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Stenographisches Protokoll

 

 

 

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865. Sitzung des Bundesrates der Republik Österreich

 

 

 

Donnerstag, 16. März 2017

 

 


Stenographisches Protokoll

865. Sitzung des Bundesrates der Republik Österreich

Donnerstag, 16. März 2017

Dauer der Sitzung

Donnerstag, 16. März 2017: 9.02 – 17.39 Uhr

*****

Tagesordnung

1. Punkt: Jahresvorschau des BMVIT 2017 auf der Grundlage des Legislativ- und Arbeitsprogrammes der Kommission sowie des operativen Jahresprogrammes des Rates

2. Punkt: Partnerschaftsabkommen über die Beziehungen und die Zusammenarbeit zwischen der Europäischen Union und ihren Mitgliedstaaten einerseits und Neusee­land andererseits

3. Punkt: Abkommen über eine verstärkte Partnerschaft und Zusammenarbeit zwi­schen der Europäischen Union und ihren Mitgliedstaaten einerseits und der Republik Kasachstan andererseits

4. Punkt: EU-Arbeitsprogramm 2017; Bericht des Bundesministers für Europa, Inte­gration und Äußeres

5. Punkt: Außen- und Europapolitischer Bericht 2015

6. Punkt: Bundesgesetz, mit dem das Allgemeine Sozialversicherungsgesetz, das Bauern-Sozialversicherungsgesetz, das Allgemeine Pensionsgesetz, das Arbeitslosen­versicherungsgesetz 1977 und das Arbeitskräfteüberlassungsgesetz geändert werden (Sozialversicherungs-Änderungsgesetz 2017 – SVÄG 2017)

7. Punkt: Bundesgesetz, mit dem das Post-Betriebsverfassungsgesetz, das Landar­beitsgesetz 1984 und das Behinderteneinstellungsgesetz geändert werden

8. Punkt: Bundesgesetz, mit dem das Arbeitsverfassungsgesetz geändert wird

9. Punkt: Bundesgesetz, mit dem das Betriebliche Mitarbeiter- und Selbständigen­vor­sor­gegesetz und das Landarbeitsgesetz geändert werden

10. Punkt: Jahresbericht 2017 des Bundesministers für Arbeit, Soziales und Konsu­mentenschutz gemäß Artikel 23f Absatz 2 B-VG und §§ 3 und 7 EU-InfoG auf der Grundlage des Legislativ- und Arbeitsprogramms der Europäischen Kommission für 2017 und des maltesischen Arbeitsprogramms für das 1. Halbjahr 2017 sowie des Achtzehnmonatsprogramms des niederländischen, slowakischen und maltesischen Ratsvorsitzes


BundesratStenographisches Protokoll865. Sitzung / Seite 2

11. Punkt: Sozialbericht 2015–2016

12. Punkt: Antrag der Bundesräte Werner Herbert, Kolleginnen und Kollegen betref­fend ein Bundesgesetz, mit dem das Bundesgesetz über die mit gerichtlicher Strafe bedrohten Handlungen (Strafgesetzbuch – StGB), BGBl. Nr. 60/1974, geändert wird

*****

Ergänzung der Tagesordnung ........................................................................................ 49

13. Punkt: Antrag der Bundesräte Sonja Ledl-Rossmann, Reinhard Todt, Monika Mühlwerth, Mag. Nicole Schreyer, Kolleginnen und Kollegen betreffend eine parlamentarische Enquete des Bundesrates gemäß § 66 GO-BR zum Thema „Die Zukunft der Pflege: Schaffbar, sichtbar, leistbar“ (224/A-BR/2017)

*****

Inhalt

Bundesrat

Trauerkundgebung aus Anlass des Ablebens der Bundesministerin für Gesund­heit und Frauen Dr. Sabine Oberhauser, MAS ............................................................................................................ 9

Schreiben an den Kärntner Landtag betreffend Mandatsverzicht des Bun­desrates Gerhard Dörfler ................................................................................................................................. 9

Erklärung des Landeshauptmannes von Tirol Günther Platter gemäß § 38 Abs. 3 GO-BR zum Thema: „gemeinsam.entscheiden.“ – Bekanntgabe ................................................................... 10

Verlangen auf Durchführung einer Debatte gemäß § 38 Abs. 4 GO-BR ...................... 11

Landeshauptmann Günther Platter ........................................................................... 11

Debatte:

Dr. Andreas Köll ........................................................................................................... 17

Ing. Hans-Peter Bock ................................................................................................... 20

Gerd Krusche .......................................................................................................... ..... 22

Mag. Nicole Schreyer ............................................................................................. ..... 24

Landeshauptmann Günther Platter ...................................................................... ..... 27

Antrag der Bundesräte Sonja Ledl-Rossmann, Reinhard Todt, Monika Mühlwerth, Mag. Nicole Schreyer, Kolleginnen und Kollegen, den Selbständi­gen Antrag 224/A-BR/2017 der Bundesräte Sonja Ledl-Rossmann, Reinhard Todt, Monika Mühlwerth, Mag. Nicole Schreyer, Kolleginnen und Kollegen betreffend eine parlamentarische Enquete des Bundesrates gemäß § 66 GO-BR zum Thema „Die Zukunft der Pflege: Schaffbar, sichtbar, leistbar“ gemäß § 16 Abs. 3 GO-BR ohne Vorberatung durch einen Ausschuss unmittelbar in Verhandlung zu nehmen – Annahme ...............................................  48, 49

Personalien

Verhinderungen ................................................................................................................ 9

Aktuelle Stunde (50.)

Thema: „Digitalisierung: Chancen und Herausforderungen für die Regi­onen“                     31


BundesratStenographisches Protokoll865. Sitzung / Seite 3

Redner/Rednerinnen:

Günther Novak ........................................................................................................ ..... 31

Sonja Zwazl ............................................................................................................. ..... 33

Hans-Jörg Jenewein, MA ....................................................................................... ..... 36

Mag. Nicole Schreyer ............................................................................................. ..... 38

Bundesminister Mag. Jörg Leichtfried ................................................................. ..... 41

Stefan Schennach ................................................................................................... ..... 43

Christian Poglitsch ................................................................................................. ..... 44

Gerd Krusche .......................................................................................................... ..... 46

Bundesregierung

Schreiben des Bundeskanzlers Mag. Christian Kern betreffend Enthebung des Bundesministers für Arbeit, Soziales und Konsumentenschutz Alois Stöger, diplômé vom Amt der Fortführung der Verwaltung des Bundesministeriums für Gesundheit und Frauen sowie Ernennung von Frau Dr. Pamela Rendi-Wagner, MSc zur Bundesministerin für Gesundheit und Frauen durch den Bundes­präsidenten                    48

Nationalrat

Beschlüsse und Gesetzesbeschlüsse ............................................................................ 49

Ausschüsse

Zuweisungen .................................................................................................................. 47

Verhandlungen

1. Punkt: Jahresvorschau des BMVIT 2017 auf der Grundlage des Legislativ- und Arbeitsprogrammes der Kommission sowie des operativen Jahres­pro­gram­mes des Rates (III-616-BR/2017 d.B. sowie 9735/BR d.B.) ............................................................................................................................... 49

Berichterstatter: Günther Novak ................................................................................... 50

Redner/Rednerinnen:

René Pfister ............................................................................................................. ..... 50

Armin Forstner, MPA ............................................................................................. ..... 52

Peter Samt ............................................................................................................... ..... 54

Mag. Nicole Schreyer ............................................................................................. ..... 56

Bundesminister Mag. Jörg Leichtfried ................................................................. ..... 58

Annahme des Antrages des Berichterstatters, den Bericht III-616-BR/2017 d.B. zur Kenntnis zu nehmen         ............................................................................................................................... 62

2. Punkt: Beschluss des Nationalrates vom 1. März 2017 betreffend Partner­schaftsabkommen über die Beziehungen und die Zusammenarbeit zwischen der Europäischen Union und ihren Mitgliedstaaten einerseits und Neuseeland andererseits (1367 d.B. und 1480 d.B. sowie 9736/BR d.B.) ............. 62

Berichterstatter: Robert Seeber .................................................................................... 62

Redner/Rednerinnen:

Peter Oberlehner .................................................................................................... ..... 62

Hubert Koller, M


BundesratStenographisches Protokoll865. Sitzung / Seite 4

A ................................................................................................... ..... 64

Thomas Schererbauer ............................................................................................ ..... 65

Mag. Dr. Ewa Dziedzic ........................................................................................... ..... 66

Annahme des Antrages des Berichterstatters, 1. gegen den vorliegenden Be­schluss des Nationalrates keinen Einspruch zu erheben und 2. dem vorliegenden Beschluss des Nationalrates gemäß Artikel 50 Abs. 2 Z 2 B-VG die verfassungs­mäßige Zustimmung zu erteilen ..................................................... 67

3. Punkt: Beschluss des Nationalrates vom 1. März 2017 betreffend Abkommen über eine verstärkte Partnerschaft und Zusammenarbeit zwischen der Europä­ischen Union und ihren Mitgliedstaaten einerseits und der Republik Kasachstan andererseits (1458 d.B. und 1481 d.B. sowie 9737/BR d.B.)                         67

Berichterstatter: Robert Seeber .................................................................................... 67

Redner/Rednerinnen:

Peter Oberlehner .................................................................................................... ..... 67

Ewald Lindinger ...................................................................................................... ..... 69

Christoph Längle .................................................................................................... ..... 70

Mag. Dr. Ewa Dziedzic ........................................................................................... ..... 71

Annahme des Antrages des Berichterstatters, gegen den vorliegenden Be­schluss des Nationalrates keinen Einspruch zu erheben ..................................................................................................... 71

4. Punkt: EU-Arbeitsprogramm 2017; Bericht des Bundesministers für Europa, Integration und Äußeres (III-615-BR/2017 d.B. sowie 9738/BR d.B.) ......................................................................... 71

Berichterstatter: Gerhard Schödinger ......................................................................... 72

Redner/Rednerinnen:

Monika Mühlwerth .................................................................................................. ..... 72

Edgar Mayer ............................................................................................................ ..... 74

Dr. Heidelinde Reiter .............................................................................................. ..... 77

Stefan Schennach ................................................................................................... ..... 79

Annahme des Antrages des Berichterstatters, den Bericht III-615-BR/2017 d.B. zur Kenntnis zu nehmen         ............................................................................................................................... 82

5. Punkt: Außen- und Europapolitischer Bericht 2015 (III-602-BR/2017 d.B. sowie 9739/BR d.B.)          ............................................................................................................................... 82

Berichterstatter: Gerhard Schödinger ......................................................................... 82

Redner/Rednerinnen:

Monika Mühlwerth .................................................................................................. ..... 82

Mag. Ernst Gödl ...................................................................................................... ..... 86

Mag. Susanne Kurz ................................................................................................ ..... 88

Mag. Dr. Ewa Dziedzic ........................................................................................... ..... 91

Bundesminister Sebastian Kurz ........................................................................... ..... 92

Annahme des Antrages des Berichterstatters, den Bericht III-602-BR/2017 d.B. zur Kenntnis zu nehmen         ............................................................................................................................... 94

6. Punkt: Beschluss des Nationalrates vom 2. März 2017 betreffend ein Bun­desgesetz, mit dem das Allgemeine Sozialversicherungsgesetz, das Bauern-Sozial­versicherungsgesetz, das Allgemeine Pensionsgesetz, das Arbeitslosen­versicherungsgesetz 1977 und das Arbeitskräfteüberlassungsgesetz geändert werden (Sozialversicherungs-Änderungsgesetz 2017 – SVÄG 2017) (1474 d.B. und 1484 d.B. sowie 9740/BR d.B.) ................................................................................................................. 94

Berichterstatterin: Inge Posch-Gruska ......................................................................... 94


BundesratStenographisches Protokoll865. Sitzung / Seite 5

Redner/Rednerinnen:

Renate Anderl ............................................................................................................... 95

Ing. Andreas Pum ......................................................................................................... 96

Ing. Bernhard Rösch .............................................................................................. ..... 98

David Stögmüller .................................................................................................... ..... 99

Bundesminister Alois Stöger, diplômé ................................................................ ... 101

Annahme des Antrages der Berichterstatterin, gegen den vorliegenden Be­schluss des Nationalrates keinen Einspruch zu erheben ................................................................................................... 102

Gemeinsame Beratung über

7. Punkt: Beschluss des Nationalrates vom 2. März 2017 betreffend ein Bundes­gesetz, mit dem das Post-Betriebsverfassungsgesetz, das Landarbeitsge­setz 1984 und das Behinderteneinstellungsgesetz geändert werden (1938/A und 1496 d.B. sowie 9741/BR d.B.) .................................................. 102

Berichterstatterin: Inge Posch-Gruska ....................................................................... 102

8. Punkt: Beschluss des Nationalrates vom 2. März 2017 betreffend ein Bun­desgesetz, mit dem das Arbeitsverfassungsgesetz geändert wird (1140/A und 1497 d.B. sowie 9742/BR d.B.)                    102

Berichterstatterin: Inge Posch-Gruska ....................................................................... 102

9. Punkt: Beschluss des Nationalrates vom 2. März 2017 betreffend ein Bun­desgesetz, mit dem das Betriebliche Mitarbeiter- und Selbständigenvor­sorge­gesetz und das Landarbeitsgesetz geändert werden (2003/A und 1498 d.B. sowie 9743/BR d.B.) ............................................................... 102

Berichterstatterin: Inge Posch-Gruska ....................................................................... 102

Redner/Rednerinnen:

Peter Samt ............................................................................................................... ... 103

Renate Anderl ......................................................................................................... ... 104

David Stögmüller .................................................................................................... ... 106

Anneliese Junker .................................................................................................... ... 107

Josef Saller .............................................................................................................. ... 108

Bundesminister Alois Stöger, diplômé ................................................................ ... 109

Annahme des Antrages der Berichterstatterin zu Punkt 7, gegen den vorlie­genden Beschluss des Nationalrates keinen Einspruch zu erheben ................................................................. 110

Annahme des Antrages der Berichterstatterin zu Punkt 8, gegen den vorlie-genden Beschluss des Nationalrates keinen Einspruch zu erheben ................................................................. 110

Annahme des Antrages der Berichterstatterin zu Punkt 9, gegen den vorlie­genden Beschluss des Nationalrates keinen Einspruch zu erheben ................................................................. 110

10. Punkt: Jahresbericht 2017 des Bundesministers für Arbeit, Soziales und Konsumentenschutz gemäß Artikel 23f Absatz 2 B-VG und §§ 3 und 7 EU-InfoG auf der Grundlage des Legislativ- und Arbeitsprogramms der Europäischen Kom­mission für 2017 und des maltesischen Arbeitsprogramms für das 1. Halbjahr 2017 sowie des Achtzehnmonatsprogramms des niederländischen, slowakischen und maltesischen Ratsvorsitzes (III-608-BR/2017 d.B. sowie 9744/BR d.B.) ................................................................. 110

Berichterstatter: Mario Lindner ................................................................................... 111


BundesratStenographisches Protokoll865. Sitzung / Seite 6

Redner/Rednerinnen:

Ing. Bernhard Rösch .............................................................................................. ... 111

René Pfister ............................................................................................................. ... 113

Marianne Hackl ........................................................................................................ ... 115

David Stögmüller .................................................................................................... ... 116

Bundesminister Alois Stöger, diplômé ................................................................ ... 118

Annahme des Antrages des Berichterstatters, den Bericht III-608-BR/2017 d.B. zur Kenntnis zu nehmen         ............................................................................................................................. 119

11. Punkt: Sozialbericht 2015–2016 (III-613-BR/2017 d.B. sowie 9745/BR d.B.) ...... 119

Berichterstatter: Mario Lindner ................................................................................... 120

Redner/Rednerinnen:

Rosa Ecker .............................................................................................................. ... 120

Inge Posch-Gruska ................................................................................................. ... 122

Gregor Hammerl ..................................................................................................... ... 125

Monika Mühlwerth .................................................................................................. ... 128

David Stögmüller .................................................................................................... ... 129

René Pfister ............................................................................................................. ... 132

Sandra Kern ............................................................................................................ ... 134

Bundesminister Alois Stöger, diplômé ................................................................ ... 136

Annahme des Antrages des Berichterstatters, den Bericht III-613-BR/2017 d.B. zur Kenntnis zu nehmen         ............................................................................................................................. 138

12. Punkt: Antrag der Bundesräte Werner Herbert, Kolleginnen und Kollegen betreffend ein Bundesgesetz, mit dem das Bundesgesetz über die mit gericht­licher Strafe bedrohten Handlungen (Strafgesetzbuch – StGB), BGBl. Nr. 60/1974, geändert wird (202/A-BR/2014 sowie 9746/BR d.B.) ................... 138

Berichterstatter: Werner Herbert ................................................................................ 138

Redner/Rednerinnen:

Werner Herbert ..................................................................................................  139, 141

Mag. Klaus Fürlinger .................................................................................................. 140

Annahme des Antrages des Berichterstatters, dem Antrag 202/A-BR/2014 keine Zustimmung zu erteilen         ............................................................................................................................. 142

13. Punkt: Antrag der Bundesräte Sonja Ledl-Rossmann, Reinhard Todt, Monika Mühlwerth, Mag. Nicole Schreyer, Kolleginnen und Kollegen betreffend eine parlamentarische Enquete des Bundesrates gemäß § 66 GO-BR zum Thema „Die Zukunft der Pflege: Schaffbar, sichtbar, leistbar“ (224/A-BR/2017)                   142

Annahme des Antrages 224/A-BR/2017 ..................................................................... 142

Eingebracht wurden

Antrag der Bundesräte

Sonja Ledl-Rossmann, Reinhard Todt, Monika Mühlwerth, Mag. Nicole Schreyer, Kolleginnen und Kollegen betreffend eine parlamentarische Enquete des Bundesrates gemäß § 66 GO-BR zum Thema „Die Zukunft der Pflege: Schaffbar, sichtbar, leistbar“ (224/A-BR/2017)


BundesratStenographisches Protokoll865. Sitzung / Seite 7

Anfragen der Bundesräte

Dr. Heidelinde Reiter, Kolleginnen und Kollegen an den Bundesminister für Inneres betreffend Grenzkontrollen Walserberg/Salzburg (3216/J-BR/2017)

David Stögmüller, Kolleginnen und Kollegen an den Bundesminister für Verkehr, Innovation und Technologie betreffend Regionalbahnen in Oberösterreich (3217/J-BR/2017)

Werner Herbert, Kolleginnen und Kollegen an den Bundesminister für Finanzen betreffend Pendlerrechner (3218/J-BR/2017)

Gerd Krusche, Kolleginnen und Kollegen an den Bundesminister für Landes­ver­teidigung und Sport betreffend Schließung des Militärrealgymnasiums Wiener Neustadt (3219/J-BR/2017)

Gerd Krusche, Kolleginnen und Kollegen an den Bundesminister für Inneres betreffend Polizeieinsätze wegen der Proteste gegen den Bau des Murkraftwerkes in Graz (3220/J-BR/2017)

Monika Mühlwerth, Kolleginnen und Kollegen an die Bundesministerin für Bildung betreffend möglichen Amtsmissbrauch des Wiener Stadtschulratspräsidenten Michael Häupl und des Wiener Bildungsstadtrates Jürgen Czernohorszky (3221/J-BR/2017)

Arnd Meißl, Kolleginnen und Kollegen an den Bundesminister für Kunst und Kultur, Verfassung und Medien betreffend Förderungen für die Kunsthaus Muerz GmbH (3222/J-BR/2017)

Peter Samt, Kolleginnen und Kollegen an den Bundesminister für Land- und Forstwirtschaft, Umwelt und Wasserwirtschaft betreffend Grüner Bericht des BMLFUW (3223/J-BR/2017)

Anfragebeantwortungen

des Bundesministers für Landesverteidigung und Sport auf die Anfrage der Bundesräte Christoph Längle, Kolleginnen und Kollegen betreffend Fluglotsen sowie Flugbera­tungspersonal – Offene Punkte (2958/AB-BR/2017 zu 3196/J-BR/2016)

des Bundesministers für Finanzen auf die Anfrage der Bundesräte Dr. Magnus Brunner, LL.M, Kolleginnen und Kollegen betreffend Stabilitätsabgabe für österreichi­sche Regionalbanken – Bemessung (2959/AB-BR/2017 zu 3195/J-BR/2016)

des Bundeskanzlers auf die Anfrage der Bundesräte Werner Herbert, Kolleginnen und Kollegen betreffend Beschwerden auf Neufestsetzung des Vorrückungsstichtages (2960/AB-BR/2017 zu 3199/J-BR/2016)

des Bundesministers für Inneres auf die Anfrage der Bundesräte Gerd Krusche, Kolleginnen und Kollegen betreffend Flüchtlingsgroßquartier in der ehemaligen Baumax-Halle in Leoben (2961/AB-BR/2017 zu 3197/J-BR/2016)

der Bundesministerin für Bildung auf die Anfrage der Bundesräte Peter Samt, Kolleginnen und Kollegen betreffend Investitionen in das Bundesschulzentrum Deutsch­landsberg (2962/AB-BR/2017 zu 3200/J-BR/2016)


BundesratStenographisches Protokoll865. Sitzung / Seite 8

des Bundesministers für Inneres auf die Anfrage der Bundesräte Werner Herbert, Kolleginnen und Kollegen betreffend Exekutive – Planstellen und Überstunden 2016 (2963/AB-BR/2017 zu 3198/J-BR/2016)

des Bundesministers für Inneres auf die Anfrage der Bundesräte Werner Herbert, Kolleginnen und Kollegen betreffend im Dienst verletzte Exekutivbeamte im Jahr 2016 (2964/AB-BR/2017 zu 3201/J-BR/2016)

des Bundesministers für Inneres auf die Anfrage der Bundesräte Werner Herbert, Kol­leginnen und Kollegen betreffend Abschiebungen 2016 (2965/AB-BR/2017 zu 3202/J-BR/2016)

 

 

 


 


BundesratStenographisches Protokoll865. Sitzung / Seite 9

09.02.01Beginn der Sitzung: 9.02 Uhr

 


Präsidentin Sonja Ledl-Rossmann|: Ich eröffne die 865. Sitzung des Bundesrates.

Das Amtliche Protokoll der 864. Sitzung des Bundesrates vom 16. Februar 2017 ist aufgelegen, unbeanstandet geblieben und gilt daher als genehmigt.

Als verhindert gemeldet sind die Mitglieder des Bundesrates Adelheid Ebner, Mag. Michael Lindner und Jutta Arztmann.

09.02.39 Trauerkundgebung aus Anlass des Ablebens der Bundesministerin für Gesundheit und Frauen Dr. Sabine Oberhauser, MAS

 


Präsidentin Sonja Ledl-Rossmann: Meine sehr geehrten Damen und Herren! Noch immer stehen wir völlig fassungslos und tief betroffen unter dem Eindruck des allzu frühen Todes von Frau Bundesministerin für Gesundheit und Frauen Dr. Sabine Oberhauser, die am 23. Februar 2017 verstorben ist. Mit Frau Bundesministerin Oberhauser verlieren wir eine leidenschaftliche Politikerin und eine begeisterte Medi­zinerin.

Sabine Oberhauser hat uns mit ihrem herzlichen und positiven Wesen zutiefst beeindruckt. Ein hohes Maß an Empathie und die besondere Gabe, bei allen Gegen­sätzen immer auch einen menschlichen und respektvollen Umgang zu finden, haben den Menschen Sabine Oberhauser ausgezeichnet. In diesem Sinne wird sie weiterhin vielen von uns ein Vorbild bleiben.

Unser Mitgefühl und unsere Anteilnahme gilt in dieser Stunde vor allem ihrer Familie.

Der österreichische Bundesrat dankt, der österreichische Bundesrat gedenkt ihrer. Ich darf Sie ersuchen, sich zum Gedenken an Frau Bundesministerin Dr. Sabine Oberhauser von den Sitzen zu erheben. (Die Anwesenden erheben sich von ihren Sitzplätzen und verharren einige Zeit in stummer Trauer.)

Ich danke Ihnen für das Zeichen der Trauer. (Die Anwesenden nehmen ihre Sitzplätze wieder ein.)

09.05.15Mandatsverzicht

 


Präsidentin Sonja Ledl-Rossmann|: Da Bundesrat Gerhard Dörfler auf sein Mandat verzichtet hat, ist sein Ersatzmitglied Jutta Arztmann ex lege auf das durch das Ausscheiden von Bundesrat Gerhard Dörfler frei gewordene Mandat nachgerückt.

Die schriftliche Mitteilung hat folgenden Wortlaut:


BundesratStenographisches Protokoll865. Sitzung / Seite 10

Schreiben an den Kärntner Landtag betreffend Mandatsverzicht:

*****

Ankündigung einer Erklärung des Landeshauptmannes von Tirol gemäß § 38 Abs. 3 der Geschäftsordnung

 


Präsidentin Sonja Ledl-Rossmann: Ich begrüße den Herrn Landeshauptmann von Tirol Günther Platter sehr herzlich bei uns im Bundesrat. (Allgemeiner Beifall.) Gleich­zeitig gebe ich bekannt, dass er seine Absicht bekundet hat, eine Erklärung gemäß § 38 Abs. 3 der Geschäftsordnung des Bundesrates zum Thema „gemeinsam.entscheiden.“ abzugeben.


BundesratStenographisches Protokoll865. Sitzung / Seite 11

Es liegt mir hiezu ein schriftliches Verlangen im Sinne des § 38 Abs. 4 der Geschäfts­ordnung des Bundesrates vor, im Anschluss an die von Herrn Landeshauptmann Platter abgegebene Erklärung eine Debatte durchzuführen. Da das Verlangen aus­reichend unterstützt ist, werde ich diesem ohne Weiteres stattgeben.

09.05.21Erklärung des Landeshauptmannes von Tirol zum Thema „gemeinsam.entscheiden.“

 


Präsidentin Sonja Ledl-Rossmann: Ich erteile nun Herrn Landeshauptmann Platter zur Abgabe seiner Erklärung das Wort.

 


9.05.33

Landeshauptmann von Tirol Günther Platter: Sehr geehrte Frau Präsidentin des Bundesrates! Geschätzte Damen und Herren! Zunächst einmal herzliche Grüße aus Tirol! (Allgemeiner Beifall.) Ich freue mich sehr, dass ich heute hier sein kann, um einige Überlegungen einzubringen. Es ist ja heute nicht das erste Mal, dass ich im Bundesrat bin. Ich war beinahe sechs Jahre lang Minister und durfte immer wieder hier sein, zu diversen Themen Antworten geben. Vor viereinhalb Jahren war ich als Vor­sitzender der Landeshauptleutekonferenz ebenfalls hier, und jetzt darf ich eine Erklä­rung abgeben.

Ich gebe diese Erklärung ab und darf großen Respekt gegenüber dem Bundesrat zum Ausdruck bringen – Respekt deshalb, weil wir diese Vertretung hier in Wien benötigen. Es braucht Ländervertretungen. Ich bin nicht der Meinung – wie das manche immer wieder debattieren –, dass der Bundesrat abgeschafft gehört, im Gegenteil: Der Bun­desrat gehört aufgewertet, damit auch die Länder entsprechend vertreten sind! (Allge­meiner Beifall.)

Ich kenne ja alle Ebenen: Ich war Bürgermeister, Landesrat, Nationalratsabgeordneter und Minister und jetzt bin ich Landeshauptmann. Ich kenne also alle Ebenen. Ich meine schon, dass es wesentlich ist, zu erkennen, dass diese Ebene, die hier einge­zogen wurde, diese Kammer, für die Länder essenziell ist. Hier können die Debatten so geführt werden, dass die Themen zwischen Nationalrat und Bundesrat auf Augenhöhe behandelt werden. Ich bin der Meinung, dass da noch einiges zu tun ist. Wir haben ja ewige Debatten unterschiedlicher Ausprägung darüber, unabhängig davon, woher man kommt, aber letztendlich ist es entscheidend, dass man ein klares Bekenntnis zum Bundesrat abgibt. (Allgemeiner Beifall.)

Ich möchte der Frau Präsidentin herzlich gratulieren. Es ist schon bald Halbzeit, was diese Präsidentschaft betrifft, so schnell vergeht die Zeit. Es ist aber noch sehr viel zu tun. Ich möchte auch gratulieren, was die Angelobung des Herrn Bundespräsidenten betrifft. Da hat sich der Bundesrat nicht schämen müssen – im Gegenteil! –, und wir in Tirol uns auch nicht. Das hat sie exzellent gemacht. Gratulation dazu! (Allgemeiner Beifall.)

Sehr entscheidend ist aber das Thema, das Sonja Ledl-Rossmann in Angriff nimmt. Es ist ein Thema, das uns ja immer schon beschäftigt hat, nämlich die Pflege. Es findet eine Enquete dazu statt, ich glaube, im April, und ich bin auch der Meinung, dass man sich mit dem Thema Pflege massiv auseinandersetzen muss. Ich meine auch, dass wir einen bestimmten Bedarf an Veränderungen haben. Ich denke etwa daran, dass Familienverbände auseinanderbrechen, dass dadurch Pflege nicht mehr so möglich ist, wie es früher der Fall war. Ich denke auch an die erfreuliche Tatsache, dass die Men­schen immer älter werden. Wir freuen uns darüber! Das hängt auch mit einer guten Gesundheitsversorgung zusammen. Gerade aus diesem Grund werden wir uns aber


BundesratStenographisches Protokoll865. Sitzung / Seite 12

mit dem Thema Pflege und Pflegefinanzierung für die Zukunft massiv auseinander­setzen müssen. Deshalb herzlichen Dank für diese Positionierung!

Meine Damen und Herren! Als Tiroler Landeshauptmann möchte ich mich zuerst mit dem Föderalismus auseinandersetzen. Ich erlebe immer wieder, dass viele meinen, das, was zentral ist, ist gut und billig und effizient, und das, was dezentral ist, ist schlecht und nicht effizient. – So ein Quatsch! (Heiterkeit bei Bundesräten der SPÖ sowie des Bundesrates Mayer.) Deshalb, denke ich, müssen wir die Dinge einmal zurechtrücken.

Wir müssen eines erkennen: In den Gemeinden soll das getan werden, was sie können. Wenn es in der Gemeinde nicht geht, dann kommt die nächste Ebene dran, das sind die Länder. Was die Länder besorgen können, ist in den Ländern zu erledigen. Dann kommt der Bund mit der Aufgabe, die Dinge zu erledigen, zu denen die Länder nicht mehr in der Lage sind, weil es Themen sind, die weit über das Spektrum der Länder hinausgehen. So ist das auch mit der EU zu sehen.

Es gibt in diesem Zusammenhang ein Zitat von Daniel Bell. Er hat einmal gesagt, der Nationalstaat sei zu groß, um kleine Probleme zu bewältigen, und zu klein, um große Probleme zu bewältigen.

Wir müssen uns einmal genauer anschauen, was das heißt: Wenn man meint, dass Ebenen wie die Landtage letztendlich aufgehoben werden sollen, ist das mit Sicherheit die falsche Antwort. Daniel Bell hat das, glaube ich, ganz genau auf den Punkt ge­bracht.

Was die Länder und auch den Föderalismus betrifft, ist Folgendes zu sagen: Uns wird immer wieder die Vorhaltung gemacht, die Länder seien die Reformverweigerer – im Gegenteil! Ich werde kurz auf die Bildungsreform zu sprechen kommen, da sind gerade die Länder jene – auch das Ländle –, die offensiv Veränderungen haben wollen. Ich denke da gerade an die Verwaltungsreformen, die in den Ländern umgesetzt werden, aber auch an den Finanzausgleich. Da haben wir sehr offensiv agiert und mit dem Finanzminister Reformlösungen zustande gebracht, bei denen es in Richtung Aufga­ben­orientierung geht. An diesen Beispielen sieht man, dass die Länder äußerst daran interessiert sind, Reformen gemeinsam mit dem Bund umzusetzen.

Wenn ich mir den Zentralismus anschaue, so beschäftigt mich momentan die Euro­päische Union intensiv. Ich sage Ihnen: Ich bin ein absoluter Befürworter der europä­ischen Integration – Punkt. Ich bin es, ich werde es immer bleiben. Das soll uns aber nicht daran hindern, auf eine Schieflage hinzuweisen, wenn wir eine haben. Es ist einfach so, dass sich die Europäische Union dringend mit den großen Linien auseinan­dersetzen muss und die kleinen Bereiche in den Regionen gestaltet werden müssen. Es kann nicht sein, dass wir von der Europäischen Union von Brüssel aus bis ins Kleinste reglementiert werden, was die Regionen betrifft. Das geht in die falsche Rich­tung.

Jean-Claude Juncker hat jetzt auch schon Überlegungen dahin gehend angestellt. Ich werde ihn Ende März wieder treffen, ich kenne ihn auch von früher. Er sagt: Europa wird sich verändern müssen, auch aufgrund der gesamten Stimmungslage, die wir haben.

Fatal ist die Situation der Flüchtlings- und Migrationswelle. Die Europäische Union hat es nicht geschafft, die EU-Außengrenzen ordentlich abzusichern, damit wir den freien Verkehr in Europa gewährleisten können. Wir haben uns damals gefreut, als die Schengenerweiterung stattgefunden hat. Ich war Innenminister, als wir diese Schen­generweiterung mit der Tschechischen Republik, der Slowakei, Slowenien und Ungarn vorgenommen haben. Das war ein Meilenstein der europäischen Integration. Jetzt


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steht das alles auf dem Spiel, weil die Europäische Union ihren Job nicht macht. Das sind die Themen, bei denen sich die Menschen erwarten, dass das erledigt wird! Sie wollen nicht, dass zugeschaut wird und die Nationalstaaten und damit letztendlich die Länder und die Bürger dann eine massive Belastung haben. Deshalb hat sich die Europäische Union mit den großen Linien auseinanderzusetzen.

Ein Zweites: So leicht haben sie es in der Kommission aber auch nicht. Ich denke da an den Egoismus mancher Mitgliedstaaten, es ist auch ein zunehmender National­ismus festzustellen, eine Mir-san-mir-Mentalität. So wird Europa nicht funktionieren! Viele meinen: Ja, bei den Wohltaten, wenn es ums Geld geht, da sind wir dabei!, aber dann, wenn ein Job erledigt werden muss, ist es mit der Solidarität nicht weit her.

Ich bin der Überzeugung – das sage ich als absoluter Befürworter der Europäischen Union –: Wenn es so weitergeht, wird Europa in fünf Jahren anders ausschauen. Die Debatten gehen schon in diese Richtung. Deshalb, denke ich, muss man sich da massiv einbringen, damit die Regionen eine große Bedeutung haben. Wenn die Nationalstaaten durch ihren Nationalismus und Egoismus schwächeln, sind wir Regionen massiv gefordert, das Europa der Regionen leben zu lassen! (Beifall bei ÖVP, SPÖ und Grünen. – Bravoruf bei der ÖVP.)

Wir sind derzeit dabei, mit allen Alpenregionen – und das sind 48 Alpenregionen –, eine gemeinsame Alpenstrategie zu entwickeln. Lokomotive waren Bayern, Tirol und Südtirol. Die anderen gehören natürlich auch dazu, Salzburg, Vorarlberg, Kärnten, Steiermark und so weiter, aber wir waren ein bisschen mehr die Lokomotive, und ab 1. Jänner 2018 darf ich den Vorsitz in diesem Gremium der 48 Regionen führen. Wir bereiten uns vor und werden ganz genau auf diese Themen schauen: Was macht es letztendlich aus, in den Alpenregionen zu leben? Was ist notwendig, damit wir weiter­hin Luft zum Atmen haben? Was ist notwendig, damit wir keine Landflucht haben?

Was wäre denn unser Land, was wäre die Republik Österreich ohne die Täler und die starken Städte? – Beides brauchen wir: starke Städte, aber auch blühende Täler, Orte und Weiler. Das sind die Themen, mit denen wir uns derzeit auseinandersetzen. Ich werde ab 1. Jänner 2018 den Vorsitz haben, und wir vertreten in diesem Gremium 70 Millionen Menschen. Das hat dann auch ein entsprechendes Gewicht, wenn man bestimmte Anliegen in Brüssel vorträgt.

Ich habe also aufgrund der derzeitigen Lage meine Vorsitzführung unter das Motto „gemeinsam. entscheiden.“ gestellt, denn es geht nur gemeinsam. Egoismus allein wird nicht funktionieren. Wir müssen gemeinsam entscheiden, wir müssen gemeinsam mit dem Bund entscheiden. Allein sind wir zu wenig. Ich will aber, dass das auf Augenhöhe geschieht. Diese Augenhöhe muss garantiert sein, dann werden wir, davon bin ich überzeugt, das eine oder andere umsetzen können.

Somit bin ich schon bei der Bildung. Ich war selbst bei der Bildungsreform dabei. Wir haben im November 2015 die politischen Grundpfeiler der Bildungskommission be­schlossen, einerseits die Autonomie und andererseits die Elementarpädagogik betref­fend, die Behördenorganisation und die gemeinsame Schule. Wir sind jetzt im Finale mit der Bundesministerin. Ich darf auch sagen, dass wir mit ihr eine gute Zusam­men­arbeit haben.

Diese Reform wird in Bälde in Begutachtung gehen, und da geht es um Folgendes: Einerseits geht es um die Schulautonomie. Autonomie in den Schulen bedeutet Föde­ralismus, damit in den Schulen über das Lehrpersonal, über das Budget, über be­stimmte Ausprägungen, über Schwerpunkte entschieden werden kann, auch ange­passt an die Region. So können die Notwendigkeiten betreffend die Schulautonomie umgesetzt werden. Da haben wir eigentlich einen großen Konsens.


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Das Zweite ist die Elementarpädagogik. Ich meine, dass gerade die Elementarpäda­gogik von essenzieller Bedeutung dafür ist, wie der Übergang vom Kindergarten in die Schule ist. Damit die jungen Leute, die Schülerinnen und Schüler, dem Unterricht folgen können, müssen wir auch im Kindergarten auf Pädagogik setzen. Das sind die wichtigsten Jahre des Lebens! In dieser Zeit ist die Lernfähigkeit – das wissen wir alle – unglaublich groß, es ist erstaunlich, was diese Kinder in ein paar Tagen alles lernen können! Gerade darum geht es: dass sie spielerisch-pädagogisch begleitet werden und dass dann der Übergang in die Schule gut funktioniert.

Es gibt natürlich auch Debatten betreffend die Finanzierung, das sage ich auch. Das ist letztendlich noch mit dem Bund zu klären, da sind wir noch nicht am Ende der Debatte, da haben wir noch einiges zu diskutieren und zu klären. Im Grunde genommen sind wir, was die Elementarpädagogik betrifft, aber so weit, dass man sagen kann: Es ist eine ordentliche Maßnahme, und in der Begutachtung wird man ja sehen, was die einzelnen Stellen dazu sagen.

Der nächste Punkt ist die Behördenorganisation. Wir werden anstelle von zwei Be­hörden eine Behörde machen, eine Landesschulbehörde. Da ist diese Aufgliederung zwischen Bund und Ländern vorgenommen worden. Es gibt eine Vereinfachung bei den verschiedenen Schulthemen, damit auch rascher umgesetzt werden kann. Wir brauchen mehr Effizienz, wir brauchen mehr Flexibilität. Was es aber auch braucht, sind rasche Entscheidungen im Bereich der Schule.

Ich möchte hier und heute aber auch den Pädagoginnen und Pädagogen einmal ein herzliches Danke sagen. Ich nehme immer wieder wahr, dass, wenn wir da oder dort ein Problem haben, die Pädagoginnen und Pädagogen zuerst als die Schuldigen gesehen werden. – Das ist ja falsch! Sicher gibt es überall schwarze Schafe, aber einen ganzen Berufsstand, und damit jene, die unsere Schülerinnen und Schüler ausbilden, madig zu machen, ist eine Farce. Deshalb denke ich, dass es wichtig ist, dass wir hinter den Pädagoginnen und Pädagogen stehen. (Beifall bei ÖVP und SPÖ.)

Aber andererseits ist auch zu sagen: Wenn dieses Schulreformpaket umgesetzt wer­den wird, dann muss auch die Finanzlage noch deutlicher geklärt werden. Da gibt es noch eine Unschärfe: Es geht letztendlich halt immer wieder ums Geld. Da benötigen wir noch engagierte Verhandlungen zwischen Bund und Ländern.

Nächstes Thema, das zu behandeln ich mir vorgenommen habe: Sicherheit und Inte­gration. – Ich weiß nicht, wie es Ihnen geht! Wenn man über die objektive Sicherheit diskutiert, dann findet man die Daten und Fakten eigentlich in Ordnung: Es ist eine leichte Steigerung im Bereich der Kriminalität feststellbar, aber die Aufklärungsquote ist auch besser, die Polizei macht also einen guten Job!

Man darf aber das subjektive Sicherheitsempfinden der Bevölkerung nicht unterschät­zen, darauf kommt es nämlich letztendlich an. Wir müssen die subjektive Sicherheit beziehungsweise das Sicherheitsgefühl der Menschen durch verschiedenste Maß­nahmen verbessern. Bundesminister Sobotka bemüht sich wirklich massiv darum, dass wir mehr Polizei zur Verfügung haben, dass mehr Fußpatrouillen vorgenommen wer­den, dass aber auch die Gesellschaft im Hinblick auf sicherheitspolitische Themen miteingebunden wird. Wir brauchen eine Gesellschaft, die hinschaut. Wir brauchen eine Gesellschaft, die auch die Polizei informiert. Wir brauchen die Gesellschaft als Partner im Zusammenhang mit Sicherheit, und deshalb unterstütze ich massiv dieses „Gemeinsam Sicher“, das derzeit im Innenministerium mit allen Bundesländern voran­getrieben wird. Wir brauchen die Zivilgesellschaft auch im Zusammenhang mit der Sicherheit, damit sich das Sicherheitsgefühl ordentlich verbessert.

Wenn man von Sicherheitsgefühl spricht, ist momentan natürlich auch das Thema im Zusammenhang mit dem türkischen Wahlkampf aktuell. – Ich habe dazu eine eindeu-


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tige Meinung: Es kann nicht sein, dass ein polarisierender Wahlkampf der Türkei nach Österreich und Tirol übertragen wird. Das kann es nicht sein! Wir brauchen diese Konflikte nicht. (Allgemeiner Beifall.)

Wir brauchen diese Konflikte nicht. Aber andererseits ist es auch wesentlich, dass man im Gespräch bleibt. Ich habe jetzt für Freitag wieder alle Glaubensgemeinschaften in Tirol eingeladen, wie ich es schon als Innenminister immer wieder getan habe, um über die Sicherheitslage zu diskutieren und sich auszutauschen. Klare Linien, aber ande­rerseits Gesprächsbereitschaft müssen gegenüber den Verantwortlichen aller Glau­bens­gemeinschaften vorhanden sein, damit wir sozialen Frieden im Land gewähr­leisten können, denn der soziale Friede im Land ist eigentlich das Fundament, dass ein Land lebens- und liebenswert bleibt. Für diesen sozialen Frieden haben wir auf alle Fälle zu sorgen!

In Tirol haben wir eine besondere Herausforderung, nämlich die illegale Migration. Das hängt mit der Sicherung der Außengrenzen Europas zusammen, was derzeit nicht der Fall ist. Es gab im letzten Jahr in Italien 183 000 Anlandungen von illegalen Migranten. Es gibt also eine gewaltige Steigerung, und weil sich das Ganze von der Balkanroute Richtung Italien dreht, ist der Druck auf Tirol massiv.

Man muss wissen: In Bayern wird jeden Tag kontrolliert, das wurde auch von der Europäischen Kommission genehmigt. Überall dürfen Kontrollen stattfinden. Ich bin kein Befürworter von Kontrollen, wenn man sie nicht braucht, aber ich stelle fest: Überall können Kontrollen stattfinden – nur am Brenner nicht? Wie will man das der Bevölkerung erklären? Ich bin kürzlich nach Erl gefahren, da muss man über die Grenze nach Bayern fahren, damit man noch im Tiroler Landesgebiet anlanden kann, und in Bayern gibt es massive Kontrollen, und zwar auch am Sonntag in der Früh. – Das der Bevölkerung zu erklären, ist nicht einfach! Deshalb bemühe ich mich darum, dass die Grenze am Brenner und auch in Nauders zwar offen ist, dass aber Italien seinen Job erledigen muss, denn das Durchwinken wird nicht funktionieren.

Illegale Migration hat auch Auswirkungen auf die Sicherheit. Ich muss wissen, wer sich im Land befindet. Ich muss wissen, wer in das Land eintritt. Wir alle wissen, wenn wir auf dem Weg nach Amerika sind, dann ist es selbstverständlich, dass wir genauestens kontrolliert werden. Und genau dasselbe hat bei uns an der Außengrenze stattzu­finden! Wenn das nicht der Fall ist, dann sind wir gezwungen, nationale Maßnahmen zu treffen. Ich als Gesamttiroler, als großer Befürworter eines gesamten Tirols, das Südtirol, Osttirol, Nordtirol und natürlich das Trentino umfasst, befürworte das. Es ist dies eine ganz heikle Diskussion, aber wir sind letztendlich, wenn Italien seinen Job nicht erledigt, gezwungen, nationale Maßnahmen zu setzen. Wir sind derzeit allerdings mit den Behörden und mit den Politikern in Italien in intensiven Gesprächen, damit Italien auch die gesamten Kontrollen vornimmt, damit wir dann nicht ein riesiges Problem bekommen, wenn die Bayern kontrollieren und Italien durchwinkt. Sonst würden wir uns nämlich wundern, wie das Land Tirol innerhalb einiger Monate ausschaut!

Nun zum nächsten Punkt im Zusammenhang mit Sicherheit und Integration, zur Integration: Wir haben vor Jahrzehnten in Österreich massive Fehler gemacht, was die Integration betrifft. Wir mussten uns jetzt das letzte und vorletzte Jahr unglaublich bemühen, die Flüchtlinge unterzubringen. Jetzt ist aber eine wesentlich wichtigere Auf­gabe zu erledigen, nämlich dafür zu sorgen, dass all jene, die einen positiven Asyl­status haben, letztendlich voll integriert werden.

Integration bedeutet einerseits, die deutsche Sprache zu erlernen, die Gesetze einzu­halten und unsere Wertehaltung zu akzeptieren, andererseits müssen wir aber vollste Unterstützung für diese Integration geben, vor allem dafür sorgen, dass die Menschen


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Arbeit haben. Ich meine, dass man einen mutigeren Schritt unternehmen sollte: Wenn absehbar ist, dass jemand ohnehin einen positiven Asylbescheid bekommen wird, aber das Verfahren zu lange dauert, dann sollen wir es ermöglichen, dass diese Menschen etwas früher in den Arbeitsmarkt eintreten können. – Ich glaube, das sollte in Angriff genommen werden. (Beifall bei der ÖVP und bei Bundesräten der SPÖ.)

Letztes Thema: Wirtschaft und Arbeit. – Ich darf von Tirol aus berichten: Wir sind nicht die Schlechtesten im Westen und im Osten auch die Guten, daher werde ich jetzt in diesem Zusammenhang nicht den Spruch äußern, den es immer wieder gibt. Das werde ich nicht tun!

Wir haben einen deutlichen Rückgang im Bereich der Arbeitslosigkeit seit Okto­ber 2015, und das hängt damit zusammen, dass wir eine gute Wirtschaftslage haben. Jetzt soll sich aber nicht sofort die Politik auf die Schultern klopfen, nein, wir haben nämlich eine starke Wirtschaft, insbesondere im Hinblick auf den Tourismus mit 46 beziehungsweise fast 47 Millionen Nächtigungen im Jahr!

Wir haben eine exzellente Industrie, was man immer wieder vergisst. Wir haben Exporte mit einem Volumen von über 11 Milliarden € im Bereich der Industrie. Zudem haben wir viele Klein- und Mittelbetriebe.

Außerdem positionieren wir uns in unserem Land Tirol in der Art und Weise, dass wir Sportgroßveranstaltungen unternehmen. Wir haben heuer die Biathlonweltmeister­schaft, die Bobweltmeisterschaft, die Skeletonweltmeisterschaft und die Rodelwelt­meisterschaft durchgeführt. Wir werden nächstes Jahr die Kletterweltmeisterschaften und die Radweltmeisterschaften und im Jahr 2019 die nordische Weltmeisterschaft in Tirol haben.

In Anbetracht dessen heißt es investieren! – Wir investieren sehr viel in Infrastruktur, und unsere Aufgabe ist es, dass wir massiv die Nachhaltigkeit fördern. Da wir die Radweltmeisterschaft im nächsten Jahr, also im Jahr 2018, veranstalten, werden wir die Radwege dort, wo wir Probleme haben, nachhaltig fit machen, damit sie in Ordnung sind und sowohl die Tirolerinnen und Tiroler als auch die Gäste einen entsprechenden Vorteil haben.

Essenziell ist aus meiner Sicht ein Konjunkturpaket, dass wir die Konjunktur mit finanziellen Möglichkeiten ankurbeln. So haben wir es geschafft, dass wir im Bereich der Beschäftigung eigentlich relativ gut dastehen.

Außerdem haben wir Verwaltungsreformen umgesetzt. Das heißt: Es wurden einige Landesgesetze gestrichen, es gibt 60 000 Bescheide weniger, es gibt einen One-Stop-Shop bei den Verfahren. Wir müssen aber immer noch schneller und effizienter wer­den. Allerdings kommen viele Unternehmen aus Bayern und Südtirol zu uns, und wenn man fragt, warum, dann lautet die Antwort, dass wir schnell und effizient sind.

Damit sind wir aber noch nicht zufrieden! Es muss noch rascher gehen. Rechts­sicher­heit muss bestehen, aber was die Geschwindigkeit bei Behördenverfahren betrifft, müssen wir einfach noch mehr Gas geben. Das ist das Entscheidende.

Zweitens ist entscheidend, dass wir die Wirtschaft in verschiedenen Bereichen entlas­ten. Ich werde ein Entlastungspaket vorbereiten und dieses der Bundesregierung prä­sentieren.

Sie alle werden wissen: Auch die Gastronomie klagt. Es gibt in diesem Bereich riesige Probleme. Der Reihe nach sperren Gasthäuser zu, und ich glaube, das kann es nicht sein! Deshalb bitte ich auch den Bundesrat, massiv dahinter zu sein, dass einige Entlastungsmaßnahmen unternommen werden, was den Tourismus, aber auch die Gasthäuser betrifft. (Beifall bei ÖVP und SPÖ.)


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Allerletzter Punkt: Finanzen. – Das ist ein Thema, das für mich für die Zukunft essenziell ist, wo ich die Meinung vertrete, dass wir eine Finanzpolitik zu betreiben haben, durch welche wir die nächste Generation finanziell nicht belasten. Ich glaube, das ist Einstellungssache. Das heißt allerdings nicht, dass man bei Zukunftsprojekten und wenn es um die Zukunft geht, auch Schulden machen muss.

In diesem Zusammenhang möchte ich Folgendes erwähnen: Es wird auf Bundesebene immer wieder behauptet, daran, dass wir dort eine Budgetmisere haben, seien die Bundesländer oder die Gemeinden schuld. – Falsch! Ich möchte die entsprechenden Zahlen nennen: Der Bund hat 225 Milliarden € – 225 Milliarden €! – Schulden. Die Länder haben insgesamt 27 Milliarden € Schulden. Das heißt also: Die Schulden des Bundes betragen 225 Milliarden, die Schulden der Länder 27 Milliarden. – So nebenbei erwähnt: Tirol hat 274 Millionen € Schulden, somit brauchen wir uns also nicht zu schämen!

Ich glaube, deshalb müssen wir immer wieder den Appell auch an den Bund richten, dafür zu sorgen, dass wir eine solide Finanzlage haben. Worum muss es uns nämlich eigentlich gehen? – Uns allen geht es ja recht gut, aber es geht um die Kinder, um den Nachwuchs, um die nächsten Generationen. Wir müssen den nächsten Generationen alle Möglichkeiten geben, dass sie das Land und die Republik Österreich weiterent­wickeln können.

Wenn die nächsten Generationen einen massiven Schuldenberg abzubauen haben, nehmen wir ihnen die Zukunft. Ich glaube, diese Botschaft ist einfach wichtig. Was macht man denn in der Familie? Wer hat denn in der Familie ein Interesse daran, dass man, damit es den Kindern einmal ein bisschen besser geht – Wünsche sind ja genügend da –, Schulden macht, weil es dann ein bisschen feiner ist, die Kinder dann aber die Schulden abzubauen haben? Dafür bin ich nicht zu haben.

Deshalb dränge ich immer wieder darauf, dass wir ganz genau schauen müssen, was geht und was nicht geht. In der Folge muss man dann auch manchmal Nein sagen, obwohl es sympathischer und populärer ist, wenn man immer Ja sagt. Es ist aber nicht möglich, in der Politik immer Ja zu sagen. Die Landeshauptleute sind bekannt dafür, dass sie nicht um den Brei herumreden, sondern dass sie sagen, was geht und was nicht geht. Deshalb müssen wir gemeinsam entscheiden, und zwar mit Respekt und auf Augenhöhe, damit wir auch für die nächsten Generationen das Land und die Republik so aufstellen, dass sie zukunftsfit sind. – Alles Gute! (Beifall bei ÖVP und SPÖ und bei Bundesräten der Grünen.)

9.33


Präsidentin Sonja Ledl-Rossmann: Ich danke dem Herrn Landeshauptmann für seine Ausführungen.

Es freut mich, dass ich den ehemaligen Präsidenten des Bundesrates, Univer­sitäts­professor Dr. Herbert Schambeck, heute hier begrüßen darf. Das zeigt seine Verbun­denheit nicht nur zum Bundesrat, sondern auch zu Tirol. (Allgemeiner Beifall.)

Wir gehen in die Debatte ein.

Zu Wort gemeldet ist Herr Bundesrat Köll. Ich erteile es ihm.

 


9.34.14

Bundesrat Dr. Andreas Köll (ÖVP, Tirol): Sehr geehrte Frau Präsidentin! Geschätzter Herr Landeshauptmann Günther Platter! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich darf nun zu der Erklärung unseres Landeshauptmannes Stellung beziehen. Was aber soll man replizieren, wenn der Herr Landeshauptmann doch bereits alle Schwerpunkte seines Vorsitzes der Landeshauptleutekonferenz angeführt hat? Er hat unserer Vorsitzenden bereits zu ihrem wirklich tollen Auftritt anlässlich der Angelobung unseres neuen


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Bundespräsidenten gratuliert, und er hat natürlich auch zukünftige Schwerpunkte im Beziehungsgeflecht zwischen Bund, Ländern, Gemeinden und der Europäischen Union skizziert.

So bleibt mir, anlässlich der Übernahme der Präsidentschaft durch Frau Sonja Ledl-Rossmann und des Vorsitzes in der Landeshauptleutekonferenz durch Herrn Landes-hauptmann Platter auch eine kleine Charmeoffensive fortzusetzen, die mit dem Tirol-Abend in der Säulenhalle bereits sehr gelungen begonnen hat.

Eingangs danke ich unserem Landeshauptmann wirklich für sein klares Bekenntnis und seine klaren Worte zu der wichtigen Einrichtung eines Zweikammersystems auch in Österreich und damit zum weiteren Fortbestand des Bundesrates. Lieber Landes-hauptmann, herzlichen Dank dafür! (Beifall bei ÖVP und SPÖ und bei Bundesräten von FPÖ und Grünen.)

Das stellt bei der derzeitigen Struktur und bei den Diskussionen, die sich weltweit abspielen, gar keine so große Selbstverständlichkeit dar. Wir wissen nämlich, dass weltweit nur 18 Staaten oder Staatengemeinschaften eine föderale Struktur aufweisen. Darunter sind natürlich nicht die Kleinsten, etwa die Russische Föderation oder die Vereinigten Staaten von Amerika – dort dürfte es derzeit vielleicht auch etwas wichtiger sein, dass der Föderalismus weiterhin Platz greift und sich behauptet –, aber Öster-reich und Deutschland befinden sich auch unter diesen Staaten. In Europa sind es gar nicht so viele Staaten unter den noch EU-28, die eine föderale Struktur aufweisen.

Umso wichtiger ist es, dass wir uns hier behaupten. Der Herr Landeshauptmann hat zu Recht davon gesprochen, dass es um die Zukunft unserer Kinder und um die Weiter-entwicklung unserer Gemeinwesen geht. Sehr spannend wird die Antwort auf die Frage sein, in welche Richtung sich die Europäische Union entwickeln wird. Bei einem zunehmenden Egoismus der Nationalstaaten – der Landeshauptmann hat es ange­sprochen – erhebt sich die Frage: Geht es in Richtung Staatenbund, geht es in Rich­tung vereinigte Staaten oder geht es in Richtung eines Europa der Regionen? Die entsprechende Beurteilung hat natürlich speziell für Tirol entscheidende Bedeutung.

Ich darf jetzt kurz die geschichtliche Entwicklung Tirols skizzieren: Tirol ist, wie unser früherer legendärer Landeshauptmann Eduard Wallnöfer immer gesagt hat, die älteste Festlanddemokratie Europas. Bereits im Jahre 1511 haben die damaligen Stände mit dem Landlibell durchgesetzt, dass sie keine Angriffskriege mitmachen mussten, und das wurde bis zum Ersten Weltkrieg durchgehalten, in dem Tirol mit den Stand-schützen, die teilweise über 70 Jahre alt waren, und mit unter 17-Jährigen die Außen­gren­zen verteidigen musste. Anhand dieser Entwicklung zeigt sich auch, wie wichtig die Europäische Union als größtes und auch erfolgreichstes Friedensprojekt weltweit ist.

Mein Großvater war auch an der Südtirolfront. Er war Bergführer und Hüttenwirt und er hat mit Innerkofler mitgekämpft. Ich habe dann auf Schloss Bruck in Lienz einmal den damaligen italienischen Staatspräsidenten Francesco Cossiga getroffen, und ich habe versucht, ihm ein kleines Bonmot auf Italienisch näherzubringen. Er war ein gebürtiger Sarde, also durchaus mit einem Grundverständnis für regionale Entwicklungen ausge­stattet. Ein über 90-jähriger Südtiroler Kaiserjäger hat einmal gesagt, dass die Südtirol­frage insgesamt nur eine Frage der Perspektive sei. Er hat in Zeiten nach dem Friedensvertrag von Saint-Germain gesagt: Dass wir einmal ein Trumm vor die Walschen bekemm, hun i allweil gewisst, aber gschwind ganz Italien! – Das zeigt natürlich, dass Tirol heute auf einem sehr guten Weg ist und wie wichtig gerade die Europäische Union für ein friedliches Miteinander ist.

Unser früherer Südtiroler Landeshauptmann Dr. Silvius Magnago war derjenige, der wesentlich dazu beigetragen hat, dass wir in Tirol heute kein Nordirland haben, dass


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man sich damals in Sigmundskron für den friedlichen, für den europäischen Weg entschieden hat. Heute sind aus einstigen Feinden Freunde geworden.

Es gibt die Europaregion Tirol mit den drei offiziellen Landessprachen Deutsch, Italienisch und Ladinisch, aber es geht natürlich in Tirol noch viel weiter.

Allein im Bundesland Tirol gibt es wahrscheinlich über hundert Dialekte, alle zehn Kilometer, in jedem Ort einen anderen Dialekt. Man kann daher nicht von einer einheitlichen Tiroler Nation sprechen. Im Oberland, lieber Fraktionsvorsitzender, gibt es einen alemannischen Einschlag, unser neuer Bundespräsident etwa kann original Kaunertalerisch sprechen, weiter im Unterland geht es eher Südbairisch zu, in Osttirol geht es Südtirolerisch zu, Lienz hat einen Kärntner Einschlag, und da stellt sich schon die Frage: Was ist Tirol? – Es ist unsere gemeinsame Geschichte, unsere gemeinsame Tradition, die Tirol ausmacht.

Wenn man die Europaregion Tirol im Reigen der europäischen Regionen betrachtet, dann sprechen wir von rund einer Million Einwohner: Tirol – das österreichische Bundesland –, Südtirol und die italienische Provinz Trentino. In unserer chinesischen Partnerprovinz, Herr Landeshauptmann, hat allein die Hauptstadt 10 Millionen Ein­wohner; diese Provinz ist mit 100 Millionen Einwohnern zufällig auch die bevölkerungs­reichste.

Tirol erfüllt eine eminent wichtige Rolle in der europäischen Integration und kann als ein Musterbeispiel dafür, wie Europa funktionieren sollte, dargestellt werden. Der Herr Landeshauptmann hat es angesprochen, er hatte schon den Vorsitz in der Euro-paregion Tirol, den Vorsitz in der Arbeitsgemeinschaft Alpenländer und wird auch den Vorsitz bei einer Aktionsgruppe innerhalb von EUSALP übernehmen. In dieser Region leben rund 70 Millionen Einwohner.

Wenn man die Fläche auf österreichische Verhältnisse umrechnen würde, geschätzte Frau Präsidentin der niederösterreichischen Wirtschaftskammer, dann hätten Tirol und Südtirol gemeinsam rund 20 000 Quadratkilometer – in etwa gleich viel wie das flächengrößte Bundesland Niederösterreich. Würde man das Trentino auch noch dazuzählen, dann wären es noch etwas mehr. Aber darum geht es nicht, sondern es geht darum: Wie können wir für unsere Menschen, für unsere Bürgerinnen und Bürger das Beste auch in Zukunft erreichen? – Die föderale Struktur, auch das Subsidiaritäts-prinzip sind das einzig richtige Rezept, um auftretende Probleme lösen zu können. Wir müssen bei den Gemeinden beginnen – unser Landeshauptmann hat es ange-sprochen –, wir müssen über die Regionen gehen, denn wenn Europa Zukunft haben will, dann wird es nur über ein Europa der Regionen gehen.

Was hat Afrika mit Tirol zu tun? – Unser Herr Landeshauptmann hat dieser Republik, wie er bereits selbst ausgeführt hat, nicht nur als Bürgermeister, Nationalrat, Landesrat und Sicherheitsminister in beiden Ressorts, Verteidigung und Inneres – einige Tage sogar gleichzeitig – gedient, sondern er ist ein absoluter Sicherheitsexperte und er war vor Kurzem auch in Afrika. Wie sieht die Entwicklung dort aus? – Derzeit leben dort 1,2 Milliarden Menschen, eine Verdoppelung der Einwohnerzahl wird bis zum Jahr 2050 erfolgen, Hunderte Millionen streben natürlich bessere wirtschaftliche Verhältnisse an, sie möchten auswandern.

Wie können wir diese Probleme lösen? – Nur vor Ort, da bin ich ganz bei unserem Außenminister Sebastian Kurz, der von Günther Platter auf diesem Weg auch bestmöglich unterstützt wird. Wir müssen die Probleme vor Ort lösen, damit sich die Probleme nicht zu uns verlagern, damit wir die Außengrenzen nicht noch massiver schützen müssen, als das derzeit der Fall ist, damit wir innerhalb Europas nicht dort neue Grenzen aufbauen müssen, wo eigentlich keine mehr sein sollten. Wir können nur die Entwicklungszusammenarbeit, die Entwicklungshilfe vor Ort verbessern, den


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Menschen dort ausreichende Lebensbedingungen bieten, damit es nicht zu einer Mas­senemigration kommt.

Das wird eine der größten Herausforderungen der Zukunft sein. Die Europäische Union muss sich um die großen Dinge kümmern, nicht um die Krümmung der Bananen oder den sprichwörtlichen Traktorsitz, sie muss sich um Sicherheit, Soziales und Wirtschaft kümmern, dann wird Europa eine gute Zukunft haben.

In diesem Zusammenhang glaube ich, dass unser Herr Landeshauptmann als derzei­tiger Vorsitzender der Landeshauptleutekonferenz in den von ihm angesprochenen Vorhaben entsprechende Schwerpunkte setzen wird, und ich glaube, dass vor allem auch der Bundesrat und somit die föderale Struktur bei ihm in den besten Händen ist. – Danke für die Aufmerksamkeit. (Beifall bei ÖVP und SPÖ sowie der Bundesrätin Schreyer.)

9.44


Präsidentin Sonja Ledl-Rossmann: Als Nächster zu Wort gemeldet ist Herr Bun­desrat Bock. Ich erteile es ihm.

 


9.44.45

Bundesrat Ing. Hans-Peter Bock (SPÖ, Tirol): Geschätzte Frau Präsidentin! Sehr geehrter Herr Landeshauptmann! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Wenn der Landes­hauptmann von Tirol dem Bundesrat seine Botschaften näherbringt, den Bundesrat informiert, reden natürlich auch Tiroler zu diesem Thema; ich freue mich, dass wir heute ein bisschen ausführlicher über Tirol sprechen können. Ich glaube, dass Tirol allein zu klein ist für die Entwicklung in den nächsten Jahrzehnten. Wir wissen, dass sich die Herausforderungen weltweit verändert haben und dass wir das nicht alles allein in Tirol regeln können, sondern dass so manches auch in Europa oder auch außerhalb Europas geregelt werden muss.

Ich denke jetzt an die Entwicklungen in den letzten Jahren. Die Informations­bereit-schaft und die Möglichkeiten zur Information sind weltweit gestiegen. Selbst im tiefsten Afrika gibt es Mobilfunk, gibt es Telefon und Fernsehen, und die Menschen in diesen Regionen wissen, dass das Leben in anderen Ländern sehr gut funktioniert, dass es den Menschen gut geht, dass sie Wasser, dass sie zu essen haben und dass sie eine lebenswerte Umwelt vorfinden, was natürlich jedem, auch jedem im tiefsten Afrika und in Indien, zugestanden und möglich gemacht werden soll.

Zurück zu Europa. – Ich freue mich, dass Landeshauptmann Platter – ich weiß es – auch ein glühender Europäer ist. Gerade für Tirol wäre ohne Europa die wirtschaftliche Entwicklung natürlich eine ganz andere. Er hat schon erwähnt: Wir exportieren Waren im Wert von über 12 Milliarden €, haben das Glück, dass wir wirtschaftlich gut auf­gestellt sind, dass wir große Leitbetriebe haben. Ich denke, Swarovski, Novartis und andere Unternehmen haben sich gut etabliert und sind auch nicht im städtischen, sondern eher im ländlichen Bereich tätig. Wir haben eine gut durchgemischte Industrie.

Den Tourismus mit fast 50 Millionen Nächtigungen hat der Herr Landeshauptmann auch schon erwähnt – natürlich auch ein sehr gewinnbringender Bereich, den wir in Tirol schätzen. Das bringt natürlich auch Nachteile mit sich. Im Tourismus und im Fremdenverkehr gibt es, wie wir wissen, keine Ganzjahresarbeitsplätze – in den letzten Jahren ist es zwar immer etwas besser geworden, weil die Ganzjahresangebote gestiegen sind –, was auch eine relativ hohe, vor allem saisonbedingte Arbeitslosigkeit und eine etwas monolithische Arbeitswelt mit sich bringt, wenn viele vor allem in der Gastronomie tätig sind.

Zum Föderalismus: Der Herr Landeshauptmann bekennt sich zum Föderalismus. Wie wir wissen, ist er ja auch selbst Bürgermeister gewesen und weiß Bescheid: Welche Auf-


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gaben können die Gemeinden erledigen? Wozu sind sie bereit? Welche Unterstützung brauchen sie dazu vom Land, vom Bund, aber auch von anderen Einrichtungen?

In Bezug auf die Kinderbetreuung muss ich feststellen, dass es in Tirol vor allem für die Ein- und Zweijährigen noch Verbesserungen wird geben müssen. Die Gelder, die vom Bund bereitgestellt werden, werden noch immer nicht abgeholt, und das ist schade, weil es die Angebote gibt. Die Tendenz ist allerdings steigend. Es hat sich in den letzten Jahren doch einiges bewegt, und wir sind auch im Bereich der Kinderbetreuung gut aufgestellt.

Zum Thema Bildung hat der Herr Landeshauptmann angesprochen, dass die Ein­richtung einer Ganztagsschule gerade in Regionen, in denen es viel Tourismus gibt, unbedingt notwendig ist. Wir bekennen uns zu diesen Einrichtungen, dazu, dass es ganztägige Betreuung braucht, dass es die Ganztagsschule braucht. Diesbezüglich sind wir mit unserer Bundesministerin jetzt auf einem sehr guten Weg, es wird aber auch notwendig sein, dass die Länder diesen Bereich dann übernehmen und auch mittragen. (Beifall bei der SPÖ und bei Bundesräten der ÖVP.)

Es ist sehr viel Geld dafür vorgesehen, dass diese Einrichtungen in den nächsten Jahren geschaffen werden können. Ich denke manchmal noch an den Streit darüber, wer für die Bildung zuständig sein soll, ob Bund, Länder oder Gemeinden, und ich denke, es wäre, was unsere Verfassung betrifft, noch einiges möglich; sie wurde ja seit 1920 kaum verändert.

Es wäre sicher notwendig, dass wir die Kompetenzen in den Bereichen Kinder­betreuung und Schule neu überlegen – ohne dass jemand Angst haben muss, dass er Macht verliert. Das wird ja den Landeshauptleuten immer unterstellt: dass sie Angst vor Machtverlust haben, Angst davor, dass sie nicht mehr so viel mitreden können. Also daran sollte es nicht scheitern, dass wir mehr Kompetenz an die Basis bringen, dass wir gewisse Dinge verlagern und eindeutig festlegen.

Es ist auch notwendig, dass die Kompetenzen neu aufgeteilt werden, und zwar gerade im Bildungs-, aber auch im Kinderbetreuungsbereich. Ich würde mir wünschen, dass du, Herr Landeshauptmann, in deiner Funktionsperiode vielleicht den einen oder ande­ren Punkt erledigen kannst: dass es zum Beispiel ganz klar ist, dass die Kinder­betreuungseinrichtungen von den Gemeinden organisiert werden können – die Gemeinden sind sehr gut dazu geeignet, sie brauchen aber natürlich auch das notwendige Geld dafür –, dass die Frage der Bildungseinrichtungen, was das Bildungs­programm anlangt, vielleicht zentral gelöst wird. Man könnte die Aufteilung ernst nehmen und entsprechend umsetzen.

Das wäre die große Chance, Geld freizuspielen für andere Bedrohungen, die zum Teil von außen kommen oder auch durch Veränderungen in der Gesellschaft, wofür wir Geld und auch Ressourcen brauchen.

Lieber Landeshauptmann! Ich wünsche mir, dass auch im Bereich des Wohnens und der Wohnkosten noch das eine oder andere weitergeht. Wir wissen, dass die Wohn­kosten in Tirol sehr hoch sind, dass die Lebenshaltungskosten sehr hoch sind, dass in Verbindung mit dem Tourismus das Einkommen aufgrund der saisonalen Arbeitslosig­keit relativ niedrig ist, die Lebenshaltungskosten allerdings eben gerade durch den Tourismus relativ hoch sind, und ich wünsche mir, dass wir auf diese Spannung noch näher werden eingehen können.

Ich wünsche mir auch – du bist da ja schon einen guten Weg gegangen –, dass nicht alles zentralisiert ist. Du schimpfst manchmal auch auf Wien beziehungsweise wehrst dich gegen Wien, aber es gibt natürlich auch in Tirol innerhalb des zentralen Raumes


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die Problematik, dass sich dort sehr viel abspielt, dass also die großen Einrichtungen alle in Innsbruck sind und nur einzelne Bereiche in den ländlichen Raum übersiedeln.

Beispielhaft etwa ist, dass in Lienz und in Landeck Universitätseinrichtungen ge­schaf­fen wurden. Diesen Weg sollte man konsequent weiterverfolgen, dass sich gerade im ländlichen Raum mehr entwickeln kann.

Was den ländlichen Raum anlangt: Wir wissen, dass die Städte in den letzten Jahren immer gewachsen sind, und das international, dass Wiens Bevölkerungszahl jedes Jahr in der Größenordnung der Einwohnerzahl unseres Bezirkes ansteigt. Wien möchte ich übrigens ganz herzlich gratulieren, es ist zum achten Mal zur lebens­wertesten Stadt der ganzen Welt gewählt worden. (Beifall bei SPÖ, ÖVP und Grünen sowie des Bundesrates Zelina.) Wien liegt vor Zürich, ich denke, das ist in Ordnung.

Auch in Tirol ist es so, dass die Bevölkerungszahl in und rund um die Stadt Innsbruck wesentlich stärker ansteigt als in den Randbereichen; das ist aber auch kein Tiroler Problem, sondern ein weltweites, das wir gemeinsam zu lösen haben.

Zur Pflege noch einen letzten Satz: Ich bin froh, dass dieser Bereich jetzt von unserer Präsidentin wahrgenommen wird und dass wir uns in den nächsten Jahren verstärkt diesem Thema widmen wollen, aber auch müssen. Da wir in einem Land leben, in dem die Menschen aufgrund des guten Bildungs-, aber auch des guten Gesundheits­sys­tems älter werden, müssen wir älteren Menschen die Angst vor dem Altwerden neh­men.

Ich wünsche uns allen einen gemeinsamen guten Weg und darf mich ganz herzlich bedanken. (Beifall bei SPÖ, ÖVP und Grünen sowie der Bundesräte Schererbauer und Zelina.)

9.54


Präsidentin Sonja Ledl-Rossmann: Als Nächster zu Wort gemeldet ist Herr Bundes­rat Krusche. Ich erteile es ihm.

 


9.54.12

Bundesrat Gerd Krusche (FPÖ, Steiermark): Frau Präsident! Herr Landeshaupt­mann! Ich bin in diesem Reigen der Redner der einzige Nichttiroler – das ist darin begründet, dass wir erst in circa einem Jahr einen freiheitlichen Bundesrat aus Tirol bekommen werden (Beifall bei der FPÖ – Heiterkeit bei ÖVP und SPÖ) –, als autochthoner Tiroler nehme ich mir aber das Recht heraus, zu Ihren Ausführungen, Herr Landeshauptmann, Stellung zu beziehen.

„gemeinsam. entscheiden.“ ist das Motto während Ihres Vorsitzes in der Landes­haupt­leutekonferenz und in der Debatte heute hier im Bundesrat. Das Gemeinsame zu betonen, scheint den Landeshauptleuten besonders wichtig zu sein, denn die Steirer davor hatten das Motto „Gemeinsam neue Wege gehen“. Es scheint wohl als not­wendig erachtet zu werden, dass man das Gemeinsame besonders betont. Für mich ist dieses Motto fast nicht oder eigentlich überhaupt nicht Ziel oder gar eine Vision, sondern bestenfalls eine Art Handlungsanweisung, denn was wäre die Alternative dazu? Allein entscheiden? Gar nichts entscheiden? – Ich glaube, das würde sicherlich nicht gut ankommen. So gesehen ist dieses Motto nun leider etwas hohl und platt, eine Plattitüde, aber ich werde in diesem Zusammenhang auf weitere Wortspiele verzichten.

Ich darf kurz darauf eingehen, was Sie hier als Eckpunkte in Ihrer Schwerpunktsetzung genannt haben. Einiges findet durchaus unsere Zustimmung, aber natürlich nicht alles unsere ungeteilte Zustimmung. Ganz besonders freuen wir uns natürlich hier im Bundesrat – ich glaube, das ist fraktionsübergreifend –, wenn Sie dem Bundesrat Respekt zollen, seine Aufwertung fordern und sagen, dass er unbedingt wichtig ist. Sie werden hier keinen finden, der Ihnen diesbezüglich widerspricht.


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Das im Föderalismus angesprochene Subsidiaritätsprinzip ist ein ganz wesentliches Element, das wir natürlich auch auf EU-Ebene immer betonen und das bei uns im EU-Ausschuss ja auch regelmäßig gelebt wird.

Sie haben gesagt, es sei falsch, die Landtage aufheben zu wollen, und ich hoffe, dass Sie sich in dieser Frage auch gegenüber unserem Landeshauptmann-Stellvertreter Schickhofer durchsetzen werden.

Im Zusammenhang mit der EU haben Sie die europäische Integration mit dem Hinweis auf die Kritik der Handhabung der Flüchtlingskrise genannt und die Mir-san-mir-Mentalität in der EU kritisiert. Das ist eigentlich eine Mentalität, die man besonders den Tirolern nachsagt, aber darauf werde ich vielleicht später noch kurz zu sprechen kommen.

Durchaus richtig finde ich die Schwerpunktsetzung in einem Europa der Regionen, denn wir in den Alpen haben länderübergreifend natürlich zahlreiche gemeinsame Probleme, die es gilt, gemeinsam zu lösen. Es freut mich, wenn Tirol eine führende Rolle in dieser regionalen Zusammenarbeit einnehmen kann.

Nicht ganz übereinstimmen können wir mit Ihren Aussagen betreffend die Bildung, aber ich will jetzt keine Bildungsdebatte führen.

Sie haben auch anklingen lassen: Das Gemeinsame hört meistens dann auf oder stößt an seine Grenzen, wenn es ums liebe Geld geht. Ich habe vor drei Tagen eine Presseaussendung von Ihnen gelesen – da geht es auch um das Thema Finanzen –, worin Sie die Einigung in der Patientenversorgung für die Tiroler Patienten kundgetan haben. Sie haben wörtlich gesagt: „Die Verantwortung für die Finanzierung der Medizin-Uni Innsbruck trägt eindeutig der Bund, der bislang jedoch in dieser essenziellen Frage keine Lösung zustande gebracht hat“. – Daran erkennt man ganz klar, wo die Grenzen des Gemeinsamen sind.

Dass die Sicherheitsfrage eine für uns besonders wichtige ist, brauchen wir nicht extra zu betonen.

Sie haben gemeint, man müsse das Sicherheitsgefühl der Menschen erhöhen. – Es geht aber nicht nur um das Gefühl, denn das ist etwas Subjektives, sondern es geht durchaus auch um etwas Objektives. Man braucht sich nur die jüngsten Kriminal­statistiken anzuschauen, dann weiß man, dass es hier nicht nur eine gefühlte Un­sicher­heit gibt, sondern auch eine in Zahlen, Daten und Fakten feststellbare.

Dass in diesem Zusammenhang natürlich die illegale Immigration zu bekämpfen ist, haben Sie auch klar betont. Sie haben die sensible Brennergrenze angesprochen, wo besondere politische Rahmenbedingungen, historische Rahmenbedingungen gegeben sind, die das sehr heikel machen. Ich habe ja schon spaßhafte Vorschläge gehört wie: Die Schützen sollten vielleicht die Kontrolle bei der Salurner Klause übernehmen, aber das ist natürlich nicht ganz ernst zu nehmen.

Beim Integrationsthema haben Sie die Arbeitsmöglichkeit für jene Menschen ange­sprochen, die absehbar Asylstatus erhalten könnten. Da sind wir überhaupt nicht bei Ihnen, denn dafür, dass Anwälte, die von diversen NGOs und Flüchtlings­organisatio­nen bezahlt werden, die Verfahren ewig verschleppen, dann eine Belohnung zu geben, halte ich für völlig verfehlt. Außerdem möchte ich im Zusammenhang mit diesem Asylstatus immer darauf verweisen: Asyl heißt Schutz auf Zeit in einem Land und nicht auf Ewigkeit! (Beifall bei der FPÖ.)

Der letzte große Punkt, den Sie angesprochen haben, hat die Wirtschaft betroffen. Sie haben den Tourismus erwähnt, wobei Sie die Schattenseiten natürlich verschwiegen haben. Es ist nicht nur die Saisonarbeit, sondern auch der Umstand, wie jetzt zu lesen


BundesratStenographisches Protokoll865. Sitzung / Seite 24

war, dass Sölden alpenweit jenes Skigebiet ist, das den größten ökologischen Fuß­abdruck hinterlässt, aber darauf wird sicherlich Frau Kollegin Schreyer noch näher eingehen.

Schnelle Verfahren sind gut in der Verwaltung, das haben Sie richtigerweise gesagt, nur muss es auch Entscheidungen geben. Es gibt nämlich leider die Situation, dass Projekte dann überhaupt nicht umgesetzt werden. Ich darf hier nur an die Verkehrs­infrastruktur erinnern: Der Tschirganttunnel wurde aufgrund genau solcher Egoismen von einer Minderheit abgedreht und wird nicht kommen. Auch bei der ewigen Prob­lematik des Fernpasses kommt es zu keiner Lösung, hier ist nichts in Sicht, denn dieser Scheiteltunnel, der jetzt kommen soll, wird nur eine weitere Sektion mit Block­abfertigung zur Folge haben.

Wir müssen zur Kenntnis nehmen, dass die Deutschen ihre Autobahn bis an die Grenze gebaut haben. Das Gescheiteste wäre ein Basistunnel bis Telfs, bis zur Inntal Autobahn. Das ist keine Spinnerei von mir, das haben auch Verantwortliche der ASFINAG schon angedacht, denn das, was durch diese ewigen Staus dort an Umweltschäden angerichtet wird, würde ein Tunnel nie anrichten.

Lassen Sie mich vielleicht zum Thema des Gemeinsamen und der Tiroler Egoismen mit einer Anekdote schließen: Es gibt ja alle möglichen Texte wie „Tirol isch lei oans“ und „Bisch a Tiroler, bisch a Mensch, bisch koa Tiroler, bisch ...“ – das endet dann eher vulgär. Ich bin aber einmal Zeuge eines Gespräches älterer sogenannter Berg­fexen gewesen, die sich über die Qualität einzelner Berghütten unterhalten haben. Einer der Gesprächsteilnehmer hat sich über irgendeine bestimmte Hütte beklagt und gesagt: Da sind die Leute eigentlich unfreundlich, worauf der andere Gesprächs­teilnehmer dann sehr trocken bemerkt hat: I brauch koane freindlichen Leit! – Der Tiroler ist sich sehr häufig selbst genug, und deswegen ist die Betonung des Gemein­samen eine besondere Herausforderung. – Danke. (Beifall bei der FPÖ. – Heiterkeit bei ÖVP und Grünen.)

10.05

 


Präsidentin Sonja Ledl-Rossmann: Als Nächste zu Wort gemeldet ist Frau Bun­des­rätin Schreyer. Ich erteile es ihr.

 


10.05.05

Bundesrätin Mag. Nicole Schreyer (Grüne, Tirol): Hohes Haus! Sehr geehrter Herr Landeshauptmann! Eingangs möchte ich nur ganz kurz sagen: Tirol legt schon großen Wert auf freundliche Leut’! Ich weiß nicht, wen Sie da kennengelernt haben, sehr geehrter Herr Kollege, aber bei uns ist es ziemlich nett und freundlich. Kommen Sie einfach einmal und schauen Sie es sich wirklich an! (Beifall bei Grünen, ÖVP und SPÖ.)

Ich freue mich sehr, dass Sie heute hier eine Stellungnahme aus Tirol für Tirol abge­geben haben – erstmals seit ich im Bundesrat bin, denn damals, als ich gekommen bin, war der letzte Tiroler Vorsitz im Bundesrat und in der Landeshauptleutekonferenz gerade vorüber. Ich bin jetzt die fünfte Tirolerin, die innerhalb einer Stunde redet, daran könnte ich mich direkt gewöhnen, das könnten wir im Bundesrat öfter machen.

„gemeinsam. entscheiden“ passt gerade sehr gut in die derzeitige Entwicklung – Sie haben es vorhin angesprochen, es ist auch schon mehrmals erwähnt worden –, in eine Zeit, in der Nationalismus und Abschottung wieder groß in Mode sind, in der Länder Mauern und Zäune bauen und stattdessen Brücken der Zusammenarbeit und des Vertrauens, die über Jahrzehnte aufgebaut worden sind, mühsam aufgebaut worden sind, wieder niederreißen. Ich weiß, dass das jetzt ein bisschen dramatisch formuliert ist, aber die Entwicklungen sind halt einfach auch sehr dramatisch in letzter Zeit. Gott


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sei Dank, muss ich sagen, hat die Wahl in den Niederlanden gestern die Tendenz jetzt wieder ein bisschen abgeschwächt. Der Schwenk Richtung Mitte in den Niederlanden ist deutlicher gewesen, als es alle erwartet haben, es ist Links gestärkt worden, was mich natürlich ganz besonders freut: Gratulation!

Gerade ein kleines Land wie Österreich braucht inneren Zusammenhalt, braucht eine gemeinsame Entwicklung, um stark zu sein – stark nach außen, um in der EU und in der gesamten Welt als starker Partner für verlässliche Zusammenarbeit gesehen zu werden, aber stark vor allem auch nach innen, um den Leuten in Österreich die Gewiss­heit geben zu können, in einem sicheren Land zu leben, in einem stabilen Land zu leben, und zwar sicher in vieler verschiedener Hinsicht: sozial sicher, wirtschaftlich sicher und auch noch in der Zukunft sicher, und zwar durch eine vorausschauende, nachhaltige Politik, die sich das Wohl aller ÖsterreicherInnen auch in Zukunft zur Maxime nimmt.

„gemeinsam. entscheiden“ ist gerade in einem föderalistischen Land wie Österreich wichtig. Gerade wir in der Länderkammer beschäftigen uns ja sehr, sehr oft mit Subsi­diarität und Föderalismus, und Föderalismus ist ja auch sehr gut, um nahe bei den Menschen zu sein, um auf die geographischen Gegebenheiten und auf die regionalen Unterschiede mehr eingehen zu können und so auch die bestmöglichen Lösungen für die Regionen in den Ländern zu finden.

Eine Bergregion wie Tirol hat halt ganz andere Bedürfnisse und Herausforderungen als das Burgenland, vor allem zum Beispiel in Bereichen wie Naturschutz oder in der Raumordnung. Auch bei der Verkehrsplanung – als Grüne rede ich da naturgemäß vor allem vom öffentlichen Verkehr – finde ich es sehr gut, wenn sie regional gemacht wird, um wirklich den Bedarf zu erkennen, zu erfassen und sie dann so individuell wie möglich den Bedürfnissen der Menschen in den Regionen anzupassen. Nur so kann auch der Umstieg – noch einmal kurz ein Schwenk zur Umwelt – vom Individualverkehr zum öffentlichen Verkehr gelingen, wenn nicht allgemeine Gesamtkonzepte über grundverschiedene Bedürfnisse und Ansprüche gelegt werden, sondern maßge­schneidert an die jeweils gegebenen angelegt werden.

„gemeinsam. entscheiden“ soll man dann aber dort, wo Österreich eine gemeinsame Linie braucht, wo es eine gemeinsame Vorgehensweise braucht, um nicht einzelne Länder und Regionen gegeneinander auszuspielen, gerade in einem so kleinen Staat wie Österreich. Da müssen wir darauf schauen, dass zusammengehalten wird, dass man sich zusammensetzt und dass gemeinsam an einer guten Lösung für Österreich gearbeitet wird. (Bundesminister Leichtfried betritt den Saal.) – Grüß Gott! (Allge­meine Heiterkeit und allgemeiner Beifall.) – Da ist kein Platz für Kirchturmdenken und da ist kein Platz für das Florianiprinzip.

Der Herr Landeshauptmann hat es vorhin schon so schön gesagt: Zusammenarbeit und „gemeinsam. entscheiden“ ist genau das Motto, das Sie sich gesetzt haben. Gerade in sozialen Fragen müssen in Österreich, einem der reichsten Länder der Erde, unsere guten Standards gehalten werden, sie dürfen nicht auseinanderdividiert und nicht ausgehöhlt werden.

„gemeinsam. entscheiden“ – es haben vor mir ja nur Männer geredet – heißt für mich aber auch, dass bei den EntscheidungsträgerInnen die österreichische Bevölkerung repräsentativ abgebildet ist. Diese 51 Prozent der österreichischen Bevölkerung sind aber in einem viel geringeren Ausmaß als zu 51 Prozent an Entscheidungen beteiligt. Frauen sind in allen politischen Gremien in Österreich unterrepräsentiert, in allen Landtagen, im Parlament, im Nationalrat sowie im Bundesrat. Nur siebeneinhalb Pro­zent der BürgermeisterInnen in ganz Österreich sind weiblich. Es hat da letztes Jahr eine lustige Studie gegeben, wonach es in Österreich mehr Männer gibt, die Bürger-


BundesratStenographisches Protokoll865. Sitzung / Seite 26

meister sind und Josef heißen, als es weibliche Bürgermeisterinnen gibt. (Heiterkeit und Beifall bei den Grünen sowie Heiterkeit bei Bundesräten der ÖVP. – Bundesrat Mayer: Heiliger Josef!)

Wir haben in Österreich nur eine einzige Landesregierung, die paritätisch besetzt ist, nämlich jene von Tirol – obwohl ich da schon kurz erwähnen muss, dass die Grünen 100 Prozent Frauen in die Landesregierung gewählt haben, was schon maßgeblich zur Parität beigetragen hat. (Neuerliche Heiterkeit bei Bundesräten der ÖVP.) Ich habe mir auch sagen lassen, dass das Arbeitsklima in 50/50-Zusammensetzungen ein sehr gutes ist. Ich hoffe, Sie können mir das bestätigen.

Es macht einen riesengroßen Unterschied, wenn Frauen in Entscheidungspositionen sitzen. Sie haben einfach eine andere Sichtweise, eine andere Herangehensweise an Herausforderungen und setzen Prioritäten anders. Gender Budgeting ist da nur ein Schlagwort aus dieser riesigen Materie: Wofür wird Geld ausgegeben? Wo ist es mir wichtig, dass Geld hinfließt? – In Tirol wird zum Beispiel gerade ein Schwerpunkt auf den Ausbau von Kinderbetreuungseinrichtungen gelegt, um vor allem Frauen im länd­lichen Raum die Möglichkeit zu geben, Familie und Beruf zu vereinbaren, ohne ständig am Limit sein zu müssen, ohne ständig herumjonglieren zu müssen.

Den öffentlichen Verkehr habe ich vorhin schon angesprochen. Gerade Frauen am Land nutzen den öffentlichen Verkehr mehr, weshalb ein verstärktes Augenmerk darauf gelegt werden muss. Es braucht eine gute Vertaktung, sodass die öffentlichen Verkehrsmittel auch wirklich gut genutzt werden können.

Im Sozialbereich ist es erst recht wichtig, dass Frauen mitentscheiden, denn da trifft es Frauen am öftesten. Es müssen Rahmenbedingungen geschaffen werden – wir sagen das immer wieder, wir pushen das Thema immer wieder –, die dafür sorgen, dass Frauen nicht weiterhin wie selbstverständlich den Großteil der unbezahlten Arbeit machen, von der Kinderbetreuung über den Haushalt bis hin zur Pflege, und dann zum Dank zu wenig soziale Absicherung und Altersarmut dafür bekommen.

Da schließt sich dann auch wieder ein bisschen der Kreis. Frauen sind nämlich vor allem in ehrenamtlichen Entscheidungsgremien unterbesetzt. Es gibt gar nicht so wenige Gemeinden, in denen im Gemeinderat keine einzige Frau sitzt. Jetzt stellen Sie sich das einmal umgedreht vor, was das für einen Aufschrei gäbe, wenn es irgendwo einen rein weiblich zusammengesetzten Gemeinderat gäbe. Das würde so auffallen und in die andere Richtung ... (Bundesrat Mayer: Das kommt schon noch! In Tirol kommen nur ...!) – Ja, hoffentlich!

Ein ganz ausschlaggebender Grund dafür ist eben genau der Umstand, dass Frauen den Großteil der unbezahlten Arbeit jetzt schon leisten und nicht nebenher noch zeitraubende ehrenamtliche Tätigkeiten machen können wie beispielsweise die Aus­übung eines Gemeinderatsmandats, wo es so ist, dass die Sitzungen meistens am Abend stattfinden, wodurch dann wieder die Kinderbetreuung und so weiter ein Riesenproblem darstellt. Aber genau in diesen Gremien werden dann die Entschei­dungen getroffen, die Frauen und ihre Bedürfnisse zu wenig berücksichtigen. Dadurch wird wieder die Teilhabe von Frauen am Entscheidungsprozess erschwert, und das dreht sich dann immer wieder im Kreis: Es wird weiter für Frauen entschieden, anstatt gemeinsam mit den Frauen zu entscheiden.

Es gibt ein mittlerweile recht bekanntes Zitat unseres ehemaligen Kollegen Dörfler – als ich die Rede geschrieben habe, war sein Rücktritt noch nicht bekanntgegeben –, der einmal gesagt hat, ich darf kurz zitieren: „Frauen sind zu schade für die Politik. Sie sind viel sensibler als Männer, zu sensibel.“ Was im Wahlkampf auszuhalten ist, möchte er „keiner Frau zumuten“. (Bundesrat Längle: Das ist schon sehr unfair, das jetzt zu sagen, wo er nicht mehr da ist!)


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Dieser Meinung bin ich natürlich nicht, sondern es braucht noch viel mehr Frauen in der Politik (Beifall bei den Grünen und bei Bundesräten von ÖVP und SPÖ): 51 Pro­zent, um genau zu sein, um dann auch wirklich gemeinsam zu entscheiden. – Danke schön. (Beifall bei den Grünen und bei Bundesräten von ÖVP und SPÖ.)

10.14


Präsidentin Sonja Ledl-Rossmann: Obwohl Kollegin Nicole Schreyer ihn schon so freundlich begrüßt hat, darf ich jetzt auch noch offiziell unseren Bundesminister Jörg Leichtfried in unserer Mitte willkommen heißen. (Allgemeiner Beifall.)

Ebenfalls ist es mir eine besondere Freude, die Gäste aus der Volksrepublik China, die im Rahmen einer Vorausdelegation anlässlich des geplanten Besuches einer Dele­gation unter der Leitung des Vorsitzenden der Politischen Konsultativkonferenz des chinesischen Volkes Yu Zhengsheng zu uns gekommen sind, im österreichischen Bundesrat willkommen zu heißen. (Allgemeiner Beifall.)

Zu Wort gemeldet ist jetzt noch einmal unser Herr Landeshauptmann. – Bitte.

 


10.15.09

Landeshauptmann von Tirol Günther Platter: Geschätzte Frau Präsidentin! Herr Bundesminister! Nĭ hăo! Ich darf Sie auch sehr herzlich begrüßen. (Allgemeine Heiterkeit.)

Im Übrigen: Ich war Bürgermeister, heiße aber nicht Josef, sondern Günther – Günther Karl Maria; 1954 war das Marianische Jahr.

Ich glaube, es gehört sich, dass man ganz kurz noch eine Antwort auf die ver-schie­denen Beiträge gibt, die tendenziell positiv gegenüber dem Bundesland Tirol wa-ren. Herzlichen Dank dafür!

Geschätzter Herr Kollege Köll! Sie sind sehr versiert in Ihren Aussagen, geschichtlich wirklich stark geprägt. Man kann Ihnen da nur zustimmen, insbesondere was die Europaregion Tirol betrifft. Wir gehören eigentlich zusammen, wir haben die gleiche Kultur, wir waren beisammen, und die Folge des Ersten Weltkrieges war, dass wir zerrissen wurden. Das war ein Unrecht, und es wird immer ein historisches Unrecht sein, dass Nord-/Osttirol und Südtirol auseinanderdividiert wurden. Deshalb sind wir umso mehr bemüht, dass wir in der Europaregion Tirol gemeinsame Politik machen. Die Europäische Union ermöglicht es uns, und wir setzen verschiedene Themen um.

Gestern haben wir den Startschuss für einen gemeinsamen Lawinenwarndienst gege­ben: Trentino, Südtirol und Bundesland Tirol. Diese Kick-off-Veranstaltung gestern fand übrigens an einem Tag statt, an dem wir leider vier Lawinentote zu verzeichnen hatten. Es ist so, dass wir leider doch immer wieder mit größeren Unfällen konfrontiert sind, und deshalb wollen wir die Lawinenwarndienste ausbauen, neu aufstellen und einen gemeinsamen Lawinenwarndienst errichten. – Das ist nur ein Beispiel, was die Europaregion Tirol betrifft.

Geschätzter Kollege Hans-Peter Bock! Wir sind ja Nachbarn. Ich bin in Zams zu Hause, und Fließ ist die Nachbargemeinde. Uns verbindet der wunderschöne Venet, wo wir auch ein Skigebiet haben, für das die Fließer ein bisschen zu wenig zahlen (Heiterkeit bei ÖVP und Grünen), aber sonst würde es eigentlich recht gut funktio-nieren. Wir haben eine gute Zusammenarbeit, aber ich möchte jetzt auf ein paar Punkte ganz kurz eingehen.

Bereich Bildung: Da, glaube ich, sind wir mit der Frau Ministerin schon auf einem guten Weg. Das eine oder andere ist vielleicht noch zu besprechen, aber im Prinzip ist es in Ordnung. Wichtig ist mir nur in einem föderalen System, dass wir, die Länder, auch sagen können, wo wir eine Schule brauchen. Man kann das zum Beispiel mit Wien


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nicht vergleichen. In Wien hat man gleich einmal in einer Schule 100, 200 Schülerinnen und Schüler. Diese Struktur geht natürlich im ländlich strukturierten Raum nicht. Deshalb muss man hier die Unterschiede sehen, wie es auch schon von einigen Bundesrätinnen und Bundesräten gesagt wurde. Die Struktur ist unterschiedlich, des­halb müssen wir auch im Bildungsbereich auf diese Struktur eingehen und ent­sprechende Entscheidungen treffen können.

Bereich Wohnen: Da gehen wir eigentlich einen sehr offensiven Weg. Morgen findet die Eröffnung der ersten Wohnanlage in Schwaz statt, in der für den Quadratmeter nur 5 € inklusive Betriebskosten zu bezahlen sind – 5 € inklusive Betriebskosten! Auch als Ermunterung für den Kollegen aus Fließ: Ihr müsst Grundstücke zur Verfügung stellen, unter bestimmten Rahmenbedingungen, dann können wir auch in Fließ solche Woh­nungen bauen.

Ich glaube, das ist ein richtiger Weg, aber da braucht man natürlich auch die Zusam­menarbeit mit den Kommunen, die günstige Gründe zur Verfügung stellen. Den ganzen Schnickschnack brauchen wir nicht, wir haben deshalb Gesetzesänderungen vorge­nommen, auch was die Stellplatzverordnung betrifft, denn es ist oft übertrieben, was man im sozialen Wohnbau verlangt. Es nützt nichts, wenn man einen riesigen Komfort hat, aber es sich die Menschen, die jungen Familien nicht leisten können. Morgen wird also die erste Wohnanlage mit 5 € pro Quadratmeter inklusive Betriebskosten eröffnet.

Nächster Punkt: Das Bachelor-Studium wurde schon erwähnt. Mir ist es wichtig, dass man, wenn man über Föderalismus spricht, nicht nur die Republik Österreich meint, sondern auch das Land, dass wir auch regional bestimmte Änderungen herbeiführen. Deshalb haben wir jetzt in Landeck und in Lienz ein Bachelor-Studium eingerichtet, wo die Leute ihren Bachelor-Abschluss machen können, und zwar in den vielfältigsten Bereichen: von Mechatronik angefangen bis zu Gesundheit und Tourismus.

Das Thema Kinderbetreuung wurde schon erwähnt. Nur, damit man die Zahlen kennt: Ich bin im Jahr 2008 Landeshauptmann geworden. Damals hat man für Kinderbetreu­ung und Familien jährlich 40 Millionen € ausgegeben – jetzt geben wir 120 Millionen € aus. Innerhalb dieser fast neun Jahre haben wir eine Verdreifachung des Budgets zustande gebracht. Da sieht man schon, welche Dynamik da gegeben ist.

Es gibt dazu unter den Bürgermeistern unterschiedliche Ansätze, aber ich glaube schon, dass in den Kommunen – denn diese braucht man dazu ganz besonders – die Bereitschaft da ist, Kinderbetreuung zur Verfügung zu stellen. Wir müssen aber natürlich auch auf die Bedürfnisse der Eltern eingehen und zum Beispiel flexible Kinderbetreuung anbieten oder uns mit dem Thema Betreuung im Sommer beschäf­tigen. Da bin ich schon der Meinung, dass wir noch immer nicht so weit sind, wie es nötig wäre. Daran weiterzuarbeiten ist genauso eine Zukunftsfrage wie andere The­men. Wir wissen alle, auch aus dem eigenen Verwandten- und Bekanntenkreis, dass Frauen, aber auch Männer mit dem Angebot nicht zufrieden sind. Wir sind schon jetzt bemüht, dafür wesentlich mehr Geld in die Hand zu nehmen, wir müssen aber in der Frage der Kinderbetreuung auch weiterhin offensive Schritte setzen.

Gerd Krusche hat sich vorhin zu Wort gemeldet. (Heiterkeit der Bundesräte Mayer und Grimling.) Das mit den Tirolern, gell  tuts uns nicht beleidigen! (Heiterkeit bei Bundesräten von ÖVP und SPÖ.) Wir haben schon ein bestimmtes Selbstbewusstsein. (Bundesrat Samt: Stimmt!) – Das muss ja erlaubt sein. (Bundesminister Leichtfried: Aber das haben wir auch!) – Das haben die Steirer auch, wie der Herr Bundesminister sagt; die haben auch ein Selbstbewusstsein. Wir sind Menschen, die weltoffen sind, die natürlich gerade durch den Tourismus ganz anders geprägt sind – wir haben wirklich mit vielen Gästen, mit 37 Millionen Nächtigungen im Jahr zu tun –, und wenn


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man dann sagt, die Tiroler sind ganz eigenwillige Leute, dann muss ich entgegnen: Das war irgendwann in der Vergangenheit so.

Gefallen lassen tun wir uns aber auch nichts! Wenn man meint, dass man über die Tiroler drüberfahren kann, dann muss ich sagen: Da brauchen wir nicht die Schüt­zen! Im Übrigen haben wir 15 000 Schützen; so schlecht ist das nicht. (Heiterkeit bei Bundesräten von ÖVP und SPÖ.) Wir haben einen landesüblichen Empfang. Es ist nur wichtig, dass man weiß, dass man das hat. (Bundesrat Schennach: Ein bisschen überaltet sind sie!) Ich möchte das jedenfalls zurückweisen; da würden sich doch viele Tirolerinnen und Tiroler beleidigt fühlen, würde man behaupten, dass es bei uns keine Weltoffenheit gibt.

Eines Ihrer Themen war die objektive Sicherheit. Da haben Sie natürlich völlig recht, aber ich möchte schon darauf hinweisen, dass die Bundesregierung massiv daran interessiert ist, auf diese Thematik einzugehen. Bei uns haben in der Silvesternacht sexuelle Übergriffe auf Frauen stattgefunden. Ich habe mit dem Justizminister gesprochen, und jetzt ist ein Gesetzeswerk in Ausarbeitung, dass sexuelle Übergriffe in Gruppen noch stärker bestraft werden. Das ist eine wichtige Antwort, damit da ein entsprechender Schutz gegeben ist.

Was Ihr zweites Thema, die Integration, betrifft, die ich deutlich angesprochen habe, möchte ich sagen: Wir müssen uns mit Menschen, die legal in Tirol oder in einem anderen Bundesland leben, auseinandersetzen. Da haben wir sehr viel zu tun. Wenn wir das nicht tun, begehen wir massive Fehler. Daher muss man den Menschen auch unsere Lebensgewohnheiten vermitteln. Dafür muss im Bereich der Integration einer­seits wesentlich mehr in Sachen Sprache, Werthaltungen oder Einhaltung von Geset­zen getan werden, andererseits muss man aber auch unsere Lebensgewohnheiten vermitteln, etwa, wie das Zusammenleben zwischen Mann und Frau bei uns funktio­niert. In manchen anderen Ländern ist das ganz anders als bei uns.

Deshalb dränge ich so darauf, dass wir das Thema Integration besonders ernst nehmen. Ich wiederhole noch einmal – was Ihrer Partei wahrscheinlich nicht passt –: Wenn absehbar ist, dass jemand einen positiven Asylbescheid bekommt, das Verfah­ren aber lange dauert, dann muss es erlaubt sein, zu schauen, dass man früher in den Arbeitsmarkt hineinkommt. Der Arbeitsmarkt ist der beste Weg zur Integration. Da haben wir noch einiges zu tun. Damit sind sicherlich nicht alle einverstanden, auch in der Bundesregierung nicht, aber ich meine auch aufgrund meiner Erfahrung, dass wir andere Schritte setzen müssen, denn wenn wir diese Integration nicht schaffen, wer­den wir über Jahrzehnte Probleme haben. Das hat man in der Vergangenheit gesehen. Wir hatten in der Republik Österreich vor Jahrzehnten falsche Ansätze, und die Folgen sind jetzt noch spürbar.

Neben der Unterbringung der Flüchtlinge ist es jetzt eine massive Herausforderung, dass die Integration jener funktioniert, die sich rechtmäßig in Tirol oder in einem anderen Bundesland aufhalten. Natürlich ist Asyl ein Recht auf Zeit, das ist schon klar, aber trotzdem muss man sehen, dass wir die Verpflichtung haben, jenen Menschen Schutz und Hilfe zu gewähren, die vor Terror fliehen müssen, die sich von irgendwoher in Bewegung setzen, wo Krieg und Gefahren herrschen; das ist selbstverständlich. Wirtschaftsflüchtlinge – nein; aber jenen, die berechtigt nach Tirol oder Österreich kommen, müssen wir Unterstützung zur Integration geben. Wenn man das nicht tut, geschätzte Damen und Herren von der FPÖ, macht man massive Fehler. (Bundesrätin Mühlwerth: Die haben wir eh schon gemacht!)

Als nächstes Thema wurde Sölden angesprochen. Diese Studie schaue ich mir ganz genau an. Das hat natürlich einen Hintergrund, weil gerade ein Projekt hinsichtlich des Zusammenschlusses von Pitztal und Ötztal ausgearbeitet wird. Es sind momentan


BundesratStenographisches Protokoll865. Sitzung / Seite 30

auch NGOs dahinter. Es wird eine eigene Stellungnahme von Sölden und vom Seilbahnverband Tirol geben, und da wird ein anderes Ergebnis herauskommen. Ich werde sicherlich nicht zulassen, dass Sölden in jene Ecke gestellt wird, dass da ökologisch nicht sauber gearbeitet wird.

Noch ein Thema wurde angesprochen, nämlich die Verkehrssituation. Herr Bundes­minister! (Bundesminister Leichtfried: Wieso, passt da was nicht? – Heiterkeit bei Bundesräten der ÖVP sowie des Bundesministers Leichtfried.) Über die Verkehrs­situation könnten wir noch lange diskutieren, aber ich möchte mich jedenfalls beim Bund für die Unterstützung bedanken – einerseits, was die ÖBB betrifft, andererseits, was den Bau des Brennerbasistunnels betrifft. Die Europäische Union zahlt im Übrigen 40 Prozent für den Bau des Brennerbasistunnels. Das wird der längste Eisenbahn­tunnel der Welt. Wir brauchen diese modernste Verkehrsinfrastruktur, sonst haben wir in Tirol einen Verkehrsinfarkt. Wenn man sich das anschaut, sieht man, dass das ein Riesenthema ist, das wir zu bewältigen haben. Leider Gottes schwächeln momentan die Deutschen; dort wird wieder mit den Zulaufstrecken herumgetan.

Die Deutschen sind unsere Freunde, denn die Hälfte der Touristen, die zu uns kommen, kommen aus Deutschland, aber dieses Selbstbewusstsein ist auch dann vorhanden, wenn es, auch das muss man sagen, nicht in die richtige Richtung geht. Wir haben im Jahr 2012 eine Vereinbarung mit Deutschland abgeschlossen – damals war Frau Präsidentin Bures Verkehrsministerin –, im Rahmen derer beschlossen wurde, dass die Planung, auch hinsichtlich der Zulaufstrecken, vorangetrieben wird. Momentan herrscht jedoch wieder Stillstand. Ich bitte Sie, Herr Bundesminister, uns dabei zu unterstützen, dass wir das zustande bringen.

In Italien läuft es ganz gut, was die Zulaufstrecken betrifft, aber auch wenn Deutsch­land momentan schwächelt, wird doch der große Freistaat Bayern keine Schwäche zeigen; das habe ich auch dem lieben Kollegen Horst Seehofer schriftlich mitgeteilt.

Diskutiert wurde auch über den Fernpasstunnel und den Tschirganttunnel. Beim Fernpasstunnel sind wir dabei, Vorkehrungen dafür zu treffen, dass der Scheiteltunnel am Fernpass ausgebaut werden kann. Meine Bitte an den Bundesminister, dafür zu sorgen, dass wir auch den Tschirganttunnel zustande bringen, erneuere ich hiermit. Die Verkehrssituation ist teilweise nicht mehr auszuhalten, zum Beispiel im Außerfern ist sie massiv, und das hat sich gerade in den letzten Jahren unglaublich verändert. Da sind wir bereits in Gesprächen mit dem Herrn Bundesminister, um Lösungen erzielen zu können.

Auch das Thema Mobilität wurde angesprochen. Frau Kollegin Nicole Schreyer, ich bin der Meinung, wenn wir die Verkehrslage beurteilen, müssen wir unbedingt noch mehr auf den öffentlichen Personennahverkehr Wert legen. Wir haben in Tirol gerade die Initiative Lebensraum Tirol 4.0 gegründet. Da ist eine Aufgabe, dass wir mit modernster Mobilität auch im Bereich des Tourismus, auch in den Talschaften – mit dem elektronischem Ticket et cetera – einen unglaublich offensiven Weg gehen, damit wir die Verlagerung auf den öffentlichen Personennahverkehr zustande bringen.

Wir haben eine Tarifreform beschlossen, die die Landeshauptmann-Stellvertreterin Ingrid Felipe ausverhandelt hat – im Übrigen ist die Zusammenarbeit in der Lan­desregierung gut; damit das auch klargestellt ist –, und es gibt ein Jahresticket um 490 €. Egal, ob mit Zügen der ÖBB, mit Bussen oder Sonstigem, man kann mit einem Ticket in ganz Tirol um 490 € fahren, und eine Bundespauschale gibt es zusätzlich noch. Teilweise kostet das also die Pendlerinnen und Pendler überhaupt nichts. Wenn zwei Regionen umfasst sind, zahlt man 350 € pro Region.

Das kostet jährlich 11 Millionen € zusätzlich, aber es ist ein Schritt in Richtung ökolo­gische Ausrichtung des Verkehrs, ein Schritt, der zeigt, dass wir offensiv in die Zukunft


BundesratStenographisches Protokoll865. Sitzung / Seite 31

blicken. In meinem ersten Redebeitrag habe ich ja gesagt, wir müssen unbedingt darauf schauen, dass der Lebensraum weiterhin lebens- und liebenswert bleibt, insbe­sondere für die nächsten Generationen. (Beifall bei ÖVP und SPÖ sowie bei Bun­desräten der Grünen.)

10.30


Präsidentin Sonja Ledl-Rossmann: Weitere Wortmeldungen liegen dazu nicht vor.

Wünscht noch jemand das Wort? – Es ist dies nicht der Fall. Die Debatte ist geschlos­sen.

Ich darf mich sehr herzlich beim Herrn Landeshauptmann von Tirol Günther Platter bedanken. Ich danke dir nicht nur für die Erklärung heute hier im Bundesrat, sondern auch dafür, dass du dir so viel Zeit für die Debatte genommen hast, und – ich denke, auch im Namen aller Mitglieder des Bundesrates – auch für deine Unterstützung des österreichischen Bundesrates. – Vielen Dank. (Allgemeiner Beifall.)

10.31.13Aktuelle Stunde

 


Vizepräsidentin Ingrid Winkler (den Vorsitz übernehmend): Wir gelangen nun zur Aktuellen Stunde zum Thema

„Digitalisierung: Chancen und Herausforderungen für die Regionen“

mit dem Herrn Bundesminister für Verkehr, Innovation und Technologie Mag. Jörg Leichtfried. Nochmals herzlich willkommen, lieber Herr Minister, bei uns im Bundes­rat. (Allgemeiner Beifall.)

In der Präsidialkonferenz wurde Einvernehmen über folgenden Ablauf erzielt:

Zunächst kommt je ein Redner/eine Rednerin pro Fraktion zu Wort, dessen bezie­hungsweise deren Redezeit jeweils 10 Minuten beträgt. Sodann folgt die Stellung­nahme des Herrn Bundesministers, die ebenfalls 10 Minuten nicht überschreiten soll. Danach folgt wieder je eine Rednerin/ein Redner der Fraktionen sowie anschließend je eine Wortmeldung der Bundesräte ohne Fraktionszugehörigkeit mit einer jeweils 5-minütigen Redezeit. Zuletzt kann noch eine abschließende Stellungnahme des Herrn Bundesministers erfolgen, die nach Möglichkeit 5 Minuten nicht überschreiten soll.

Als Erster zu Wort gemeldet ist Herr Bundesrat Novak. – Bitte.

 


10.32.36

Bundesrat Günther Novak (SPÖ, Kärnten): Frau Präsidentin! Herr Bundesminister! Werte Kolleginnen und Kollegen! Wenn wir heute über Breitbandausbau sprechen, über die Digitalisierung und deren Chancen und Herausforderungen für die Regionen, dann müssen wir wissen – und wir wissen es auch –, dass die Informations- und Kommunikationstechnologie alle unsere Lebens- und Wirtschaftsbereiche durchdringt beziehungsweise durchdrungen hat.

Mehr als 80 Prozent der österreichischen Bevölkerung und nahezu alle Betriebe ver­wenden das Internet. Jährlich verdoppelt sich das in den Netzen übertragene Daten­volumen. Die Nutzung dieser Technologie ist von überproportionalen Steigerungsraten gekennzeichnet. Damit sind das Internet und ein gut ausgebautes Breitbandnetz schon heute eine essenzielle Voraussetzung für einen modernen Wirtschaftsstandort und werden dies in Zukunft noch viel mehr sein.

Das Vorhandensein von Breitbandanschlüssen sowohl für Bürger als auch vor allem für Unternehmen ist entscheidend. Es ist ein wichtiger Standortfaktor und aus­schlag-


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gebend für unternehmerischen Erfolg. Es ist jedoch auch eine Tatsache, dass die Verfügbarkeit von Breitband in Österreich sehr unterschiedlich verteilt ist. Der Graben zwischen Stadt und Land ist auch da deutlich sichtbar. Für strukturschwache Regionen mit wenig betrieblicher Infrastruktur ist dies ein zusätzlicher Nachteil, dabei könnte gerade im ländlichen Raum ein schneller Internetanschluss ein wesentlicher Faktor für eine weitere wirtschaftliche Entwicklung sein und so manchen anderen Standort­nachteil aufwiegen.

Deshalb sind wir gefordert – wir alle, die wir hier sitzen, wir Bürgermeister, wir alle, die im ländlichen Bereich tätig sind –, denn das Bundesministerium für Verkehr, Innovation und Technologie unter Bundesminister Jörg Leichtfried hat uns sehr, sehr viel Geld zur Verfügung gestellt, um diese Maßnahmen vor Ort umzusetzen.

Ich bin Bürgermeister im zweitgrößten Bezirk Österreichs, im Bezirk Spittal, der aus einem rund 80 Kilometer langen Tal mit zwölf Orten besteht, und ich weiß, dass wir seit 2002, 2003 rund sechs Orte vernetzt haben – dort gibt es Breitband, zwei haben das in den letzten Jahren umgesetzt –, es gibt aber sechs Orte, die bei Weitem noch nicht in diese Richtung vorgedrungen sind. Diese fehlende Infrastruktur bedeutet im Grunde genommen, dass Arbeitsplätze außerhalb der Region gesucht werden müssen. Wenn jemand seinen Arbeitsplatz außerhalb der Region sucht, dann ist es in weiterer Folge so, dass er irgendwann einmal abwandert.

Wenn ich mir die heutige Situation unter dem Aspekt des Breitbands als wirt­schaft­liches Standbein für die ländlichen Regionen ansehe, dann sage ich jetzt dazu, dass es bei uns vor allem um den Bereich Tourismus geht. Wir sind eine Region, die jährlich rund 1 Million Nächtigungen hat, die Nationalparkregion Mölltal und Drautal. Wir wissen aufgrund eines Besuches der ITB in Berlin, also der größten Touris­musmesse der Welt, letzte Woche gemeinsam mit Abgeordneten des Nationalrates, nämlich Mitglie­dern des Tourismusausschusses – die Frau Vizepräsidentin war auch mit dabei –, was auf dem Markt gefordert wird. Diese Problematik haben wir diskutiert, und wir wurden darauf aufmerksam gemacht: Will Österreich auf diesem Markt weiterhin so erfolgreich bleiben, wird sich der Tourismus intensiv mit der Digitalisierung auseinandersetzen müssen. Digitalisierung ist zum bestimmenden Wettbewerbsfaktor geworden. Bei­spiels­weise – ich weiß nicht, ob Sie das wissen – wollen rund 67 Prozent der Gäste – rund 67 Prozent! – nicht in ein Hotel zurückkehren, wenn in diesem Hotel kein draht­loser Highspeed-Internetzugang vorhanden ist.

Auch die Bewerbung – das hat auch Petra Stolba, die Chefin der Österreich Werbung, hinsichtlich des Marketingmix sehr deutlich zum Ausdruck gebracht –, die Vermarktung und der Verkauf laufen zunehmend über den digitalen Bereich. So muss laut Wirt­schafts­kammer – Präsidentin Zwazl sitzt ja auch hier – ein durchschnittliches Haus mit rund 100 Betten in vier Jahren in etwa 60 000 € für Internetmarketing und für die Home­page aufwenden – das ist aber die unterste Grenze. Ich selbst habe eine österreichweit agierende Wellnessgruppe geführt, und wir haben im Jahr 200 000 € für Internetmarketing und Homepage aufgewendet.

Das heißt, gerade in dieser Branche ist die digitale Entwicklung und die Innovation im Marketing von großer Bedeutung. In der Österreich Werbung wird die digitale Trans­formation als eines der Zukunftsthemen angesehen. Das muss man sich vorstellen: 50 Prozent des Marketingbudgets der Österreich Werbung werden in diesem Bereich eingesetzt. Wir wissen also, wovon wir da reden, und wir wissen, was wir am Land draußen brauchen, um in diesem Bereich mitspielen zu können.

Im Zuge dieser Breitbandstrategie 2020 sollen jetzt mit massiver Förderung des Bundes in den weniger dicht besiedelten Regionen Österreichs Investitionen in den Breitbandausbau angeregt werden. Der ehrgeizige Plan lautet, bis 2020 nahezu alle


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österreichischen Haushalte, vor allem auch Unternehmen, mit ultraschnellem Internet zu versorgen.

Es muss auch für den ländlichen Bereich sichergestellt werden, dass zumindest 100 Megabit zur Verfügung stehen. Die praktische Entwicklung hat gezeigt, dass das für die Zukunft ein Minimum ist, um mit den heutigen Datenmengen gut arbeiten zu können. Dafür stellt die öffentliche Hand – wie schon gesagt, mit Bundesminister Mag. Leichtfried an der Spitze  1 Milliarde € zur Verfügung, und es liegt wirklich an uns, dieses Geld in die Hand zu nehmen. Wir in den Regionen brauchen es notwendig, um wettbewerbsfähig für die Zukunft zu bleiben. Mit der Errichtung der unterstützenden Breitbandbüros in den Bundesländern soll die Kommunikation zwischen den Förderstellen und den Gemeinden erleichtert werden. Wo die Bundesförderung nicht greift, gibt es zusätzlich auch Landesprogramme, wie zum Beispiel bei uns in Kärnten das Sonderunterstützungsprogramm Breitband, das vor allem die Konzeptionierung und Umsetzung von Breitbandmasterplänen in den Gemeinden zu 75 Prozent fördert.

Das heißt, dass wir vor Ort versuchen müssen, die einzelnen Bürgermeister davon zu überzeugen, dass sie einen Masterplan machen, damit sie einmal wissen, was über­haupt im Boden drinnen ist, welche Leerverrohrungen vorhanden sind, ob sie auf­graben müssen, ob sie dort einschießen können, was auch immer. Es ist unsere Auf­gabe, das jetzt für die Zukunft zu tun, um ein koordiniertes und maßgeschneidertes Maßnahmenprogramm auf die Beine zu stellen.

Ziel all dieser Bemühungen muss es sein, alle unversorgten Gebiete zu erschließen, wie schon gesagt, und nicht ausreichend versorgte Gebiete entsprechend aufzurüsten. Es ist dies eine wichtige Investition in den Erhalt der ländlichen Regionen, um der Abwan­derung entgegenzuwirken und den Betrieben auch außerhalb von Zentral­räumen ein Fortbestehen zu ermöglichen.

Der digitale Wandel durchdringt aktuell alle Lebens- und Wirtschaftsbereiche und stellt ganze Wertschöpfungsketten auf den Kopf. Wollen wir weiterhin zu den erfolgreichen Ländern, Regionen oder Tälern der Welt zählen, müssen wir uns auf allen Ebenen mit dieser Digitalisierung, mit diesem Breitbandausbau auseinandersetzen.

Das heißt abschließend aus meiner Sicht oder aus unserer Sicht – und jetzt bleibe ich wieder beim touristischen Gedanken, denn zum wirtschaftlichen Bereich wird es sicher noch viele Redner geben; aber natürlich ist Tourismus auch Wirtschaft –: Wir müssen in Echtzeit der richtigen Person die richtige Botschaft zur richtigen Zeit über den richtigen Kanal übermitteln und dann den Kommunikationserfolg messbar und sichtbar machen. Und das ist unser Thema heute: „Digitalisierung: Chancen und Herausfor­derungen für die Regionen“. Wir von der SPÖ sind mit dabei! (Beifall bei der SPÖ und bei Bundesräten der ÖVP.)

10.41


Vizepräsidentin Ingrid Winkler: Als Nächste zu Wort gemeldet ist Frau Bundesrätin Präsidentin Zwazl. – Bitte, Frau Kollegin.

 


10.42.06

Bundesrätin Sonja Zwazl (ÖVP, Niederösterreich): Frau Präsident! Herr Bundes­minister! Geschätzte Kolleginnen und Kollegen! Für mein Bundesland als Flächenland ist die Bedeutung der Digitalisierung eine große, und für die Regionen ist die Digitalisierung ganz einfach zukunftsentscheidend. Die Entwicklung unserer Regionen ist ganz wesentlich davon abhängig, wie auf laufende massive Veränderungen reagiert werden kann.

Die Digitalisierung ist zweifellos so eine massive Veränderung. Der Hintergrund für diese explosionsartige Entwicklung ist ja weithin bekannt: 1965 waren die Computer so


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groß wie eine Schrankwand, der Energiebedarf war extrem, enorm, und darüber hinaus haben diese Monster – so kann man dazu sagen – eine aufwändige und laute Kühlung gehabt. 50 Jahre später ermöglichen fingernagelgroße Prozessoren in filigranen Smartphones und Tablets eine flinke und völlig geräuschlose Bearbeitung von riesengroßen Dateien, Fotos und Videos. Sie gewährleisten allerorts die Nutzung von Internetanwendungen, und dies hat natürlich enorme Veränderungen in unser gesamtes Leben gebracht.

Im Konsumbereich sind Onlinedienste zur Selbstverständlichkeit geworden, und wir, die Wirtschaft, setzen uns in vielfältiger Weise damit auseinander. Im Handel ver­schmelzen stationäres Service und Onlineservice. Im Handwerk können kreative Lösungen und Planungen bis ins Detail dargestellt werden. Regionale Produkte können über Onlineshops einen größeren Markt finden und ansprechen – ein Thema, das höchst aktuell ist, wenn wir bedenken, dass nicht einmal ein Drittel der Unter­nehmen ihre Waren und Dienstleistungen auch online anbietet. Bei den Banken ist die Digitalisierung längst bestimmend und unersetzlich.

Sehr interessant sind die Erfahrungen in der gewerblichen und in der industriellen Produktion, vor allem bei unseren Klein- und Mittelbetrieben. Wenn ich heute Unter­nehmerkollegen und -kolleginnen nach dem Umgang mit diesem Thema frage, so sind die Antworten höchst unterschiedlich. Die einen sagen, das machen wir schon längst, die anderen, wir sind gerade dabei. Wieder andere sagen, das betrifft uns nicht. Die letzte Antwort kommt mir immer noch viel zu oft vor, und da müssen wir ansetzen.

Deshalb freue ich mich auch besonders über dieses Förderprogramm KMU Digital, mit dem für zwei Jahre 10 Millionen € reserviert und vorgesehen sind. Aktuell geht es um die Qualifizierung und Zertifizierung von Digitalisierungsbeauftragten. Sie werden in der Folge Unternehmen bei ihren Digitalisierungsschritten begleiten. Darüber hinaus braucht es natürlich bewusstseinsbildende Maßnahmen, Veranstaltungen und Webinare. Wir können damit und mit allen weiteren Maßnahmen die digitale Kompetenz in den Unternehmen fördern, und wir müssen dies auch tun.

Herausfordernd, das hat schon mein Vorredner angesprochen, bleibt natürlich der Investitionsaufwand, den die Unternehmen in die konkreten Umsetzungsschritte legen müssen. In einem Produktionsunternehmen ist die Umstellung der Automatisie­rungs­prozesse oft mit enormen Kosten verbunden. Da brauchen wir ausreichende Unter­stützungsangebote, insbesondere auch für die immer teureren Computerprogramme.

Wenn ich das jetzt anspreche, sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen, sind die Sach­investitionen die eine Seite, aber noch entscheidender und wichtiger sind die Fach­kenntnisse, die man dazu braucht. Deshalb müssen wir im Bereich der Ausbildung junger Menschen möglichst früh ansetzen, vor allem sind die technischen Kompe­tenzen unserer Jugend gezielt zu fördern. Es ist auch positiv, dass die Schulen jetzt verstärkt mit Tablets ausgestattet werden und diese verwenden werden. In diesem Zusammenhang ist mir eine Bemerkung von Ihnen, Herr Bundesminister, noch im Ohr, und die kann ich nur unterschreiben: „Ohne Breitband ist ein Tablet nur ein Jausen­brett.“

Wenn wir Unternehmen danach fragen, was in der digitalisierten Welt unserer Mitarbeiter gebraucht wird, so kommen oft folgende Schlagworte: Spezialistenwissen ist gefragt, Umgang mit großen Datenmengen, statt Bediener werden Steuerer gebraucht, interdisziplinäres Denken und Arbeiten und Teamfähigkeit. Abnehmen, das wissen wir, werden die körperlichen Belastungen.

Es ist ganz einfach so, das wissen wir: Um in Zukunft erfolgreich zu sein, brauchen wir hoch qualifizierte Arbeitskräfte. Da ist gerade unsere duale Ausbildung wesentlich. Sie bildet eine hervorragende Grundlage und ist gerade in unseren Regionen eine Grund-


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lage für die Karriere unserer jungen Leute. Deshalb ist es auch wichtig – und dahin zielt auch die Bemerkung und die Ankündigung von Vizekanzler Mitterlehner –, dass 50 Lehrberufe an die neuen Anforderungen der Digitalisierung angepasst werden.

Da möchte ich schon auf einen Punkt hinweisen, der mir ganz wichtig ist, etwas, das in der breiten Öffentlichkeit viel zu wenig wahrgenommen wird: Zum Beispiel unsere Mechatroniker müssen höchst komplexe Lösungen aus Elektronik und Mechanik entwickeln, und wir starten in Kürze mit einem neuen Lehrberuf im Onlinehandel. Es ist aber in der Wirtschaft nicht nur wichtig, die jungen Leute gut und gezielt für die Zukunft auszubilden, sondern genauso wichtig und wesentlich ist es, dass die bestehenden Fachkräfte in unseren Unternehmen auf den neuesten Stand gebracht werden und dass wir da einen besonderen Schwerpunkt auf Weiterbildung legen. Wir brauchen uns nicht zu fürchten – in der Wirtschaft ist das ja immer ein Thema –, dass die Roboter uns die Arbeit wegnehmen. Wir brauchen ja nur in Länder wie Deutschland oder Japan zu schauen, wo Robotertechnologie viel mehr verbreitet ist. Dort sieht man, dass mehr Arbeitsplätze geschaffen werden und die Arbeitslosigkeit eine deutlich geringere ist als bei uns.

Natürlich, die einfachen Tätigkeiten werden abnehmen, aber diesen Prozess haben wir ja schon seit Jahrzehnten. Dafür entstehen aber wieder neue Aufgabenbereiche, die mehr Qualifikation erfordern und die in der Regel, das darf man auch nicht vergessen, besser bezahlt sind. Ich bin sehr stolz darauf, dass gerade in unseren Regionen und vor allem von den Leitbetrieben neue Initiativen zur Höherqualifizierung der beste­henden Fachkräfte gesetzt werden. Mir hat erst kürzlich ein Chef eines großen Produktionsunternehmens aus dem Mostviertel gesagt: Wir stehen zu unseren Mitar­beiterinnen und Mitarbeitern, wir brauchen sie, und deshalb wollen wir sie auch bestmöglich auf die neuen Aufgaben vorbereiten.

Zwei Punkte sind mir noch ganz wichtig. Das eine ist das Thema Sicherheit. Ich denke, dass das zum Teil auch in Ihr Ressort fällt, Herr Bundesminister. Die Informations­sicherheit wird in dieser neuen Zeit zum Erfolgsfaktor unserer Unternehmen. Es ist schon sagenhaft, wie dreist heute der Datenklau passiert. Industriespionage ist allge­genwärtig, und die Unternehmen wissen oft viel zu wenig über ihre Sicherheit Bescheid. Ich weiß, dass es dazu viele Anregungen gibt, auch auf EU-Ebene, doch da müssen wir ganz einfach noch viel mehr unternehmen, und wir müssen dafür sorgen, dass die Unternehmen eine Bestandsaufnahme machen und anbieten. Es geht ganz einfach um unsere Wirtschaft.

Herr Minister! Ich bedanke mich für den Beschluss zur Digital Roadmap für Österreich und freue mich darüber. Auf der einen Seite findet sich darin das klare Bekenntnis zum Breitbandausbau, und gerade die Flächenbundesländer, wie meines, sind da auf die Förderungen ganz besonders angewiesen. Außerhalb der Ballungszentren versagt der freie Markt. In Niederösterreich ist der Zeitrahmen für den flächendeckenden Ausbau bis 2030 gesetzt. Hier brauchen wir unbedingt eine Beschleunigung, und das geht ganz einfach nur gemeinsam, Bund und Land.

Wir sind weltweit führend, was die Abwasserent- und Stromversorgung betrifft. Werden wir auch weltweit führend in der Breitbandversorgung!

In diesem Zusammenhang ein herzliches Dankeschön auch für die 5G-Strategie, weil gerade in den Regionen die Mobilfunktechnologie eine wesentliche Basis darstellt. Ich habe dazu erst kürzlich ein Gespräch mit Wilhelm Molterer, dem Vizepräsidenten der Europäischen Investitionsbank, gehabt. Er sieht im leistungsfähigen Internetzugang über Sat die größten Zukunftspotenziale, und die Investitionsbank unterstützt auch Projekte in diese Richtung.


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Geschätzte Kolleginnen und Kollegen! Die Digitalisierung verändert Schritt für Schritt unser Leben. Dazu müssen wir mit dem Verständnis der Unternehmer handeln. Greifen wir die Veränderungen auf und nützen wir die Chancen! – Danke schön. (Beifall bei ÖVP und Grünen sowie bei Bundesräten der SPÖ.)

10.51


Vizepräsidentin Ingrid Winkler: Als Nächster zu Wort gemeldet ist Herr Bundesrat Jenewein. – Bitte schön, Herr Bundesrat.

 


10.51.57

Bundesrat Hans-Jörg Jenewein, MA (FPÖ, Wien): Frau Präsidentin! Herr Bun­desminister! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Ich möchte hier jetzt nicht die Ausführungen meiner Vorredner wiederholen. Kollege Novak hat sehr viel von der – gerade im ländlichen Raum – benötigten Infrastruktur gesprochen. Das ist unbestritten. Selbstverständlich gibt es da auch noch in gewissen Teilbereichen – ich sage bewusst: Teilbereichen – Aufholbedarf. Im Großen und Ganzen ist der Breitbandausbau, vor allem auch durch die tragfähigen Funknetzwerke, in den vergangenen Jahren sehr weit fortgeschritten, aber ich gestehe durchaus zu, da ist sicherlich noch das eine oder andere zu machen.

Für mich beziehungsweise aufgrund meines Zugangs zu dem gesamten Thema war der Redebeitrag von Kollegin Zwazl wesentlich interessanter, weil sich natürlich daraus auch die Frage ergibt: Wie entwickelt sich unser gesamtes Wirtschaftssystem, wie entwickelt sich unsere Gesellschaft durch den im Prozess befindlichen digitalen Wandel in den nächsten 20, 25, 30 Jahren weiter?

Es ist ja nicht so, dass man jetzt von Haus aus sagen muss: Hurra, das ist alles toll!, oder: Nein, das ist alles ganz furchtbar! So einfach kann man es sich ja nicht machen, da gibt es ja wahnsinnig viele verschiedene Graustufen dazwischen. Um es gleich vorweg zu sagen: Ich persönlich bin kein Kritiker der Digitalisierung, aber was ich kritisieren möchte, und zwar deutlich – und das betrifft ausnahmsweise keine politische Partei in diesem Haus –, das sind die Monopolisierung von Macht und Technik und der teilweise naive Umgang, der dadurch gefördert wird.

Wenn wir uns die positiven Effekte – die es natürlich gibt – anschauen, dann können wir dies etwa anhand des Beispiels der Firma Google – einer der wichtigsten, wenn nicht gar der wichtigste Konzern weltweit – tun: Das Institut der deutschen Wirtschaft in Köln hat in einer Studie festgestellt, dass zwischen den Jahren 2007 und 2011 unter Zuhilfenahme von Google-Tools 28 000 Unternehmen gegründet wurden. Mit diesen Unternehmensgründungen sind natürlich Arbeitsplätze, ist natürlich Wertschöpfung verbunden.

Auf der anderen Seite darf man aber auch nicht vergessen, wie marktbeherrschend Google ist: mit Google Chrome, dem am weitesten verbreiteten Webbrowser, mit YouTube, dem am weitesten verbreiteten Videoportal, mit Gmail, dem weltweit am meisten verbreiteten E-Mail-Programm, und nicht zuletzt mit Android, das nach wie vor auf knapp 70 Prozent aller in Verwendung befindlichen Smartphones läuft.

Auf der anderen Seite, und auch das ist Google, hat zum Beispiel – und es gibt viele Beispiele, ich habe jetzt nur eines explizit herausgenommen – die Universität Gent rund 200 000 Bücher in den letzten Jahren digitalisiert, Bücher aus der Zeit zwischen dem 15. und 19. Jahrhundert, auf Deutsch, auf Englisch, auf Französisch, Bücher, die wahrscheinlich in den seltensten Fällen das Licht der Öffentlichkeit jemals wieder erblickt hätten und die jetzt bis zu 100 000 Zugriffe am Tag haben. Auch das ist Google und auch das ist ein Aspekt der Digitalisierung, den man sich so, in dieser Form in den vergangenen Jahrzehnten nicht hätte vorstellen können.


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Aber – und das ist eben die Schattenseite, denn wo viel Licht ist, ist nun einmal auch viel Schatten – wir haben natürlich auch negative Entwicklungen. Wir haben die Verknüpfung von Daten und Dateien, und diese Verknüpfung von Daten und Dateien, dieses Big Data, macht Macht. Es macht eine Marktmacht. Und diese Marktmacht – dieses Eindrucks kann man sich leider Gottes nicht erwehren – ist alles, und der Individualismus, der ja durch diese Daten auch gespeist werden könnte, ist nichts. Das ist eines dieser großen Spannungsfelder, in denen wir uns heute bewegen und wo natürlich auch die Politik die Antworten geben muss auf die Frage, wie man in Zukunft damit umgeht.

Man stelle sich nur etwa vor: Wenn zum Beispiel Google einen Algorithmus ändert, dann bricht auf einer Website, die das betrifft, der Traffic um 70 bis 80 Prozent ein, was natürlich wiederum dann auch konkret monetär zu messen wäre, denn wenn das irgendeine Onlinefirma ist, die vielleicht nicht Amazon heißt – es gibt auch noch viele andere, ich möchte die jetzt nicht alle aufzählen –, wenn das nicht ein sogenannter Big Player ist, sondern ein kleiner Player, dann verliert der auf einmal 70 bis 80 Prozent der Zugriffe auf seine Webseiten. Das ist natürlich etwas, wo keine Demokratisierung dahinter steht, sondern das sind im Endeffekt soziale Systeme, da sind im Endeffekt Menschen dahinter, und dieses Problems muss man sich auch vonseiten der Politik annehmen.

Wenn man sich diese Big Player anschaut – ich habe sie gerade erwähnt: Google, Facebook, Amazon, Apple, Twitter und wie sie alle heißen –, dann erkennt man, die sind mächtig, und sie sind vor allem deshalb so mächtig, weil sie exponentielles Wachstum haben. Das können sie sich aufgrund ihrer Programmierungsform selbst generieren. Das ist allenfalls vielleicht mit biologischen Viren vergleichbar, dieser Vergleich ist durchaus zulässig, denn die Geschwindigkeit, die Effizienz und auch die Aggressivität, mit der teilweise dieses Wachstum dann auch Einfluss auf den Markt nimmt, sind vergleichbar.

Da stellt sich auch für die Politik eine Frage, die man hier durchaus wieder aufs Tapet bringen sollte. Ich weiß, jede Präsidentschaft des Bundesrates setzt sich ihre eigenen Schwerpunkte, die sind alle wichtig; ich darf aber daran erinnern, dass einer der Schwerpunkte hier, eben auch vom Kollegen aus Oberösterreich, der digitale Wandel war. Wir haben hier die Enquete im Bundesrat gehabt, und das war sicherlich eine sehr gute Initialzündung, ein sehr guter erster Schritt, nur dabei sollte man es eigentlich nicht belassen. (Bundesrat Schennach: Wir haben eh die „Digitale Courage“ nachge­schossen!) – Danke schön. Mir ist nämlich das Wort jetzt nicht eingefallen, aber du hast es mir jetzt gerade mit deinem Zwischenruf ... (Bundesrat Schennach: Aber da waren Sie ja ...!) Ja, ja, aber das habe ich jetzt gar nicht gemeint (Bundesrat Mario Lindner: Es kommt noch was!), sondern ich habe das Digitale Grünbuch gemeint. Aber unabhängig davon ist die Frage, die sich vielmehr stellt, folgende: Sollen wir wirklich alles tun, was wir tun können? Und dürfen wir auch alles tun, was wir tun können?

Wenn wir heute mitten in dieser Digitalisierung stehen und wissen, dass Hunderte Millionen Euro jährlich in die Forschung zu Smartcards und Kryptografie investiert werden, dann würde ich einmal sagen, diese Entwicklung ist – um ein Lieblingswort der deutschen Kanzlerin zu verwenden – alternativlos. Es gibt dazu keine Alternative! Das ist einfach Faktum, und wir stehen mittendrin. Aber das, bitte schön, ist keine technische Debatte, das ist eine politische Debatte, nämlich die politische Debatte betreffend die Frage: In welche Richtung wollen wir gehen? Und, bitte, die von mir angesprochenen Algorithmen sind ja um Himmels willen keine Regierungsprogramme; es geht um soziale Systeme, und diese sozialen Systeme können auch soziale Probleme mit sich bringen.


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Ich bringe da jetzt gerne ein konkretes Beispiel, nämlich den digitalen Supermarkt. Die ersten Entwicklungsstufen sehen wir ja heute schon in Form der digitalen Kassen, und wir werden demnächst – in den nächsten fünf bis zehn Jahren ist das Realität – die volldigitalisierten Supermärkte sehen, wo man reingeht, die Waren nur mehr in den Einkaufswagen legt, und bevor man das Geschäft verlässt, wird online überprüft, ob man eh genug Geld am Konto hat, und dann geht der Schranken auf und dann geht man raus. Und der Boden wird auch nicht mehr von einem Menschen gewischt, sondern das machen dann auch Reinigungscomputer.

Das ist Realität, das steht direkt vor unserer Tür. Die Frage ist nur: Wollen wir das? Und: Welche Daten werden dann auch aus diesen digitalen Supermärkten im End­effekt generiert? Wenn man es naiv betrachtet, könnte man natürlich sagen: Na ja, das ist nichts anderes als Lebensmitteleinkauf. Bei diesem Einkauf werden jedoch natürlich vom Betreten des Supermarkts bis hin zur Bezahlung, bis hin zur Kreditkarten- und Bankabrechnung, bis hin zum Scan der einzelnen Produkte digitale Daten generiert. Ich frage mich, wer mit diesen Daten was machen kann, angefangen bei der Versiche­rung bis hin zu persönlichkeitsbezogener Werbung.

Das sind die Dinge, die die Politik in Zukunft besprechen müsste. Wir können es mit diesem Datenwust, der dadurch entsteht, nicht einfach so auf sich beruhen lassen und sagen, das überlassen wir einfach den Firmen und was diese Firmen, die vielleicht ihre Steuernummer irgendwo in der Karibik, auf der Isle of Man oder sonst irgendwo haben, dann damit machen, ist uns egal. Nein, das sollte uns eben nicht egal sein – das sollte uns eben nicht egal sein! Da hat die Politik sehr wohl das Anrecht und auch die dringliche Verpflichtung, ganz genau hinzuschauen und entsprechende gesetzliche Bestimmungen auszuarbeiten.

Meine sehr geehrten Damen und Herren! Technologie und Recht, Grundrechte und ökonomische Chancen müssen einander wechselseitig unterstützen, sie können nicht individuell betrachtet werden. Die digitale Welt ist heute da, sie ist Realität, sie entwickelt sich weiter. Wir werden uns von ihr nicht abwenden können, und zwar ganz einfach deshalb nicht, weil wir mittendrin in dieser Entwicklungsstufe stehen – sie ist da, ob es uns gefällt oder nicht. Es liegt jedoch an uns, an der Politik, zu steuern, in welche Richtung das geht. Wir sind nicht nur Passagiere in diesem Zug, sondern wir sind die Gestalter, und diese Gestaltung müssen wir aktiv selbst in die Hand nehmen. – Herzlichen Dank für die Aufmerksamkeit. (Allgemeiner Beifall.)

11.01


Vizepräsidentin Ingrid Winkler: Als Nächste zu Wort gemeldet ist Frau Bundesrätin Mag. Schreyer. – Bitte.

 


11.02.00

Bundesrätin Mag. Nicole Schreyer (Grüne, Tirol): Hohes Haus! Sehr geehrter Herr Minister! Als vierte Rednerin kann ich sagen, zu diesem allumfassenden Thema ist schon sehr viel gesagt, es sind schon viele Themenbereiche angerissen worden. Gerade Datenschutz und Netzsicherheit sind ganz große Themen, da muss ich meinem Vorredner fast allumfassend recht geben. Meine Schlussworte werden auch fast dieselben wie deine sein.

Ich habe mir ein Thema herausgepickt, nämlich die Digitalisierung der Arbeitswelt. Fakt ist: Ohne Digitalisierung ist unser Alltag, egal ob im Privatleben oder in der Arbeit, einfach nicht mehr vorstellbar. Im Beruf zu warten, bis ein Brief oder ein Fax kommt und währenddessen in dieser Sache tagelang gar nichts weiter zu machen, ist heutzutage einfach nicht mehr vorstellbar. Mit einer schnellen E-Mail, egal wo man gerade ist, ist meistens schon alles erledigt. Man kann arbeiten, egal wo man ist, egal wie spät es ist. Das bietet riesige Chancen.


BundesratStenographisches Protokoll865. Sitzung / Seite 39

Gerade für Frauen – und besonders für Frauen im ländlichen Raum – ist das eine wahnsinnig große Möglichkeit, flexibel vor Ort oder auch von zu Hause aus zu arbeiten. Das kann ganz viel zur Vereinbarkeit von Familie und Beruf beitragen: weil lange Fahrzeiten zur Arbeit wegfallen können, weil sie halt genau die vier oder acht Stunden arbeiten und zwei Stunden Fahrzeit wegfallen, weil man flexibel auf Öffnungs­zeiten von Schulen, Kindergärten und Kinderbetreuungseinrichtungen reagieren kann.

Dass da natürlich noch immer sehr viel Luft nach oben ist und weiterhin ausgebaut werden muss, erwähne ich der Vollständigkeit halber noch einmal, weil ich das jedes Mal mache. Da gehört viel mehr Engagement hinein. Da ist es dann vielleicht auch einmal möglich, dass Pflegeurlaub nicht genommen werden muss, weil es sich gerade gut vereinbaren lässt.

Wir haben vorhin schon viel von Landflucht gehört, gerade von weiblicher Landflucht: Es gibt Gegenden in Österreich, die jetzt schon einen enormen Frauenmangel zu verzeichnen haben. Auch darauf kann Digitalisierung die Antwort sein, natürlich wieder in Kombination mit einem Ausbau der Kinderbetreuungseinrichtungen. Digitalisierung kann die Vereinbarkeit von Leben im ländlichen Raum und Berufstätigkeit ermöglichen, zum Beispiel in Branchen, die nicht oder wenig auf dem Land vertreten sind, sodass man für seinen Job eben nicht in die Stadt oder sogar in die Hauptstadt ziehen muss.

Sehr viele hochqualifizierte Jobs können ganz einfach online von zu Hause aus oder vor Ort erledigt werden. Es ist in letzter Zeit immer öfter Thema, dass mehr Behör­denstellen oder Ministerien in die Länder ausgelagert werden sollten oder könnten, um auch dort diese hochqualifizierten Arbeitsplätze in der Verwaltung für ExpertInnen zu haben und damit es keinen Braindrain aus den Bundesländern nach Wien gibt.

Man muss sich sehr gut ansehen und überlegen, was da gute Lösungen sein können. Vielleicht liegt der Schlüssel im digitalen Zeitalter ja nicht in der physischen Aus­lagerung, sondern in der Ermöglichung von digitalen Arbeitsplätzen. Dann ist es zum Beispiel für das Verkehrsministerium möglich, von Spittal an der Drau, Reutte, Hohenems oder von Landl aus zu arbeiten. Co-Working Places in den Regionen, die ein Home-Office ersetzen können – denn die komplette Arbeit zu Hause in der Wohnung liegen zu lassen ist nicht nur ein Platzproblem, sondern auch ein Abgren­zungs­problem –, können sicher auch ein sehr großer Teil der Lösung sein.

Die digitalen Möglichkeiten mit Telefonkonferenzen, Skype und so weiter bieten sicher auch noch ganz viel Potenzial. Es besteht aber auch die große Gefahr der Digita­lisierung, dass der soziale Aspekt wegfällt, der für ein gutes Arbeitsklima natürlich enorm wichtig ist. Es muss auch dafür gute Lösungen geben: quasi telefonisch von Vorarlberg aus mit der Kollegin in Wien einen Kaffee zu trinken und sich über die Arbeit auszutauschen, bis hin zu gemeinsamen Social Events. (Bundesrat Mayer: Das geht heute schon!)

Weniger Verkehr, Herr Verkehrsminister, kann natürlich auch ein sehr, sehr positiver Nebeneffekt von Digitalisierung sein, weil vor allem viel PendlerInnenverkehr wegfallen kann. (Bundesminister Leichtfried: Jawohl!)

Bei einigen Branchen wird natürlich Homeworking aufgrund der Natur der Sache nie möglich sein, wie etwa Einzelhandel, Gesundheits- und Pflegebereich oder Bildung. Gerade diese elementare Versorgung ist jedoch in den Regionen meist direkt vertreten oder wird mit einer vernünftig gesteuerten Entwicklung sogar noch viel besser. Wenn nämlich die Landflucht eingedämmt wird, werden wieder mehr Menschen in den der­zeitigen Abwanderungsregionen bleiben, wodurch auch die öffentliche Infrastruktur


BundesratStenographisches Protokoll865. Sitzung / Seite 40

wieder stärker werden wird; Stichwort ÄrztInnenmangel auf dem Land bis hin zur fehlenden Nahversorgung in vielen Gebieten.

Ich habe jetzt ganz viele Vorteile und Chancen aufgezählt, aber wo viel Licht ist, ist auch immer viel Schatten. Es gibt auch viele Risiken bei der Digitalisierung in der Arbeitswelt. Wir haben das hier im Haus ja oft, dass gerade bei neuen Heraus­forde­rungen die gesetzlichen Grundlagen oder Rahmenbedingungen noch nicht passen oder nicht zeitgemäß sind.

Ich habe eingangs gesagt, mit der Digitalisierung könne man arbeiten, egal wo man ist, egal wie spät es ist. Das ist der große Vorteil, aber auch der größte Nachteil oder vielmehr die größte Gefahr! Ständige Erreichbarkeit, ständige Verfügbarkeit am Abend, am Wochenende, im Urlaub, all das nimmt immer mehr zu, die Grenzen zwischen Freizeit und Arbeit verschwimmen immer mehr. Von den ArbeitnehmerInnen wird viel verlangt, und das ist enorm belastend, psychisch und auch physisch. Da braucht es klare Vorgaben im ArbeitnehmerInnenschutz.

Es braucht Arbeitszeitmodelle für Flexibilität – zugunsten und nicht zulasten der ArbeitnehmerInnen –, und es braucht vor allem auch eine Planbarkeit. Man muss also nicht immer flexibel zur Verfügung stehen können. Bisherige Errungenschaften im Arbeit­nehmerInnenschutz dürfen durch die Digitalisierung der Arbeitswelt nicht ausgehöhlt werden. Flexibilität darf nicht heißen, dass man jederzeit, auch am Abend, verfügbar ist oder krank mit Laptop und Handy im Bett liegt.

Ich habe vorhin gesagt, dass es dann vielleicht einmal möglich sein kann, dass kein Pflegeurlaub genommen werden muss, weil es sich auch so gut mit der Arbeit vereinbaren lässt. Das kann eine Option sein, es darf aber nicht verpflichtend sein. Dass man sich voll und ganz dem kranken Kind widmen kann, muss natürlich auch weiterhin in vollem Umfang möglich sein.

Auf keinen Fall darf die Entwicklung wieder einen Rückschritt machen. So wie die Mütter früher die Kinder am Rücken mit aufs Feld genommen haben, wuseln dann die Kinder rund um die Mama, während die Mama am Küchentisch mit dem Laptop ihren digitalen Arbeitsplatz wahrnimmt – also das muss einfach alles klar geregelt sein.

Da habe ich jetzt die gleichen Schlussworte wie mein Vorredner: Die Frage nach der Digitalisierung stellt sich nicht, die Digitalisierung ist da und sie ist unaufhaltsam! Es kommt darauf an, wie wir damit umgehen, wie wir die Digitalisierung in der Arbeitswelt steuern – oder ob wir uns von der Digitalisierung steuern lassen.

Ich bin überzeugt davon, dass dieser Teil der Digitalisierung, den ich gerade umrissen habe, also Digitalisierung in der Arbeitswelt, sehr viele Chancen und Möglichkeiten bietet, Chancen für den ländlichen Raum, für die Vereinbarkeit von Familie und Beruf, für Frauen und gegen Landflucht, für weniger Verkehr und nicht zuletzt natürlich auch für alle ArbeitgeberInnen, weil es da wahnsinnig großes Potenzial für motivierte, zufriedene MitarbeiterInnen gibt, die dann auch Topleistungen bringen.

Die Herausforderung ist es, die Chancen und Vorteile zu nutzen, gewohnte Wege und Denkweisen auch einmal zu verlassen und neu zu denken, aber auch die Risiken ganz klar zu sehen, zu benennen und klare Rahmenbedingungen zu schaffen. Dann steht einer Win-win-Lösung für dieses Thema nichts mehr im Weg. – Danke schön. (All­gemeiner Beifall.)

11.09



BundesratStenographisches Protokoll865. Sitzung / Seite 41

Vizepräsidentin Ingrid Winkler: Zu einer ersten Stellungnahme hat sich Herr Bun­desminister Leichtfried zu Wort gemeldet. Ich ersuche auch ihn, die 10 Minuten Rede­zeit nicht zu überschreiten. – Bitte.

11.09.45

 


Bundesminister für Verkehr, Innovation und Technologie Mag. Jörg Leichtfried: Frau Präsidentin! Geschätzte Damen und Herren! Ich darf mich für die Ausführungen herzlich bedanken. Es ist ja interessant, dass dieses Thema eines ist, bei dem man sich über die Auswirkungen, Risiken und Chancen eigentlich ziemlich einig ist.

Wer hätte vor 15 Jahren gedacht, dass man einmal mit solch einem Ding (ein Mobil­telefon in die Höhe haltend), das kleiner als ein Jausenbrett ist – in diesem Fall ein kleines Jausenbrett, vielleicht für die Fastenzeit (allgemeine Heiterkeit) –, von fast jedem Ort aus mit der ganzen Welt verbunden ist. Man verbringt damit teilweise seine Freizeit, man kann mit anderen schnapsen, seine Arbeit erledigen, mit der Welt kommunizieren.

Es ist eine Entwicklung, die so nicht absehbar war, meine ich, und die eine sehr, sehr faszinierende ist. Die Voraussetzung dafür, dass das alles funktioniert, ist natürlich eine unglaubliche technische Entwicklung, die in einer Geschwindigkeit vor sich geht, die wahrscheinlich auch niemand in dieser Art und Weise vorhersehen konnte.

Wer wie ich in den späten Sechzigerjahren geboren wurde, hat eine Vorstellung von Industrie bekommen, die mit der jetzigen Wirtschaftswelt nichts mehr zu tun hat. Wenn man beispielsweise ein Drahtwerk von damals mit dem jetzt modernsten Drahtwerk Europas in Donawitz vergleicht, so sieht man da Unterschiede, die wirklich unvor­stellbar sind.

Die Grundlage dafür, dass das funktioniert, ist die Digitalisierung, die digitale Trans­formation, zu der es gekommen ist und die auch nicht zu verhindern ist; das haben einige Redner bereits angesprochen. Sie findet statt, ob wir es wollen oder nicht, und es ist unsere gemeinsame Aufgabe, dafür zu sorgen, dass wir die Chancen aus dieser Entwicklung ergreifen und die Risiken verhindern.

Die Chancen sind schon von einigen von Ihnen angesprochen worden. Ich sehe große Chancen in der Wertschöpfung im sogenannten ländlichen Raum. Diese Verbindung, die dadurch geschaffen wird, die Möglichkeit, zu interagieren, sind wahrscheinlich gerade für Regionen, die vorher nicht unbedingt vom Wirtschaftsaufschwung und den damit verbundenen Chancen verwöhnt wurden, eine große Chance.

Dieser Herausforderung, geschätzte Damen und Herren, haben wir uns gemeinsam gestellt, insbesondere dadurch, dass wir uns gemeinsam vorgenommen haben, die Grundlage für diese Möglichkeit zu installieren, nämlich Breitbandinfrastruktur in ganz Österreich zu schaffen.

Wenn man von Digitalisierung spricht, muss man wissen, die Breitbandinfrastruktur ist sicherlich die Basis, die notwendig ist, um das alles machen zu können, die Basis für weitere Entwicklungen wie beispielsweise 5G und Ähnliches. Mit der Breitbandmilliarde haben wir das geschafft und sind auf einem guten Weg, schnelles Internet für ganz Österreich zur Verfügung zu stellen. Wir haben schon Förderzusagen über 200 Millio­nen € gehabt, und insgesamt profitieren schon jetzt 560 000 Österreicherinnen und Österreicher.

Wir haben in der nächsten Phase offene Ausschreibungen im Bereich Access, Backhaul und Leerrohr mit einer Summe von 190 Millionen €. Es sind jedoch nicht wir allein, die das machen, wir haben auch mit privaten Anbietern vereinbart, dass sie diese Summen, die die öffentliche Hand zur Verfügung stellt, verdoppeln. Ich denke, so


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schaffen wir Voraussetzungen, die gerade für den ländlichen Raum immens wichtig sind, um einerseits weiter wirtschaften zu können, aber andererseits auch dafür zu sorgen, dass dort mehr geschehen kann.

Eine weitere Voraussetzung, an der wir bis jetzt sehr gut gearbeitet haben, ist die öffentliche Akzeptanz dieser Entwicklung. Wir sind in Österreich in der einzigartigen – und ich betone: einzigartigen! – Situation, dass wir ein Gremium schaffen konnten, bei dem alle Stakeholder gemeinsam mit den Wirtschaftsvertretern, den Arbeitneh­merinnen und Arbeitnehmern und deren Vertretern diese Dinge vorantreiben können.

Das hat dazu geführt, dass wir im Bereich Industrie 4.0 inzwischen sicherlich zu den europäischen Vorreitern gehören. Wir fördern das auch stark, wir investieren in industrienahe Forschung im Bereich Industrie 4.0 jedes Jahr fast 200 Millionen €. Unsere Pilotfabriken – das ist auch etwas, das es sonst fast nirgendwo gibt – testen diese Anwendungen, und mit den Stiftungsprofessuren, die wir finanzieren, schaffen wir dieses Zusammenarbeiten zwischen öffentlicher Hand auf der einen Seite und Wirtschaft, Wissenschaft und Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern auf der anderen Seite, um da erfolgreich zu bleiben.

Ich habe vorhin von Risiken gesprochen – diese Risiken und nicht so positiven Aus­wirkungen gibt es natürlich auch, und da müssen wir gemeinsam nachdenken, wie damit umzugehen ist. Es wird der Fall sein, dass gerade im Produktionsbereich durch die Auswirkungen der Digitalisierung und Roboterisierung Jobs wegfallen werden, es ist aber auch so, dass dafür andere Jobs entstehen werden. Gerade im Bereich Vorproduktion und im Bereich Verkauf und Marketing wird sehr, sehr viel mehr notwendig sein, wenn die Produkte immer komplizierter werden.

Ich war vor Kurzem bei einer Diskussion von Lehrern einer Handelsakademie, wo das auch zur Sprache kam und man meinte, es muss Menschen geben, die die Brücke schlagen zwischen den Technikern, die die Produkte herstellen, und den Leuten, die die Produkte kaufen wollen, und da haben sehr, sehr viele Menschen Chancen, in diesem Bereich tätig zu werden. Ich selbst bin kein Techniker, und manchmal ver­zweifle ich auch, wenn mir jemand etwas erklären will, was ich nicht verstehe, daher ist es wichtig, dass es jemanden dazwischen gibt. Dafür braucht es aber Qualifikation und Qualifizierung, geschätzte Damen und Herren, und an diesem Qualifizierungs­paket ist natürlich auch zu arbeiten.

Wir haben jedoch aus dieser Entwicklung heraus noch eine große, große Chance, die ich Ihnen nicht vorenthalten möchte, geschätzte Damen und Herren: Wenn man Österreichs Wirtschaftskraft und Möglichkeiten betrachtet, so sieht man, wir haben da ein Asset, auf das wir gerade im Bereich der Digitalisierung wirklich stolz sein können.

Wir sind in der Mikroelektronikbranche sehr gut aufgestellt, und gerade da müssen wir auch danach trachten, dass es nicht nur so bleibt, sondern dass wir noch besser und stärker werden. Wir haben deshalb die Initiative Silicon Austria ins Leben gerufen, mit der wir unter anderem einen Mikroelektronik-Cluster schaffen werden, der europaweite, wenn nicht weltweite Bedeutung haben wird. Ich denke, damit sind wir auf einem guten Weg, die Chancen zu ergreifen. (Beifall bei SPÖ und ÖVP.)

Geschätzte Damen und Herren! Man kann den Sonnenaufgang nicht verhindern – man kann ihn nur nützen. Man kann die Digitalisierung nicht verhindern, sie findet auf jeden Fall statt, man kann sie ebenfalls nur nützen, und das ist unsere gemeinsame Auf­gabe. – Herzlichen Dank. (Allgemeiner Beifall.)

11.18



BundesratStenographisches Protokoll865. Sitzung / Seite 43

Vizepräsidentin Ingrid Winkler: Danke, Herr Bundesminister.

Ich mache darauf aufmerksam, dass die Redezeit aller weiteren RednerInnen in der Aktuellen Stunde gemäß Beratung in der Präsidialkonferenz 5 Minuten nicht über­steigen darf.

Zu Wort gemeldet ist nun Herr Bundesrat Schennach. – Bitte.

 


11.18.26

Bundesrat Stefan Schennach (SPÖ, Wien): Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr geschätzter Herr Bundesminister! Das ist eine sehr ausgewogene, zum Nachdenken anregende Debatte, und ich glaube, Herr Jenewein wird es verkraften, wenn ich sage, vieles an seiner Rede war richtig. Ich unterstreiche vor allem, was Günther Novak gesagt hat: Digitalisierung bietet natürlich viele Chancen und Möglichkeiten dafür, dass man auf dem Land und in den Regionen leben kann, am Leben teilhaben kann, dass die Abwanderung gestoppt wird und die Frauen im Dorf bleiben, weil es auch andere Alternativen gibt.

Das grundsätzliche Problem ist ja: Derzeit setzt die Technologie Entscheidungen, und die Politik hinkt nach. Die Technologie rast also mit dem Tempo eines Ferraris, und wir in der Politik sitzen auf dem Traktor und versuchen, dem Ferrari nachzufahren, um rechtliche Grundlagen festzulegen.

Natürlich ist eines wichtig – da muss ich Frau Präsidentin Zwazl ansprechen –, doch es wird uns nichts nützen, wenn man nur sagt: Fürchtet euch nicht!, denn körperliche Belastungen und einfache Tätigkeiten nehmen ab. Das sagt sich so einfach. Dieses Abnehmen heißt jedoch, dass ganz viele Arbeitsplätze verloren gehen und in bestimm­ten Bereichen Verwerfungen stattfinden, die nicht alle positiv sind.

Wir müssen politisch entscheiden: Ist die Digitalisierung nur Automatisierung – Auto­matisierung bedeutet weniger Menschen und mehr Maschinen in den Betrieben – und Gewinnmaximierung oder ist sie Hilfsmittel?

Nehmen wir zum Beispiel den ländlichen Raum her – Kollege Preineder ist gerade nicht da –: Es ist eine sehr gute Sache, dass jede Kuh ihren Chip bekommt und jeder Bauer und jede Bäuerin – mittlerweile haben wir ja schon mehr Bäuerinnen – am Computer nachschauen kann, wie es Susi, Marie und Lisi geht, weil der Chip eine Funkverbindung zum Computersystem herstellt. Da hilft die Digitalisierung, das ist etwas Positives.

Kommen wir zu den Supermärkten, die bald ohne Menschen auskommen! Bald kom­men wir auch ohne die Supermärkte aus, da die Supermärkte ja eigentlich schon online sind. Wenn der Transport auf das Land nicht mehr mit dem Lkw, sondern mit Drohnen passiert, dann fehlt mir schön langsam der gesamte zwischenmenschliche Kontakt.

Wir haben das Jahr der Pflege, wie unsere Frau Präsidentin erklärt hat. Das, was derzeit ganz stark vorbereitet wird, ist der Einsatz von Robotern in der 24-Stunden-Pflege und in der Krankenpflege. Das kommt, und dazu gibt es ganz konkrete Überlegungen: Roboter Julia ist immer gleich gut aufgelegt und macht bei der Medi­kation keine Fehler.

Wir haben sozusagen auch eine Armut, gleichzeitig aber gibt es Vielfalt. Sitzt man irgendwo im hintersten Winkel, wo es weit und breit kein Kino gibt, macht YouTube es möglich, dass man kulturell dabei ist, dass man sich weiterbildet, sozial interagiert.


BundesratStenographisches Protokoll865. Sitzung / Seite 44

Selbst eine kleine, erzeugende Einpersonenfirma im letzten Ort des Tales kann ihre kleinen Produkte weltweit in Echtzeit vermarkten.

Wenn mein Sohn zum Beispiel zu seiner Oma ins Tiroler Außerfern fährt, dann borgt er sich ein Auto aus – weil die Jugend kein eigenes Auto mehr braucht –, geht sofort auf Plattformen, und hat zack, zack, zack Einmietungen in sein Auto, verdient auf der Fahrt nach Tirol, transportiert sogar Personen ins Ötztal und nach Landeck, und kommt dann mit einem Plus an Geld bei der Oma im Außerfern an. Das Auto ist gleich wieder weg, schon kommt das nächste Auto – und zack, es werden wieder Personen über Internet­plattformen eingeladen, nach Wien mitgenommen, und wieder ergibt das ein kleines Plus. Das ist die Realität. Die ÖBB haben verloren, in der Stadt verliert das Taxi.

Das heißt: Wir haben neue Gewerbeformen, deshalb brauchen wir in der Politik Para­meter; wir müssen der Technologie Bestimmungen auferlegen.

Es gibt eine wichtige Frage, die die Wirtschaft derzeit noch mit Nein beantwortet: Es wird weniger Arbeitsplätze geben. Für die USA wird mit 47 Prozent weniger Arbeits­plätzen, die durch die Digitalisierung verloren gehen, gerechnet. Es werden neue dazukommen. Als ehemaliger EU-Abgeordneter weiß Herr Minister Leichtfried ganz genau, dass wir über die Digitalisierung 4 Millionen neue Jobs in Europa bekommen werden, aber auch welche verlieren werden.

Dann stellt sich noch die Frage: Wie finanzieren wir unsere Staatshaushalte? Es geht darum, Steuern für diese Technologie zu erfinden. Das heißt: Robotertechnik muss besteuert werden, und Unternehmen dürfen keine Schlupflöcher haben, denn wenn sich beide Seiten entziehen – Arbeitnehmer und Arbeitnehmerinnen sind nicht vor­handen und zahlen keine Steuern, und die Unternehmen zischen in Steuerparadiese ab –, dann kann der Staat seine Grundaufgaben nicht mehr erfüllen.

Ja zur Digitalisierung, wir sind ja mittendrin, es muss uns nur eines klar sein: Wir sitzen auf dem Traktor, die Technologie hat einen Ferrari, und es wird unglaublich schwierig sein, entsprechende Gesetze, die Parameter setzen, noch einzupflocken. – Danke schön. (Beifall bei der SPÖ sowie bei Bundesräten der ÖVP.)

11.24


Vizepräsidentin Ingrid Winkler: Als Nächster zu Wort gemeldet ist Herr Bundesrat Poglitsch. – Bitte, Herr Bundesrat.

 


11.24.19

Bundesrat Christian Poglitsch (ÖVP, Kärnten): Frau Präsidentin! Meine sehr geehr­ten Damen und Herren! Geschätzte Kolleginnen und Kollegen des Bundesrates! Es waren bisher durchaus auch kritische Stimmen zur Digitalisierung zu hören, die auch sicherlich angebracht sind, aber, und das sage ich ganz offen, die Digitalisierung pas­siert einfach. Ob wir dabei sind oder nicht oder ob es uns passt oder nicht, die Digitalisierung ist mit einer hohen Geschwindigkeit unterwegs, sodass wir maximal darauf reagieren können. Das möchte ich auch hier einmal in den Raum stellen.

Ich möchte dem, was zum Schluss gesagt wurde, was die Arbeitswelt und das persönliche Umfeld in der Digitalisierung betrifft, etwas hinzufügen: Ich glaube, die Politik wird da immer etwas hinterher sein. Ich glaube, dass die Eigenverantwortung jedes einzelnen Menschen in den Vordergrund gestellt werden muss. Nämlich: Wie geht er mit dem Thema Digitalisierung um? Wie geht er damit im Privatleben – da hat jeder die Möglichkeit, das für sich selbst zu gestalten; in der Arbeitswelt wird er es schwer tun können – um?

Ich führe noch einen Punkt an, um zu zeigen, was Digitalisierung bedeutet: Im Jahr 2020 werden mehr als dreimal so viele Endgeräte online sein, wie es Menschen auf der Welt gibt. Das muss man sich einmal vorstellen, damit wir wissen, wie schnell


BundesratStenographisches Protokoll865. Sitzung / Seite 45

und wie rasch das jetzt vorangetrieben wird. Ich sehe das nicht als Gefahr, ich sehe es eher als eine Chance, speziell für uns in den Gemeinden des ländlichen Raumes. Das ist eine riesige Chance. Wie hätte noch vor zwanzig Jahren ein Konsument den ländlichen Raum erreichen können? – Nur dann, wenn er dort hingefahren wäre.

Jetzt sind der ländliche Raum, die Firmen und die Gemeinden, die wir alle unterstützen wollen, für den Konsumenten und auch für den Tourismus erreichbar. Wie hätte ein Hotel im ländlichen Raum vor zwanzig Jahren Buchungen lukrieren können, ohne Unsummen an Geld auf dem Markt draußen, auf Messen auszugeben? Wenn der Hotelier heute mit einer Homepage im Internet vertreten ist und auf Buchungs­platt­formen verankert ist, dann ist das für ihn eine riesige Chance, auch in den entlegenen Tälern und Gemeinden Wirtschaft zu betreiben. Das ist die riesige Chance für uns, und die sollten wir nutzen.

Jetzt spreche ich als Bürgermeister: Das ist natürlich für uns Bürgermeister auch eine Aufgabe. Uns muss schon bewusst sein, dass wir Infrastruktur schaffen müssen, um zu gestalten. Das muss der Bürgermeister in erster Linie zur Chefsache erklären und seine Gemeinde mit den Kolleginnen und Kollegen des Gemeinderates entsprechend gestalten.

Wo, wann und wie wollen wir den Glasfaserausbau in den Gemeinden vorantreiben? Man muss nicht überall sein, es soll ja auch digitalisierungsfreie Räume geben, auch die kann man definieren. Aber, und das sage ich ganz offen, wo Tourismus stattfindet – und das ist in meiner Gemeinde der Fall – und wo Wirtschaft, Gewerbe, Industrie und Handwerk stattfinden, dort müssen wir ausbauen. Man muss dort nicht nur das Glasfaserkabel oder die Leerverrohrung hineinlegen, sondern wir brauchen auch die Splitter, von denen das Signal abgezweigt wird. Und wie kommt es zu den Firmen? – Gerade die letzten Meter zu den Betrieben sind unglaublich wichtig, auch da sind die Gemeinden und die öffentliche Hand und vor allen Dingen auch die Politik dringend gefordert.

Wichtig ist, dass es dafür 1 Milliarde € an Förderungen gibt, die wir nutzen müssen. Das wird aber nicht reichen. Wir werden die Förderungen ausweiten müssen, es wird mehr Geld zur Verfügung gestellt werden müssen, die Gemeinden allein werden das nicht schaffen. Im Gemeinderat meiner Gemeinde wurde ein Masterplan beschlossen: Wir bauen das Glasfasernetz massiv aus, aber wir bauen es klug aus. Wir haben uns Profis geholt, die uns genau erklären, wo die Reise hingeht, wo wir was brauchen werden. Nicht alles ist auf Glasfaser zurückzuführen: Auch das neue 5G-Netz, auch die LTE-Geschichten muss man sich überlegen.

In den Gemeinden herrscht, wenn es einen Sendeturm geben soll, oft Widerstand. Jeder will sein Smartphone in der Hand haben, jeder will überall Informationen herun­terladen, aber niemand will die Masten in seinem Lebensraum haben. Das ist die Problematik, vor der wir stehen; da ist die Industrie gefordert. In den USA werden bereits Sendemasten in Lampen verbaut, sodass man sie nicht mehr sieht. Das Problem ist die Sichtbarkeit: Auch wenn die neue Technik viel, viel weniger Strahlung erzeugt als die alte, will der Mensch das nicht in seinem persönlichen Umfeld haben. Es ist wieder Aufgabe der Gemeinden, des Bürgermeisters, einen Konsens zu finden, wenn es darum geht: Wie baue ich aus? Wo wird gebaut?

Digitalisierung passiert einfach, wir werden ihr nie – ich sage einmal gesetzlich – Einhalt gebieten können, damit die Menschen draußen es auch angenehm haben.

Unser Herr Staatssekretär Mahrer hat beim Konjunkturforum in Velden einen super Vergleich herangezogen. Er hat nämlich gesagt, wenn wir den Prozess der Digitalisie-


BundesratStenographisches Protokoll865. Sitzung / Seite 46

rung mit einem fünfgängigen Menü vergleichen, dann sind wir gerade beim Gruß aus der Küche. – Das zum Abschluss.

Alles, alles Gute – wenn wir es gemeinsam angehen, werden wir auch gemeinsam gestalten. (Beifall bei ÖVP und SPÖ sowie der Bundesrätin Reiter.)

11.29


Vizepräsidentin Ingrid Winkler: Als Nächster zu Wort gemeldet ist Herr Bundesrat Krusche. – Bitte.

11.29.39

 


Bundesrat Gerd Krusche (FPÖ, Steiermark): Hohes Präsidium! Sehr geehrter Herr Bundesminister! Sie sind ja wirklich ein Glückspilz (Bundesminister Leichtfried: Das war mir noch nicht bewusst! – Ruf bei der FPÖ: Aber nur heute!), das ist heute ein Thema, das keine Bühne für parteipolitische Auseinandersetzungen in sich birgt. Alle Redner, die bisher gesprochen haben, haben in dasselbe Horn gestoßen. Ich kann alles bisher Gesagte, sogar das von Frau Kollegin Schreyer, durchaus unterschreiben. (Allgemeine Heiterkeit und Beifall. – Bundesrätin Schreyer: Oh!)

Wir alle waren uns bisher einig, dass Digitalisierung ein Faktum ist und wir quasi die Getriebenen sind und das Beste daraus machen müssen. Kollege Schennach hat das Beispiel mit dem Ferrari und dem Traktor gebracht – der Digitalisierungsferrari braust davon und wir tuckern mit dem Traktor hinterher –, und wenn wir bei diesem Beispiel bleiben, wird klar, dass auch der Ferrari eine Straße braucht, um uns davonfahren zu können. So gesehen ist es Aufgabe der Politik, die entsprechenden Straßen in Form von Verkehrsregeln zu schaffen, damit dieser Ferrari seine Freude am Fahren nicht verliert und sich in geregelten Bahnen und in die Richtung, in der wir ihn haben wollen, bewegen kann. (Beifall bei der FPÖ.)

Unbestritten ist auch der Umbruch in der Kommunikation und im Arbeitsleben, der mehrfach betont wurde. Die zunehmende Vernetzung führt natürlich zu einer ver­stärkten Arbeitsteilung in der Wertschöpfung. Die zeitliche und personelle Allokation von Arbeit wird weiter zunehmen und die Mobilität der Arbeit wird auch zu einer Art Virtualisierung der Arbeit führen. Wir wissen nicht, wie viele Arbeiter die Fabrik 4.0 in Zukunft haben wird.

Es ist auch gesagt worden, dass unbestritten sei, dass Jobs – dazu gibt es Studien­ergebnisse, von denen sich die meisten in der Größenordnung von bis zu 45 Prozent bewegen – verloren gehen werden, vor allem natürlich Jobs von Menschen mit gerin­ger Qualifikation. Wir wissen nicht, wie viele neue Jobs in den Bereichen Entwicklung, Konstruktion, Datensysteme und Software geschaffen werden, aber unbestritten ist, dass das Herausforderungen an das Bildungssystem stellen wird.

Auch die Chancen der Regionen wurden meiner Meinung nach von allen vollkommen richtig dargestellt. Wenn jemand seinen Job auf der Terrasse, quasi im Grünen, erle­digen kann, der Kühlschrank selbständig bestellt, das Schnitzel mit der Drohne kommt und er neben dieser Arbeit noch auf die Kinder aufpassen kann, so ist das natürlich eine Chance für die Regionen.

Die technischen Herausforderungen, die mit der Schaffung der nötigen Infrastruktur verbunden sind und die vor allem Ihr Ministerium betreffen, Herr Minister Leichtfried, wurden vor allem von Herrn Kollegen Novak, aber auch von anderen Rednern bereits ausführlich erläutert.


BundesratStenographisches Protokoll865. Sitzung / Seite 47

Ein Punkt, der vielleicht noch nicht erwähnt worden ist, ist die große Herausforderung, die im sozialen Bereich auf uns zukommt. Vor zwanzig Jahren war es unumgänglich, Menschen zu treffen, um Kontakte aufzubauen, um mit ihnen zu kommunizieren. Heute muss ich mein Haus gar nicht mehr verlassen, um kommunizieren zu können. Das ist dann aber leider meistens bruchstückhaft und belanglos, da die wesentliche nonver­bale Kommunikation durch Emojis ersetzt wird. Diese Situation führt zu einer schleichen­den Vereinsamung und teilweise – da gibt es Studien unter Jugendlichen – zu asozialem und manchmal gar zu aggressivem Verhalten. Die virtuelle Welt selbst wird auch zunehmend aggressiver – die Schlagworte Cybermobbing und Cyber­grooming nur als Beispiele. Der philosophische Diskurs darüber sagt einerseits, die Digitalisierung sei eine wachsende Gefahr für das Miteinander, und die anderen sagen wiederum, es sei erhöhtes Potenzial für Offenheit und Toleranz durch diese Form der Kommunikation gegeben.

Herr Minister, Sie werden jetzt sagen, das geht Sie als Infrastrukturminister nichts an. (Bundesminister Leichtfried: Nein, das würde ich nicht sagen!) Das ist schon richtig, das betrifft den Sozialminister, aber ich möchte damit zum Ausdruck bringen, dass das Thema der Digitalisierung ein interdisziplinäres ist, das man nicht schubladisiert aus einzelnen Bereichen betrachten kann. Hier sind wir alle gefordert – wir haben es heute schon einmal gehört –, gemeinsam die entsprechenden Entscheidungen zu treffen, um in eine gedeihliche digitale Zukunft zu kommen. (Beifall bei der FPÖ und bei Bundes­räten von ÖVP und SPÖ.)

11.35


Vizepräsidentin Ingrid Winkler: Mit den Ausführungen des Kollegen Krusche ist die Aktuelle Stunde beendet.

11.35.16Einlauf und Zuweisungen

 


Vizepräsidentin Ingrid Winkler: Hinsichtlich der eingelangten, vervielfältigten und verteilten Anfragebeantwortungen 2958/AB-BR bis 2965/AB-BR sowie

eines Schreibens des Bundeskanzlers betreffend Enthebung des Bundesministers Alois Stöger vom Amte der Fortführung der Verwaltung des Bundesministeriums für Gesundheit und Frauen bei gleichzeitiger Ernennung von Sektionschefin Privatdo­zentin Dr. Pamela Rendi-Wagner zur Bundesministerin für Gesundheit und Frauen durch Entschließung des Herrn Bundespräsidenten gemäß Artikel 70 Abs. 1 Bundes-Verfassungsgesetz

verweise auf die im Sitzungssaal verteilten Mitteilungen gemäß § 41 Abs. 1 der Ge­schäftsordnung des Bundesrates, die dem Stenographischen Protokoll dieser Sitzung angeschlossen werden.

Die schriftlichen Mitteilungen haben folgenden Wortlaut:

Liste der Anfragebeantwortungen (siehe S. 7)

*****

Schreiben des Herrn Bundeskanzlers betreffend Amtsenthebung von Mitgliedern der Bundesregierung und der Staatssekretärin im Bundeskanzleramt gemäß Artikel 74 Abs. 3 B-VG und gleichzeitige Ernennung von Mitgliedern der Bundesregierung und der Staatssekretärin im Bundeskanzleramt gemäß Artikel 70 Abs. 1 B-VG beziehungsweise gemäß Artikel 70 Abs. 1 B-VG in Verbindung mit Artikel 78 Abs. 1 B-


BundesratStenographisches Protokoll865. Sitzung / Seite 48

VG sowie Artikel 70 Abs. 1 B-VG in Verbindung mit Artikel 78 Abs. 2 B-VG durch den Herrn Bundespräsidenten:

 

*****

11.36.27Einlauf und Zuweisungen

 


Vizepräsidentin Ingrid Winkler: Eingelangt ist und dem Ausschuss für Verkehr zur Vorberatung zugewiesen wurde der Gemeinschaftliche Leistungsbericht 2015, III-618-BR/2017 der Beilagen.

11.36.47Antrag gemäß § 16 Abs. 3 GO-BR

 


Vizepräsidentin Ingrid Winkler: Ich gebe bekannt, dass von den Bundesräten Sonja Ledl-Rossmann, Reinhard Todt, Monika Mühlwerth, Nicole Schreyer, Kolleginnen und Kollegen gemäß § 66 der Geschäftsordnung des Bundesrates der Selbständige An-


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trag 224/A-BR/2017 auf Abhaltung einer parlamentarischen Enquete zum Thema „Die Zukunft der Pflege: Schaffbar, sichtbar, leistbar“ eingebracht wurde.

Des Weiteren wurde gemäß § 16 Abs. 3 der Geschäftsordnung des Bundesrates bean-tragt, diesen Selbständigen Antrag ohne Ausschussvorberatung in Verhandlung zu nehmen.

Ich lasse daher über den Antrag der Bundesräte Ledl-Rossmann, Todt, Mühlwerth, Schreyer, Kolleginnen und Kollegen, den gegenständlichen Selbständigen An-trag 224/A-BR 2017 auf Abhaltung einer parlamentarischen Enquete gemäß § 16 Abs. 3 der Geschäftsordnung des Bundesrates ohne Vorberatung durch einen Ausschuss unmittelbar in Verhandlung zu nehmen, abstimmen.

Hiezu ist eine Mehrheit von mindestens zwei Dritteln der abgegebenen Stimmen erforderlich.

Ich bitte jene Bundesrätinnen und Bundesräte, die dem vorliegenden Antrag ihre Zustimmung geben, um ein Handzeichen. – Das ist Stimmeneinhelligkeit. Der Antrag, den Selbständigen Antrag 224/A-BR/2017 ohne Vorberatung durch einen Ausschuss unmittelbar in Verhandlung zu nehmen, ist somit mit der erforderlichen Zweidrittel­mehrheit angenommen.

Ich werde daher die Tagesordnung um den Antrag 224/A-BR/2017 ergänzen und als 13. Tagesordnungspunkt in Verhandlung nehmen.

*****

Weiters eingelangt sind und den zuständigen Ausschüssen zugewiesen wurden jene Beschlüsse des Nationalrates beziehungsweise jene Berichte sowie jener Antrag, die beziehungsweise der jeweils Gegenstand der heutigen Tagesordnung sind bezie­hungsweise ist. Die Ausschüsse haben ihre Vorberatungen abgeschlossen und schrif­tliche Ausschussberichte erstattet.

Ich habe die zuvor genannten Verhandlungsgegenstände sowie den Antrag 224/A-BR 2017 auf die Tagesordnung der heutigen Sitzung gestellt.

Wird zur Tagesordnung das Wort gewünscht? – Es ist dies nicht der Fall.

Behandlung der Tagesordnung

 


Vizepräsidentin Ingrid Winkler: Aufgrund eines mir zugekommenen Vorschlages beabsichtige ich, die Debatte über die Tagesordnungspunkte 7 bis 9 unter einem durchzuführen.

Erhebt sich dagegen ein Einspruch? – Das ist nicht der Fall. Wir werden daher so vorgehen.

11.40.051. Punkt

Jahresvorschau des BMVIT 2017 auf der Grundlage des Legislativ- und Arbeits­programmes der Kommission sowie des operativen Jahresprogrammes des Rates (III-616-BR/2017 d.B. sowie 9735/BR d.B.)

 


Vizepräsidentin Ingrid Winkler: Wir gehen in die Tagesordnung ein und gelangen zu deren ersten Punkt.

Berichterstatter ist Herr Bundesrat Novak. – Ich bitte um den


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Bericht.

 


11.40.21

Berichterstatter Günther Novak: Frau Präsidentin! Herr Bundesminister! Werte Damen und Herren! Ich bringe den Bericht des Ausschusses für Verkehr über die Jahresvorschau des BMVIT 2017 auf der Grundlage des Legislativ- und Arbeitspro­grammes der Kommission sowie des operativen Jahresprogrammes des Rates (III-616-BR/2017 d.B.).

Der Bericht liegt Ihnen in schriftlicher Form vor; ich komme daher sogleich zur Antrag­stellung.

Der Ausschuss für Verkehr stellt nach Beratung der Vorlage am 14. März 2017 den Antrag, die Jahresvorschau des BMVIT 2017 auf der Grundlage des Legislativ- und Arbeitsprogrammes der Kommission sowie des operativen Jahresprogrammes des Rates (III-616-BR/2017 d.B.) zur Kenntnis zu nehmen.

 


Vizepräsidentin Ingrid Winkler: Ich danke für die Berichterstattung.

Zu Wort gemeldet ist als Erster Herr Bundesrat Pfister. – Bitte, Herr Kollege.

 


11.41.05

Bundesrat René Pfister (SPÖ, Niederösterreich): Liebe Frau Präsidentin! Herr Bun­desminister! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Die Jahresvorschau 2017 des BMVIT beinhaltet unter anderem die Umsetzung des Internationalen Übereinkommens über die Emissionen von Flugzeugen, und es ist mir ein Anliegen, darauf näher einzugehen.

Die ICAO-Vollversammlung aus dem letzten Jahr, aus 2016, hat ein wesentliches Ziel beschlossen, nämlich die Reduktion von CO2-Emissionen in der internationalen Luftfahrt.

Das CORSIA-System – Carbon Offsetting and Reduction Scheme for International Aviation – ist ein Offsettingsystem, bei dem nicht wie im Emissionshandel eigene Zertifikate ausgeben werden, sondern die CO2-Emissionen durch den Kauf von bereits auf dem Markt befindlichen Zertifikaten kompensiert werden. Verschiedene Aus­nahmen und ein langfristiger Zeitplan wurden da auch gemeinsam beschlossen.

Der einzige Wermutstropfen dabei ist, dass zwar alle Staaten, die bei der ICAO-Vollversammlung anwesend waren, nämlich insgesamt 66, sich dazu bekannt haben, es aber leider zwei Ausnahmen gibt, nämlich Indien und Russland, die diese Verein­barung nicht umsetzen wollen.

Hier gilt es, lieber Herr Minister Leichtfried, auch im Jahr 2017 Druck zu machen beziehungsweise daran zu arbeiten, dass auch diese beiden Länder sich zu diesen Zielen bekennen. Gerade diese beiden Länder sollte man auch mit ins Boot holen, um diesen Fahrplan gemeinsam auch umzusetzen. Es darf nicht sein, dass jene Airlines, die sich dazu bekennen, einen Nachteil gegenüber jenen haben, welche sich nicht zu diesem Abkommen bekennen.

Wenn es um Wettbewerb und Verringerung der CO2-Emissionen geht, ist ein Projekt besonders zu erwähnen, das nicht irgendein Vorhaben ist, sondern das einen wich­tigen Jobmotor darstellt, weil es da auch um Wachstum und Beschäftigung geht. Ich meine damit den Bau der dritten Piste in Schwechat. Da heißt es für uns alle, daran zu arbeiten, dass dieses Projekt auf Schiene gebracht wird und dass wir den Bau der dritten Piste auch durchsetzen können, denn 1 Million mehr Passagiere in Schwechat bedeuten circa 1 000 Arbeitsplätze mehr in der Ostregion.

Liebe Kolleginnen und Kollegen! Der große Bereich Verkehr, der in dieser Jahres­vorschau 2017 angeführt ist, betrifft unter anderem die Überarbeitung der Richtlinie für die Festlegung gemeinsamer Regeln für bestimmte Beförderungen im Kombinierten Verkehr zwischen den Mitgliedstaaten. Da geht es vor allem um die Steigerung von Effizienz und Wirksamkeit.


BundesratStenographisches Protokoll865. Sitzung / Seite 51

Das ist natürlich auch von unserer Seite her zu begrüßen, es ist aber auch darauf zu achten, dass es im Zuge von Straßenbenützungsgebühren und Zöllen oder Strafzöllen, die da angedacht sind oder zumindest diskutiert werden, nicht zu Benachteiligungen von Mitgliedstaaten kommt. Meine konkrete Bitte oder Frage in diesem Zusam­menhang ist, was nun der letzte Stand in den Diskussionen um die deutsche Pkw-Maut ist beziehungsweise welche Ergebnisse in den Gesprächen bis jetzt erzielt wurden.

Ein wichtiger Punkt in der Jahresvorschau 2017 sind Ausbildung, Qualifikation und Lizenzen im Straßenverkehr. Aufgrund von Bewertungen im Jahr 2016 hat man sich entschlossen, die Richtlinie über die Grundqualifikation und die Weiterbildung der Fahrer bestimmter Kraftfahrzeuge für den Güter- und Personenverkehr zu überar­beiten. Es muss gemeinsam an einer gegenseitigen Anerkennung von Weiterbildungs­bescheinigungen innerhalb des europäischen Raumes gearbeitet werden. Es muss auch eine Konkretisierung der sogenannten Handwerkerregelung geben: Was ist die Hauptbeschäftigung: Ist es das Lenken des Fahrzeuges? Und was ist das Material, das der Lenker für die Ausübung seines Berufes braucht?

Wichtig für uns sind auch die Sozialvorschriften im Straßenverkehr. Die Überarbeitung der Verordnung und der Richtlinie zum Zweck der Gewährleistung gleicher Bedin­gungen für Straßenverkehrsunternehmen sowie angemessener Arbeitsbedingungen ist eine wichtige Folgemaßnahme. Man hat erkannt, dass es Handlungsbedarf gibt, und die Ergebnisse werden in den nächsten Monaten erwartet.

Diese Initiative muss aber unbedingt im Hinblick auf die Verbesserung der Straßen­verkehrssicherheit, zur Vermeidung von Wettbewerbsverzerrungen sowie im Hinblick auf die Verbesserung von Arbeitsbedingungen für Lenkerinnen und Lenker begrüßt werden. Es sollte für uns ein Schwerpunkt sein, da wirklich auch Standards einzu­führen, die nicht nach unten nivelliert werden, sondern sich an den Besten orientieren.

Es geht um Verbesserungen der Straßenverkehrssicherheit durch weniger Übermü­dung der Fahrerinnen und Fahrer. Es geht auch darum, Wettbewerbsverzerrungen zwischen Marktteilnehmern zu unterbinden, und auch darum, Verbesserungen der Arbeitsbedingungen für die Fahrerinnen und Fahrer zu erwirken. Es soll mehr und bessere Kontrollen durch die Mitgliedstaaten geben und es soll zu einer besseren Arbeitspraxis innerhalb des Straßenverkehrsgewerbes beigetragen werden. Das ist aus unserer Sicht auch dringend notwendig, da es in diesem Bereich immer wieder zu Lohn- und Sozialdumping kommt.

Einen weiteren wichtigen Punkt in der Jahresvorschau 2017 stellen der Bereich der Telekommunikation sowie das Erweitern des Frequenzbandes 470 bis 790 MHz innerhalb der Europäischen Union dar. Diese Frequenzbandbreite eignet sich im Bereich der Digitalisierung und Technologisierung hervorragend für die Versorgung des ländlichen Raums und muss dort auch vorangetrieben werden, damit mit den Nachbarstaaten koordiniert und auf Basis einer rechtlichen Grundlage mit der Arbeit begonnen werden kann.

Lieber Herr Minister Leichtfried! Erwähnenswert ist, dass am Dienstag im Verkehrs­ausschuss über die Jahresvorschau 2017 sehr umfangreich diskutiert wurde. An dieser Stelle darf ich ein Lob an Herrn Mag. Schimanofsky aussprechen, der alle unsere Fragen hervorragend, salopp gesagt 1a, beantwortet hat.

Mit dieser Jahresvorschau 2017 liegt uns ein umfangreiches Arbeitsprogramm vor, und dieses unterstützen wir sehr gerne, lieber Herr Minister! (Beifall bei der SPÖ.)

11.47


Vizepräsidentin Ingrid Winkler: Als Nächster zu Wort gemeldet ist Herr Bundesrat Forstner. – Bitte, Herr Kollege.

 



BundesratStenographisches Protokoll865. Sitzung / Seite 52

11.47.33

Bundesrat Armin Forstner, MPA (ÖVP, Steiermark): Geschätzte Frau Präsidentin! Herr Minister! Geschätzte Kolleginnen und Kollegen! Die Europäische Kommission und die EU-Ratspräsidentschaften kündigen eine Reihe von Maßnahmen im Verkehrs­bereich für das Jahr 2017 an. Das Arbeitsprogramm der Kommission für 2017 wurde im Oktober 2016 vorgelegt. Auf Basis dessen und des 18-Monatsprogramms des Rates wurde die Jahresvorschau des Bundesministeriums für Verkehr, Innovation und Technologie erstellt.

In der Strategie für die Energieunion hat die Kommission die wesentlichen Maßnahmen dargelegt, die erforderlich sind, um Europas Energieversorgung sicherzustellen und seine Importunabhängigkeit zu verringern. Mit dieser Strategie werden Maßnahmen zur Reduktion von CO2-Emissionen von Pkw und leichten Nutzfahrzeugen sowie eine schrittweise Umstellung auf emissionsfreie Fahrzeuge gefördert. Um Planungs­sicher­heit für die Industrie zu schaffen und langfristige Ziele zu erreichen, ist eine konkrete Festlegung von Zielwerten aus österreichischer Sicht erst nach dem Jahr 2020 sinnvoll.

Das wesentlichste Ergebnis der Vollversammlung der Internationalen Zivilluft­fahrt­organisation ICAO im Herbst 2016 war der Beschluss eines globalen marktbasierten Systems, GMBM, zur Reduktion von CO2-Emissionen der internationalen Luftfahrt. Die Pilotphase von CORSIA – so nennt sich dieses System – startet im Jahr 2021 und dauert zwei Jahre. Sowohl an der Pilotphase als auch an der ersten Phase, und zwar in den Jahren 2024 bis 2026, kann man freiwillig teilnehmen. Danach folgt eine für alle Staaten verpflichtende zweite Phase, nämlich in den Jahren 2027 bis 2035. Die Wirksamkeit dieses Systems wird alle drei Jahre – auch im Hinblick auf das Erreichen der Klimaziele des Pariser Abkommens – überprüft.

Der Resolution zur Errichtung des Systems haben alle in der Vollversammlung der Zivilluftfahrtorganisation anwesenden Staaten, mit Ausnahme von Russland und Indien, zugestimmt. 66 Staaten haben bereits ihre Bereitschaft bekundet, an der Pilot­phase teilzunehmen. Damit können rund 80 Prozent der Emissionen, die über den prognostizierten Werten von 2020 liegen, kompensiert werden.

Neben den Arbeiten auf der Ebene der Zivilluftfahrtorganisation hat die Europäische Kommission für das erste Quartal 2017 ein Maßnahmenpaket angekündigt. – Das wurde von Kollegen René Pfister auch ausführlich erklärt. Übrigens gibt es zum Bau der dritten Landepiste in Schwechat auch von mir die volle Zustimmung, das unter­schreibe auch ich.

Die Europäische Kommission plant 2017 auch eine Reihe von REFIT-Initiativen. Das ist das Programm zur Gewährleistung der Effizienz und Leistungsfähigkeit. Den ange­kündigten Überarbeitungen der Richtlinien zum Kombinierten Verkehr und zu Aus­bildung, Qualifikation und Lizenzen im Straßenverkehr steht Österreich positiv gegen­über. Zurückhaltender ist die österreichische Position, was die Überarbeitung der Verordnungen über ein besseres Funktionieren des Marktes für den Kraftomnibus­verkehr betrifft.

Grundsätzlich wird diese zwar positiv gesehen, doch sollte dabei keine Liberalisierung der Bestimmungen zur sogenannten Kabotagebeförderung, das ist die Erbringung von Transportdienstleistungen, erfolgen, heißt es aus dem BMVIT. Unklarheiten in der Frage der Kabotage und möglicherweise geplante Liberalisierungen in diesem Bereich sind auch der Grund dafür, dass Österreich der angekündigten Überarbeitung von zwei Verordnungen über den Zugang zum Güterverkehrsmarkt der EU sehr kritisch gegen­übersteht. Vielmehr sollten zuerst die Anwendung und die Effizienz der bestehenden


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Bestimmungen sichergestellt werden, heißt es dazu aus dem Bericht des Verkehrs­ministeriums.

Begrüßenswert ist aus österreichischer Sicht hingegen eine Überarbeitung der Ver­ordnungen und Richtlinien zu Sozialvorschriften im Straßenverkehr. Damit sollen die Straßenverkehrssicherheit und die Arbeitsbedingungen für Fahrerinnen und Fahrer verbessert und die Wettbewerbsverzerrungen zwischen den Marktteilnehmern be­kämpft werden. Positiv sieht Österreich auch eine Überarbeitung der Richtlinien zur Sicherheit im Straßenverkehr und zur Tunnelsicherheit.

Derzeit noch anhängig ist eine Entscheidung über den Vorschlag zu einer Neufassung der Richtlinie über die Genehmigung und die Marktüberwachung von Kraftfahrzeugen und Kraftfahrzeuganhängern. Österreich ist für eine Stärkung des Typenge­nehmi­gungs­systems und der Marktüberwachung. Im ersten Quartal 2017 wird die formale Zustimmung der EU-Institutionen zu einem bereits erarbeiteten Kompromiss über die Nutzung des Frequenzbandes 470 bis 790 MHz erwartet. Österreich spricht sich für die rasche Verabschiedung des Dossiers aus.

Sehr weit auseinander liegen hingegen noch die Positionen zum Dossier über Vor­schriften für Roamingvorleistungsmärkte. Da Roaminggebühren ab 15. Juni 2017 nicht mehr zulässig sein sollen, geht es nun um Regelungen der finanziellen Obergrenzen, die Betreiber auf der Vorleistungsebene für den Zugang zum Netz eines anderen Betreibers in einem anderen EU-Mitgliedstaat verrechnen dürfen. Österreich sieht sich in dieser Frage in der Mehrheitsgruppe der Mitgliedstaaten, die sich für niedrige Vorleistungsentgelte aussprechen, da auf dem österreichischen Markt hohe Entgelte zu einer Verdrängung kleiner und virtueller Netzbetreiber führen könnten.

Das aktuelle 18-Monatsprogramm des Rates endet mit der maltesischen Ratsprä­sidentschaft im ersten Halbjahr 2017. Das neue Trioprogramm des Rates befindet sich derzeit in Erarbeitung. Federführend zuständig ist das BMVIT lediglich bei einigen Themen, die in die Unterabschnitte „Binnenmarkt“ und „Investitionen in die Zukunft“ fallen.

Bei der Vertiefung des Binnenmarkts stehen besonders die Bereiche digitale Wirtschaft und Dienstleistungen im Vordergrund. Im Bereich Investitionen ist vor allem die Connecting Europe Facility, kurz genannt CEF-Verordnung, für Österreich von Bedeutung, da sie Mittel für den Ausbau der Transeuropäischen Netze – auch TEN genannt – in den Bereichen Energie, Telekom, vor allem aber im Bereich Verkehr – auch TEN-V genannt – bereitstellt.

Die Umsetzung des TEN-V-Programms sieht Österreich als wichtigen Beitrag zur Stärkung der Wettbewerbsfähigkeit und zur Erreichung von Umwelt- und Klimazielen. Österreich leistet mit Investitionen in die Verkehrsinfrastruktur einen wichtigen Beitrag zur Realisierung des TEN-V-Programms. So schafft etwa der Rahmenplan der ÖBB 2017–2022 die Finanzierungsgrundlage zur Realisierung des TEN-V-Kernnetzes auf der Schiene in Österreich.

Ein Schwerpunkt der Ratspräsidentschaften war die rasche Annahme des Vierten Eisenbahnpakets, das aus sechs Rechtsvorschriften besteht. Sowohl die drei Vor­schriften der sogenannten technischen Säule als auch die drei der politischen Säule sind 2016 verabschiedet worden. Die technische Säule enthält zwei Richtlinien, die bis Juni 2019 in das jeweilige nationale Recht umzusetzen sind. Die Vorschriften der politischen Säule sind formal noch nicht in Kraft getreten.

Abschließend, Herr Minister: Alles in allem ein sehr ambitioniertes Programm – jetzt geht es um die Umsetzung. (Beifall bei ÖVP und SPÖ.)

11.55



BundesratStenographisches Protokoll865. Sitzung / Seite 54

Vizepräsidentin Ingrid Winkler: Als Nächster zu Wort gemeldet ist Herr Bundesrat Samt. – Bitte, Herr Kollege.

 


11.55.46

Bundesrat Peter Samt (FPÖ, Steiermark): Frau Präsident! Geschätzter Herr Bun­desminister Leichtfried! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Als dritter Redner zu diesem Thema hat man den Vorteil, dass man sich viele Sachen ersparen kann. Meine beiden Vorredner haben über die Maßnahmen und die Bereiche, die in der Jahresvor­schau 2017 beschrieben werden, schon sehr viel erzählt. Somit kann ich mich auf einige aus meiner Sicht wesentliche Punkte konzentrieren.

Die CEF-Verordnungen für den Ausbau der Transeuropäischen Netze, der TEN-Netze, sind auch im 18-Monatsprogramm der Ratspräsidentschaften enthalten. Ich möchte darauf hinweisen, dass das für uns Steirer, aber natürlich auch für die Kärntner und die Niederösterreicher wichtig ist, weil ja der Ausbau der Baltisch-Adriatischen Achse einer der zukünftigen Wirtschaftstreiber in den betroffenen Regionen sein wird und eine sehr, sehr positive Geschichte darstellt.

Erwähnen möchte ich noch das Projekt Galileo, ein Satellitennavigations- und Zeit­gebungs­system, womit ich auch Lücken, die in den Vorträgen meiner Kollegen vorhanden sind, schließe. Das sind Systeme, die sich sehr gut bewähren und die dazu führen, dass wir uns in Zukunft, gerade wenn es um Navigations- und Zeitgebungs­sys­teme geht, ein wenig sozusagen von der Übermacht der USA entkoppeln, die speziell dort, wo es um Satellitenbereiche im Weltraum geht, nach wie vor die Vormacht­stellung haben. Daher wird die Nutzung von eigenen, europäischen Satellitensystemen natürlich für uns ein ganz wichtiger Faktor sein, da wir auch anstreben, dass bei uns in Zukunft auch autonome Fahrzeuge unterwegs sind, und da wird die Satelliten­navigation, die exakte Navigation ein ganz wichtiger Punkt sein.

Aber lassen Sie mich, um zu meinem Hauptthema zu kommen, auf die laufenden und immer intensiver werdenden Verhandlungen und auch Aktionen und Maßnahmen im Bereich der Reduktion der CO2-Emissionen hinweisen, die wir uns, wie auch aus dem Bericht des Ministeriums hervorgeht, als vordringliche Aufgabe zum Ziel gesetzt haben, wobei es aus österreichischer Sicht darum geht, vor allem die emissionsarme Mobilität zu fördern und weiter zu verstärken!

Wir sind natürlich auch der Meinung, dass das ein ganz wichtiger Schritt ist, aber – und das ist der Grund dafür, dass ich da ein bisschen einhaken möchte – wir dürfen die Begleiterscheinungen, sage ich jetzt einmal vorsichtig, die damit verbunden sind, nicht vergessen, aber auch nicht verdrängen. Wir haben das im Ausschuss, wie Kollege Pfister schon gesagt hat, sehr intensiv diskutiert. Wir erleben momentan einen starken Aufschwung bei der E-Mobilität. Das war in den vergangen Jahren, wie aus Studien aus den Jahren 2010 und 2012 hervorgeht, noch nicht so vordringlich. Damals hat auch die Automobilindustrie gesagt, es werde der Verbrennungsmotor in absehbarer Zeit immer noch der Schwerpunkt beim Antrieb von Fahrzeugen sein. Mittlerweile sehen wir, dass da ein starkes Umdenken, vor allem im Bereich der Auto­mobil­indus­trie, stattgefunden hat. So ist der Trend hin zu Elektroautos, aber auch zu Hybridautos ein ganz starker. Das wird auch vonseiten der Regierungen unterstützt, die das bis in die Gemeinden hinein, kann man fast sagen, massiv fördern.

Aber wir dürfen dabei auf eines nicht vergessen: dass wir auch dafür sorgen müssen, dass die nötige Infrastruktur für diese E-Mobilität vorhanden ist. Und das bedeutet, dass wir ausreichend Ladestationen brauchen werden. Autos, so wie es auch jetzt geht, direkt an die Haussteckdose anzustecken ist zwar möglich, aber auch da dürfen wir nicht vergessen – und dazu gibt es ein paar interessante Zahlen, die mir ins Auge


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gesprungen sind –, dass mit Aufwendungen zu rechnen ist, die uns nicht nur jetzt als Fördergeber betreffen, sondern natürlich auch als Endverbraucher.

Spannend ist auch – und da bitte ich auch gleich, das ins Programm aufzunehmen –, dass wir in diesem Bereich momentan eine ähnliche Entwicklung bei der Automobil­industrie erleben, wie das bei den Informationen der Verbraucher hinsichtlich der Benzin- und Dieselangaben der Fall ist, nämlich dass – und da gibt es bereits aktuelle Studien aus dem Jahr 2015 – die Angaben der Hersteller, was den Verbrauch und die Reichweite von Elektroautos und auch Hybridautos betrifft, nicht einmal annähernd stimmen. Bei Tests und Studien ist herausgekommen, dass die Reichweiten um bis zu 85 Prozent kürzer sind als angegeben und dass der Energieverbrauch pro Kilometer um 50 Prozent und mehr höher ist, als die Hersteller angeben. Was bedeutet das? – Wir können mit dem Auto nicht so weit fahren wie angegeben, und wir brauchen auch wesentlich mehr Strom, was bedeutet, wir müssen öfter laden. (Vizepräsident Gödl übernimmt den Vorsitz.)

Damit kommen wir zu einem spannenden Punkt: Ein Zweipersonenhaushalt in einer normalen Wohnung hat nach Angaben der Energiewirtschaft einen jährlichen Energie­bedarf von circa 2 400 Kilowattstunden. Ein Auto hat – und auch das ergibt sich aus den Durchschnittstestergebnissen – einen Verbrauch von 25 Kilowattstunden auf 100 Kilometer; wenn ich also 10 000 Kilometer im Jahr fahre, sind das 2 500 Kilowatt­stunden. Das heißt, als Verbraucher verdoppelt man seine Stromkosten, wenn man sich für E-Mobilität entscheidet.

Betrachtet man momentan das große Ganze, und es gibt leider – das ist auch spannend – nur Studien, die aus den Jahren 2010 und 2012 sind, dann sieht man, dass der Gesamtenergieverbrauch laut den Studien der Energiewirtschaft angeblich nicht mehr als um 1 Prozent bis 1,5 Prozent des Gesamtvolumens steigen soll, mit einer Aufrechnung in Richtung 2020, unter der Annahme, dass man circa 20 Prozent der jetzigen Fahrzeuge auf Elektroenergie umgestellt haben wird. Diese Wertung stimmt schlicht und ergreifend nicht, weil wir, wie wir sehen, eine massive Unschärfe in den Leistungsangaben der Hersteller haben und weil das nicht nur den Gesamt­verbrauch betrifft, der zu einem hohen Prozentsatz von der Industrie und Schwer­industrie und von den öffentlichen Verbrauchern geprägt ist, sondern weil der Hausverbrauch für die Betroffenen ganz eindeutig auf das Doppelte steigen wird.

Natürlich erspart man sich auf der anderen Seite – und das gebe ich schon zu – auch Geld, wenn man kein Benzin- oder Dieselauto hat, aber dass uns diese Dekarbo­nisie­rung, so, wie wir sie im Kopf haben und wie sie jetzt überall sehr stark favorisiert wird, nichts kosten wird, stimmt ganz einfach nicht, im Gegenteil: Es wird den einzelnen Haushalt Geld kosten.

Spannend ist – und da sind wir jetzt wieder bei der Infrastruktur –: Es hat eine Umfrage betreffend die Entwicklung und Zukunft der E-Mobilität gegeben, bei der Meinungen von Experten, der Politik, der Energiewirtschaft und der Automobilwirtschaft eingeholt worden sind. Diese Studie ist schon alt, sie stammt aus dem Jahr 2010, und darin ist man zu folgender Erkenntnis gelangt: Die Bereitstellung der nötigen Infrastruktur wird in der Verantwortung der Energiekonzerne gesehen und die Schaffung länder­über­greifender Standards in der Verantwortung der Politik. Wir müssen jetzt aufpassen, dass sich aufgrund der Zielvorgaben im Zuge dieser Dekarbonisierung und der uns ins Haus stehenden Begleiterscheinungen nicht eine Schere hinsichtlich der Kosten­erhöhung, die uns noch zusätzlich treffen wird, auftut.

Was wir bisher noch nicht berücksichtigt haben – und da war ich für den Einwand einer Kollegin von der ÖVP im Ausschuss sehr dankbar –, das ist die Frage des Sonder­mülls. Die Automobilindustrie sagt bei den Elektroautos einen Leistungsschwund der


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Akkus von 1 Prozent bis 5 Prozent pro Jahr voraus und gibt auch gleichzeitig an, dass die Akkus bei einem Leistungsverlust von 20 bis 30 Prozent zu tauschen sind. Das bedeutet, dass die Lebensdauer dieser Akkus, abhängig unter anderem vom Fahrver­halten, vier bis fünf Jahre beträgt; und diese Akkus sind, egal, welche wir nehmen, Sondermüll. Wir produzieren also mit dieser Geschichte auch, und das dürfen wir nicht vergessen, Sondermüll.

Wir müssen also – und das ist mein Schlusssatz – darauf achten, dass im Zusam­menhang mit dem auf uns zukommenden Mehr an Energie- und Stromverbrauch und der damit verbundenen Menge an Sondermüll, die wir damit wahrscheinlich auch in Kauf nehmen werden, der grüne Gedanke der E-Mobilität nicht komplett zerfleddert wird. Das ist der Zugang, auf den wir aufpassen müssen, und ich bitte auch das Ministerium, diese Dinge im Auge zu behalten.

Um auf das Gesamtprogramm zurückzukommen, zu dem meine Kollegen schon sehr viel gesagt haben: Es ist ein sehr intensives und ambitioniertes Programm, dem wir als FPÖ aufgrund der vielfältigen, richtigen und positiven Ansätze und auch aufgrund der sehr kritischen Haltung des Ministeriums in vielen dieser Bereiche zustimmen werden. – Danke schön. (Beifall bei der FPÖ.)

12.05


Vizepräsident Mag. Ernst Gödl: Als Nächste zu Wort gelangt Frau Bundesrätin Mag. Schreyer. – Bitte, Frau Bundesrätin.

 


12.05.48

Bundesrätin Mag. Nicole Schreyer (Grüne, Tirol): Hohes Haus! Sehr geehrter Herr Minister! Zuerst einmal vielen herzlichen Dank für den umfangreichen Bericht, vor allem natürlich an dessen ErstellerInnen. Die EU-Jahresvorschau ist vollständig, und vor allem in der Darstellung der österreichischen Position ist die Jahresvorschau weitestgehend wirklich sehr substanziell und detailliert.

Dazu muss ich sagen: Das war lange Jahre in einigen Bereichen noch nicht ganz so ausgereift. Die Qualität der Vorschau ist jetzt aber wirklich so, wie es der Gesetzgeber vorsieht. Danke für diese Verbesserungen. Davon könnten sich einige Ministerien ein Scheibchen abschneiden.

Inhaltlich ist von meinen Vorrednern schon sehr viel gesagt worden. Ich möchte mich deswegen vor allem auf ökologische Verkehrspolitik beschränken, möchte zuvor aber noch ganz kurz auf meinen Vorredner eingehen, was das Thema Elektromobilität betrifft: Die CO2-Ausstoß-Umrechnungen beim Vergleich von E-Mobilität mit Benzin und Diesel sehen alle Studien sehr positiv. – Da stimmen einfach die Zahlen nicht. Es besteht eine viel effizientere Nutzung durch die E-Mobilität. Ich hoffe, der Herr Minister kann noch etwas dazu sagen, denn mir kommt das jetzt zu spontan. (Bundesrat Samt: Die Zahlen stimmen! – Zwischenruf des Bundesrates Mayer.)

Nun komme ich zu meinem eigentlichen Thema, der ökologischen Verkehrspolitik. Für uns Grüne ist einer der wichtigsten Punkte in dieser Jahresvorschau die Wege­kostenrichtlinie. Die Wegekostenrichtlinie gibt ja den Rahmen für die Bemautung, insbesondere für Lkw-Bemautung, vor; wie wir alle wissen, hat das auf Österreich aufgrund der geografischen Lage, da wir sehr viele Flaschenhälse in Form von Alpentälern haben, eine ganz gravierende Auswirkung. Die Haltung Österreichs ist hier in der Vorschau viel zu passiv und viel zu weich.

Ich möchte ein bisschen etwas daraus zitieren: „würde das bmvit eine Änderung (...) grundsätzlich begrüßen“, „es sollte (...) ermöglicht werden“, es „wird (...) Maßnahmen unterstützen“. – Das ist einfach (Bundesminister Leichtfried: Höflich!) – höflich, es ist sehr viel Konjunktiv drinnen, also sehr viel: würde, sollte, könnte. Das wird keine spür-


BundesratStenographisches Protokoll865. Sitzung / Seite 57

bare und nachhaltige Reduktion der Umwelt- und Gesundheitsbelastungen bringen. Um da einen Fortschritt zu erzielen, muss Österreich trotz aller Höflichkeit ganz aktiv sein. Österreich darf da nicht einfach abwarten und darauf warten, dass etwas passiert. Wir müssen uns da auf europäischer Ebene ganz energisch einsetzen. Das ist unsere Verantwortung gegenüber der belasteten Bevölkerung.

Die entscheidende Frage wird sein, ob seitens der EU vom Grundsatz abgegangen wird, Höchstmauten vorzuschreiben, und stattdessen Mindestmauten vorgelegt wer­den, um Lenkung und Kostenwahrheit zu erzeugen. Österreich, in dem Fall natürlich Sie als Verkehrsminister, muss sich vehement dafür einsetzen, dass der Brenner­korridor nicht weiterhin wegen großteils eben von der EU-Richtlinie erzwungener Mautgrenzen und auch viel zu niedriger Mauten in Deutschland und Italien mit Abstand der billigste der großen Alpenübergänge bleibt, vor allem viel billiger, als es die Schiene sein wird. So schaffen wir nie eine Aufteilung auf die Übergänge und vor allem nicht die Verlagerung von der Straße auf die Schiene und haben ein irrsinnig großes, sehr teures Loch im Berg.

Ähnlich ist es auch beim Flugverkehr und den CO2-Emissionen aus dem Flugverkehr. Zusammengefasst kann man sagen, dass nach dem derzeitigen Stand und den derzeitigen EU-weiten Planungen ab 2027 – also in zehn Jahren – für einen Teil der Emissionen, die über den Werten von 2020 liegen – also den Werten in drei Jahren, die deutlich höher sein werden als heute –, Kompensationsleistungen zu zahlen sind. Man nimmt also bis 2020 ungehindert weitere Zunahmen der CO2-Emissionen im Flugverkehr in Kauf, und danach gibt es Ablasszahlungen, die dann sogar sieben Jahre lang nur freiwillig sein sollen.

Mit so einem Zugang werden die nötigen Ziele im weltweiten Klimaschutz ganz sicher nicht erreicht und um zig Millionen Tonnen verfehlt werden. Da müssen sich Staaten, die der Überzeugung sind, dass Klimaschutz wichtig ist, starkmachen, und ich hoffe, dass Österreich einer davon ist, weil eben eines der allergrößten Mankos des Weltklimavertrags von Paris ist, dass dieser die CO2-Emissionen durch den Flug­verkehr nicht miteinbezieht, und der Flugverkehr einen enormen CO2-Ausstoß hat; das wissen wir ja alle.

Was da in den EU-Zielen steht, ist einfach nicht die Lösung für den gravierenden Beitrag des Flugverkehrs zum Klimaproblem und steht auch nicht für eine ökologische Verkehrspolitik. Es ist unbedingt notwendig, dass Österreich da eine schärfere Position einnimmt und mehr Engagement verlangt. (Beifall des Bundesrates Stögmüller.)

Es gibt noch weitere Punkte hinsichtlich einer ökologischen Verkehrspolitik, die aus unserer Sicht verbessert gehören und die Österreich vermehrt einfordern sollte. Sehr unbefriedigend ist auch der schleppende Fortschritt bei den CO2-Vorgaben für Pkws, Kleintransporter und Lkws. Diese sind einfach voller Schlupflöcher und würden erst irgendwann nach 2025 einen deutlichen Beitrag zur Erreichung der 2050-Ziele leisten. Das passt wirklich nicht zu der hohen Dringlichkeit von Maßnahmen. Es geht sehr langsam und sehr zurückhaltend voran, und damit ist einfach sehr wahrscheinlich, dass es für die Zielerreichung nicht ausreichend sein wird.

Es gibt noch ein paar kleine Themen, bei denen mir die Lenkungseffekte fehlen, etwa bei der Busverkehrliberalisierungsverordnung. Wenn da noch weiter aufgemacht wird, dann ist absehbar, dass die Billigstanbieter im Fernbusverkehr gefördert werden. Busse sind ja ein öffentliches Verkehrsmittel, sie sind natürlich dem Individualverkehr vorzuziehen, aber als Ersatzangebot dort, wo es sonst keine Möglichkeiten gibt, wo es keine Schieneninfrastruktur gibt, nicht aber als schmutzige Konkurrenz zum Bahn­verkehr. Diesbezüglich muss man sich wirklich bald einmal entscheiden, wohin man will, denn ganz viele Investitionen in den Ausbau der Schieneninfrastruktur werden


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einfach obsolet, wenn man die billige Konkurrenz, die keine oder kaum oder viel weniger Infrastruktur braucht, selbst hinzuzieht. (Bundesrat Mayer: Ja, schon, aber wie willst du das verhindern? FlixBus?) – Ja, das muss man steuern.

Zum Thema Transeuropäische Netze und deren Finanzierung: Da können wir nicht ganz nachvollziehen, warum in Sachen Umwelt- und Klimaziele pauschal alles sehr positiv bewertet worden ist. Was trägt zum Beispiel eine EU-Kofinanzierung von zig Millionen Euro zum Bau der Nordautobahn A 5 zum Umwelt- und Klimaschutz bei?

Bei der Bahn wäre es auch wichtig, wenn das Augenmerk neben der Beschleunigung stärker auf den Energieverbrauch, gerade bei Hochgeschwindigkeitszügen, gerichtet wäre.

Wichtig ist aus unserer Sicht einfach auch, dass nicht alles Geld oder extrem viel mehr Geld in die Megaprojekte gesteckt wird, sondern dass stattdessen auch die regionalen und die grenzüberschreitenden Verbindungen reaktiviert werden. Anstatt gerade in Abwanderungsgebieten immer mehr Bahnstrecken einzustellen – wir haben darüber schon so oft gesprochen –, wäre es irrsinnig wichtig für die Regionen, wenn reaktiviert statt eingestellt wird, denn Connecting Europe sollte ein Programm für die Bürgerinnen und Bürger sein. – Danke schön. (Beifall des Bundesrates Stögmüller sowie bei Bundesräten der SPÖ.)

12.13


Vizepräsident Mag. Ernst Gödl: Als Nächstem darf ich Herrn Bundesminister Mag. Leichtfried das Wort erteilen. – Bitte, Herr Minister.

 


12.14.00

Bundesminister für Verkehr, Innovation und Technologie Mag. Jörg Leichtfried: Herr Präsident! Hohes Haus! Ich darf mich für die hauptsächlich wohlwollende Beurteilung unserer Stellungnahme bedanken und vielleicht auf einige Dinge eingehen, die Sie angesprochen haben.

Bevor ich aber auf diese Dinge eingehe, möchte ich noch eine generelle Anmerkung zur Verkehrspolitik der Europäischen Kommission einbringen. Diese ist meines Erach­tens sehr ambivalent, und diese Ambivalenz stellt uns natürlich in unserem Zugang zu dieser Politik vor einige Herausforderungen.

In welcher Form besteht diese Ambivalenz? – Meines Erachtens besteht ein großer Unterschied zwischen beabsichtigtem oder nach außen dargestelltem Tun und wirk­lichem Tun. Sie werden wahrscheinlich, wenn Sie europäische Verkehrspolitik verfol­gen und Ankündigungen würdigen und die Dinge beurteilen, die gesagt werden, zu einem eindeutigen Ergebnis kommen: Eigentlich wird da relativ grüne, wenn man das so nennen kann, Verkehrspolitik betrieben.

Wenn man sich aber anschaut, was wirklich passiert, dann ändert sich dieses Bild, und es ändert sich relativ drastisch, denn im Gegensatz zu den Ankündigungen – von der Straße auf die Schiene zu verlagern, umweltgünstige Transportsysteme zu stärken, umweltungünstige Transportsysteme zu hinterfragen – sind die tatsächlichen Maß­nahmen, die seitens der Kommission ins verkehrspolitische Leben geschickt werden, durchaus unterschiedlich.

Ein gutes Beispiel dafür war die Gigaliner-Diskussion, die geführt wurde, bei der ein Projekt, das sicherlich nicht dazu geeignet ist, ökologischen Verkehr zu begünstigen, von der Kommission gepusht wurde, und es hat genug andere Beispiele gegeben. Wenn Sie die Debatte über die Wegekostenrichtlinie verfolgen, so war es immer die Europäische Kommission, die darauf gedrängt hat, möglichst wenig zu tun, möglichst wenig – insbesondere in die externen Kosten – einzurechnen. Ich bin ja froh, dass man


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über CO2-Einrechnung jetzt zumindest einmal diskutiert. Als ich das selbst noch verhandelt habe, war das tabu, geschätzte Damen und Herren.

Das ist eine Verkehrspolitik, die uns schon vor große Herausforderungen stellt, und, Frau Kollegin Schreyer, wenn Sie sagen, wir sollen uns für Mindestmauten einsetzen, dann ist das eine interessante Idee. Ich gebe das ganz offen zu, das ist wirklich eine interessante Idee. Die Frage ist: Welchen Realisierungsgrad hat es in der jetzigen Diskussion, und was erreicht man damit wirklich? – Das müssen wir noch, glaube ich, ein bisschen diskutieren und ein bisschen hinterfragen.

Wenn wir in die nächste Wegekostenrichtliniendiskussion gehen, ist es meine Absicht, möglichst viel an Möglichkeiten für höhere Mauten zu erreichen. Das ist, glaube ich, zweifelsohne in unser aller Interesse, aber man muss berücksichtigen, wenn man etwa die Brennerstrecke anspricht, dass diese Transporte natürlich nicht von Kufstein bis zum Brenner gehen; diese gehen in der Regel von Hamburg bis Palermo oder sonst irgendwohin. Wie gelingt es uns insgesamt, dass diese Strecke für gewisse Trans-portformen nicht mehr so attraktiv ist?

Das ist die große Frage hinter dieser Wegekostenrichtliniendiskussion. Wenn es eine Chance gibt, Mindestmauten zu diskutieren, dann können wir darüber reden, aber ich glaube, das Ziel muss insgesamt sein, dafür zu sorgen, dass es mehr Kostenwahrheit im Transport gibt (Bundesrätin Schreyer: Ja!), geschätzte Damen und Herren, und zwar nicht nur in Österreich, sondern in ganz Europa, denn das greift. Etwas anderes wird wahrscheinlich nicht greifen. (Beifall bei der SPÖ und bei Bundesräten von ÖVP und Grünen.)

Eine Debatte, die mir auch besonders wichtig ist, ist die Frage der Liberalisierung im Bereich des Güterverkehrs. Auch da gibt es interessante Diskussionen, und auch da zeigt sich ein Phänomen, das die gesamte Europapolitik erfasst hat. Dieses Phänomen würde ich jetzt das Wachsen des nationalen Egoismus nennen, und vor allem das Wachsen des nationalen Egoismus auf Kosten derer, die sich erstens nicht dagegen wehren können und zweitens im wahrsten Sinne des Wortes unter die Räder kommen, nämlich diejenigen, die jeden Tag hart für ihr Geld arbeiten müssen.

Gerade im Bereich der Transportwirtschaft sieht man sehr deutlich ein Spannungsfeld verschiedener Interessen. Es gibt Länder in der Europäischen Union – da gehört Österreich dazu –, die ein wichtiges Interesse haben. Dieses wichtige Interesse gilt einerseits unserer Transportwirtschaft, aber andererseits auch jenen, die in diesem Bereich tätig sind: nämlich dass die Vorschriften, die es gibt, eingehalten werden; dass Fahrzeiten eingehalten werden; dass die Menschen, die dort arbeiten, sich einerseits selbst nicht gefährden, andererseits andere nicht gefährden; dass Sozialvorschriften eingehalten werden; dass faire Bedingungen herrschen.

Dann gibt es aber andere Länder, die das ganz anders sehen. Da wird nicht kon­trol­liert, da wird nichts eingehalten. Dort kümmert man sich nicht um bestehende Regeln. Geschätzte Damen und Herren, da ist mein Zugang ein ganz eindeutiger: Entweder es halten sich alle an die Regeln, oder es wird nicht weiter liberalisiert. (Beifall bei der SPÖ sowie bei Bundesräten von ÖVP und Grünen.)

Ich möchte jetzt noch auf einige Dinge eingehen, die Sie angesprochen haben und die natürlich auch mit europäischer Verkehrspolitik zu tun haben.

Die Frage Elektromobilität betreffend, gebe ich Herrn Bundesrat Samt auf jeden Fall recht dahin gehend, dass die Ladeinfrastruktur eine der wichtigsten Fragen in diesem Zusammenhang ist, denn wann wird Elektromobilität wirklich boomen? – Der Schlüssel


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dazu ist die Alltagstauglichkeit, und Alltagstauglichkeit bedeutet, dass man Versor­gungs­sicherheit hat – das ist auch Teil des Pakets, das Kollege Rupprechter und ich sozusagen geschnürt und auf die Reise geschickt haben.

Wir haben einerseits die Ankaufsförderungen, die jetzt recht gut zu greifen begonnen haben – ich darf berichten, dass die Entwicklung tatsächlich so ist, dass viel mehr Autos gekauft werden, als das vorher der Fall war –, aber andererseits geht es natür­lich auch um die Ladeinfrastrukturen. Es gibt eine Förderung für private Ladeinfra­struktur, aber auch Förderungen für institutionalisierte Ladeinfrastruktur. Ich denke, das ist auch ganz wichtig. Der Plan ist, dass bis 2020 auf Österreichs Straßen die erforderliche Ladeinfrastruktur vorhanden ist. Wir haben gute Verbündete: Die ÖBB und die ASFINAG sind auch beauftragt und bereit, diesbezüglich die Dinge in die Hand zu nehmen, sodass wir allein aus diesem Bereich über 150 Ladestationen bekommen werden.

Sie haben es vielleicht verfolgt: Auch private Unternehmen haben sich jetzt entschlos­sen, im Bereich Ladeinfrastruktur aktiv zu werden. Und ich glaube, diese Kombination wird es ausmachen, Alltagstauglichkeit herzustellen.

Ich muss aber auch darauf hinweisen, dass wir bis jetzt wahrscheinlich zu viel über Pkws gesprochen haben, denn wir sehen, dass gleichzeitig gerade auch im Bereich Lasttransporte Elektromobilität ungleich hohe Chancen bekommen wird.

Ich war vor Kurzem bei MAN in Steyr – und es ist kein Zufall, geschätzte Damen und Herren, dass gerade der erste serienmäßige Lkw, der elektrisch betrieben wird, in Österreich gefertigt wird. Wir sind da Vorreiter, wir gehören zu den Besten, wir haben dafür auch die besten Forschungsmittel zur Verfügung, und deshalb ist es so, dass das in Österreich geschieht.

Elektro-Lkws sind gerade im städtischen Bereich eine sehr große Chance, wo kurze Distanzen zu fahren sind, wo die Reichweiten, die jetzt erreicht werden, ausreichend sind. Und das, was du angesprochen hast, stimmt: Die offizielle Reichweite sind 200 Kilometer – sie sagen aber selbst, die tatsächliche Reichweite wird so an die 120 Kilometer betragen. Aber das ist ausreichend, um in jeder größeren Stadt einen Tag lang unterwegs zu sein.

Dabei geht es nicht nur um die Distribution von Gütern, es geht auch um die Müll­abfuhr, um die Feuerwehr. Also die Chancen sind da sehr, sehr groß.

Risiken gibt es natürlich auch. Die Frage der Batterienachnutzung ist eine, die dis­kutiert werden muss, wo es aber meines Erachtens schon sehr zufriedenstellende Lösungen gibt. Es werden die Batterien, die aus den Autos herauskommen, ja nicht gleich endversorgt, sondern anderen Möglichkeiten zugeführt. Es gibt ganz andere Möglichkeiten, im dezentralen Bereich Strom zu speichern.

Das führt mich zum Nächsten: Wir müssen natürlich auch darüber diskutieren, woher dieser Strom kommt, und das bedeutet auch eine ökologische Energiepolitik, ge­schätzte Damen und Herren. Elektromobilität ist eines, ökologische Energiepolitik ist aber meines Erachtens die unbedingt notwendige Ergänzung dieser Politik. (Beifall bei ÖVP, SPÖ und Grünen sowie bei Bundesräten der FPÖ.)

Zum Schluss – etwas, das Herr Bundesrat Pfister angesprochen hat –: Ich darf auch berichten, wie es bezüglich der deutschen Pkw-Maut aussieht: Da sieht es so aus, wie gehabt, um das einmal ganz trocken zu sagen.

Vielleicht noch einmal ganz kurz, wie die Situation vom Beginn weg gewesen ist: Es hat ein Projekt einer politischen Partei eines Bundeslandes im Süden der Bundes­republik Deutschland gegeben. Dieses Projekt hat Ausländermaut geheißen. Diese


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Partei ist nach den Bundestagswahlen in die Bundesregierung gekommen, und da das das einzige Projekt war, das diese Partei hatte, war es halt ihr Leitprojekt. Sie hat dann seit diesem Zeitpunkt versucht, das durchzusetzen.

Man hat ein Modell vorgeschlagen, das folgendermaßen funktioniert hat: Wir verlangen für alle Pkws, die auf deutschen Straßen unterwegs sind, eine Maut. Alle Pkws, die in Deutschland, also die Besitzer oder die Eigentümer, die Zulassungs… – ja, Sie wissen, was ich meine –, die, denen die Pkws gehören (allgemeine Heiterkeit), bekommen die Maut dann durch eine Steuererleichterung eins zu eins zurück.

Dieses System ist aber – für einige Beteiligte in Deutschland verwunderlicherweise – von der Europäischen Kommission nicht bewilligt worden. Sie hat ein Vertrags­ver­letzungsverfahren gegen Deutschland eingeleitet und gemeint, dass eine derartige Lösung AusländerInnen, EU-AusländerInnen, diskriminiert – das tut es, das war klar –, weshalb das europarechtswidrig sei.

Der nächste Schritt war: Der deutsche Verkehrsminister, die deutsche Bundesregie­rung hat dieses Modell marginal verändert, und zwar dahin gehend, dass eine meines Erachtens relativ seichte ökologische Komponente hineingekommen ist. Das neue Modell schaut jetzt so aus: Alle, die auf deutschen Straßen unterwegs sind, müssen zahlen, und die Deutschen bekommen die Maut wieder zurück. Der einzige Unter­schied ist, dass jene, die ein Euro-6-Klasse-Fahrzeug haben, etwas mehr zurückbe­kom­men als alle anderen. Erstaunlicherweise ist die Europäische Kommission – ich würde jetzt nicht sagen, dass Telefongespräche zwischen der deutschen Bundes­kanzlerin und Herrn Juncker und dann zwischen Herrn Juncker und Frau Kommissarin Bulc daran schuld waren, denn das weiß ich nicht; dass sie geredet haben, weiß ich schon, aber das war sicher nicht Thema – plötzlich der Auffassung, dass das eigentlich doch europarechtskonform sein könnte. Wer Böses dabei denkt – ich überlasse es Ihnen, das zu tun.

Jetzt ist die Situation jedenfalls so, dass meines Wissens am 24. März im Deutschen Bundestag die Abstimmung über dieses Modell stattfindet und eine Woche später dann die Abstimmung im Bundesrat.

Wenn diese Dinge abgeschlossen sind, geschätzte Damen und Herren, dann ist zuerst wieder die Europäische Kommission am Zug. Sie hat ja ihr Vertragsverletzungs­ver­fahren nicht eingestellt, sondern nur eingefroren. Das heißt, die Europäische Kom­mission wird das prüfen. Ich stelle mir die Prüfung sehr interessant vor, da gestern das Europäische Parlament mit großer Mehrheit beschlossen hat, dass diese Maut europarechtswidrig ist. Wir werden sehen, ob die Europäische Kommission auf das Europäische Parlament zukommt oder nicht. – Das ist das Erste.

Das Zweite ist, es wird dann eben geprüft werden, und sollte es der Fall sein, dass die Kommission das Vertragsverletzungsverfahren weiterführt, dann entspricht das unse­rem Interesse. Sollte das nicht der Fall sein und das Vertragsverletzungsverfahren eingestellt werden, dann haben wir zu entscheiden, ob eine Klage eingebracht wird. Meine persönliche Meinung, geschätzte Damen und Herren, ist, dass eine solche Klage sinnvoll und zu gewinnen wäre, aber das müsste dann diskutiert werden und danach müsste eine Entscheidung getroffen werden.

Ich bitte, mich da nicht falsch zu verstehen: Mir geht es einerseits darum, dass Österreicher und Österreicherinnen in Deutschland nicht diskriminiert werden. Mir geht es aber auch darum, dass wir nicht in eine Situation kommen, in der Europa zurück verfällt und jedes Land sagt: Wir behandeln unsere Bürger besser als alle anderen. Das hätte wahrscheinlich zur Folge, dass die Europäische Union etwas anders wird, als wir es jetzt gewohnt sind, um das nur einmal ganz kurz zu sagen.


BundesratStenographisches Protokoll865. Sitzung / Seite 62

Das hätte vielleicht auch das Scheitern des europäischen Gedankens auf längere Sicht zur Folge. Geschätzte Damen und Herren, ich bin der Letzte, der so etwas will, und deshalb bin ich auch dabei, derartige Entwicklungen sehr intensiv zu bekämpfen. – Danke schön. (Beifall bei SPÖ, ÖVP und Grünen sowie bei Bundesräten der FPÖ.)

12.28

12.28.27

 


Vizepräsident Mag. Ernst Gödl: Weitere Wortmeldungen liegen dazu nicht vor.

Wünscht noch jemand das Wort? – Das ist nicht der Fall. Die Debatte ist geschlossen.

Wir kommen zur Abstimmung.

Ich ersuche jene Bundesrätinnen und Bundesräte, die dem Antrag zustimmen, den gegenständlichen Bericht zur Kenntnis zu nehmen, um ein Handzeichen. – Das ist die Stimmeneinhelligkeit. Der Antrag ist somit angenommen.

Ich darf Herrn Bundesminister Leichtfried verabschieden und ihm für sein Kommen herzlich danken.

12.28.482. Punkt

Beschluss des Nationalrates vom 1. März 2017 betreffend Partnerschafts­abkom­men über die Beziehungen und die Zusammenarbeit zwischen der Europäischen Union und ihren Mitgliedstaaten einerseits und Neuseeland andererseits (1367 d.B. und 1480 d.B. sowie 9736/BR d.B.)

 


Vizepräsident Mag. Ernst Gödl: Wir gelangen nun zum 2. Punkt der Tagesordnung.

Berichterstatter ist Herr Bundesrat Seeber. Ich bitte um den Bericht.

 


12.29.26

Berichterstatter Robert Seeber: Sehr geehrter Herr Präsident! Werte Kolleginnen und Kollegen! Ich darf Ihnen den Bericht des Ausschusses für auswärtige Angelegen­heiten über den Beschluss des Nationalrates vom 1. März 2017 betreffend Partner­schafts­abkommen über die Beziehungen und die Zusammenarbeit zwischen der Europäischen Union und ihren Mitgliedstaaten einerseits und Neuseeland andererseits zur Kenntnis bringen.

Der Bericht liegt Ihnen in schriftlicher Form vor. Ich komme daher gleich zur Antrag­stellung.

Der Ausschuss für auswärtige Angelegenheiten stellt nach Beratung der Vorlage am 14. März 2017 mit Stimmeneinhelligkeit den Antrag,

1. gegen den vorliegenden Beschluss des Nationalrates keinen Einspruch zu erheben,

2. dem vorliegenden Beschluss des Nationalrates gemäß Artikel 50 Abs. 2 Z 2 B-VG die verfassungsmäßige Zustimmung zu erteilen.

 


Vizepräsident Mag. Ernst Gödl: Ich danke für den Bericht.

Wir gehen in die Debatte ein.

Als Erstem darf ich das Wort dazu Herrn Bundesrat Oberlehner erteilen. – Bitte, Herr Bundesrat.

 


12.30.29

Bundesrat Peter Oberlehner (ÖVP, Oberösterreich)|: Sehr geehrter Herr Präsident! Hohes Präsidium! Werte Kolleginnen und Kollegen des Bundesrates! Neuseeland – ein Land mit 4,6 Millionen Einwohnern, 269 000 Quadratkilometern; die Hauptstadt ist Wellington, und das Staatsoberhaupt ist Königin Elisabeth II. – ist auch ein Land, das für viele von uns längst ein beliebtes Urlaubs- und Reiseziel geworden ist, weil es auf-


BundesratStenographisches Protokoll865. Sitzung / Seite 63

grund seiner vielen landschaftlichen Schönheiten viel Interessantes zu bieten hat. (Bundesminister Kurz nimmt auf der Regierungsbank Platz.) – Ich darf den Herrn Minister herzlich begrüßen und hier willkommen heißen.

Neuseeland ist aber auch aus vielen anderen Überlegungen, vor allem aus wirtschaft­lichen Überlegungen, ein für die EU und damit auch für Österreich sehr interessantes Land geworden, und das schon über viele Jahrzehnte.

Seit bereits zehn Jahren besteht eine Gemeinsame Erklärung über die Beziehungen und die Zusammenarbeit zwischen der Europäischen Union und Neuseeland. Seit 2012 laufen nunmehr Verhandlungen über das hier vorliegende Abkommen, das sogenannte PARC. Man möchte den politischen Dialog damit intensivieren, vor allem aber sollen die wirtschaftlichen Beziehungen dadurch entsprechend gestärkt werden. Bisher gab es lediglich eine Gemeinsame Erklärung, nun soll ein formelles Partner­schaftsabkommen die Beziehungen auch in den Bereichen Politik, Sicherheit und Handel verbindlicher und auch struktureller regeln.

Neuseeland ist vor allem auch ein wichtiger Partner im pazifischen Raum, wenn es darum geht, friedliche politische Lösungen internationaler Konflikte zu betreiben und zu erreichen. Der Syrienkonflikt, die Situation in der Ukraine oder auch Krisenherde in Afrika sind dabei Themen, für die sich auch Neuseeland immer wieder einsetzt, starkmacht und sich darum bemüht, Verbesserungen zu erreichen.

Das Abkommen, das hier vorliegt, kann grundsätzlich in drei Kategorien unterteilt wer­den:

Zusammenarbeit in außenpolitischen und sicherheitspolitischen Fragen, dazu zählt auch der ganz wichtige Bereich Terrorismusbekämpfung;

Zusammenarbeit in Forschung und Entwicklung, in Bildung und Kultur, aber auch bei der Bekämpfung der Cyberkriminalität;

Zusammenarbeit im Wirtschaftsbereich – das ist besonders wichtig –, dabei geht es vor allem um Erleichterungen von Handels- und Investitionsströmen, aber es geht auch um landwirtschaftliche, gesundheitspolitische und auch pflanzenschutzrechtliche Fragen, die angesprochen und gelöst werden.

Neuseeland, ich habe es schon gesagt, ist ein Land mit 4,6 Millionen Einwohnern und ist damit ein relativ kleiner und überschaubarer Markt. Die wirtschaftliche Entwicklung in Neuseeland ist hervorragend, und daher hat sich auch unser Export nach Neu­seeland in den letzten Jahren massiv erhöht. Waren im Wert von circa 120 Millionen € werden von Österreich jährlich nach Neuseeland exportiert, Waren im Wert von circa 47 Millionen € werden importiert. Summa summarum haben wir also eine sehr positive Handelsbilanz mit Neuseeland.

Partnerschaftsabkommen sind bekanntlich auch eine gute Basis für Freihandelsab­kommen, und ich bin sehr zuversichtlich, dass die im Oktober 2015 beschlossenen Verhandlungen dahin gehend auch bald gestartet werden können und auch diesbe­zügliche Entwicklungen beginnen werden.

Meine Fraktion stimmt dem vorliegenden Partnerschaftsabkommen mit Neuseeland auf alle Fälle sehr gerne zu. – Danke schön. (Beifall bei der ÖVP und bei Bundesräten der SPÖ.)

12.34


Vizepräsident Mag. Ernst Gödl: Ich begrüße Herrn Bundesminister Kurz herzlich in unserem Plenum. (Allgemeiner Beifall.)

Als Nächstem darf ich Herrn Bundesrat Koller das Wort erteilen. – Bitte.

 



BundesratStenographisches Protokoll865. Sitzung / Seite 64

12.34.26

Bundesrat Hubert Koller, MA (SPÖ, Steiermark): Sehr geehrter Herr Präsident! Herr Bundesminister! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Werte Damen und Herren hier im Saal! Wir haben schon von meinem Vorredner Bürgermeister Peter Oberlehner gehört, dass es bereits seit zehn Jahren eine gute Zusammenarbeit zwischen der Europä­ischen Union und Neuseeland gibt. Die Gemeinsame Erklärung soll jetzt in ein Part­nerschaftsabkommen übergehen. Dadurch werden viele Bereiche durchleuchtet und verbessert – Politik, Sicherheit, Soziales, aber auch, wie wir gehört haben, schwierige Themen wie Terrorismusbekämpfung, Migration und so weiter. Die wirtschaftlichen Beziehungen sollen verstärkt und der politische Dialog soll intensiviert werden. Es handelt sich dabei um ein sogenanntes gemischtes Abkommen, bei dem Angelegen­heiten in die Kompetenz der EU, aber auch einzelner Mitgliedstaaten fallen.

In politischer Hinsicht muss man natürlich froh sein, wenn man verlässliche Koopera­tionspartner für friedliche Lösungen findet. Wir haben schon von den vielen Konflikten, die es auf der Welt gibt und die uns vor große Herausforderungen stellen, gehört. Da tut es wirklich gut, zu wissen, dass man in Neuseeland einen verlässlichen Partner im pazifischen Raum hat, der die Menschenrechte, aber auch das Völkerrecht hochhält. Neuseeland ist für die EU ein wichtiger Impulsgeber der Entwicklung im Südpazifik.

Aus wirtschaftlicher Sicht – das haben wir schon vom Kollegen Oberlehner gehört – gibt es mit Neuseeland eine positive Handelsbilanz, von Österreich werden vor allem Anlagen, Fahrzeuge und so weiter exportiert, im Gegenzug werden Agrarprodukte importiert.

Neuseeland hat ein Bruttoinlandsprodukt von 180 Milliarden Neuseeland-Dollar, das sind etwa 117 Milliarden €, und ist deshalb für uns doch als westlich orientiertes, kultu­rell hoch entwickeltes Land ein wichtiger Partner.

Neuseeland ist aber sehr vom Klimawandel betroffen. Wenn man Aussagen des amerikanischen Präsidenten hört, so gibt es gar keinen Klimawandel, aber der Anstieg des Meeresspiegels ist gerade für die pazifischen Inseln ein großes Problem und eine Überlebensfrage. Deshalb hat Neuseeland auch beschlossen, in den kommenden Jahren 100 Prozent seiner Energie aus erneuerbaren Quellen zu beziehen – für Österreich eine Riesenchance. Neuseeland ist für Österreich nicht nur Vorbild mit dieser Entwicklung, sondern wirtschaftlich gesehen auch eine Riesenchance. Immerhin beschäftigen sich viele Unternehmen in Österreich intensiv mit dem Thema alternative Energien, haben ein beachtliches Know-how entwickelt und sind weltweit auch Marktführer.

Wie wichtig das Thema Klimawandel in Neuseeland ist, kann man daran erkennen, dass Klimawandel als Asylgrund und Bleiberechtsgrund installiert wurde. Laut Klima­bericht des UN-Weltklimarates vom April des Vorjahres würde ein rechtzeitiger Wechsel auf alternative Energien – gerechnet bei einem Wirtschaftswachstum von 1,6 bis 3 Prozent pro Jahr – nur mit einem Minus von jährlich 0,06 Prozentpunkten zu Buche schlagen. Es ist also richtig und auch für Österreich wichtig, in diese Richtung zu gehen.

In den Handelsbeziehungen liegt aber auch der Grund dafür, dass die Europäische Union gleich im Anschluss an diese Verhandlungen neue Verhandlungen für ein Frei­handelsabkommen mit Neuseeland eingeleitet hat, und dieses Partnerschaftsabkom­men ist sicher eine gute Basis und ein guter Start für diese Verhandlungen. Unsere Fraktion wird daher diesem Abkommen zustimmen. – Danke schön. (Beifall bei SPÖ und ÖVP.)

12.39



BundesratStenographisches Protokoll865. Sitzung / Seite 65

Vizepräsident Mag. Ernst Gödl: Als Nächster zu Wort gemeldet ist Herr Bundesrat Schererbauer. – Bitte.

 


12.39.07

Bundesrat Thomas Schererbauer (FPÖ, Oberösterreich): Herr Präsident! Herr Minister! Geschätzte Kolleginnen und Kollegen! Das EU-Partnerschaftsabkommen mit Neuseeland, das neben handelstechnischen Fragen auch sicherheitspolitische As­pekte zum Schwerpunkt hat, bietet die Möglichkeit, diese wichtigen und großen Herausforderungen auf allen Kontinenten so gut wie möglich zu bewältigen. Genau da sind wir Österreicher – wie schon so oft in der Vergangenheit – als Vermittler und Brückenbauer gefordert. Obwohl Neuseeland auf der gegenüberliegenden Seite des Globus liegt und uns Tausende Kilometer voneinander trennen, steht es uns durch den europäisch geprägten Kulturraum Australiens kulturell doch näher, als man glaubt.

Neuseeland ist ein Königreich im Commonwealth of Nations mit demokratisch-parla­mentarischer Verfassung und mit Sicherheit viel mehr als nur eine ehemalige britische Kolonie.

Neuseeland gilt als westlich orientiertes und kulturell sehr hochstehendes Land. Das jährliche Bruttoinlandsprodukt beläuft sich auf circa 180 Milliarden Neuseeland-Dollar. Für einen Industriestaat eher ungewöhnlich sind die Hauptwirtschaftszweige Land- und Forstwirtschaft, Nahrungsmittelindustrie, da hauptsächlich Molkereiprodukte, sowie Tourismus.

Durch ein verstärktes Zusammenarbeiten zwischen der EU und Neuseeland könnte speziell Österreich in punkto Umweltfragen als eine Art Experte für alternative Energie­gewinnung fungieren, wie das Kollege Hubert Koller schon gesagt hat. Da die Pazifikstaaten vom Anstieg des Meeresspiegels stark betroffen sind, ist es wichtig, fossile Energiegewinnung so stark wie möglich zurückzufahren. Ein weiteres Ziel ist der Ausbau von Handels- und Investitionsströmen. 2015 betrug das Handelsvolumen zwischen der EU und Neuseeland 8,1 Milliarden €. Hauptexportgüter sind neben Fleisch und Früchten Textil- und Holzwaren.

Einer der wichtigsten Außenhandelspartner sind schon jetzt die Länder der Euro­päischen Union. Auch der Tourismus spielt genau wie in Österreich eine wichtige Rolle. Über 2,5 Millionen Menschen besuchen jährlich Neuseeland.

Die politische Zusammenarbeit in der Terrorismusbekämpfung, die Förderung von Frieden und Sicherheit in der Welt sind in Zeiten wie diesen wichtiger denn je. Das Bekenntnis zu Demokratie, zu den Menschenrechten und zur Rechtsstaatlichkeit gehört zu den Grundsätzen beider Vertragsparteien, ebenso wie die Zusammenarbeit bei der Bekämpfung des Terrorismus unter uneingeschränkter Wahrung der Rechts­staatlichkeit und des Völkerrechts, in gesundheitspolitischen und pflanzenschutz­recht­lichen Fragen, beim Tierschutz, außerdem in den Bereichen Kultur, audiovisuelle Medien, Land- und Forstwirtschaft, um nur einige wichtige Punkte zu nennen. Wir Freiheitliche werden diesem Partnerschaftsabkommen mit Neuseeland gerne unsere Zustimmung geben.

Erlauben Sie mir zum Abschluss, meine Ausführungen mit einer Maori-Weisheit zu beenden, die da lautet: Du bist eingeladen, deinen Ärger, deine Unzufriedenheit und deine Fragen mitzubringen. Aber wenn du gehst, nimm Frieden, Gutmütigkeit und Freundschaft mit! – Danke. (Allgemeiner Beifall.)

12.42


Vizepräsident Mag. Ernst Gödl: Als Nächste zu Wort gemeldet ist Frau Bundesrätin Dr. Dziedzic. – Bitte, Frau Bundesrätin.

 



BundesratStenographisches Protokoll865. Sitzung / Seite 66

12.42.27

Bundesrätin Mag. Dr. Ewa Dziedzic (Grüne, Wien): Sehr geehrter Herr Minister Kurz! Wertes Präsidium! Werte Kollegen und Kolleginnen! Das Partnerschaftsabkommen ist ein gemischtes Abkommen, das heißt, es betrifft die Europäische Union, es betrifft die Mitgliedstaaten, aber anders als das Abkommen mit Kasachstan betrifft es auch die Wirkungsbereiche der Länder. Deswegen befassen wir uns auch hier im Bundesrat damit. Ziel dieses Abkommens ist, wie meine Vorrednerinnen und Vorredner schon gesagt haben, im weitesten Sinne die wirtschaftlichen Beziehungen zwischen der EU und Neuseeland zu stärken und bessere Rahmenbedingungen zu schaffen, wenn es um den Ausbau von Handel und Investitionen geht. Auf der anderen Seite – auch das haben wir gehört – geht es um die Zusammenarbeit in vielen unterschiedlichen Politikbereichen wie Gesundheit, Umwelt, Klimawandel, Energie, Fischerei, Verkehr, Geldwäsche, Terrorismus, Korruption oder auch Kriminalität.

Für die EU ist Neuseeland auf jeden Fall ein wichtiger Partner, wenn es um das Völkerrecht und um die Menschenrechte geht. Deshalb möchte ich auf einen Punkt hinweisen, den der Vorredner schon aufgegriffen hat, nämlich dass Neuseeland seit 2014 bereits Anträge auf Bleiberecht anerkennt, wenn der Grund Flucht aufgrund einer Gefahr, die durch Klimawandel verursacht wurde, ist.

Das wird in Europa, in Österreich noch nicht einmal debattiert. Wir setzen uns damit noch nicht einmal auseinander. Neuseeland beweist da einen Weitblick, den wir uns auch aneignen sollten. Wir sollten das Thema bald auf unsere realpolitische Agenda setzen.

Was wir an dem Abkommen noch kritisieren, ist widersprüchlich zu dieser Erweiterung um den Asylgrund aufgrund von Klimawandelgründen, nämlich der Einwande­rungs­stopp, ein totaler Einwanderungsstopp, der im Fokus steht. Ich glaube, sosehr der Klimawandel real ist und realpolitisch bearbeitet gehört, so unrealistisch ist es auf der anderen Seite, dass wir in einer globalisierten Welt einen völligen Einwanderungsstopp erreichen können, denn weder das Klima noch Einwanderung, noch Flüchtlinge machen vor Grenzen halt.

Ich glaube, es wäre an der Zeit, sich auch im österreichischen Parlament mit diesem Thema auseinanderzusetzen, gerade, wenn wir all diese internationalen Abkommen hier behandeln, sich zu überlegen, welche Herausforderungen globaler Natur auf uns zukommen, die sich in solchen Abkommen wiederfinden, anstatt einfach hineinzu­schreiben, dass wir keine Einwanderung wollen. Das ist ein Den-Kopf-in-den-Sand-Stecken, das ist ein Wegschauen, wenn es darum geht, Lösungen für globale Heraus­forderungen zu finden. (Zwischenruf der Bundesrätin Mühlwerth.) – Ja, es ist aber so.

Deshalb reicht es, glaube ich, nicht, einen Einwanderungsstopp in solche Abkommen zu schreiben, sondern es ist unser aller Aufgabe, uns damit auseinanderzusetzen, wie wir mit Einwanderung als globalem Phänomen im 21. Jahrhundert umgehen (Beifall bei Bundesräten der SPÖ) und welche Maßnahmen es bräuchte, um dieser Herausfor­derung gerecht zu werden. – Vielen Dank. (Beifall bei Grünen und SPÖ.)

12.46

12.46.02

 


Vizepräsident Mag. Ernst Gödl: Weitere Wortmeldungen liegen dazu nicht vor.

Wünscht noch jemand das Wort? – Es ist dies nicht der Fall. Die Debatte ist geschlos­sen.

Wir gelangen zur Abstimmung.

Da der gegenständliche Beschluss Angelegenheiten der selbständigen Wirkungs­be­reiche der Länder regelt, bedarf dieser der Zustimmung des Bundesrates gemäß Artikel 50 Abs. 2 Z 2 Bundes-Verfassungsgesetz.


BundesratStenographisches Protokoll865. Sitzung / Seite 67

Wir gelangen zunächst zur Abstimmung, gegen den vorliegenden Beschluss des Natio­nalrates keinen Einspruch zu erheben.

Ich ersuche jene Bundesrätinnen und Bundesräte, die diesem Antrag zustimmen, um ein Handzeichen. – Das ist einhellig angenommen.

Nun lasse ich über den Antrag abstimmen, dem vorliegenden Beschluss des National­rates gemäß Artikel 50 Abs. 2 Z 2 Bundes-Verfassungsgesetz die verfassungsmäßige Zustimmung zu erteilen.

Ich ersuche jene Bundesrätinnen und Bundesräte, die diesem Antrag zustimmen, um ein Handzeichen. – Das ist einstimmig angenommen.

12.47.003. Punkt

Beschluss des Nationalrates vom 1. März 2017 betreffend Abkommen über eine verstärkte Partnerschaft und Zusammenarbeit zwischen der Europäischen Union und ihren Mitgliedstaaten einerseits und der Republik Kasachstan andererseits (1458 d.B. und 1481 d.B. sowie 9737/BR d.B.)

 


Vizepräsident Mag. Ernst Gödl: Wir gelangen nun zu Punkt 3 der Tagesordnung.

Berichterstatter ist wieder Herr Bundesrat Seeber. Ich bitte um den Bericht.

12.47.18

 


Berichterstatter Robert Seeber: Sehr geehrter Herr Präsident! Geschätzter Herr Außenminister! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich darf den Bericht des Ausschusses für auswärtige Angelegenheiten über den Beschluss des Nationalrates vom 1. März 2017 betreffend ein Abkommen über eine verstärkte Partnerschaft und Zusammen­arbeit zwischen der Europäischen Union und ihren Mitgliedstaaten einerseits und der Republik Kasachstan andererseits zur Kenntnis bringen.

Der Bericht liegt Ihnen in schriftlicher Form vor. Ich komme daher gleich zur Antrag­stellung.

Der Ausschuss für auswärtige Angelegenheiten stellt nach Beratung der Vorlage am 14. März 2017 mit Stimmeneinhelligkeit den Antrag, gegen den vorliegenden Be­schluss des Nationalrates keinen Einspruch zu erheben.

 


Vizepräsident Mag. Ernst Gödl: Ich danke für den Bericht.

Wir gehen in die Debatte ein.

Als Erster zu Wort gemeldet ist Herr Bundesrat Oberlehner. – Bitte, Herr Bundesrat.

 


12.48.18

Bundesrat Peter Oberlehner (ÖVP, Oberösterreich): Sehr geehrter Herr Präsident! Hohes Präsidium! Sehr geehrter Herr Minister! Werte Kolleginnen und Kollegen im Bundesrat! Nachdem wir jetzt gerade in Neuseeland waren, geht die Reise weiter nach Kasachstan, und damit kommen wir nach Asien. Wir unternehmen heute also quasi eine kleine Weltreise im Bundesrat.

Österreich ist ja bekanntlich eine Exportnation, und es ist sehr wichtig, dass wir Han­delsabkommen in vielerlei Hinsicht und mit vielen Staaten schließen. Der Handel hat große Bedeutung für die Wirtschaft, ist aber auch Verbinder und Türöffner für viele andere Bereiche der Gesellschaft. Die Arbeit des Außenministeriums, all unserer Botschafterinnen und Botschafter und überhaupt aller Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter des Außenministeriums auf der ganzen Welt ist daher von sehr großer Bedeutung für uns in Österreich. Ich darf die Gelegenheit nutzen, einmal Danke zu sagen für die hervorragende Arbeit, die dort geleistet wird.


BundesratStenographisches Protokoll865. Sitzung / Seite 68

Im gegenständlichen Abkommen geht es um eine verstärkte Partnerschaft und Zusam­menarbeit zwischen der EU und ihren Mitgliedstaaten einerseits und der Republik Kasachstan andererseits. Kasachstan ist ein Staat mit 17,75 Millionen Einwohnern auf 2 724 000 Quadratkilometern und damit der neuntgrößte Staat der Erde. Die Haupt­stadt ist Astana. Insgesamt kann man schon sagen, dass Kasachstan ein aufstre­bendes Land ist.

Kasachstan ist ja auch vor einigen Jahren der WTO, der Welthandelsorganisation, beigetreten. Dieses sehr umfangreiche nun vorliegende Vertragswerk knüpft auch an diesen Beitritt an. Ziel ist es, die Rahmenbedingungen für den weiteren Ausbau der Handels- und Investitionsbeziehungen zu verbessern und diesen Rahmen auch zu erweitern.

Handel, Niederlassung und Rechtssicherheit von Unternehmen, Bodenschätze, Ener­gie sowie öffentliche Beschaffungssysteme sind die Themen, um die es vordringlich in diesem Abkommen geht. Vor allem soll dabei aber auch der politische Dialog inten­siviert werden. Die Verbesserung der außen- und sicherheitspolitischen Kooperation und die Bereiche Demokratie, Rechtssicherheit, Menschenrechte und Grundfreiheiten werden ebenso prominent thematisiert wie die generelle Frage der nachhaltigen Entwicklung.

Einige EU-Mitgliedstaaten haben dieses Abkommen bereits im Jahr 2015 ratifiziert und unterzeichnet. Auch in Kasachstan selbst wurde es bereits 2016 ratifiziert. Handels­abkommen – ich darf das noch einmal sagen – sind sehr, sehr wichtig, und auch wenn Kasachstan vielleicht ein Land ist, das wir relativ schwer einschätzen können und wo sich so manche Dinge noch nicht so entwickelt haben, wie wir uns das vorstellen, und die Standards vielleicht noch auf anderem Niveau sind, so ist es doch ein Land, das sich gerade in den letzten Jahren zu einem sehr verantwortungsvollen und auch konstruktiven Partner in Zentralasien entwickelt hat.

Kasachstan ist auch Mitglied der OSZE, und auch dort bringt Kasachstan sich sehr konstruktiv ein. Kasachstan engagiert sich auch für eine kooperative Sicherheitspolitik auf unserer Erde und für Frieden und Stabilität in vielen Bereichen. Kasachstan war zum Beispiel Vermittler in der Ukrainekrise, war Vermittler zwischen der Türkei und Russland und war auch Gastgeber für Syriengespräche.

Auch für uns als Exportland ist Kasachstan mit seinen 17 Millionen Einwohnern ein sehr interessantes Land und ein sehr, sehr wichtiger Markt. Über gute Handelsbe­ziehungen kommt es auch zu anderen Beziehungen, wie wir wissen, und daraus können auch Verbindungen entstehen, die durchaus auch mithelfen können, im gesell­schaftlichen Bereich Veränderungen und Verbesserungen herbeizuführen.

Ein wichtiger Partner ist Kasachstan für uns Österreicher aber auch dann, wenn es darum geht, internationale Interventionen bei der nuklearen Abrüstung auf den Weg zu bringen. Dabei bekommen wir von Kasachstan auch immer sehr viel Hilfe.

Für die Europäische Union ist Kasachstan darüber hinaus auch deshalb ein sehr, sehr wichtiger Partner, weil Astana eine sehr wichtige Brückenfunktion zwischen Moskau und Peking innehat, und diese darf man natürlich in der weltpolitischen Entwicklung nicht unterschätzen.

Meine Fraktion wird dem Partnerschaftsabkommen mit Kasachstan daher sehr gerne seine Zustimmung erteilen. – Danke schön. (Beifall bei ÖVP und SPÖ sowie des Bundesrates Längle.)

12.52


Vizepräsident Mag. Ernst Gödl: Als Nächster gelangt Herr Bundesrat Lindinger zu Wort. – Bitte, Herr Bundesrat.

 



BundesratStenographisches Protokoll865. Sitzung / Seite 69

12.52.51

Bundesrat Ewald Lindinger (SPÖ, Oberösterreich): Herr Präsident! Herr Bun­desminister! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Wir haben jetzt schon sehr viel von meinem Bürgermeisterkollegen aus Oberösterreich, Peter Oberlehner, gehört.

1991 war in der Entwicklung Kasachstans ein sehr wichtiges Jahr. Nach dem Zerfall der Sowjetunion hatte Kasachstan 17 Millionen Einwohner, und innerhalb sehr, sehr kurzer Zeit, innerhalb von fünf bis zehn Jahren – das ist kurz –, fiel die Einwohnerzahl auf 15 Millionen.

Welche Gründe hatte das? – Als Kasachstan eine Sowjetrepublik in der UdSSR war, gab es dort 50 ethnische Gruppen. Die gibt es auch heute noch. Viele Angehörige der größten Minderheiten – russische Bürger –, aber auch eine kleine Gruppe von Deutschen zogen aber wieder dorthin zurück, woher sie kamen. Heute leben noch 1,1 Prozent Deutsche, die sogenannten Kasachstandeutschen oder Wolgadeutschen, in Kasachstan. Sie haben wesentlich dazu beigetragen, dass sich Kasachstan als Wirtschafts- und Bildungsstandort entwickelt hat. In dem Zeitraum, als die Menschen wegzogen, entstand ein Vakuum.

Um diesem Vakuum entgegenzuwirken, hat der Europarat einen Migrationskongress in Kasachstan veranstaltet. Ich war damals mit Kollegin Terezija Stoisits aus dem Euro­parat dort anwesend, da ging es die meiste Zeit nicht um Migration, um Zuwanderung, nein, es ging um das Verhindern der Abwanderung, denn die Universitäten waren leer, die Industrie, die Forschungsinstitute waren leer.

Die Rohstoffe, über die Kasachstan verfügt – Chrom, Vanadium und vor allem Uran, Eisen, Kupfer, Blei, Zink und alle seltenen Rohstoffe, die es noch gibt, und Erdöl –, laden dazu ein, Forschung und Entwicklung im Land zu behalten und nicht in ein anderes Land zu transferieren.

Das deutsche Goethe-Institut fördert in Kasachstan, insbesondere in Almaty, Deutsch­kurse, um die Deutschen im Land zu halten, die dort bleiben sollen, um zur Ent­wicklung beizutragen. Das hat mich beeindruckt, sodass ich mich näher damit be­schäftigt habe. Es ist ja interessant, dass Österreich 50 Niederlassungen oder Repräsentanzen von Firmen in Kasachstan hat. Eine bekannte Vorarlberger Lift- und Anlagenbaufirma hat dort auch wesentliche Investitionen getätigt, und ein bekannter Vorarlberger Logistikunternehmer – mit dem gleichen Namen wie ein ehemaliger Präsident dieses Hauses – hat sehr gute Beziehungen in dieses Land. Österreich exportiert nach Kasachstan Waren im Wert von 220 Millionen €, vor allem Pharma­zeutika, Maschinen und Anlagen, und beim Import im Wert von 865 Millionen € spielt natürlich das Erdöl eine wesentliche Rolle. Ohne Kasachstan müssten wir 25 Prozent unseres Bedarfs durch andere Exportländer abdecken.

Da Kasachstan in den letzten Jahren ein verlässlicher Handelspartner war, ist es gut, dass wir dieses Abkommen unterzeichnen, gemeinsam mit allen Mitgliedstaaten der Europäischen Union. Es schafft ein verbessertes Umfeld für die Wirtschaft, aber auch Rechtssicherheit und Transparenz.

Es ist uns auch ein Anliegen, dass im Bereich der Menschenrechte etwas vorangeht, und wir wissen, dass die OSZE den interkulturellen Dialog fördert und dass 2017, also heuer, die Weltausstellung EXPO in Astana ist und Kasachstan damit in den Mittel­punkt rückt.

Was im Zusammenhang mit dem Thema Freiheit der Beziehungen auch ganz wichtig ist, ist, dass wir für Kasachstan kein Visum mehr brauchen. Auf der Wirtschafts­kammer-Homepage ist angemerkt, dass Österreicher ab 1. Jänner 2017 visafrei einreisen können – ich hoffe, auch ausreisen. (Heiterkeit der Bundesrätin Zwazl.)


BundesratStenographisches Protokoll865. Sitzung / Seite 70

Darum ist es auch gut, dass die Europäische Union und Österreich, mit uns hier im Bundesrat, dieses Abkommen ratifizieren und unterzeichnen. Das Abkommen ist ja 2015 schon vorunterzeichnet worden, und damit wurde beschlossen, dass wir heuer, 2017, im Jahr der Weltausstellung, diesen Schritt setzen. Darum ist es gut, dass wir diesem Übereinkommen unsere Zustimmung geben. (Beifall bei SPÖ, ÖVP und Grünen.)

12.59


Vizepräsident Mag. Ernst Gödl: Als Nächster zu Wort gemeldet ist Herr Bundesrat Längle. – Herr Bundesrat, bitte sehr.

 


13.00.02

Bundesrat Christoph Längle (FPÖ, Vorarlberg): Herr Vizepräsident! Sehr geehrter Herr Minister! Geschätzte Damen und Herren! Auch in der Vergangenheit haben wir Freiheitliche derartige Abkommen immer unterstützt. Der Kollege hat es vorhin ja auch gesagt: Handel ist sehr wichtig. Wir Freiheitliche haben auch bisher schon bei solchen Abkommen vor allem die Rechtsstaatlichkeit, die Rechtssicherheit und auch die Aspekte des Umweltschutzes immer hervorgehoben.

Bezüglich Kasachstan noch ein paar Ergänzungen: Das BIP liegt bei etwa 180 Mil­liarden €. Es ist damit im Vergleich zu anderen Staaten zwar deutlich niedriger, vor allem auch wenn man es in Relation zur Größe des Landes und zur Einwohnerzahl sieht, dennoch denke ich, dass bezüglich Kasachstan sehr viel möglich ist. Es ist schon angesprochen worden, es gibt dort sehr viele Rohstoffe, vor allem Erz-, Gold- und Nickel-, aber eben auch Öl- und Gasvorkommen. Ich meine, dass das für das Land sehr, sehr viele Möglichkeiten beinhaltet, gerade auch, was die angesprochenen Handelsbeziehungen betrifft. Damit werden auch Arbeitsplätze gesichert, und es wird doch ein gewisser Wohlstand ermöglicht.

Wichtig ist dabei aber auch immer, dass die Umweltstandards nicht vergessen werden dürfen. Kasachstan hat viele Flüsse und Seen. Der Schutz der dortigen Tierwelt, zum Beispiel der Kaspischen Robbe, ist zu unterstreichen. Die Fehlentwicklungen betref­fend den Aralsee und der damit verbundene Schaden für Mensch und Tier sind Mahnbeispiele für Misswirtschaft. Gerade eine intakte Natur muss erhalten bleiben, die Umwelt ist in allen Bereichen schonend zu behandeln. Nicht nur wir, sondern auch nachfolgende Generationen werden noch dankbar sein, wenn es einen sauberen Planeten beziehungsweise eine intakte Natur gibt.

Besonders wichtig in Handelsfragen ist, dass Kasachstan die Parameter der WTO umsetzt. Der Beitritt erfolgte ja, wie bekannt, im Jahr 2015, und das ist noch nicht lange her. Ich meine, dass es dort noch viel zu tun gibt und Kasachstan noch einiges umzu­setzen hat. Grundsätzlich sind derartige Parameter von Vorteil, da davon eben auch die Wirtschaft profitiert und der Ausbau guter Handelswege prinzipiell auch nicht schlecht ist. Bedeutend ist dabei vor allem die Rechtssicherheit, was Stabilität für Unternehmen bedeutet. Diese haben somit keine Ungewissheit mehr, sondern können sich voll und ganz auf ihre Aufgaben konzentrieren und dafür Sorge tragen, dass Wohlstand generiert wird und Arbeitsplätze abgesichert werden.

Erfreulich ist auch, dass der politische Dialog gesucht wird. Wir haben es schon gehört: Kasachstan war ja vor rund 25, 26 Jahren noch Teil der Sowjetunion. Ich denke, es ist sehr wichtig, dass dort Demokratie, freie Meinungsäußerung und dergleichen gelebt werden und die Bürger das Recht dazu haben.

Abschließend halte ich fest, dass es von freiheitlicher Seite keine Einwände gibt und wir diesem sogenannten gemischten Abkommen unsere Zustimmung erteilen werden. Zu unterstreichen sind eben ein progressiver Umweltschutz, der Ausbau der Men-


BundesratStenographisches Protokoll865. Sitzung / Seite 71

schenrechte und die Vertiefung der Handelsbeziehungen. – Danke. (Beifall bei der FPÖ und bei Bundesräten der ÖVP.)

13.03


Vizepräsident Mag. Ernst Gödl: Als Nächste zu Wort gemeldet ist Frau Bundesrätin Dr. Dziedzic. – Bitte.

 


13.03.29

Bundesrätin Mag. Dr. Ewa Dziedzic (Grüne, Wien): Sehr geehrter Herr Minister! Wertes Präsidium! Werte Kollegen und Kolleginnen! Es ist ja so, dass Kasachstan das erste zentralasiatische Land ist, mit dem die EU ein Abkommen geschlossen hat, in dem es um verstärkte Partnerschaft geht. Natürlich geht es dabei um die Vertiefung der Handelsbeziehungen genauso wie um die wirtschaftlichen Verflechtungen mit Kasachstan. Wir alle wissen aber, dass Handel nicht ausreicht, um eine Region zu stärken.

Es ist gerade – wir haben es schon in den vorangegangenen Reden gehört – im Falle Kasachstans so, dass es vor allem zu einer Stärkung der parlamentarischen Demo­kratie kommen muss. Es liegt natürlich große Hoffnung in solchen Abkommen, dass sich nicht nur auf der wirtschaftlichen Ebene etwas vorwärtsbewegt, sondern auf Men­schenrechtsebene genauso wie auf der parlamentarischen Ebene.

Grundsätzlich begrüßen wir also dieses Abkommen. Ich möchte lediglich zwei kritische Punkte anmerken. Der eine Punkt betrifft wie schon bei Neuseeland den starken Fokus auf den Einwanderungsstopp. Wir haben vorhin gehört, dass Kasachstan damit zu kämpfen hat, dass es eine Abwanderung und nicht so sehr eine Einwanderung gibt. Wir wissen auch, dass die EU diesbezüglich klare Ziele verfolgt, eben sozusagen einen Riegel vorzuschieben, wenn es um weitere Einwanderung geht. Ob das so aufgeht, ist natürlich die Frage.

Etwas, was eigentlich amüsant sein könnte, wäre es politisch nicht so relevant, betrifft die Erläuterungen und die Darstellung von Österreichs Klimaperformance darin. Da steht nämlich etwas Irrtümliches drin, und zwar, dass in Österreich der Anteil erneuer­barer Energie bei der Energieaufbringung bei 78,4 Prozent liegt. Das stimmt so nicht. Da sollten wir präziser sein, vor allem, wenn wir ein Vorbild sein möchten. – Danke schön. (Beifall bei den Grünen.)

13.05

13.05.50

 


Vizepräsident Mag. Ernst Gödl: Weitere Wortmeldungen liegen dazu nicht vor.

Wünscht noch jemand das Wort? – Es ist dies nicht der Fall. Die Debatte ist geschlos­sen.

Wir gelangen zur Abstimmung.

Ich ersuche jene Bundesrätinnen und Bundesräte, die dem Antrag zustimmen, gegen den vorliegenden Beschluss des Nationalrates keinen Einspruch zu erheben, um ein Handzeichen. – Das ist die Stimmeneinhelligkeit. Der Antrag ist somit angenommen.

13.06.294. Punkt

EU-Arbeitsprogramm 2017; Bericht des Bundesministers für Europa, Integration und Äußeres (III-615-BR/2017 d.B. sowie 9738/BR d.B.)

 


Vizepräsident Mag. Ernst Gödl: Nunmehr gelangen wir zu Punkt 4 der Tages­ord­nung.

Berichterstatter ist Herr Bundesrat Schödinger. – Ich bitte um den


BundesratStenographisches Protokoll865. Sitzung / Seite 72

Bericht.

 


13.06.46

Berichterstatter Gerhard Schödinger: Sehr geehrtes Präsidium! Herr Minister! Sehr geehrte Damen und Herren! Ich erstatte den Bericht des Ausschusses für auswärtige Angelegenheiten über das EU-Arbeitsprogramm 2017; Bericht des Bundesministers für Europa, Integration und Äußeres (III-615-BR/2017 d.B.).

Der Bericht liegt in schriftlicher Form vor; ich komme daher zur Antragstellung:

Der Ausschuss für auswärtige Angelegenheiten stellt nach Beratung der Vorlage am 14. März 2017 den Antrag, das EU-Arbeitsprogramm 2017; Bericht des Bundes­ministers für Europa, Integration und Äußeres (III-615-BR/2017 d.B.) zur Kenntnis zu nehmen.

 


Vizepräsident Mag. Ernst Gödl: Ich danke für die Berichterstattung.

Wir gehen in die Debatte ein.

Als Erste zu Wort gemeldet ist Frau Bundesrätin Mühlwerth. – Bitte, Frau Bundesrätin, du bist am Wort.

 


13.07.33

Bundesrätin Monika Mühlwerth (FPÖ, Wien): Sehr geehrter Herr Präsident! Sehr geehrter Herr Minister! Sehr geehrte Damen und Herren hier im Saal und vor dem Live­stream zu Hause! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Als ich das Arbeitspro­gramm 2017 bekommen habe, habe ich mir gedacht: Wahnsinn, das ist aber schon ein ziemlich starkes Ding! (Bundesrat Mayer: Ja!) 52 Seiten, was da drinstehen mag? Voller Neugierde habe ich mich darangemacht und habe festgestellt, es enthält schon sehr viele Absichtserklärungen. Das ist bei einem Arbeitsprogramm nicht grundsätzlich unüblich, aber es sind Absichtserklärungen, die ich nicht zum ersten Mal lese. Wenn man die Arbeitsprogramme der vergangenen Jahre Revue passieren lässt, kann man sagen, es finden sich darin immer wieder dieselben Textpassagen. Es erinnert tat­sächlich sehr an das Arbeitsprogramm der Regierung beziehungsweise das Regie­rungs­programm an sich selbst.

Nehmen wir zum Beispiel den Punkt 2: Die EU muss effizienter, fokussierter, bürger­näher werden. – Na, das hören wir jetzt tatsächlich schon seit Jahren, ohne dass da tatsächlich etwas passiert. Wenn man den gestrigen EU-Ausschuss des Bundesrates betrachtet und allein fünf Mitteilungen – fünf waren es, glaube ich (Bundesrat Schennach: 3 plus 2!) – nach Brüssel geschickt wurden, in denen Österreich – vier davon waren einstimmig, eine mehrheitlich – seine Kritik an den Vorhaben Brüssels geäußert hat, dann weiß man, dass von effizienter, fokussierter Bürgernähe in der EU noch immer keine Rede sein kann. Die EU ist nach wie vor in vielen Bereichen über­schießend.

Das Arbeitsprogramm überschneidet sich jetzt leider ein wenig mit dem Bericht, um den es beim nächsten Tagesordnungspunkt gehen wird, wozu ich auch zu reden die Ehre habe. Ich nehme jetzt schon ein bisschen etwas vorweg. Die EU ist wirklich in vielen Bereichen überschießend. Sie schafft es nicht, ihre Außengrenzen zu sichern, aber sie weiß, wie ein Glühbirnenverbot geht, und Sie weiß, wie eine Allergen­ver­ordnung funktioniert, im Rahmen derer die Wirte schwer unter Druck gekommen sind, und will im Grunde genommen alles regeln. Im Wesentlichen sollte sich die EU aber auf ihre Kernaufgaben besinnen und da wirklich dafür sorgen, dass das auch funktioniert. Das wäre ja schon einmal ein Schritt in die richtige Richtung.

Den künftigen Beitrittskandidaten wird auch ziemlich viel Raum gewidmet, vor allem Montenegro, Serbien, Mazedonien und Albanien; beim Kosovo ist es noch ein bisschen unsicher. Ich möchte jetzt nicht generell sagen, die brauchen wir nicht. Ich halte den Balkan für die österreichische Außenpolitik und auch für das EU-Arbeits­programm durchaus für wichtig. Schauen wir uns aber an, was in den vergangenen


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Jahren im Zuge der Ostöffnung passiert ist! Wir Freiheitliche haben schon in den Neunzigerjahren gesagt, wir sollten die Länder am Balkan nicht so schnell beitreten lassen, zum Beispiel Rumänien, Bulgarien und so weiter, und heute muss man wirklich darüber nachdenken, ob es nicht zu früh und zu schnell war. Das trifft auch durchaus auf die jetzigen Kandidaten – auf Serbien vielleicht eher weniger – zu.

Es ist nichts dagegen zu sagen, dass diese Länder mit uns kooperieren, aber auch dort gibt es verschiedene Wirtschaftsgeschwindigkeiten, das Rechtssystem ist nicht das gleiche, und man muss sich auch die Korruption anschauen. Auch da muss man sich die Frage stellen, ob das – denn die meisten davon sind ja Beitrittskandidaten – wirklich so schnell passieren muss, ohne dass der Eindruck entsteht, wir würden sie nicht wollen. Das stimmt nämlich nicht. Das muss aber doch vielleicht mit Maß und Ziel passieren und, was die Geschwindigkeit betrifft, halt mit Bedacht, damit wir nicht die Armenhäuser Europas werden. (Beifall bei der FPÖ.)

Die Türkei ist sowieso ein eigenes Kapitel, erhält auch in dem Arbeitsprogramm ein eigenes Kapitel, und das zu Recht. Als wir in den Neunzigerjahren gesagt haben, die Türkei sei kein EU-Beitrittskandidat, sind wir noch von allen Seiten gescholten worden. Alle haben gesagt, das ist ganz furchtbar, wie das ja oft bei Dingen, die uns betreffen, der Fall ist. Im Nachhinein haben wir recht bekommen, denn mittlerweile hat sich die Linie ja komplett geändert. Selbst die EU sagt mittlerweile, die Türkei kann nicht mehr Beitrittskandidat sein. Sie, Herr Minister, haben von einem Assoziierungsabkommen gesprochen. Das war etwas, was wir von Anfang an vorgeschlagen haben. Wir haben gesagt, die Türkei ist als Partner, auch als Wirtschaftspartner denkbar, aber keinesfalls als vollwertiges Mitglied der Europäischen Union.

Wenn man sich jetzt anschaut, wie ein selbstverliebter Erdoğan offensichtlich am Reich der Osmanen anknüpfen und der nächste Sultan der Türkei werden möchte, dann ist es ja nur eine logische Konsequenz zu sagen: So geht das nicht! Das, was er jetzt an Erpressungsversuchen unternimmt, haben Sie zu Recht zurückgewiesen. Das überschneidet sich jetzt eben auch mit dem Außenpolitischen Bericht: Es kann so nicht gehen, dass Wahlkampfauftritte türkischer Abgeordneter oder gar Minister in Öster­reich stattfinden, um die türkische Community dazu zu bringen, für das Referendum zu stimmen. Die Absage ist wirklich völlig gerechtfertigt, allein das Ansinnen ist eigentlich schon unmöglich.

Auch das haben wir schon einige Male thematisiert, nämlich dass Leute, wenn De­monstrationen der türkischen Community stattfinden, mit türkischen Fahnen auf die Straße gehen und sich pro Erdoğan äußern. Da frage ich mich, wo eigentlich die Integration geblieben ist, denn ein Großteil dieser Menschen hat schon die öster­reichische Staatsbürgerschaft. Niemand muss seine Wurzeln verleugnen, aber die Loyalität gegenüber dem Land, dessen Staatsbürgerschaft ich habe, muss einfach gewährleistet sein, und das muss jedem Bürger, der die österreichische Staatsbür­gerschaft, die ja ohnehin viel zu oft, viel zu schnell verliehen worden ist, klar sein. Da müssen auch klare Worte gegenüber jenen gesprochen werden, die glauben, sie können es sich überall bequem machen. (Beifall bei der FPÖ.)

Somit sind wir auch schon bei der Doppelstaatsbürgerschaft. Das ist ja etwas, was die Türkei macht. Die türkische Staatsbürgerschaft muss zwar offiziell zurückgegeben werden, beim Hintertürl geht man aber an irgendeiner Stelle wieder hinein und be­kommt die Staatsbürgerschaft wieder verliehen. Österreich weiß davon nichts, zumin­dest offiziell, hören wir immer, man weiß nichts davon. Man kann es aber auch nicht kontrollieren, wobei uns der Beamte am Dienstag im Ausschuss gesagt hat, dass das schon auch eine Sache der Länder wäre.


BundesratStenographisches Protokoll865. Sitzung / Seite 74

Das führt uns zu der Subsidiarität, die der Tiroler Landeshauptmann Platter heute angesprochen hat, nämlich jede Ebene soll das tun, was sie am besten kann. Die Länder sollten sich vielleicht verstärkt darum kümmern, wie das mit den Doppel­staatsbürgerschaften ist, und auch versuchen, das mehr zu kontrollieren, denn bis jetzt ist man nur zufällig draufgekommen. Es wird kolportiert, dass es nur ein paar Hundert sind, aber es sind ein paar Tausend, wenn nicht Zehntausende, die eine doppelte Staats­bürgerschaft haben.

Ein weiterer Punkt sind auch die Rückführungsabkommen. Der Dialog mit den Staaten ist immer gut. Wenn uns aber ein Land quasi die lange Nase zeigt und niemanden zurücknimmt, gleichzeitig die Europäische Union aber Fördergelder an jenes Land zahlt, dann, sage ich Ihnen, ist das schon eine schiefe Optik. Auch da müssen klare Worte gesprochen werden! Es muss gesagt werden: Entweder nehmt ihr die Men­schen zurück – denn es gibt mit einigen Ländern ja Abkommen, mit anderen nicht, so wie mit Marokko zum Beispiel –, schließt ihr ein Abkommen ab und nehmt die Menschen dann auch zurück, oder die Fördergelder werden empfindlich gekürzt oder überhaupt eingestellt! Ja, das muss man sagen.

Dieser Arbeitsplan klingt gut, ist ja auch gut erstellt – ich danke für die Erstellung –, aber wir sagen, dass der Plan inhaltlich über weite Strecken Absichtserklärungen enthält, denen noch kein Ergebnis gefolgt ist. Die gibt es schon länger, und daher werden wir diesen Arbeitsplan nicht zur Kenntnis nehmen. (Beifall bei der FPÖ.)

13.16


Vizepräsident Mag. Ernst Gödl: Als Nächster zu Wort gemeldet ist Herr Bundesrat Mayer. – Bitte.

 


13.16.48

Bundesrat Edgar Mayer (ÖVP, Vorarlberg): Herr Präsident! Sehr geehrter Herr Minister! Liebe Kolleginnen und liebe Kollegen! Frau Kollegin Mühlwerth, ein Arbeits­programm ist eben ein Arbeitsprogramm, und mit einem Arbeitsprogramm muss man entsprechend arbeiten. Es sind nicht nur Absichtserklärungen, keine Kopien von den letzten Jahren, denn Dinge, die erledigt sind, brauchen wir nicht wieder in ein Arbeits­programm zu schreiben. (Bundesrätin Mühlwerth: Ja, da sind ja noch viele Dinge davon nicht erledigt!)

Jetzt zum EU-Ausschuss. – Danke für eure Mitarbeit! Gestern haben wir drei begrün­dete Stellungnahmen und zwei Mitteilungen beschlossen und nach Brüssel geschickt. Aus verschiedenen Blickwinkeln betrachtet sind die Freiheitlichen sowieso gegen die EU-Vorgaben. Wir sind konstruktiv kritisch, und das kann man dann natürlich auch entsprechend anmerken. (Bundesrätin Mühlwerth: Das ist eine reine Behauptung von dir!) – Das ist keine reine Behauptung, das sind Tatsachen – oder, Herr Kollege Schennach? –, das können wir hier schon in dieser Ausprägung feststellen.

Das Arbeitsprogramm klingt gut, ist gut und ist inhaltlich hervorragend. Das möchte ich eingangs feststellen, und das im Rahmen von einer Minute.

Mit dem vorliegenden Bericht will die EU ihren Fokus verstärkt auf die Nachbar­schafts­politik und damit auch auf die im Zuge der Flüchtlingsbewegung zunehmende wechsel­seitige Abhängigkeit zwischen der Union und ihren Nachbarstaaten legen. Das vor­gelegte aktuelle Außenpolitische Jahresprogramm der EU unterstreicht übrigens auch den Zusammenhang von Entwicklungszusammenarbeit und Migration, wobei Öster­reich vor allem die Frage der Kooperation, der Partnerschaften bei der Rückführung abgelehnter AsylwerberInnen anspricht. Darauf komme ich auch noch etwas später zu sprechen.


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Zum Thema EU-Erweiterung, das von dir, liebe Frau Kollegin Mühlwerth, ange­sprochen worden ist: Ja, wir sind Schutzmacht am Westbalkan. Da gibt es immer wieder gute Kooperation. Diesbezüglich sind Verhandlungen im Gang, aber jetzt von einem Beitritt zu reden, ist bei Gott verfrüht oder viel zu früh. Auch der Kommissar hat gesagt, in der laufenden Legislatur wird es zu keinen weiteren Beitritten kommen. Aufgrund der politischen Situation, der politischen Verhältnisse heißt es, sehr sorgsam mit den einzelnen Kapiteln umzugehen.

Weiters will die EU Bemühungen und Förderung guter Regierungsführung, von Demokratie, Rechtsstaatlichkeit und Einhaltung der Menschenrechte sowie den Kampf gegen Korruption fortsetzen. Das wurde schon erwähnt, das kann ich unterstreichen.

Man muss bei diesem Bericht auch einige Punkte herausgreifen, denn die Information auf den 52, 53 Seiten ist wirklich sehr intensiv und komprimiert. Viele Punkte sind angesprochen worden. Man kommt um den Brexit natürlich nicht herum. Das ist ein ganz wichtiges und wesentliches Thema, weil es auch Österreich betreffen wird. In unserer Vorsitzführung werden dann schlussendlich die Verhandlungen abgeschlossen werden. Das ist auch für den Staat Österreich, für unseren Außenminister, für unsere Regierung eine Riesenherausforderung, denn das wird kein einfaches Unterfangen, zumal schon beide Kammern in England diesen Beschluss gefasst haben. Man erwartet demnächst schlussendlich das Austrittsschreiben. Die Briten haben da natürlich ganz spezielle Vorstellungen, wie sie immer schon spezielle Vorstellungen hatten. Als Beispiel sei der Britenrabatt erwähnt – viel Leistung, wenig Geld. Es soll auch wieder in diese Richtung gehen.

Es stehen uns also einige ziemlich intensive und harte Verhandlungen bevor, denn sie wollen zum Beispiel den Austritt aus dem Europäischen Binnenmarkt, ein Ende der Freizügigkeit für EU-Arbeitnehmer in Großbritannien und keine Unterwerfung unter die Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofes. Gleichzeitig wollen die Briten ein umfassendes Freihandelsabkommen mit der Europäischen Union abschließen.

Die Herausforderungen sind groß, zumal natürlich in ihrem eigenen Land die Kritik immer größer wird und Schottland jetzt klar in die Richtung geht, eine zweite Abstim­mung durchzuführen und dann unter Umständen das Königreich beziehungsweise Great Britain zu verlassen. (Bundesrat Schennach: Dann gibt es auch kein Vereinigtes Königreich mehr!) – Ein Vereinigtes Königreich gibt es dann schon noch, es sind ja einige andere auch noch mit dabei, wie Irland und Wales und so weiter. Kollege Schennach, dich als großen Europapolitiker brauche ich nicht extra über die Situation aufzuklären.

Die Bewältigung der Flüchtlings- und Migrationskrise zählt zu den wichtigsten Heraus­forderungen Europas. Das wissen wir, da sind wir auch sehr intensiv dabei.

Es geht auch um den Aktionsplan für Europa, bei dem es um entsprechende Maß­nahmen geht, und natürlich auch um die Europäische Agentur für die Grenz- und Küstenwache, um Frontex. Diese soll weiter ausgebaut werden, soll mit mehr Personal bestückt werden. Damit soll dann auch ein dauerhaftes System zum Schutz der Grenzen, zur Vermeidung und Behebung von Schwachstellen bei Einreisekontrollen von Personen etabliert werden.

Es gibt im Bericht auch den Punkt Externe Migrationsaspekte – Frau Kollegin Mühlwerth hat das angesprochen –, da sind wir wirklich in intensiven Verhandlungen. Es gibt bereits Fortschritte mit Äthiopien, Mali, Niger, Nigeria und Senegal. Auch im Jahr 2017 wird massiv weiter darauf eingewirkt werden, dass es natürlich insbeson­dere um die Eindämmung der irregulären Migration geht und dass man zu den Her­kunftsländern entsprechende Beziehungen aufbaut.


BundesratStenographisches Protokoll865. Sitzung / Seite 76

Angesprochen wurde auch, dass es auf EU-Ebene ein klares Mandat für weitere Verhandlungen von Rückübernahmeabkommen gibt – das sind schon essenzielle Punkte –, bei den nordafrikanischen Staaten zum Beispiel mit Algerien, Marokko oder Tunesien, aber auch mit anderen Staaten wie Belarus, China oder Nigeria. Österreich hat die EU-Kommission wiederholt aufgefordert, diese Verhandlungen intensiv voran­zutreiben. Zusätzlich haben sich Afghanistan und die EU im Jahr 2016 in einer gemeinsamen Erklärung über den Joint Way Forward on Migration Issues geeinigt, in der für alle EU-Mitgliedstaaten auch die zwangsweise Rückführung afghanischer Staats­angehöriger vorgesehen ist.

Frau Kollegin Mühlwerth, angesichts dessen kann man nicht sagen, dass wir nicht in intensiven Verhandlungen stehen. Man ist auf EU-Ebene wirklich intensiv bemüht, Lösungen herbeizuführen – immer wieder auch aufgefordert von unserem Außen­minister, der diese Problematik bei jeder Gelegenheit entsprechend aufzeigt.

Auch die im Jahr 2016 vorgenommene Schließung der Westbalkanroute wurde seit dem Treffen der Staats- und Regierungschefs am 7. März 2016 wiederholt auf EU-Ebene bestätigt und bekräftigt. Es besteht Konsens auf EU-Ebene, diese Schließung beizubehalten. Hierbei hat sich Österreich – das wissen wir –, die österreichische Bundesregierung, aber auch unser Minister Sebastian Kurz, große Verdienste erworben. Das hat wesentlich zur Stabilisierung der öffentlichen Sicherheit und zur Stabilisierung des sozialen Friedens in Österreich beigetragen.

Nächster Punkt: OSZE. – Wir haben derzeit den Vorsitz bei der OSZE inne. In Hamburg wurden ganz klar die weiteren Ziele festgelegt. Österreich wird diesen Vorsitz bis Ende des Jahres innehaben, und wir werden in der ersten Dezemberwoche auch eine große OSZE-Konferenz in Wien abhalten. Es geht klar um Prioritäten: Ent­schärfung von Konflikten im Kampf gegen Radikalisierung, Wiederherstellung von Vertrauen – auch ein essenzieller Punkt –, und das ist auch eine Herausforderung für die österreichische Vorsitzführung.

Abschließend zur Türkei: Die Türkei wird im Bericht als Sonderfall bezeichnet. Das ist wirklich eine gelinde Bezeichnung. Die aktuellen Ereignisse erfordern auch ein Um­denken in der Frage des türkischen Beitritts zur EU. Unser Minister hat es so formu­liert: Ein EU-Beitritt dieser Türkei ist undenkbar! Und er befürwortet einen Abbruch der Beitrittsverhandlungen.

Was sich inzwischen täglich an weiteren Eskalationen im Zuge der Volksabstimmung zur Einführung eines präsidialen Systems – ich möchte es jetzt einmal so bezeichnen –, sprich autoritären sunnitischen Gottesstaates, ereignet, ist unglaublich. Demokratische Systeme müssen sich als Nazis und Faschisten beschimpfen lassen. Das Tüpfelchen auf dem i ist die heutige Aussage von Außenminister Cavusoglu, der einen Teil der Flüchtlingsvereinbarung aufgekündigt hat. – Unglaublich!

Der AKP-Wahlkampf und die damit verbundene türkische Innenpolitik sollen in die mitteleuropäischen Staaten getragen werden. Wir wollen das nicht und wir brauchen das auch nicht! Wir sind keine Nazis und wir sind keine Faschisten! Wir bieten keinen Terroristen Schutz. Österreich ist ein Rechtsstaat, achtet die Menschenrechte und hat nicht Hunderte kritische Journalisten weggesperrt. Österreich hat nicht Tausende Men­schen verhaftet, die ohne faires Verfahren eingesperrt wurden. Und Österreich hat nicht mehr als 100 000 Beamte entlassen, die angeblich – angeblich! – einer anderen Gesinnung zugehörig sind.

Auch was die Doppelstaatsbürgerschaft betrifft – Frau Kollegin Mühlwerth, da kann ich deinen Argumenten folgen (Bundesrätin Mühlwerth: Aber auch jetzt erst!) –, sind wir dagegen. Wenn jemand die österreichische Staatsbürgerschaft erworben hat, gibt es ganz klare Rechte und Pflichten. Jeder weiß, wenn er die österreichische Staats­bürger-


BundesratStenographisches Protokoll865. Sitzung / Seite 77

schaft hat, dann kann er nebenher keine zweite Staatsbürgerschaft haben (Bundesrat Stögmüller: Außer Arnold Schwarzenegger!), denn dann ehrt und achtet er die österreichische Staatsbürgerschaft nicht, und diese ist ein hochwertiges Gut, Kollege Stögmüller. Ich betone: ein hochwertiges Gut! (Beifall bei ÖVP, SPÖ und FPÖ.)

Bei dieser Frage kann es keine Toleranz geben. Es kann nicht möglich sein, dass man, wenn man seinen Pass auf der Bezirkshauptmannschaft überreicht oder ihn zuge­schickt bekommt, eine Woche später in die Türkei fliegt und sich dort den türkischen Pass wieder ausstellen lässt, weil man diesen ja vorher abgegeben hat. Das ist keine akzeptable Vorgangsweise, das hat mit Treu und Glauben nichts zu tun und ist mit dem Besitz der österreichischen Staatsbürgerschaft nicht vereinbar! So schaut’s aus! (Beifall bei ÖVP, SPÖ und FPÖ.)

Herr Minister, nochmals danke für den Bericht! Ich danke aber auch für die klare Haltung in der Türkeifrage, denn Demokratie, Menschenrechte, Rechtsstaatlichkeit sollten immer im Vordergrund unseres politischen Handelns stehen. – Danke. (Beifall bei ÖVP und SPÖ.)

13.27


Vizepräsident Mag. Ernst Gödl: Ich darf nun das Wort Frau Bundesrätin Dr. Reiter erteilen. – Bitte, Frau Bundesrätin, Sie sind am Wort. The floor is yours.

 


13.28.06

Bundesrätin Dr. Heidelinde Reiter (Grüne, Salzburg): Hohes Präsidium! Herr Minis­ter! Werte Kolleginnen und Kollegen! Werte Gäste und Menschen, die im Livestream die Sitzung verfolgen! Sollte von diesen Menschen noch irgendjemand wissen, was in so einem Bericht steht und was wir hier eigentlich verhandeln, dann würde mich das sehr wundern. (Präsidentin Ledl-Rossmann übernimmt den Vorsitz.)

Der Bericht ist, wie gesagt, sehr umfangreich. Es ist ein Vorhabensbericht – im Unterschied zu dem, was wir beim nächsten Tagesordnungspunkt verhandeln werden. Man erfährt wirklich, was es so alles in der Welt innerhalb und außerhalb der EU gibt, die verschiedensten Kooperationsbereiche mit Ländern, mit Regionen, mit Organi­sationen. Es gibt Nachbarschaftspolitik, Gemeinsame Sicherheits- und Verteidigungs­politik, Partner, mit denen man über Assoziierungsabkommen, über Wirtschafts­part­nerschaften verbunden ist. Es gibt regionale Abkommen. Es gibt den Bereich UNO, den Bereich OSZE, wo Österreich 2017 den Vorsitz führt, es gibt den Europarat, die EFTA, den EWR, aber ich muss sagen: Ich fand es sehr schwierig, das zu lesen – schwierig insofern, als ich eigentlich immer auf der Suche war. Ja, diese Organi­sationen gibt es, und jetzt gibt es diesen EU-Vorhabensbericht, die EU-Präsident­schaften stellen auch immer vor, was sie dann vorhaben, aber mich hätte da eben interessiert: Was sind die konkreten österreichischen Positionen in diesen Be­reichen? – Das sucht man in diesem Bericht leider größtenteils vergeblich.

Es gibt zum Beispiel die Überschrift Brexit. Für mich wäre schon interessant gewesen, ob es vielleicht so etwas wie eine Positionierung Österreichs zum Brexit gibt, denn dass es den Brexit gibt, wusste ich auch schon aus der Zeitung. Selbst der durch­schnittliche Zeitungslektüreleser ist wahrscheinlich bei Weitem besser informiert, selbst über die Absichten der Bundesregierung, als man es aufgrund dieses Berichtes ist.

Das finde ich schade. Ich weiß aber auch nicht wirklich, wie das zu ändern ist, weil es vom Thema her derart umfangreich ist. Wenn wir zum Beispiel EUSALP hernehmen, den Zusammenschluss der alpinen Regionen, und die Pläne von Landeshauptmann Platter, die er heute vorgestellt hat, so stelle ich mir vor, dass ich so etwas in diesem Bericht finden würde. Aber das ist, wie gesagt, nicht der Fall.


BundesratStenographisches Protokoll865. Sitzung / Seite 78

Ein wichtiger Fokus in dem Ganzen ist die Migrationspolitik, wie auch heute schon in der Debatte. Aber diese ganze Thematik ist fast ausschließlich von Sicherheitspolitik dominiert, wo es um die Frage geht: Wie können flüchtende Menschen davon abgehalten werden, überhaupt in die EU zu kommen? – Ich finde es traurig und schade, dass radikale Lösungen – damit meine ich Lösungen, die an die Wurzel des Problems gehen – eigentlich weder diskutiert werden noch sich irgendwie im Vorha­bensbericht niederschlagen. Es geht um Abschottung und darum, wie man so viele wie möglich so schnell wie möglich wieder zurückschickt.

Da sind wir beim wichtigen Thema der Rückübernahmeabkommen, das auch schon angesprochen worden ist. Es steht im Bericht, Österreich fordert die Kommission auf, Verhandlungen über entsprechende Abkommen voranzutreiben. – Punkt. Das ist es.

Dieses Thema wird dann auch mit dem Thema Entwicklungszusammenarbeit verbun­den, aber es gibt praktisch keine Analysen oder Vorstellungen, wie eine Entwicklungs­zusammenarbeit, die Migration und Fluchtgründe wirksam reduziert und bekämpft, ausschauen könnte, die die Verhältnisse in diesen Ländern so verbessert, dass die Menschen dort bleiben können und Entwicklungsmöglichkeiten finden. Stattdessen wird zum Beispiel die dortige Landwirtschaft durch subventionierte europäische Agrarprodukte ruiniert, werden Gewässer leergefischt oder wird Ähnliches getan. Die Frage, ob da nicht auch vieles in der Vergangenheit falsch gelaufen ist und ob es da nicht konkrete Verbesserungsmöglichkeiten gäbe, wird gar nicht gestellt. – Nein, leider!

Was Österreich offensichtlich massiv im Rat unterstützt, ist beinharte Erpressung. Das heißt: Rückübernahmeabkommen gegen Entwicklungshilfe. Da steht Österreich eigent­lich im Gegensatz zu einer Entscheidung im Europäischen Parlament, wo sich alle Fraktionen klar gegen eine solche Junktimierung dieser beiden Dinge ausge­sprochen haben.

Drei Seiten des vorliegenden Berichtes sind den Menschenrechten gewidmet, dem Einsatz der EU für ein starkes und effizientes Menschenrechtssystem. Da gibt es einen strategischen Rahmen und Aktionsplan, es gibt Menschenrechtsdialoge mit über 40 Staaten, aber Konkretes sucht man auch da wieder vergeblich, nämlich zum Bei­spiel eine genauere Definition, welche Rechte MigrantInnen in der EU haben oder haben sollten.

Und dann gibt es eben den Sonderfall Türkei; das ist auch ein eigenes Kapitel und eine Überschrift. Darunter steht, dass sich Österreich für eine maßgeschneiderte Partner­schaft einsetzt, wobei unklar bleibt, was konkret eine maßgeschneiderte Partnerschaft ist. Es ist nur klar, was es nicht ist, nämlich ein Beitritt. Warum es so wichtig sein soll, sich in der derzeitigen sehr aufgeheizten Situation für ein aktives Einfrieren der Beitrittsverhandlungen einzusetzen, erschließt sich mir nicht. Erstens weiß ich nicht, was aktives Einfrieren ist, und dass man, zweitens, durch aktives Einfrieren diese aufgeheizte Situation herunterkühlt, bezweifle ich.

Es wird darauf hingewiesen, dass die Zollunion modernisiert und erweitert werden soll, aber es bleibt unklar, was man sich davon wirklich erwartet und wie das konkreter aussehen sollte.

Das letzte Kapitel in diesem Bericht trägt die Überschrift Integration. Den Nationalen Aktionsplan gibt es schon länger, seit Beginn der Gesetzgebungsperiode, allerdings hapert es bei der Umsetzung nach wie vor, was flächendeckende leistbare Deutsch­kurse und so weiter betrifft. Es ist schon etwas zynisch, wenn da steht, dass Österreich sich in diesem Kapitel betreffend Integration dem lebenslangen Lernen verpflichtet fühlt. Gerade die ÖVP verhindert die Bildungspflicht für Asylsuchende bis zum 18. Le­bensjahr und kickt damit diese wichtige Gruppe, mit der gut umzugehen für die Zukunft


BundesratStenographisches Protokoll865. Sitzung / Seite 79

so sinnvoll wäre, aus den Schulen. – Dem können wir uns nicht anschließen, das greift zu kurz.

Von einem umfassenden Integrationsprogramm, das in einem One-Stop-Shop-Verfahren Deutschkurse, Orientierungsworkshops für Neuankömmlinge, konkrete Hilfe­stellungen bei rascher Erhebung der Qualifikation und Anerkennung auf dem heimi­schen Arbeitsmarkt anbieten würde, sind wir leider noch immer weit entfernt. Die Zuständigkeiten bleiben weiterhin auf unterschiedliche Ministerien und Behörden mit all den Problemen verteilt. Was das für die Menschen und auch die Menschen, die Hilfe geben wollen, bringt, sei dahingestellt.

Das Anerkennungsgesetz ist leider auch nur ein Aufguss des bisherigen Systems. Es bleiben die wesentlichen Hürden bestehen. So wird sich leider wenig daran ändern, dass AusländerInnen zu einem großen Prozentsatz unter ihrer Qualifikation beschäftigt werden.

Ich möchte nur noch eine Sache anmerken, weil diese eigentlich immer völlig unter den Tisch fällt, und das ist die Tatsache, dass in unserer Welt und in all diesen Außenbe­zie­hungen im Jahr 2015 nach wie vor 3 Millionen Kleinkinder an Unterernährung ver­storben sind. Das heißt, dass allein während meiner zehnminütigen Rede 60 Kinder an Unterernährung verstorben sind – Kinder, für die es keine Trauerminute gibt, die auch in einem solchen Vorhabensbericht zu internationalen Beziehungen keine Berücksich­tigung finden. Es ist leider so, dass sich eine neuerliche Hungerkatastrophe großen Ausmaßes im Südsudan anbahnt, der wir anscheinend irgendwie überrascht und hilflos gegenüberstehen. Dafür schäme ich mich, das muss ich ganz ehrlich sagen. Ich würde mir erwarten, dass in einem Vorhabensbericht auch solche Probleme immer ihren Niederschlag finden und ihnen dementsprechende Aufmerksamkeit gewidmet wird. – Danke. (Beifall bei Grünen und SPÖ sowie des Bundesrates Tiefnig.)

13.38


Präsidentin Sonja Ledl-Rossmann: Herr Bundesrat Schennach ist zu Wort gemeldet. Ich erteile es ihm.

 


13.38.16

Bundesrat Stefan Schennach (SPÖ, Wien): Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrter Herr Bundesminister! Ob jetzt die Oppositionsparteien den Vorhabensbericht zur Kenntnis nehmen oder nicht, ändert nichts daran: Es ist die Agenda der EU.

Die Arbeitsfelder, die heute zu bearbeiten, zu erledigen sind – „erledigen“ ist ein gutes Wort, das ist das Problem, das Frau Mühlwerth hat, weil natürlich viele Dinge nicht in einem kurzen Zeitraum zu erledigen sind –, die Themen, die in diesem Vorha­bensbericht angeschnitten sind, sind mehrjährige und vieljährige Programme. Der Unterschied zwischen dem Verkehrsministerium oder dem Gesundheitsministerium und dem Außenministerium ist, dass das natürlich eine Gesamtagenda der EU ist. Das Bundeskanzleramt und das Außenministerium müssen eine Gesamtagenda präsen­tieren, wo man nicht – was vielleicht gewünscht ist, liebe Frau Kollegin Reiter – sucht, welche Richtlinien und Verordnungen kommen und was genau die österreichische Position ist.

Einspruch gegen das, was Frau Kollegin Reiter gesagt hat:

Natürlich ist dieser EU-Vorhabensbericht ein bisschen unüblich geschrieben und weicht in der Form stark von jenen anderer Ministerien ab, aber wenn man genau liest, kann man einiges herauslesen: Österreich ist zum Beispiel nicht bei der EU-Mali-Mission dabei, Österreich hat eine klare Stellungnahme hinsichtlich der Atomkraftwerke in Ungarn abgegeben, Österreich fordert die Europäische Kommission nachdrücklich


BundesratStenographisches Protokoll865. Sitzung / Seite 80

auf, bei den Nachbarschaftsprogrammen mit Marokko oder Algerien auf die Rückfüh­rungs­abkommen zu bestehen, und so weiter. All das kann man da herauslesen.

Ich erhebe deswegen Einspruch, Heidi Reiter, weil du das Kind jetzt kurzerhand mit dem Bade ausschüttest; tatsächlich steht da nichts über den Brexit.

Von diesem Rednerpult aus habe ich schon den Landwirtschaftsminister gefragt: Gott im Himmel, was ist die österreichische Position in den Verhandlungen?, und das frage ich jetzt auch den Außenminister: Was ist die österreichische Position in den Verhandlungen? Würden nämlich zum Beispiel in der Klimaschutzpolitik die Verpflich­tungen aus dem Klimaübereinkommen auf die anderen 27 aufgeteilt, dann sähe das ganz erheblich aus.

Oder: Ist Ihr Verhandlungsziel zum Beispiel, dass Großbritannien das natürlich erfüllen muss? Ist unsere Politik, das zu erfüllen, was Kommissionspräsident Juncker sagt? – Das kostet die Briten 60 Milliarden €, wenn wir davon ausgehen, was zukünftig die Teilnahme am Binnenmarkt kostet. Für die Schweiz macht das 3 Milliarden € im Jahr aus; das würde bedeuten, das Vereinigte Königreich müsste 30 Milliarden € pro Jahr bezahlen, um künftig beim Binnenmarkt dabei zu sein. Da ist die Mitgliedschaft fast interessanter als der Sondervertrag. – Gut, nur so viel dazu.

Da sollten wir also, so glaube ich, nicht so wie du das Kind gleich mit dem Bade ausschütten, weil diesbezüglich hier tatsächlich keine Position bezogen wird. Aber ich verstehe schon: Die offiziellen Beitrittsverhandlungen werden erst beginnen. Sie werden natürlich auch unter österreichischem Vorsitz weitergeführt werden, denn das Vereinigte Königreich ist nicht Grönland, und zu den Zeiten, als Grönland die Union verlassen hat, gab es noch nicht diese mannigfaltigen Beziehungen.

Natürlich haben wir in diesem Bericht alles drin: Wir haben die Frage der Flüchtlinge, wir haben die Frage der Migration. Natürlich können wir uns die Frage stellen, warum alle drei baltischen Staaten zusammen, also gemeinsam, im Jahre 2016 1 000 Flücht­linge aufgenommen haben, unser Nachbarstaat Slowakei 100 und wir 40 000. Das ist eine interne Solidarität innerhalb der … (Bundesrätin Mühlwerth: Weil die soge­nannten Flüchtlinge nicht ins Baltikum gehen wollten?!) – Also erstens will ich jetzt das Wort „sogenannt“ nicht gehört haben (Bundesrat Jenewein: Wieso, bei 30 Prozent Anerkennung? – neuerlicher Zwischenruf der Bundesrätin Mühlwerth), aber fangen wir jetzt keine Diskussion zwischen euch und mir an, das bringt jetzt, glaube ich, nichts. Unsere Pole sind so weit auseinander wie Arktis und Antarktis. (Bundesrat Jenewein: Na, da diskutieren wir besser gar nicht! – Weiterer Zwischenruf der Bundesrätin Mühlwerth.) – Na, es bringt nichts.

Das Einzige, wozu ich vielleicht eine kleine Anmerkung machen möchte, weil ich Frau Mühlwerth in ihrer Mitwirkung im EU-Ausschuss immer ernst nehme, ist, dass man bezüglich unserer Tätigkeit im EU-Ausschuss, wenn wir Mitteilungen und begründete Stellungnahmen machen, nicht sagen kann, dass die EU eine ferne Institution ist, dass sie bürgerInnenfern ist, sondern das ist aktive Mitgestaltung, was wir hier machen.

Wir sagen, wir wollen etwas anders geregelt haben, und diese Prozesse, die wir da in Gang setzen, nennt man Interaktion. Das ist ja auch im Lissabon-Vertrag intendiert, dass wir diese Transparenz bekommen: Was sind denn die EU-Vorhaben in diesem Jahr?, und wo wir eine Interaktion starten, bei der wir sogar gelbe Karten zu orangen und vielleicht irgendwann auch zu roten machen.

Deshalb treten wir auch in einen politischen Dialog ein, was wir getan haben: Im Bericht des Herrn Bundesministers ist die Energieunion enthalten, und es ist festge­halten, dass sich Österreich über die generelle Ausrichtung, gerade was Renewable Energy und so weiter betrifft, kritisch äußert.


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Wir haben mittlerweile die sechste politische Mitteilung gemacht, und ich glaube, es gab sogar eine begründete Stellungnahme. Wir sind dabei, 1 000 Seiten abzuarbeiten, und ich nehme an, es werden noch einmal so viele dazukommen, weil wir da eine grundsätzliche Kritik sehen, nämlich die Atomenergie über die Hintertür, weil – zwei­tens – auf den gesamten Bereich der erneuerbaren Energie völlig vergessen wurde und, wie uns die Landwirtschaftskammer auch im Ausschuss gesagt hat, da auch noch andere Bereiche völlig benachteiligt werden, und zwar genau dort, wo wir bezüglich der Nachhaltigkeit, auch was die Energie betrifft, eine andere Position haben. Wir werden mit Herrn Kommissar Šefcovic noch ordentliche Sträuße auszu­fechten haben, der das derzeit überhaupt nicht versteht, wie wir bei der COSAC ja festgestellt haben.

Das heißt, es gibt eine Menge Themen, die da angerissen werden, aber es zeigt auch von Österreich über die Niederlande – und das wird nicht aufhören; ich wage die Prognose auch für Frankreich und für Deutschland –, dass die proeuropäischen Kräfte, selbst wenn sie dazu stehen, auch Wahlerfolge feiern können und die Vertiefung der Europäischen Union weitergeht. Ob der Brexit – darüber können wir jetzt Wetten abschließen – letztlich Realität wird, werden wir in ein paar Jahren sehen.

Nun, liebe Monika Mühlwerth, wir könnten jetzt theoretisieren: Wir könnten annehmen, dass, hätten wir die Türkei vor sechs oder acht oder zehn Jahren aufgenommen, sie eine andere politische Entwicklung genommen hätte. Ich kann diese Frage nicht beantworten, weil wir innerhalb der Europäischen Union einige – wie soll man sagen? – autoritäre Regierungen geerbt haben, nämlich die in Ungarn und in Polen. Nichts anderes ist das, was wir derzeit in der Türkei erleben. Deshalb ist in diesem Zusammenhang auch eine klare Positionierung in Europa richtig und wichtig.

Dass dieses Flüchtlingsabkommen beziehungsweise dieser EU-Türkei-Pakt, der immer auf sehr tönernen Füßen stand, jetzt teilweise aufgekündigt wird, kommt nicht ganz unerwartet. Diesbezüglich muss Europa mit einer Stimme sprechen. Trump hilft uns, dass Europa sich auf eine gemeinsame Sprache besinnt, auch in dieser Diskussion.

Das hat jetzt im Prinzip nichts mit der Türkei zu tun, sondern wir in Europa müssen das generell diskutieren. Gehen ein österreichischer Politiker oder eine Politikerin nach Deutschland, wenn wir hier Nationalratswahlen haben, um die 200 000 Österreicherin­nen und Österreicher in Deutschland zu überzeugen oder nicht? – Nein! Nationale Wahlkämpfe sind Wahlkämpfe, die auf nationalem Territorium stattfinden; das steht übrigens in der türkischen Verfassung. Jeder Minister, der im Ausland einen Auftritt absolviert, begeht einen Bruch der türkischen Verfassung. Insofern helfen wir den türkischen Ministern sogar, nicht angeklagt zu werden, weil sie das laut ihrer Verfas­sung gar nicht dürfen.

Und die andere Frage, von Edgar Mayer emotional aufgeworfen, betrifft das Problem der Doppelstaatsbürgerschaften. Wir wissen, ein Viertel der Österreicher hat eine Doppelstaatsbürgerschaft, und ich glaube, der Anteil jener mit einem türkischen Hintergrund, die eine solche haben, ist eher gering, weil die Türkei ein Land ist, das die Staatsbürgerschaft zurücknimmt. Es gibt Länder, auch EU-Mitgliedstaaten, die die Staatsbürgerschaft nicht zurücknehmen! Zum Beispiel eine griechische, eine italieni­sche Staatsbürgerschaft kann man nicht zurücklegen. Diese Frage müssen wir, ganz ohne den Fokus auf die Türkei zu legen, diskutieren. Ich habe da immer eine möglichst liberale Auffassung.

Das, was am Ende des Berichts kommt, nämlich dass wir in der Integration alles tun müssen für die Demokratieschulung, für die staatsbürgerschaftliche Schulung und so weiter und so fort – diesbezüglich werden wir uns ja verstehen –, diese integrations­festigenden Maßnahmen gehören natürlich gesetzt. Sie werden auch im Anhang zu diesem Bericht angeführt.


BundesratStenographisches Protokoll865. Sitzung / Seite 82

Wir nehmen diesen Vorhabensbericht selbstverständlich zur Kenntnis. (Beifall bei der SPÖ und bei Bundesräten der ÖVP.)

13.49

13.49.30

 


Präsidentin Sonja Ledl-Rossmann: Weitere Wortmeldungen dazu liegen nicht vor.

Wünscht noch jemand das Wort? – Das ist nicht der Fall. Die Debatte ist geschlossen.

Wir gelangen zur Abstimmung.

Ich ersuche jene Bundesrätinnen und Bundesräte, die dem Antrag zustimmen, den gegenständlichen Bericht zur Kenntnis zu nehmen, um ein Handzeichen. – Das ist die Stimmenmehrheit. Der Antrag ist somit angenommen.

13.49.405. Punkt

Außen- und Europapolitischer Bericht 2015 (III-602-BR/2017 d.B. sowie 9739/BR d.B.)

 


Präsidentin Sonja Ledl-Rossmann: Wir gelangen nun zum 5. Punkt der Tagesord­nung.

Berichterstatter ist Herr Bundesrat Schödinger. Ich bitte um den Bericht.

 


13.49.56

Berichterstatter Gerhard Schödinger: Hohes Präsidium! Herr Minister! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Ich bringe den Bericht des Ausschusses für auswärtige Angelegenheiten über den Außen- und Europapolitischen Bericht 2015.

Der Bericht liegt in schriftlicher Form vor; ich komme daher gleich zur Antragstellung.

Der Ausschuss für auswärtige Angelegenheiten stellt nach Beratung der Vorlage am 14. März 2017 den Antrag, den Außen- und Europapolitischen Bericht 2015 (III-602-BR/2017 d.B.) zur Kenntnis zu nehmen.

 


Präsidentin Sonja Ledl-Rossmann: Vielen Dank für den Bericht.

Wir gehen in die Debatte ein.

Zu Wort gemeldet hat sich Frau Bundesrätin Mühlwerth. – Bitte.

 


13.50.35

Bundesrätin Monika Mühlwerth (FPÖ, Wien): Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrter Herr Minister! Sehr geehrte Damen und Herren hier und zu Hause! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Schade, dass Herr Kollege Schennach jetzt schon weg ist, dass er so fluchtartig den Saal verlassen hat (Bundesrätin Kurz: Na ja!), aber offen­sichtlich will er das wirklich nicht diskutieren. Es wäre aber diskutierenswert, denn wenn man etwas, das nicht stimmt, wiederholt behauptet, wird es nicht wahrer, nur weil man es dauernd behauptet. (Bundesrätin Kurz: Genau!)

Diese Geschichte der sogenannten Solidarität, die er da immer einfordert, ist ja gleich einmal vorweg diskutierenswert, denn ich muss schon sagen, 2015 – und der Außenpolitische Bericht behandelt ja das Jahr 2015 – ist dieser Migrationsstrom über uns hereingebrochen, und die Leute sind zum Teil durchgewinkt worden. Die Einzigen, die gesagt haben, wir müssen unsere Grenzen sichern, waren die Ungarn, und dafür sind sie ziemlich geprügelt worden: Es sei in Europa unsolidarisch, wenn man sagt, man sichert seine Grenzen.

Die Europäische Union aber ist unter anderem dafür da, dass sie die Grenzen nach außen sichert und nicht ungefiltert jeden hereinlässt, denn man hat ja überhaupt nicht mehr unterscheiden können zwischen jenen, die tatsächlich Flüchtlinge waren und


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wahrscheinlich Asyl beziehungsweise einen Asylstatus bekommen oder hätten bekom­men sollen, und jenen, die sich einfach aus wirtschaftlichen Gründen auf den Weg gemacht haben, um hier ein besseres Leben zu haben.

Nun kann man es dem Einzelnen nicht verdenken, dass er ein besseres Leben haben will, aber wir können nicht die ganze Welt retten (Bundesrätin Kurz: Das wollen wir eh nicht!) und all die Milliarden Menschen, denen es nicht gut geht, nach Europa holen, um sie dann bestmöglich zu versorgen. Das wird nicht funktionieren, denn sonst schauen wir am Ende genauso aus wie jene Länder, aus denen sie gekommen sind.

Zu Estland: Gerade Estland war jenes Land, wo man gesagt hat, man nimmt durchaus Flüchtlinge auf. – Nun ist Estland ja nicht gerade ein großes Land, aber es wollte 550 Flüchtlinge nehmen. Und wie viele sind gekommen? – Gezählte sieben. Sieben! (Bundesrätin Kurz: 150! Neue Statistik, gerade hereingekommen!) – Ja, okay, jetzt gerade. Gut, wir können uns jetzt natürlich im Minutentakt ausrichten, wie viele kommen, Tatsache ist aber, dass 2015, als diese Migrationswelle da war, die Leute nicht nach Estland wollten. (Bundesrätin Kurz: 225 sind 2015 gekommen!) Sie wollten nach Deutschland, in die skandinavischen Länder, und ein paar wollten auch in Österreich bleiben, aber es war nicht so, dass Osteuropa für sie das Tor zum Ort der Sehnsucht war. Das stimmt ja nun wirklich nicht! (Bundesrätin Kurz: Das ist ja auch logisch!)

Seit damals hat man erkannt – auch die EU hat das mittlerweile erkannt –, dass das mit dem Durchwinken vielleicht die falsche Lösung war, weil das die Staaten vor große Herausforderungen stellt. Wir wissen doch in Österreich, wie es mit jenen ist, die schon seit 20 Jahren hier leben und noch nicht integriert sind. Und nun wollen wir Tausende einfach so integrieren, weil das jetzt eine Geschichte ist, die so ohne Weiteres geht?! – Das glauben Sie ja wohl selbst nicht, es sei denn, man kann sich vom Wolken­kuckucksheim überhaupt nicht mehr lösen, dann glaubt man natürlich an alles Gute und glaubt, alles ist möglich, nur weil man sich das wünscht.

Schon seit damals, aber durch den Brexit natürlich noch verstärkt und verschärft, ist ja die EU in einer veritablen Krise und sollte und müsste sich eigentlich neu erfinden. Mittlerweile haben auch schon einige EU-Leute erkannt, dass das nötig ist – Juncker hat ein 5-Punkte-Programm vorgestellt, wie es künftig mit der EU weitergehen könnte –, die Frage ist nur, wann das passieren wird und wann man sich ernsthaft damit aus­einandersetzen wird. Die Probleme sind ja mannigfaltig, und wenn nicht bald etwas passiert, dann gibt es andere Leute als mich, die sagen, dass es die EU in einigen Jahren überhaupt nicht mehr geben wird.

Das Wichtigste für die EU wäre auf jeden Fall einmal, dass sie für ihre Grenzsicherung sorgt. Sie muss ihre Außengrenzen schützen, so wie wir unsere Grenzen schützen müssen, wenn das nicht funktioniert. Der Landeshauptmann von Tirol, Günther Platter, hat es ja heute gesagt: Wenn die EU das nicht kann, dann muss eben auch die Brennergrenze eine Schutzgrenze sein, dann müssen wir das eben innerstaatlich machen! Die EU und alle, die so stolz auf dieses Projekt sind und sagen, wie gut die EU nicht sei, sollten halt auch daran denken, dass die EU Aufgaben zu erfüllen hat.

Sie hat auch die Aufgabe zu erfüllen, dafür zu sorgen, dass diese Flüchtlingsströme nicht maßlos sind und nicht ziellos sind, und vor allem, dass man weiß, wer kommt, warum er kommt und wo er bleibt, wenn dann sein Asylverfahren läuft. – Es laufen ja Tausende herum, von denen niemand weiß, wo sie untergetaucht sind. Die sind einfach abgetaucht, und niemand weiß, wo sie sind.

Das, was die EU hervorragend gemacht hat – das sage ich jetzt aber ironisch –, ist, entgegen allen Regeln eine Schuldenunion aufzubauen. Das hat mit den Schulden von Griechenland begonnen. Die EU hat sich zwar als Regel selbst verordnet, keine Schul-


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denunion werden zu wollen, aber sie hat es, ohne mit der Wimper zu zucken, zuge­lassen, dass sie eine Schuldenunion wird, und wir alle können nur hoffen, dass die Schulden Griechenlands niemals schlagend werden, denn anderenfalls wäre der ganze Kontinent ruiniert. (Beifall bei der FPÖ.)

Nächstes Kapitel: Die Sanktionen gegenüber Russland. – Das ist auch so: Da sieht man wirklich höchstes diplomatisches Gespür, wenn gesagt wird: Über die verhängen wir jetzt Sanktionen wie beim drittletzten Bananenstaat. (Bundesrätin Kurz: Na, die haben die Krim besetzt!) – Hat sich irgendjemand aufgeregt, als Chruschtschow der Ukraine die Krim geschenkt hat? (Bundesrätin Kurz: Na geh!) Hat da irgendjemand gesagt, das wäre völkerrechtswidrig, das gehe nicht? (Bundesrätin Kurz: Das lässt sich nicht vergleichen!) – Ach so, das ist schon so lange her und darüber brauchen wir nicht mehr zu reden. (Zwischenruf der Bundesrätin Kurz.)

Das heißt aber – damit geben Sie ja Putin recht –, wenn ich Fakten schaffe, muss ich nur lange genug Zeit verstreichen lassen, dann sagen alle: Na, das ist eh in Ordnung, da reden wir jetzt nicht mehr drüber! (Bundesrätin Kurz: Sicher nicht! – Zwischenruf der Bundesrätin Winkler.) Das finde ich aber einen sehr interessanten Ansatz, Frau Kollegin Kurz, das so zu sehen. So habe ich das ja aus Ihrer Fraktion noch gar nicht gehört.

Eines sage ich Ihnen aber schon: Wenn ich Putin wäre (Zwischenrufe bei der SPÖ) und die NATO wollte mir eine Basis vor meine Haustür setzen, dann ginge ich auch dagegen vor. Ich würde das auch nicht hinnehmen und Sie sicher auch nicht. (Beifall bei der FPÖ. – Bundesrat Mayer: Du wärst die Putina! Die Putina wärst du!) – Nein, Kollege, du irrst. Die weibliche Form von Pute heißt Putin.

Interessanterweise wird ja bei anderen Ländern längst nicht so ein Trara gemacht. Wo habe ich denn je gehört, dass es gegen Saudi-Arabien irgendwelche Sanktionen gibt, gegen Saudi-Arabien, das Kirchen zerstört, Christen vertreibt (Bundesrat Stögmüller: Frauen!), die Bevölkerung, vor allem die Frauen – Frau Kollegin, vor allem die Frauen! – im eigenen Land unterdrückt, wenn jemand schwul ist, diese Menschen umbringt? Das alles sind Dinge, die Sie, wie Sie sonst so gestrickt sind, aufheulen lassen müssten. Da höre ich nie etwas, außer dass Sie jetzt behaupten, dass Sie da ohnehin etwas sagen. Wir haben davon noch nichts gehört. (Zwischenruf der Bundesrätin Winkler.) Also vielleicht macht man einmal ein bisschen mehr Politik mit Augenmaß.

Dabei kann man ja dem Herrn Außenminister nicht einmal vorwerfen, dass er bezüglich der Sanktionen gegenüber Russland gesagt hat, dass die super sind, sondern ohnehin auch eher davor gewarnt hat. Ich glaube auch, dass Russland ein Land ist, mit dem man reden muss (Bundesrätin Kurz: Ja, genau!) und dem man nicht sagen kann: Wir bestrafen dich jetzt! (Bundesrätin Kurz: Ja, man kann aber auch nicht sagen, …! – Zwischenruf der Bundesrätin Winkler.)

Wir haben doch auch in der Vergangenheit gesehen, dass die Sanktionen, egal, gegen wen sie verhängt worden sind, eigentlich immer wirtschaftsschädlich waren und nie zu dem Ergebnis geführt haben, das man sich gewünscht hat. (Beifall bei der FPÖ.) Auch der Iran hat sich erst bewegt, als man mit ihm gesprochen hat. Solange es Sanktionen gab, war da gar nichts zu machen.

Die EU-Mitgliedstaaten am Balkan haben wir schon im Arbeitsprogramm abgehandelt.

Zur Balkanroute: Ja, Herr Minister, das ist zweifellos Ihr Verdienst. Da waren Sie tatsächlich der Einzige – das muss man neidlos anerkennen –, der gesagt hat: Über diese Route können die nicht mehr kommen! Sie sind davor ja auch von Ihrem Koalitionspartner in der Regierung gescholten worden. Leider ist sie natürlich nach wie


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vor nicht dicht: Es sind zwar nicht mehr so viele, die durchkommen – die Zahlen sind schon drastisch zurückgegangen –, aber dicht ist sie trotzdem noch nicht.

Dann stehen wir jetzt vor der Herausforderung: Was machen wir mit den Leuten, die da sind? Wie integrieren wir sie? Und welche, die keinen Asylstatus bekommen, die nicht hierbleiben können, können wir auch wieder zurückschicken? – Auch das haben wir schon beim Arbeitsprogramm abgehandelt, beispielsweise Rückführungsabkommen, also dass man da verstärkt darauf schauen muss und dass da eben auch die Länder in die Pflicht genommen werden.

Wir Freiheitliche sagen das schon auch: Mit Nichtintegrationswilligen, die sich mit unseren Werten so überhaupt nicht auseinandersetzen wollen und die auch mit unserem Frauenbild nichts am Hut haben, mit dem Zusammenleben von Mann und Frau nichts am Hut haben, die der Lehrerin in der Schule sagen: Mit Ihnen rede ich nicht, weil Sie eine Frau sind!, muss eine klare Sprache gesprochen werden! Wer nicht integrationswillig und integrationsfähig ist, muss wieder nach Hause fahren. (Beifall bei der FPÖ.)

Es kann nämlich nicht sein, dass unsere Frauen, das sind die Einheimischen, die autochthone Bevölkerung, sowie jene, die zugewandert sind und hier auch schon seit Jahren leben – es sind vor allem Frauen –, immer Gefahr laufen – und leider passiert es dann auch –, vergewaltigt zu werden, sich abends und spät nachts aus Angst vor Vergewaltigungen nicht mehr trauen, alleine heimzugehen, dass Bandenkriege auf unserem Terrain ausgefochten werden, bei denen sich die ethnischen Konflikte aus den Herkunftsländern hier bei uns entladen und auch fortsetzen. Das kann es alles nicht sein! Da muss man den Leuten schon sagen: Wenn ihr unsere Werte und unsere Regeln nicht akzeptieren wollt, dann müsst ihr eben wieder nach Hause fahren!

Dann habe ich noch einen Punkt. Ich weiß, meine Redezeit ist schon abgelaufen, aber jetzt rede ich doch noch zwei Minuten, weil auch Afrika immer ein Thema beim Außenpolitischen Bericht ist. Ich habe bezüglich der Entwicklungshilfe nicht erst einmal gesagt, dass man das auf neue Beine stellen muss.

Seit über 50 Jahren wird Entwicklungshilfe gezahlt, und es geht bis auf wenige Aus­nahmen – die gibt es natürlich auch – nicht wirklich etwas weiter. Wenn ich es mir anschaue: Unsere Eltern und vor allem unsere Großeltern haben nach dem Krieg Österreich in relativ wenigen Jahren – ja, mit Hilfe von außen, aber trotzdem – aufgebaut, und es ist ein prosperierendes und blühendes Land geworden; aber jene Staaten da unten, oder die meisten dieser Länder, können, weil sie sich mit ihrer Stammeskultur, zum Teil auch wegen ihrem Aberglauben nicht einigen können (Bundesrätin Dziedzic: Verschwörungstheorien!) und weil vielleicht auch von den europäischen Mächten gewisse Grenzen quer durch die Ethnien falsch gezogen worden sind, nicht für die eigene Sicherheit, nicht für das eigene Gesundheitssystem, nicht für die eigene Bildung sorgen (Präsidentin Ledl-Rossmann gibt das Glocken­zeichen), obwohl es seit über 50 Jahren Entwicklungshilfe in Milliardenhöhe gibt. Da läuft etwas komplett schief, und daher gehört es in andere Bahnen gelenkt. Hilfe zur Selbsthilfe, das wäre mein Ansatz.

Es ist also in diesem Bericht schon einiges Richtiges geschrieben worden, aber es ist viel an der Grenze, das wir für kritisierenswert halten, und daher werden wir diesen Bericht nicht zur Kenntnis nehmen. (Beifall bei der FPÖ.)

14.03


Präsidentin Sonja Ledl-Rossmann: Als Nächster zur Wort gemeldet ist Herr Vizepräsident Mag. Gödl. – Bitte.

 



BundesratStenographisches Protokoll865. Sitzung / Seite 86

14.03.28

Bundesrat Mag. Ernst Gödl (ÖVP, Steiermark): Liebe Frau Präsidentin! Sehr geehrter Herr Bundesminister! Geschätzte Kolleginnen und Kollegen! Alle ZuhörerInnen hier im Saal und auch zu Hause vor den Internetgeräten! Ich möchte mit etwas sehr Positivem beginnen: In diesen Tagen veranstalten wir in Österreich, besonders in der Steiermark, die Special Olympics. In den letzten Tagen sind 2 700 Athletinnen und Athleten mit 1 100 Betreuerinnen und Betreuern in Österreich gelandet, um in den nächsten Tagen Inklusion durch Sport zu leben, Gemeinschaft durch Sport zu leben und auch diese Idee der Inklusion auf breite Beine zu stellen.

Es ist ein ganz bemerkenswertes, friedvolles Miteinander dieser über hundert Natio­nen, bei dem übrigens US-Amerikaner neben Mexikanern sitzen, bei dem Aserbaidschaner neben Armeniern sitzen, bei dem Russen neben Ukrainern sitzen, bei dem Chinesen neben Taiwanesen sitzen und sich dann miteinander bei den Wett­spielen messen. Eigentlich könnte man fast sagen, das sei ein Gegenprogramm zur momentan gefühlten Situation auf der weltpolitischen Bühne mit Trump, Erdoğan und Brexit – um diese negativen Assoziationen mit Politik auch zu benennen.

Ich hatte gestern und vorgestern die persönliche Ehre, die Mannschaft aus Kirgisistan zu betreuen. Das ist insofern heute schon bemerkenswert, da wir bei den voran­gegangenen Tagesordnungspunkten einmal in Neuseeland, dann in Kasachstan waren; und jetzt möchte ich eben ganz kurz auf Kirgisistan zu sprechen kommen.

Kirgisistan, nämlich das Nachbarland von Kasachstan, ist ein Land (Bundesrat Stögmüller: Hauptstadt?) – Bischkek ist die Hauptstadt, das weiß ich auch erst seit ein paar Tagen –, das natürlich, wenn man es mit Österreich vergleicht, komplett andere Voraussetzungen hat. Wir haben ein Bruttoinlandsprodukt von etwa 450 Milliarden US-Dollar, die Kirgisen von etwa 5 Milliarden US-Dollar. Das sind circa 1 000 US-Dollar pro Einwohner – es sind 5,5 Millionen Einwohner –; wir haben circa 48 000 US-Dollar pro Einwohner. Kirgisistan ist also ein Land, das bei Weitem überhaupt nicht von diesem breiten Wohlstand träumen kann, in dem wir leben. Trotzdem hatte ich das Gefühl, dass diese Kirgisen in ihrer Weise gut und glücklich leben. Es ist ein Land, das sicher auch politische Probleme hat, aber – und damit komme ich zum Bericht – ein Land, zu dem wir durchaus auch die eine oder andere Beziehung haben. Kirgisistan, wie es richtig heißt, wird nämlich auch in unserem Außenpolitischen Bericht fünfzehnmal erwähnt. Ich will damit nur exemplarisch vorzeigen, wie breit auch unsere Außenpolitik insgesamt aufgestellt ist. Wir unterstützen übrigens in der Hauptstadt Bischkek eine OSZE-Akademie für Dialog und Demokratie.

Ich möchte jetzt die Gelegenheit nutzen, allen Danke zu sagen, die diesen Bericht mit circa 500 Seiten verfasst haben: Herzlichen Dank dafür! Er ist wie immer sehr umfang­reich und ausführlich; und das Besondere an diesem Bericht 2015 ist, dass wir, wenn­gleich wir heute schon 2017 haben, jetzt trotz allem diese aktuellen Themen dis­kutieren, die uns das Jahr 2015 in gewisser Weise politisch beschert hat.

2015 war – das wurde heute schon angesprochen – kein gewöhnliches Jahr, sondern aufgrund der Flüchtlingskrise ein außerordentlich außergewöhnliches Jahr. Man musste und muss auch heute noch das Gefühl haben, dass sich die Fundamente der Weltpolitik, aber im Besonderen auch in Europa ein bisschen verschoben haben. Es ist also ein Chaos, das nicht weit weg ist, sondern das zu uns gekommen ist. Es führte auch zur Erkenntnis, dass es in dieser turbulenten Welt in Mitteleuropa einfach keinen vollklimatisierten Rückzugsort und keinen stillen Garten mehr geben kann, sondern dass Probleme und Kriege, die vielleicht fernab passieren, zu uns kommen.

Ich selbst wohne zwischen Graz und der österreichischen Grenze zu Slowenien, und wir haben diese Flüchtlingskrise hautnah miterlebt, als in den Septembertagen 2015


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Tausende Menschen über die Grenzen gekommen sind und niemand sie gefragt hat, wo sie herkommen und wo sie hinwollen, sondern dieser Flüchtlingsstrom ist durch­gezogen. Das war in der Tat ein beklemmendes Gefühl, das sich keinesfalls wieder­holen soll.

Diese Episoden aus dem Jahr 2015 haben so eindrücklich und schonungslos aufgezeigt, wo die Schwächen der Europäischen Union liegen. Die Schwächen wurden angesprochen, und da kann ich auch einigen Aussagen von Monika Mühlwerth zustimmen. Die Schwächen liegen natürlich darin, dass wir nach wie vor kein System haben, um unsere Außengrenzen wirksam zu kontrollieren, dass wir kein europäisches System haben, um Asylverfahren europaweit einheitlich abzuwickeln, und dass in diesem besagten Jahr 2015 natürlich auch einige Fehleinschätzungen von führenden Politikern in Europa getroffen wurden. Diese Politik des Durchwinkens konnte einfach von vornherein keine Lösung sein, sondern sie verschärfte noch Probleme, die wir hatten. So sind diese Problemfelder aus dem Jahr 2015 unsere Herausforderungen von heute.

2015 war übrigens – das sei auch positiv angemerkt – auch das Jahr, in dem wir 20 Jahre Mitgliedschaft in der Europäischen Union gefeiert haben; und wir wissen: Gerade in wirtschaftlicher Hinsicht hat unser kleines Land mit etwas über acht Millionen Einwohnern unheimlich profitiert. Wir haben unseren Wohlstand verbreitern können, wir haben die Exporte steigern können, aber trotzdem sehen wir, dass die EU einen enormen Reformbedarf hat.

Liebe politischen Freunde von links und rechts, dieser junge Mann, der hier sitzt, hat einfach als einer der führenden Politiker in Europa wie kaum ein anderer diese Fehl­entwicklungen von vornherein thematisiert und auch aufgezeigt. Sebastian Kurz war in seiner Funktion als Außenminister einer der ersten führenden Politiker, die gesagt haben, das Durchwinken kann niemals eine politische Lösung für die Fragen der Migration, der Flüchtlinge, der kriegerischen Auseinandersetzungen sein, sondern dieses Durchwinken wird manche Probleme bei uns erst recht verschärfen.

Es war auch Sebastian Kurz, der dann auch gegen den journalistischen Mainstream recht behalten wird, wenn er sagt: Wir brauchen weder mehr noch weniger EU – wenn ich deine Aussagen richtig wiedergeben darf –, sondern wir brauchen eine Euro­päische Union, die sich auf die großen Fragen fokussiert und die dort, wo es diese großen Fragen nicht gibt, den Subsidiaritätsgedanken durch und durch lebt, sodass die Regionen prosperieren können.

Was sind diese großen Fragen? – Das sind natürlich die Fragen des Außengrenz­schutzes. Wenn wir also das Schengener Abkommen aufleben lassen wollen, dann brauchen wir einen effektiven Außengrenzschutz. Wenn wir Migration steuern wollen, dann brauchen wir zumindest eine Nachfolgeregelung zum Dublinabkommen. Wir können einfach nicht derart weitergehen, dass jedes Land für sich eigene Lösungen produziert. Eine große Frage abseits davon wäre zum Beispiel auch der Klimaschutz. Auch das sind Fragen, die auf EU-Ebene offensiv geklärt und geregelt werden müssen.

Aber: Gewisse Fehlentwicklungen gehören dringend korrigiert; und eine Fehlentwick­lung, die ich auch ansprechen möchte, ist die Frage, die gerade auch politisch inter­essant und aktuell ist, nämlich die Frage der Familienbeihilfe, und auch die Frage der sozialstaatlichen Funktion der einzelnen Nationalstaaten (Zwischenrufe der Bun­desräte Dziedzic und Stögmüller), denn eines ist unbestritten, nämlich dass logischerweise Länder, die ein hohes Sozialniveau haben (Bundesrat Stögmüller: Die Pflege?!), natürlich eine Anziehungskraft einerseits am europäischen Arbeitsmarkt, aber anderer­seits auch bezüglich der Frage der weltweiten Migration entfalten.


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Ich habe hier schon einmal die Zahlen genannt, ich wiederhole sie: In Europa leben 8 Prozent der Weltbevölkerung. Europa erwirtschaftet 25 Prozent der Weltwirtschafts­leistung, aber in Europa werden – weltweit betrachtet – 50 Prozent aller Sozialleis­tungen bezahlt. Wenn wir uns jetzt wiederum innerhalb Europas die Niveaus an­schau­en, dann sehen wir natürlich, dass die Länder in Mitteleuropa – Österreich, Deutsch­land – sowie Belgien, Holland und Schweden eben auch innerhalb Europas ein sehr, sehr hohes Sozialniveau haben (Zwischenruf des Bundesrates Stögmüller); und natürlich entfalten diese Faktoren Anziehungskraft.

Es ist eine Fehlentwicklung, wenn wir – und das haben Sebastian Kurz und auch unsere Familienministerin inzwischen doch deutlich aufgezeigt (Bundesrätin Dziedzic: Und eine deutliche ...!) – mit Überweisungen von Familienbeihilfen in jene Länder, in denen die Kinder leben – zum Beispiel in Rumänien, wo die Familienbeihilfe auf öster­reichischem Niveau etwa ein Durchschnittseinkommen ausmacht –, eine Sogwirkung auf dem Arbeitsmarkt entfalten. (Bundesrat Stögmüller: ... Jobs! – Bundesrätin Posch-Gruska: Die Pflegerinnen bezahlen wir aber nicht dementsprechend!)

Wenn man es mit der EU ernst meint (Bundesrätin Posch-Gruska: ... soziale Kom­petenz der ÖVP! Hut ab!), wenn wir der EU einen Gefallen tun wollen, dann müssen wir diese Fehlentwicklungen auch korrigieren, und da, glaube ich, ist Sebastian Kurz – und da meine ich nicht „glauben“, sondern da bin ich mir sicher – auf einem ... (Bundesrätin Posch-Gruska: ... die Familienpartei ÖVP!) – Das ist sehr wohl eine Familienpartei, denn Kinder in Österreich haben andere Lebenshaltungskosten als Kinder in Rumänien. Daher ist es fair, recht und angebracht, wenn auch diese Zahlun­gen den Lebenshaltungskosten in dem jeweiligen Land angepasst werden. (Beifall bei der ÖVP und bei Bundesräten der FPÖ.)

Es gäbe noch vieles zur Integration und dergleichen zu sagen, aber ich habe meine Redezeit aufgebraucht. Ich will da auch mit gutem Beispiel vorangehen: Danke noch­mals für den Bericht.

An den Außenminister sei gesagt: Lieber Sebastian, weiterhin viel Mut und Weitsicht! An alle Freunde von links und von rechts (Bundesrat Stögmüller: Links gibt es gar nicht! – Heiterkeit bei SPÖ, FPÖ und Grünen): Merken Sie sich diesen jungen Mann! (Ruf bei der FPÖ: Sonst gute Rede!) Liebe Freunde von links und von rechts: Merken Sie sich diesen jungen Mann, er steht mitten im Leben und er steht für die Zukunft unseres Landes! Alles Gute! Glück auf! (Beifall bei der ÖVP. – Bundesrat Stögmüller: Ministerposten, gell!)

14.15


Präsidentin Sonja Ledl-Rossmann: Frau Bundesrätin Mag. Kurz ist zu Wort gemel­det. – Bitte.

 


14.15.16

Bundesrätin Mag. Susanne Kurz (SPÖ, Salzburg): Sehr geehrte Frau Präsidentin! Herr Minister! Mein Kollege Gödl hat zum Bericht ja schon gesagt: über 500 Seiten, 19 Kapitel. Es handelt sich um den Außen- und Europapolitischen Bericht 2015, über den wir heute hier reden.

Auch ich möchte mich dem Dank anschließen. Danke, Herr Minister! Dank gebührt vor allen Dingen aber auch den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern im Ministerium, dass sie so einen umfassenden Bericht jährlich vorlegen, der wirklich sämtliche Aspekte der österreichischen Haltung zu den einzelnen Themen beinhaltet. Der Bericht dokumen­tiert ja wesentlich mehr, als heute hier diskutiert werden kann: die Mitwirkung in den einzelnen Politikfeldern, einschließlich gemeinsamer Sicherheits- und Verteidi­gungs­politik, die Beziehungen zu allen anderen Staaten auf der Welt bis hin zum aller-


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kleinsten – einige sind ja schon genannt worden – und die Rolle Österreichs in den internationalen Organisationen. Auch Entwicklungszusammenarbeit, humanitäre Hilfe und Katastrophenhilfe sind immer Thema; und natürlich umfasst er auch ein wichtiges Kapitel für Österreich, nämlich die Auslandskulturpolitik.

Natürlich kann man als Rednerin/als Redner hier nur zu einzelnen Punkten reden. Welche Punkte das sind, das haben eigentlich meine Vorrednerinnen und Vorredner durchaus schon gezeigt, indem sie natürlich zuerst einmal über die großen Heraus­forderungen der Flüchtlings- und Migrationskrise des Jahres 2015 geredet haben. Es ist auch klar, dass uns diese Fragen heute noch beschäftigen. Das kann ja nicht auf ein Jahr beschränkt bleiben. Ich glaube dennoch nicht, dass es einfache Antworten zu dieser Frage gibt. Es gibt nur komplexe Antworten. Meiner Meinung nach ist klar, dass wir am Anfang im Jahr 2015 nicht anders hätten handeln können. (Beifall bei der SPÖ sowie der Bundesräte Reiter und Stögmüller.)

Ich selbst bin in Salzburg dort gestanden. Natürlich habe ich sie nicht direkt über die Grenze kommen gesehen wie unsere Kollegen aus den südlichen Bundesländern, aber in Salzburg bin ich auch am Bahnhof gestanden und habe zugeschaut, als sie alle gekommen sind, und war dabei, als wir die Garage räumten, damit sie irgendwie ein Dach über dem Kopf haben, sodass wir sie irgendwie versorgen können. Was bitte hätten wir sonst tun sollen?! – Nur Gewalt wäre die Antwort gewesen; und das ist wohl für einen Rechtsstaat wie Österreich nicht, niemals möglich! (Beifall bei der SPÖ sowie der Bundesrätin Reiter.)

Uns ist aber natürlich auch klar, so hätte das nicht weitergehen können. Das kann sich nicht jedes Jahr wiederholen – und das will auch niemand von uns! Niemand will, dass sich das wiederholt.

Ich bin froh, dass Österreich gemeinsam mit anderen bei allen Schwächen der EU – wir wissen, dass die EU da versagt hat, immer noch versagt – trotzdem versucht hat, zumindest bei der Ursachenbekämpfung mitzuarbeiten – auch in Syrien, auch im Libanon –, dass Sicherheit und humanitäre Unterstützung für Flüchtlinge vor Ort ein Thema ist und natürlich auch der Schutz der EU-Außengrenzen. Wir wollen ja die Grenzkontrollen innerhalb Europas nicht. Ich selbst bin auch da wieder eine massiv Betroffene, weil ich an der Grenze zu Deutschland lebe, sehr oft nach Deutschland fahre und immer den Grenzkontrollen ausgesetzt bin.

Es war auch gut, diese Westbalkantransitroute zu schließen, aber da gibt es noch ein massives Problem, denn es gibt 8 000 bis 10 000 Flüchtlinge, die in Serbien sitzen, mit denen einfach nichts passiert und die unter wirklich extremen Bedingungen dort sind. Wie die Ungarn mit den Flüchtlingen umgehen, die es doch versuchen, irgendwie nach Ungarn reinzukommen, spottet jeder Kritik, und da muss man denen auch einmal sagen – auch vonseiten der EU –: So geht das nicht! Ungarn ist ein Staat der Europäischen Union!

Es gibt viele Bemühungen. Es hat viele Bemühungen gegeben. Es sind manche sinnvoll, andere nicht. Klar ist aber auch, trotz aller Bemühungen, es kommen immer noch Menschen nach Europa – ja! –, die einen deshalb, weil sie um ihr Leben fürchten, die anderen deshalb, weil sie ein besseres Leben haben wollen. Die Mehrzahl der Leute kommt, weil es Krieg gibt, Dürrekatastrophen, Ernteausfälle, Armut, Klimawan­del, an dem wir in den westeuropäischen Staaten nicht unschuldig sind. (Bundesrätin Mühlwerth: Super, dann kommen alle nach Europa ...!) – Sie wollen nach Europa – natürlich! (Bundesrätin Mühlwerth: Das schaffen ...!) – Ganz genau, das schaffen wir nicht! (Neuerlicher Zwischenruf der Bundesrätin Mühlwerth.– Das sagt niemand von uns. Niemand von uns sagt, dass alle nach Europa kommen sollen. Das ist ein Schreckensbild, das die Freiheitlichen in den Raum stellen, von dem niemand spricht.


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Niemand! (Beifall bei SPÖ und Grünen. – Ruf bei der FPÖ: Wir stellen nicht ...!) – Niemand! (Ruf bei der FPÖ: ... Realität!)

Am Montag habe ich die „Salzburger Nachrichten“ gelesen, wie jeden Tag. Ein Artikel handelt davon, dass 20 Millionen Menschen – ich betone: 20 Millionen Menschen!; wir wissen eh, wie viele wir in Österreich haben – in Afrika vom Hungertod bedroht sind. Die UNO spricht von der größten humanitären Katastrophe und Krise. Und nein, wir wollen nicht zusehen, wie dort Kinder verhungern, auch wenn die Menschen dort zum Teil selbst verantwortlich sind, wir schauen nicht zu! Das erfordert Handlungen. (Beifall bei der SPÖ. – Bundesrätin Mühlwerth: Wir nehmen alle ... unsere Kinder ...!)

Es geht um die Sicherstellung von Lebensmitteln, es geht um humanitäre Hilfe und es geht immer noch um Bildung, denn nur dann, wenn dies gegeben ist, werden wir es schaffen, dass die Menschen dort bleiben und sich nicht auf den Weg nach Europa machen. Wir sind der Meinung, wir müssen die Ursachen für Flucht und Migration nach Europa in den Griff bekommen, und das geht natürlich nur gemeinsam. (Zwischenruf der Bundesrätin Mühlwerth.) Österreich allein kann da nichts machen, ist aber Gott sei Dank auch mit dabei bei vielen positiven Initiativen. Eines muss uns auch klar sein: Es kann nur so gehen, denn Grenzen, Mauern und Zäune werden verzweifelte Menschen auf Dauer niemals aufhalten, das geht nicht! (Beifall bei der SPÖ sowie des Bun­desrates Stögmüller. – Bundesrätin Mühlwerth: Na ja, ...!)

Es ist ja schon viel über den Schwerpunkt Österreich und Europäische Union ge­sprochen worden. Wir haben im Jahr 2015 unser 20-jähriges Jubiläum der EU-Mitglied­schaft gehabt, was durchaus erfreulich ist. Wir sind alle glühende Europäerinnen und Europäer, zumindest die meisten von uns (Bundesrat Mayer: Fast!), aber eines stimmt natürlich auch: In der Europäischen Union steht nicht alles zum Besten, und soziale Fragen haben in der EU noch nicht den Stellenwert, den wir uns vorstellen.

Kollege Gödl hat diesen Unterschied zwischen den Staaten angesprochen; es gibt Staaten, in denen Wohlstand herrscht, in denen es eine gute Lohnpolitik, Sozialpolitik et cetera gibt. Ja, die Unterschiede sind gigantisch, aber es ist doch wohl kein Wunder, dass Menschen, die in ihren eigenen Staaten am Existenzminimum oder darunter leben, dort nicht bleiben wollen – und zwar deshalb, weil sie nicht nur für sich, sondern vor allen Dingen für ihre Kinder eine bessere Zukunft haben wollen. Deshalb gehen sie zum Beispiel nach Österreich, und arbeiten dort als PflegerInnen für einen Lohn, den ich gar nicht sagen will, sie arbeiten dort in den Niedriglohnbereichen und verdienen dennoch immer noch mehr, als wenn sie zu Hause bleiben würden.

Was ist die Folge davon? Die Kinder bleiben zu Hause. Die Kinder bleiben bei den Großeltern oder bei irgendwelchen Verwandten.

Werte ÖVP! Vielleicht ist es in Ihren Augen, in euren Augen, nicht ganz gerecht, dass wir in Österreich mit unseren Steuern für diese Kinder dieselbe Kinderbeihilfe zahlen wie für unsere Kinder. Aber erstens: Wollen wir, dass diese Kinder hierher kommen? – Ich glaube nicht, ich habe noch nichts davon gehört. Zweitens: Glaubt ihr wirklich, dass das nicht zu verkraften ist? Ist es wirklich so schlimm, dass diese Kinder, die ihre Eltern kaum sehen, die quasi elternlos aufwachsen, weil diese für die hoffentlich bessere Zukunft ihrer Kinder arbeiten, ein bisschen mehr Geld bekommen, als sie fürs nackte Überleben in ihrem eigenen Land brauchen, wenn sie damit eine bessere Bildung bekommen, wenn damit ihre Großeltern ein bisschen besser leben können als gerade täglich von der Hand in den Mund? Sind wir nicht auch dafür verantwortlich, einen Beitrag für diesen Ausgleich zwischen Arm und Reich in Europa zu leisten? Ist das nicht ein ziemlich billiger Ausgleich, ein ziemlich kleiner Teil, den wir da beitragen können? (Beifall bei der SPÖ sowie des Bundesrates Stögmüller. – Bundesrat Mayer: Da geht es ja um Aufgaben!)


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Ich bin überzeugt davon, dass wir damit einen kleinen, wichtigen Beitrag leisten kön­nen. Ich bin nicht der Meinung, dass wir denen das auch noch wegnehmen sollten.

Der Bericht beinhaltet noch viele andere Teile. Ich habe meine Zeit jetzt schon beinahe verbraucht, aber ich denke mir – und es wurde heute schon angesprochen –, dass der Egoismus vieler Staaten, nicht gemeinsam handeln zu wollen, ein wirkliches Problem und auch eine wirkliche Gefahr für die Zukunft Europas und der Europäischen Union ist.

Dazu gehört auch dieses Hinaufschrauben der Spirale von Gewalt und Hass gegen­einander. Wir haben das ja alle leibhaftig mitverfolgt, mit dem Konflikt zwischen der Türkei und Holland – dieser hat heute darin gegipfelt, dass die Türkei die holländischen Kühe ausgewiesen hat. Entschuldigung: Wo leben wir?! (Heiterkeit bei Bundesräten der SPÖ. – Bundesrat Mayer: ... Doppelstaatsbürger! – Zwischenruf des Bundesrates Schennach.) Ja, wirklich, das steht in den Medien, das gibt es ja gar nicht, oder?!

Ich denke, es geht einfach darum, Ruhe zu bewahren, und bei einem stimme ich auch zu: den Dialog weiterzuführen, egal welche Konfliktpartei gewonnen hat. Man muss den Dialog weiterführen, denn diese Spirale aus Hass, Abweisung, Drohung, Ver­ach­tung und Gewalt hat noch nie – absolut noch nie! – zu irgendetwas Positivem geführt. Ich hoffe, Herr Minister, Sie können in Ihren Funktionen etwas Positives dazu beitra­gen. – Danke. (Beifall bei der SPÖ sowie des Bundesrates Stögmüller. – Bravoruf bei der SPÖ.)

14.25


Präsidentin Sonja Ledl-Rossmann: Frau Bundesrätin Dr. Dziedzic gelangt nun zu Wort. – Bitte.

 


14.25.46

Bundesrätin Mag. Dr. Ewa Dziedzic (Grüne, Wien): Sehr geehrter Herr Bundes­minister! Werte Präsidentin! Wertes Präsidium! Kollegen und Kolleginnen! Das Jahr 2015 war, wie wir schon ein paarmal gehört haben, zweifelsohne ein sehr inten­sives Jahr – von den Atomverhandlungen mit dem Iran über das 20-jährige Jubiläum der EU-Mitgliedschaft Österreichs bis hin zu den Fluchtbewegungen, die uns, glaube ich, alle parteiübergreifend beschäftigt haben, auch wenn wir andere Antworten gefun­den haben.

Der Bericht selbst ist – auch das haben wir gehört – sehr umfangreich und eignet sich sicherlich, da er das Jahr 2015 betrifft, als ein politischer Rückblick, als eine Unterlage dazu, politische Kontinuitäten und Brüche auszumachen. Um alle Kapitel jetzt hier politisch zu bewerten, reicht die Zeit nicht aus und dafür ist womöglich auch zu viel Zeit vergangen. Mir erscheint es dagegen viel wichtiger, im Zusammenhang mit dem Bericht darauf hinzuweisen, dass es unser aller Aufgabe ist, es unsere dringendste Aufgabe ist, Konflikte zu lösen und Krisenherde auszumachen, genauso wie Krisen zu verhindern.

Die internationalen Entwicklungen der Jahre 2015 und 2016, aber auch von heuer schon sind auf jeden Fall besorgniserregend. Man braucht sich nur den andauernden Konflikt in der Ukraine anzuschauen oder die Entwicklungen in der Türkei, die sich seit dem Jahr 2015 verschärft haben, wo die Verhaftungswellen nicht nur diktatorische Züge tragen, sondern die Vielfalt an Problemen sehr autoritären Charakter hat und in Menschenrechtsverletzungen mündet, damit man weiß, dass hier noch einiges zu tun ist.

Ich will deshalb auf die Rolle Österreichs zu sprechen kommen, und in einem gebe ich Herrn Minister Kurz recht, auch wenn das selten passiert (Heiterkeit bei Bundesräten der SPÖ sowie des Bundesrates Mayer): Im Vorwort des Berichtes ist nämlich zu


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lesen, dass wir, trotz der aktuellen Entwicklungen in Österreich, die langfristigen Ziele in der Außen- und Europapolitik nicht aus den Augen verlieren dürfen und dass wir ein Bekenntnis dazu brauchen, dass es eine Annäherung an die Staaten des Westbalkans braucht, genauso wie eine Fortsetzung der guten Tradition Österreichs als Brücken­bauer und auch als ein Ort des Dialogs.

Ich glaube, dass Österreich gerade im Rahmen des OSZE-Vorsitzes diesen Ort des Dialogs sichtbar machen kann. Wir wissen, dass Österreich – vor dem Hintergrund eben dieser langen Tradition – immer schon bewiesen hat, dass es ein neutraler Akteur sein kann, ein Vermittler in Friedensprozessen und ein Brückenbauer, und diesen Friedensprozess sicher auch im Rahmen des aktuellen Vorsitzes weiterführen könnte.

Der erwähnte Konflikt in der Ukraine ist beispielsweise einer, bei welchem gerade die OSZE eine Institution ist, die überhaupt Dialogbereitschaft herstellen kann, und auch die einzige Organisation ist, in der Russland, die USA und die EU genauso wie die Ukraine überhaupt noch miteinander reden.

Österreich sollte darüber hinaus wieder einen Namen als die Nation bekommen, die sich für aktive Friedenspolitik einsetzt. Wir wissen, dass wir hier im Land irrsinnig viel Know-how zu diesem Thema haben, nicht nur in der Zivilgesellschaft, sondern auch aufgrund der politischen Erfahrungen, die wir gemacht haben. Wir sollten hier auch wieder Geld in die Hand nehmen, um österreichische Friedensinitiativen zu stärken.

Ich finde, das ist deshalb wichtig, weil eine aktive Außenpolitik eine aktive Friedens­politik bedeutet und eine aktive Friedenspolitik wiederum eine demokratische Nach­barschaftspolitik nach sich zieht. Österreich könnte hier auf jeden Fall wieder ein Zeichen setzen, wenn es um genau diese Friedensprozesse geht. – Vielen Dank. (Beifall bei den Grünen und bei Bundesräten der SPÖ.)

14.30


Präsidentin Sonja Ledl-Rossmann: Zu Wort gemeldet ist nun Herr Bundesminister Kurz. – Bitte.

 


14.30.10

Bundesminister für Europa, Integration und Äußeres Sebastian Kurz: Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrte Damen und Herren Bundesräte! Ich darf zunächst einmal Danke sagen für die Zustimmung, was die Partnerschaftsabkommen zwischen der Europäischen Union und Neuseeland beziehungsweise Kasachstan betrifft.

Ich darf auch noch einmal kurz erwähnen, dass wir für die positiven Redebeiträge zum vorgelegten EU-Arbeitsprogramm 2017 dankbar sind. Ich möchte jetzt noch ein paar Worte zum Außen- und Europapolitischen Bericht 2015 sagen beziehungsweise auf einige Themen eingehen, die angesprochen worden sind.

Was die Arbeit im Jahr 2015 betrifft, darf ich an das Team im Ministerium Danke sagen – nicht nur für die Erstellung des Außen- und Europapolitischen Berichts, sondern vor allem natürlich auch für die Arbeit in diesem sehr intensiven Jahr 2015.

Das Jahr war vor allem geprägt von der Flüchtlingskrise. Sie wissen, über eine Million Menschen sind nach Europa gekommen, durch Österreich durchgezogen, und 90 000 Menschen haben ihren Asylantrag in Österreich gestellt. Nur 1 000 Menschen haben ihren Asylantrag in Slowenien gestellt, sind aber größtenteils vorher durch dieses Land durchgezogen. Ich würde schon sagen, dass die Grenzen zwischen der Suche nach Schutz und der Suche nach einem besseren Leben in Mitteleuropa etwas verschwommen sind.


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Es ist vorhin gesagt worden: Was hätte man denn anderes machen sollen? Mir wäre da schon etwas eingefallen, nämlich das Weiterwinken nach Mitteleuropa gar nicht erst zu beginnen. (Bundesrätin Kurz: Das war da schon zu spät!) Ich glaube, dass das Weiterwinken nach Mitteleuropa absolut falsch war. Es hat auch nicht dazu geführt, dass weniger Menschen im Mittelmeer ihr Leben verloren haben, sondern ganz im Gegenteil: Durch das Weiterwinken haben sich mehr und mehr Menschen auf den Weg gemacht, die Schlepper haben immer mehr verdient und immer mehr Menschen sind auch im Mittelmeer ums Leben gekommen!

Ich bin froh, dass es gelungen ist, die Westbalkanroute trotz massiven Widerstands zu schließen. Es ist gelungen, das Weiterwinken dort zu beenden. Alle, die sagen, dass dort nach wie vor Menschen kommen, haben nicht unrecht, aber man muss sich die Zahlen anschauen. Es kommen heute um 98 Prozent weniger Menschen über diese Route, weil einfach das staatlich organisierte Weiterwinken beendet wurde, und das ist meiner Meinung nach auch gut so.

Jetzt ist es notwendig, bei anderen Routen dieselbe Politik zu verfolgen. Es kommen noch immer sehr viele Menschen über das Mittelmeer. Die Zahl der Menschen, die über die Mittelmeer-Italien-Route kommen, ist vom Jahr 2015 auf das Jahr 2016 um 20 Prozent gestiegen, vom Jahr 2016 auf 2017 gab es wieder eine Steigerung. Alle, die nun behaupten, das sei eine Verlagerung, irren leider Gottes. Es kommen nämlich nicht Syrer, Iraker und Afghanen, die vor allem über die Westbalkanroute gekommen sind, sondern es kommen ganz andere Menschen über die Mittelmeer-Italien-Route. Solange wir also nicht in Italien die klare Politik verfolgen, wer an der Außengrenze illegal ankommt, mit einem Schlepper, der wird dort gestoppt, versorgt und zurück­gestellt, aber er darf nicht weiter nach Mitteleuropa, werden die Zahlen weiterhin steigen. Ich hoffe, dass es dort auch wie bei der Westbalkanroute irgendwann ein Um­denken gibt, und ich werde mich sicherlich weiterhin dafür einsetzen.

Darüber hinaus – neben der Flüchtlingsfrage – gibt es natürlich auch noch andere Herausforderungen; der Brexit wurde schon angesprochen. Während unseres Vor­sitzes im EU-Rat werden die Brexit-Verhandlungen abgeschlossen werden. Natürlich haben wir eine Haltung dazu, wie es nach dem Brexit weitergehen soll. Wir haben auch eine Meinung darüber, was bei den Verhandlungen relevant sein könnte und was nicht und wie wir die Verhandlungen gerne gestalten würden. Ich habe aber nicht vor, das jetzt genauer auszuführen, denn meiner Meinung ist das Wichtigste – und das ist unser oberstes Ziel –, dass in der Europäischen Union Geschlossenheit herrscht und die 27 EU-Mitgliedsländer eine gemeinsame Verhandlungslinie haben. Ich glaube daher nicht, dass es sinnvoll wäre, jetzt 27 Einzelpositionen aufzuspielen, sondern ganz im Gegenteil: Es ist gut, dass der Lead für die Verhandlungen bei der Kommission ist, und wir unterstützen das auch!

Darüber hinaus wird es unsere Aufgabe sein, die Europäische Union weiterzu­ent­wickeln, zu versuchen, dass die Europäische Union nach dem Brexit mehr ist als nur der Status quo in kleiner und schwächer. Wir erarbeiten derzeit als zuständiges Ministerium auch Vorschläge, wie es weitergehen könnte. Meiner Meinung nach ist das Modell der Subsidiarität das Richtige, also ein Europa, das in den großen Fragen stärker ist und sich in den Fragen, die regional oder national besser entschieden wer­den können, zurücknimmt.

Letzter Punkt: das ganze Thema der Familienbeihilfe. Ich möchte es nicht strapazieren, aber da es so oft angesprochen worden ist, möchte ich doch dazu Stellung nehmen. Ich glaube, Sie kennen meine Haltung dazu. Ich möchte darauf auch nicht genauer eingehen, die Argumente und Gegenargumente sind ohnehin bekannt. Ich würde mir nur wünschen, dass wir eine Entscheidung treffen, denn ich habe das vor eineinhalb Jahren das erste Mal angesprochen. Es gab zunächst sehr lange sehr intensiven


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Widerstand, dann gab es im Regierungsprogramm, das wir mit dem Koalitionspartner gemeinsam verabschiedet haben, eigentlich ein Bekenntnis dazu, dass wir das tun wollen, und jetzt höre ich wieder Signale, dass das doch der falsche Weg wäre. Ich hoffe nach wie vor, dass wir uns darauf einigen können, dass wir diese Reduktion auch vornehmen. Persönlich halte ich das für gerecht. Ich kenne auch alle Meinungen, die das anders sehen, aber ich glaube, irgendwann ist es notwendig, sich zu entscheiden, ob man diesen Weg unterstützt oder nicht.

Vielen Dank für die Diskussion und noch eine spannende Diskussion zu anderen Tagesordnungspunkten. Vielen Dank. (Beifall bei der ÖVP und bei Bundesräten der SPÖ.)

14.36

14.36.10


Präsidentin Sonja Ledl-Rossmann: Vielen Dank, Herr Bundesminister.

Weitere Wortmeldungen liegen dazu nicht vor.

Wünscht noch jemand das Wort? – Das ist nicht der Fall. Die Debatte ist geschlossen.

Wir gelangen zur Abstimmung.

Ich ersuche jene Bundesrätinnen und Bundesräte, die dem Antrag zustimmen, den gegenständlichen Bericht zur Kenntnis zu nehmen, um ein Handzeichen. – Das ist die Stimmenmehrheit. Der Antrag ist somit angenommen.

14.36.396. Punkt

Beschluss des Nationalrates vom 2. März 2017 betreffend ein Bundesgesetz, mit dem das Allgemeine Sozialversicherungsgesetz, das Bauern-Sozialversiche­rungs­gesetz, das Allgemeine Pensionsgesetz, das Arbeitslosenversiche­rungs­gesetz 1977 und das Arbeitskräfteüberlassungsgesetz geändert werden (Sozial­versicherungs-Änderungsgesetz 2017 – SVÄG 2017) (1474 d.B. und 1484 d.B. sowie 9740/BR d.B.)

 


Präsidentin Sonja Ledl-Rossmann: Wir gelangen nun zu Punkt 6 der Tagesordnung.

Berichterstatterin ist Frau Bundesrätin Posch-Gruska. Ich bitte um den Bericht.

 


14.37.00

Berichterstatterin Inge Posch-Gruska: Ich erstatte den Bericht des Ausschusses für Arbeit, Soziales und Konsumentenschutz über den Beschluss des Nationalrates vom 2. März 2017 betreffend ein Bundesgesetz, mit dem das Allgemeine Sozialver­siche­rungsgesetz, das Bauern-Sozialversicherungsgesetz, das Allgemeine Pensionsgesetz, das Arbeitslosenversicherungsgesetz 1977 und das Arbeitskräfteüberlassungsgesetz geändert werden (Sozialversicherungs-Änderungsgesetz 2017 – SVÄG 2017).

Der Ausschuss für Arbeit, Soziales und Konsumentenschutz stellt nach Beratung der Vorlage am 14. März 2017 mit Stimmeneinhelligkeit den Antrag, gegen den vorliegenden Beschluss des Nationalrates keinen Einspruch zu erheben.

14.37


Präsidentin Sonja Ledl-Rossmann|: Vielen Dank für die Berichterstattung.

Wir begrüßen bei uns recht herzlich Herrn Bundesminister Stöger. (Allgemeiner Beifall.)

Wir gehen in die Debatte ein.

Zu Wort gelangt als Erste Frau Bundesrätin Anderl. – Bitte.

 



BundesratStenographisches Protokoll865. Sitzung / Seite 95

14.37.55

Bundesrätin Renate Anderl (SPÖ, Wien): Sehr geehrte Präsidentin! Sehr geehrter Herr Minister! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Wir haben heute wieder ein Thema zu behandeln, das uns schon lange begleitet, das uns immer weiter begleiten wird, und ich glaube, dass es auch für jede und jeden von uns ein sehr wichtiges Thema ist, nämlich die Pensionen. Ich denke, wichtig ist bei diesem Thema: Wann kommt man in die Pension? Vor allem aber auch die Frage: Wie schaut dann die finanzielle Situation, die finanzielle Absicherung in der Pension aus?

Ich möchte mich daher gleich zu Beginn bei unserem Sozialminister Alois Stöger be­danken dafür, dass er mit dieser Gesetzesänderung die rechtlichen Rahmenbedin­gun­gen setzt, und zwar nicht nur nach dem Prinzip: gesund in die Arbeit und gesund von der Arbeit, sondern vor allem auch dafür – und das ist, glaube ich, das Wesentliche –, dass wir auch gesund in Pension gehen können.

Die Maßnahmen zur Anhebung des faktischen Pensionsalters, die ja in diesem Ge­setzentwurf enthalten sind, sind nicht nur begrüßenswert, sondern ich bin davon überzeugt, dass wir damit einen weiteren Schritt in Richtung Heranführung des fakti­schen Zugangsalters an das Regelpensionsalter setzen. Schon jetzt belegen wieder einmal die nackten Zahlen, dass die Pensionsreform – mit unserem damaligen Sozial­minister Hundstorfer begonnen und in die richtige Richtung von unserem jetzigen Sozialminister Stöger weitergeführt – bereits wirkt. Im Jahr 2016 gingen die Menschen bereits um zwei Monate später in Pension als noch ein Jahr davor. Die Reformen im Pensionssystem laufen, und vor allem – und das ist das Wesentliche – wirken sie; man sieht das auch am Pensionskonto. Die Kosten sind – auch das kann man festhalten – weitgehend stabil.

Österreich hat mit dem Pensionskonto ein faires und transparentes Pensionssystem, das vor allem auch jungen Versicherten gute Pensionen gewährleistet. Schwerarbeiter können ab dem 60. Lebensjahr in Pension gehen, ansonsten besteht ein Pensions­korridor zwischen dem 62. und 68. Lebensjahr, der Langzeitversicherten einen vorzei­tigen Pensionsantritt ermöglicht und allen, die ihren Pensionsantritt aber über das Regelpensionsalter hinausschieben möchten, einen Bonus gewährt.

Diese auch vor allem international anerkannten Stärken des österreichischen Pen­sions­systems gilt es zu erhalten, aber nicht nur zu erhalten, sondern vor allem auch abzusichern. Das passiert auch gerade jetzt mit Maßnahmen, die in diesem Geset­zentwurf enthalten sind.

Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich glaube, es ist daher jetzt an der Zeit, dass jene, die uns ständig erklären wollen, dass unsere Pensionen in Zukunft nicht sicher sind und vor allem jene, die immer wieder Pensionskürzungen predigen, sich der Realität stellen, und die sieht nun einmal anders aus.

Die Anhebung des faktischen Pensionsalters wird vor allem durch ein umfangreiches Rehabilitationspaket gefördert werden. Anzumerken ist aber auch, dass es nur dann gelingt, das Pensionsantrittsalter langfristig anzuheben, wenn die Menschen auch län­ger gesund und vor allem arbeitsfähig bleiben.

Als Gewerkschafterin bekenne ich mich zu dem Grundsatz: Rehabilitation vor Pension. Genau aus diesem Grund erachte ich es als sehr positiv, dass laut dem vorliegenden Gesetzentwurf ein Rechtsanspruch auf berufliche Rehabilitation bereits dann bestehen soll, wenn die versicherte Person die Voraussetzung für eine Invaliditäts- oder Berufsunfähigkeitspension in absehbarer Zeit wahrscheinlich erfüllen wird.

Wenn wir darüber reden, dass die Menschen länger im Arbeitsprozess bleiben sollen, dann gehört aber auch dazugesagt, dass Ältere eine Chance auf dem Arbeitsmarkt


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bekommen sollen, dass Ältere auch im Job bleiben können sollen beziehungsweise auch noch über 50 oder auch über 60 vielleicht noch eine Möglichkeit bekommen sollen, einen neuen Job anzutreten. Häufig haben sie den alten Job nicht mehr, weil es oft das Unternehmen beziehungsweise die Firma, in der sie beschäftigt waren, einfach nicht mehr gibt.

Egal, welche positive Maßnahmen da in Gesetze gegossen werden: Dabei, ob wir gesund in Pension gehen zu können, spielt natürlich die Arbeitswelt parallel eine ganz wesentliche Rolle. Das kann nur dann gelingen, wenn die Beschäftigten von ver­schärften Arbeitsbedingungen und überlangen Arbeitszeiten nicht krank gemacht werden. Daher mein Appell, den ich heute hier an alle Zuständigen leider auch richten muss: Mit einer Flexibilisierung muss immer auch eine Verkürzung der Arbeitszeit einhergehen. Möglichkeiten dazu gibt es genug, Vorschläge dazu auch, sie liegen auf dem Tisch, wie zum Beispiel kürzere Wochenarbeitszeiten, weniger Überstunden, leich­tere Erreichbarkeit der sechsten Urlaubswoche und vieles andere mehr. (Beifall bei der SPÖ.) Wenn wir nicht dafür sorgen, dass die Menschen in der Arbeit nicht aus­gebeutet werden, in der Arbeit nicht krank werden, dann können wir noch länger über Pensionen diskutieren, dann helfen uns aber auch die Maßnahmen nicht.

Wie gesagt: Wie ihr seht, liebe Kolleginnen und liebe Kollegen, muss man an mehreren Schrauben drehen, um dafür zu sorgen, dass die Menschen gesund in die Arbeit, gesund von der Arbeit und vor allem aber gesund in Pension gehen können.

Daher begrüßen wir diesen Entwurf und werden diesem natürlich auch zum Wohle unserer Beschäftigten zustimmen. – Danke. (Beifall bei SPÖ und Grünen.)

14.44


Präsidentin Sonja Ledl-Rossmann: Als Nächster zu Wort gelangt Herr Bundesrat Ing. Pum. – Bitte, Herr Bundesrat.

 


14.44.22

Bundesrat Ing. Andreas Pum (ÖVP, Niederösterreich): Geschätzte Frau Präsidentin! Sehr geehrter Herr Minister! Werte Kolleginnen und Kollegen des Bundesrates! Es geht hier jetzt um die Änderung des Sozialversicherungsgesetzes und damit einher­gehend auch um fünf Schwerpunkte, die in dieser Materie im Speziellen verändert werden, die aber auch in der grundlegenden Diskussion einiges voraussetzen.

Ich darf in der Geschichte zurückgehen: Im Rahmen des Bad Ischler Dialogs 2011 wurde bereits sehr klar darüber diskutiert, dass die Auswirkungen der demografischen Entwicklungen neue Regelungen erfordern. Damit einhergehend ist es natürlich eine ganz klare Diskussion, die letztlich eines in Frage stellt, nämlich ob das Gene­ratio­nenmodell hält, ob letztlich diejenigen, die im Arbeitsprozess stehen, all jenen, die Leistung aus diesen Töpfen beziehen, auch gerecht werden. Die Frage zeigt in der budgetären Entwicklung eine aus den Ufern laufende Entwicklung, daher ist es notwendig, hier neue grundlegende Regeln zu schaffen.

Die Aufrechterhaltung der Arbeitsverhältnisse und damit einhergehend natürlich auch gesunde Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen, nicht zuletzt auch immer wieder die Inte­gration in den Arbeitsmarkt, sind natürlich Schwerpunkte dieser Diskussion. Letzt­endlich geht es darum, dass Arbeit fit und gesund halten soll und nicht krank machen darf.

Es ist deshalb natürlich auch naheliegend, dass auch immer wieder Mittel und Mög­lichkeiten ausgeschöpft werden, um vor allem auch den Arbeitsplatz als Platz des Wohlfühlens zu gestalten, um auch entsprechende Rahmenbedingungen zu schaffen. Bestehende Angebote gibt es viele, die sollen auch genutzt werden. Nicht zuletzt ist auch immer wieder die Frage: Wenn jemand krank wird, wie schafft er es wieder, die


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Gesundheit auf normalem Wege zu erlangen? – Da gibt es natürlich vor allem die Notwendigkeit von Mitarbeitergesprächen. Es ist auch oftmals notwendig, das Umfeld zu beleuchten und ganz einfach auch immer wieder viele Mittel und Möglichkeiten auszuschöpfen, wenngleich die Zielrichtungen ein wenig auseinanderliegen.

Wenn im Vorfeld davon gesprochen wurde, dass die Arbeitszeitflexibilisierung mit Ver­kürzungen der Arbeitszeit einhergehen muss, mit einer Erhöhung der Urlaubs­an­sprüche, dann ist zu sagen: Das ist letztendlich auch immer wieder eine Frage der Leistung, und vor allem ist die Frage zu beantworten, wer die Erfüllung der Forde­rungen bezahlt.

Wir wissen, dass die Wirtschaft ein Gefüge darstellt, das nicht nur nach freien Regeln der Marktwirtschaft funktionieren darf und kann, aber wir wissen auch, dass der Markt die Vorgaben für wirtschaftliche Entwicklungen gibt. Es ist auch immer wieder notwen­dig, sich Marktentwicklungen sehr realitätsnah zu stellen. Ich glaube, das ist auch eine wesentliche Voraussetzung, um der Entwicklung, die vor uns liegt, gerecht zu werden.

Ich möchte noch auf einige Änderungen eingehen, im Speziellen auf jene im Bauern-Sozialversicherungsgesetz, und auch auf die Sicherstellung der Pensionsleistung. Es wurde eine Neufeststellung der Einheitswerte durchgeführt, eine Hauptfeststellung aus dem Jahr 2014; es wurde neu bewertet, und das bringt sehr klar einen neuen Ansatz. Es werden zukünftig auch öffentliche Gelder in der Einheitsbewertung miterfasst, und damit werden natürlich auch Veränderungen in den Werten erreicht.

Es darf aber durch diese Veränderung nicht zu einem Verlust der Teilpension kommen, und es muss vor allem auch miteingerechnet werden, das Wirksamwerden der neuen Einheitswerte zum Beispiel keine Umwandlung einer Invaliditätspension in eine Teilpension mit sich bringt. Einheitswerte, die die Versicherungsgrenze unterschreiten, sollten in diesem Fall auf Antrag die Pflichtversicherung aufrechterhalten. Wenn dieser Antrag bis zum 31. Dezember 2017 bei der SVB gestellt wird, dann ist das eine korrekte Vorgehensweise, aber auch hier kommt es zu einer Fristverlängerung um ein Jahr, weil es zu Übergangszeiten kommt, wo manche durchfallen würden. Ich glaube, das ist notwendig.

Wir haben auch schon von der Schaffung einer klaren gesetzlichen Grundlage für die Durchführung der medizinisch-berufsorientierten Rehabilitation gehört. Es ist notwen­dig, die Voraussetzungen vor allem dafür zu schaffen, dass arbeiten nicht krank macht, aber auch dafür, dass dies dann in der Umsetzung auch so passiert. Aus diesem Grund wird nicht mehr zwischen vorübergehender Invalidität und dauernder Invalidität differenziert, was mit Sicherheit eine Erleichterung mit sich bringt.

Rehabilitation muss in enger Abstimmung mit der Arbeitswelt erfolgen. Es geht aber auch darum, dass man moderne Krankheitsbilder erkennt, natürlich aber auch darauf reagiert.. Es ist oft nicht ausreichend, nur zu diagnostizieren, sondern es ist oftmals auch notwendig, das berufliche Umfeld zu verändern, vielleicht auch private Verän­derungen zu bewältigen. Stressbewältigung und Konfliktlösung stehen da mit Sicherheit auch im Mittelpunkt, und das sollte natürlich auch in Absprache geschehen. Entscheidend ist dabei, dass für diese Rehabilitation der Kostenträger zukünftig das AMS sein wird.

Auch durch die Einführung einer absoluten Verjährungsfrist sowie durch die Begren­zung des Zeitraumes für eine Bescheiderlassung in der Arbeitslosenversicherung kommt es zu einer Veränderung. Es gibt ja derzeit keine einheitlichen Verjäh­rungsregelungen, und das soll zukünftig klar geregelt werden. Ich glaube, das ist sehr positiv, denn Personen, die einmal Arbeitslosengeld oder Notstandshilfe bezogen haben, deren Ausmaß nie bescheidmäßig festgestellt wurde, können daher noch viele Jahre danach eine Neuberechnung ihrer Ansprüche einfordern. Ich glaube, das ist


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nicht zeitgemäß, hier muss es zu einer Lösung in diesem Sinne kommen. Letztlich geht es ja auch darum, dass diese Leistungen oftmals mit Mehrleistungen oder eventuell auch mit weniger verbunden sind. Bei der Arbeitslosenversicherung soll zukünftig eine generelle Verjährungsfrist von drei Jahren gelten.

Abschließend: Die Reduzierung der Beitragsleistung zum Sozial- und Weiterbildungs­fonds ist eine positive Maßnahme, denn sie bringt immerhin eine Senkung der Beiträge von 0,8 auf 0,35 Prozent, vor allem der Beiträge zum Sozial- und Weiterbildungsfonds für den Zeitraum von zwei Jahren. Diese Gelder kommen dann wiederum den Arbeit­gebern zugute, weil es letztlich auch zu keinem Aufbau von finanziellen Reserven und damit auch einer Zweckbindung der Mittel kommt, die hier vorhanden sind.

Es sind dies alles Maßnahmen, die unterm Strich Veränderungen bringen, um ganz einfach das gesetzliche Pensionsantrittsalter auch an das tatsächliche anzubinden, und Maßnahmen, die wir brauchen, um unser Pensionssystem, das ein sehr gutes ist, auch finanzieren zu können. In diesem Sinne stimmen wir zu. – Danke. (Beifall bei der ÖVP.)

14.52


Präsidentin Sonja Ledl-Rossmann: Als Nächster zu Wort gelangt Herr Bundesrat Rösch. – Bitte.

 


14.53.03

Bundesrat Ing. Bernhard Rösch (FPÖ, Wien): Wertes Präsidium! Sehr geehrter Herr Minister! Werte Kolleginnen und Kollegen! Ich möchte ganz am Anfang gleich auf Kollegen Pum eingehen: Beim letzten Part, den er gebracht hat – darin ist es um den Sozial- und Weiterbildungsfonds und das Arbeitskräfteüberlassungsgesetz gegangen, wo wir einsparen –, habe ich nicht gehört, dass der Arbeitgeber etwas einsparen kann. Auf der anderen Seite ist es, wenn es darum geht, dass man eine sechste Urlaubs­woche ab einem gewissen Alter einfordert, natürlich ein Thema, dass das etwas kostet.

Wir wollen schon sagen, dass Wirtschaften immer beide betrifft: den Arbeitgeber und den Arbeitnehmer. Jeder muss dabei etwas verdienen können und jeder soll dabei am Markt teilhaben, das ist mir immer ganz wichtig. (Bundesrat Pum: Das habe ich ja eh gesagt!) – Dann habe ich es überhört. Wenn ich es überhört habe, dann nehme ich das sofort zurück; ich habe nur das eine explizit gehört.

In den Nachrichten bekommt man mit, dass es unter anderem darum geht, die AUVA zusammenzulegen und so weiter. Das ist ja auch ein Lohnbestandteil der Arbeit­nehmer, und ich habe noch nicht gehört, wie man sich dann, wenn man das macht, vorstellt, dass man vielleicht auch für die Arbeitnehmer irgendwo in der Wirtschaft etwas entlastet, etwas gescheiter macht.

Was die Rechtssicherheit der Arbeitslosenversicherung anlangt, kann man nur für diese sein.

Zu begrüßen ist natürlich die Frühintervention zur Verhinderung des Ausscheidens aus dem Erwerbsleben. Das ist ganz einfach wichtig. 50 plus kommt naturgemäß immer mehr in Bedrängnis, 50 plus ist oft zu teuer, 50 plus ist nicht mehr so belastbar, 50 plus hinkt oft in der technischen Entwicklung hinterher, 50 plus hat naturgemäß auch ein höheres Risiko von Krankenständen. Das ist oft der Grund, warum der Druck auf eben den älteren Arbeitnehmer zu liegen kommt, und da einen Teil jetzt einmal abzudecken, damit man gerade dieser Generation entgegenkommt, finde ich gut.

Wir werden später, bei einem der nächsten Punkte, allerdings sehen, dass wir der Meinung sind, dass ein besonderer Kündigungsschutz für ältere Arbeitnehmer dann nicht mehr gelten soll. Wenn man bedenkt, dass, wenn einer über 50 in einen Betrieb kommt und ohnehin die ersten zwei Jahre nicht den besonderen Kündigungsschutz


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hat, damit er auf längere Sicht vielleicht rein- oder rauskommt, dann verstehe ich das in dieser Situation nicht. Das werden wir aber dann weiter besprechen.

Wir werden bei dieser Gelegenheit gleichfalls besprechen müssen, wie wir mit Altersteilzeit umgehen werden. Können wir sie ausbauen? – Es ist ganz einfach so, dass wir dann, wenn wir bis 65 oder vielleicht irgendwann einmal noch länger arbeiten müssen – das wissen wir noch nicht; in Deutschland ist es Praxis, dass man auch länger arbeitet –, überlegen müssen, wie man das begleitend machen kann: Vielleicht durch Sabbaticals im Vorfeld, damit man das, was Bildung bedeutet, eben immer wieder aufholen kann, dass man immer wieder dabei ist. Keiner möchte sich von einem Arzt operieren lassen, der vor 20 Jahren sein Handwerk gelernt hat und sich dann nicht mehr weiterentwickelt hat. Es ist aber auch in allen anderen Berufen so, dass es lebenslanges Lernen geben soll. Dazu soll es aber auch die Freiräume geben, da soll man, wenn es Flexibilisierung gibt, diese eben da anwenden.

Der 12-Stunden-Tag wird sicher nicht die Lösung der Flexibilisierung sein. Wir haben, wie wir auf dem Arbeitsmarkt sehen können, 30 Prozent der Beschäftigten in Teilzeit. Diese Teilzeitbeschäftigten werden in sehr hohem Maß ganz einfach für die Flexi­bilisierung der Arbeitszeit herangezogen, indem man ihnen, ohne dass das als Über­stunden gilt, Arbeit im Umfang von bis zu 40 Stunden auftragen kann – und diese Arbeitskräfte das nur in besonderen Fällen ablehnen können, beispielsweise weil sie eben Kinder haben oder wegen sonst irgendetwas verhindert sind.

Es wird dann auch so sein, dass man sich überlegen muss, wie es mit der Alters­vorsorge ausschaut. Es wird nämlich auf uns zukommen, dass diejenigen, die in der Reha sind, oder diejenigen, die Arbeitszeitverkürzung haben oder in Altersteilzeit sind, weniger verdienen, und das wird sich bei einer lebenslangen Durchrechnungszeit auch in der Pension ausdrücken. Da freut sich vielleicht der Finanzminister, weil die Pen­sionen nicht mehr so hoch sind, aber wir haben in der Zeit auch nicht die Beiträge und in weiterer Folge wahrscheinlich vermehrt Armut im Alter. Auch darüber sollten wir nachdenken.

Wenn ich ein bisschen provokant sein darf: Im Leben hat jeder Arbeitnehmer, jeder Mensch auch das Recht auf Faulheit. Wir brauchen ganz einfach auch Freiräume, wo wir wieder auftanken, wo wir uns regenerieren, wo wir unser soziales Leben gestalten. Deswegen möchte ich – weil es vielleicht hier hineinpasst – an dieser Stelle zu beden­ken geben, dass zu viel Flexibilisierung und das Einschlagen eines Wegs in Richtung eines 16-Stunden-Tags nicht gut ist. Ich wäre eher dafür, dass man am Abend die Server abdreht. Der Abend gehört dem Arbeitnehmer, und, so es nicht das Arbeitsbild anders verlangt, eben der Familie. (Beifall bei der FPÖ.)

14.59


Präsidentin Sonja Ledl-Rossmann: Als Nächster gelangt Herr Bundesrat Stögmüller zu Wort. – Bitte, Herr Bundesrat.

 


14.59.11

Bundesrat David Stögmüller (Grüne, Oberösterreich): Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrter Herr Minister! Werte Kolleginnen und Kollegen! Faul ist jeder einmal. – Das gefällt mir, sehr gut!

Wir haben heute einige Gesetze, die geändert werden, und auch Berichte, die das Sozialressort betreffen, zur Behandlung. Das erste Gesetz ist dieses Sozialver­sicherungs-Änderungsgesetz. Die Kolleginnen und Kollegen haben schon einiges be­richtet. Ich werde jetzt nicht mehr alles wiederholen, ich gehe auf die für uns Grüne wesentlichen Punkte ein.


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Im ersten Artikel dieser Novelle bekommt der Hauptverband weitere Verordnungs­befugnisse zur einheitlichen Vollziehung der beruflichen Rehabilitation, in Zukunft können das Rehabilitationsgeld und Pensionen nicht mehr gleichzeitig bezogen werden, und auch das frühere System der befristeten I-Pension ist in weiterem Umbau.

Die PVA hat schon bisher präventive Bildungsarbeit gemacht, wie zum Beispiel Antistresskurse und so weiter, jetzt sind diese aber auch rechtlich abgesichert. Damit können auch fallspezifische Kurse und Maßnahmen, also medizinisch-berufsorientierte Rehabilitation, angeboten werden, um krankheitsbedingte Berufsausstiege zu verhin­dern. Das heißt, es geht dabei um die Rehabilitation im Zusammenhang mit einem ganz bestimmten Job an einem ganz bestimmten Arbeitsplatz. Ich finde es auch gut, dass die Betroffenen einen Rechtsanspruch auf diese Kurse und Maßnahmen bekom­men haben. Das ist ganz wichtig für die Betroffenen. (Vizepräsident Gödl übernimmt den Vorsitz.)

Auch die Maßnahme der beruflichen Rehabilitation ist positiv. Es geht dabei um einen ersten Kurs, um einen Orientierungskurs oder um ein Arbeitstraining. Dieses kann bereits vor Abschluss der medizinischen Rehabilitation beantragt und von der PVA nach pflichtgemäßem Ermessen gewährt werden.

Da es bei diesem Gesetz leider kein richtiges Begutachtungsverfahren im Vorfeld gegeben hat, hat sich bei diesem Punkt auch ein Formulierungsfehler eingeschlichen, der für die Betroffenen bei der richtigen Auslegung dieses Gesetzes sozusagen zu einem Zwang der Maßnahme geführt hätte oder zumindest bei Nichterfüllung eine Streichung oder eine Kürzung der Leistung bedeutet hätte. Diesen Fehler haben wir Grüne mit einem Abänderungsantrag ausgebessert und die Aussage richtiggestellt. – Ich wollte das einfach nur noch einmal erwähnen, weil es nicht sehr oft vorkommt, dass oppositionelle Abänderungsanträge einstimmig angenommen werden. Zum Glück der Betroffenen ist es in diesem Fall so gewesen, es war eben nicht die Intention der Bundesregierung, das zu beschließen.

Ein Artikel in diesem Gesetz, den wir Grüne skeptischer sehen, ist Art. 5, der das Arbeitskräfteüberlassungsgesetz ändert. Darin geht es um den Sozial- und Weiterbildungsfonds. Dort wird der ArbeitgeberInnenbeitrag von den gerade erreich­ten – das haben wir erst beschlossen beziehungsweise ist dieser erst angehoben wor­den – 0,8 Prozent bis 2019 auf insgesamt 0,35 Prozent gesenkt.

Eigentlich hätte dieser Fonds bei den Lohnarbeiterinnen und Lohnarbeitern für Weiter­bildung und Schulungen Werbung machen sollen – das hat er nicht gemacht. Es liegt mehr Geld darin, wobei mir Ihre BeamtInnen leider nicht sagen konnten, wie viel Geld darin liegt. Das Ganze ist aber auf zwei Jahre befristet, dann sehen wir weiter. Alles in allem werden wir Grüne im Bundesrat heute diesem Gesetz die Zustimmung erteilen, weil es einige Erleichterungen für die Betroffenen beinhaltet.

Ich möchte abschließend dennoch etwas anfügen, was meine Kollegin im Nationalrat schon gesagt hat: Wir müssen auch jenen Menschen, die keinen Berufsschutz haben und wenig verdienen, genauso Rehamaßnahmen anbieten, um diese Menschen wieder in den Arbeitsmarkt zu reintegrieren. Das wäre ganz, ganz wichtig, gerade für jene, die unter 1 000 € verdienen. Bitte, Herr Minister, schauen wir auf diese Personen!

Wir werden zustimmen, aber wir sind noch lange nicht am Ziel. – Vielen Dank. (Beifall bei Grünen und SPÖ.)


BundesratStenographisches Protokoll865. Sitzung / Seite 101

15.03


Vizepräsident Mag. Ernst Gödl: Als Nächster gelangt Herr Bundesminister Stöger zu Wort. – Bitte, Herr Minister.

 


15.03.06

Bundesminister für Arbeit, Soziales und Konsumentenschutz Alois Stöger, diplômé|: Herr Präsident! Hohes Haus! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Mir ist es wichtig, auf dieses Gesetz hinzuweisen, weil dieses Gesetz einen wichtigen Schritt setzt, nämlich das Prinzip Rehabilitation vor Pension zu stärken. Ich meine, das ist wichtig. Wir haben auch differenzierte Regelungen für unterschiedliche Berufsgrup­pen wie die Landwirte geschaffen, und damit machen wir deutlich: Wir wollen gesund in Pension gehen können, und wir wollen sicherstellen, dass Menschen, die krank­heitsbedingte Einschränkungen haben, gesund werden und dann bei Erreichen des Regelpensionsalters in Pension gehen können.

Herr Bundesrat Pum hat gemeint, ob das Generationenmodell standhält; wenn man sich die Budgets ansieht, dann ist das eine aus dem Ruder laufende Entwicklung. – Ich muss das ganz klar verneinen. Ich kann Ihnen zwei Dinge mitteilen: Wir haben seit 1. Jänner 1957 im Allgemeinen Sozialversicherungsgesetz ein Pensionsrecht. Das ist jetzt 60 Jahre her. Wir haben 60 Jahre lang allen Menschen in Österreich, die pensionsberechtigt sind – das ist ein Viertel der österreichischen Bevölkerung –, pünktlich die Gelder ausbezahlt! Dieses Pensionssystem hat sich zu einem stabilisie­renden Faktor der österreichischen Wirtschaft entwickelt, was wir gerade in der Krise kennenlernen durften: Auch da hat das Pensionsrecht in Österreich gut gewirkt.

Vor Kurzem, es ist mittlerweile wieder drei Wochen her, waren Abgeordnete des Deutschen Bundestages auf Besuch hier im Parlament. Sie haben sich auch bei mir angekündigt. Dabei haben die Abgeordneten über die Parteigrenzen im Deutschen Bundestag hinweg gemeint: Wie macht ihr Österreicher das? Wieso habt ihr ein Pensionsmodell, mit dem es euch besser gelingt, Altersarmut zu verhindern? – Das gelingt uns nämlich um ganze 4 Prozentpunkte besser als den Kollegen in der Bundesrepublik.

Als ich ihnen gesagt habe, wie hoch die Mindestpension in Österreich ist, wurde mir gesagt: Die ist in der Bundesrepublik niedriger. Dabei habe ich da noch nicht davon gesprochen, dass wir jetzt für Menschen, die lange in Teilzeit gewesen sind, die niedrige Einkommen gehabt haben, die Mindestpension auf 1 000 € angehoben haben; nein, ich bin von den 883 € ausgegangen, die wir im vorigen Jahr gehabt haben, und das ist in Deutschland niedriger.

Als ich ihnen dann noch gesagt habe, dass wir das nicht nur zwölfmal im Jahr aus­zahlen, sondern vierzehnmal, sind sie, auf gut Österreichisch gesagt, unter den Tisch gefallen, weil sie kaum glauben konnten, welche Sicherung des Lebensstan­dards das österreichische Pensionssystem zustande bringt. Danke dafür!

Danke auch dafür, dass es gelungen ist, das faktische Pensionsalter anzuheben, weil mehr Menschen in Arbeit stehen – das ist gut so! Daher ist es auch gelungen, unseren Finanzminister zu entlasten, unser Budget zu entlasten, denn wir werden jene Mittel, die wir im Bundesfinanzrahmengesetz vorgesehen haben, nicht brauchen.

Lassen Sie mich noch abschließend zum Thema prekäre Arbeitsverhältnisse sprechen. Wir haben eine Form von Prekariat, das ist die Arbeitskräfteüberlassung. Ich bin den Sozialpartnern sehr dankbar. Sie haben ein neues Instrument geschaffen, nämlich den Sozial- und Weiterbildungsfonds im Bereich der Arbeitskräfteüberlassung. Die Sozial­partner haben sich da für mehr Bildungszeiten ausgesprochen. Sie haben einen gemeinsamen Plan entwickelt, und sie haben gebeten, die Beiträge zu reduzieren, um sicherzustellen, dass da auch die richtigen Rückflüsse in Ausbildungsmaßnahmen stattfinden.

Ich glaube, das funktioniert. Wir gehen da einen Schritt auf die Sozialpartner zu, nämlich auf deren Ersuchen, die Bildungsmaßnahmen für diese Gruppe mit prekären


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Arbeitsverhältnissen beziehungsweise für die Beschäftigtengruppe der Leihar­beiterin­nen und Leiharbeiter zu stärken.

In diesem Sinne ersuche ich um Zustimmung zu diesem Gesetz. (Beifall bei der SPÖ sowie der Bundesräte Saller und Stögmüller.)

15.08

15.08.01

 


Vizepräsident Mag. Ernst Gödl: Weitere Wortmeldungen dazu liegen nicht vor.

Wünscht noch jemand das Wort? – Das ist nicht der Fall. Die Debatte ist geschlossen.

Wir gelangen zur Abstimmung.

Ich ersuche jene Bundesrätinnen und Bundesräte, die dem Antrag zustimmen, gegen den vorliegenden Beschluss des Nationalrates keinen Einspruch zu erheben, um ein Handzeichen. – Das ist die Stimmeneinhelligkeit. Der Antrag ist somit angenommen.

15.08.267. Punkt

Beschluss des Nationalrates vom 2. März 2017 betreffend ein Bundesgesetz, mit dem das Post-Betriebsverfassungsgesetz, das Landarbeitsgesetz 1984 und das Behinderteneinstellungsgesetz geändert werden (1938/A und 1496 d.B. sowie 9741/BR d.B.)

8. Punkt

Beschluss des Nationalrates vom 2. März 2017 betreffend ein Bundesgesetz, mit dem das Arbeitsverfassungsgesetz geändert wird (1140/A und 1497 d.B. sowie 9742/BR d.B.)

9. Punkt

Beschluss des Nationalrates vom 2. März 2017 betreffend ein Bundesgesetz, mit dem das Betriebliche Mitarbeiter- und Selbständigenvorsorgegesetz und das Landarbeitsgesetz geändert werden (2003/A und 1498 d.B. sowie 9743/BR d.B.)

 


Vizepräsident Mag. Ernst Gödl: Nun gelangen wir zu den Punkten 7 bis 9 der Tages-ordnung.

Berichterstatterin zu diesen Punkten ist Frau Bundesrätin Posch-Gruska. Ich bitte um die Berichte.

 


15.09.00

Berichterstatterin Inge Posch-Gruska: Herr Präsident! Ich bringe den Bericht des Ausschusses für Arbeit, Soziales und Konsumentenschutz zum einen über den Be­schluss des Nationalrates vom 2. März 2017 betreffend ein Bundesgesetz, mit dem das Post-Betriebsverfassungsgesetz, das Landarbeitsgesetz 1984 und das Behin­derten­einstellungsgesetz geändert werden.

Der Antrag liegt Ihnen in schriftlicher Form vor, ich komme daher sogleich zur Antrag­stellung.

Der Ausschuss für Arbeit, Soziales und Konsumentenschutz stellt nach Beratung der Vorlage am 14. März 2017 mit Stimmenmehrheit den Antrag, gegen den vorliegenden Beschluss des Nationalrates keinen Einspruch zu erheben.

Weiters bringe ich den Bericht über den Beschluss des Nationalrates vom 2. März 2017 betreffend ein Bundesgesetz, mit dem das Arbeitsverfassungsgesetz geändert wird.


BundesratStenographisches Protokoll865. Sitzung / Seite 103

Auch dieser Antrag liegt Ihnen in schriftlicher Form vor, ich komme daher wieder sogleich zur Antragstellung.

Der Ausschuss für Arbeit, Soziales und Konsumentenschutz stellt nach Beratung der Vorlage am 14. März 2017 mit Stimmenmehrheit den Antrag, gegen den vorliegenden Beschluss des Nationalrates keinen Einspruch zu erheben.

Schließlich bringe ich den Bericht des Ausschusses für Arbeit, Soziales und Konsu­mentenschutz über den Beschluss des Nationalrates vom 2. März 2017 betreffend ein Bundesgesetz, mit dem das Betriebliche Mitarbeiter- und Selbständigenvorsorgegesetz und das Landarbeitsgesetz geändert werden.

Dieser Antrag liegt ihnen ebenfalls in schriftlicher Form vor, daher darf ich sogleich zur Antragstellung kommen.

Der Ausschuss für Arbeit, Soziales und Konsumentenschutz stellt nach Beratung der Vorlage am 14. März 2017 mit Stimmeneinhelligkeit den Antrag, gegen den vorlie­genden Beschluss des Nationalrates keinen Einspruch zu erheben.

 


Vizepräsident Mag. Ernst Gödl: Ich danke für die Berichte.

Wir gehen in die Debatte ein.

Als Erster ist Herr Bundesrat Samt zu Wort gemeldet. – Bitte, Herr Bundesrat.

 


15.10.09

Bundesrat Peter Samt (FPÖ, Steiermark): Herr Präsident! Herr Bundesminister! Ge­schätzte Kolleginnen und Kollegen! Zu Tagesordnungspunkt 7, unter anderem das Post-Betriebsverfassungsgesetz und das Landarbeitsgesetz betreffend: Der wesent­liche Punkt ist hierbei, dass die Tätigkeitsdauer der Personalvertretungsorgane derzeit auf vier Jahre festgelegt ist.

Aufgrund von durchaus nachvollziehbaren Gegebenheiten der letzten 30 Jahre, auf­grund der Veränderungen der Arbeitswelt und deren Rahmenbedingungen, aber natürlich auch aufgrund der Tatsache, dass mittlerweile auch die Gesetzgebungs­perioden auf fünf Jahre ausgedehnt wurden, ist die Verlängerung ein nachvollziehbarer Schritt: Es ist nachvollziehbar, dass wir auch die Tätigkeitsdauer der Personalvertre­tungsorgane und der Rechnungsprüfer auf fünf Jahre festlegen.

Zu den Bildungsfreistellungen, die damit Hand in Hand gehen: Auch diesbezüglich ist es natürlich sinnvoll, die Tätigkeitsdauer der Personalvertretung auf fünf Jahre aus­zudehnen. – Da diese Veränderungen und diese Gesetzesvorlage mit den Arbeitneh­mer­vertretern abgeklärt und abgestimmt sind, gibt es unsererseits Zustimmung zu dieser Gesetzesänderung.

Diffiziler wird es allerdings schon beim nächsten Tagesordnungspunkt, und zwar bei der Änderung des Arbeitsverfassungsgesetzes. Als Begründung für diesen ursprüng­lich von den NEOS im Nationalrat gestellten Antrag wurde angegeben, dass der er­höhte Kündigungsschutz für ältere Arbeitnehmer am Arbeitsmarkt einerseits positive, andererseits auch negative Folgen hat.

Es gibt also ganz offensichtlich einen Zwiespalt zwischen jenen älteren Arbeitnehmern, die sich in Beschäftigung befinden und die durch den erhöhten Kündigungsschutz an ihrem Arbeitsplatz bis zur Pension gefestigt und geschützt sind, und jenen älteren Arbeitnehmern – 50 plus, um sie zu benamsen –, die auf der Suche nach einer Be­schäftigung sind und dabei ganz offensichtlich Probleme haben. Man geht also, wie es scheint, von der Annahme aus, dass der bestehende erhöhte Kündigungsschutz eine negative Wirkung auf die Wiederbeschäftigung älterer Arbeitsloser sowie eine Ein­schränkung der Chancen auf Wiedererlangung einer Beschäftigung darstellt.


BundesratStenographisches Protokoll865. Sitzung / Seite 104

Wir glauben, dass es sich in der Realität dann eher so darstellen wird, dass es wieder einfacher und billiger sein wird, einen älteren Arbeitnehmer zu kündigen. Ich darf Sie daran erinnern, dass wir in diesem Haus vor nicht allzu langer Zeit die Beschäfti­gungsinitiative 50+ beschlossen haben, die aber offensichtlich nicht den Erfolg bringt, den man sich dabei vorgestellt hat. Wir glauben auch, dass es durch diese Geset­zesänderung nicht dazu kommen wird, dass weniger Menschen über 50 ihren Job verlieren werden, wir glauben sogar eher – oder befürchten es zumindest –, dass diese Initiative, diese Änderung die Altersarbeitslosigkeit noch weiter anheizen wird.

Wir sind der Meinung, dass es sinnvoller wäre, über sektorale Arbeitsmarkt­schließun­gen zugunsten österreichischer Arbeitnehmer nachzudenken, um bestehendes Lohn- und Sozialdumping, das hier in diesem Staat stattfindet, in den Griff zu bekommen. In den Grenzgebieten haben wir nämlich dieses Problem – sozusagen wider Erwarten. Wir haben das nämlich schon vor Längerem prognostiziert, und es ist auch eingetrof­fen. Nicht zuletzt wäre es auch sinnvoll, endlich die Lohn- und Lohnnebenkosten mas­siv zu senken, damit die Arbeitgeber wieder die Luft haben, um Menschen einzustellen und auch entsprechend entlohnen zu können.

Aufgrund all dessen wird es von uns bei diesem Tagesordnungspunkt keine Zustim­mung geben.

Bei Tagesordnungspunkt 9, in dem es um das Betriebliche Mitarbeiter- und Selb­ständigenvorsorgegesetz und das Landarbeitsgesetz geht, schaut es wieder anders aus. Es handelt sich dabei um eine legistische Änderung, die damit zusammenhängt, dass wir das Kinderbetreuungsgeldgesetz im Jahr 2016 geändert haben, nämlich mit Wirkung ab dem 1. März 2017. Daher mussten da die entsprechenden Bezugnahmen in den Texten angepasst werden. Die bisherigen Bestimmungen betreffend die Fixbeträge werden natürlich obsolet und müssen entsprechend angepasst werden.

Die Neuregelung sozusagen als Folgeerscheinung des geänderten Kinderbetreuungs­geldgesetzes findet daher in diesem Umfang auch unsere Zustimmung. – Ich danke für Ihre Aufmerksamkeit. (Beifall bei der FPÖ.)

15.15


Vizepräsident Mag. Ernst Gödl: Als Nächste gelangt Frau Bundesrätin Anderl zu Wort. – Bitte.

 


15.15.25

Bundesrätin Renate Anderl (SPÖ, Wien): Sehr geehrter Herr Minister! Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen, liebe Kollegen! Wir haben die Punkte 7 bis 9 zusam­­mengefasst.

Zu Punkt 7 – in dem es um die Verlängerung der Funktionsperiode der Arbeitneh­merInnenvertreter in den Bereichen Post, Telekom, Land- und Forstarbeit sowie im Behindertenbereich von vier auf fünf Jahre geht – hat Kollege Samt an und für sich alles gesagt. Ich möchte dazu noch anmerken, dass uns ja schon im Dezember des Vorjahres oftmals über die Medien klar und deutlich kommuniziert wurde, dass diese Verlängerung zu begrüßen ist. Die Verlängerung damals hat jene Betriebsratskörper­schaften betroffen, die dem Arbeitsverfassungsgesetz unterliegen; mit der vorlie­genden Änderung ziehen wir einfach nach und beschließen für die bereits ange­sproche­nen Bereiche, dass auch da die Funktionsperiode von vier auf fünf Jahre erweitert wird.

Erweitert wird auch, wie schon angesprochen, die Bildungsfreistellung, nämlich von drei Wochen auf drei Wochen plus drei Tage. Jetzt sage ich vielleicht etwas provokant: Es kann nie genug sein. Ich denke, es ist etwas Gutes, drei Tage mehr zu haben, aber ich meine, in Zeiten wie diesen, da wir Funktionsperioden um ein Jahr verlängern und


BundesratStenographisches Protokoll865. Sitzung / Seite 105

in denen Bildung wichtiger ist als je zuvor, würde ich mir wünschen, dass wir irgendwann wieder hier stehen und diese Bildungsfreistellung für die Betriebsräte, für die Personalvertreter ein bisschen mehr verändern als nur um drei Tage. Ich denke, diejenigen, die die Beschäftigten in den Unternehmen vertreten, haben sich die Chance verdient, sich in dieser Richtung weiterzuentwickeln.

Ich bin überzeugt davon, dass die Verlängerung der Funktionsperiode viele Vorteile hat, nämlich Vorteile, wenn man längere Projekte angeht, die über mehrere Jahre dauern – da ist es konstruktiver, wenn man länger daran arbeiten kann –, aber auch bei vielen anderen Projekten.

Ich finde es schade, dass dem hier nicht alle Fraktionen zustimmen, sodass wir heute keinen einstimmigen Beschluss fassen können, denn ich bin überzeugt davon, dass es – auch wenn man vielleicht noch an dem einen oder anderen Rad drehen kann – insgesamt eine sehr positive Sache ist.

Im zweiten Bereich geht es, wie ebenfalls schon angesprochen, darum, den Kündi­gungsschutz von Älteren zu lockern. Natürlich habe auch ich da keinen Luftsprung gemacht, sondern lange darüber nachgedacht, ob das wirklich gut ist. Ich muss aber sagen, es ist eine ähnliche Situation wie bei den Behinderten.

Wir alle können uns sicher noch daran erinnern, als die Behindertenvertreter selbst gesagt haben: Behinderte Menschen haben keine Chance am Arbeitsmarkt, weil es diese Hürde des Kündigungsschutzes gibt. Jetzt hören wir das Gleiche von älteren Arbeitnehmern. Ich denke, wir sollten dem nachgehen und diese Hürde wegnehmen, damit Ältere, wenn sie den Job verloren haben und einen neuen Job suchen, diese Hürde nicht haben.

Was ich hier schon ganz klar und deutlich erwähnen möchte, ist – und da bin ich nicht der Meinung des Kollegen Samt –, dass wir ganz klar und deutlich dazusagen sollten, dass dies nur für jene Personen gilt, die neu eingestellt werden, und nicht für jene, die beschäftigt sind. Ich finde es auch nicht sehr gescheit, wenn wir hier stehen und wieder Ängste schüren, indem wir schon andenken, dass es auch jene betreffen könnte, die schon in Beschäftigung sind. (Zwischenruf des Bundesrates Samt.) Wir beschließen heute etwas, bei dem es darum geht, Menschen, die über 50 sind, wieder eine Chance am Arbeitsmarkt zu geben; und es gibt nirgendwo den Satz, dass es auch um jene geht, die in Beschäftigung stehen.

Andererseits gibt es natürlich auch die Argumente seitens der Wirtschaft. Da wird der Kündigungsschutz als Hürde betrachtet. Da fragen die Unternehmer sozusagen: Wie wird man den dann wieder los?, was dazu führt, dass die Chancen, eingestellt zu werden, für Menschen ab 50 geringer sind.

Martin Gleitsmann, Leiter der sozialpolitischen Abteilung der Wirtschaftskammer Österreich, hat in einer Presseaussendung Anfang März festgehalten, dass dies ein Schritt in die richtige Richtung ist, denn diese Maßnahme erhöht die Chance für ältere Arbeitslose, auf dem Arbeitsmarkt wieder Fuß zu fassen.

Eines verspreche ich, eines ist sicher: Wir werden ganz genau darauf schauen, dass diese Worte nicht nur in der Presseaussendung stehen, sondern dass die Wirtschaft das auch ernst nimmt und Älteren eine Chance gibt.

Für uns als GewerkschafterInnen wird das Alter weiterhin ein wesentlicher Faktor im Rahmen der Sozialwidrigkeitsprüfung bei Kündigungen sein, denn die Zahlen sprechen für sich. Wir wissen aus den Statistiken, dass immer mehr Menschen, die älter als 50 Jahre sind, am Arbeitsmarkt kaum eine Chance haben.


BundesratStenographisches Protokoll865. Sitzung / Seite 106

Ich hatte gestern die Möglichkeit, mit vielen FunktionärInnen zu diskutieren, die diese Problematik auch sehen. Sie haben mir mit auf den Weg gegeben, dass wir nicht nur dafür sorgen müssen, dass diese Menschen wieder eine Chance auf einen Arbeitsplatz bekommen, sondern dass wir auch gemeinsam, vor allem die Wirtschaft, für altersge-rechte Arbeitsplätze sorgen müssen, denn es nützt nichts, wenn wir nur Schicht-betriebe und schwere körperliche Arbeit haben, und dann vielleicht noch das Argument kommt, dass die Menschen aufgrund des Alters die Arbeit nicht ausführen können. Ich denke also, diesbezüglich haben wir einiges zu tun. (Zwischenruf des Bundesrates Mayer.) Ich glaube, dass wir diesen Schritt auf jeden Fall setzen sollten.

Der ist zu alt, den brauchen wir nicht, der ist zu teuer, Ältere – das wurde vorhin gerade gesagt sind vielleicht öfters krank! – Viele solcher Aussagen sind ja keine Seltenheit. Dazu kommt aber auch noch die psychische Belastung, am Arbeitsmarkt nicht mehr gebraucht zu werden, aber ebenso auch die finanzielle Belastung, die sehr häufig damit verbunden ist, wenn man seinen Job verliert. Es ist daher sehr positiv, dass gerade diese Gruppe der Beschäftigten, nämlich die älteren Beschäftigten, besonders unterstützt werden. Die Bundesregierung bezieht im überarbeiteten Arbeitsprogramm dazu nicht nur Stellung, sondern hat im Arbeitsprogramm Maßnahmen vorgeschlagen und festgehalten.

Meine Fraktion wird dieser Änderung zustimmen, denn wir wollen ganz einfach mithelfen, dass ältere Arbeitslose wieder eine Chance am Arbeitsmarkt haben. Wie gesagt, wollen wir das wissentlich tun, indem wir sehr genau darauf schauen werden, ob das wirklich die Hürde war, die Älteren die Chance auf Arbeit nimmt.

Betreffend Punkt 9 schließe ich mich dem Kollegen Samt an, geht es dabei ja nur um eine Änderung bezüglich des Kinderbetreuungsgeldes; der werden wir auch zustim-men. Danke. (Beifall bei SPÖ und ÖVP.)

15.22


Vizepräsident Mag. Ernst Gödl: Als Nächster gelangt Herr Bundesrat Stögmüller zu Wort. – Bitte.

 


15.22.46

Bundesrat David Stögmüller (Grüne, Oberösterreich): Sehr geehrter Herr Vize-präsident! Sehr geehrter Herr Minister! Sehr geehrte Damen und Herren! Unter diesem Tagesordnungspunkt behandeln wir drei Gesetze. Zum einen werden die Funktionsperioden von BetriebsrätInnen und Personalvertretungsorganen auf fünf Jahre verlängert. Das sehen wir Grüne etwas skeptischer, nämlich aus demokratiepo­litischer Sicht. Wir sehen dabei die Gefahr, dass bei längerer Tätigkeitsdauer der Betriebsräte mehr die Interessen der Stammbelegschaften als die der kürzer, atypisch und prekär Beschäftigten vertreten werden. Deswegen sind wir in diesem Punkt eher skeptisch.

Wenn wir gerade von Betriebsrätinnen und Betriebsräten sprechen: Ganz ehrlich, Herr Minister, ich verstehe bis heute nicht, warum nicht jeder, der in einem Betrieb arbeitet, seinen Betriebsrat wählen darf. Nach wie vor gibt es Lehrlinge, die jünger als 18 Jahre sind, und diese dürfen ihren Betriebsrat nach wie vor nicht wählen. Bitte, Herr Minister, ändern Sie das endlich! Das Alter ist unerheblich für die Wahl der Vertreter und Vertreterinnen der Arbeitnehmer und Arbeitnehmerinnen in einem Betrieb. Jeder Lehrling soll den Betriebsrat wählen dürfen, egal ob er 17 oder 15 Jahre alt ist. Das wäre ein Anliegen, und ich appelliere wirklich gerade an Sie als letzten verbleibenden Gewerkschafter in dieser Bundesregierung: Ändern Sie § 25 Abs. 1 des Arbeitsver­fassungsgesetzes endlich für die jungen Menschen, bitte!

Diesem Gesetz werden wir dennoch keine Zustimmung geben.


BundesratStenographisches Protokoll865. Sitzung / Seite 107

Jetzt kommen wir zum nächsten Punkt, nämlich zum NEOS-Antrag: Da geht es um die Aufhebung des Kündigungsschutzes für MitarbeiterInnen ab dem 50. Lebensjahr. Ich weiß, Herr Minister, Sie sind jetzt etwas in Zeitdruck, um die von Ihnen geforderten Reformen durchzuführen, aber ich finde diese Initiative absolut zahnlos, nicht wirkungsvoll und nicht durchdacht. Weder Ihre MitarbeiterInnen im Ausschuss haben uns Zahlen darüber liefern können, was diese Maßnahme überhaupt bringen soll, noch gibt es irgendwelche Erhebungen oder Statistiken oder sonst etwas.

Fakt ist, dass es genau genommen – Status quo – keinen besonderen Kündigungs­schutz für ältere Menschen gibt. Es gibt de facto nur ein paar Bestimmungen in § 105 des Arbeitsverfassungsgesetzes, ich glaube, Abs. 3 Z 2, die ältere MitarbeiterInnen bei der Prüfung etwaiger Sozialwidrigkeiten einer Kündigung bevorzugen sollen. Das ist schon ein bisschen anders, Frau Kollegin Anderl, als bei den Behinderten, denn die haben wirklich einen Schutz gehabt, Ältere haben eigentlich keinen, den gibt es de facto nicht.

Also wir lehnen solche Maßnahmen ab, wir werden diesem Gesetz auch im Bundesrat keine Zustimmung geben. Wir brauchen vielmehr wirkliche Reformen, und ich appel­liere wieder an Sie: Reduktion der Wochenarbeitszeit, Bekämpfung von Überstunden.

Wo wir Grüne unsere Zustimmung geben werden, das ist der letzte Antrag bezüglich Betriebliches Mitarbeiter- und Selbständigenvorsorgegesetz, denn der tägliche Kinder­betreuungssatz stellt eine Bezugsgröße für andere Gruppen, die nicht mit dem Kinder­betreuungsbezug zu tun haben – Präsenzdiener zum Beispiel  dar. Aufgrund des neuen Kinderbetreuungsgeldkontos braucht es daher eine Anpassung. Für die Be-troffenen ändert sich de facto überhaupt nichts, null, daher werden wir dieser Anpassung natürlich zustimmen. Vielen Dank. (Beifall bei Grünen und ÖVP.)

15.26


Vizepräsident Mag. Ernst Gödl: Als Nächste zu Wort gelangt Frau Bundesrätin Junker. – Bitte.

 


15.26.12

Bundesrätin Anneliese Junker (ÖVP, Tirol): Sehr geehrter Herr Präsident! Ge­schätzter Herr Minister! Meine Damen und Herren! Dass drei Anpassungen, zu denen man sogar von Arbeitgeberseite sagen kann: Ja, das passt, denen kann man zustimmen!, so einen Wirbel machen und den Kollegen Stögmüller so aus der Ruhe bringen (Zwischenruf des Bundesrates Stögmüller), finde ich fast sensationell.

Ich glaube, dass man die Funktionsperiode der Betriebsräte in allen Bereichen von vier auf fünf Jahre anheben soll, das ist sinnvoll und wichtig, denn die Arbeitswelt hat sich ja verändert. Es gibt wesentlich mehr Anforderungen an die Betriebsräte. Auch wenn wir Unternehmer mit den Betriebsräten nicht immer ganz glücklich sind, so haben sie doch eine große Verantwortung für ihre – unter Anführungszeichen – „Schützlinge“, die sie vertreten, damit sie das Optimale und Beste für sie herausholen. Ich glaube, im Großteil der Betriebe arbeitet der Betriebsrat mit den Unternehmen sehr gut zusammen, und sie holen wirklich für die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter das Beste heraus.

Wenn die Schulungen um drei Tage verlängert werden, so ist das natürlich auch notwendig, denn auch wir im Bundesrat beschließen das eine oder andere Gesetz, das auch die Betriebsräte angeht, und die sollen das dann ja auch anwenden können.

Das Zweite betrifft die Änderung des Arbeitsverfassungsgesetzes für über 50-Jährige: So ganz euphorisch bin ich da nicht. Ich glaube nicht, dass es wahnsinnig viel nützt, wenn über 50-Jährige den besonderen Kündigungsschutz nicht mehr haben. Bei den Unternehmen gibt es aber oft auch eine psychologische Hürde, es mit jemandem zu


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probieren, um zu schauen, ob es funktioniert oder nicht, denn sie denken sich: Ah, bevor ich ihn nicht mehr loswerde, probiere ich es gleich gar nicht. Ich denke schon, dass der eine oder andere über 50-Jährige, wenn er positiv auf das Unternehmen zugeht, eine Chance bekommt.

Ich habe dazu schon einiges erlebt, worüber ich dann mit meinem Chef gesprochen habe. Wir haben eine Bilanziererin gesucht, und ich habe gesagt, wenn sich eine Ältere meldet, dann nehmen wir die Ältere, denn die hat die größten Flausen schon hinter sich, die weiß, was sie will, die ist sicher arbeitsbereit, arbeitswillig, setzt sich ein. Eine Dame ist zu mir gekommen und hat gesagt: Mich nehmt ihr eh nicht, ich bin eh schon zu alt, ich habe eh keine Chance! – Die hat uns nicht gesagt, was sie bisher gemacht hat, welche Ausbildungen sie hat, sondern sie war auf sich selber bezogen nur negativ. Sie hat es geschafft: Wir haben sie nicht genommen. Mein Chef hat gesagt: Anneliese, das geht nicht! Wir wissen nicht, was sie getan hat, was sie gemacht hat und was sie in unserem Betrieb will. Ich habe ihr das nachher auch gesagt.

Ich glaube, dass wir auch auf die älteren Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer zuge­hen und ihnen vermitteln müssen, dass sie positiv in die Betriebe gehen, so wie wir es den Jüngeren predigen und sagen: Schaut euch an, wo ihr hingeht, welche Anforde-rungen euch erwarten, und macht das Beste aus eurer Person! Sie dürfen nicht negativ auf die Unternehmen zugehen, denn dann wird es auch negativ ausgehen. (Bun-desrätin Grimling: Vielleicht hat sie schlechte Erfahrung gehabt!)

Aber ich darf auch aus einer Studie vom Institut für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung berichten: Firmen sind mit neu eingestellten älteren Mitarbeitern zufrieden. Rund 90 Prozent der befragten Firmen gaben an, neu angestellte Mitarbeiter ab 50 seien motiviert, teamfähig und sorgfältig. Weiters gelingt es den älteren Beschäftigten nach Meinung der Unternehmen, ihre berufliche Erfahrung an ihrem neuen Arbeitsplatz einzubringen.

Nutzen wir das, und hoffen wir, dass in Zukunft wesentlich mehr ältere Arbeitnehmer in den Betrieben beschäftigt sein werden, sofern die Betriebe noch länger leben!

Das Dritte: Das Kindergeldkonto erfordert eine Anpassung hinsichtlich der Mitarbeiter-vorsorge, diese 1,53 Prozent auf das Taggeld, was sich in mehreren Bereichen durch­setzt. Es ist im Grunde genommen – David Stögmüller hat es schon gesagt – ein Null-summenspiel, aber es braucht die Anpassung (Bundesrat Stögmüller: Genau!), denn sonst wäre es ein Negativspiel, denn die Kindergeldbezieher bekämen dann die 1,53 Prozent nicht. Danke. (Beifall bei der ÖVP.)

15.31


Vizepräsident Mag. Ernst Gödl: Als Nächster zu Wort gemeldet ist Herr Bundesrat Saller. – Bitte, Herr Bundesrat.

 


15.31.07

Bundesrat Josef Saller (ÖVP, Salzburg): Herr Präsident! Herr Bundesminister! Sehr geehrte Damen und Herren! Ich möchte mich noch einmal in aller gebotenen Kürze mit der Beschäftigungsaktion 20 000 der Bundesregierung befassen.

20 000 Arbeitsplätze für über 50-Jährige bedeuten natürlich eine gewaltige Heraus­forderung. Das Programm zielt darauf ab, die Arbeitslosigkeit der über 50-Jährigen zu halbieren. Es ist also ein wichtiger Schritt für die betroffenen Personen und damit eigentlich auch für die gesamte Gesellschaft.

Der Arbeitsmarkt braucht natürlich sowohl junge dynamische Arbeitskräfte als auch arbeitswillige ältere Menschen mit ihrer großen Erfahrung. Wichtig ist also die Inte-


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gration der älteren Generation am Arbeitsplatz mit vielfältigen Chancen. Der Wegfall des erhöhten Kündigungsschutzes für über 50-Jährige ist dabei ein besonderer Faktor.

Ich bin an und für sich nicht der Meinung des Kollegen Samt, denn ich glaube, vorrangiges Ziel muss es sein, arbeitslose Leute einzustellen, das hat Vorrang. Für manche Arbeitgeber stellt natürlich dieser erhöhte Kündigungsschutz durchaus auch ein Problem dar. Derzeit gilt – wie bereits gesagt wurde –: Wenn jemand zwei Jahre in einem Betrieb gearbeitet hat, wird dieser erhöhte Kündigungsschutz schlagend. Das hat für viele Unternehmerinnen und Unternehmer eine negative Wirkung, wenn es um die Einstellung Älterer geht, und schränkt fallweise die Chance auf Wiedererlangung einer Beschäftigung ein.

Unser gemeinsames Ziel muss es also sein, die Jobchancen älterer Arbeitsloser zu verbessern. Das hat für mich und für uns absoluten Vorrang, dass diese Leute wieder eine Arbeit finden und auf keinen Fall daran gehindert werden. Der Wegfall des erhöhten Kündigungsschutzes erleichtert den Arbeitgebern die Neueinstellung (Zwi­schenruf des Bundesrates Samt) arbeitsloser und arbeitssuchender Personen.

Alles in allem: eine gute Sache. Herr Bundesminister, wir sind auf dem richtigen Weg! – Danke schön. (Beifall bei der ÖVP.)

15.33


Vizepräsident Mag. Ernst Gödl: Zu Wort hat sich Herr Bundesminister Stöger gemel­det. – Bitte.

 


15.34.06

Bundesminister für Arbeit, Soziales und Konsumentenschutz Alois Stöger, diplômé|: Herr Präsident! Hohes Haus! Ich bedanke mich bei Bundesrat Saller für seinen Redebeitrag. Ich glaube, es ist ganz wichtig, darauf hinzuweisen, dass Christian Kern und Reinhold Mitterlehner mit dem Plan A sehr deutlich gezeigt haben, dass sie sich im Rahmen der Arbeitsmarktpolitik aktiv für das Thema Beschäftigung einsetzen und das zum Schwerpunkt der Bundesregierung gemacht haben. Ich glaube, das ist wichtig, und mit der Beschäftigungsaktion 20 000 werden wir das tun.

Ich habe ein wenig lachen müssen: Dass man mit 50 keine Flausen mehr hat, das habe ich heute gelernt. Ich glaube aber, dass es ganz wichtig ist, den Betrieben zu signalisieren: Es macht Sinn, ältere Arbeitnehmer aufzunehmen. Wir wissen, dass viele Menschen jenseits der 50 mehrere Male, bis zu 50, 70 und manche bis zu 200 Mal, die Erfahrung gemacht haben, dass sie einfach nur deshalb nicht am Arbeitsmarkt genommen werden, weil sie älter sind, weil sie die Schwelle 50 überschritten haben. (Beifall bei der SPÖ.)

Daher ist es – ich teile das, Frau Bundesrätin Junker – psychologisch so wichtig, dass wir den Betrieben sagen: Nehmt ältere Personen auf, es wird eurem Betrieb nützen! Da sind viele dabei, die gerne arbeiten wollen, die gut arbeiten können, die viel Erfahrung einbringen. Das ist wichtig!

Ich habe in meinem Leben um die 400 Kündigungsanfechtungsverfahren vor einem Arbeits- und Sozialgericht in Österreich geführt, ich kenne das Recht. Es ist mir nur wichtig, dass wir darauf hinweisen, dass wir keinen besonderen Kündigungsschutz haben. Wir gehen in Österreich in der Rechtsordnung immer dann von einem beson­deren Kündigungsschutz aus, wenn eine Kündigung nur mit Zustimmung eines Ge­richtes erfolgen kann. Da sind wir weit davon entfernt.

Wir haben in Österreich in § 105 des Arbeitsverfassungsgesetzes nur eine Über­prüfung vorgesehen, ob eine Kündigung durch Motivgründe oder sachlich völlig ungerechtfertigt erfolgt ist. (Zwischenruf des Bundesrates Stögmüller.) Wir haben bei den Gerichten eine Überprüfung im Nachhinein, und nur da haben wir eine kleine


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Veränderung gemacht. Ich kann sagen, bei Arbeitnehmern über 50 ist ihr Alter, ihre Betriebszugehörigkeit zu berücksichtigen, aber einen besonderen Kündigungsschutz – wie bei den Behinderten haben wir nicht.

Ich wurde auf die Frage Betriebsratswahlen und Lehrlinge angesprochen: Dazu kann ich Ihnen ganz ehrlich sagen, ich sehe das auch nicht ein, dass man bei National­ratswahlen, bei Landtagswahlen mit 16 Jahren wählen darf, aber den Betriebsrat erst mit 18. Ich verstehe das nicht, ich habe aber im Parlament, im Nationalrat keine Mehrheit dafür gefunden, dass wir das anpassen. Ich bin jeden Tag dazu bereit, wenn es eine Mehrheit im Nationalrat gibt, das zu verändern. (Beifall bei SPÖ, ÖVP und Grünen.)

15.37

15.37.42

 


Vizepräsident Mag. Ernst Gödl: Weitere Wortmeldungen liegen dazu nicht vor.

Wünscht noch jemand das Wort? – Das ist nicht der Fall. Die Debatte ist geschlossen.

Die Abstimmung erfolgt getrennt.

Wir gelangen zunächst zur Abstimmung über den Beschluss des Nationalrates vom 2. März 2017 betreffend ein Bundesgesetz, mit dem das Post-Betriebsverfassungs­gesetz und weitere Gesetze geändert werden.

Ich ersuche jene Bundesrätinnen und Bundesräte, die dem Antrag zustimmen, gegen den vorliegenden Beschluss des Nationalrates keinen Einspruch zu erheben, um ein Handzeichen. – Das ist die Stimmenmehrheit. Der Antrag ist somit angenommen.

Nun kommen wir zur Abstimmung über den Beschluss des Nationalrates vom 2. März 2017 betreffend ein Bundesgesetz, mit dem das Arbeitsverfassungsgesetz geändert wird.

Ich ersuche jene Bundesrätinnen und Bundesräte, die dem Antrag zustimmen, gegen den gegenständlichen Beschluss des Nationalrates keinen Einspruch zu erheben, um ein Handzeichen. – Das ist die Stimmenmehrheit. Der Antrag ist somit angenommen.

Schließlich kommen wir zur Abstimmung über den Beschluss des Nationalrates vom 2. März 2017 betreffend ein Bundesgesetz, mit dem das Betriebliche Mitarbeiter- und Selbständigenvorsorgegesetz und das Landarbeitsgesetz geändert werden.

Ich ersuche jene Bundesrätinnen und Bundesräte, die dem Antrag zustimmen, gegen den gegenständlichen Beschluss des Nationalrates keinen Einspruch zu erheben, um ein Handzeichen. – Das ist die Stimmeneinhelligkeit. Der Antrag ist somit ange­nommen.

15.38.5410. Punkt

Jahresbericht 2017 des Bundesministers für Arbeit, Soziales und Konsumen­tenschutz gemäß Artikel 23f Absatz 2 B-VG und §§ 3 und 7 EU-InfoG auf der Grundlage des Legislativ- und Arbeitsprogramms der Europäischen Kommission für 2017 und des maltesischen Arbeitsprogramms für das 1. Halbjahr 2017 sowie des Achtzehnmonatsprogramms des niederländischen, slowakischen und malte­sischen Ratsvorsitzes (III-608-BR/2017 d.B. sowie 9744/BR d.B.)

 


Vizepräsident Mag. Ernst Gödl: Nunmehr gelangen wir zu Punkt 10 der Tages­ordnung.

Berichterstatter ist Herr Bundesrat Lindner. Ich bitte um den


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Bericht.

 


15.39.24

Berichterstatter Mario Lindner: Ich bringe den Bericht des Ausschusses für Arbeit, Soziales und Konsumentenschutz über den Jahresbericht 2017 des Bundesministers für Arbeit, Soziales und Konsumentenschutz gemäß Artikel 23f Abs. 2 B-VG und §§ 3 und 7 EU-InfoG auf der Grundlage des Legislativ- und Arbeitsprogramms der Euro-päischen Kommission für 2017 und des maltesischen Arbeitsprogramms für das 1. Halbjahr 2017 sowie des Achtzehnmonatsprogramms des niederländischen, slowa-kischen und maltesischen Ratsvorsitzes.

Der Bericht liegt in schriftlicher Form vor, ich komme daher sogleich zur Antragstellung.

Der Ausschuss für Arbeit, Soziales und Konsumentenschutz stellt nach Beratung der Vorlage am 14. März 2017 mit Stimmenmehrheit den Antrag, den Jahresbericht 2017 des Bundesministers für Arbeit, Soziales und Konsumentenschutz zur Kenntnis zu nehmen.

 


Vizepräsident Mag. Ernst Gödl: Danke für den Bericht.

Wir gehen in die Debatte ein.

Als Erster zu Wort gemeldet ist Herr Bundesrat Ing. Rösch. – Bitte, Herr Bundesrat.

 


15.40.01

Bundesrat Ing. Bernhard Rösch (FPÖ, Wien): Bevor ich zum Jahresbericht 2017 Stellung nehmen werde, möchte ich zur letzten Debatte vielleicht noch ganz kurz sagen: Dass jugendliche Lehrlinge den Betriebsrat nicht wählen dürfen, hat ja an und für sich schon Sinn. (Bundesrat Stögmüller: Keinen Sinn!) Wir haben ja einen eigenen Wahlkörper, den Jugendvertrauensrat geschaffen, der in Jugendfragen im Betriebsrat implementiert ist. So haben die Jugendlichen schon sehr früh die Möglichkeit, Demokratie zu leben. (Bundesrat Stögmüller: Bei den Parlamentswahlen wählen Jugendliche normal mit!) Also ich sehe das schon so, dass es eine große Chance darstellt, dass die Jugendlichen unter sich, nicht in einer großen Körperschaft, sondern die Jugendlichen unter sich ihren Vertreter des Vertrauens ... (Bundesrat Stögmüller: Wenn es nicht fünf sind, dann ...!) – Ja, wenn es unter fünf sind, ist es vielleicht ein Problem. Ich meine, man kann ja über alles reden, aber ich will nicht, dass man so tut, als ob die Jugendlichen immer ausgegrenzt wären, wenn es nicht so ist. Wir haben Gesetze, die im Normalfall bei größeren Firmen ganz einfach die Möglichkeit zu sehr viel Demokratie geben, und bei kleinen Betrieben ist es eben so, wie es mit dem Betriebsrat überhaupt oft ist: Der existiert oft nicht. In der überwiegenden Mehrzahl der Betriebe haben wir leider Gottes das Problem, dass sie keine Arbeitnehmervertretung haben, weil sie sie nicht wählen oder nicht wählen können.

Jetzt komme ich aber schon zu Tagesordnungspunkt 10. (Bundesrat Pfister: Bravo!) Der Bericht beschreibt politische Prioritäten, die die FPÖ so nicht teilen kann. Wir sind der Meinung, dass uns diese Prioritäten nicht aus der Kritik in der Europäischen Union herausbringen werden. Wesentliche Punkte, die Europa stabilisieren würden, sind im Prioritätenkatalog nicht ganz oben angesiedelt.

Wenn ich das jetzt so durchgehen darf: Bei der Arbeitszeitrichtlinie habe ich, wenn ich Österreich betrachte, natürlich schon die ganzen Warnungen vor der Flexibilisierung im Hinterkopf. Da wird mir jetzt schon angst und bange, wohin das gehen soll. Wir reden immer davon, dass sich der Arbeitnehmer dann ja so flexibel die Freizeit gestalten kann, und, und, und. Wir wissen aus vielen Studien, dass, wenn zum Beispiel über acht Stunden hinweg durchgehend gearbeitet wird, das überhaupt nicht gut für die Menschen ist, dass sie dann sehr wahrscheinlich krank in Pension gehen werden. Wir wissen, dass die Regenerationsphasen ganz, ganz wichtig sind. Wir sollten eher über Pausen reden. Es ist vielleicht gut, dass man in der Firma nicht mehr rauchen darf, dass es in manchen Firmen vielleicht noch einen Raucherraum gibt, aber man will die


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Leute alle rauskriegen. Selbst das, was früher als Pause geduldet war, wird heute schon als fehlende Arbeitszeit bewertet. Die Arbeitnehmer geben also in diesem Zyklus der Veränderung immer mehr.

Ich kann mich erinnern, dass es Branchen gegeben hat, da waren die Mitarbeiter definitiv, egal, ob das jetzt gescheit ist oder nicht gescheit ist … Wir haben das aber gestrichen. Wir haben die Bankstunden, die es früher gegeben hat, wenn man auf die Bank gegangen ist, gestrichen. Das sind lauter Sachleistungen, die praktisch zum Lohn der Arbeitnehmer dazugehört haben. Wir haben das alles gestrichen. Über die Raucher habe ich schon gesprochen. Bei der AUVA reden wir jetzt praktisch davon, dass wir das zusammenlegen wollen. Wir wissen aber, dass das praktisch Lohnbe­standteile der Arbeitnehmer sind.

Wir reden jetzt über den Kündigungsschutz, und ich möchte trotzdem den Arbeitgebern nicht unbedingt etwas wegnehmen, weil ich weiß, dass der Herr Finanzminister bei den hohen Steuereinnahmen hoffentlich irgendwann etwas finden wird, sodass er ganz einfach das Wirtschaften und die Lohnnebenkosten nicht zulasten der Arbeitnehmer reduzieren können wird. Ich bin da ganz guter Dinge. Das sind unsere Prioritäten, die wir in Wirklichkeit haben, dass wir unsere Wirtschaft auf Vordermann bringen und dass wir Wirtschaft als Arbeitnehmer und Arbeitgeber sehen und nicht irgendwo versuchen, etwas voneinander wegzunehmen. Das wird uns nicht weiterbringen. (Beifall bei der FPÖ.)

Das, was auch wichtig wäre, ist, das TTIP dank Trump gefallen sein dürfte, aber die Europäische Union hat da gesagt, dass wir das unbedingt haben wollen, dass wir da drübergehen werden. Da hat man dann schon hin- und hergewackelt, aber CETA wurde noch geschwind durchgedrückt. Da haben wir zwar national gesagt: Nein, nein das geht nicht!, und die Arbeiterkammer und viele andere haben das wirklich unter­stützt, und dann ist eben unser Kanzler hinausgegangen und hat gesagt: Na ja, in der Europäischen Union kann ich nicht anders, da werden wir eben ein bisschen zustimmen müssen. Und das geht einfach so nicht.

Nach dem Brexit wird ja auch die ganze Geschichte mit dem ESM interessant. Der drückt uns ja noch immer. Es ist ja nicht so, dass diese Krise ausgestanden ist. Die Länder, die kein Geld hatten, keine Wirtschaft hatten, bereiten ja noch immer Prob­leme; und auch die vielen, vielen Abermilliarden Euro – ich glaube, die erste Tranche waren 680 Milliarden €, wobei man davon geredet hat, dass sie nicht ausreichen werden – warten ja angespannt darauf, was passiert. Und solange der Markt an sich glaubt, wird das so weitergehen.

Wenn BlackRock in Amerika – das ist einer der größten Veranlagungsfonds, 1988 gegründet – plötzlich in irgendeine Richtung geht, die das ganze System destabilisiert, dann schauen wir traurig drein. Dann wird das alle Fonds, die Pensionsfonds und, und, und durcheinanderrütteln. Das werden wir in Europa nicht überleben, und dafür haben wir aber auch nicht vorgesorgt, nicht mit dem ESM, nicht mit anderen Maßnahmen, weil wir in Wirklichkeit immer nur mit uns selbst beschäftigt sind und dafür bis jetzt keine einheitlichen Regeln geschaffen haben.

Der eine oder andere Punkt, der da steht, ist natürlich notwendig und auch vernünftig, aber dadurch, dass die Prioritäten unserer Meinung nach falsch gesetzt werden, führt das zu Problemen. Ich könnte jetzt noch lange darüber reden oder versuchen, das Papier im Detail zu erläutern. In Wirklichkeit ist aber wichtig, dass wir damit keine Politik der kleinen Schritte machen, sondern aus Zeitdruck eine Politik der großen Schritte machen müssen. Ich wünsche uns allen – und das meine ich fraktions­über-


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greifend – Erfolg bei diesen Maßnahmen. Wir werden sie brauchen, damit unsere Kinder auch noch ein sicheres Europa haben. (Beifall bei der FPÖ.)

15.47


Vizepräsident Mag. Ernst Gödl: Als Nächster zu Wort gemeldet ist Herr Bundesrat Pfister. – Bitte, Herr Bundesrat. (Bundesrat Pfister – vor dem Rednerpult stehen bleibend –: Da sehe ich nicht drüber! Da muss ich einen Umbau vornehmen!)

 


15.47.28

Bundesrat René Pfister (SPÖ, Niederösterreich): Herr Präsident! Lieber Herr Bun-desminister! Ich rede zum Legislativ- und Arbeitsprogramm der Europäischen Kommis-sion für 2017, das heißt, es ist ein Ausblick, Bernhard. Die Kommission strukturiert ihre Arbeiten weiterhin auf der Grundlage der politischen Leitlinien und ihrer zehn Priori-täten. Im Rahmen der zehn Prioritäten sind 21 Schlüsselinitiativen bis Ende 2017 ge-plant. Ganz wichtig: geplant und nicht etwa schon fertig!

Eine neue Initiative zu den sozialen Rechten wurde von der Europäischen Kommission in Aussicht gestellt – und es stimmt, dass das dort drinnen steht –, aber noch nicht, was da zu erwarten ist, dass es noch Gespräche zum Thema Arbeitszeitrichtlinie geben wird. Lieber Herr Minister, meine Frage ist da auch, ob es da von deiner Seite schon Vorgaben und Einschätzungen oder Vorschläge gibt, die diskutiert werden. Das Ziel kann ja nicht sein, dass soziale Standards nach unten geschraubt werden, sondern nur, eine Sozialunion zu schaffen, in der es Absicherung und soziale Sicher-heit gibt.

Die Aus- und Weiterbildung, liebe Kolleginnen und Kollegen, ist auf europäischer Ebene sehr, sehr kritisch zu sehen. Es ist so, dass sehr viele Beschäftigungspakete diskutiert und auch in Aussicht gestellt werden, aber dass wir leider auch anhand der Zahlen merken, dass das nicht funktioniert. Geplant ist da, dass es einen Qualitäts­rahmen für die Berufsausbildung und eine verbesserte Nachverfolgung der Ergebnisse von Absolventinnen und von jungen Menschen, die ihre berufliche Aus- und Weiter­bildung absolviert haben, gibt, damit es da auch einen einheitlichen Rahmen gibt. Hier gilt es, lieber Herr Minister, unser duales Berufsausbildungskonzept und unser duales Berufsausbildungssystem zu promoten und den Kolleginnen und Kollegen in Europa zu erklären, dass in Österreich Berufsschule gemeinsam getragen von Interessenvertre-tungen der Arbeitnehmer und Arbeitnehmerinnen, der Sozialpartnerschaft, der Wirt-schaft sehr, sehr gut funktioniert und wir da ein sehr gutes System haben, dass auch in Europa für die Aus- und Weiterbildung der Jugendlichen sehr, sehr gut anwendbar wäre.

Malta führt derzeit den EU-Vorsitz, und die strategischen Prioritäten Maltas umfassen dabei die Migration, den Binnenmarkt, Sicherheit, soziale Inklusion, die südliche Nachbarschaft und vor allem natürlich auch die Meerespolitik. Der Bereich der sozialen Inklusion soll in Zusammenarbeit mit den Sozialpartnerorganisationen und der Zivilge­sellschaft gestärkt werden; die Geschlechtergerechtigkeit und die Rechte von Minder­heiten und prekären Gruppen sollen auch gestärkt werden.

Auch die Arbeitsmarktbeteiligung von Frauen soll erhöht werden. Im April steht dazu ein Sozialministerrat zum Thema „Arbeit lohnend machen“ auf der Agenda. Es geht um Verteilung, es geht darum, dass Arbeit gerecht verteilt wird, dass nicht wenige viel haben und viele wenig. Es bedarf der Einbindung aller und des gemeinsamen Willens, in Schritten weiterzumachen, nicht nach unten zu nivellieren, sondern sich an den Besten zu orientieren.

Es steht das große Thema Vereinbarkeit von Arbeit und Privatleben auf der Agenda. Die Grenzen verschwimmen im Zeitalter der Digitalisierung immer mehr, und da braucht


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es auch Regelungen und gesetzliche Vorgaben, um nicht ein modernes Sklaventum für Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer in Europa zu schaffen. Zu dem Zweck können zum Beispiel Server ab einer bestimmten Zeit oder für eine bestimmte Zeit abge­schaltet werden, um zu gewährleisten, dass keine E-Mail-Weiterleitungen auf Mobile Devices stattfinden. Es braucht klare Regelungen für Arbeitszeitgrenzen und so weiter. Liebe Kolleginnen und Kollegen! Da gibt es sehr, sehr viel zu tun.

Ein weiterer Punkt im Legislativ- und Arbeitsprogramm ist der Konsumentenschutz. Am Beispiel des digitalen Binnenmarkts: Da betrifft es vertragsrechtliche Aspekte bei der Bereitstellung digitaler Inhalte im Onlinewarenhandel und bei anderen Formen des Fernabsatzes von Waren.

Die Revision der Fluggastrechte steht auch auf der Agenda, das Paket „Saubere Energie für alle Europäer“ steht ebenfalls auf der Agenda. Da geht es darum, bei E-Mobilität, Infrastruktur und all dem, das wir auch vorhin schon diskutiert haben, sehr, sehr genau hinzuschauen.

Auch das Thema Pflegeleistungen steht in den nächsten neun Monaten auf der Agenda. Pflegeleistungen sollen neu definiert werden. Es soll eigene Leistungskategorien ge­ben, die in die Verordnung aufgenommen werden, und die nicht mehr als Leistungen wie bei Krankheit betrachtet werden.

Liebe Kolleginnen und Kollegen! Diese Richtlinienvorschläge sind natürlich wichtige Instrumente zur Unterbindung des Lohn- und Sozialdumpings, für faire Arbeitszeit­modelle, für faire Arbeitsmodelle. Auch die Entsenderichtlinie, die aus dem Jahr 1996 stammt, die veraltet ist, steht auf der Agenda, und das muss von uns unbedingt vorangetrieben werden, da es für faire Arbeitsmobilität in Europa eine Neuregelung geben muss. Das müssen wir gewährleisten.

Die Richtlinienvorschläge sind ein wichtiges Instrument, den unfairen Wettbewerb zu verhindern, und wir werden dich voll und ganz dabei unterstützen. Die Begrenzung der Dauer von Entsendungen, die ebenfalls Thema ist, und auch das Thema Leiharbeit, das du vorhin schon angesprochen hast, sind wichtig. Entsandte LeiharbeiterInnen haben Anspruch auf dieselben Arbeitsbedingungen wie nationale LeiharbeiterInnen, nämlich auf Entgelt, Arbeitszeit, Urlaub, so wie die Stammbelegschaft.

Liebe Kolleginnen und Kollegen! Lasst mich noch einen Vorschlag für die Richtlinie zur Gewährleistung einer ausgewogenen Vertretung von Frauen und Männern unter den nicht geschäftsführenden Direktoren, Aufsichtsratsmitgliedern börsennotierter Gesell­schaften und über die damit zusammenhängenden Maßnahmen unterbreiten! Das hört sich jetzt sehr sperrig an, aber lediglich in vier Mitgliedstaaten liegt der Frauenanteil zumindest bei einem Viertel, nämlich in Frankreich, in Lettland, in Finnland und in Schweden. In Österreich liegt der Frauenanteil bei 17,81 Prozent in Aufsichtsräten und damit weit unter dem EU-Durchschnitt. Derzeit ist nur in 36 der größten 200 Unter­nehmen des Landes mindestens eine Position in der Geschäftsführung oder im Vorstand mit einer Frau besetzt. In den börsennotierten Unternehmen – 65 davon – gibt es überhaupt nur sieben weibliche Vorstandsmitglieder.

Da brauchen wir eine Rechtsgrundlage, insbesondere verpflichtende Maßnahmen an­stelle von Selbstverpflichtungen und schönen Worten. Konkrete Anpassungen im Aktien­gesetz hinsichtlich der Wahl zum Aufsichtsrat und im Arbeitsverfassungsgesetz hin­sicht­lich der Mitwirkung der ArbeitnehmerInnen im Aufsichtsrat sind unbedingt erforderlich.

Lieber Herr Minister! Ein sehr umfangreiches Verbesserungsprogramm für europäische Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer liegt vor, das wir sehr, sehr gerne zur Kenntnis nehmen. (Beifall bei der SPÖ und bei Bundesräten der ÖVP.)

15.54



BundesratStenographisches Protokoll865. Sitzung / Seite 115

Vizepräsident Mag. Ernst Gödl: Als Nächste gelangt Frau Bundesrätin Hackl zu Wort. – Bitte, Frau Bundesrätin.

 


15.54.54

Bundesrätin Marianne Hackl (ÖVP, Burgenland): Sehr geehrter Herr Präsident! Sehr geehrter Herr Minister! Ich habe mir den EU-Vorhabensbericht für das Jahr 2017 von Ihnen, Herr Minister, gut angeschaut, und er umfasst ein sehr breites Spektrum europäischer Initiativen und Themen. Besonders wichtig und richtig finde ich die Be­kämpfung von Diskriminierung und den verpflichtenden Frauenanteil in Aufsichtsräten. Weiters stehen Änderungsvorschläge für die europäischen Agenturen für Verbesse­rungen der Lebens- und Arbeitsbedingungen, für Sicherheit und Gesundheitsschutz am Arbeitsplatz und für das Zentrum für die Förderung der Berufsbildung auf dem Programm. Das Ziel der Antidiskriminierungsrichtlinie ist die Bekämpfung von Diskrimi­nierungen aufgrund der Religion, Weltanschauung, einer Behinderung, des Alters oder der sexuellen Orientierung. Weiters ist Sozialschutz bei der Bildung sowie beim Zugang zu und der Versorgung mit Waren und Dienstleistungen der Öffentlichkeit zur Verfügung zu stellen. Erfasst sind sowohl direkte als auch indirekte Diskriminierung, Belästigung, Anweisung zur Diskriminierung beziehungsweise Ablehnung von ange­messenen Vorkehrungen im Zusammenhang mit Behinderungen.

Für Personen mit Behinderungen muss der Gleichbehandlungsgrundsatz durch be­son­dere Maßnahmen verwirklicht werden, die jedoch keine unverhältnismäßigen Belastungen darstellen dürfen. Außerdem ist eine mit der Förderung der Gleichbe­handlung befasste Stelle vorzusehen, was ich als besonders gute Idee empfinde. Anpassungen im nationalen Gleichbehandlungsgesetz wären demnach vor allem im Bereich Alter, Religion und Weltanschauung sowie sexueller Orientierung vorzuneh­men, so der Bericht.

Der maltesische Ratsvorsitz wird die Verhandlungen mit dem Schwerpunkt sexuelle Orientierung weiterführen, ebenso werden die Beratungen zu einem verpflichtenden Frauenanteil in Aufsichtsräten, börsennotierten Gesellschaften fortgesetzt.

Als Frau und Unternehmerin liegt mir der Richtlinienvorschlag für einen verpflichtenden Frauenanteil in Aufsichtsräten ganz besonders am Herzen. Dieser findet auf kleine und mittlere Unternehmen keine Anwendung. Börsennotierte Unternehmen, in denen das unterrepräsentierte Geschlecht weniger als 40 Prozent der Aufsichtsratsmitglieder stellt, sind verpflichtet, neue Mitglieder auf der Grundlage eines Vergleichs der Qua­lifikation der Kandidaten nach vorab festgelegten, klaren, neutral formulierten und eindeutigen Kriterien auszuwählen, sodass spätestens zum 31. Dezember 2020 der entsprechende Anteil erreicht ist. Für börsennotierte öffentliche Unternehmen gilt eine kürzere Frist. Im Fall von Kandidaten männlichen und weiblichen Geschlechts mit gleicher Qualifikation wäre dem Kandidaten des unterrepräsentierten Geschlechts der Vorrang einzuräumen. Ausnahmen sind möglich, wenn eine objektive Beurteilung, bei der alle die einzelnen Kandidaten betreffenden Kriterien berücksichtigt werden, erge­ben hat, dass aufgrund spezifischer Kriterien zugunsten von Kandidaten des anderen Geschlechts entschieden werden soll. Das entspricht der Rechtsprechung des Euro­päischen Gerichtshofes.

Qualifikationskriterien sind offenzulegen. Das Unternehmen muss nachweisen, dass es nicht gegen die Vorrangregeln und Qualifikationsüberprüfung verstoßen hat. Es ist wesentlich, ein objektives, transparentes Auswahlverfahren festzulegen.

Ein weiterer wichtiger Punkt ist die Errichtung der Europäischen Agentur für Sicherheit und Gesundheitsschutz am Arbeitsplatz. Mir als Unternehmerin ist die Sicherheit des Gesundheitsschutzes nicht nur für meine eigenen Mitarbeiter, sondern auch im Ge­samten besonders wichtig. Der Vorschlag dient der Änderung der Gründungsver­ord-


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nung der Europäischen Agentur für Sicherheit und Gesundheitsschutz am Arbeitsplatz. Vorschriften der Gründungsverordnung werden damit an das gemeinsame Konzept für die dezentralen Agenturen angepasst.

Die Überarbeitung bietet die Möglichkeit, Ziele und Aufgaben von der europäischen Agentur für Sicherheit und Gesundheitsschutz am Arbeitsplatz zu aktualisieren. Die neue Fassung soll sowohl Entwicklungen in diesem Bereich als auch neue Erfor­dernisse besser widerspiegeln können. Die Überarbeitung liefert eine klare Beschrei­bung der unterstützenden Rolle der Europäischen Agentur für die Politikgestaltung der Europäischen Kommission auf dem Gebiet der Sicherheit und des Gesundheits­schutzes am Arbeitsplatz. Des Weiteren wird der Auftrag an die Europäische Agentur als Zentrum für sachliche, technische, wissenschaftliche und wirtschaftliche Infor­mationen sowie qualifiziertes Experten- und Expertinnenwissen auf dem Gebiet der Sicherheit und des Gesundheitsschutzes am Arbeitsplatz aktualisiert.

Der sozialversicherungsrechtliche Teil, das sogenannte Mobilitätspaket, soll moder­nisiert werden. Enthalten sind Vorhaben zur Arbeitslosenversicherung, Gleichbehand­lung, Entsendung, Pflegeleistung, Betrugsbekämpfung, Familienleistung sowie verfah­rensrechtliche Änderungen und delegierte Rechtsakte für diesen Bereich. Österreich unterstützt dabei eine ganze Reihe von Punkten.

Kritisch gesehen wird aber vollkommen zu Recht etwa eine geplante Ausdehnung des Exportraumes von Arbeitslosengeld von drei auf sechs Monate oder Änderungs­vorhaben bei der Grenzgängerregulierung in der Arbeitslosenversicherung. Auch in der jetzigen schwierigen Phase der EU muss man für kritische Auseinandersetzungen mit der Union stets offen bleiben, ohne etwas schönzureden. Oft haben viele das Gefühl, dass Brüssel weit weg ist und etwas abstrakt und bürokratisch wirkt. Deshalb brauchen wir gute Vermittler zwischen Wien und Brüssel sowie eine verstärkte Personalisierung der europäischen Institutionen. Ich bin überzeugt, dass wir mit besseren sozialen Regeln die Meinung der Bürgerinnen und Bürger zur EU verbessern werden. Daher werden wir dem Bericht zustimmen. (Beifall bei ÖVP und SPÖ.)

16.02


Vizepräsident Mag. Ernst Gödl: Als Nächster zu Wort gelangt Herr Bundesrat Stögmüller. – Bitte.

 


16.02.34

Bundesrat David Stögmüller (Grüne, Oberösterreich): Wertes Präsidium! Sehr geehr­ter Herr Minister! Werte Kolleginnen und Kollegen! – Die EU-Jahresvor­schau 2017 aus dem Sozialministerium habe ich persönlich ganz interessant gefunden. Ich muss zuerst einmal positiv anmerken, dass wenigstens Ihr Ministerium, im Gegensatz zu anderen Ministerien, in dieser EU-Vorschau österreichische Positionen bekanntgegeben hat. Auch wenn diese uns Grünen nicht immer gefallen, stehen zumindest welche drinnen, das muss man wirklich auch einmal positiv anmerken. – Danke dafür.

Meiner Meinung nach ist so ein Bericht über die Arbeits- und Sozialschwerpunkte einer Europäischen Union sehr wichtig, weil ich einfach der Meinung bin, dass wir eine EU brauchen, die viel stärker eine gemeinsame Sozialunion sein muss – oder ist – und weniger eine Banken- und Wirtschaftsunion. Da ist es gut zu wissen, welche Sozial­projekte in Zukunft umgesetzt werden.

Ich habe viele Punkte in diesem Programm gefunden, die ich sehr positiv finde. Wichtig finde ich zum Beispiel die Initiative im Jugendbereich, speziell was die Umsetzung der jugendspezifischen Aspekte für neue Kompetenzen, sprich einen Qualitätsrahmen für Berufsausbildungen, angeht. Da bin ich schon gespannt, was da kommen wird.


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Ich möchte weiter kurz auf den sozialversicherungsrechtlichen Teil eingehen, auf den sogenannten Mobilitätspakt, also die Verordnung (EG) 883/2004. Dazu hat Kollegin Hackl die ÖVP-Position schon schön preisgegeben.

Herr Minister, Sie wissen, dass wir Ihre Position zur Arbeitslosenversicherung kritisch sehen, zum einen Ihre Position zur Ausdehnung der Exportverpflichtung für Arbeits­losengeld, aber auch Ihre Position zur Änderung der Grenzgängerregelung. Es soll in Zukunft anstelle des Wohnstaates zukünftig der Beschäftigungsstaat für arbeitslose Grenzgänger zuständig sein, sofern dort mindestens 12 Versicherungsmonate erwor­ben wurden. Wir begrüßen die Exporterweiterung, sprich die Idee, Ansprüche, die ArbeitnehmerInnen erworben haben, auch mitzunehmen. Ich glaube, solche Änderun­gen sind, wenn wir einen Blick in Richtung einer gemeinsamen Sozialunion, einer gemeinsamen Europäischen Union richten, wichtig und richtig.

Eine andere Richtlinie, die ich ansprechen möchte, ist der EEA, der European Acces­sibility Act, betreffend die Barrierefreiheitsanforderungen. Diesbezüglich gibt es eine einheitliche Länderstellungnahme vom 2. Dezember 2016, die ich hier ganz bewusst im Bundesrat ansprechen möchte. In dieser Stellungnahme fordern die Bundesländer die Regierung auf, einige Punkte aus dem Act zu ändern: zum Beispiel, dass der Verkehrsbereich aus dem Geltungsbereich der Richtlinie ausgenommen werden soll. Das ist für uns Grüne aus behindertenpolitischer Sicht klar abzulehnen.

Es ist notwendig, dass auch die bauliche Umgebung von Personenbeför­derungs­diensten in Zukunft verpflichtend barrierefrei werden muss. Derzeit ist die bauliche Umwelt von Produkten und Dienstleistungen nur von einer freiwilligen Ermächtigungs­klausel erfasst. Hier braucht es wirkliche Verpflichtung, dass auch etwas weitergeht. Wir Grüne finden es außerdem gut und wichtig, dass ältere Menschen und Menschen mit vorübergehender Beeinträchtigung erwähnt bleiben. Das darf nicht gestrichen werden.

Zu kritisieren ist auch die österreichische Position, dass die Schaffung von Barriere­freiheit keine unverhältnismäßige Belastung nach sich ziehen darf. Dabei sehen wir die Gefahr, dass die Richtlinie einfach zahnlos wird, wenn das ganz schwammig drinnen steht, in dem Sinn, dass nur ja keine Belastungen entstehen dürfen. Es wird einfach nicht effektiv genug sein, denn die Verpflichtung heißt „barrierefrei“. Ich möchte dazu noch ganz kurz an die UN-Konvention erinnern, nach der Barrierefreiheit bedingungs­los umzusetzen ist – und das müssen wir auch in Österreich schaffen! Da brauchen wir ein bisschen mehr Druck dahinter.

Ich sehe auch nicht ein, dass bestehende Verkehrsinfrastrukturen ausgenommen werden sollen oder es kein individuelles Klagerecht für Menschen mit Behinderungen, für private Verbände oder Interessenvertreter geben soll, wie es in der Länder­stel­lungnahme zu lesen ist. Es muss auch weiterhin sichergestellt werden, dass die Anforderungen bezüglich der Barrierefreiheit keinesfalls hinter die bestehenden Stan-dards zurückfallen. Es ist für uns Grüne ein wichtiges Anliegen, dass jeder Mensch den gleichen Zugang zur Infrastruktur hat, und da braucht es den politischen Druck, dies auch umzusetzen.

Wir werden diesen Bericht natürlich zur Kenntnis nehmen. Herr Minister, ich bitte Sie, dass Sie sich gemeinsam mit uns für eine faire, soziale und auch barrierefreie Europäische Union einsetzen. – Vielen Dank. (Beifall bei den Grünen.)


BundesratStenographisches Protokoll865. Sitzung / Seite 118

16.07


Vizepräsident Mag. Ernst Gödl: Nun hat sich Herr Bundesminister Alois Stöger zu Wort gemeldet. – Bitte, Herr Minister.

 


16.07.19

Bundesminister für Arbeit, Soziales und Konsumentenschutz Alois Stöger, diplômé: Herr Präsident! Hohes Haus! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Aus meiner Sicht heraus ist es ganz zentral, aus österreichischer Position über die Weiterentwicklung der Europäischen Union zu diskutieren.

Das Jahr 2017 wird ein wichtiges Jahr sein, erstens in der Vorbereitung des öster­reichischen Vorsitzes und zweitens in der Linie, wie wir die Europäische Union für die Menschen in Europa gestalten wollen.

In Erinnerung an die Gründung der Europäischen Union werden wir dies am 26. März mit der Sechzigjahrfeier zur Unterzeichnung der Römischen Verträge – der Vertrag zur Europäischen Gemeinschaft für Kohle und Stahl ist fünf Jahre davor,  also vor 65 Jahren, in Kraft getreten – auch feiern. Da geht es darum, dass man sich daran erin­nert, warum die Europäische Union gegründet worden ist.

Die Europäische Union ist gegründet worden, weil man eine Antwort auf faschistische Politik in Europa haben wollte. Man wollte eine Antwort auf die Frage haben: Was muss man tun, damit die Menschen in Europa Frieden schaffen können? Mit der Gründung der Europäischen Gemeinschaft für Kohle und Stahl hat man gesagt: Wir wollen ein soziales Europa haben. Wir wollen ein mitbestimmtes Europa. Wir wollen, dass die Menschen, die die Produkte in Europa schaffen, auch mitreden können, wie die Ergebnisse dieser Produkte verteilt werden. Das war die Europäische Gemein­schaft für Kohle und Stahl. Dort sind die Mitbestimmungsregeln in Europa sehr klar definiert worden.

Ich würde meinen, dass die Europäische Gemeinschaft für Kohle und Stahl einen wesentlichen Beitrag – den Österreich mit der Sozialpartnerschaft aufgegriffen hat – zu dem Ziel leistete, einen vernünftigen Interessenausgleich zu schaffen, wobei der Staat die Verantwortung für die soziale Situation der Menschen auf diesem Kontinent übernimmt. (Beifall bei der SPÖ sowie des Bundesrates Mayer.)

Damit hat Europa den zweiten Schritt nach der Französischen Revolution 1793 ge­setzt, indem man klar gesagt hat: Die Menschen in Europa sind gleich, und weil sie gleich sind, gestalten sie gemeinsam einen Staat. Sie kommunizieren miteinander und nehmen die Verantwortung für einen gemeinsamen Staat auf sich. Generell beschreibt man das als die Aufklärung. Das ist etwas, was Europa von anderen Kontinenten unter­scheidet. Bei der Auseinandersetzung über die Europäische Union 2017 wird es genau um folgende Frage gehen: Wird Europa in der Lage sein, die Rückschritte, die man gemacht hat, wieder zu verändern?

Es war ganz wesentlich, dass die Freiheitsgrade der Menschen in Europa dadurch erhöht worden sind, dass wir kollektive Sicherheiten gegeben haben. Lange Zeit hat es, unter anderem in der Kommission Barroso, aber auch unter den Vorgängern, viele Elemente gegeben, mit denen man die Sicherheiten der Menschen zurückgenommen hat. In dem Ausmaß, in welchem man die Sicherheiten der Menschen reduziert hat, ist auch das Vertrauen zu Europa zurückgegangen. Daher ist es so wichtig, dass wir uns an der Diskussion der sozialen Rechte in Europa maßgeblich beteiligen (Beifall bei der SPÖ sowie des Bundesrates Mayer), dass wir hier eine ganz klare Position ein­neh­men, sodass wir – ich sage immer – das zarte Pflänzchen, das Kommissionspräsident Juncker mit mehr Investitionen und mehr Bezug auf soziale Rechte gesetzt hat, zu einem ausgewachsenen großen Baum entwickeln lassen, damit Europa ein Europa der Menschen wird.

Diese Auseinandersetzung ist zu führen. Wir führen sie mit der Europäischen Säule sozialer Rechte. Ich sage das so deutlich, weil es mir sehr wichtig ist. Eine Säule braucht ein Fundament, und es geht um das Fundament, das die Europäische Ge-


BundesratStenographisches Protokoll865. Sitzung / Seite 119

meinschaft für Kohle und Stahl gesetzt hat, nämlich den Faschismus zu überwinden und einen sozialen Ausgleich in Europa zu führen. (Beifall bei der SPÖ und bei Bundesräten der ÖVP.)

Darauf müssen wir aufbauen. Die Frage ist, wie wir mit der Neuorientierung der Sozialpolitik umgehen. Wir wissen, dass wir nationale Grenzen haben, und wir brauchen den Blick auf das Gesamte. Ich sage sehr deutlich: Wir werden die Euro­päische Union mitgestalten müssen, wir werden auch Verantwortung dafür überneh­men müssen, und wir tun es: Wir haben das strengste Recht gemacht, was den Kampf gegen Sozialdumping betrifft. Ich werde da von vielen Nachbarländern massiv kritisiert. Wir haben aber klar gesagt: Lohn- und Sozialdumping geht nicht.

Ich bin dafür, dass sich die soziale Situation in der Europäischen Union angleicht, ausgleicht, aber auf einem hohen Niveau. Es kann nicht sein, dass die österreichi­schen Unternehmer durch Lohn- und Sozialdumping ihre Aufträge verlieren. Dazu bin ich nicht bereit. Daher muss es auch Maßnahmen geben, daher ein strenges Lohn- und Sozialdumpinggesetz. (Beifall bei der SPÖ.)

Ich bin auch dafür, dass wir ambitionierte europäische Mindestnormen haben, weil sie für die österreichischen Unternehmen gleiche Bedingungen sichern. Es darf also keinen Wettbewerb über Sozialdumping geben.

Zur Frage der Verordnung (EG) 883/2004: Dabei geht es um die Angleichung der Systeme der sozialen Sicherheit. Ich sage es ganz einfach: Ich kann nicht zulassen, dass man die Arbeitslosengelder bei grenzüberschreitenden Arbeitsverhältnissen vom Beschäftigungsland ins Wohnsitzland überträgt, denn wir haben keine Möglichkeit, Arbeitsmarktmaßnahmen in Bulgarien zu steuern und dort mitzuwirken, was dazu führen würde, dass Österreich das Land ist, das da nicht mitgestalten kann. Ich bin aber gerne bereit, mitzuwirken, dass sich die sozialen Bedingungen in diesen Ländern verbessern.

Ich bin auch gerne bereit, daran mitzuwirken, dass europäische Aktiengesellschaften auch ihre europäische Verantwortung übernehmen und Menschen in Bulgarien bei gleicher Produktivität den gleichen Lohn wie Menschen in Deutschland zahlen. Auch diese Maßnahmen müssen wir in Europa setzen. Das trifft eher die Großkonzerne. Aber mir ist es wichtig, dass die österreichischen Klein- und Mittelunternehmen im europäischen Kontext ihre Produkte auch anbieten können. – Herzlichen Dank. (Beifall bei SPÖ, ÖVP und Grünen.)

16.15

16.15.16

Vizepräsident Mag. Ernst Gödl: Weitere Wortmeldungen dazu liegen nicht vor.

Wünscht noch jemand das Wort? – Das ist nicht der Fall. Die Debatte ist geschlossen.

Wir kommen zur Abstimmung.

Ich ersuche jene Bundesrätinnen und Bundesräte, die dem Antrag zustimmen, den gegenständlichen Bericht zur Kenntnis zu nehmen, um ein Handzeichen. – Das ist die Stimmenmehrheit. Der Antrag ist somit angenommen.

16.15.3111. Punkt

Sozialbericht 2015–2016 (III-613-BR/2017 d.B. sowie 9745/BR d.B.)

 


Vizepräsident Mag. Ernst Gödl: Wir gelangen nun zum 11. Punkt der Tagesordnung.

Berichterstatter ist Herr Bundesrat Lindner. Ich bitte um den


BundesratStenographisches Protokoll865. Sitzung / Seite 120

Bericht.

 


16.15.40

Berichterstatter Mario Lindner: Bericht des Ausschusses für Arbeit, Soziales und Konsumentenschutz über den Sozialbericht 2015–2016.

Im ersten Berichtsteil geht es um die Ressortaktivitäten, im zweiten Teil um acht sozialpolitische Analysen, unter anderem um Verteilungsfragen.

Der Bericht liegt in schriftlicher Form vor, daher komme ich gleich zur Antragstellung.

Der Ausschuss für Arbeit, Soziales und Konsumentenschutz stellt nach Beratung der Vorlage am 14. März 2017 mit Stimmenmehrheit den Antrag, den Sozialbericht 2015–2016 zur Kenntnis zu nehmen.

 


Vizepräsident Mag. Ernst Gödl: Danke für den Bericht.

Wir gehen in die Debatte ein.

Als Erste zu Wort gemeldet ist Frau Bundesrätin Ecker. – Bitte, Frau Bundesrätin.

 


16.16.24

Bundesrätin Rosa Ecker (FPÖ, Oberösterreich): Sehr geehrter Herr Minister! Ge­schätztes Präsidium! Geschätzte Damen und Herren! – Soweit die Aufmerksamkeit heute noch möglich ist, denn wir haben schon öfters gesehen, das ist in manchen Reihen etwas schwierig.

Müssen wir den Gürtel in Zukunft enger schnallen? – Der Sozialbericht gibt mehr oder weniger Rechenschaft über die soziale Lage im Land. Es ist ein Zweijahresbericht, gesammelt für 2015 und 2016. Wir bekommen ihn jetzt im Jahr 2017. Ich finde, das ist gerade beim Sozialbericht eindeutig zu spät, um da adäquat analysieren und reagieren zu können. Jetzt können wir es uns leicht machen und sagen: Es ist, was es ist, ein Bericht – nur: Hinter jeder Zahl im Sozialbericht stehen Menschen, stehen Familien, stehen Schicksale. Er ist ein Abbild, wie die Menschen in unserem Land leben, wie es ihnen in den Jahren 2015 und 2016 gegangen ist und noch geht.

Wir sehen, dass Einkommen und Vermögen in Österreich sehr ungleich verteilt sind. 76 Prozent aller Haushalte verfügen über weniger als 50 000 € brutto im Jahr. Dazu muss man feststellen, dass das oberste Prozent der Haushalte weit über 300 000 € im Jahr zur Verfügung hat; und was eigentlich beschämend ist: Immer mehr Leute auch aus der Mittelschicht brauchen Hilfe vom Sozialstaat. 20 Prozent der Österreicher gelten als armutsgefährdet. 23 Prozent der Österreicher können unerwartete Ausgaben in Höhe von 1 000 € oder mehr nicht decken.

Das heißt, ein Viertel der Menschen, die in Österreich leben, hat ein finanzielles Problem, wenn der Kühlschrank den Geist aufgibt, wenn das Auto eine Reparatur benötigt, wenn das Kind auf Sportwoche fährt und wenn die Heizkostenabrechnung kommt, was jetzt in diesen Monaten bei sehr vielen Haushalten der Fall ist. „Ab in den Urlaub“ ist für viele überhaupt kein Thema. Ich hätte mir nie gedacht, dass der Begriff Working Poor in Österreich einmal 297 000 Menschen betreffen wird und dass das Einkommen bei diesen Menschen nicht ausreicht, um ihr eigenes und das Leben ihrer Familie zu sichern. Es betrifft in hohem Maße Menschen mit geringer Bildung, Men­schen mit Beeinträchtigung, AlleinerzieherInnen und ganz besonders Frauen.

Jetzt war gerade wieder Weltfrauentag. Jedes Jahr zum Weltfrauentag gibt es Zurufe von den Frauenvertreterinnen an die Regierung und Glückwünsche in Zeitungen, WhatsApp, Facebook, die den Frauen übermittelt werden. Es ist absurd, denn es bleibt nichts davon übrig. Von einer Verbesserung der Lage der Frauen ist nichts spürbar, geschweige denn im Sozialbericht eine einzige Zeile zu lesen.

Es braucht mehr Einkommen. Die FPÖ hat seit dem Jahr 2013 einige Anträge zum Thema Mindestlohn gestellt. Keiner wurde von der ÖVP oder der SPÖ mitgetragen.


BundesratStenographisches Protokoll865. Sitzung / Seite 121

Jetzt gibt es wieder eine Mindestlohndebatte. Jetzt seien wir doch einmal ehrlich: Die treibenden Kosten sind die Lohnnebenkosten. Es muss mehr Netto vom Brutto im Geldbörsel bleiben. Das kann doch nicht unmöglich sein! (Beifall bei der FPÖ.)

Auch eine Bruttolohnerhöhung von 300 € bei einer Friseurin bewirkt nicht, dass sie um 300 € mehr hat. Das geht in der öffentlichen Diskussion total verloren! Das ist jetzt nicht sehr fair, aber der größte Gewinner ist der Finanzminister. Und die Dienstgeber müssen bei den Lohnnebenkosten auch noch etwas drauflegen. (Präsidentin Ledl-Rossmann übernimmt den Vorsitz.)

Eine große Herausforderung werden in Hinkunft die Bedarfsorientierte Mindestsiche-rung und die Grundversorgung für Fremde sein. Wir werden da an unsere Grenzen stoßen, wenn wir nicht strikte Regelungen finden, damit unser Sozialsystem auch weiterhin funktioniert und nicht ins Wanken kommt. Wer nicht bereit ist, etwas zu leisten, muss einen schwierigeren sozialen Zugang dazu bekommen, denn die künfti­gen Herausforderungen im Sozialbereich werden nicht weniger.

Die Gruppe der älteren Menschen wird immer größer, und immer mehr Senioren rutschen in die Armutsfalle ab. Die Altersarmut ist spürbar – die Verschärfungen beim Pflegegeld haben wir schon an einem anderen Plenumstag angesprochen –, sie schlägt bei den älteren Pensionisten mit wenig Pension total durch, und da wird bei den Ärmsten gespart.

Wenn wir uns jetzt, abgesehen vom Bericht, die soziale Situation in der Gegenwart, im Jahr 2017, ansehen, dann wissen wir – hoffentlich alle hier herinnen –, wir haben 500 000 Menschen in der Arbeitslosigkeit, davon ein Drittel Ausländer. Es ist nicht rühmlich: Auch Oberösterreich ist mit 63 700 Arbeitslosen per 1. Jänner 2017 leider hoch dabei. Wir haben 340 000 Menschen in der Mindestsicherung, 190 000 im Not­stand und 80 000 Asylwerber in der Grundversorgung. Tendenz überall stark steigend!

Die ganze Asylkrise ist im Bericht nicht berücksichtigt! Er ist daher für das heurige Jahr überhaupt nicht aussagekräftig.

Das ganze Thema Digitalisierung, das haben wir heute auch schon gehört, wird die Situation noch zunehmend verschärfen. Es wird mehr brauchen – ich habe heute die Zeitung aufgeschlagen und habe das Inserat des Bundeskanzleramtes zum Thema Digitalisierung gesehen –, Inserate werden nicht reichen. Es braucht Strategien, um aus den Verlierern, die im Zuge der Digitalisierung auf dem Arbeitsmarkt zustande kom­men werden, wieder Gewinner zu machen. Es betrifft vor allem die Frauen in den Tätigkeitsbereichen im Niedriglohnbereich und Menschen mit niedrigem Ausbildungs­grad und auch die Teilzeitbeschäftigten.

Der Bericht gibt sich sehr vorsichtig, was die Finanzierung unseres Sozialstaates hinsichtlich der Pensionen angeht. Die aktuelle Sozialquote von 30,2 Prozent wird weiter steigen, in Richtung 33,4 Prozent, wenn das Wirtschaftswachstum von 1,2 Pro­zent hält. Das heißt, Österreich ist mit erheblichen Herausforderungen für die Zukunft konfrontiert. Die Regierung muss Maßnahmen einleiten, die bewirken, Bürokratie abzubauen, Arbeitsplätze zu schaffen und soziale Ungerechtigkeiten auszugleichen.

Amüsanterweise gibt es den Begriff New Deal in der Wortwahl im Bericht auch schon; wie überhaupt spürbar ist, dass die meisten Bereiche eher schöngeredet werden und eindeutig linkssozialistische Schlussfolgerungen gezogen werden können. Es lesen sich die Seite 6 und folgende wie eine Empfehlung für eine Vermögensteuer, die Seiten 7 und 12 sowie folgende wie Propaganda für Arbeitszeitverkürzung, die Seite 8 als Darstellung der Langzeitbeschäftigungslosigkeit ohne Alternativkonzept und die Seite 11 und folgende als verdeckte Forderung nach Kapitalertragsteuer und Propa-


BundesratStenographisches Protokoll865. Sitzung / Seite 122

ganda für den New Deal, nicht den Plan A von Herrn Mitterlehner. Und insgesamt: Kein Wort zur Ausländerarbeitslosigkeit!

Darum kann es von der FPÖ zu diesem Sozialbericht nur ein eindeutiges Nein geben. (Beifall bei der FPÖ.)

16.24


Präsidentin Sonja Ledl-Rossmann: Als Nächste zu Wort gemeldet ist Frau Bundesrätin Posch-Gruska. Ich erteile es ihr.

 


16.24.22

Bundesrätin Inge Posch-Gruska (SPÖ, Burgenland): Frau Präsidentin! Sehr geehrter Herr Minister! Liebe Kolleginnen, liebe Kollegen! Rosa, das war jetzt so schön, da war inhaltlich wirklich ein paarmal etwas dabei, bei dem ich mir gedacht habe: Super, das passt jetzt wirklich total gut, und das stimmt auch. – Und dann müssen wir wiederum auf diese alten, schon so abgedroschenen Sachen hinauffahren: Es steht da nichts von einer Krise – nämlich der Asylkrise, Flüchtlingskrise –, der Bericht ist nicht aussage­kräftig.

Ich habe ihn leider nicht hier, Kollege Pfister hat ihn sich von mir ausgeborgt. Das ist so ein dicker Bericht! Und weißt du, was das Schöne an dem Bericht ist? – Der Bericht ist kein Jubelbericht, sondern der Bericht schreibt (Bundesrat Stögmüller: Tatsachen ...!): Was gibt es, und wie können Lösungen ausschauen? – Da sind Lösungen drinnen, und das ist das Tolle. Der Bericht schaut in die Zukunft und bleibt nicht irgendwo verharrend stehen. (Beifall bei SPÖ, ÖVP und Grünen.)

Es ist halt leider so, wir werden damit leben müssen, aber es sind wirklich Ansätze dabei gewesen, die mich gefreut haben.

Ich möchte sagen, dass ich sehr, sehr stolz darauf bin, dass ich in Österreich bin, dass ich in Österreich in einem Sozialstaat lebe, der sich wirklich sehen lassen kann. Ich freue mich, wenn ich irgendwo hinfahre und über unser Österreich berichten kann. Ich freue mich, wenn ich über unsere Sozialleistungen erzählen kann. Ich bin wirklich stolz darauf.

Unser Sozialstaat lässt nämlich Menschen, die in schwierigen Lebenssituationen sind, die in prekären Lebenssituationen sind, nicht im Regen stehen. Da ist unser Sozial­staat da. Er hilft und greift ein, wenn es um die Pensionen geht, wenn es um die Armutsbekämpfung geht, wenn es um die Bedarfsorientierte Mindestsicherung geht, wenn es um die Pflege geht, wenn es um die Gesundheit geht, wenn es um die Familienleistungen geht. Es ist wirklich so ein großes Spektrum, mit dem wir für die Menschen da sind.

102,5 Milliarden € haben wir an Ausgaben für Sozialleistungen, die wir treffen. 5 Pro-zent davon betreffen die Ausgleichszahlungen der Bedarfsorientierten Mindestsiche­rung, und 1 Prozent von allen Sozialleistungen betrifft die Bedarfsorientierte Mindest-sicherung – 1 Prozent; nicht einmal 1 Prozent! Wir aber haben es nicht zusammenge­bracht, eine Artikel-15a-Vereinbarung mit den Ländern zu schließen, wir haben es nicht zusammengebracht, die Bedarfsorientierte Mindestsicherung, die die Leute wirklich brauchen, dort, wo man den Menschen helfen kann, zu beschließen.

Unser Minister hat sich wirklich ganz stark dafür eingesetzt, er hat geschaut, dass da etwas weitergegangen wäre. Ich weiß, da ich aus dem Burgenland bin, dass auch wir einen eigenen Weg gegangen sind. Ich finde es trotzdem sehr, sehr schade, weil ich glaube, dass wir dort ansetzen müssen, den Menschen zu helfen, wo sie arm sind. Nicht die Menschen zu bekämpfen, denen es schlecht geht, sondern die Armut zu bekämpfen, dass die Leute nicht mehr in der Armut leben müssen, das muss unser Auftrag sein. (Beifall bei SPÖ und Grünen.)


BundesratStenographisches Protokoll865. Sitzung / Seite 123

Ich habe mir ein bisschen den Nationalrat angeschaut, leider nicht sehr lange, weil ich keine Zeit gehabt habe, habe aber ein bisschen hineingehört, als der Sozialbericht debattiert wurde. Da ist ja wirklich folgende Kritik gekommen – vor allem von der FPÖ –: Das ist eine Lesung wie aus einem Karl-Marx-Buch, es ist ein Bericht aus der DDR. Und noch irgendetwas war, wobei ich mir gedacht habe, das merke ich mir, aber ja, ich habe es vergessen.

Zuerst war ich ein bisschen verwundert, weil ich mir gedacht habe: Warum kritisiert die Partei des kleinen Mannes, die ja so einsteht für die Leute, die so arm sind und denen man helfen muss, jetzt auf einmal einen Sozialbericht derart heftig? – Dann bin ich aber draufgekommen. Dann habe ich es mir angeschaut, nämlich auch das Abstim-mungsverhalten der Freiheitlichen Partei, nämlich das Abstimmungsverhalten bezüg-lich der Belange, wenn es darum geht, dass wirklich den Menschen geholfen werden soll, wenn sie es brauchen.

Als zum Beispiel die Abschaffung des Spitalselbstbehalts für Kinder beschlossen wurde – das kann für die Eltern bis zu 460 € kosten –, hat die Freiheitliche Partei dagegen gestimmt. (Bundesrat Jenewein: Da haben wir in der zweiten Lesung dafür gestimmt ...!) Da frage ich mich ja wirklich: Wo soll man da jetzt dann irgendwie noch glauben, dass man wirklich für die Leute ist? (Zwischenruf des Bundesrates Jenewein.)

Beim Lohn- und Sozialdumping-Bekämpfungsgesetz, in dessen Wirkungsbereich jede vierte ausländische Baufirma ihren Arbeitern eigentlich zu wenig bezahlt, hat es weder 2014 noch 2016 Zustimmung von der FPÖ gegeben. (Zwischenrufe bei der FPÖ.) Als das Pflegegeld im Dezember 2014 erhöht worden ist, und auch bei der Einfüh­rung 2011, hat die FPÖ dagegen gestimmt.

Jetzt habe ich aber gehört, dass du, glaube ich, von Pflegeverschlechterungen geredet hast, Rosa. Da frage ich mich: Bei der Erhöhung, die wir jetzt beschlossen haben, habt ihr dagegen gestimmt, aber es gibt jetzt Verschlechterungen? – Also irgendetwas dürfte da nicht ganz bis zu euch durchgedrungen sein. (Bundesrat Jenewein: Sie wissen aber schon, was Sammelgesetze sind, Frau Kollegin?)

Bedarfsorientierte Mindestsicherung, die Einführung der Bankenabgabe: Auch da hat die FPÖ dagegen gestimmt.

Was ich aber gefunden habe, als ich mir das alles angeschaut habe, war, dass die FPÖ eine Petition eingebracht hat, als es um die Interessen der Immobilienmakler gegangen ist: dass man da auf einmal aufpassen muss, weil ja Immobilienmakler sonst zu wenig verdienen. Da hat sich die FPÖ mit aller Gewalt dafür eingesetzt, dass die Immobilienmakler mehr bekommen. Also die Interessen von den Menschen draußen zu vertreten, ist für mich ein bisschen eine andere Geschichte. (Beifall bei SPÖ und Grünen. – Bundesrat Schennach: Es geht um Parteipolitik!)

Ich möchte mich jetzt noch einmal ganz herzlich für diesen Bericht bedanken, bei Ihnen, Herr Minister, aber vor allem auch bei Ihren Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern. Für uns Mandatarinnen und Mandatare ist der Bericht nicht nur sehr informativ, sondern auch sehr hilfreich und unterstützend in unserer Arbeit.

Was aus dem Bericht natürlich auch herauszulesen ist, ist, dass die Schere zwischen Arm und Reich immer weiter auseinandergeht. (Bundesrätin Mühlwerth: Na geh! Trotz allen euren ...!) Das hat Kollegin Ecker vorhin schon gesagt. (Bundesrätin Mühlwerth: Wo ist denn da eure soziale Kompetenz? – Weitere Zwischenrufe bei der FPÖ.) Es ist eine Tatsache, die wir mit Lösungen, die auch in diesem Bericht drinstehen, wenn man ihn liest ... (Bundesrätin Mühlwerth: Wo ist eure Sozialpolitik, wenn die Schere immer weiter auseinandergeht?) – Frau Kollegin! Sie können sich dann zu Wort melden. Es


BundesratStenographisches Protokoll865. Sitzung / Seite 124

ist so schwer, wenn ich Sie überschreien muss, weil ich eigentlich gerne das, was ich mir vorbereitet habe, sagen würde. (Bundesrätin Mühlwerth: Schreien wäre nicht ...!)

Der Faktor Arbeit wird leider stärker belastet – auch das ist gekommen – als das Vermögen. Das hat aber nichts mit einer Ideologie zu tun, sondern es ist reine Realität. Das ist das, bei dem die Vermögensteuer, die schon sehr lange und sehr intensiv von uns gefordert wird, auch Wirkung zeigen würde, wenn wir sie hätten.

Für mich als Bezirksfrauenvorsitzende ist es natürlich ein Grund gewesen, mir die Situation der Frauen genauer anzuschauen, die auch in diesem Bericht extra noch einmal dargestellt wird. 200 000 Frauen verdienen in Österreich unter 1 500 € für eine Vollzeitarbeit; ich rede jetzt nicht davon, dass das dann der Fall ist, wenn sie Teilzeit arbeiten gehen. 200 000 Frauen in Österreich unter 1 500 € für eine Vollzeitarbeit – das ist ein unhaltbarer Zustand! Das ist wirklich ein Zustand, der nicht tragbar ist und bei dem wir ganz sicherlich auf unsere Sozialpartner, die ja bis zur Jahresmitte um einen Mindestlohn verhandeln und ein Modell ausarbeiten, hoffen, dass da auch Abhilfe geschaffen wird.

Den Mindestlohn gibt es übrigens in Deutschland, in Großbritannien, in den USA und in Ungarn. Das sind also sicher vier Länder, die keine Gemeinsamkeiten haben; von denen man nicht sagen kann, dass in diesen vier Ländern der Kommunismus ausgebrochen wäre, wenn ich jetzt nur Ungarn als Beispiel hernehme. Das sind also sicher vier Länder, die ganz unterschiedlich sind, und nirgends hat der Mindestlohn die Wirtschaft in eine Krise getrieben, nirgends sind all die Befürchtungen, die in irgend­einer Form aufgezeigt wurden, auch eingetreten.

Ja, ich stehe dafür, und das stimmt auch, Kollegin Ecker: Gleicher Lohn für gleiche Arbeit ist eine Forderung, die schon sehr lange gestellt wird. Ja, sehr lange! (Bundesrat Jenewein: Ist bis jetzt aber nicht ...!) Es ist aber auch wichtig, dass diese typischen Frauenberufe auch besser bezahlt werden, weil nämlich bei typischen Frauenberufen automatisch auch das Einkommen wesentlich geringer als bei typischen Männer­berufen ist. Darauf müssen wir auch hinarbeiten. (Bundesrätin Mühlwerth: An wem liegt das?)

Kinderbetreuungseinrichtungen sind im Bericht auch erwähnt worden, und bei der Pflege habe ich das vorhin schon kurz angeschnitten: den Pflegefonds. – Bin ich zu laut? (Nein-Rufe bei der SPÖ.) – Beim Pflegefonds, der jetzt ausgebaut wurde, und beim Pflegegeld, das erhöht wurde, denke ich mir, ist im Bereich der Pflege sehr viel passiert. Wir müssen aber eben, wie vorhin schon gesagt, nicht nur auf die Ausbildung schauen, sondern auch auf die Bezahlung der Menschen, die in der Pflege arbeiten.

Einen letzten Punkt möchte ich noch ansprechen, weil er heute schon einmal gekom­men ist, nämlich die Familienbeihilfe. Ja, bei der Familienbeihilfe müssen wir schauen, dass wir europarechtlich eine Maßnahme finden, die auch halten kann. Ich kann mir aber nicht vorstellen, dass wir hier bei uns in Österreich einzelne Menschen diskri-minieren.

Ich kann mir Folgendes nicht vorstellen: Ich bin aus einer kleinen Gemeinde; ihr wisst das, ich habe es ohnehin schon ein paarmal gesagt, dass die tausend Einwohnerinnen und Einwohner hat und wirklich sehr klein ist. In der Gemeinde gibt es neun rumänische Pflegefrauen, die für eine 24-Stunden-Pflege da sind. Teilweise haben sie daheim kleine Kinder. Die arbeiten bei uns zu einem Lohn, für den sich kein Öster-reicher und keine Österreicherin hinstellen würde! Da haben wir noch nicht hinge­griffen, da haben wir noch nichts angepasst. Es wird wahrscheinlich auch sehr schwer sein.


BundesratStenographisches Protokoll865. Sitzung / Seite 125

Gleichzeitig nehmen wir diesen Menschen aber jetzt die Familienbeihilfe weg, jenen, die ihre Kinder ohnehin nicht sehen, dort, wo die Kinder jetzt daheim sind und wo die Kinder die Mutter nicht sehen, weil sie bei uns unsere Eltern pflegen? – Also das kann nicht sein! (Beifall bei SPÖ und Grünen.)

Ich kann nicht auf der einen Seite ausbeuten, auf der anderen dann aber noch etwas wegnehmen. Ich glaube, dass wir uns das sehr wohl und sehr gut überlegen müssen, dass wir da unser soziales Gewissen nicht vergessen sollten und dass wir als Öster-reicherinnen und Österreicher eine Lösung treffen sollten, die keine Menschen diskri-miniert. (Beifall bei der SPÖ.)

Meine Fraktion wird diesen Sozialbericht sehr gerne zur Kenntnis nehmen. Noch einmal ein herzliches Danke dafür! (Beifall bei SPÖ, ÖVP und Grünen.)

16.34


Präsidentin Sonja Ledl-Rossmann: Als Nächster zu Wort gemeldet ist Herr Bun­desrat Hammerl. – Bitte.

 


16.34.22

Bundesrat Gregor Hammerl (ÖVP, Steiermark): Sehr geehrter Herr Minister! Hohes Präsidium! Meine geschätzten Damen und Herren! Schade, dass dieser Sozialbericht erst am Schluss kommt! Es wäre schön gewesen, wenn wir ihn am Anfang hätten diskutieren können. Es gibt hier Experten, es gibt hier Ideologen, die immer schimpfen, gar keine Frage. Am Schluss werden wir draufkommen, dass es uns in Österreich gar nicht so schlecht geht. – So! (Beifall bei ÖVP und SPÖ.)

Meine Damen und Herren! Der erste Sozialbericht wurde 1967 dem Parlament vorgelegt. Wir feiern heuer also das Jubiläum: 50 Jahre Sozialbericht. Der vorliegende Sozialbericht, meine Damen und Herren, wird in seiner grundsätzlichen Ausrichtung dem Jubiläum – ich möchte das betonen, Herr Minister – gerecht!

Nach dem Teil 1, der über die einzelnen Ressortaktivitäten handelt, und einem Rechenschaftsbericht über die einzelnen Arbeitsbereiche des Ministeriums folgt nämlich ein sozialpolitischer Teil, der die Herausforderungen an die Sozialpolitik in acht Artikeln aufzuarbeiten versucht. – Ich versuche, es ganz kurz zu halten. Es ist schon einiges dazu gesagt worden.

Den Bezugspunkt stellt dabei die Frage der Verteilung dar. Das ist ein wichtiger Gesichtspunkt, der aber auch zu ideologischer Enge führen kann. Wenn ich mir die Debatte im Nationalrat vor Augen führe, so muss ich sagen, es war diese meines Erachtens zu sehr durch das Aufgreifen ganz konkreter Fragen gekennzeichnet, wofür der Sozialbericht nur als Stichwortgeber herangezogen wurde. Angesichts des grundlegenden Ansatzes des Berichtes ist ein solches Vorgehen, meine Damen und Herren, nicht zielführend. Es bringt wenig, in der kurzen zur Verfügung stehenden Zeit einzelne Punkte hervorzuheben und zu kritisieren.

Der Bericht ist auch nicht dazu da, meine Damen und Herren, um die eigenen Armen gegen die anderen Parteien auszuspielen. Und zu Frau Kollegin Inge Posch: Liebe Inge, du hast hier erwähnt, was in der „Presse“ gestanden ist. Ich möchte das hier erwähnen ... (Bundesrätin Posch-Gruska: Ich weiß das gar nicht, siehst du!) – Ja, ich möchte da aber keine Namen nennen. Hier steht: „Expertenwissen oder Ideologie im Sozialbericht ...?“ Da heißt es: „Starke Worte waren da am 2. März in der National­ratsdebatte zum Sozialbericht [...] von Oppositionspolitikern zu vernehmen. So sagte die FPÖ-Abgeordnete [..]: ‚Das ist ein DDR-Bericht, Herr Bundesminister (...) Sie schreiben einen Bericht mit Ihren linkssozialistischen Scheuklappen (...) Sie haben hier Ideologie hineingepackt.“


BundesratStenographisches Protokoll865. Sitzung / Seite 126

„Der Neos-Abgeordnete [...]: ‚Dieser Sozialbericht ist eine 400-seitige Ansammlung von marxistischen Fake News. Das, was Ihre ‚Experten‘ da zusammengeschustert ha­ben [...]“

Meine Damen und Herren! Das ist ja des Nationalrates nicht würdig, dass man so über einen Sozialbericht diskutiert! (Beifall bei ÖVP, SPÖ und Grünen.)

Meiner Meinung nach soll der Sozialbericht als eine Grundlage für die grundsätzliche Diskussion der Fragen unseres sozialen Systems und der notwendigen Veränderun­gen angesichts geänderter Verhältnisse genommen werden. Dazu ein paar kurze Bemerkungen – wie nicht nur der Sozialbericht, sondern auch die internationale Ein­schätzung unseres sozialen Systems zeigt, können wir darauf stolz sein!

Wenn wir nur an das Pflegegeld denken, meine Damen und Herren: Ich war als Präsident des Bundesrates in Berlin, und dort durfte ich im Parlament auch bei einer Enquete, einer Sozialenquete sprechen. Ich habe davon erzählt: Damals haben wir noch diese sieben Stufen gehabt, mit 154 € auf Stufe 1 bis zur Stufe 7 mit 1 655,80 €; inzwischen wurde das um 2 Prozent erhöht. Hinter mir waren auch ein paar höhere Granden, die gemeint haben: Was will der, der sagt ja nicht die Wahrheit! Glauben Sie, wir sind bekloppt? – Die haben mir nicht geglaubt, dass wir so ein hohes Pflegegeld haben!

Als wir hier im Haus eine Pflegeenquete mit dem Herrn Bundespräsidenten gehabt haben, war Herr Hundstorfer Minister. Ich habe damals gesagt: Herr Minister, ich bin im Hilfswerk Steiermark tätig und habe 1 500 Mitarbeiter, wir haben das höchste Pflegegeld Europas. Da hat Herr Hundstorfer gesagt: Herr Bundespräsident, ich schätze den Gregor Hammerl sehr; heute hat er das Falsche gesagt. – Ich denke mir: Da kenne ich mich nicht aus! Der Herr Bundespräsident hat es auch nicht gewusst: Wir haben in Österreich das höchste Pflegegeld der ganzen Welt. Uns ist das alles nicht bewusst, meine Damen und Herren! (Beifall bei ÖVP und SPÖ.)

Meine Damen und Herren! Es ist also unangebracht, unseren Sozialstaat schlecht­zureden oder in Weltuntergangsstimmung am Ende zu sehen. Unsere Form der Sozialpolitik hat einen wesentlichen Beitrag dazu geleistet, dass Österreich in der Welt so gut dasteht wie jetzt.

Allerdings – das ist ganz wichtig, meine Damen und Herren – müssen wir auch die Frage der Finanzierbarkeit stellen und uns für die Zukunft einiges verstärkt überlegen. Die Gestaltungsmöglichkeiten ohne zusätzliche Steuerbelastung zu finden, das muss ein wichtiger Punkt sein, denn die Belastungen werden natürlich größer werden. Da ist Kreativität gefordert: im Parlament, bei den Sozialpartnern, in Ländern und Gemeinden. Nur gemeinsam können wir das in Zukunft schaffen!

Diese geschichtlichen Vorgaben haben zu Regelungen geführt, die heute angesichts anderer Herausforderungen nicht mehr tragfähig sind. Veränderungen in der Weltlage und Veränderungen der österreichischen Gesellschaft sind verstärkt in die Reform­überlegungen mit einzubeziehen, damit unser Sozialsystem auch in Zukunft vorbildlich bleiben kann. Ich möchte hier nur drei solche Entwicklungen ansprechen: den demo­grafischen Umbau unserer Gesellschaft, die Herausforderung der Globalisierung und die teilweise dramatische Veränderung auf dem Feld der Arbeit – sie ist heute schon diskutiert worden –, die im Sozialbericht unter der Bezeichnung „Arbeit 4.0“ ange­sprochen worden ist.

Der demografische Wandel, meine Damen und Herren, bringt nicht nur neue Heraus­forderungen hinsichtlich Pensionen und Pensionsantrittsalter mit sich, sondern auch im Hinblick auf Pflege und Gesundheitswesen. Die Wahrscheinlichkeit, dass ein Kind, das heute geboren wird, 100 Jahre alt wird, ist sehr hoch. Was die Geburtenrate betrifft:


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Wir hatten in der Steiermark – es sitzen ja ein paar Steirer hier; die Steiermark hat 1,2 Millionen Einwohner – noch vor 27 Jahren 30 000 Geburten. 2015 waren es nur mehr 12 000 Geburten, davon waren 6 000 Kinder von Migranten.

Magna sucht Arbeiter. Herr Generaldirektor Apfalter muss jedes Jahr zweimal seinem Generalstab vorlegen, wie es in Zukunft, in den nächsten 3, 4 Jahren und so weiter, mit den Männern ausschaut. Das heißt, Freunde, es ist klar: Ohne Zuwanderung und Bildung wird es bei uns in Österreich in der Industrie nicht gehen. Diese Männer wer­den auch in Zukunft gebraucht. (Bundesrat Pisec: Der Industrie ... um Steuersenkun­gen! Verwaltungspartei ÖVP! Endlich Schluss damit!) – Schauen Sie, wenn Menschen in anderen Ländern in einem bestimmten Alter kein künstliches Hüftgelenk implantiert bekommen beziehungsweise sich das selbst zahlen müssen, dann werden uns die Herausforderungen bewusst. Bei uns ist das System in Ordnung, gar keine Frage. Wenn heute jemand zusammenbricht, fragt niemand: Gregor, hast du eine e-card?, überhaupt nicht, sondern es wird zack, zack alles gemacht, von Grund auf. Meine Damen und Herren, seien wir stolz darauf!

Es gibt Fragen über Fragen, die nicht nur mit Geld gelöst werden können, sondern die auch einen Appell an die Menschlichkeit unserer Gesellschaft darstellen. Die Globa­lisie­rung, meine Damen und Herren, stellt Anforderungen an ein Sozialsystem, das staatlich organisiert ist, während viele der Probleme den überstaatlichen Raum betreffen. Durch die Migration und die Globalisierung der Wirtschaft werden wir uns die Frage stellen müssen, ob wir nicht auch im Sozialen eine Globalisierung brauchen.

Europapolitik muss zu einem guten Teil auch Sozialpolitik sein, damit es nicht zu einem Wettbewerb über das Soziale kommt, in dem der Mensch auf der Strecke bleibt. In Österreich ist die Frage im Hinblick auf die Bedarfsorientierte Mindestsicherung zu stellen. Wir brauchen da endlich eine österreichweite Lösung. Jedes Bundesland diskutiert für sich selber, keine Frage, aber nur so – das ist meine Meinung – würden wir es schaffen.

Das dritte Feld, das ich kurz ansprechen möchte, betrifft das Thema Arbeit. Im Sozial­bericht ist ein Kapitel dem Thema Auswirkungen technologischer Veränderungen auf die Arbeitswelt gewidmet. Ich glaube, wir müssen noch weiter gehen und uns die Frage stellen, welche Formen der Arbeit wir in Zukunft forcieren werden.

Viele Tätigkeiten, etwa im Bereich der Pflege, werden nicht als Arbeit gewertet, weil sie von Angehörigen oder ehrenamtlich arbeitenden Personen verrichtet werden. Wir werden uns also um die Ausweitung des Arbeitsbegriffes Gedanken machen müssen, um Menschen weiterhin über Arbeit in die Gesellschaft zu integrieren. Ich glaube, dass das Modell eines Grundeinkommens ohne Arbeit nicht zukunftsfähig ist, sondern dass wir mit einer Ausweitung des Arbeitsbegriffes ein Grundeinkommen durch Arbeit möglichst für alle schaffen können.

In diesem Zusammenhang stellt sich auch die Frage, ob wir für das Soziale nicht einseitig den Staat zuständig und verantwortlich machen. Mit der Betonung von Leis­tung sollten wir vermehrt Versuche unternehmen, das Soziale auch wieder verstärkt in der Gesellschaft und den Sozialnetzen anzusiedeln. Es gilt dabei besonders, die ehrenamtliche Arbeit zu würdigen und dadurch anzuregen. Hunderttausende Frauen und Männer übernehmen ehrenamtliche Arbeit. Wenn wir die nicht hätten, Freunde, wäre im Sozialnetz schon vieles zusammengebrochen.

Dies waren einige Anregungen. Wir müssen uns jedenfalls intensiver den Fragen des Sozialen stellen. Dazu kann der Sozialbericht, meine Damen und Herren einen Anstoß geben, und das tut er auch. In diesem Zusammenhang danke ich den vielen Personen und Institutionen, die bei dessen Erstellung mitgewirkt haben. Wir bedanken uns und sollten diese Arbeit mit der Beschäftigung mit diesem Bericht belohnen. Mein Dank gilt


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auch Sozialminister Alois Stöger, dem auch in Zukunft die wichtige Aufgabe des Erhalts und der Ausgestaltung unseres Sozialsystems zukommen wird.

Sollten jetzt auch Abgeordnete zum Nationalrat zuhören, dann würde ich ihnen raten, im Nationalrat, so wie wir jetzt im Bundesrat eine Enquete zum Thema Pflege ver­anstalten werden, eine Enquete zum Thema Soziales zu machen und einmal ein, zwei Tage an diesem Thema zu arbeiten, damit die Herren, die nur ideologisch arbeiten, einmal mitbekommen, dass es nur so weitergeht, wie es bei uns in Österreich bisher gegangen ist. Herr Minister, vielen Dank – auch allen Mitarbeitern! (Beifall bei ÖVP, SPÖ und Grünen. Bundesrat Pisec: Wir werden ... für eine neue Heimat! Eine ... Staatsbürgerschaft!)

16.44


Präsidentin Sonja Ledl-Rossmann: Als Nächste zu Wort gelangt Frau Bundesrätin Mühlwerth. – Bitte.

 


16.45.00

Bundesrätin Monika Mühlwerth (FPÖ, Wien): Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrter Herr Minister! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Herr Kollege Hammerl, ich bin jetzt wieder einmal versucht, zu sagen: Jeder Greißler lobt seine Ware! – Ihre Leute sind ja in der Regierung, und da wird ja immer gesagt: Es ist alles gut, alles bestens! Noch besser finde ich aber die Kollegin Posch-Gruska (Bundesrätin Posch-Gruska: Das finde ich nett, dass ...!), die sich hier herstellt und sagt, was denn nicht alles besser werden muss.

Das finde ich jetzt schon interessant: Erstens einmal beschäftigen Sie sich zwei Drittel Ihrer Rede hindurch ausschließlich mit der FPÖ. (Bundesrätin Posch-Gruska: Das tut mir wirklich leid, das ist hart!) Vielen Dank für die Ehre, aber wir haben ja schon öfters festgestellt, dass es für Sie mit dem Lesen und auch Verstehen, was da passiert ist, immer ein Problem gibt. Das passiert uns ja nicht zum ersten Mal. (Bundesrätin Posch-Gruska: Euch passiert das oft, dass ihr was nicht versteht! Das ist wahr!) Irgendetwas zu behaupten und zu hoffen, wenn man es oft genug sagt, wird es dann vielleicht doch einmal wahr, funktioniert aber nicht.

Ich sage Ihnen jetzt hier vom Rednerpult aus, was Kollege Jenewein schon durch einen Zwischenruf zu erläutern versucht hat: Das Pflegegesetz war ein Sammelgesetz. Das ist übrigens etwas, das die Regierungsparteien (Bundesrat Stögmüller: Gerne machen!) sehr gerne machen: ein Sammelgesetz, in das dann ein paar Grauslichkeiten hineingepackt werden, denen – Sie wissen das! – eine oder mehrere Oppositions­parteien nicht zustimmen können, und am Ende stellen Sie sich dann hierher und sagen: Ihr habt gegen das Pflegegesetz gestimmt! (Bundesrätin Posch-Gruska: Stimmt ja!) – Nein, das stimmt eben nicht. (Bundesrätin Posch-Gruska: Das war ein Sammelgesetz, und das war dabei!) – Wir haben in zweiter Lesung dafür gestimmt, allerdings nicht für die Grauslichkeiten, die Sie da hineingepackt haben. (Beifall bei der FPÖ.)

Ich möchte Sie aber auch noch an Folgendes erinnern, sehr geehrte Frau Kollegin Posch-Gruska: Ihr Bundeskanzler ist jetzt bei seinem Plan A plötzlich auf die Idee gekommen, dass eine Bevorzugung der österreichischen Arbeitskräfte wichtig wäre.

Können Sie sich noch erinnern (Bundesrätin Posch-Gruska: Ja, kann ich mich erinnern!), dass wir Freiheitliche hier im Bundesrat einen Antrag eingebracht haben, der genau darauf abgezielt hat?! (Bundesrätin Posch-Gruska: Ja!) Dieser Antrag war von der SPÖ Burgenland gemacht, und Sie haben dagegen gestimmt. (Bundesrätin Posch-Gruska: Ich habe nicht dagegen gestimmt, ich war nicht da!) – Die ganze SPÖ, auch Sie als burgenländische Bundesrätin, haben dagegen gestimmt. (Bundesrätin


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Posch-Gruska: Das ist peinlich!) Also weiß bei euch die linke Hand nicht, was die rechte tut (Bundesrätin Posch-Gruska: O ja!), oder heißt es bei Ihnen A und dann B oder C und D? (Bundesrätin Posch-Gruska: Nein!) Also wie habt ihr letztes Mal gesagt: In einer Bildungsdebatte darf man schizophren sagen!? – Ganz konsequent ist Ihre Haltung nicht, das sage ich Ihnen schon. (Bundesrätin Posch-Gruska: Meine ist schon konsequent! Schon immer!)

Sie beklagen sich über den Mindestlohn, darüber, dass es ihn in anderen Ländern gibt, aber bei uns nicht in dieser Höhe: Na, Frau Kollegin, dann reden Sie doch einmal mit Ihrer eigenen Fraktion – Sie sind ja Regierungspartei – und macht es einmal! (Bun­desrätin Posch-Gruska: Wir reden ja eh!)

Sie regen sich auch über die Gehaltsschere auf. – Die gibt es seit Jahrzehnten! Das wäre wirklich fast schon belustigend, wenn es für die Frauen nicht so traurig wäre. Wo sind denn da die Gewerkschaften, die das verhandeln? (Bundesrätin Anderl: Da muss man mit der Wirtschaft reden!) Warum ist es denn so, dass in den Frauenberufen so wenig bezahlt wird? Gibt es da nicht Gewerkschaften und Sozialpartner, die Lohnver­handlungen führen? Meinen Sie nicht, die wären die richtigen Ansprechpartner – und nicht so sehr die FPÖ? (Bundesrätin Posch-Gruska: Da habe ich euch nicht ange­redet!)

Zuallerletzt möchte ich Ihnen noch Folgendes mitgeben: Wann immer wir einen Antrag einbringen, Vorschläge zur Verbesserung, auch bei der Pflege – unser Dritter National­ratspräsident Norbert Hofer ist da wirklich sehr engagiert und hat wirklich gute Vor­schläge gemacht –, dann ist das etwas, wo bei Ihnen allen, aber bei Ihnen, Frau Kollegin Posch-Gruska, im Besonderen, reflexartig kommt: Nein, da stimmen wir nicht zu, das kann es ja nicht sein! Sie machen sich niemals die Mühe, über Anträge einer Oppositionspartei – wobei wir Freiheitliche die meisten Anträge stellen – auch nur ansatzweise nachzudenken. Man merkt ja: Das ist Ihnen alles nicht ernst, Sie finden das eh alles nur lustig.

Ich muss Ihnen jetzt ganz ehrlich sagen, Frau Kollegin Posch-Gruska: Dafür, wie Sie als Mandatarin agieren, auch mit diesem: Hahaha, ist das jetzt lustig mit diesen Anträgen von euch!, sollten Sie sich schämen. (Beifall bei der FPÖ. – Bundesrätin Posch-Gruska: Das ist ja ein Witz!)

16.49


Präsidentin Sonja Ledl-Rossmann: Als Nächster zu Wort gemeldet ist Herr Bun­desrat Stögmüller. Ich erteile es ihm.

 


16.49.43

Bundesrat David Stögmüller (Grüne, Oberösterreich): Wertes Präsidium! Sehr geehrter Herr Minister! Werte Damen und Herren! Ich glaube, bei der ÖVP sagt man Glück auf, wenn es dann zu Ende ist oder so. Ich glaube, ich gehe wieder ein bisschen zurück. Kollegen Hammerl und Inge Posch-Gruska sage ich Danke für ihre Ausfüh­rungen. Ich habe sie trotzdem interessant gefunden und auch vieles darin wiederge­funden.

Zunächst einmal möchte ich sagen, dass ich diesen Bericht für ein wirklich interes­santes Nachschlagewerk über die aktuelle soziale Situation in Österreich, den Iststand, halte.

Ich möchte als Erstes auf die ArbeitnehmerInnensituation in Österreich eingehen. Stabile Beschäftigungsverhältnisse – das heißt ganzjährig Vollzeitbeschäftigung – haben nur mehr die Hälfte der Beschäftigten, also nur mehr 50 Prozent. Bei dieser Gruppe fällt das Einkommenssegment unter 1 500 € nahezu vollständig weg. Das sei auch angemerkt, wenn wir über den Mindestlohn und dessen Höhe reden. Auch die


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atypischen Beschäftigungsverhältnisse sind gestiegen, nämlich um mehr als 22 Pro­zent. – Das sollte man auch wissen: Atypische Beschäftigungsverhältnisse sind um 22 Prozent, geringfügige Beschäftigungsverhältnisse um mehr als 25 Prozent gestie­gen!

Das bringt mich auch gleich zu den Arbeitszeitdaten. Da fällt auf, dass 75 Prozent der Teilzeitbeschäftigten Frauen sind. Umgekehrt betrachtet: Jede zweite Frau arbeitet Teilzeit. Gleichzeitig ging die Zahl der Vollzeitbeschäftigten seit 2005 um fast 3,7 Pro­zent zurück. Diese Daten und Fakten sollte man ein bisschen kennen, damit man sich ein Bild darüber machen kann, wie es um unseren Arbeitsmarkt steht.

Wir reden jetzt also von einer individuellen Teilzeit, die schon längst Realität ist. Auch hier wieder mein Appell an Sie, Herr Minister: Arbeitszeitverkürzung – der Weg geht schon dorthin, und das brauchen wir dringend als gesetzlich geregelte Arbeitszeit­flexibi­lisierung.

Ich habe es vor einem Monat schon Herrn Bundeskanzler Kern gesagt, als er hier sein Regierungsprogramm vorgestellt hat: Es geht mir bei der Arbeitszeitflexibilisierungs­debatte nicht um den jungen BWL-Absolventen, der gerade von der Uni kommt und sagt, er möchte gerne 60 Stunden arbeiten, sondern mir geht es um die Verkäu­ferInnen und um die Angestellten, die, weil es dann gesetzlich möglich ist, bis zu 12 Stunden arbeiten müssen. In den Berufen, in denen es bereits jetzt möglich oder nötig ist, 12 Stunden zu arbeiten, ist es kollektivvertraglich bereits jetzt möglich. Da einen Freibrief für andere Berufssparten zu schaffen, finde ich nicht in Ordnung; das ist einer sozialdemokratischen Partei wirklich nicht würdig.

Von der mangelnden Kinderbetreuung auf dem Land, von der Gesundheits- und Unfallgefährdung ab der 8. Schulstufe will ich noch gar nicht reden. Bitte, Herr Minister, stoppen wir diesen Kniefall vor der Wirtschaft, die sich durch diese Arbeitszeit­flexi­bilisierung die Abgeltung von 200 Millionen Überstunden im Jahr ersparen möchte! Reden wir über die wirklichen Probleme – Kollegin Ecker hat es schon angesprochen –, nämlich über die Working Poor. 297 000 Menschen, vollzeitbeschäftigte Menschen, gelten trotz Vollzeitarbeit in Österreich als arm. Das sind oft Frauen, Menschen mit Migrationshintergrund, mit einer schlechten Bildungslaufbahn. – Das sind die Per­sonen, um die wir uns kümmern müssen, hinsichtlich derer wir dringend handeln müs­sen. Da hilft natürlich ein Mindestlohn.

Was mich da stört – ja, wir Grüne fordern 1 750 € brutto, aber darum geht es mir jetzt nicht einmal –, ist diese Verzögerungstaktik. Die Bundesregierung könnte den Mindest­lohn bereits beschließen, er könnte in ein paar Wochen hier im Bundesrat beschlossen werden, und die Leute hätten einen Mindestlohn, aber nein, man wartet, man spielt den Ball zwischen den Sozialpartnern hin und her, und 297 000 Menschen müssen nach wie vor Jahre warten, bis die 1 500 € endlich in den Kollektivverträgen angeregt werden. (Bundesrat Mayer: Diese funktionierenden ... wollen wir jetzt nicht infrage stellen!) Ich bin für einen gesetzlichen Mindestlohn, weil auch jene Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer mitgenommen werden müssen, die noch keinen Kollektivvertrag haben.

Das bringt mich auch zum Thema Einkommensentwicklung; das ist auch ganz span­nend. Die Lohnquote ist seit den Siebzigerjahren bis 2007 um 14,5 Prozent gefallen, und seit 2008 gab es wieder einen leichten Anstieg. Was dabei auffallend ist, ist, dass es seit dem Jahr 2000 eine Stagnation gerade der mittleren Einkommen gab, real haben dabei die niedrigen Einkommen verloren, Einkommen über dem Median sind jedoch überdurchschnittlich oder zumindest halbwegs gut gestiegen. Innerhalb der höchsten Einkommensgruppe gab es eine Zuspitzung hin zu den Superreichen. Da gibt es eine Statistik, die zeigt so richtig schön auf: Die Kurve ist halbwegs flach, und


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auf einmal (mit einem Arm einen starken Anstieg zeigend): Tschack!, das sind dann diese Superreichen, deren Einkommen in den letzten Jahren massiv gestiegen sind, im Gegensatz zu den Einkommen der Arbeiterinnen und Arbeiter; gerade die Einkommen der Arbeiterinnen haben massiv an Wert verloren.

Was heißt das also? – Die Reichen werden immer reicher, und die Armen werden immer ärmer. Das ist in Österreich real, und das ist das Problem. Es gibt in Österreich eine ziemliche starke Ungleichverteilung des Vermögens. Ich nenne ein paar Zahlen: 34 Prozent des Nettovermögens in Österreich gehören 1 Prozent der reichsten Öster­reicherinnen und Österreicher. – 1 Prozent hat 34 Prozent des Nettovermögens! Das heißt, 1 Prozent der Österreicherinnen und Österreicher besitzt genauso viel Geld oder Privatvermögen wie 80 Prozent der Österreicherinnen und Österreicher – nur, damit man das einmal gesagt hat.

Herr Minister, ändern wir das endlich! Endlich her mit einer Kapital- und Vermögen­steuer! (Bundesrat Pisec: Genau! Alles bestens!) Auch die Frage der Wertschöp­fungsabgabe müssen wir uns endlich stellen. Auch die Lehrlingsausbildung muss aus der Krise geholt werden. Hier fordern wir Grüne endlich eine Reform. (Bundesrat Pisec: Das ganze Leben besteuern! 100 Prozent Steuern!) Wir haben so wenige Lehrlinge wie noch nie. Erst gestern wurde das in der „Zeit im Bild“ gesagt. Ich glaube, 110 000 Lehrlinge sind es in Oberösterreich, in Ihrem Heimatsbundesland! Das ist ein Rückgang von 670 Lehrlingen gegenüber 2015. 4 900 Lehrstellen sind zu besetzen, und es gibt nur 2 188 Lehrstellensuchende. Da braucht es ganz dringend Reformen.

Abschließend noch ein Punkt zur Behindertenpolitik, Kapitel 6 in diesem Sozialbericht: Im Kapitel Nationaler Aktionsplan Behinderung wird im Bericht der Eindruck erweckt, als würden die Umsetzung perfekt voranschreiten und die geplanten Maßnahmen bis 2020 erfüllt werden. Es gibt aber für die wichtigen Knackpunkte nur Arbeitsgruppen, die teils schon seit Längerem bestehen und zu keinem Ergebnis gekommen sind. Ein Beispiel, das ich anführen kann, ist das Bundes-Behindertengleichstellungsgesetz, hin­sichtlich dessen Novellierung eine Arbeitsgruppe eingesetzt worden ist. Auch hin­sichtlich der Umsetzung des Behinderteneinstellungsgesetzes wurde eine Arbeitsgrup­pe eingesetzt – bis 2014, sofern ich mich richtig erinnere –, und bis heute ist noch keine wirkliche Verbesserung erfolgt.

Auch bei der Umsetzung der UN-Behindertenrechtskonvention ist es ähnlich: Es müs­sen die Handlungsempfehlungen bis zur zweiten Staatenprüfung, die 2018 ansteht, umgesetzt werden. Bis jetzt wurden aber nur wenige Handlungsempfehlungen umge­setzt. Natürlich wissen wir auch, dass die Umsetzung nicht so einfach ist, gerade wenn verschiedene Ressorts, der Bund und auch die Länder – hier sind wir ja gerade wieder in der Länderkammer – zuständig sind wie zum Beispiel bei übergreifenden gesetz­lichen Rahmen sowie bei übergreifender Politik im Bereich von Behinderung. Da gibt es seit 2014 Gespräche zwischen Bund und Ländern. Wir wünschen uns da also etwas mehr Tempo, damit auch diese Handlungsempfehlungen wirklich fristgerecht umge­setzt werden.

Wir Grüne werden diesen Sozialbericht also gerne zur Kenntnis nehmen. Abschließend möchte ich, um in dieser Debatte noch ein bisschen Öl ins Feuer zu gießen, das Cover dieses Sozialberichts herzeigen. (Der Redner hält ein Exemplar des Sozialberichts in die Höhe, auf dessen Titelseite unter anderem ein Foto einer Hand zu sehen ist, von der vor dem Hintergrund eines Setzkastens ein Winkelhaken mit den gesetzten Wörtern „I paint flowers so they will not“ gehalten wird.) Da steht ein Satz, nämlich:  „I paint flowers so they will not die.“ Ich weiß nicht, wer aus Ihrem Ministerium das erstellt hat, aber dieses Zitat stammt von einer bekannten Marxistin, nämlich Frida Kahlo, aus Mexiko. (Bundesrat Pisec: Der Herr Hammerl freut sich sicher! Bundesrat Mayer: We don’t paint flowers! – Weitere Zwischenrufe bei der ÖVP.)


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Wenn wir uns die Kapitalverteilung und die Arbeitsberichte in diesem Sozialbericht anschauen, dann sehen wir, dass es wirklich ganz, ganz dringend eine richtige und wirklich linke Sozialpolitik für die Österreicherinnen und Österreicher braucht. Das wäre dringend nötig. Vielen Dank. (Beifall bei den Grünen und bei Bundesräten der SPÖ.)

16.58


Präsidentin Sonja Ledl-Rossmann: Als Nächster zu Wort gemeldet ist Herr Bun­desrat Pfister. Ich erteile es ihm.

 


16.58.40

Bundesrat René Pfister (SPÖ, Niederösterreich): Liebe Frau Präsidentin! Herr Minis­ter! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Die Ausführungen von Gregor Hammerl und David Stögmüller sind nur zu unterstreichen. Ich möchte mich ja beim Sozialbericht – wie kann es anders sein? – ein bisschen mit dem Thema Arbeit beschäftigen, mit der Frage, was uns die Zukunft der Arbeit bringt. Ich möchte auch versuchen, Ihnen den Bericht, der sehr umfangreich ist und uns allen wirklich als tolle Arbeitsgrundlage dient, vielleicht etwas näherzubringen, weil vielleicht der eine oder andere nur die Über­schriften gelesen hat, nicht ganz fertiggelesen hat und nicht bemerkt hat, dass es auch Lösungsansätze, Lösungsvorschläge und vor allem auch bereits erkennbare Verbes­serungen dazu gegeben hat, die wir auch in der letzten Bundesratssitzung diskutiert haben.

Als der Herr Finanzminister hier war, hat er uns nachweislich gesagt, dass allein die Lohnsteuerreform mit 1. Jänner 2016, wie man Ende des Jahres gesehen hat, in Österreich zu einem weiteren positiven Wirtschaftswachstum von rund 0,6 Prozent beigetragen hat.

Im Hinblick auf die Zukunft der Arbeitswelt werden unter dem Schlagwort „Arbeit 4.0“ aktuelle und künftige Veränderungen der Arbeitswelt durch verstärkte Anwendung von Informations- und Kommunikationstechnologien zusammengefasst. Den medial ver­breiteten Schreckensszenarien, uns ginge die Arbeit aus, stehen massenweise Unter­suchungen gegenüber, die moderate Beschäftigungswirkungen voraussagen. Es wer­den allerdings Tätigkeiten wegfallen, ja, das wird so sein. Es wird aber neue Beschäf­tigung dazukommen, liebe Kolleginnen und Kollegen, und damit wird es Verlie­rerInnen und auch GewinnerInnen der Rationalisierung geben. Aber Kernpunkt dabei ist: Bildung und Weiterbildung von Beschäftigten wie auch von Arbeitslosen sind von hoher Bedeutung. Wenn es darum geht, den permanenten Wandel zu bewältigen, haben auch da sozial benachteiligte Menschen einen Startnachteil.

Was tun, liebe Kolleginnen und Kollegen? – Wie die Verteilung von Einkommen, Ver­mögen, Arbeit und Lebenschancen in einer Gesellschaft organisiert ist, zählt meiner Meinung nach zu den politischen Kernaufgaben unserer Demokratie. 83 Prozent der Bevölkerung sagen, es sei Aufgabe der Regierung, es sei Aufgabe des Parlaments, es sei Aufgabe von uns allen, die Einkommensunterschiede zu reduzieren.

Liebe Kolleginnen und Kollegen! Wir diskutieren hier darüber, was leistbar ist und was nicht leistbar ist, über den Sozialstaat der Zukunft, und ich habe mir erlaubt, eine Seite aus dem Sozialbericht auszudrucken. Uns Jungen erzählt man immer wieder, wenn es um Pensionen geht, das sei alles nicht mehr leistbar, die Reformen gingen zu langsam, und so weiter. Liebe Kolleginnen und Kollegen, wenn ihr euch das genau angeschaut hättet, dann würdet ihr sehen, dass genau diese A4-Seite eine ganz andere Sprache spricht, darauf stehen nämlich die wichtigsten Reformen, die umgesetzt wurden: das neue Pensionskonto, Invaliditätspension Neu, Erschwerung des Zuganges zur Hackler­regelung, Erschwerung des Zuganges zur Korridorpension, fit2work-Program­me – und, und, und.


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Bitte jetzt zuhören: Das tatsächliche Pensionsantrittsalter stieg 2015 im Vergleich zu 2014 um rund sechs Monate, nämlich auf 60 Jahre und zwei Monate. Die tiefgreifen­den Reformmaßnahmen der letzten Jahre werden in den nächsten Jahren in der Pensionsstatistik voll sichtbar: Die Menschen gehen später in Pension. Der Anstieg des Zugangsalters bei der Invaliditätspension ergibt sich durch eine reduzierte Anzahl der Antritte. Das heißt, diese Reformen greifen. Der Zugang zur Schwerarbeiter­pension bewegt sich nach wie vor auf niedrigem Niveau, weit unter dem, was pro­gnostiziert worden ist.

Zusammenfassend, liebe Kolleginnen und Kollegen: Die Reformen im Pensionssystem greifen, das Ziel ist klar: Versicherte sollen länger gesund arbeiten können, Krank­heiten sollen verhindert und Kranke sollen rehabilitiert werden.

Liebe Kolleginnen und Kollegen! Die Lektüre dieses A4-Papiers lege ich jedem wärmstens ans Herz, damit er in der Argumentation am Wirtshaustisch, am Stamm­tisch oder bei irgendwelchen Reden dann auch von den tatsächlichen Zahlen spricht, von dem, was dieser Sozialbericht tatsächlich aussagt.

Betreffend Mindestlohn und Armutsbekämpfung: Mindestens 400 000 Menschen in der Privatwirtschaft erzielen auf Basis von Vollzeitbeschäftigung einen Bruttolohn von weniger als 1 500 €, mehr als 650 000 Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer erhalten weniger als 1 700 € Bruttolohn.

Liebe Kolleginnen und Kollegen! Kaufkraftstärkung und Investitionen in die Real­wirt­schaft passieren nicht durch die Vermögenden. Kaufkraftstärkung passiert nur dann, wenn die Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer in die Realwirtschaft investieren, nämlich in das, was wir tagtäglich benötigen, Kleidung, Essen, eben um unsere Grund­be­dürfnisse zu stillen. Und genau mit der Lohnsteuerreform 2016 wurde diese Kaufkraft gestärkt und auch das Wirtschaftswachstum angekurbelt. Das ist aber nicht das Ende der Fahnenstange, in Aus- und Weiterbildung zu investieren ist ein Gebot der Stunde, und natürlich auch diese Arbeit gerecht zu verteilen, denn Arbeit ist genug vorhanden: Die Zahl der Überstunden auf den verschiedenen Überstunden- und Gutzeitkonten explodiert. Die Arbeit muss gerecht verteilt werden, nämlich so, dass nicht ganz wenige viel haben und viele wenig haben, sondern dass es da einen Ausgleich gibt, dass man von der Arbeit, die man tagtäglich macht, auch leben kann, dass man in der Früh gesund in die Arbeit kommt und am Abend nach einem Acht- oder Zehnstundentag, der mittlerweile auch überall gang und gäbe ist, auch wieder gesund von der Arbeit nach Hause kommt.

Liebe Kolleginnen und Kollegen! Die Arbeitslosenstatistik zeigt uns, dass wir hier Handlungsbedarf haben, der Sozialbericht zeigt uns aber auch, dass wir diesen Handlungsbedarf sehr wohl auch erkannt haben. Wenn die Arbeitslosenzahlen im Jugendlichenbereich zurückgehen, ebenso im Altersbereich zwischen 40 und 44 Jah­ren, dann sieht man, die ersten Maßnahmen greifen. Es wäre aber sehr kurzsichtig, wenn ich mich hier herstellen und im März 2017 sagen würde, das sei alles ein Blödsinn, was in den letzten Jahren passiert ist, denn genau diese Maßnahmen basie­ren auch darauf, dass wir nicht einen Schalter umlegen können oder der Sozialminister ein Gesetz machen kann, das dafür sorgt, dass am nächsten Tag auf einmal Milch und Honig fließen.

Abschließend, liebe Kolleginnen und Kollegen: Österreich ist ein reiches Land, die Pro-Kopf-Einkommen sind höher als jemals zuvor in der Geschichte Österreichs, und beträchtliche private Vermögen wurden seit Jahrzehnten kontinuierlich aufgebaut. Das darf jedoch nicht den Blick darauf verstellen, dass die Einkommen und die Ein­kommenschancen sehr ungleich und die Vermögen extrem ungleich verteilt sind. Die acht Studien dieses Sozialberichts ergeben nicht nur ein umfassendes Bild über die


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Verteilungsfragen und Lebensbedingungen in Österreich, sondern behandeln auch die Finanzierung und vor allem auch die Finanzierbarkeit des Sozialstaates.

Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich würde mir wünschen, gemeinsam mit euch, dass Reichtum und Vermögen so gut analysiert, in Statistiken aufgearbeitet und so gut durchleuchtet werden, wie es mit den Mindesteinkommen, mit den Mindestsicherungs­beziehern, mit den Arbeitszeiten und all diesen Dingen geschieht. Ich würde mir wünschen, dass es umfangreiche Statistiken darüber gibt, wie sich Vermögen anhäuft, wo das Vermögen geparkt ist und wo dieses Vermögen vorhanden ist.

Dieser Bericht analysiert unseren Sozialstaat, zeigt auf, wer unter den Folgen der Krise leidet, thematisiert die kommenden Herausforderungen und wie die Arbeitswelt durch die Digitalisierung verändert wird.

Lieber Herr Bundesminister! Herzlichen Dank für diesen umfangreichen Sozialbericht als Arbeitsgrundlage für das Jahr 2017 und für die Sozialgesetzgebung! Ich wünsche mir weiterhin eine so erfolgreiche Arbeit, dass die kritischen Zahlen aus dem Bericht 2015/2016 nicht wachsen, sondern kleiner werden, dass die Verteilungsgerechtigkeit größer wird, dass es eine gerechte Verteilung der Arbeit gibt, Arbeit für alle, und dass die Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer auch einen gerechten Anteil von diesem Erfolg bekommen. (Beifall bei der SPÖ.)

17.08


Präsidentin Sonja Ledl-Rossmann: Als Nächste zu Wort gemeldet ist Frau Bun­des­rätin Kern. Ich erteile es ihr.

 


17.08.16

Bundesrätin Sandra Kern (ÖVP, Niederösterreich): Sehr geehrte Frau Präsidentin! Geschätzter Herr Minister! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Können wir stolz sein auf unsere Sozialleistungen? – Ja. Haben wir eine Verantwortung, dass auch unsere Kinder und Enkelkinder diese Sozialleistungen noch in Anspruch nehmen können? – Ja. Und: Müssen wir bei unseren Sozialleistungen treffsicherer werden? – Ja.

Sozial ist, was Arbeit schafft, das ist für uns oberste Maxime in der Arbeitnehmer­ver­tretung. Ich denke, das muss auch oberste Maxime für die Bundesregierung sein und oberste Priorität für das Sozialministerium haben.

Wir haben heute schon oft gehört, dass wir in einer Zeit von Veränderungen leben, und ich glaube, dass andere Zeiten auch neue Antworten brauchen werden.

Wir als bürgerliche Arbeitnehmervertretung haben folgende Grundsätze: Wir wollen die Leistungswilligen fördern und natürlich auch denen helfen, die Hilfe brauchen. Wir trauen den Menschen Selbstbestimmung und Eigenverantwortung zu, und wir wollen nicht alles zentral reglementieren. Wir sehen den Unternehmer als Partner und nicht als Klassenfeind, und wir sehen die Zukunft als Chance und nicht als Gefahr.

Ich darf den ersten Teil meiner Rede weglassen, weil zum Thema Arbeitsmarkt schon sehr, sehr viel gesagt worden ist. Ich unterstreiche da viele Dinge, ich glaube auch, dass Qualifizierung und Weiterbildung die wichtigsten Antworten darauf sind. Ich darf aber auf zwei Bereiche schon genauer eingehen. Es wäre jetzt langweilig, wenn ich nicht über die Mindestsicherung reden würde.

Wir und auch der Rechnungshof haben festgestellt, dass im Jahr 2015 fast 56 Prozent aller Mindestsicherungsbezieher in Wien gelebt haben, und wir sehen und auch der Rechnungshof sieht das, dass die Zahlen in Wien explodieren und dass die Ver­antwortlichen im Bund und im Land nur zuschauen. Die Bundesländer haben treff­sichere Maßnahmen beschlossen, und ich darf noch einmal darauf hinweisen: Sozial ist, was Arbeit schafft. Wir haben in Niederösterreich eine Vereinbarung getroffen, dass


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Mindestsicherungsbezieher – wir haben es gesetzlich verankert – einer gemeinnüt­zigen Beschäftigung nachgehen dürfen, weil wir glauben, dass Arbeit sinnstiftend ist, weil wir davon ausgehen, dass Arbeit das beste Mittel zur Integration ist.

Ich darf noch einmal unsere anderen Maßnahmen, die wir beschlossen haben, kurz zusammenfassen und auch sagen, warum wir sie beschlossen haben. Wir haben einen Deckel von 1 500 € an Geldleistungen pro Haushalt beschlossen, weil wir der Meinung sind, dass Sachleistungen oft sinnvoller sind als Geldleistungen, weil wir der Meinung sind, dass Einkommen aus Arbeit höher sein müssen als Einkommen aus Sozialleis­tungen. Wir wissen, und das weiß jeder Arbeitnehmervertreter hier herinnen, dass wir nicht mehr Gehalt bekommen, weil wir mehr Kinder haben – darum die 1 500 € pro Haushalt.

Weiters haben wir uns verpflichtet – ich habe es schon angesprochen –, Mindest­siche­rungsbezieher zur gemeinnützigen Arbeit zuzulassen. Uns ist immer vorgeworfen worden, dass es uns darum geht, nur Flüchtlinge in gemeinnützige Arbeit zu bekom­men. Es geht uns um alle Mindestsicherungsbezieher, weil wir davon ausgehen, dass Arbeit eines der zentralen Bedürfnisse von Menschen ist.

Wir glauben auch, wenn man Leistungen vom Staat entgegennimmt, dass man erwarten kann, dass derjenige dann auch dem Staat etwas zurückgibt, denn wir alle oder der Großteil von uns da herinnen ist wahrscheinlich auch irgendwo gemeinnützig in einem Verein tätig, hilft irgendwo, bei der Feuerwehr oder wo immer; wir machen diese gemeinnützige Arbeit auch.

Unsere dritte Forderung, und das haben wir auch in Niederösterreich beschlossen, ist: Mindestaufenthalt von 5 Jahren als Voraussetzung für den vollen Bezug der Mindest­sicherung. Es ist nämlich schwierig, wenn ich meiner Oma, die 40 Jahre gearbeitet hat, erklären muss, dass sie weniger als ein Mindestsicherungsbezieher bekommt.

Danke für die Initiative der Mindestpension, da sind wir voll mit dabei, aber auch da wünschen wir uns einen Unterschied.

Ich darf auch – irgendwer hat es heute schon angesprochen – auf das Thema der Artikel-15a-Vereinbarung noch kurz eingehen. Wir sehen es nicht als fair an, dass Bundesländer, die eine andere Regelung beschlossen haben, eine verantwortungs­volle Regelung beschlossen haben, jetzt für die Länder bezahlen sollen, von denen noch immer ein höherer Beitrag ausbezahlt wird. Wir sehen nicht ein, dass die niederösterreichischen Steuerzahler für die Versäumnisse in Wien aufkommen sollen. (Beifall bei der ÖVP.)

Wir wünschen uns – ich bin der Überzeugung, dass es notwendig sein wird –, dass wir eine bundesweite Regelung zur Mindestsicherung finden. Das ist meine große Bitte an Sie, Herr Minister. Ich weiß, wir waren knapp davor, aber vielleicht kommt es noch zu einer gemeinsamen Regelung. (Bundesrätin Kurz: Das ist ein Scherz! – Bundesrat Todt: ... Man soll sich an den Besten orientieren! – Bundesrat Stögmüller: Es war euer Landeshauptmann, der es verhindert hat!) – Der es verhindert hat? (Bundesrätin Kurz: Ja, genau! Der Landeshauptmann von Niederösterreich!) – Unterschiedliche Standpunkte führen zu unterschiedlichen Wahrnehmungen. (Bundesrat Todt: Wir schimpfen nicht auf Niederösterreich!) – Danke.

Ich darf noch ganz kurz auf das Thema Arbeitswelt 4.0 eingehen, das auch einen großen Bereich im Sozialbericht darstellt. Ich glaube auch, dass das Thema Arbeitszeit ein Thema ist, das wir diskutieren sollten. Wir haben dazu ein Modell präsentiert, das sich an der EU-Arbeitszeitrichtlinie orientiert, und dabei sind uns drei Dinge wichtig. Wir reden immer von 12 Stunden pro Tag. Wir würden uns wünschen, dass wir fixieren, dass die Wochenarbeitszeit von 38,5 beziehungsweise 40 Stunden bleiben muss. Wir


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würden uns wünschen, dass die Ruhezeiten von 11 Stunden wie auch die Wochen­endruhezeiten fix bleiben. Wir würden uns wünschen, dass auch die Überstunden­zuschläge, so wie sie jetzt in den Kollektivverträgen geregelt sind, gleich bleiben. Und wir wünschen uns eine Durchrechnung von vier Monaten, weil wir glauben, dass das die Spitzenzeiten der Wirtschaft gut abdeckt und für unsere Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer eine gute Lösung darstellt.

Abschließend darf ich noch einmal kurz anführen: Sozial ist, wer sich darum kümmert, dass Menschen in Beschäftigung kommen. Sozial ist, wer darauf achtet, dass Arbeit ordentlich entlohnt wird, und sozial ist, wer den Menschen Eigenverantwortung und Freiheit zugesteht, ihr Leben selbst in die Hand zu nehmen. – Danke. (Beifall bei der ÖVP.)

17.15


Präsidentin Sonja Ledl-Rossmann: Zu Wort gemeldet ist nun Herr Bundesminister Stöger. – Bitte, Herr Minister.

 


17.15.18

Bundesminister für Arbeit, Soziales und Konsumentenschutz Alois Stöger, diplômé|: Frau Präsidentin! Hohes Haus! Wir reden über den Sozialbericht, und ich bin Bundesrat Hammerl sehr dankbar – das hat mich richtig gefreut –, dass er darauf hingewiesen hat, dass es den Sozialbericht seit 50 Jahren gibt. Die erste Frau im Sozialministerium, nämlich Grete Rehor, hat diesen eingeführt. Wenn man nämlich über die soziale Situation Bericht erstattet, auch in öffentlichen Gremien, dann bekommt man Sensibilität für das Soziale, dann hält man das Soziale mehr hoch und dann wird einem bewusst, dass man an dem Thema ständig dranbleiben muss und man sich mit der sozialen Situation der Menschen in dem Land immer wieder aus­einan­dersetzen muss; daher mein Respekt, dass man damals damit begonnen hat. Das war auch ein Beitrag dazu, dass wir für die soziale Situation in unserem Land mehr Gespür bekommen. Ich glaube, die Menschen brauchen das, und das ist auch ein Gradmesser für die soziale Verfasstheit unseres Landes.

Ich bedanke mich an dieser Stelle bei allen, die sich bei den Mitarbeitern meines Hauses, die den Bericht erarbeitet haben und bei den Wissenschaftern, die daran mitgewirkt haben, bedankt haben. Ich bedanke mich auch bei den Menschen – ich sage das ganz bewusst –, die in Österreich Verantwortung übernehmen und so aktiv daran mitwirken, dass wir ein sozialer Staat sind. Das sind Gemeinderäte, das sind Leute bei der Feuerwehr, das sind Leute beim Roten Kreuz, in den Krankenhäusern, in den Sozialeinrichtungen, in den Beratungsstellen – und ich habe jetzt sicher sehr viele vergessen. Sie alle zusammen leisten einen Beitrag, damit Österreich ein soziales Land ist und dass wir diese positive Erfahrung machen dürfen, dass uns manche im Ausland gar nicht glauben, wie gut unsere Sozialleistungen für die Menschen sind. Trotzdem gibt es immer wieder Menschen, die diese Leistungen im Alltag nicht bekommen, weshalb wir sensibel sein müssen, und auch das zeigt der Sozialbericht immer auf.

Ich begrüße alles, was zum Thema Arbeitsmarkt gesagt wurde. Ich glaube, die Bun­des­regierung hat deutlich gemacht, dass wir am Arbeitsmarkt sehr, sehr viel tun müs­sen.

Das Zweite, was der Sozialbericht aussagt – als ich im Nationalrat den Sozialbericht vorgestellt habe, war ich auch für die Frauenagenden zuständig; ich sage es deutlich dazu –: Wir merken, dass eine der größten Ungerechtigkeiten in diesem Land dadurch begründet ist, wie wir unsere Kindererziehung organisieren. Wir müssen da sensibel bleiben. Die Bundesregierung bemüht sich, da mehr zu tun, das ist aber auch eine wichtige Aufgabe der Bundesländer. Ich bitte Sie, in Ihren Ländern dafür zu kämpfen,


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dass mit der richtigen Art der Kindererziehung die Frauen entlastet werden. Es ist ein paar Mal gesagt worden, und ich glaube, dass das wichtige Elemente sind, bei denen wir etwas tun können.

Es ist angesprochen worden, dass Bildung auch eine Frage von mehr Gerechtigkeit ist und dass Bildung auch ein Mittel zur Armutsbekämpfung ist. Deshalb bemühen wir uns in der Arbeitsmarktpolitik so, gerade den Jungen, die vielleicht schlechte Erfahrungen in der Schule gemacht haben, mit der Ausbildungspflicht eine Unterstützung zu geben. Ich glaube, das ist ganz wichtig.

Wir haben über Pensionen gesprochen. Da kann man lange streiten, aber eines ist schon klar: Wir haben in Österreich ein stabiles Pensionsmodell, bei dem wir das eine oder andere immer wieder anpassen müssen – was wir auch tun –, aber wir haben es stabil gehalten, und das wollen wir auch in der Zukunft machen.

Wir haben im Bereich der Pflegevorsorge sicher noch Aufgaben zu erfüllen. Auch da braucht es Sensibilität. Wir haben hier schon viele Maßnahmen gesetzt – ich denke nur an die Verlängerung des Pflegefonds, ich denke nur an das Pflegegeld –, und es wird trotzdem in Österreich noch immer Menschen geben, die zwar Pflegegeld beziehen, aber zu wenig Pflege erhalten. Auch da muss man genau hinschauen, wo die Probleme liegen und wo man noch vernünftige Maßnahmen setzen muss.

Ich glaube, was auch wichtig ist – darauf möchte ich auch hinweisen –, ist, dass wir Social Investment Bonds machen, Social Innovation betreiben, auch bei der Frage: Wie geht es Frauen bei häuslicher Gewalt? Wir wissen, dass es viele Frauen in Österreich gibt, die Gewalt ausgesetzt sind. Auch mit diesen Themen müssen wir sen­sibel umgehen.

Jetzt kommen wir zur Vermögensverteilung. Wir wissen, das Vermögen in Österreich ist relativ ungerecht verteilt. Man kann darüber streiten, ob die Statistiken stimmen, ja oder nein, aber ich glaube, es ist ein wichtiger Punkt, sozialpolitisch da hinzuschauen. Und weil wir wissen, dass 300 000 Menschen, obwohl sie 40 Stunden arbeiten, nicht 1 500 € Mindestlohn bekommen, ist es auch wichtig, dieses Thema der Entlohnung in den Mittelpunkt zu bringen. (Bundesrat Herbert: Steuern senken!)

Herr Abgeordneter Stögmüller! Mir ist es wichtig, dass wir nachdenken: Wollen wir wirklich, dass die Bundesregierung die Löhne bestimmt? – Ich glaube, das ist nicht gut. Ich glaube, dass es besser ist, wenn wir ein sozialpartnerschaftliches System haben, in dem die Löhne entwickelt werden, in dem wir Gewerkschaften haben, in dem es aber auch Arbeitgebervertreter gibt und in dem diese miteinander aushandeln: Was ist möglich? (Beifall bei der SPÖ und bei Bundesräten der ÖVP.)

Mir ist ein sozialpartnerschaftliches System dreimal lieber, als es würde die Bundes­regierung – der ich selber angehöre – das bestimmen. Ich halte demokratiepolitisch diese anderen Maßnahmen für geeignet. (Bundesrat Stögmüller: Wenn etwas weitergeht! Wenn auch etwas weitergeht!) Ich sage aber auch einen Satz dazu: Das Recht, Kollektivverträge abzuschließen, beinhaltet auch die Pflicht, Kollektivverträge abzuschließen – in der richtigen Höhe. Ich bin daher dankbar, dass der Präsident der Wirtschaftskammer Christoph Leitl und der Präsident des Gewerkschaftsbundes gesagt haben, sie wollen bis 30. Juni einen Vorschlag für den Mindestlohn machen. (Beifall bei der SPÖ sowie des Bundesrates Mayer.)

Da werden wir hinschauen müssen, und da müssen wir auch die Sozialpartnerschaft stärken, damit die Sozialpartner auch in der Lage sind, die richtigen Arbeitsbedin­gun­gen insgesamt zu schaffen. Das ist aus meiner Sicht noch einmal wichtig. Wir werden sehr, sehr viel tun, um das Thema Beschäftigung in den Mittelpunkt zu stellen.


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Ich möchte abschließend zwei Dinge sagen. Ich könnte stark ins Detail gehen und parteipolitische Polemik betreiben. Ich möchte das nicht tun, weil es ehrlich gesagt nichts bringt. Denken wir darüber nach – gerade hier im Bundesrat sage ich das – bei der Frage der Bedarfsorientierten Mindestsicherung: Da kann man sich sehr, sehr leicht zerstreiten, und da kann man sehr, sehr gute Spielchen betreiben. Manche Gemeinden schicken Menschen in die Städte. Ich glaube, wir haben es in Österreich nicht nötig, diese Diskussion zu führen.

Ich glaube, es wäre wichtig, auch hier im Bundesrat dafür einzutreten, dass es auch eine gemeinsame Verantwortung der Länder für die soziale Situation gibt, und dass es nicht gescheit ist, dass man Vereinbarungen, die die Länder miteinander getroffen haben über die Frage, wie man mit Sozialhilfe umgeht, wenn jemand – ich sage es jetzt aus der Sicht von Oberösterreich – von Enns nach Ennsdorf zieht oder zurück, nicht fortsetzt. Das ist nicht gescheit. Das ist für niemanden gescheit, wenn wir solche Diskussionen haben.

Ich bitte Sie – das meine ich als Bitte –, egal, wo jeder wirkt, darüber nachzudenken, ob Österreich ein Land ist, in dem wir uns gegenseitig spalten, oder ob es nicht vielmehr um die Frage geht: Was können wir hier herinnen, jeder von uns, wo immer er steht, für Verantwortung übernehmen, damit wir auch eine gemeinsame Sozialpolitik und auch einen gemeinsamen Umgang mit Menschen, die es nicht so leicht haben, schaffen? (Beifall bei SPÖ und Grünen.)

Da ist jeder verantwortlich, egal, ob er Mitglied eines Gemeinderates oder Bürger­meister ist oder wo auch immer – auch hier – sitzt. Ich glaube aber, dass der Bundes­rat in dieser Frage eine ganz wichtige Funktion hat. Darum bitte ich Sie, eine tiefe Diskussion über die soziale Lage in Österreich zu führen. Den Sozialbericht herzhaft zu diskutieren ist allemal besser, als nicht über die soziale Lage der Menschen in Österreich zu reden. – In diesem Sinne herzlichen Dank. (Beifall bei SPÖ und Grünen sowie der Bundesräte Hammerl und Zwazl.)

17.25

17.25.15

 


Präsidentin Sonja Ledl-Rossmann: Weitere Wortmeldungen liegen dazu nicht vor.

Wünscht noch jemand das Wort? – Das ist nicht der Fall. Somit ist die Debatte ge­schlossen.

Wir gelangen nun zur Abstimmung.

Ich ersuche jene Bundesrätinnen und Bundesräte, die dem Antrag zustimmen, den gegenständlichen Bericht zur Kenntnis zu nehmen, um ein Handzeichen. – Das ist die Stimmenmehrheit. Der Antrag ist somit angenommen.

17.25.3812. Punkt

Antrag der Bundesräte Werner Herbert, Kolleginnen und Kollegen betreffend ein Bundesgesetz, mit dem das Bundesgesetz über die mit gerichtlicher Strafe bedrohten Handlungen (Strafgesetzbuch – StGB), BGBl. Nr. 60/1974, geändert wird (202/A-BR/2014 sowie 9746/BR d.B.)

 


Präsidentin Sonja Ledl-Rossmann: Nunmehr gelangen wir zum 12. Punkt der Tagesordnung.

Berichterstatter ist Herr Bundesrat Herbert. – Ich bitte um den Bericht.

 


17.25.56

Berichterstatter Werner Herbert: Frau Präsidentin! Geschätzte Kolleginnen und Kollegen! Ich erstatte den Bericht des Justizausschusses über den Antrag der Bun­desräte Werner Herbert, Kolleginnen und Kollegen betreffend ein Bundesgesetz, mit


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dem das Bundesgesetz über die mit gerichtlicher Strafe bedrohten Handlungen ge­ändert wird (202/A-BR/2014).

Konkret geht es in diesem Antrag darum, den Tatbestand der Verleumdung um einen qualifizierten Tatbestand zu erhöhen, nämlich jenen, in dem es darum geht, Beamten der Hoheitsverwaltung absichtlich eine mit Strafe bedrohte Handlung zu unterstellen.

Der Antrag liegt in schriftlicher Form vor, deshalb komme ich zur Antragstellung.

In der Sitzung des Justizausschusses vom 14. März 2013 fand allerdings dieser Antrag keine Mehrheit (Bundesrat Mayer: Der ist längst überholt!) – ich berichte nur; du kannst dich dann ja zu Wort melden! –, weshalb der Justizausschuss mit Stimmen­mehrheit den Antrag stellt, der Bundesrat wolle dem Antrag keine Zustimmung er­teilen.

 


Präsidentin Sonja Ledl-Rossmann: Vielen Dank für den Bericht.

Wir gehen in die Debatte ein.

Zu Wort gemeldet ist Herr Bundesrat Herbert. – Bitte.

 


17.27.22

Bundesrat Werner Herbert (FPÖ, Niederösterreich)|: Frau Präsidentin! Geschätzte Kolleginnen und Kollegen! Kollege Mayer hat es gar nicht erwarten können mit dem Zwischenruf, es ist ja unglaublich. Dabei war es ja nur die Berichterstattung.

Aber jetzt, Kollege Mayer, in aller Kürze: ... (Bundesrätin Zwazl: Das sind nur Dro­hungen!) – Frau Präsidentin! Bewahren Sie Contenance! (Heiterkeit.) Nicht aufgeregt sein! Es tut nicht weh, Frau Präsidentin, ich verspreche es Ihnen!

Worum geht es in diesem Antrag? – Es gibt den Tatbestand der Verleumdung, wonach jemand, der einem anderen absichtlich eine strafbare Handlung unterstellt, obwohl er weiß, dass das so nicht stimmt, eine mit Strafe bedrohte Handlung begeht. Das gilt für jedermann. Dann gibt es noch die straferhöhenden Umstände: Wenn eben die Strafdrohung, die mit der in diesen Anschuldigungen unterstellten Handlung verbunden ist, eine gewisse Strafhöhe übersteigt, dann gibt es eine strafverschärfende Bestim­mung.

Jetzt ist es aber so, dass gerade Beamte der Hoheitsverwaltung, und da insbesondere jene der Polizei und der Justiz, in den letzten Jahren immer öfter absichtlich vermeint­lich begangener strafbarer Handlungen beschuldigt wurden, teilweise weil sich Ver­dächtige erhofft haben, sich damit einen strafrechtlichen oder verfahrensrechtlichen Vorteil zu verschaffen, oder aber auch, um sich einfach an dem Beamten zu rächen, der eben dafür verantwortlich ist, dass ein Straftäter eingesperrt oder einer Straf­verfolgung unterzogen wird.

Es geht da um eine Sache, die mit sehr großen Nachteilen für die betroffenen Beamten einhergeht. Ich rede da gar nicht so sehr von den strafrechtlichen – das lässt sich wahrscheinlich im Laufe einer gewissen Zeit aus der Welt schaffen –, aber meist haben solche Sachen auch dienstrechtliche Konsequenzen: Der Beamte wird woandershin versetzt, wird von seinem ursprünglichen Arbeitsplatz abgezogen, hat vielleicht dann noch einen finanziellen Nachteil, weil er einen Rechtsanwalt braucht, der ihn in dieser Sache unterstützt, und schlussendlich bleibt dann vielleicht, so nach dem Motto: Irgendwas wird schon dran gewesen sein!, auch das eine oder andere hängen, das ihm bei der anstehenden Beförderung zum Nachteil gereicht.

Daher, glaube ich, ist es wichtig und wäre nicht nur im Sinne der Sache eine Notwen­digkeit, sondern auch im Sinne der Wertschätzung gegenüber Beamten, die in Vollzie­hung der Hoheitsverwaltung für die Einhaltung der rechtlichen Regeln eintreten, ihnen


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durch die Schaffung dieser Bestimmung (Bundesrat Mayer: ... ist in Begutachtung!) nicht nur entsprechende Wertschätzungen zuteilwerden zu lassen, sondern ihnen auch Rechtssicherheit bei der Ausübung ihres Berufes zu geben. (Bundesrat Mayer: Das Strafgesetz ist in Begutachtung!)

Dem Kollegen Mayer, der aufgeregt sagt, das hat sich schon alles überholt, kann ich sagen: Es ist schön, Kollege Mayer, dass mein 2014 eingebrachter Antrag es immerhin so weit gebracht hat, dass es 2015 zu einer Verbesserung des Verleumdungs­tat­bestandes kam.

Allerdings ist das nicht das, was in diesem Antrag steht. Es erfolgte 2015 eine gene­relle Straferhöhung, nämlich für alle Verleumdungen, wenn die fälschlich angelastete strafbare Handlung mit einer Freiheitsstrafe von mehr als einem Jahr bedroht ist. Das heißt aber nicht, dass deswegen der Beamte in solchen Fällen einen besonderen Schutz genießt. Genau darauf zielt aber dieser Antrag ab: dass ein Beamter, der in Vollziehung der Hoheitsverwaltung tätig ist, da besonderen Schutz genießt – zur Gewährung von Sicherheit bei seiner Tätigkeit und als Wertschätzung für seine Arbeit. Nicht mehr und nicht weniger.

Obwohl der Ausschuss sich negativ zu diesem Antrag geäußert hat, hoffe ich – die Hoffnung stirbt zuletzt –, dass sich vielleicht das Plenum doch noch eines Besseren besinnt und unseren Beamten der Hoheitsverwaltung, insbesondere den Polizisten und Justizwachebeamten, aber auch allen anderen, wie zum Beispiel Gerichtsvollziehern, mit diesem Antrag jene Wertschätzung zuteilwerden lässt, die ihnen auch wirklich gebührt. – Danke schön. (Beifall bei der FPÖ.)

17.31


Präsidentin Sonja Ledl-Rossmann: Zu Wort gemeldet ist nun Herr Bundesrat Mag. Fürlinger. Ich erteile ihm dieses.

 


17.31.32

Bundesrat Mag. Klaus Fürlinger (ÖVP, Oberösterreich): Sehr geehrte Frau Präsi­dentin! Geschätzte Kolleginnen und Kollegen! Ich glaube, es ist völlig unstrittig und im Sinne aller, denn kein Mensch hat Interesse daran, dass Beamte, Polizeibeamte, die in besonderer Art und Weise vielen Anforderungen ausgesetzt sind, nicht ordentlich geschützt sind.

Ich habe aber, glaube ich, im Ausschuss ganz nüchtern juristisch dargelegt, warum dieser Antrag eigentlich – ich möchte es jetzt gar nicht bösartig formulieren – in Wirklichkeit überflüssig ist: aus dem einfachen Grund, weil es genau das, Herr Kollege, was Sie beantragen und fordern – Herr Kollege Raml aus Ihrer Fraktion wird Sie sicherlich gerne darüber belehren können –, bereits gibt. (Bundesrat Herbert: Nein, gibt es nicht! Nur zum Teil!) – Herr Kollege, bitte! Ich erspare uns im Sinne der vor­geschrittenen Stunde die Verlesung des § 297 des Strafgesetzbuches, der nämlich genau das beinhaltet, was Sie wollen.

Warum wir in diesem Paragraphen irgendeine Sonderbestimmung schaffen sollten, die extra für Beamte fast wortgleich wieder gemacht wird, müssen Sie mir erklären. Kollege Raml hat uns aus wissenschaftlicher Sicht bei einer der letzten Debatten gerügt, weil wir beim Strafgesetzbuch und bei der Strafprozessordnung partiell immer wieder Fleckerlteppichnovellen machen. Sie, Herr Kollege, wollen uns jetzt nicht noch einen Fleckerlteppich, sondern nur eine Franse verkaufen, eine Franse, die überflüssig ist. (Bundesrat Herbert: Das ist nicht überflüssig!)

Ich sage Ihnen hinsichtlich dessen, was Sie hier am Rednerpult geschildert haben – vom armen Beamten, der dann im Stich gelassen wird und finanzielle Nachteile hat –, auch ganz klar dazu: Kollege, bitte nicht jeden Boulevardbericht eins zu eins ins


BundesratStenographisches Protokoll865. Sitzung / Seite 141

Parlament bringen! (Bundesrat Herbert: Das sind Erfahrungen! Ich bin seit 15 Jahren Personalvertreter!) – Dann weiß ich nicht, wo Sie sind. Ich kann es nur aus ober­österreichischer Sicht der Personalvertreter sagen: Dort wird jeder Beamte ... (Bun­desrat Herbert: Sind Sie Personalvertreter, Herr Kollege? – Sind Sie nicht!) – Kollege, Sie dürfen dann gerne auf meine Ausführungen replizieren. (Bundesrat Herbert: ... jeden Blödsinn erzählen!)

Es ist ganz klar, dass die Personalvertretung und die Gewerkschaft Öffentlicher Dienst diese Beamten durch Rechtsbeistand schützen: Der Beamte muss nicht selbst einen Anwalt bezahlen, denn diesen bekommt er. Und es gibt keinen Strafrichter dieser Republik, der wegen irgendeines ersten Verdachts aufgrund einer Aussage von irgend­jemandem, der sich von einem Polizisten schlecht behandelt fühlt, irgendein Verfahren einleitet. Da malen Sie schon Szenarien an die Wand, die ich für sehr übertrieben halte.

Aber summa summarum, noch einmal: Selbst dann, wenn es so wäre, wie Sie sagen, Herr Kollege, würde das nichts daran ändern, dass es den Tatbestand gibt. Verurteilt wird also derjenige, der ihn verleumdet, sowieso, ob wegen Verleumdung gemäß § 297 oder wegen Ihres Klons der Verleumdung in einem Absatz 3. Verurteilt wird er so oder so. Die Folgen dazwischen, dass sich der Beamte damit auseinandersetzen muss, sind deshalb auch nicht weg.

Also ich bitte Sie schon sehr höflich, uns hier nicht sozusagen aus Ihrer Personal­vertretersicht mit Ihren persönlichen Hobbys im Strafgesetzbuch zu behelligen. Das, was Sie wollen, gibt es, das ist abschließend geregelt, und damit ist jeder in dieser Republik geschützt, Beamter wie Nichtbeamter. Daher ist dieser Antrag nicht notwen­dig, und wir stimmen ihm daher auch nicht zu. – Danke. (Beifall bei der ÖVP und bei Bundesräten der SPÖ. – Bundesrat Jenewein: Danke, Herr Professor!)

17.34


Präsidentin Sonja Ledl-Rossmann: Zu Wort gemeldet ist noch einmal Herr Bundes­rat Herbert. (Ruf: Na, net! Es wird damit nicht besser!) – Bitte.

 


17.35.09

Bundesrat Werner Herbert (FPÖ, Niederösterreich): Nur in aller Kürze, weil Kollege Fürlinger gesagt hat, das, was hier in dem Antrag gefordert wird, gäbe es bereits: Kollege Fürlinger, entweder hast du dich nicht ordentlich eingelesen oder du hast da irgendeine Wissenslücke, die noch zu füllen wäre. (Bundesrat Mayer: Die wirst wohl du haben, die Wissenslücke!)

Der derzeitige Straftatbestand laut § 297 besagt, dass jemand, der eine andere Person einer strafbaren Handlung beschuldigt, und das absichtlich, obwohl er weiß, dass das nicht der Fall ist, mit Freiheitsstrafe bis zu einem Jahr zu bestrafen ist. (Bundesrat Mayer: Bis zu fünf! Bis zu fünf Jahren!) – Auszug aus dem RIS, Kollege! Erst wenn die Strafdrohung, nämlich für die inkriminierte Handlung, über ein Jahr beträgt, dann sind es sechs Monate bis fünf Jahre.

Mein Antrag zielt darauf ab, dass, wenn jemand einem Beamten per se, nämlich einem Beamten der Hoheitsverwaltung, eine solche strafbare Handlung unterstellt, für ihn automatisch die erhöhte Strafdrohung – sechs Monate bis fünf Jahre – gilt. Das ist der Unterschied. Das, Kollege Fürlinger, hätten Sie sich anschauen sollen, bevor Sie hier herauskommen und gescheit reden. – Danke schön. (Beifall bei der FPÖ.)

17.36

17.36.50

 


Präsidentin Sonja Ledl-Rossmann: Weitere Wortmeldungen liegen dazu nicht vor.

Wünscht noch jemand das Wort? – Das ist nicht der Fall. Die Debatte ist geschlossen.


BundesratStenographisches Protokoll865. Sitzung / Seite 142

Wir kommen zur Abstimmung.

Da der Justizausschuss mit Stimmenmehrheit beschlossen hat, dem Antrag keine Zustimmung zu erteilen, ersuche ich jene Bundesrätinnen und Bundesräte, die dem Antrag auf Annahme des gegenständlichen Antrages keine Zustimmung erteilen, um ein Handzeichen. – Dies ist die Stimmenmehrheit. Der Antrag auf Nichtannahme des gegenständlichen Antrages ist somit angenommen.

17.37.1113. Punkt

Antrag der Bundesräte Sonja Ledl-Rossmann, Reinhard Todt, Monika Mühlwerth, Mag. Nicole Schreyer, Kolleginnen und Kollegen betreffend eine parlamen­tari­sche Enquete des Bundesrates gemäß § 66 GO-BR zum Thema „Die Zukunft der Pflege: Schaffbar, sichtbar, leistbar“ (224/A-BR/2017)

 


Präsidentin Sonja Ledl-Rossmann: Aufgrund der ergänzten Tagesordnung gelangen wir nunmehr zum 13. Punkt.

Wortmeldungen liegen mir dazu keine vor.

Wünscht jemand das Wort? – Das ist nicht der Fall.

Dann kommen wir zur Abstimmung.

Abstimmung über den Antrag 224/A-BR/2017 der Bundesräte Ledl-Rossmann, Todt, Mühlwerth, Schreyer, Kolleginnen und Kollegen auf Abhaltung einer parlamentarischen Enquete gemäß § 66 der Geschäftsordnung des Bundesrates.

Ich bitte jene Bundesrätinnen und Bundesräte, die diesem Antrag ihre Zustimmung geben, um ein Handzeichen. – Das ist die Stimmeneinhelligkeit. Der Antrag auf Abhaltung der gegenständlichen Enquete ist somit angenommen.

Ich darf ergänzen, dass es mich sehr freut, dass dieser Antrag auf Abhaltung einer Enquete einer aller Fraktionen hier im Bundesrat ist.

Hinsichtlich des Termins, der Tagesordnung und des Teilnehmerkreises für die soeben beschlossene Enquete darf ich auf den bereits allen Mitgliedern des Bundesrates zugegangenen Selbständigen Antrag 224/A-BR/2017 verweisen.

Die Tagesordnung ist erschöpft.

17.38.47Einlauf

 


Präsidentin Sonja Ledl-Rossmann: Ich gebe noch bekannt, dass seit der letzten beziehungsweise in der heutigen Sitzung insgesamt acht Anfragen, 3216/J-BR/2017 bis 3223/J-BR/2017, eingebracht wurden.

*****

Die Einberufung der nächsten Sitzung des Bundesrates wird auf schriftlichem Wege erfolgen.

Als Sitzungstermin wird Donnerstag, der 6. April 2017, 9 Uhr, in Aussicht genommen.


BundesratStenographisches Protokoll865. Sitzung / Seite 143

Für die Tagesordnung dieser Sitzung kommen insbesondere jene Beschlüsse in Be­tracht, die der Nationalrat bis dahin verabschiedet haben wird, soweit diese dem Ein­spruchsrecht beziehungsweise dem Zustimmungsrecht des Bundesrates unterliegen.

Die Ausschussvorberatungen sind für Dienstag, den 4. April 2017, 14 Uhr, vorgesehen.

Diese Sitzung ist geschlossen.

17.39.37Schluss der Sitzung: 17.39 Uhr

 

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