicht mit dem Inhalt, nur mit der anonymen Anzeige – am Freitag um 16 Uhr konfrontiert und hatte zwei Stun­den Zeit, zu sieben Punkten, die ich nicht im Detail kannte, Stellung zu nehmen.

Ich habe daher an meinen Anwalt verwiesen und habe gemeinsam mit meinem Anwalt über das Wochenende eine umfangreiche, fast hundertseitige Stellungnahme an die Staatsanwaltschaft ausgearbeitet. Machen Sie sich hinsichtlich meiner Integrität und meiner Professionalität, die in einer anonymen Anzeige elementar angegriffen wird, keine Sorgen!

Über den Vorgang, dass man nach der Eröffnung des Verfassungstages, nach Budget­verhandlungen, nach einem Round Table mit den Filmschaffenden, drei Stunden vor einer Abschiedsfeier bei einer Welturaufführung, die meine letzte Premiere in den Vereinigten Bühnen war, eine anonyme Anzeige auf den Tisch geknallt bekommt und dann innerhalb von zwei Stunden darüber in der Zeitung lesen kann, äußere ich mich nicht weiter. Insofern ist das jetzt bei der richtigen Stelle. Ich bin froh darüber, dass es bei der Staatsanwaltschaft ist, denn die kann das prüfen, die kann das anschauen. Ich bitte, sozusagen diese Objektivierung, die dort zweifellos stattfinden wird, abzuwarten.

Wie gesagt, ich habe mir diesbezüglich aber nichts vorzuwerfen, und dass man Denunziationen wie diesen in dieser Form ausgesetzt ist, muss man im Laufe der Zeit zur Kenntnis nehmen. Ich kann Sie beruhigen, ich war schon dreimal Gegenstand von anonymen Anzeigen, ein viertes Mal einer Anzeige Ihrer Kollegen, der Freiheitlichen im Wiener Landtag – es sind alle Anzeigen eingestellt.

Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit. (Beifall bei SPÖ, ÖVP und Grünen.)

13.43


Präsident Mario Lindner: Weitere Wortmeldungen dazu liegen nicht vor.

Wünscht noch jemand das Wort? – Dies ist nicht der Fall. Die Debatte ist geschlossen.

Wir kommen zur Abstimmung.

Ich ersuche jene Bundesrätinnen und Bundesräte, die dem Antrag zustimmen, den gegenständlichen Bericht zur Kenntnis zu nehmen, um ein Handzeichen. – Dies ist die Stimmenmehrheit. Der Antrag ist somit angenommen.

Die Tagesordnung ist erschöpft.

Ich unterbreche die Sitzung nunmehr bis zur Behandlung der Dringlichen Anfrage. Frau Vizepräsidentin Winkler wird die Sitzung um 16 Uhr wieder aufnehmen.

Die Sitzung ist unterbrochen.

*****

(Die Sitzung wird um 13.44 Uhr unterbrochen und um 16 Uhr wieder aufge­nom­men.)

*****


Vizepräsidentin Ingrid Winkler: Meine Damen und Herren! Ich nehme die unter­brochene Sitzung wieder auf.

Herr Minister, herzlich willkommen bei uns im Bundesrat!

16.00.42Dringliche Anfrage

der Bundesräte Hans-Jörg Jenewein, MA, Kolleginnen und Kollegen an den Bun­desminister für Europa, Integration und Äußeres betreffend die Schaffung ge­eigneter Rechtsgrundlagen zur Repatriierung unberechtigt Aufhältiger im Staats­gebiet zum Schutze des sozialen Friedens im Lande und der realen Kapazitäts­erweiterung für tatsächlich Schutzbedürftige (3176/J-BR/2016)

 


Vizepräsidentin Ingrid Winkler: Wir gelangen nunmehr zur Verhandlung über die Dringliche Anfrage der Bundesräte Jenewein, Kolleginnen und Kollegen an den Herrn Bundesminister für Europa, Integration und Äußeres.

Da die Dringliche Anfrage inzwischen allen Mitgliedern des Bundesrates zugegangen ist, erübrigt sich eine Verlesung durch die Schriftführung.

Ich erteile Herrn Bundesrat Jenewein zur Begründung der Anfrage das Wort. – Bitte.

 


16.01.16

Bundesrat Hans-Jörg Jenewein, MA (FPÖ, Wien): Sehr geehrte Frau Präsidentin! Herr Bundesminister! Herzlichen Dank für Ihr Kommen, wenn auch zu etwas vorgeschrittener Stunde. Wir haben die Sitzung unterbrochen, und jetzt haben wir sie wieder aufgenommen. Ich weiß, dass ich mir damit nicht sonderlich viele Freunde gemacht habe (Beifall bei Abgeordneten der ÖVP – Heiterkeit des Redners), damit kann ich auch leben (Zwischenrufe der Bundesräte Tiefnig und Köck); vom Bun­desminister spreche ich jetzt einmal nicht. (Ruf bei der ÖVP: Hast du überhaupt welche?) – Na ja, ein paar habe ich noch.

Gehen wir gleich in medias res, sonst ist die Stimmung gleich weg (Ruf bei der ÖVP: Ist sie eh schon!), aber ich bemühe mich. (Bundesrätin Zwazl: Bitte!) Dass wir heute über einige Dinge sprechen, halte ich deshalb für notwendig, weil sich gerade in den vergangenen Stunden einige Ereignisse überschlagen haben, auf die ich dann im weiteren Verlauf meiner Rede noch zu sprechen kommen werde.

Im Prinzip könnte man diese Dringliche Anfrage natürlich an den Bundesminister für Inneres stellen – das ist schon ganz klar. In dem Fall haben wir sie aber ganz bewusst an den Außenminister gestellt, weil die Frage der Rückführungen – und diese wird sich in den nächsten Jahren noch deutlich intensivieren – nämlich Angelegenheit des Außenministeriums ist.

Ich möchte ganz kurz replizieren: Dass die Notwendigkeit besteht, eine Änderung der Merkel-Faymann-Politik des vergangenen Jahres herbeizuführen, die dazu geführt hat, dass letztes Jahr rund 89 000 Asylanträge in Österreich gestellt wurden, diese Einsicht hat mittlerweile auch in der Bundesregierung Platz gegriffen. Man hat auch in der Bundesregierung erkannt, dass man so nicht weitermachen kann. Es wurde auch mehrfach von mehreren Regierungsmitgliedern – sowohl von der SPÖ als auch von der ÖVP – gesagt, dass wir ein Jahr wie 2015 in dieser Form kein zweites Mal ab­wickeln können. Das ist gut, und das ist richtig.

Auch Ihre Haltung, Herr Bundesminister, hinsichtlich Ungarn in der vergangenen Woche zeigt, dass es ein Umdenken gegeben hat. Ich darf nur ganz kurz daran erinnern, wie noch vor einem Jahr – vonseiten einer Regierungspartei – die Stimmung gegenüber Ungarn war und welche Aussagen in Richtung Ungarn gemacht wurden und wie teilweise auch das diplomatische Klima vergiftet wurde. Umso mehr freut es mich, dass es da jetzt eine Kehrtwendung um 180 Grad gegeben hat.

Nichtsdestotrotz haben Sie noch am 12. November 2014 in einem Interview mit der Tageszeitung „Die Presse“ gesagt: „Wir haben zu wenig Willkommenskultur“ in diesem Land. – Dass wir zu wenig Willkommenskultur in diesem Land hätten, kann man, glaube ich, heute nicht mehr behaupten. Wir haben letztes Jahr diese große Migran­ten­wanderung nach Österreich erlebt; von September 2015 bis Juni 2016 gab es rund 803 000 Einreisen von Menschen, die auf der Durchreise durch Österreich waren, auch auf der sogenannten Balkanroute.

Sie haben diese Balkanroute, so wird behauptet, geschlossen. Gestern im UNIQUE talk, bei welchem Herr Bundesminister Doskozil, der Chef von Amnesty International Österreich, Herr Patzelt, und Herr Wehrschütz vom ORF zu Gast waren, wurde von allen dreien unisono festgestellt: Das ist eine Mär, die Balkanroute ist nicht ge­schlossen. Laut Bundesminister Doskozil kommen pro Woche 700 Personen über die Balkanroute. Natürlich ist das deutlich weniger als in den Spitzenzeiten des letzten Jahres – vor allem August, September, Oktober und November –, aber nichtsdesto­trotz, wenn wir das auf 52 Wochen hochrechnen, haben wir alleine über die Balkan­route jetzt schon jene Anzahl von Personen – sollten diese theoretisch alle hier den Antrag stellen –, um die Notverordnung schlagend werden zu lassen.

Wir haben ein weiteres Problem, nämlich das Problem der Brennergrenze. In den vergangenen Tagen und Wochen konnte man verstärkt lesen und hören, dass es wieder zu massiven Wanderbewegungen über das Mittelmeer kommt und dabei sehr viele Menschen ertrinken. Gott sei Dank konnten auch sehr viele Menschen gerettet werden, das sage ich hier explizit dazu, denn kein Mensch wünscht sich, dass so etwas passiert; nur: Die Antwort der Europäischen Union ist auch zu hinterfragen, denn wenn die einzige Antwort darin besteht, diese Menschen aus dem Wasser zu retten und nach Italien zu bringen, werden wir es nicht schaffen, da einen Umdenkprozess zu bewirken.

Altlandeshauptmann Durnwalder hat in einem Interview Verständnis gezeigt, sollte Österreich die Grenze am Brenner schließen beziehungsweise hier mit Brenner­kon­trollen antworten wollen. Bundesminister Kurz hat am 3. September gesagt, dass wir so eine Migrantenwelle – wenn sie über den Brenner kommt nicht noch einmal stemmen können, und am 5. September hat er über Twitter festgehalten, dass es keine Kontrollen am Brenner geben wird. Vielleicht haben Sie, Herr Minister, dann noch die Möglichkeit, kurz darauf einzugehen, wie denn das zu verstehen war – vielleicht ist es ja auch missverständlich gewesen.

Der Grund dafür, dass ich heute hier mit Ihnen sprechen wollte, war eigentlich auch jener, dass in Ihrer Verantwortung, auch in der Verantwortung des Außenamts, jene Verhandlungen stattfinden, die Rückführungen, Repatriierungen möglich machen. Österreich hat drei bilaterale Rückführungsabkommen mit Drittstaaten, in der vorlie­genden Dringlichen Anfrage ist das auch taxativ angeführt.

Die sonstigen Rückführungsabkommen, die Österreich hat – wenn ich es richtig im Kopf habe, sind es 25 an der Zahl –, betreffen allerdings Staaten, die Teil der Europäischen Union sind, das heißt, diese sind de facto nicht mehr wirklich zweck­mäßig, und sie stammen auch noch aus einer Zeit, als Österreich nicht Teil der Euro­päischen Union war. Doch diese Rückführungsabkommen, so haben wir jetzt in den letzten Stunden gehört, stehen – wie zum Beispiel das Abkommen der Europäischen Union mit Afghanistan – ante portas.

In der heutigen Ausgabe der Tageszeitung „Der Standard“ gab es einen großen Artikel darüber. Wie wird sich das auswirken? Interessanterweise – und das ist schon auch etwas, worüber ich von Ihnen Auskunft begehre – hat die Bundesrepublik Deutschland ebenfalls ein bilaterales Rückführungsabkommen mit Afghanistan ausverhandelt, das ebenfalls kurz vor dem Abschluss steht. Die Frage ist: Warum hat Österreich so etwas nicht gemacht?

Wir wissen durch die Statistik Austria, dass Afghanen auf der Liste jener Personen, die hier in Österreich aufhältig sind und keinen gültigen Aufenthaltstitel haben, ganz weit oben stehen. Wir wissen auch, dass Bundesminister Doskozil mit Abschiebungen in Militärmaschinen begonnen hat. Das ist alles recht schön und gut, und das ist ja auch eine alte freiheitliche Forderung gewesen – aber nur deswegen, weil wir ein paar medientaugliche Abschiebungen vornehmen, werden wir des Problems nicht Herr werden, denn wir alle wissen, woran es meistens scheitert. Es scheitert meistens an fehlenden Rücknahmezertifikaten, es scheitert meistens daran, dass die Staaten sich weigern, aus welchen Gründen auch immer, ihre eigenen Leute zurückzunehmen.

Da wäre es Aufgabe auch der österreichischen Politik – wenn wir ernsthaft dieser Meinung sind, und diese Debatte wurde zumindest bis zum Frühjahr ernsthaft in der Republik geführt –, dass wir all jenen Personen, die hier keinen Aufenthaltstitel haben, die auch keine Chance auf einen Aufenthaltstitel haben und denen man eben auch mitteilen muss, dass sie hier auf Dauer nicht bleiben können, die Möglichkeit der Heimreise bieten. Es kann nicht Sinn und Zweck sein, dass man sagt, na ja, die Leute sind jetzt da, und irgendwann nach zig Verhandlungsrunden gibt es dann vielleicht eine Duldung, und dann stehen wir da und wissen nicht mehr, wie wir weitergehen sollen.

Verantwortliche Politik kann nur so funktionieren, dass man rechtzeitig darauf schaut, dass man im Endeffekt solche Abkommen hat, wenn man sie braucht. Wir wissen, dass gerade vom afrikanischen Kontinent große Migrationswellen ante portas stehen, und da sind ja die Zahlen sehr, sehr unterschiedlich. Es gibt auch Berichte, dass meh­rere Millionen Menschen die Bereitschaft zeigen, nach Europa zu gehen. Wenn diese Menschen versuchen, den Weg übers Mittelmeer zu finden, und die Europäische Union sagt: Na gut, wir fischen sie aus dem Wasser und bringen sie nach Italien!, ein heißer Tipp: Die werden nicht in Lampedusa bleiben und auch nicht in Palermo, sie werden wahrscheinlich überhaupt nicht in Italien bleiben!

Der Bundeskanzler hat in den vergangenen Tagen gesagt – inwieweit man das jetzt ernst nehmen kann und inwieweit er bei seiner Meinung bleibt, wissen wir noch nicht –, dass es keine europäische Quotenlösung geben wird. Jetzt hören wir eigentlich seit einem Jahr gebetsmühlenartig, dass die einzige Möglichkeit, dieses Problem zu lösen, die europäische Solidarität und die europäischen Quoten sind. Jetzt hören wir vom Kanzler, dass es diese Quoten nicht geben wird.

Herr Bundesminister, können Sie hier Licht ins Dunkel bringen? Wie wird es jetzt ausschauen? Wird man weiterhin versuchen, über diplomatische Verhandlungen Quoten auszuhandeln? Wenn ja: Wie schaut das überhaupt aus, besteht da überhaupt eine Chance auf Umsetzung? Wenn nein: Wie gehen wir dann weiter damit um? Das Einzige, was hier nämlich helfen kann – wenn es keine europäische Lösung gibt, und Kanzler Kern spricht eher davon, dass es keine Lösung geben wird –, ist, dass man sich eben auf nationalstaatlicher Ebene darum bemühen muss.

Da sind wiederum Sie als Außenminister gefragt, denn es ist nichts darüber bekannt, dass es Versuche gibt, bilaterale Abkommen, Rückführungsabkommen mit afrikani­schen Staaten zu schließen. Spanien hat das gemacht, Spanien hat ein Abkommen mit Marokko. Es gab während der gesamten Flüchtlingskrise von 2015 bis zum heurigen Jahr keine Meldungen, dass große Migrantenströme über Spanien nach Zentraleuropa wandern wollten. Warum nicht? – Jeder weiß, wenn man dort spanisches Festland betritt, wird man wieder zurückgeschafft. Das kann auch ein Modell für Mitteleuropa sein. Wenn wir es nicht schaffen, rechtzeitig in Verhandlungen zu treten, dann wird uns die nächste Migrationswelle – und die ist so sicher wie das Amen im Gebet – am falschen Fuß erwischen.

Darum möchte ich auch wissen: Welche Maßnahmen wurden da vonseiten des Außen­ministeriums gesetzt? Ich habe es in der Dringlichen Anfrage hinten im Frageteil auch definiert.

Zu den Maghreb-Staaten wollte ich ebenfalls noch ganz kurz etwas sagen: Da ver­handelt die Europäische Union seit rund zwölf Jahren, rausgekommen ist bis heute nichts. Wird mit diesem Tempo weiterverhandelt, dann stehen wir in zwölf Jahren immer noch da und werden uns überlegen, was man denn da hätte tun können. Das erinnert ein klein wenig an die Debatte rund um die Hotspots im Jahr 2004, Herr Bundesminister.

Im Jahr 2004 hat der damalige deutsche Innenminister Schily Auffanglager an den Außengrenzen der Europäischen Union gefordert – im Jahr 2004! Jetzt haben wir das Jahr 2016 und wissen noch immer nicht, ob das ein gangbarer Weg sein wird. – Da sind die Entscheidungswege viel zu lang, da dauert die Entscheidungsfindung viel zu lang. Es wird einfach nichts nützen, wenn wir uns regelmäßig auf der einen Seite vom Bundeskanzler anhören, dass es keine Quoten geben wird, und auf der anderen Seite anhören, dass wir weiter um Quoten verhandeln. Da muss endlich eine einheitliche Linie gefunden werden. Die ist derzeit nicht sichtbar, und auch die Zuständigkeit ist fragwürdig.

Die Fragen betreffend, die hier heute auch formuliert wurden, kann es durchaus sein, dass Sie bei der Beantwortung sagen: Ich bin nicht zuständig, da ist das BMI zustän­dig. Sie sind aber auch jener Minister, der sich zu diesen Fragen immer wieder me­dien­wirksam … (Bundesrätin Zwazl: Zu Wort!) zu Wort meldet. – Danke für die Krücke, es ist halt doch schon eine vorgeschrittene Stunde. (Bundesrätin Zwazl: Ich bin immer bereit, zu helfen!) Dementsprechend: Wenn Sie sich zu Wort melden, dann fragen wir Sie selbstverständlich auch diesbezüglich.

Zum Abschluss noch eine Bemerkung zu etwas, das mir vor einer Stunde bekannt wurde: Der Landwirtschaftsminister hat sich dafür ausgesprochen, die EU-Sanktionen aufzuheben. – Herr Bundesminister, es würde mich sehr freuen, wenn Sie sich dazu ebenfalls äußern würden. Ich habe diese Frage nicht formuliert, denn gestern war mir das noch nicht bekannt, aber es würde mich sehr freuen, wenn Sie dem Landwirt­schaftsminister beispringen würden und hier klarstellen würden, wie es in Zukunft mit den Russland-Sanktionen weitergeht.

Das ist insofern wichtig, als Russland derzeit Kriegspartei in Syrien ist, und wir werden eine Lösung der Auseinandersetzung in der Kriegsregion Syrien sicherlich nicht ohne Russland schaffen. Es ist eine Illusion, zu glauben, dass wir, die Europäische Union – vielleicht Schulter an Schulter mit den Amerikanern –, das irgendwie stemmen werden. Das wird nicht funktionieren. Das heißt, es wäre sehr sinnvoll, wenn man da endlich Gesprächsbereitschaft zeigt und vielleicht von österreichischer Seite auch eine spürbare und sichtbare Initiative zeigt und dass die Aussage des Herrn Landwirt­schaftsministers nicht stumm verhallt. – Herzlichen Dank für die Aufmerksamkeit. (Beifall bei der FPÖ.)

16.15


Vizepräsidentin Ingrid Winkler: Zur Beantwortung hat sich Herr Bundesminister für Europa, Integration und Äußeres Kurz zu Wort gemeldet. – Bitte, Herr Bundesminister.

 


16.15.30

Bundesminister für Europa, Integration und Äußeres Sebastian Kurz: Sehr ge­ehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrte Damen und Herren Bundesräte! Sehr geehrter Herr Bundesrat Jenewein! Vielen Dank für die Möglichkeit, wieder einmal in Austausch mit dem Bundesrat zu treten. Sie haben schon vorweggenommen, dass viele der Fragen natürlich nicht in meinem Zuständigkeitsbereich liegen, es ist trotzdem eine gute Möglichkeit für mich, mich mit Ihnen zum Thema Flüchtlingsfrage auszutauschen, das ja für uns alle ein wichtiges ist, unabhängig von der genauen Zuständigkeit.

Ich bitte auch um Entschuldigung: Es ist mehrfach angemerkt worden, dass es eine fortgeschrittene Stunde ist – das stimmt. Ich habe heute leider Gottes oder Gott sei Dank einige Außenminister zu Gast gehabt, unter anderem den Amtskollegen aus Libyen, das Thema war vor allem die Migration, die Südroute, und was Europa tun kann, um den Zustrom zu reduzieren. Meine Linie ist da sehr klar: Solange wir die Rettung im Mittelmeer nicht nur als Rettung sehen, sondern auch als Ticket nach Mitteleuropa, so lange werden sich Menschen auf den Weg machen, so lange werden Menschen ertrinken, so lange werden Schlepper ein grausames Geschäft machen. Es ist aber natürlich auch notwendig, das mit dem libyschen Außenminister, das mit Andersdenkenden zu besprechen, denn: Steter Tropfen höhlt den Stein.

Das bringt mich auch schon zum ersten Punkt, den Sie angesprochen haben, nämlich die Westbalkanroute: Ich diskutiere hier gerne über alles, aber ich diskutiere ungern faktenfrei. Dass es einen großen Unterschied zwischen dem letzten Jahr, als die Europäische Union den Transport der Migranten finanziert hat, viele damit ein gutes Geschäft gemacht haben und bis zu 15 000 Menschen jeden Tag gekommen sind, und jetzt, mit einigen Hundert Menschen pro Woche, gibt, ist hoffentlich etwas, worin wir uns alle einig sind. Ich werde auch von ganz vielen dafür kritisiert, dass ich gemeinsam mit der Innenministerin damals die Route geschlossen oder die Schließung organisiert habe, also insofern würde ich das schon gerne als Faktum annehmen.

Ich habe auch nie gesagt, dass das die einzige Lösung ist, sondern ganz im Gegenteil: Das war eine Notmaßnahme, weil die Außengrenzen nicht funktionieren. Wenn die Außengrenzen nicht funktionieren – da werden Sie mir vermutlich beipflichten –, dann ist es notwendig, andere Maßnahmen zu setzen, bis hin zu Maßnahmen an der österreichischen Grenze.

Bevor wir aber Maßnahmen direkt an der österreichischen Grenze setzen, ist es nun einmal besser, regionale Lösungen anzustreben, und genau das wurde mit der Schließung der Westbalkanroute versucht. Von 15 000 Menschen pro Tag sank die Zahl damals relativ schnell auf rund 1 000 Menschen pro Tag, der Türkei-Deal hat dann noch einmal einen Beitrag geleistet. Mittlerweile kommt über diese Route ein Bruchteil der Menschen des letzten Jahres.

Über die Südroute, wo diese Maßnahme nicht gesetzt wurde, wo auch mein Vorschlag nicht übernommen wurde, dass die Menschen nicht aufs Festland transportiert werden sollen, kommen nach wie vor viele, um genau zu sein gleich viele beziehungsweise teilweise sogar mehr als im vergangenen Jahr.

Für diejenigen, die uns prophezeit haben, das sind dann die Syrer, die die andere Route verwenden: Das stimmt nicht, denn die Syrer und die Afghanen kommen nicht über die Südroute. Ganz im Gegenteil: Über die Südroute kommen Afrikaner. Wenn man sich die Bevölkerungssituation dort anschaut – in 20 Jahren zwei Milliarden Menschen, Ende des Jahrhunderts vier Milliarden Menschen –, dann merkt man schnell, dass über diese Route das Potenzial noch viel, viel größer ist als über andere Routen, wenn wir da nicht rasch einen Strategiewechsel einleiten.

Sie haben das Thema Quoten angesprochen: Meine Meinung ist klar. Ich habe schon vor einem Jahr, als das beschlossen wurde, gesagt, dass ich sehr skeptisch bin. Ich habe gesagt, dass wir es in Österreich allein mit der Verteilung nicht lösen werden. Ich stehe natürlich weiterhin dazu: Die Verteilung alleine löst das Problem nicht. Die Quoten funktionieren aus meiner Sicht nicht, und zwar aus zwei Gründen.

Erstens: Die Masse der Staaten möchte das nicht, und diese Idee der Quoten wurde diesen Staaten von wenigen mitteleuropäischen Staaten ein Stück weit aufgezwungen. Zweitens: Die Flüchtlinge wollen nicht in andere Staaten als in diejenigen, die sie als attraktiv erachten. Die Rumänen haben einige Tausend Quartierplätze schaffen müs­sen, mittlerweile sind nur ein paar Hundert Personen dort angelangt, weil die Masse der Flüchtlinge nicht bereit ist, nach Rumänien zu gehen.

Insofern glaube ich nach wie vor: Mit den Quoten werden wir es nicht lösen. Auch wenn die 160 000, die beschlossen wurden, umgesetzt werden, dauert es, wenn das im bisherigen Tempo stattfindet, ungefähr 30 Jahre. 160 000 sind im letzten Jahr innerhalb von einem Monat gekommen. Also damit werden wir es nicht lösen.

Es hat sich Gott sei Dank mittlerweile herumgesprochen, dass der Außengrenzschutz die beste aller Lösungen wäre. Auf dem Weg dorthin gibt es aber vielleicht Maß­nahmen, die notwendig sind, die wir uns aber nicht wünschen.

Das bringt mich zu dem Tweet: Da haben Sie recht. Es tut mir leid, wenn das falsch oder missverständlich formuliert war. Ich glaube, ich habe mich in so vielen Interviews und auch in anderen Tweets dazu geäußert, dass man eigentlich meine Meinung kennt. Aber natürlich ist es Ihr gutes Recht, darauf hinzuweisen, dass dieser Tweet missverständlich war.

Mein Zugang ist immer derselbe: Ich bin für den Schutz der Außengrenze, und wenn das nicht möglich ist, bin ich für regionale Lösungen wie die Westbalkanschließung. Wenn das alles nicht funktioniert, dann bin ich für nationale Maßnahmen an unserer Grenze. Daran ändert sich nichts. Es ändert sich auch nichts daran, dass ich mir diese nationalen Maßnahmen nicht wünsche, aber ich bin mehr als bereit, sie zu setzen, wenn es keine andere Möglichkeit gibt.

Zu den Rückführungsabkommen beziehungsweise der Problematik der Rücküber­nah­me: Da der Großteil der Fragen nicht mein Ressort betrifft, werde ich einleitend einiges dazu sagen, bevor ich die Fragen abhandle. Ich möchte kurz mit der einleitenden Be­merkung starten, die, denke ich, ganz entscheidend ist, wenn wir das Flüchtlings- und Migrationsthema lösen wollen: Ist jemand erst einmal in Österreich, dann ist es wesentlich schwerer, ihn zurückzuführen, als ihn gar nicht erst hereinzulassen. Das ist einfach – egal, ob man das gerne hört oder nicht – der richtige Zugang. Das heißt, solange wir eine hohe Anzahl an Menschen nach Österreich hereinlassen, wird es extrem schwierig sein, diejenigen zurückzustellen, die wir dann doch nicht in Österreich haben wollen.

Die Gründe dafür sind vielfältig. Sie glauben immer, wenn es die Abkommen gäbe, dann würde alles funktionieren. Die Wahrheit ist: Wir haben mit gewissen Staaten Abkommen, und es funktioniert. Wir haben mit gewissen Staaten Abkommen, und es funktioniert nicht. Wir haben mit manchen Staaten keine Abkommen, und es funk­tioniert nicht. Und wir haben mit anderen Staaten keine Abkommen, und es funktioniert trotzdem. Warum? – Weil die Gründe für die Staaten, Flüchtlinge nicht zurückzu­nehmen, vorhanden sind und weil die Möglichkeiten, uns zu behindern, auch vorhanden sind.

Ich gebe Ihnen drei Beispiele im Bereich der praktischen Anwendung: Auch wenn Sie ein Abkommen haben, müssen Sie die Staatsangehörigkeit nachweisen. Wenn das Herkunftsland das behindern möchte, gibt es viele Möglichkeiten, es zu behindern: indem es keine Termine bei der Botschaft gibt, indem der Dolmetscher nicht ganz sicher ist, ob das wirklich der Dialekt ist. Also da ist schon viel erfunden worden, um uns zu behindern.

Zweiter Punkt: die Ausstellung von Reisedokumenten. Wir haben Staaten, mit denen wir Abkommen haben, und sie sind trotzdem sehr zurückhaltend, wenn es darum geht, uns die Rückreisezertifikate zu geben, die es braucht, um jemanden zurückzustellen.

Dritter Punkt: Warum haben Staaten oft Interesse daran, die Menschen gar nicht mehr zurückzunehmen? – Weil das volkswirtschaftlich für sie von Vorteil ist. Diese Menschen schicken Geld zurück – Remittances. Und für eine kleine Volkswirtschaft in einem afrikanischen Land können 100 Millionen €, die von der Community in Öster­reich zurückgeschickt werden, einen riesen Unterschied machen. Das bedeutet, diese Staaten haben ein Interesse daran, dass diese Menschen bei uns sind. Da spreche ich jetzt gar nicht von der Rücknahme von straffällig Gewordenen, sondern von Menschen, die einfach jedes Monat 100 € oder 200 € in ihr Herkunftsland überweisen.

Insofern ist die Interessenlage zwischen Herkunftsländern, Transitländern und Ziellän­dern eine so unterschiedliche, dass ich noch einmal zu meinem Eingangsthema kommen möchte: Wenn wir das Problem lösen wollen, müssen wir es an der Grenze lösen. Wir müssen den Zustrom reduzieren. Alles, was man nachher wieder gutmachen möchte, ist sehr, sehr schwierig.

Was können wir bei der Rückführung trotzdem tun? – Natürlich sind Rückführungs­abkommen unser Ziel. Ich sage aber auch ehrlicherweise dazu: Die Europäische Union kann viel mehr Druck ausüben als Österreich alleine. Wir haben derzeit 17 geltende EU-Abkommen und 7 Verhandlungsmandate der Europäischen Union. Mein Thema ist, dass die Europäische Union bereit sein muss, auf diese Länder, die nicht bereit sind, ihre Staatsangehörigen zurückzunehmen, so viel Druck auszuüben, dass sie ihre Meinung ändern. Das bedeutet: Wenn ein Staat nicht bereit ist, seine Staatsbürger zurückzunehmen, braucht es einerseits die Streichung von Zahlungen der Europä­ischen Union an diese Staaten bis hin zur Reduktion beziehungsweise vollkommenen Streichung der Entwicklungszusammenarbeitsgelder.

Ich darf Sie alle dazu einladen, wenn Ihnen das Thema ein Anliegen ist, auf Ihre Abgeordneten in Brüssel einzuwirken. Wenn wir einen Sinneswandel in Europa zu­stande bringen, dann wird es sehr schnell sehr viel leichter möglich sein, diese Staaten zu überzeugen, denn dann ist die Gefahr für sie auf einmal größer, negative Kon­sequenzen davonzutragen, wenn sie ihre Staatsbürger nicht zurücknehmen, als der Vorteil, der sich daraus ergibt, ihr Verhalten wie bisher fortzusetzen.

Das Außenministerium ist im ständigen Kontakt mit dem Innenministerium, das für dieses Thema zuständig ist. Darum weiß ich auch, dass die Zahlen der Außerlan­desbringungen gerade im Begriff sind, zu steigen. Aber ich bin mit meiner Meinung natürlich bei Ihnen, das alleine wird das Problem nicht lösen, weil die Zahlen natürlich nach wie vor zu niedrig sind. Das ist aber nicht so, weil das BMI schlechte Arbeit leistet – das BMI schafft es, mehr Menschen zurückzustellen, als fast alle anderen Innenministerien aus Europa –, sondern weil schlicht und ergreifend, wie vorhin schon geschildert, die Interessenslage eine sehr unterschiedliche ist.

Jetzt konkret zu den einzelnen Fragen:

Frage 1 und 2: Mit Kosovo, Nigeria und Tunesien haben wir bilaterale Rücküber­nahmeabkommen, die auch laufend angewendet werden. Das heißt, Abschiebungen finden grundsätzlich statt. Das Außenministerium hat mit allen relevanten Staaten laufend zu Rückführungskooperationen Kontakt. Wir unterstützen das Innenminis­terium vor allem bei bilateralen Terminen.

Frage 3 bis 6, 11 und 16: Es gibt 17 Rückführungsabkommen der Europäischen Union, die angewandt werden. Für Österreich sind besonders wichtig: Pakistan, Rus­sische Föderation und die Westbalkanstaaten. Darüber hinaus gibt es mit sieben Staaten EU-Mandate für Verhandlungen: Marokko, Algerien, China, Belarus, Tunesien, Jordanien, Nigeria. Für Österreich gelten 39 Rückübernahmeabkommen: 17 europä­ische, 22 bilaterale.

Die Europäische Union hat zusätzlich vor kurzem mit Afghanistan eine Rücküber­nahmevereinbarung unterzeichnet. Bilaterale Verhandlungen gibt es derzeit mit Gambia. Die gestalten sich nicht einfach, jedoch gibt es ohnehin derzeit wenige Rück­führungen nach Gambia, da wenige Staatsbürger aus diesem Land zu uns kommen.

Auch die Entwicklungszusammenarbeit setzen wir als Druckmittel ein – das habe ich vorher schon etwas erläutern dürfen. Bei der Afghanistan-Konferenz am 4. und 5. Ok­tober wurde darüber hinaus in Brüssel für Stabilisierungs- und Wiederaufbaumaß­nahmen Geld zur Verfügung gestellt.

Frage 7 bis 9: Mit Marokko, Algerien, Iran, Irak bemühen wir uns um praktische Verbesserungen bei den Rückführungen. Mein Generalsekretär für auswärtige Ange­legenheiten war Anfang des Jahres mit BMI-Beamten in Marokko und Algerien, um Gespräche zu führen. Ich habe niemals eine Reise nach Marokko angekündigt, der Verteidigungsminister hat das getan.

Frage 10: Bangladesch ist für Österreich derzeit nach Auskunft des BMI kein Haupt­herkunftsland. Derzeit gibt es ein EU-Vorhaben, mit Bangladesch Rückführungsabkom­men zu verhandeln.

Frage 12: Bitte die Frage betreffend Schaffung eines Sicherheitskabinetts an die zuständigen Ressorts BMI und BMLVS zu richten.

Frage 13 und 14: Die Begutachtungsfrist für die Sonderverordnung ist gestern abgelaufen und wird daher auf Basis der Einschätzungen des BMI von der gesamten Bundesregierung im Einvernehmen mit dem Hauptausschuss des Nationalrats zu beschließen sein. Meine persönliche Meinung: Ich hoffe bald.

Frage 15: Ich bin in laufendem Kontakt mit Italien und habe auch heute wieder Gespräche mit dem Staatssekretär geführt. Außerdem bemüht sich die Europäische Union um eine umfassende Vereinbarung mit den nordafrikanischen Staaten, um den Zustrom nach Italien einzudämmen. Persönliche Anmerkung: Das wird nur funktio­nieren, wenn man die Rettung im Mittelmeer vom Ticket nach Mitteleuropa entkoppelt.

Frage 17 bis 22: Diese Fragen betreffen den Wirkungsbereich des BMI.

Vielen Dank. (Beifall bei ÖVP und SPÖ und bei Bundesräten der FPÖ.)

16.29


Vizepräsidentin Ingrid Winkler: Wir gehen nunmehr in die Debatte ein.

Ich mache darauf aufmerksam, dass gemäß § 61 Abs. 7 der Geschäftsordnung die Redezeit eines jeden Bundesrates mit insgesamt 20 Minuten begrenzt ist.

Als Nächster gelangt Herr Bundesrat Herbert zu Wort. – Bitte.

 


16.29.49

Bundesrat Werner Herbert (FPÖ, Niederösterreich): Frau Präsidentin! Herr Bundes­minister! Geschätzte Kolleginnen und Kollegen! Herr Bundesminister, Sie haben uns jetzt rhetorisch einwandfrei sehr gut erklärt, was alles nicht gegangen ist oder was alles nicht geht. Sie wissen aber, als Politiker wird man ja nicht daran gemes­sen, was man nicht zustande gebracht hat, sondern daran, was man tatsächlich erreicht hat. Und das ist, wie ich Ihren Ausführungen entnehme – wobei Sie zwar sehr bemüht sind –, faktisch nicht sehr viel. (Bundesrat Mayer: Weil er für die Hälfte nicht zuständig ist!) – Nicht aufregen, Herr Kollege Mayer, ich rede eh noch ein bisschen, du kannst dich dann noch einbringen. (Zwischenrufe bei der ÖVP.)

Konkret hat mich ein bisschen gestört, dass Sie die Frage 12, nämlich die Frage nach dem Sicherheitskabinett, so ausweichend beantwortet haben, weil es mich persönlich interessiert hätte, erstens, wie Sie grundsätzlich zu dem Sicherheitskabinett stehen, und zweitens, worin der tiefere Nutzen des Sicherheitskabinetts liegt.

Soweit ich mich erinnere oder soweit meine Kenntnislage ist, haben wir ja für solche Krisenfälle einen nationalen Sicherheitsrat. Der soll unter Einbindung aller Gremien, aller Regierungsebenen und auch der Landesebene sicherstellen, dass, wenn es Krisenfälle gibt, eine möglichst umfangreiche aber auch eine mit allen Ebenen koor­dinierte Abfolge von Lösungen ermöglicht werden soll.

Ich frage mich also: Wozu brauchen wir noch ein Sicherheitskabinett? – Fast gewinnt man den Eindruck, da möchte man sich im kleinen Kreis eher unter sich etwas ausmachen und nicht von der breiten Öffentlichkeit oder von den anderen Mitgliedern gestört werden. Das ist aber nur eine Vermutung, die ich auch nicht näher darstellen kann, weil mir, wie gesagt, leider die Zugänge dazu fehlen, daher hätte ich das gerne von Ihnen erläutert bekommen.

Ähnlich ist es in der Sicherheitsfrage: Kollege Jenewein hat schon am Rande ange­schnitten, dass in der Vergangenheit Politiker, aber auch die Bevölkerung hier sehr differenzierte Wahrnehmungen hatten. Speziell in der Frage der Notverordnung wechseln fast jede Woche die Zugänge – einmal ist sie dringend notwendig, einmal steht sie unmittelbar bevor. Heute sagt der Innenminister, das dauert nur ein paar Tage, denn eigentlich ist das alles nicht so dramatisch. Also was ist jetzt?

Diese Unsicherheit, gerade wenn es um die Sicherheit der Menschen in diesem Land geht, schlägt sich natürlich auch auf die allgemeine Stimmung im Land nieder. So gesehen darf ich an Sie als nicht unerheblichen Funktionsträger dieser Bundes­regie­rung doch das Ersuchen richten, vielleicht eine klarere Haltung in dieser Bundes­regierung was die Sicherheitsfragen anbelangt durchzusetzen.

Herr Kollege Jenewein hat schon den außenpolitischen Aspekt erläutert, warum es so wichtig ist, dass wir endlich – ich sage es einmal salopp – die Türe schließen und die Grenze ziehen, um nicht noch mehr Fremde in unserem Land versorgen zu müssen. Sie haben es ja richtigerweise erkannt: Es ist sehr schwierig, alle diejenigen, die bereits hier sind, wieder auf andere Staaten oder auf andere Ebenen zu verteilen. Klüger wäre es, sie gar nicht erst hereinzulassen. Das ist auch ein wesentlicher Ansatz, den meine Fraktion in dieser Frage grundsätzlich vertritt.

Ich möchte Ihnen aber noch zwei Gründe nennen, warum es neben der gesamt­politi­schen Komponente, die Kollege Jenewein schon angesprochen hat, auch aus wesent­lichen sozialen und finanziellen Aspekten notwendig ist, endlich die Grenze zu ziehen, den Deckel zu schließen.

Zum einen darf ich Ihnen den Bericht des AMS vom September 2016 näherbringen. Dieser Bericht teilt uns mit, dass im Vergleichsraum des vergangenen Jahres, also September 2015, insgesamt 391 939 Personen als arbeitslos gemeldet waren – Höchststand, bedauerlicherweise, aber eine absolute Zahl, die leider für sich steht. Interessant wird es, wenn man dann eine Zeile weiter liest, dass nämlich 117 518 dieser arbeitslos gemeldeten Personen, also fast ein Drittel, keine österreichi­schen Staatsbürger sind – keine österreichischen Staatsbürger –, aber an den Leistungen des AMS teilhaben. (Bundesrat Mayer: Lauter Deutsche!) – Natürlich, wahrscheinlich Schweizer, Herr Kollege Mayer!

Das bedeutet in Prozentzahlen: Die Inländerarbeitslosigkeit ist erfreulicherweise um 2,9 Prozent gesunken. Die Ausländerarbeitslosigkeit ist um satte 8 Prozent gestiegen. Das ist ein Kostenfaktor. (Bundesrätin Kurz: Das hat nichts mit Flüchtlingen zu tun!) Besonders dramatisch ist diese Entwicklung der Arbeitslosigkeit in den Ballungs­zentren. Wien hat den negativen Höchstwert, da Wien alleine statistisch 38,5 Prozent aller in Österreich als arbeitslos gemeldeten Personen aufweist. Auch bei den Schu­lungsteilnehmern – nur als Abschluss zu diesen statistischen Zahlen – sind 36,4 Pro­zent keine österreichischen Staatsbürger.

Was sagt uns das? – Wir importieren Arbeitslosigkeit. Oder anders gesagt: Unser sozialer Gedanke, Flüchtlinge in großem Maße aufzunehmen, wirkt sich in höchst negativem Maße auf die Arbeitslosenstatistik aus. Wer bezahlt das alles? – Der österreichische Steuerzahler. (Zwischenruf des Bundesrates Stögmüller.) Nur so viel sei einmal am Rande festgehalten.

Damit sind wir schon beim zweiten wesentlichen Aspekt, nämlich dem finanziellen Aspekt. Ich darf Ihnen eine Studie des Fiskalrates näherbringen: Es gab dazu am 30. September einen Bericht in der „Presse“, in dem diese Studie öffentlich gemacht wurde. Der Fiskalrat ist ein Gremium, das für die Beratung der Bundesregierung in finanziellen Angelegenheiten zuständig ist und aus hochkarätigen Experten zusam­mengesetzt ist. Dieses Gremium hat auf der Grundlage von Zahlen vom vergangenen Jahr, von 2015, festgestellt, dass durch die Aufnahme von Flüchtlingen bis zum Jahr 2060 165 000 Menschen mehr in Österreich sein werden, was einem Bevölke­rungs­zuwachs von 1,8 Prozent entspricht, und dass durch diesen Zuwachs die Gesamtverschuldung der Republik aufgrund der dadurch entstehenden Kosten auf sozialer, sicherheitspolizeilicher, finanzieller Ebene um 23 Milliarden € ansteigen wird.

Das sagt der Fiskalrat, das sage nicht ich, das sagt auch nicht meine Fraktion. Kollege Mayer, nicht so abfällig lächeln! Sie werden die hochkarätigen Experten aus der Nationalbank doch nicht abwertend darstellen wollen. (Zwischenruf des Bundesrates Mayer.) Ich sage es noch einmal: 23 Milliarden € bis zum Jahr 2060. (Bundesrätin Schreyer: Bisschen mehr als die Hypo!) Bezahlen wird das der österreichische Steuerzahler, nur um das noch einmal festzustellen. (Bundesrätin Kurz: Was kostet die Hypo Alpe-Adria?)

Das heißt, wir haben neben dem dringenden sicherheitspolitischen Aspekt, der unkon­trollierten Zuwanderung nach Österreich Einhalt zu gebieten, auch eine dringende arbeitspolitische Aufgabe und ein finanztechnisches Gebot der Stunde, die Zuwan­derung nach Österreich endgültig zu deckeln.

Herr Bundesminister, ich freue mich, dass Sie oft in Ihren Redebeiträgen vieles davon wiedergeben, was in unserem „Handbuch freiheitlicher Politik“ steht. Das ist ein schöner Ansatz, offensichtlich lesen Sie diese Lektüre auch eifrig. Es freut mich, wenn Sie das der breiten Öffentlichkeit kundtun. (Zwischenruf des Bundesrates Mayer.) Aber, Herr Bundesminister, nur lesen alleine bringt noch nicht den Erfolg. Sie müssen auch schauen, dass das, was da drinnen steht und was Sie der österreichischen Bevölkerung kundtun, auch tatsächlich umgesetzt wird. Sie wissen, ich habe es eingangs erwähnt, ein Politiker wird danach gemessen, was er zustande bringt.

Herr Bundesminister, einmal mehr eine Anregung meinerseits: Grenzen dichtmachen und konsequent abschieben! – Danke schön. (Beifall bei der FPÖ.)

16.39


Vizepräsidentin Ingrid Winkler: Zu Wort gemeldet ist Herr Bundesrat Schödinger. – Bitte, Herr Kollege.

 


16.40.01

Bundesrat Gerhard Schödinger (ÖVP, Niederösterreich): Sehr geehrte Frau Prä­sidentin! Sehr geehrter Herr Minister! Werte Kolleginnen und Kollegen! Nach dem Durchlesen dieser Dringlichen Anfrage an den Herrn Außenminister bin ich der Meinung gewesen, dass sie sich eigentlich hauptsächlich an den Innenminister, an den Justizminister und mit den letzten Worten auch an den Sozialminister richtet, am allerwenigsten aber an unseren Außenminister. Die Fragen, die an unseren Bundes­minister für Äußeres gestellt worden sind, will ich gar nicht mehr behandeln, denn die waren nicht nur rhetorisch perfekt beantwortet, die waren auch inhaltlich perfekt beantwortet. (Beifall bei der ÖVP.)

Ich möchte aber schon noch auf ein paar Punkte eingehen. Gleich auf der ersten Seite wird der große Kriminalitätsanstieg angeführt. Ich möchte die Zahlen nicht abstreiten, sie sprechen für sich, und wir haben ein Problem, das ist auch klar, aber wir haben einen Innenminister, der dieses Problem mit hundertprozentiger Sicherheit in den Griff bekommen wird. Was mich aber wundert, ist, dass in Eisenstadt die Kriminalität auch so stark ansteigt, obwohl dort die FPÖ bereits für Law and Order sorgt. (Bundesrat Stögmüller: Auch in Oberösterreich! – Zwischenrufe bei der FPÖ.)

Weiters denke ich, dass die Zahlen zur Kriminalität, die da angeführt werden, an sich unbestritten sind. Ich will diese Zahlen, wie ich schon eingangs gesagt habe, auch nicht beschönigen, ich habe mir aber trotzdem ein paar Zahlen aus der Kriminalstatistik der Vergangenheit herausgeholt. Wir hatten in den Jahren 2002, 2003, 2004 und 2005 um die 640 000 angezeigte Straftaten. Wir stehen jetzt im Jahr 2015 – das sind also nicht die aktuellen Zahlen, sondern die von 2015 – bei plus 6,6 Prozent, bei 517 000 angezeigten Straftaten. Das heißt, die Kriminalität ist um ein Viertel zurückgegangen. Das soll jetzt nicht heißen, dass ohnehin alles in Ordnung ist, sondern mir ist es nur wichtig, dass man auch den Vergleich mit der Vergangenheit zulässt. (Zwischenruf der Bundesrätin Mühlwerth.)

Die Kriminalität, die darin angeführt wird, existiert. Seitens des Innenministeriums wird das Problem bereits bearbeitet, um eine Gegenstrategie zu entwickeln. Wie ich das in der Vergangenheit gesehen habe und wie wir das alle gemeinsam erlebt haben, haben wir Innenminister in dieser Republik, und auch dem jetzigen Innenminister ist es ohne mit der Wimper zu zucken zuzutrauen, dass er dieses Problem in den Griff bekommt.

Ich habe schon gesagt, dass ich jetzt nicht vorhabe, die einzelnen Punkte der Antwort unseres Herrn Außenministers noch einmal zu wiederholen, aber eines möchte ich schon sagen: Ich weiß nicht, wer am Sonntag die Fernsehsendung mit Anne Will gesehen hat, aber einen kompetenteren Außenminister und einen kompetenteren Politiker habe ich schon lange nicht mehr gesehen. (Beifall bei der ÖVP. – Bundesrat Jenewein: Er hat es schon gehört!) Deswegen glaube ich auch, dass er dazu beiträgt, eine Meinungsbildung herbeizuführen, die nicht auf Österreich beschränkt bleibt.

Das ist auch schon der nächste Punkt, der mir wirklich wichtig ist: Die anstehenden Probleme werden wir nur auf europäischer Ebene lösen können. Wir werden es auf nationalstaatlicher Ebene nicht hinbekommen, diese Probleme langfristig zu lösen.

Ich weiß, dass wir Vorbereitungen treffen müssen, die, wenn es darauf ankommt, auch umgesetzt werden können, und das wurde auch gemacht. Es wurde mit Italien gemacht, und wir haben das jetzt mit Ungarn. Es sollte aber kein Dauerzustand sein, sondern nur so lange aufrecht bleiben, bis wir dieses Problem europäisch gelöst haben. Ich möchte noch einmal darauf verweisen – und das ist für mich eines der wichtigsten Argumente –: Es darf nicht sein, dass wir den europäischen Grenzschutz vernachlässigen und dabei immer wieder sagen, dass wir das schon noch machen werden. Ich glaube, dass wir so vorgehen müssen, wie das unsere Politiker der ÖVP wirklich vehement voranbringen: effizienter Schutz der europäischen Außengrenzen plus diese Hotspots, in denen aussortiert werden soll, wer weiter darf, weil er die Chance auf Asyl hat, und wer zurück muss. Wir können es uns auf Dauer nicht erlauben, dass im Mittelmeer viele Tausende Leute ertrinken, weil wir mit dem beste­henden System die Schlepperei immens unterstützen. Wir sind da auf einem konstruktiven Weg, aber das lässt sich nicht gleich morgen umsetzen. Das braucht auch eine gewisse Zeit. (Bundesrätin Mühlwerth: Da ist schon viel Zeit vergangen!)

Das Rücküberführungsabkommen mit Afghanistan ist, von meiner Warte aus gesehen, das erste wirklich effiziente und richtige Signal, weil wir damit eine Personengruppe treffen, von der wir sehr, sehr viele, Zigtausende Personen in der EU haben, die jetzt schön langsam zurückgeführt werden müssen, weil sie hier keine Berechtigung zu einem Aufenthalt haben.

Wir haben das auch bei der Vereinbarung mit der Türkei gesehen. Diesen Türkei-Deal kann man bewerten, wie man will, aber ab dem Zeitpunkt, als er halbwegs in Kraft war, haben wir doch deutlich gespürt, dass die Migrationsströme stark zurückgegangen sind, und so wird es auch mit Afghanistan sein.

Die Zahl an Asylanträgen ist derzeit rückläufig, ist sogar stark rückläufig, aber das ist nur eine Momentaufnahme, da gebe ich Ihnen schon recht. Das kann sich jede Minute ändern, und wir können bereits morgen wieder mit einer großen Welle konfrontiert sein. Ich denke aber auch, dass wir an den Hotspots, an den regionalen Hotspots darauf vorbereitet sind, sprich in Italien und Ungarn.

So bleibt mir trotz meiner vielen vorbereiteten Aufzeichnungen dank der perfekten Beantwortung durch unseren Minister nur mehr, uns einen schönen Nachmittag zu wünschen. (Bundesrat Jenewein: Das hättest du wohl gern, dass es schon vorbei ist!) Das hat seinen Grund darin, dass wir über Politiker verfügen, die eine Ahnung davon haben, was sie tun, und die europaweit wirklich Spitze sind. (Beifall bei der ÖVP.)

16.46


Vizepräsidentin Ingrid Winkler: Als Nächste ist Frau Mag. Kurz zu Wort gemeldet. – Bitte, Frau Kollegin.

 


16.46.41

Bundesrätin Mag. Susanne Kurz (SPÖ, Salzburg): Sehr geehrter Herr Minister! Frau Präsidentin! Werte Kolleginnen und Kollegen! Bevor ich auf das eigentliche Thema, das unseren Außenminister betrifft, eingehen werde – und nicht auf alle Themen, die den Innenminister betreffen –, möchte ich in Reaktion auf die Ausführungen des Kollegen Herbert auch noch ein paar Zahlen erwähnen, in Erinnerung daran, was dem Steuerzahler und der Steuerzahlerin in Österreich Folgendes kostet: Die Hypo Alpe-Adria kostet 7 bis 8 Milliarden €. – Ich will es nur gesagt haben. (Bundesrat Jenewein: Wie viel hat der Konsum gekostet? – Bundesrat Todt: Den Steuerzahler nichts! – Bundesrat Jenewein: Aber den Gewerkschaftsmitgliedern!)

Ein paar andere Zahlen noch: Eine IWF-Studie aus dem Jahr 2016 hat sich die Hauptzielländer der Flüchtlinge, Deutschland, Österreich und Schweden, angeschaut und rechnet in diesen Ländern mit einem zusätzlichen Wachstum von 0,5 bis 1,1 Prozent. Ob dieses Wachstum aber mittel- und langfristig auch wirklich zustande kommt und gehalten werden kann, hängt natürlich maßgeblich davon ab, wie gut die Flüchtlinge in den Arbeitsmarkt und in die jeweiligen Gesellschaften integriert werden, und da gibt es sicher noch einiges zu tun.

Eine andere Studie ist jetzt zwar schon 20 Jahre alt, macht uns aber deutlich, was damals als Ergebnis der Fluchtbewegungen geschehen ist: Wir haben 100 000 Flücht­linge aufgenommen, und als Ergebnis kann man feststellen, dass das BIP genau wegen dieser Einwanderungsbewegungen in den Jahren 1989 bis 1993 um zusätzliche 0,2 Prozentpunkte gewachsen ist und ebenso das durchschnittliche Einkommen, rein als Folge dieser Zuwanderung. (Bundesrat Jenewein: Das kann man nicht miteinander vergleichen!)

Mehr potenzielle Arbeitskräfte bedeuten mehr Beschäftigung, mehr Konsum, mehr Produktion und höhere Steuereinnahmen. Natürlich war es leichter, die sogenannten Balkanflüchtlinge zu integrieren. Dennoch muss man betonen, dass 90 Prozent der Menschen, die damals zu uns gekommen sind, in den ersten beiden Jahren einen Job gefunden haben. (Bundesrat Jenewein: Die waren auch alphabetisiert!) – Ja, ich sage ja, es war leichter mit ihnen. (Bundesrätin Mühlwerth: Deswegen kann man es nicht miteinander vergleichen!) Mit vermehrten Anstrengungen kann man auch bei Men­schen, die diesen Standard noch nicht haben, etwas bewirken. Das ist zwar ein Thema, das den Integrationsminister betrifft, aber danach wurde ja heute nicht gefragt.

Wichtig ist, dass wir nach wie vor den gemeinsamen Weg mit allen Ländern der EU suchen, auch wenn wir damit noch zu keinem Ergebnis gekommen sind. Wir wissen alle, warum, und wir wissen auch, dass eine europäische Lösung noch in weiter Ferne ist, falls es sie überhaupt je geben wird – zu unterschiedlich sind oft die Auffassungen. Es gibt allerdings schon einige Erfolge auch auf europäischer Ebene, die zumindest die Hoffnung aufkommen lassen, dass sich viele Staaten auf einen gemeinsamen Weg begeben.

Auf das Abkommen der EU mit der Türkei, das – bei aller Kritik, die man daran anbringen kann – zu positiven Ergebnissen geführt hat, ist schon hingewiesen worden. Es ist durchaus auch zu bemerken, dass die verstärkten Bemühungen der Mitglied­staaten bei der Umverteilung auch Erfolge bringen. Allein im Monat September sind zum Beispiel 1 200 Umsiedlungen gelungen. Das setzt natürlich voraus, dass der politische Wille und das entsprechende Verantwortungsbewusstsein bei den Staaten vorhanden sind. Dass das für uns alle von größter Bedeutung ist, ist ja wohl klar, denn eigentlich wollen wir ja alle eines: Wir wollen die Rückkehr oder ein ähnliches System wie das Dublin-System, und wir wollen einen Funktionieren des Schengenraums, der ein Herzstück unserer EU ist.

Insgesamt sind mehr als 5 600 Personen umverteilt worden, mehr als 4 400 aus Griechenland und fast 1 200 aus Italien. Das sind jetzt noch keine riesigen Zahlen, aber ich denke, es ist doch ein Prozess im Laufen. Die Anstrengungen von Italien und Griechenland sowie natürlich auch der Mitgliedstaaten, die Menschen aufnehmen, haben durchaus schon Erfolge gezeitigt. Es ist zum Beispiel auch gelungen – was eine Sicherheitsfrage betrifft, die anzusprechen durchaus berechtigt ist –, dass jetzt in fast 100 Prozent der Fälle Fingerabdrücke genommen werden. Das ist natürlich ein wichtiger Baustein, um mehr und mehr die Sicherheit zu gewährleisten.

Es ist schon angesprochen worden, um wie viel weniger Personen jetzt über die Balkanroute kommen. Das ist eine erfreuliche Entwicklung! Auch was das Abkommen mit der Türkei betrifft, gibt es endlich Fortschritte. Es sind beträchtliche Mittel, mehr als zwei Drittel der versprochenen Mittel bereits zugewiesen und mehr als 460 Millionen € bereits ausgezahlt worden. Auch in diesem Bereich merken wir die Fortschritte. Natürlich könnte alles ein bisschen schneller gehen und beschleunigt werden. Solange es die europäischen Maßnahmen und Erfolge noch nicht in dem Maß gibt, wie wir sie uns wünschen, müssen wir von Österreich aus noch vermehrt Anstrengungen unter­nehmen.

Ich bin sehr froh, dass es jetzt dieses bereits mehrfach angesprochene Rücknahme­abkommen mit Afghanistan geben soll oder geben wird. Auch die Zahlen, inwieweit das Österreich betrifft, sind ja beträchtlich. Von den 32 000 Anträgen, die heuer in Österreich gestellt worden sind, sind insgesamt 9 700 von Menschen aus Afghanistan gestellt worden; voriges Jahr waren es 25 000. Viele sind ja schon abschlägig beurteilt. Es ist also wirklich notwendig, diese Menschen auch wieder zurückführen zu können. Ich bin überzeugt davon, dass wir, wenn das in Kraft tritt, wahrscheinlich gar nicht mehr über eine Notverordnung diskutieren müssen.

Der Schutz der Außengrenzen ist mehrfach angesprochen worden. Auch das ist nur gemeinsam möglich. Frontex allein kann das sicherlich nicht leisten. Wie ich schon gesagt habe, wollen wir ja den Schengenraum behalten und keine Grenzen innerhalb des Schengenraums, denn das wäre keine europäische Lösung. Und wir wissen auch – dessen müssen wir uns bewusst sein –, dass unsere gemeinsame Währung und unser gemeinsamer Binnenmarkt nur funktionieren können, wenn wir die Außen­grenzen schützen, die innere Freizügigkeit im Schengenraum aber bestehen bleibt. Das ist nicht zuletzt auch ein wirtschaftliches Interesse, das für Österreich sehr wichtig ist.

Wie können wir das erreichen? – Wir müssen auch einen Beitrag leisten, um die Flucht­ursachen zu bekämpfen. Und wir sollten uns verstärkt bemühen, legale Wege zu finden, wie Menschen, denen wir Asyl gewähren wollen, zu uns kommen können, nämlich Wege, auf denen die Staaten bestimmen und nicht die Schlepper. Das muss im Vordergrund stehen!

Wir werden noch mehr Abkommen schließen müssen. Der Herr Außenminister hat auf viele Probleme hingewiesen, aber da denke ich mir auch: Steter Tropfen höhlt den Stein. Ich bin sehr froh, dass mit dem libyschen Amtskollegen heute schon Gespräche geführt worden sind. (Bundesrat Jenewein: Der lehnt die Hotspots ab!) – Ja, dann muss man eben andere Wege finden; nicht nur ein Weg ist der richtige. Wir müssen darauf schauen, einen Weg zu finden, sodass wir bestimmen, wer zu uns kommt, welche humanitären Kontingente wir für wen aufwenden und was in unserem Interesse ist. (Bundesrat Krusche: Schauen wir mal, dann sehen wir schon!)

Da gibt es einiges zu tun. Wir werden auch in der Entwicklungshilfe überlegen müssen, wohin der Weg gehen soll. Nachbarschaftskonflikte sind ein Thema. (Rufe und Gegenrufe zwischen Bundesräten von FPÖ und Grünen.)

 


Vizepräsidentin Ingrid Winkler (das Glockenzeichen gebend): Kollegen! Am Wort ist Frau Mag. Kurz. – Bitte.

 


Bundesrätin Mag. Susanne Kurz (fortsetzend): Gibt es irgendeine Auseinan­der­setzung? – Es ist alles wieder gut.

Ich denke, wir sollten uns auch darum kümmern und unsere Beiträge leisten, dass die Menschen dort leben können, wo sie geboren sind und wo sie leben wollen, denn die Flüchtlinge kommen ja nicht nur aus Syrien, wo wir als Österreich momentan gar nichts ändern können, sie kommen, wie wir ja wissen, auch aus vielen anderen Ländern.

Der Weg über die Adria hat leider wieder Konjunktur. Das ist natürlich etwas, was uns betrifft oder betreffen kann. Allein in den letzten Tagen hat die italienische Küsten­wache mehr als 10 000 Flüchtlinge aus dem Meer vor Libyen gerettet. Die Schleuser nützen das Wetter, solange es noch halbwegs schön ist. Die internationalen Organi­sationen schätzen, dass mehr als 140 000 Menschen heuer schon diesen Weg genom­men haben und über 3 000 das nicht überlebt haben. Das ist momentan die wichtigste Route. Da gilt es, wirklich irgendeine Lösung zu finden, und ich bin froh, dass es dauernd Verhandlungen gibt, auch mit Italien, von Österreich ausgehend, aber auch von der EU aus. Wir wollen ja nicht, dass irgendwann die Menschen am Brenner stehen, niemand von uns will das. Insofern müssen wir dort Unterstützung leisten.

Es wird einiges getan, es wird vieles getan. Es geht schlussendlich darum, dass wir uns aktiv einbringen, konstruktiv an Vorschlägen mitarbeiten, keine Panikmache be­treiben, Ursachen und nicht die Auswirkungen bekämpfen, denn dann werden wir das durchaus gemeinsam zustande bringen. – Danke. (Beifall bei SPÖ, ÖVP und Grünen.)

16.56


Vizepräsidentin Ingrid Winkler: Zu Wort gemeldet ist Frau Mag. Dr. Dziedzic. – Bitte.

 


16.56.49

Bundesrätin Mag. Dr. Ewa Dziedzic (Grüne, Wien): Sehr geehrter Herr Minister! Wertes Präsidium! Geschätzte Kollegen und Kolleginnen! Eines vorweg: 19 Milliar­den € kostete uns die Hypo-Pleite, mindestens 5 Milliarden € kosten die Eurofighter, circa 1 Milliarden € kostet der BUWOG-Skandal und dann gab es noch die Immofinanz und das Klagenfurter Fußballstadion; aber wenn es um die budgetäre Misere des Staates geht, kommen nur Flüchtlinge und die MindestsicherungsbezieherInnen als Ursache in Frage. (Bundesrat Jenewein: Vorher hat es noch geheißen, die Hypo hat 7 Milliarden € gekostet! Die Mariahilfer Straße hat 52 Millionen € gekostet!)

Ähnlich verhält es sich in der Argumentation zur Notverordnung. Minister Sobotka sagte heute im Ö1-„Morgenjournal“ selbst, dass in den ersten neun Monaten 28 298 Asylanträge zugelassen worden sind. Das heißt, wir sind damit noch ein großes Stück von der selbstgewählten Obergrenze von 37 500 Ansuchen entfernt. Im Moment heißt es aus dem Innenministerium – und das ist wohl wirklich eine Vermischung in der Dringlichen Anfrage, dass nicht klar ist, welcher Minister eigentlich die Antworten geben müsste –, dass, wenn sich die Flüchtlingszahlen so entwickeln wie bisher, diese Sonderverordnung im Asylwesen heuer höchstens ein paar Tage in Kraft treten wird – wenn überhaupt, wie der Minister selbst sagt.

In der „Tiroler Tageszeitung“ heißt es da zum Beispiel: „Ab wann es die Verordnung bräuchte, wollte Sobotka nicht einschätzen. Er tritt ja dafür ein, sie schon vor Erreichen der 37.500 Anträge in Kraft zu setzen. Allerdings ist für ihn auch ein vorläufiger Verzicht vorstellbar“.

Das heißt, mich würde tatsächlich die Beantwortung der Frage 13, die Sie gestellt haben, interessieren. Darauf habe ich bisher tatsächlich keine Antwort gehört.

So unklar auf jeden Fall diese Feststellungen von Innenminister Sobotka sind, so verwirrend ist auch die Dringliche Anfrage, die Sie gestellt haben, auch abseits der Vermischung der Zuständigkeiten. (Bundesrat Jenewein: Lesen Sie sie sich einmal durch!)

Ich sage Ihnen auch, wieso es verwirrend ist, nämlich nicht, weil ich es nicht erfassen kann, sondern tatsächlich, weil Sie da ein bisschen falsch rechnen, zum Beispiel was die Grundversorgung anbelangt, die ja immer wieder von Ihnen angeführt wird, und die da niederschwellig … (Bundesrat Jenewein: Da steht kein einziges Wort drinnen von der Grundversorgung!) – Wenn Sie mich ausreden lassen, dann wissen Sie, worauf ich hinaus möchte.

Sie führen immer wieder an, dass die Flüchtlingszahlen … (Bundesrat Jenewein: Wo habe ich das angeführt, wo? Ich melde mich wieder zu Wort! Ich erkläre es Ihnen dann!) – Wenn Sie wieder am Wort sind! (Bundesrat Jenewein: Ja, ja!) – Gut, ich lasse es mir gerne von Ihnen erklären. Ich glaube, ich durchschaue das ein bisschen besser.

Sie führen immer wieder und auch indirekt in Ihrer Dringlichen Anfrage an, dass Österreich die Kapazitäten nicht hat (Bundesrat Jenewein: Wo habe ich das an­geführt?!) – auch abseits der Kriminalitätsstatistik, auf die ich noch zu sprechen komme. Was die Kapazitäten anbelangt, die angeblich laut Ihrer Einschätzung nicht vorhanden sind, kann ich Ihnen sagen, dass es sich um 0,98 Prozent, also weniger als 1 Prozent handelt, wenn es darum geht, wer in der Grundversorgung ist. Das Innen­minis­terium sagt auch selbst, dass es bundesweit nach wie vor 8 000 Unterbringungs­plätze gibt, die leer stehen. Das wäre einmal das eine.

Das Zweite, worauf Sie sich berufen – das ist Ihr Lieblingsthema –, ist die Sicherheit und die erwähnte Kriminalitätsstatistik.

Wir wissen auch von der Bundesregierung, dass sie sehr bemüht ist, die Notver­ordnung zu legitimieren und die Gefährdung der öffentlichen Sicherheit herbeizu­konstru­ieren. Da werden die Zahlen teilweise sehr willkürlich benutzt – das muss man leider sagen –, und die Tatverdächtigenzahlen werden auch oft mit Asylwerberzahlen und Zahlen über ausländische Staatsangehörige vermischt. Das ist die eine Seite. Auf der anderen Seite betont das Innenministerium in der Beantwortung parlamen­ta­ri­scher Anfragen (ein Dokument in die Höhe haltend) selbst, „dass Experten aus der Wis­senschaft im Rahmen des Projektes ,Kriminalstatistik neu‘ festgestellt haben, dass Aussagen über die Sicherheitslage und die Kriminalitätsbelastung aus quartals­mäßi­gen und halbjährlichen Zahlenwerten nicht möglich sind, weil daraus gezogene Schlüsse einer wissenschaftlichen Überprüfung nicht standhalten. (…) Ergo können aus dem Zahlenmaterial weder die gegenwärtige kriminalpolizeiliche Lage noch Trends bzw. Aussagen über die Sicherheitslage und die Kriminalitätsbelastung abgeleitet werden.“

Was lernen wir daraus? – Annahmen sind keine Fakten. Und auch, wenn die Zahl schon fortgeschritten ist, wie Sie vorher meinten, würde ich Sie einladen, jetzt ein wenig mitzurechnen. (Bundesrat Jenewein: Kommt jetzt wieder etwas zur Grund­versorgung?) – Nein. (Bundesrat Jenewein: Ah nicht, das haben wir schon gehabt!) – Sicherheitsbericht 2015, den werden Sie aber sicher studiert haben! (Neuerlicher Zwischenruf des Bundesrates Jenewein.) Daraus geht nämlich hervor, dass es 2015 insgesamt 250 618 Tatverdächtige gibt.

Sie schreiben jetzt in Ihrer Dringlichen Anfrage, dass es von Jänner bis Juni 2016 133 135 Tatverdächtige gab. Die erste Rechnung wäre einmal, das irgendwie auf das ganze Jahr umzurechnen. (Bundesrat Jenewein: Das Jahr ist noch nicht vorbei! Das wäre nicht wissenschaftlich, das wäre eine Annahme!) Na ja, das überlasse ich Ihnen, das nachzurechnen. (Neuerlicher Zwischenruf des Bundesrates Jenewein.) – Sie können mich gerne auf einen Kaffee einladen, falls Sie ein bilaterales Gespräch führen wollen, wenn Sie mich hier dauernd unterbrechen. (Beifall bei Grünen, ÖVP und FPÖ.)

Wenn Sie mich hier dauernd unterbrechen, dann ist das einfach nur respektlos. Sie sollten sich an das halten, was Sie vorher meinten, nämlich dass Sie sich dann selbst noch zu Wort melden! (Bundesrat Jenewein: … damit müssen Sie leben!)

Es dürfte sich für alle erschließen: Je mehr Menschen in Österreich sind, desto mehr Straftaten gibt es. Und tatsächlich: Während sich die Zahl der tatverdächtigen Asyl­werber um 38 Prozent erhöhte, stiegen die Asylanträge im Jahr 2015 – das steht auch in Ihrer Anfrage – um rund 200 Prozent. Das bedeutet ein Sinken, keinen Anstieg! Das bestätigte auch das Innenministerium bei der Präsentation der Kriminalstatistik 2015. Da heißt es: „Stellt man jedoch der Gesamtzahl der in Österreich Asylsuchenden die Zahl der tatverdächtigen Asylsuchenden gegenüber, so war diese 2015 in Relation stark rückläufig.“

Ich frage mich daher immer wieder, wenn Sie entsprechende Anträge oder Anfragen stellen, was deren Sinn und Zweck ist.

Ich könnte jeden Absatz so durchargumentieren, wie ich es bis jetzt gemacht habe, und muss ehrlich sagen: Ich habe keine andere Antwort, als dass Sie einfach nur Verwirrung stiften wollen und dass Sie etwas nur auf ein Thema zugeschnitten zur Debatte stellen wollen, für das Sie selbst keine Lösungen anzubieten haben. (Bun­desrat Jenewein: Na, unbedingt! – Ruf bei den Grünen: Das ist es! – Bundesrat Herbert: Ja, doch! Die Repatriierung! Grenzen dicht und konsequent abschieben!)

Sie fordern auf der einen Seite europäische Lösungen und setzen dabei auf nationale Lösungen. Sie fordern einheitliche Lösungen und tun alles, um konstruktive Debatten zu konterkarieren. Sie stellen dieselben Fragen immer wieder, ohne eine einzige Antwort zuzulassen – außer jenen Antworten, die Sie sich selbst geben.

Was den Arbeitsmarkt anbelangt – denn das ist neben den Ausländern beziehungs­weise damit in Zusammenhang stehend ja Ihr Lieblingsthema –, so habe ich tat­sächlich noch kein einziges Mal hier von Ihnen eine konkrete Maßnahme oder Lösung gehört. Das würde ich gerne, wenn Sie schon die Fragen dazu stellen. (Beifall bei Bundesräten von ÖVP und SPÖ. Bundesrat Jenewein: Mindestsicherung ist doch nicht die Alternative! – Bundesrat Stögmüller: Doch! – Bundesrat Jenewein: Nein, ist sie nicht!)

Da Sie heute schon selbst einmal den Journalisten Misik bemüht haben, möchte ich jetzt mit den Gebrüdern Moped – die kennen Sie, nicht wahr? – schließen. (Bundesrat Jenewein: Ja!) Sie haben nämlich vor Kurzem auf Twitter Folgendes gepostet – hören Sie einmal kurz zu! –: „Sicherheit plakatieren und gegen die Mindestsicherung sein. Auch eine Form der Kreativität.“

Ich finde, dass sich mit diesem Satz auch Ihre Dringliche Anfrage zusammenfassen lässt, und vielleicht – das wäre nun eine Vermutung, das möchte ich Ihnen nicht unter­stellen – wollen Sie lediglich davon ablenken, dass Ihr Parteikollege, Nationalratsabge­ordneter Höbart, jetzt wegen Urkundenfälschung vors Gericht zitiert wird. (Zwischen­rufe bei der FPÖ.)

In diesem Sinne: Ja, bitte, konstruktive Debatten zu Lösungen, aber keine Fragen, auf die Sie sich die Antworten selbst geben! (Rufe und Gegenrufe zwischen Bundesräten von FPÖ und Grünen.)

Jetzt können Sie wieder im Plenum weiterdiskutieren. Danke. (Beifall bei Grünen, ÖVP und SPÖ.)

17.06


Vizepräsidentin Ingrid Winkler: Ich bitte, die Redner ausreden zu lassen. Danke.

Als Nächster zu Wort gemeldet ist Herr Bundesrat Mayer. – Bitte, Herr Bundesrat.

 


17.07.11

Bundesrat Edgar Mayer (ÖVP, Vorarlberg): Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrter Herr Minister! Die Debatte spannt sich weit, vom bilateralen Kaffee bis zum Mopedfahren mit Hans-Jörg Jenewein. Das ist wirklich eine Besonderheit. (Heiterkeit.)

Ich möchte jetzt wieder stärker auf die sachliche Ebene beziehungsweise auf eure Anfrage zurückkommen, die ich als gemischte Anfrage bezeichnen möchte – es gibt gemischte Abkommen und gemischte Anfragen (Ruf: Ein gemischter Satz!) –, denn wie der Herr Minister schon treffend gesagt hat, läge die Ressortzuständigkeit hauptsäch­lich beim Innenministerium. Dazu wurde bereits einiges angesprochen. Kollege Schödinger hat es meiner Meinung nach sehr gut ausgeführt. Es sind aber doch noch einige Punkte in Diskussion, die es noch einmal kurz zu beleuchten gilt.

In dieser Anfrage wird zum Beispiel davon gesprochen, dass wir die Grenzen geöffnet haben. Die Grenzen waren offen, die musste man gar nicht öffnen, weil wir Teil des großen Schengenraums sind. Wenn Sie dann sagen, wir haben uns sogar als Schlep­per betätigt und 800 000 Leute durch Österreich durchgeschleppt, dann muss man es sich einmal so vorstellen: Hätten wir die Leute nicht weitergeleitet, weil sie nach Deutschland, Schweden und so weiter wollten, dann wären diese 803 000 Leute unter Umständen bei uns irgendwo in der Grenzregion untergebracht worden. Wie überfor­dert und gefordert wäre Österreich dann gewesen! Es wäre noch viel schlimmer gewesen als nun die Situation mit den 90 000 Menschen, die schlussendlich bei uns geblieben sind. Da muss man schon auch der Realität ein bisschen ins Auge schauen, denn mit Schlepperei des Staates oder der Regierung hat das einfach nichts zu tun. Da muss man einfach auch aufmerksam und wachsam sein.

Kollege Herbert hat angesprochen, dass sich die Kriminalität erhöht hat und dass das ein Problem ist. Da gebe ich ihm recht. Das ist nicht nur bei uns ein Problem, das ist inzwischen auch in Deutschland ein massives Problem, welches die Polizeigewerk­schaft ganz klar aufgezeigt hat, insbesondere an Hotspots wie Bahnhöfen und so weiter, wo es zur Belästigung von Frauen, zu Vergewaltigungen, zu Überfällen kommt. Da gibt es selbstverständlich auch bei mir null Verständnis, null Toleranz. Wir sind auch dabei, dies gesetzlich in einen guten Rahmen zu bringen.

Nur muss ich euch schon eines sagen, liebe Kollegen von der Freiheitlichen Partei: Wenn wir hier über Asylgesetze und Fremdengesetze diskutieren, diese verschärfen, adaptieren und anpassen, dann ist von euch nie Zustimmung zu erwarten. Es ist euch immer zu wenig. Wir müssen aber auch darauf achten, unsere Gesetze im Rahmen der rechtlichen Möglichkeiten, im Rahmen des Rechtsstaates zu adaptieren, und da gilt es einfach, auch Kompromisse zu schließen. Ich wäre sehr stolz auf euch, wenn ihr einmal sagen könntet: Okay, jetzt stimmen wir einmal einer Verschärfung im Fremden­recht, im Asylrecht zu, denn es ist ein Schritt in die richtige Richtung.

Da gibt es von euch jedoch überhaupt keine Zugeständnisse. Ihr kritisiert immer nur, beziehungsweise – und das ist das Problem daran – gibt es von euch auch keine Lösungsvorschläge, in keinem Bereich. Ihr habt einfach immer nur den einen Ansatz: dass wir die Grenzen schließen sollen, was man jetzt ohnedies gemacht hat. Die Balkanroute wurde geschlossen. Da könnt ihr argumentieren, wie ihr wollt, die ist geschlossen. (Bundesrat Herbert: Wie bitte? Die Balkanroute ist nicht die Grenze von Österreich!)

Wenn man zum Beispiel Erdoğan anspricht und kritisiert, dass wir Erdoğan hofieren, uns in eine Abhängigkeit begeben und dass dieser Pakt, den wir geschlossen haben, nicht gilt, dann stelle ich fest: Er funktioniert. Was wäre, wenn Erdoğan sagt: Okay, ich klinke mich da jetzt aus, meine Grenzen sind wieder geöffnet, und ich lasse vielleicht wieder einmal eine Million Syrer durch!? Was wird dann sein? – Dann werdet ihr schimpfen und uns vorhalten, dass wir nicht fähig sind, mit Erdoğan einen Pakt zu schließen. Genau das werdet ihr uns dann vorhalten. (Bundesrat Jenewein: Was waren denn die Auswirkungen? Was ist denn mit den Visabestimmungen mit der Türkei? Man hat da einerseits …!) – Bitte, das ist in Diskussion! Die Visabestimmungen mit der Türkei sind keineswegs umgesetzt.

Jetzt gibt es einmal den Pakt, bei dem man sagt: Wir schauen, dass die Flüchtlinge dort bleiben, wir geben Geld dafür aus, dass man sie auch entsprechend unterbringt und mit Lebensmitteln und dem Nötigsten versorgt. Das ist ein wichtiger Punkt. Wenn dieser Pakt mit Erdoğan nicht geschlossen worden wäre, hätten wir heute Verhältnisse wie im letzten Jahr, und wenn ihr sagt, die Balkanroute ist nicht geschlossen, dann sage ich euch: Die damalige Frau Innenministerin Mikl-Leitner und der Herr Außenminister haben das auch zum Vorteil und Wohle ganz Europas zustande gebracht. Das war eine österreichische Initiative, was man einmal mehr unterstreichen kann. (Beifall bei ÖVP und SPÖ.)

Ich komme schon zum Schluss. Ich möchte nur noch kurz Folgendes zur Notver­ordnung sagen, Frau Kollegin Dziedzic: Auch wenn wir sie heuer nicht mehr brauchen, wäre es gut, sie zu haben, denn wenn man etwas braucht und man hat es zur Hand, dann kann man es auch anwenden. Es ist eine Vorgabe der Regierung, und wenn der Innenminister guter Dinge ist, dann soll das entsprechend umgesetzt werden. (Beifall bei Bundesräten der ÖVP.) – Ja, da kann man auch applaudieren!

Wenn du, Kollege Jenewein, von Rückschiebungen und Repatriierung sprichst, so stelle ich fest, dass wir heuer so gut unterwegs sind wie noch nie, denn die Zahl beträgt per Ende August insgesamt – mit freiwilligen Rückkehrern – 6 900. Wenn man das hochrechnet, werden es Ende des Jahres 10 000 sein. Eine solche Zahl haben wir noch nie erreicht. Der Grund ist einfach: Es passiert, weil man aktiv ist und schaut, dass man etwas weiterbringt.

Überhaupt freue ich mich, Kollege Jenewein, dass du den Minister auch für seine Äußerungen und für seine Aktivitäten lobst. Kollege Herbert ist da anderer Meinung. Er sagt, er wird an seinen Taten gemessen. Seine Taten sind bekannt, die sind in ganz Europa und in der ganzen Welt bekannt (Zwischenruf des Bundesrates Herbert), und wenn man ihn danach misst und dies auf die Körpergröße umlegt, dann wäre er wahrscheinlich 100 Meter groß und nicht nur 1,90 Meter. (Heiterkeit.)

An und für sich finde ich die Diskussion trotzdem sachlich. Wenn man ihm zugehört hat, dann konnte man feststellen: Er sprach ruhig, kompetent und inhaltlich hervor­ragend. Das muss man doch auch einmal hier am Rednerpult sagen. Wenn ein Minis­ter kommt und die Fragen – auch zusätzliche Fragen, die nicht in seinen Kompe­tenzbereich fallen – beantwortet, passt das für mich.

Ich darf mit dem Thema bilateraler Kaffee schließen: Ich bin auch gerne mit dabei, Herr Kollege Jenewein! (Beifall bei ÖVP und SPÖ.)

17.14


Vizepräsidentin Ingrid Winkler: Weitere Wortmeldungen liegen nicht vor.

Wünscht noch jemand das Wort? – Bitte, Frau Bundesrätin Mühlwerth.

 


17.15.00

Bundesrätin Monika Mühlwerth (FPÖ, Wien): Sehr geehrter Herr Minister! Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen! Zunächst: Danke, Herr Minister, dass Sie heute gekommen sind, dass sich das so kurzfristig ausgegangen ist. Ich glaube, es ist wich­tig – und die Debatte hat es gezeigt –, dass man sich auch über solche Themen unterhält.

Es hat niemand den Herrn Minister schlechtgemacht, aber es liegt eben in der Natur der Demokratie, dass man nicht vorbehaltlos alles gutheißen muss, was ein Minister macht.

Sie, Herr Minister, haben ja auch viele freiheitliche Positionen übernommen. Mir fällt eine ein, an die ich mich noch erinnere: Die FPÖ Wien – da war ich in der Arbeits­gruppe – hat 2005 gesagt: Wir brauchen Deutschklassen an den Schulen, aber nicht, um die Kinder zu diskriminieren und Ghettoklassen zu bilden, wie uns das natürlich sofort von der linken Reichshälfte unterstellt worden ist, sondern damit die Kinder schnellstmöglich und ordentlich Deutsch lernen, um dem Unterricht folgen zu können. Nach schnellen fünf Jahren sind Sie plötzlich auch dieser Meinung gewesen, nachdem Sie das vorher gar nicht gutgeheißen haben (Bundesminister Kurz: Sie haben es 2015 vorgeschlagen! – Bundesrat Jenewein: Nein, wir haben es 2005 vorgeschlagen!) – 2005! –, und kaum waren fünf Jahre vorbei, haben Sie gesagt: Ja, das ist eine gute Idee! – Also warum sollen wir Sie jetzt anschütten, wie man es uns hier unterstellt? – Das tun wir ja gar nicht!

Aber ein paar Dinge muss man jetzt schon noch klarstellen: Das mit dem Lesen – das merke ich immer wieder, vor allem bei der SPÖ und bei den Grünen – ist immer so eine Sache. Wir wissen ja, dass Österreich ein Problem mit dem sinnerfassenden Lesen hat. In der Dringlichen Anfrage, Frau Kollegin Dziedzic, steht nicht ein einziges Mal das Wort Grundversorgung. Wo Sie das herausgelesen haben, weiß ich nicht. Vielleicht haben Sie die falsche Anfrage in der Hand gehabt, das könnte ja sein. (Bundesrätin Schreyer schüttelt den Kopf.) – Es steht nichts davon drinnen, und Sie können den Kopf bis zum Sankt-Nimmerleins-Tag schütteln, es steht nichts davon drinnen. (Zwischenruf des Bundesrates Stögmüller.)

Kollege Mayer hat gemeint, die Grenzen waren ja offen, weil wir eben ein Teil des Schengenraums sind. Ja, aber ich sage Ihnen schon: Diese unwürdige Streiterei, ob ein Zaun überhaupt Zaun genannt werden darf oder nicht irgendwo ein Loch oder sonst irgendein Hindernis ist, hat schon viel wertvolle Zeit gekostet (Zwischenruf des Bundesrates Mayer), bis dann endlich alle umgeschwenkt sind und gesagt haben: Ja, also der Zaun ist natürlich schon eine ganz wichtige Sache.

Von den Grünen habe ich außer: Kommt alle herein!, und: Die sind alle so arm!, keinen Vorschlag gehört. Wir haben wenigstens Vorschläge, auch wenn es die Repatriierung ist, die dem Kollegen Mayer nicht so gut gefällt, aber wir haben Vorschläge. Von Ihnen höre ich immer nur: Die FPÖ ist so böse!, und: Die FPÖ ist so schlecht!, und ansonsten sind alle Asylwerber ganz arm und müssen natürlich zu uns kommen.

Die Integration in den Arbeitsmarkt, Kollegin Kurz, ist gut gemeint, aber gut gemeint ist ja meistens das Gegenteil von gut und überdies – da ja Weihnachten auch nicht allzu fern ist – ein Wunsch an das Christkind.

Diese Woche war in der „Kronen Zeitung“ ein Artikel, in welchem sich Experten einig waren – und zwar sowohl solche, die aus dem Lager der SPÖ kommen, als auch jene aus dem Lager der ÖVP und noch ein paar Unabhängige –, dass man 50 Prozent der angekommenen Flüchtlinge nicht wird integrieren können und 50 Prozent erst nach zehn Jahren in den Arbeitsmarkt integrierbar sein werden. Aber Sie waren ja diejeni­gen, die uns vor einem Jahr oder vor eineinviertel Jahren gesagt haben: Lauter syri­sche Doktoren kommen zu uns, lauter hochgebildete Akademiker kommen hierher!

Mit dieser Annahme mussten Sie ja auch aufräumen, weil sie einfach nicht stimmt. Das ist ein ganz kleiner Prozentsatz, und beim Rest weiß man nicht genau, wie die Qualifi­kation zu der unseren in Entsprechung steht. Also da wird ja auch immer ein schönes Bild gezeichnet, das der Realität nicht standhält. Daher wird die Arbeitsmarktintegration noch eine ganz schwierige Sache sein.

Darüber hinaus geht es ja nicht nur um die Arbeitsplätze, hinsichtlich derer wir uns ja heute schon mit dem Herrn Bundeskanzler darüber unterhalten haben, dass wir ja ohnedies schon fast 400 000 eigene Arbeitslose haben. Da sind diese Asylwerber noch gar nicht miteingerechnet, die kommen ja jetzt noch dazu, und wir wissen noch nicht – hören es aber schon –, wie viele nicht integriert werden können.

Weiters ist das Bildungsniveau der Menschen zu einem großen Teil sehr niedrig. Die werden Sie jetzt auf Maturaniveau hinaufheben können, und das werden die künftigen IT-Techniker, Programmierer et cetera sein?! – Das glauben Sie ja wohl selber nicht! (Zwischenruf der Bundesrätin Kurz. – Bundesrat Stögmüller: Das sagt ja auch keiner!) Dazu brauchen wir Wohnungen, Schulplätze, Lehrer. Wir krachen budget­mäßig wie eine Kaisersemmel, also frage ich mich, woher das Geld dafür kommen soll, wobei die Kosten – je nachdem, von wem – auf 1,7 bis 2,7 Milliarden € geschätzt werden. (Zwischenrufe bei SPÖ und Grünen.) – Ja, es stand diese Woche beziehungs­weise letzte Woche in den Zeitungen.

Man fragt sich also schon: Woher wird denn das Geld kommen? (Zwischenruf der Bundesrätin Kurz.) Sie streiten ja mit dem Finanzminister, alle Minister streiten mit dem Finanzminister um noch ein bisschen mehr Geld, und der sagt: Ich habe aber keines! – Das muss ja alles bezahlt werden! (Bundesrätin Kurz: Wertschöpfungs­abgabe!)

Dann haben wir noch immer nicht das Problem all jener gelöst, die aus Drittstaaten kommen und einen völlig anderen Kulturkreis haben als wir. Es ist nicht so, dass die hierherkommen und sagen: Ja, okay, bei euch gibt es die Gleichberechtigung, das Kopftuch ist nicht sehr erwünscht, die Mädchen müssen am Schwimmunterricht und am Turnunterricht teilnehmen, und der ist eben nicht getrennt, sondern gemischt et cetera, et cetera. (Zwischenruf des Bundesrates Stögmüller.)

Seit einem Jahr vergeht kein Tag, an dem in den Zeitungen nicht irgendwo von sexueller Belästigung, Vergewaltigung und sonstigen Grauslichkeiten die Rede ist (Bundesrat Stögmüller: Nicht immer nur „Wochenblick“ lesen!) – alle begangen fast ausschließlich von Asylwerbern und fast immer von jenen aus den Drittländern, die mit unserer Kultur und vor allem mit unseren Grundwerten überhaupt nichts zu tun haben. (Bundesrätin Kurz: Nein! Vergewaltigungen finden in der Familie statt!)

Sie glauben immer noch, das ist alles machbar; wir schaffen das! (Bundesrätin Kurz: Es bleibt uns nichts anderes übrig!) – Nein, wir werden es nicht schaffen! Wir haben ja schon Probleme mit denen, die bei uns die österreichische Staatsbürgerschaft haben, die in der zweiten und dritten Generation da sind, die für Erdoğan demonstrieren gehen und sagen: Ich bin Türke! – Es kann keine Rede davon sein, dass sich der mit seinem Land, dessen Staatsbürgerschaft er besitzt, auch nur irgendwie identifiziert, und da glauben Sie, die kommen alle hierher und lassen sich so wunderbar und locker integrieren. (Zwischenruf des Bundesrates Stögmüller.)

Wenn Sie so weitermachen, wird es für uns noch ein böses Erwachen geben (Bundesrätin Kurz: Was ist dann?), daher sage ich das, was wir immer gesagt haben: All jene, die bereit sind, sich zu integrieren, unsere Werte anzunehmen – und ja, natür­lich, das geht in Richtung Assimilierung, und meiner Meinung nach geht es auch nicht anders, ich sehe es jedenfalls so –, die können ja bleiben. Dagegen ist ja nichts zu sagen. Es hat ja nie jemand von uns gesagt: Ausländer raus! (Ironische Nein-Rufe bei SPÖ und Grünen.) – Nein, also weder H.-C. Strache noch Jenewein noch ich noch Gudenus – ich kann Ihnen jetzt alle aufzählen! – hat je gesagt: Ausländer raus! (Ironische Nein-Rufe bei SPÖ und Grünen.) Wir haben immer nur sehr kritisch gesagt: Jene, die sich nicht integrieren wollen, sollen wieder nach Hause gehen. (Bundesrat Novak: Wie war das mit den Fliegern?! – Vizepräsidentin Winkler gibt das Glocken­zeichen.)

Übrigens hat euer Kollege aus Oberösterreich, Ex-Bundesrat Efgani Dönmez, der ein Türke ist, selbst gesagt: Für alle, die sich nicht integrieren wollen: One-Way-Ticket nach Hause! – Also hallo, wo ist denn da jetzt der Unterschied? – Das erklärt ihr mir jetzt einmal!

Die, die sich integrieren, können bleiben, und die, die sich nicht integrieren, sollen wieder nach Hause gehen – dabei bleiben wir. Nur so wird es gehen und nicht mit Ihren Wunschträumen, dass alles machbar sein wird, nur weil Sie sich das wünschen. (Beifall bei der FPÖ. – Zwischenrufe der Bundesräte Novak und Dziedzic.)

17.23


Vizepräsidentin Ingrid Winkler: Weitere Wortmeldungen liegen dazu nicht vor.

Wünscht noch jemand das Wort? – Das ist nicht der Fall. Die Debatte ist geschlossen.

17.23.41Einlauf

 


Vizepräsidentin Ingrid Winkler: Ich gebe bekannt, dass seit der letzten bezie­hungsweise in der heutigen Sitzung insgesamt fünf Anfragen, 3174/J-BR/2016 bis 3178/J-BR/2016, eingebracht wurden.

*****

Die Einberufung der nächsten Bundesratssitzung wird auf schriftlichem Wege erfol-gen. Als Sitzungstermin wird Dienstag, der 25. Oktober 2016, 9 Uhr, in Aussicht ge-nommen.

Für die Tagesordnung dieser Sitzung kommen insbesondere jene Beschlüsse in Betracht, die der Nationalrat bis dahin verabschiedet haben wird, soweit diese dem Einspruchsrecht beziehungsweise dem Zustimmungsrecht des Bundesrates unter­liegen.

Die Ausschussvorberatungen sind für Montag, den 24. Oktober 2016, 14 Uhr, vorge­sehen.

Die Sitzung ist geschlossen.

17.24.45Schluss der Sitzung: 17.25 Uhr

 

Impressum:

Parlamentsdirektion

1017 Wien