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Stenographisches Protokoll

 

 

 

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872. Sitzung des Bundesrates der Republik Österreich

 

 

 

Donnerstag, 5. Oktober 2017

 

 


Stenographisches Protokoll

872. Sitzung des Bundesrates der Republik Österreich

Donnerstag, 5. Oktober 2017

Dauer der Sitzung

Donnerstag, 5. Oktober 2017: 9.03 – 15.29 Uhr

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Tagesordnung

Ergänzung der Tagesordnung ........................................................................................ 82

1. Punkt: Protokoll Nr. 15 zur Konvention zum Schutze der Menschenrechte und Grund­freiheiten

2. Punkt: ORF-Jahresbericht 2016 gemäß § 7 ORF-Gesetz

3. Punkt: Tätigkeitsbericht des Verfassungsgerichtshofes für das Jahr 2016

4. Punkt: Tätigkeitsbericht des Verwaltungsgerichtshofes für das Jahr 2016

5. Punkt: Bundesgesetz, mit dem das Einkommensteuergesetz 1988, das Körperschaft­steuergesetz 1988 und das Studienförderungsgesetz 1992 geändert werden

6. Punkt: Bundesgesetz, mit dem das Wohnbauförderungsbeitragsgesetz 2018 erlassen wird und das Bundesgesetz über die Einhebung eines Wohnbauförderungsbeitrages so­wie das Finanzausgleichsgesetz 2017 geändert werden

7. Punkt: Bundesgesetz, mit dem das Niederlassungs- und Aufenthaltsgesetz, das Frem­denpolizeigesetz 2005, das Asylgesetz 2005, das BFA-Verfahrensgesetz, das Grundver­sorgungsgesetz – Bund 2005 und das Grenzkontrollgesetz geändert werden (Fremden­rechtsänderungsgesetz 2017 – FrÄG 2017)

8. Punkt: Bundesgesetz, mit dem das Bundesgesetz über den Nationalfonds der Re­publik Österreich für Opfer des Nationalsozialismus geändert wird

9. Punkt: Bundesgesetz, mit dem das Zukunftsfonds-Gesetz geändert wird

10. Punkt: Antrag der Bundesräte Edgar Mayer, Reinhard Todt, Mag. Nicole Schreyer, Kolleginnen und Kollegen betreffend Abhaltung einer parlamentarischen Enquete gemäß § 66 GO-BR zum Thema: „Die Zukunft der EU – aus Sicht der Bundesländer und Re­gionen“ (240/A-BR/2017)

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Inhalt

Bundesrat

Ansprache des Präsidenten Edgar Mayer ................................................................... 8


BundesratStenographisches Protokoll872. Sitzung / Seite 2

Schreiben an die Präsidentin des Salzburger Landtages betreffend Mandatsver­zicht des Bundesrates Josef Saller .............................................................................................................................. 10

Angelobung der Bundesrätin Dr. Andrea Eder-Gitschthaler .................................... 11

Erklärung des Landeshauptmannes von Vorarlberg Mag. Markus Wallner gemäß § 38 Abs. 3 GO-BR – Bekanntgabe .................................................................................................................. 11

Verlangen auf Durchführung einer Debatte gemäß § 38 Abs. 4 GO-BR ...................... 11

Landeshauptmann Mag. Markus Wallner .................................................................. 11

Debatte:

Dr. Magnus Brunner, LL.M .......................................................................................... 27

Ing. Hans-Peter Bock ................................................................................................... 30

Christoph Längle ...................................................................................................  33, 40

Mag. Nicole Schreyer ................................................................................................... 36

Landeshauptmann Mag. Markus Wallner .................................................................. 38

Trauerkundgebung anlässlich des Ablebens von Albrecht Konecny ....................... 58

Bestätigung der Präsidentin des Salzburger Landtags über das Einlangen der Ver­zichtserklärung von Bundesrat Josef Saller mit Ablauf des 30. September 2017                                                     62

Schreiben des Generalsekretärs für auswärtige Angelegenheiten gemäß Art. 50 Abs. 5 B-VG betreffend Erteilung der Vollmacht zur Aufnahme von Verhandlungen über ein Abkommen zwischen der Republik Österreich und der Organisation der Ver­einten Nationen für Erziehung, Wissenschaft und Kultur (UNESCO) über die Ein­richtung des Internationalen Zentrums für die Förderung von Menschenrechten auf lokaler und regionaler Ebene unter der Schirmherrschaft der UNECSO (Kategorie 2) in Graz (Österreich) durch den Herrn Bundespräsidenten ............................................................................................... 63

Schreiben des Bundesministers für Finanzen gemäß Art. 50 Abs. 5 B-VG betref­fend Erteilung der Vollmacht zur Aufnahme von Verhandlungen über ein Revisions­protokoll zum Abkommen zwischen der Republik Österreich und Irland zur Vermei­dung der Doppelbesteuerung auf dem Gebiete der Steuern vom Einkommen ......................................................................................................................................... 67

Schreiben des Bundeskanzlers betreffend Nominierung eines Mitgliedes in den Ausschuss der Regionen gemäß Art. 23c Abs. 5 B-VG ......................................................................................... 70

Schreiben des Bundeskanzlers betreffend Nominierung eines stellvertretenden Mit­gliedes in den Ausschuss der Regionen gemäß Art. 23c Abs. 5 B-VG .................................................................. 74

Schreiben des Präsidenten des Verfassungsgerichtshofes betreffend Erstattung eines Vorschlages für die Neubesetzung eines Mitgliedes des Verfassungsgerichts­hofes gemäß Art. 147 Abs. 2 B-VG                    81

Antrag der Bundesräte Martin Preineder, Reinhard Todt, Kolleginnen und Kol­legen gemäß § 49 Abs. 1 in Verbindung mit § 16 Abs. 3 GO-BR, den Beschluss des Nationalrates vom 4. Oktober 2017 betreffend ein Bundesgesetz, mit dem das Nie­derlassungs- und Aufenthaltsgesetz, das Fremdenpolizeigesetz 2005, das Asylge­setz 2005, das BFA-Verfahrensgesetz, das Grundversorgungsgesetz – Bund 2005 und das Grenzkontrollgesetz geändert werden (Fremdenrechtsänderungsge­setz 2017 – FrÄG 2017) (2285/A), ohne Vorberatung durch einen Ausschuss un­mittelbar in Verhandlung zu nehmen – Annahme              82, 82

Antrag der Bundesräte Edgar Mayer, Reinhard Todt, Mag. Nicole Schreyer, Kolleginnen und Kollegen gemäß § 49 Abs. 1 in Verbindung mit § 16 Abs. 3 GO-BR, den Antrag der Bundesräte Edgar Mayer, Reinhard Todt, Mag. Nicole Schrey-


BundesratStenographisches Protokoll872. Sitzung / Seite 3

er, Kolleginnen und Kollegen betreffend Abhaltung einer parlamentarischen En­quete gemäß § 66 GO-BR zum Thema: „Die Zukunft der EU – aus Sicht der Bun­desländer und Regionen“ (240/A-BR/2017) ohne Vorberatung durch einen Aus­schuss unmittelbar in Verhandlung zu nehmen – Annahme           82, 83

Verlesung der vorgesehenen Fassung eines Teiles des Amtlichen Protokolls die­ser Sitzung durch Vizepräsident Mag. Ernst Gödl ................................................................................. 128

Genehmigung des verlesenen Teiles des Amtlichen Protokolls ................................ 128

Personalien

Verhinderungen ................................................................................................................ 8

Aktuelle Stunde (55.)

Thema: „Trendwende in Europa: Perspektiven zur Lösung aktueller Heraus­forderungen von Brexit bis zur Migrationskrise“ .............................................................................................. 41

Redner/Rednerinnen:

Mag. Ernst Gödl ............................................................................................................ 41

Stefan Schennach ........................................................................................................ 43

Monika Mühlwerth ........................................................................................................ 46

Mag. Dr. Ewa Dziedzic ................................................................................................. 48

Bundesminister Sebastian Kurz ................................................................................ 49

Martin Preineder ........................................................................................................... 51

Mag. Susanne Kurz ...................................................................................................... 52

Hans-Jörg Jenewein, MA ............................................................................................ 54

Mag. Nicole Schreyer ................................................................................................... 55

Mag. Gerald Zelina ....................................................................................................... 57

Bundesregierung

Schreiben des Bundeskanzleramtes betreffend Aufenthalt eines Mitgliedes der Bundesregierung in einem anderen Mitgliedstaat der Europäischen Union                                                              78, 79, 80

Nationalrat

Beschlüsse und Gesetzesbeschlüsse ............................................................................ 82

Ausschüsse

Zuweisungen .........................................................................................................  59, 129

Verhandlungen

1. Punkt: Beschluss des Nationalrates vom 20. September 2017 betreffend Pro­tokoll Nr. 15 zur Konvention zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreihei­ten (1673 d.B. und 1702 d.B. sowie 9888/BR d.B.)              ............................................................................................................................... 83

Berichterstatter: Peter Oberlehner ............................................................................... 83

Redner/Rednerinnen:

Werner Herbert ............................................................................................................. 84

Ing. Eduard Köck .......................................................................................................... 85

Stefan Schennach ........................................................................................................ 86

Mag. Dr. Ewa Dziedzic ................................................................................................. 87

Mag. Daniela Gruber-Pruner ....................................................................................... 89

Mario Lindner ................................................................................................................ 90


BundesratStenographisches Protokoll872. Sitzung / Seite 4

Annahme des Antrages des Berichterstatters, 1. gegen den vorliegenden Be­schluss des Nationalrates keinen Einspruch zu erheben und 2. dem vorliegenden Beschluss gemäß § 1 des Bundesverfassungsgesetzes über die Genehmigung des Protokolls Nr. 15 zur Konvention zum Schutze der Menschenrechte und Grund­freiheiten und dessen Erklärung zum Bundesverfassungsgesetz die verfassungs­mäßige Zustimmung zu erteilen ............................................................................................................................ 91

2. Punkt: ORF-Jahresbericht 2016 gemäß § 7 ORF-Gesetz (III-621-BR/2017 d.B. sowie 9891/BR d.B.)           ............................................................................................................................... 91

Berichterstatter: Dr. Andreas Köll ................................................................................ 91

Redner/Rednerinnen:

Hans-Jörg Jenewein, MA ............................................................................................ 92

Stefan Schennach ........................................................................................................ 94

Armin Forstner, MPA ................................................................................................... 97

Mag. Nicole Schreyer ................................................................................................... 98

Entschließungsantrag der Bundesräte Hans-Jörg Jenewein, MA, Kolleginnen und Kollegen betreffend Offenlegung der Einkünfte von ORF-Mitarbeitern, die Nach­richten-/Informations-/Wirtschafts-Formate mediengattungsunabhängig gestalten und/
oder moderieren – Ablehnung .................................................................................  93, 99

Annahme des Antrages des Berichterstatters, den Bericht III-621-BR/2017 d.B. zur Kenntnis zu nehmen         ............................................................................................................................... 99

3. Punkt: Tätigkeitsbericht des Verfassungsgerichtshofes für das Jahr 2016 (III-624-BR/2017 d.B. sowie 9892/BR d.B.) ................................................................................................................. 99

Berichterstatter: Dr. Andreas Köll ........................................................................... ..... 99

Redner/Rednerinnen:

Reinhard Todt ............................................................................................................. 100

Robert Seeber ............................................................................................................. 101

Mag. Dr. Michael Raml ............................................................................................... 102

Dr. Heidelinde Reiter .................................................................................................. 104

Annahme des Antrages des Berichterstatters, den Bericht III-624-BR/2017 d.B. zur Kenntnis zu nehmen         ............................................................................................................................. 105

4. Punkt: Tätigkeitsbericht des Verwaltungsgerichtshofes für das Jahr 2016 (III-631-BR/2017 d.B. sowie 9893/BR d.B.) ............................................................................................................... 105

Berichterstatterin: Sandra Kern .................................................................................. 105

Redner/Rednerinnen:

Dr. Andreas Köll ......................................................................................................... 105

Mag. Dr. Michael Raml ............................................................................................... 106

Dr. Heidelinde Reiter .................................................................................................. 108

Annahme des Antrages der Berichterstatterin, den Bericht III-631-BR/2017 d.B. zur Kenntnis zu nehmen         ............................................................................................................................. 109

Gemeinsame Beratung über

5. Punkt: Beschluss des Nationalrates vom 20. September 2017 betreffend ein Bun­desgesetz, mit dem das Einkommensteuergesetz 1988, das Körperschaftsteuer­gesetz 1988 und das Studienförderungsgesetz 1992 geändert werden (2280/A und 1769 d.B. sowie 9889/BR d.B.) ................................... 109

Berichterstatter: Martin Weber .................................................................................... 110


BundesratStenographisches Protokoll872. Sitzung / Seite 5

6. Punkt: Beschluss des Nationalrates vom 20. September 2017 betreffend ein Bun­desgesetz, mit dem das Wohnbauförderungsbeitragsgesetz 2018 erlassen wird und das Bundesgesetz über die Einhebung eines Wohnbauförderungsbeitrages so­wie das Finanzausgleichsgesetz 2017 geändert werden (2269/A und 1770 d.B. so­wie 9890/BR d.B.) .................................................................................... 109

Berichterstatter: Martin Weber .................................................................................... 110

Redner/Rednerinnen:

Dr. Heidelinde Reiter .................................................................................................. 110

Dr. Magnus Brunner, LL.M ........................................................................................ 112

Ewald Lindinger ......................................................................................................... 113

Mag. Reinhard Pisec, BA ........................................................................................... 114

Peter Heger ................................................................................................................. 117

Bundesminister Dr. Johann Georg Schelling ......................................................... 118

Annahme des Antrages des Berichterstatters zu Punkt 5, gegen den vorliegen­den Beschluss des Nationalrates keinen Einspruch zu erheben ................................................................. 120

Annahme des Antrages des Berichterstatters zu Punkt 6, gegen den vorliegen­den Beschluss des Nationalrates keinen Einspruch zu erheben ................................................................. 120

7. Punkt: Beschluss des Nationalrates vom 4. Oktober 2017 betreffend ein Bun­desgesetz, mit dem das Niederlassungs- und Aufenthaltsgesetz, das Fremden­polizeigesetz 2005, das Asylgesetz 2005, das BFA-Verfahrensgesetz, das Grund­versorgungsgesetz – Bund 2005 und das Grenzkontrollgesetz geändert werden (Fremdenrechtsänderungsgesetz 2017 – FrÄG 2017) (2285/A) ................................. 120

Annahme des Antrages der Bundesräte Gerhard Schödinger, Martin Weber, Kol­leginnen und Kollegen gemäß § 43 Abs. 1 der Geschäftsordnung des Bundesra­tes, gegen den vorliegenden Beschluss des Nationalrates keinen Einspruch zu er­heben ................................................................. 121

Gemeinsame Beratung über

8. Punkt: Beschluss des Nationalrates vom 20. September 2017 betreffend ein Bun­desgesetz, mit dem das Bundesgesetz über den Nationalfonds der Republik Ös­terreich für Opfer des Nationalsozialismus geändert wird (2270/A und 1772 d.B. so­wie 9894/BR d.B.) ........................................................ 121

Berichterstatter: Robert Seeber .................................................................................. 121

9. Punkt: Beschluss des Nationalrates vom 20. September 2017 betreffend ein Bundesgesetz, mit dem das Zukunftsfonds-Gesetz geändert wird (1766 d.B. und 1773 d.B. sowie 9895/BR d.B.)                     121

Berichterstatter: Robert Seeber .................................................................................. 121

Redner/Rednerinnen:

Wolfgang Beer ............................................................................................................ 122

Dr. Andreas Köll ......................................................................................................... 124

Hans-Jörg Jenewein, MA .......................................................................................... 125

Dr. Heidelinde Reiter .................................................................................................. 126

Annahme des Antrages des Berichterstatters zu Punkt 8, gegen den vorliegen­den Beschluss des Nationalrates keinen Einspruch zu erheben ................................................................. 127

Annahme des Antrages des Berichterstatters zu Punkt 9, gegen den vorliegen­den Beschluss des Nationalrates keinen Einspruch zu erheben ................................................................. 127


BundesratStenographisches Protokoll872. Sitzung / Seite 6

10. Punkt: Antrag der Bundesräte Edgar Mayer, Reinhard Todt, Mag. Nicole Schrey­er, Kolleginnen und Kollegen betreffend Abhaltung einer parlamentarischen En­quete gemäß § 66 GO-BR zum Thema: „Die Zukunft der EU – aus Sicht der Bun­desländer und Regionen“ (240/A-BR/2017) ....... 128

Annahme des Antrages 240/A-BR/2017 ...................................................................... 128

Eingebracht wurden

Anträge der Bundesräte

David Stögmüller, Kolleginnen und Kollegen betreffend ein Bundesgesetz, mit dem das Bundesgesetz über Ausbildung, Tätigkeit und Beruf der Sanitäter (Sanitätergesetz – SanG), BGBl. I Nr. 30/2002, zuletzt geändert mit BGBl. I Nr. 8/2016, geändert wird (238/A-BR/2017)

Werner Herbert, Kolleginnen und Kollegen betreffend Ausgleichsmaßnahmen für be­sondere Erschwernisse des Exekutivdienstes im Nachtdienst (239/A(E)-BR/2017)

Edgar Mayer, Reinhard Todt, Mag. Nicole Schreyer, Kolleginnen und Kollegen be­treffend Abhaltung einer parlamentarischen Enquete gemäß § 66 GO-BR zum Thema: „Die Zukunft der EU – aus Sicht der Bundesländer und Regionen“ (240/A-BR/2017)

Anfragen der Bundesräte

David Stögmüller, Kolleginnen und Kollegen an den Bundesminister für Verkehr, Inno­vation und Technologie Mag. Jörg Leichtfried betreffend Causa S10 Mühlviertler-Schnell­straße und die Vernichtung wertvollen Bodens in Lasberg (3253/J-BR/2017)

David Stögmüller, Kolleginnen und Kollegen an den Bundesminister für Kunst und Kul­tur, Verfassung und Medien betreffend baukulturelle Leitlinien (3254/J-BR/2017)

Hans-Jörg Jenewein, MA, Kolleginnen und Kollegen an den Bundeskanzler betreffend Bau einer Mauer rund um das Bundeskanzleramt (3255/J-BR/2017)

David Stögmüller, Kolleginnen und Kollegen an den Bundesminister für Inneres betref­fend Tetron und Sepura Digitalfunkgeräte (3256/J-BR/2017)

David Stögmüller, Kolleginnen und Kollegen an den Bundesminister für Landesverteidi­gung und Sport betreffend Tetron und Sepura Digitalfunkgeräte (3257/J-BR/2017)

Anfragebeantwortungen

des Bundesministers für Inneres auf die Anfrage der Bundesräte Arnd Meißl, Kolle­ginnen und Kollegen betreffend Moscheevereine und Koranschulen in der Steiermark (2998/AB-BR/2017 zu 3235/J-BR/2017)

des Bundesministers für Inneres auf die Anfrage der Bundesräte David Stögmüller, Kolleginnen und Kollegen betreffend Enteignung Liegenschaft Salzburger Vorstadt 15, 5280 Braunau – „Hitlers Geburtshaus“ (2999/AB-BR/2017 zu 3237/J-BR/2017)

des Bundesministers für Inneres auf die Anfrage der Bundesräte David Stögmüller, Kol­leginnen und Kollegen betreffend Grenzkontrollen Bayern – Region Innviertel (3000/AB-
BR/2017 zu 
3238/J-BR/2017)

des Bundesministers für Wissenschaft, Forschung und Wirtschaft auf die Anfrage der Bundesräte David Stögmüller, Kolleginnen und Kollegen betreffend Grenzkontrollen Bay­ern – Region Innviertel: Was bedeutet das für die Wirtschaft? (3001/AB-BR/2017 zu 3236/J-BR/2017)


BundesratStenographisches Protokoll872. Sitzung / Seite 7

des Bundesministers für Wissenschaft, Forschung und Wirtschaft auf die Anfrage der Bun­desräte David Stögmüller, Kolleginnen und Kollegen betreffend Bundesimmobilienge­sellschaft und das Schillerpark-Tiefgaragenprojekt in Linz (3002/AB-BR/2017 zu 3241/J-BR/2017)

des Bundesministers für Europa, Integration und Äußeres auf die Anfrage der Bundes­räte Mag. Dr. Ewa Dziedzic, Kolleginnen und Kollegen betreffend wiederholte Menschen­rechtsverletzungen gegenüber Homosexuellen im Iran (3003/AB-BR/2017 zu 3242/J-BR/2017)

der Bundesministerin für Gesundheit und Frauen auf die Anfrage der Bundesräte Fer­dinand Tiefnig, Kolleginnen und Kollegen betreffend neue Studie zu Palmöl (3004/AB-BR/2017 zu 3243/J-BR/2017)

des Bundesministers für Finanzen auf die Anfrage der Bundesräte Rosa Ecker, Kolle­ginnen und Kollegen betreffend „das Bundesministerium für Finanzen sucht Ihre Ideen!“ (3005/AB-BR/2017 zu 3244/J-BR/2017)

des Bundesministers für Inneres auf die Anfrage der Bundesräte Peter Samt, Kollegin­nen und Kollegen betreffend Zusammenarbeit zwischen dem Innenministerium und der ORS Service GmbH in der Steiermark (3006/AB-BR/2017 zu 3247/J-BR/2017)

des Bundesministers für Inneres auf die Anfrage der Bundesräte Gerd Krusche, Kol­leginnen und Kollegen betreffend Luxusmöbel im Schubhaftzentrum Vordernberg (3007/AB-BR/2017 zu 3246/J-BR/2017)

des Bundesministers für Justiz auf die Anfrage der Bundesräte Arnd Meißl, Kollegin­nen und Kollegen betreffend Strafvollzug in der Steiermark (3008/AB-BR/2017 zu 3245/J-BR/2017)

des Bundesministers für Inneres auf die Anfrage der Bundesräte Hans-Jörg Jenewein, MA, Kolleginnen und Kollegen betreffend Polizeieinsätze im Umfeld der Wiener U-Bahn­station „Margareten Gürtel“ 2016 (3009/AB-BR/2017 zu 3248/J-BR/2017)

des Bundesministers für Inneres auf die Anfrage der Bundesräte Martin Weber, Kol­leginnen und Kollegen betreffend „Gemeinsam.Sicher“ (3010/AB-BR/2017 zu 3250/J-BR/2017)

des Bundesministers für Verkehr, Innovation und Technologie auf die Anfrage der Bun­desräte Gerd Krusche, Kolleginnen und Kollegen betreffend Verschubarbeiten am Bhf St. Michael i. d. Obersteiermark (3011/AB-BR/2017 zu 3251/J-BR/2017)

des Bundesministers für Inneres auf die Anfrage der Bundesräte Hans-Jörg Jene­wein, MA, Kolleginnen und Kollegen betreffend Exekutive – Planstellen und Überstun­den 2016 (3012/AB-BR/2017 zu 3252/J-BR/2017)


 


BundesratStenographisches Protokoll872. Sitzung / Seite 8

09.03.03Beginn der Sitzung: 9.03 Uhr

 


Präsident Edgar Mayer: Sehr verehrte Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kol­legen! Ich darf die 872. Sitzung des Bundesrates eröffnen.

Ich freue mich darüber, dass so viele Leute aus Vorarlberg angereist sind – Freunde, Be­kannte, Journalisten, Medienvertreter – und begrüße auch alle anderen vorarlbergaffinen Personen. Ein herzliches Grüß Gott, guten Morgen! (Allgemeiner Beifall.)

09.03.37Ansprache des Präsidenten

 


9.03.39

Präsident Edgar Mayer: Erstmals tritt heute der Bundesrat nicht im Parlamentsgebäu­de, sondern in der Wiener Hofburg zu einer Sitzung zusammen. Damit ist der Bundes­rat schließlich doch noch in der Hofburg eingezogen.

Warum, meine Damen und Herren, sage ich das? – In den Anfangsjahren der Ersten Re­publik, in den Jahren 1918 bis 1920, hat das österreichische Parlament nicht zwei Kam­mern umfasst, sondern nur eine: Die Provisorische beziehungsweise Konstituierende Na­tionalversammlung hat im Parlamentsgebäude am Ring getagt. Derselbe Tagungsort war natürlich auch für den mit dem Bundes-Verfassungsgesetz von 1920 geschaffenen Nationalrat vorgesehen.

Das zweite durch das B-VG eingerichtete Organ der Bundesgesetzgebung hingegen, der Bundesrat, sollte, auch um seine organisatorische Unabhängigkeit und administra­tive Autonomie zum Ausdruck zu bringen, zunächst in einem anderen öffentlichen Gebäu­de tagen. So begab sich der designierte Kanzleidirektor des Bundesrates, Hofrat Kowy, auf „Herbergsuche“ für den Bundesrat. Er klopfte zunächst, was sachlich und räumlich naheliegend erschien, in der Hofburg an, bei der Burghauptmannschaft. Hier beschied man ihm freilich, dass eine Unterbringung des Bundesrates in der Hofburg jedenfalls so kurzfristig wegen der erforderlichen Adaptierungsmaßnahmen nicht möglich sei.

Ähnlich abschlägigen Bescheid erhielt Hofrat Kowy auch an den anderen Orten, die er aufsuchte, im Belvedere etwa oder im Alten Rathaus in der Wipplingerstraße. So kam es schließlich dazu, dass der Bundesrat doch ins Parlamentsgebäude einzog, wo als Pro­visorium der ehemalige Vorraum des Herrenhaussitzungssaales für die Plenarsitzungen des Bundesrates adaptiert wurde. Dieses Provisorium hat, wie wir alle wissen, 97 Jah­re Bestand gehabt.

So also ist es, meine Damen und Herren, zu verstehen, wenn ich sage, dass der Bun­desrat der Republik Österreich schließlich doch seinen Tagungsort in der Hofburg gefun­den hat.

9.05


*****

Die Amtlichen Protokolle der 870. und der 871. Sitzung des Bundesrates vom 5. und 6. Juli 2017 sind aufgelegen, unbeanstandet geblieben und gelten daher als genehmigt.

Als verhindert gemeldet sind die Mitglieder des Bundesrates Jutta Arztmann, Ana Blat­nik, Mag. Klaus Fürlinger, Inge Posch-Gruska und Dr. Dietmar Schmittner.

Bundesratspräsident a.D. Josef Saller, den ich heute auch herzlich begrüßen möchte (allgemeiner Beifall), hat Bundesrat a.D. Franz Wenger und weitere Salzburger Kolle­gen mitgebracht, zu denen es natürlich einen besonderen Bezug gibt, wie zum Beispiel Nationalratsabgeordneten Peter Haubner, den ich, wie alle Freunde aus Salzburg, herz­lich begrüßen möchte. Einen schönen guten Morgen! (Allgemeiner Beifall.)


BundesratStenographisches Protokoll872. Sitzung / Seite 9

09.06.30Mandatsverzicht und Angelobung

 


Präsident Edgar Mayer: Da Bundesrat Josef Saller mit Ablauf des 30. September 2017 auf sein Mandat verzichtet hat, ist sein Ersatzmitglied, Dr. Andrea Eder-Gitschthaler, ex lege auf das durch das Ausscheiden von Bundesrat Josef Saller freigewordene Mandat nachgerückt.

Die schriftliche Mitteilung hat folgenden Wortlaut:


 


BundesratStenographisches Protokoll872. Sitzung / Seite 10

Schreiben an den Salzburger Landtag betreffend Mandatsverzicht:

*****

 


Präsident Edgar Mayer: Das neue Mitglied des Bundesrates Dr. Andrea Eder-Gitsch­thaler ist im Hause anwesend. Ich werde daher sogleich die Angelobung vornehmen.


BundesratStenographisches Protokoll872. Sitzung / Seite 11

Nach Verlesung der Gelöbnisformel durch den Herrn Schriftführer wird die Angelobung mit den Worten „Ich gelobe“ zu leisten sein.

Ich ersuche um Verlesung der Gelöbnisformel.

 


9.07.08

Schriftführer Ewald Lindinger:Sie werden geloben unverbrüchliche Treue der Re­publik Österreich, stete und volle Beobachtung der Verfassungsgesetze und aller ande­ren Gesetze sowie gewissenhafte Erfüllung Ihrer Pflichten.“

 


9.07.28

Bundesrätin Dr. Andrea Eder-Gitschthaler (ÖVP, Salzburg): Ich gelobe, so wahr mir Gott helfe.

 


Präsident Edgar Mayer: Ich darf das neue Mitglied des Bundesrates Dr. Andrea Eder-Gitschthaler recht herzlich in unserer Mitte begrüßen. (Allgemeiner Beifall. Die neu an­gelobte Bundesrätin wird von ihren Kolleginnen und Kollegen beglückwünscht.)

*****

Bevor wir zur Aktuellen Stunde kommen, habe ich noch eine Mitteilung zu machen – in eigener Sache, wenn ich das so bezeichnen darf –: Ich darf bekannt geben, dass das Mitglied des Bundesrates Michael Raml seine Dissertation abgeschlossen hat und zum Doktor promoviert wurde. Der Titel der Dissertation lautet: Der Bundesrat – eine Ana­lyse seiner Kompetenzen in Theorie und Verfassungswirklichkeit.

Dazu darf ich herzlich gratulieren. Wir wünschen uns alle, dass deine Dissertation we­sentliche Impulse für den Bundesrat bringen möge und dass damit auch eine allfällige Reform des Bundesrates verbunden werden kann. – Herzliche Gratulation im Namen des Bundesrates! (Allgemeiner Beifall.)

Ich darf nun den Landeshauptmann von Vorarlberg, Herrn Mag. Markus Wallner, sehr herzlich bei uns im Bundesrat begrüßen. Guten Morgen, Herr Landeshauptmann! (All­gemeiner Beifall.)

09.11.01Ankündigung einer Erklärung des Landeshauptmannes von Vorarlberg
gemäß § 38 Abs. 3 GO-BR

 


Präsident Edgar Mayer: Ich darf auch bekannt geben, dass Landeshauptmann Mag. Mar­kus Wallner seine Absicht bekundet hat, eine Erklärung gemäß § 38 Abs. 3 der Ge­schäftsordnung des Bundesrates zum Thema „Gemeinsam Perspektiven schaffen“ ab­zugeben.

Es liegt mir hierzu auch ein schriftliches Verlangen im Sinne des § 38 Abs. 4 der Ge­schäftsordnung des Bundesrates vor, im Anschluss an die vom Herrn Landeshaupt­mann abgegebene Erklärung eine Debatte durchzuführen. Da das Verlangen ausrei­chend unterstützt ist, werde ich diesem ohne Weiteres stattgeben.

Ich erteile nun dem Herrn Landeshauptmann zur Abgabe seiner Erklärung das Wort. – Bitte.

09.11.31Erklärung des Landeshauptmannes von Vorarlberg zum Thema
„Gemeinsam Perspektiven schaffen“

 


9.11.39

Landeshauptmann von Vorarlberg Mag. Markus Wallner: Sehr geehrter Herr Präsi­dent! Frau Vizepräsidentin! Herr Vizepräsident! Meine Damen und Herren Bundesräte! Zunächst einmal herzlichen Dank für die Möglichkeit, heute vor Ihnen sprechen zu dür­fen. Ich möchte natürlich die Gelegenheit wahrnehmen, am Beginn auch Ihnen meinen


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Respekt zu zollen, Ihnen Wertschätzung entgegenzubringen und Ihnen meinen Dank für das auszusprechen, was Sie leisten. Wir sind jetzt mitten im Wahlkampf, und man könnte vieles sagen; ich lasse das heute ein bisschen beiseite, wenn es geht.

Ich weiß, dass wir gerade als Länder und Gemeinden eine starke Achse im Bundesrat benötigen. Dass der Einsatz für Länderinteressen, wenn es ein Vorarlberger sagt, von besonderer Bedeutung ist, muss ich nicht unterstreichen. Ich danke Ihnen daher sehr. Wann immer Sie Ihre Stimme für Länderinteressen erheben, bin ich grundsätzlich dank­bar und zu jeder Form der Zusammenarbeit bereit. Ich danke auch der Vorsitzführung  Vorarlberger Vorsitz, die Marke Vorarlberg spiegelt sich schon in der Vorsitzführung wi­der.

Es ist schon ganz entscheidend, dass wir uns als Länder artikulieren. Ich sage Ihnen das schon jetzt: In der nächsten Legislaturperiode, wenn es um Fragen der Staatsre­form geht, wird das noch einmal ganz entscheidend werden.

Was das Verhältnis zwischen Bund und Ländern betrifft, stehen wir vor großen Heraus­forderungen. Wenn man die Entwicklungen der nächsten Jahre anschaut, dann kann man auch sagen, dass das vielleicht zur Nagelprobe dafür werden wird, ob Bund, Länder und Gemeinden mit ihrem Verhältnis, mit ihrer Partnerschaft, wie ich es eigentlich nenne, mit ihrer konstruktiven Partnerschaft auch in der Lage sind, reformorientiert zu arbeiten, ob wir dem Bundesrat endlich nach vielen Jahrzehnten jene Möglichkeiten einräumen, die für den Bundesrat in Deutschland eigentlich ganz normal sind, nämlich – wenn es nach mir geht – ein echtes Mitspracherecht, echte Vetomöglichkeiten.

Es wird sich aber auch die darüber hinausgehende Frage stellen, ob wir das, was an Herausforderungen ansteht, miteinander gut bewältigen können. In guten Zeiten ist das Miteinander nie ein Problem, in Krisenzeiten wird es jedoch auf die Probe gestellt, und es gibt in den nächsten Jahren doch einige große Herausforderungen, die uns alle mit­einander ordentlich unter Druck setzen werden. Gerade im internationalen Standortwett­bewerb, ein erster wichtiger Bereich, geht es natürlich zum einen um optimale bundes­weite Rahmenbedingungen. Das liegt auf der Hand. Wer mit Unternehmern und Arbeit­nehmern zu tun hat, hört das jeden Tag: optimale Steuerpolitik, das Bildungssystem, noch mehr Investitionen im Bereich Forschung und Entwicklung, also Dinge, die der Bund sehr maßgeblich mit beeinflussen kann und bei denen er dafür sorgen kann, dass gute Rahmenbedingungen vorherrschen, um unseren Betrieben zu ermöglichen, dass sie in­ternational im Wettbewerb besser mithalten können.

Es geht aber nicht nur um bundesweite Rahmenbedingungen, sondern – wir sind ja hier im Bundesrat – es geht auch darum, dass wir nicht übersehen sollten, dass die re­gionalen Chancen, in diesem Fall für die Länder – auch für unser Bundesland –, intakt bleiben. Ich möchte den Blick dafür schärfen – ich sage das im Bund immer wieder –, dass wir nicht nur über Österreich diskutieren und uns innerhalb der sehr engen Gren­zen der Nation bewegen können, sondern dass wir auch aufgefordert sind, über die Gren­zen zu schauen.

Für uns im Westen Österreichs, in Vorarlberg im Speziellen, hat das eine ganz beson­dere Bedeutung, und ich will den Blick darauf lenken, weil alles, was wir diskutieren, oft von nationalen Grenzen eingeengt wird; in Europa, in einem offenen Europa, das wir auch haben wollen, greift das zu kurz. Wir sind im Westen Österreichs, speziell in Vor­arlberg, in eine hochkompetitive Bodenseeregion und in eine sehr vitale Alpenregion ein­gebettet, und die Grenzen engen uns eher ein. Wir brauchen mehr Spielraum für über­regionale Zusammenarbeit. Das ist ganz wichtig.

Wir denken in einem Europa der Regionen, wir denken über die engen Grenzen des Na­tionalstaates hinaus; anders geht es bei uns gar nicht. Ich sage Ihnen, wie ich aufge­wachsen bin: immer mit vier bis fünf Währungen in der Hosentasche. Mein Vater hatte


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außer österreichischen Schillingen immer Deutsche Mark, Schweizer Franken, Italieni­sche Lire und gelegentlich auch französische Francs dabei, weil wir sehr nahe an den hochvitalen und wettbewerbsfähigen Regionen dieser Staaten leben. Das heißt, der Blick muss auch auf die überregionale Zusammenarbeit, auf den europäischen Zusammen­halt gelenkt werden.

Allein wenn Sie diese Vierländerregion rund um den Bodensee hernehmen – außer Ös­terreich die Ostschweiz, Liechtenstein und die südlichen deutschen Bundesländer, vor allem Bayern und Baden-Württemberg –, so ist das eine der stärksten Wirtschaftsre­gionen in Europa mit über 27 Millionen Einwohnern, davon 11,4 Millionen Beschäftig­ten – eine echte Konjunkturlokomotive! Die Rennpferde Europas sitzen in diesen Re­gionen, und wir sind gut beraten, dass wir die Entwicklung dort auch im Auge behalten und die Diskussionen nicht immer nur innerhalb der österreichischen Grenzen führen, sondern weit über diese hinausblicken, unsere Region im Auge behalten, aber sagen, eine überregionale Sichtweise ist notwendig.

Die Wertschöpfung in dieser Vierländerregion, von der ich jetzt spreche, beträgt mehr als vier Mal so viel wie in Gesamtösterreich. Jeder zwölfte Euro, der in der EU erwirt­schaftet wird, stammt aus dieser Vierländerregion. Ich möchte das einfach einmal sa­gen, damit man den Blick ein bisschen weg von Wien lenkt und auf eine andere Region schaut, damit Sie wissen, wie hochpotent diese Region ist und dass uns nicht geholfen ist, wenn immer nur zwischen Eisenstadt und Bregenz diskutiert wird, wenn immer nur die Vereinheitlichung dieser Regionen angesprochen wird. Uns ist in Wirklichkeit ein gu­ter europäischer Rahmen und eine zurückhaltende Gesetzgebung auf Bundesebene lie­ber. Wir brauchen eine ganz enge Abstimmung in diesen Regionen, um den Wohlstand für uns auf Dauer absichern zu können.

Österreich hat alle Chancen, im europäischen Vergleich erfolgreich zu sein. Unser Wachs­tum ist in den letzten Jahren über dem Eurozonenschnitt gelegen. Die Zahl der Arbeits­losen ist zu hoch, aber sie ist jetzt zumindest im Rückgang begriffen; in unserer Region ist sie sehr niedrig. Eine Visitenkarte für Österreich ist aber die im internationalen Ver­gleich sehr geringe Jugendarbeitslosigkeit. Schauen Sie ein bisschen in den Süden Eu­ropas, in andere Regionen in Europa, und Sie werden sehen, was sich dort im Bereich der Jugendarbeitslosigkeit abspielt: Da gibt es Raten von 30 oder 40 Prozent, in gewis­sen Ländern Südeuropas sogar von bis zu 70 Prozent. Da brennen die Autos in den Vor­städten, da gibt es eine steigende Jugendkriminalität – eine Entwicklung, die ich natür­lich nicht für gut halte und angesichts derer ich schon dazusagen muss: Vorarlberg nicht, kein Bundesland in Österreich hat das so je mitgemacht.

Wir sind also schon in einer Situation, wenn ich diesen speziellen Aspekt herausneh­me, der uns auch auszeichnet, in der man sagen kann, im europäischen Vergleich hat Österreich im Moment sehr gute Wachstumschancen und somit natürlich die Möglich­keit, zu den wirtschaftlich erfolgreichen Staaten zu zählen.

Wenn wir das ein bisschen untermauern: Es gibt so viele Rankings und Vergleiche, die unseriös sind oder in denen die Vergleiche schwierig sind, ich ziehe daher den Global Competitiveness Index heran, denn das ist eines jener Rankings, die geeignet sind und die ich auch für seriös halte. Da kann man die Stärken und Schwächen Österreichs sehr gut erkennen: Wir waren im Jahre 2008/2009 noch auf Platz 14 dieses Rankings, sind dann stark abgerutscht, haben uns mittlerweile wieder um ein paar Positionen verbessert, sind aber nicht wirklich dort, wo Österreich hingehört.

Ein Blick auf unsere Stärken und Schwächen, zumindest gemäß diesem Index, zeigt auch ganz klar, wo wir stehen: In den Bereichen Arbeitsproduktivität, Lehrlingsausbil­dung, Gesundheitssystem und Lebensqualität hat Österreich absolute Spitzenpositionen. Das sollte man sich immer vor Augen halten. In anderen Bereichen wie öffentliche Fi­nanzen, Arbeitszeitregelungen, Abgabenquote oder, was mich eigentlich am meisten är-


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gert, Investitionen in die Informations- und Kommunikationstechnologien, also in Berei­chen, die wir so dringend benötigen, haben wir leider schlechte Plätze im europäischen Vergleich. Beim Breitbandausbau und in ähnlichen Bereichen muss also mehr gesche­hen.

Die Schwächen werden natürlich schonungslos offengelegt, in diesen Bereichen sind wir nicht einmal unter den Top 50 weltweit. Ich denke, es ist ziemlich klar, was gesche­hen muss, in welche Richtung die Investitionen gehen müssen und in welche Richtung die grundsätzliche Strategie der nächsten Regierung, wie immer sie auch aussehen wird, gehen muss. Diese Dinge sind weitestgehend unbestritten, die Frage wird dann sein, was man genau tut.

Die Herausforderungen in der Wirtschaftspolitik sind groß. Wir diskutieren das bei uns ganz offen und klar und versuchen, Strategien zu entwickeln. Die großen Fragen sind Digitalisierung und Automatisierung, die Abgabenbelastung, der demografische Wan­del, die Finanzierung von Pflege und Gesundheit bei einer älter werdenden Bevölkerung – eine große Herausforderung! –, die europäische Integration – wo geht es hin und wel­che Rolle nehmen Österreich und die Bundesländer dabei ein? – und Reformen in der EU, die Globalisierung, der Klimawandel. – Das sind die großen Fragen, die uns betref­fen und auf die Antworten gefunden werden müssen.

Wir haben versucht, während unseres Vorsitzes – so schwierig das in Wahlkampfzei­ten auch ist – zu sagen: Eigentlich geht es uns, mir im Speziellen und den Bundeslän­dern im Allgemeinen, darum, die Gemeinsamkeiten zu suchen, die Herausforderungen klar herauszufiltern, zu versuchen, sie außer Streit zu stellen und gemeinsam Perspek­tiven aufzubauen. Der Stil soll dabei sachlich gehalten werden, konstruktiv sein, auf Zu­sammenarbeit ausgerichtet sein, er soll positive Impulse setzen, den Wettbewerb, auch unter den Ländern, zulassen, aber grundsätzlich auf einem partnerschaftlichen Gedan­ken beruhen. Es soll auf Augenhöhe verhandelt werden, die Länder sind keine Be­fehlsempfänger, und die Gemeinden auch nicht, und zwar von gar niemandem. In der Verfassung, auch in der Finanzverfassung, sind die Dinge auf Augenhöhe geregelt. Al­le anderen Bestrebungen laufen mir zutiefst zuwider.

Man kann, wenn man die Dinge partnerschaftlich anpackt, so wie es die Verfassung vor­sieht, immer mit Vorarlberg und mit den Ländern reden, auch unter unserer Vorsitzfüh­rung. Wenn man es anders anpackt, dann gibt es auch Gegenäußerungen.

Ich habe mir vorgenommen, mich nicht zu allem zu äußern, denn es gibt genug, die zu allem ihren Senf dazugeben. Ich habe mir vorgenommen, dass wir uns während unse­res Vorsitzes und vor allem in der Zeit nach dem 15. Oktober, denn darauf wird es an­kommen, in den Bereichen einbringen, in denen wir selbst Glaubwürdigkeit haben, auch in der Öffentlichkeit.

Ich äußere mich nicht zu Dingen, von denen ich nichts verstehe, sondern ich äußere mich, wenn ich den Eindruck habe, dass wir in einem Bereich im eigenen Bundesland versuchen, mit viel Bemühen einen Schritt vorauszugehen. Das ist guter Föderalismus, da kann man uns auch messen, da sind wir auch bereit, zu sagen, was wir tun und was wir nicht tun, wo die Stärken und Schwächen sind, wo wir mit gutem Beispiel voran­gehen können. Dazu versuche ich mich zu äußern, weil ich auch in der öffentlichen De­batte immer noch an das positive Beispiel und weniger an die Dampfplauderei glaube, an die echten Umsetzungen, die gemacht werden.

Das mag uns ein bisschen unterscheiden; das ist ein gewisser alemannischer Grund­zug: Wir rechnen noch immer, bevor wir reden, und nicht umgekehrt. Wir schauen noch immer, dass wir die Dinge auch umsetzen und nicht nur ankündigen können. – Das ist eine spezielle Eigenschaft, die nicht alle mögen, weil sie manchmal unangenehm ist. Wir legen auch Wert auf Eigenständigkeit, das mögen auch nicht immer alle. Gele-


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gentlich wird das als Eigensinnigkeit interpretiert, auch das ist in der Bandbreite der politischen Debatte möglich. Wir sind nicht immer die Bequemsten, aber wir äußern uns nicht zu jedem Schmarrn, sondern wir überlegen genau, wozu wir uns äußern. Wir äu­ßern uns sachlich, wir sind nicht prinzipiell gegen oder prinzipiell für etwas, sondern wir schauen uns das ganz genau an.

Wir äußern uns dann, wenn es darum geht, mit öffentlichen Mitteln sparsam umzuge­hen. Da ist immer eine Stimme der Vernunft gefragt. Wenn sie aus dem Westen kommt, ist sie, meine ich, glaubwürdiger, schlichtweg deswegen, weil wir seit 30 Jahren keine neuen Schulden mehr machen; schlichtweg deswegen, weil Vorarlberg nie spekuliert hat, auch ohne einheitliches österreichisches Haushaltsrecht, das ja nun kommt; schlicht­weg deswegen, weil es keine Spekulationen gegeben hat, weil keine Schulden ge­macht worden sind; weil wir jene Region, jenes Bundesland sind, wo die Investitions­quote sehr hoch ist, sie ist vergleichbar mit Bayern, mit guten Schweizer Kantonen, mit den besten Bundesländern, mit Oberösterreich.

Wenn es um den Umgang mit öffentlichen Mitteln geht, dann äußern wir uns. Ich mei­ne, dass wir das auch glaubwürdig tun können. Das können nicht alle von sich behaup­ten, und ich denke, wenn man die Vorarlberger Stimme in diesem Bereich einbringt, kann man auch etwas erreichen.

Wir äußern uns in Fragen der Haushaltskonsolidierung und als geübte Finanzaus­gleichsverhandler, das wird Ihnen aufgefallen sein. Dazu brauchen wir auch Ihre Part­nerschaft. Immer, wenn es um Finanzausgleichsfragen geht, hat Vorarlberg seine Stim­me sehr sachlich und lösungsorientiert erhoben. Immer dann, wenn einseitig eingegrif­fen wurde, haben wir uns heftig eingebracht, bis hin zu Verfassungsklagen, alles ist in diesem Zusammenhang schon vorgekommen. In diesen Bereichen kann man weiterhin erwarten, dass wir klar Position beziehen.

Wir äußern uns zu Sicherheitsthemen, weil wir das Bundesland mit der höchsten Auf­klärungsquote sind, weil uns die Sicherheit der Bürger ganz wichtig ist. Ich denke, auch da können wir uns glaubwürdig einbringen.

Mir ist die Asylfrage, insbesondere die Integrationsfrage, persönlich besonders wichtig. Vorarlberg ist neben Wien eines der Bundesländer mit hohem Migrantenanteil. Wir ha­ben viel Erfahrung mit Zuwanderungswellen, wir sind in Fragen der Integration schon seit Jahrzehnten herausgefordert, und ich meine, dass wir fachliches, aber auch politi­sches Know-how in dieser Frage einbringen können. Bei der österreichweiten Debatte wird Ihnen vielleicht auffallen, dass dann und wann auch etwas von uns dazu kommt, das sich von den üblichen Plattitüden unterscheiden möge.

Wir äußern uns zum Zukunftsthema Bildung, weil ich es für die Schlüsselfrage der Zu­kunft halte. Wir sind bemüht, im Bereich des Bildungssystems sehr viel zu tun.

Die Zeit des Vorsitzes ist ein Stück weit von den Nationalratswahlen geprägt, in diesen Tagen ist die Situation nicht einfach. Dirty Campaigning und Vorwürfe in den Medien machen es schwierig, die Sachthemen überhaupt zu diskutieren, weil das untergeht. Es stehen aber viele ungeklärte Fragen im Raum. Mir ist bewusst, dass man in einer solchen Phase kurz vor einer Wahl, in den Wochen vor einer Wahl, nicht die größten Reformen auf den Weg bringen kann. Das wird man wohl für danach planen müssen, im Moment geht das im Dirty-Campaigning-Sumpf sowieso unter.

Man kann sich nur wünschen, dass die Dinge rasch auf den Tisch kommen, rasch auf­geklärt werden. Ein Satz dazu sei mir erlaubt: Ich hätte mir erwartet, dass sich der Bun­deskanzler bei der österreichischen Bevölkerung entschuldigt. Das hätte ich mir erwar­tet, und mehr sage ich dazu nicht. Es wäre im Sinne des Gesamten notwendig gewe­sen, schlichtweg zu sagen: Da haben wir einen Fehler gemacht. – Das könnte ein Bun­deskanzler auch zugeben, wenn derartige Methoden ans Licht kommen. (Beifall bei der ÖVP.) Gut, ich lasse das jetzt beiseite.


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Man kann nicht erwarten, dass man während der Zeit des Vorsitzes die allergrößten Re­formen auf den Weg bringt, es ist aber wichtig, sich für danach vorzubereiten. Es ist wichtig, zu überlegen, was die wichtigsten Länderforderungen sind. Es ist gut, sich da­rauf intern vorzubereiten und zu überlegen, was kommt und wo wir als Länder dann auch gefragt sind, wo wir unsere Reformvorschläge einbringen.

Was ist für die Menschen entscheidend? – Die Sicherheit im umfassenden Sinne, und ich meine in diesem Zusammenhang nicht nur militärische und polizeiliche, sondern auch soziale Sicherheit.

Ein wichtiger Punkt sind geordnete Staatsfinanzen. Ich habe am Beginn gesagt, dass wir uns dazu immer äußern, weil uns das sehr wichtig ist. Die nächste Bundesregie­rung braucht die Partnerschaft zwischen Bund, Ländern und Gemeinden, um die Staats­finanzen – ich will nicht sagen: in Ordnung zu bringen – zu ordnen. Wir sitzen insgesamt auf einem Schuldenberg, der nicht gut ist. Die Kinder und Enkelkinder werden das ab­tragen müssen, und das muss natürlich ein Ende finden.

Wenn wir das sagen, sagen wir es glaubwürdig. Wir stecken jetzt alle in den Vorberei­tungen der Budgets für 2018. Es sind harte interne Gespräche zu führen, wir fahren ei­nen engen Sparkurs, wenn wir vorgeben, keine neuen Schulden zu machen. Wenn man im eigenen Laden, den eigenen Leuten, den Regierungsmitgliedern, den vielen Ziel­gruppen, die etwas wollen, sagt, wir in Vorarlberg machen keine neuen Schulden, wir werden den Gürtel etwas enger schnallen müssen, dann sind das nicht immer die bes­ten Nachrichten.

Das ist aber notwendig, weil es insgesamt die Kraft für Investitionen anhebt. Es geht nicht um Sparen als Selbstzweck, um des Sparens willen. Es geht darum, dass Spiel­räume geschaffen werden. Es geht darum, dass Investitionsquoten hoch gehalten wer­den, und es geht darum, dass man die Kraft hat, in jene Bereiche zu investieren, die für die Bewältigung von Zukunftsaufgaben wichtig sind.

Werfen Sie einen Blick ins Bundesbudget und schauen Sie einmal, was wir für die Ver­gangenheit ausgeben und was für die Zukunft! Dann schauen Sie, was weltweit pas­siert, und überlegen Sie, ob wir wirklich die Kraft und auch das Geld haben, um die gro­ßen Herausforderungen anzupacken und letztlich auch zu finanzieren, oder ob wir in vie­len Bereichen eben die Vergangenheit bedienen! – In vielen Bereichen ist das leider so. Das trifft auch auf einige Budgets auf Landesebene zu.

Darum geht es mir im Kern: Eine stabile Regierung braucht stabile Staatsfinanzen. Die kommende Regierung wird in diesem Zusammenhang einiges zu tun haben. Es wird auf der Hand liegen, auch wenn die Konzepte unterschiedlich sind, im Grunde genom­men sagen es alle Parteien. Steuern rauf!, sagen wohl die wenigsten. Abgabenquote rauf!, sagen wohl die wenigsten. Die Konzepte mögen unterschiedlich sein, aber da­von, die Steuern zu senken, reden fast alle. Wenn man aber neue Steuern erfindet, die Abgabenquote anhebt, auch wenn man nichts tut und schlichtweg sagt, wir lassen alles stehen wie es ist, was ganz schlecht ist, werden die Quoten natürlich steigen. Wir sind jetzt bei einer Höhe, die nicht gut ist, die international schädlich ist. Ich hoffe, dass es schon Übereinstimmung darin gibt, dass die grundsätzliche Strategie und Richtung doch sein muss: etwas hinunter – zumindest Richtung deutsches Niveau. Wenn es dort geht, dann verstehe ich nicht, warum es bei uns nicht gehen soll.

Die Konzepte mögen unterschiedlich sein, aber die Grundrichtung muss da sein. Wir, die Länder, werden uns mit dem Bund darüber verständigen müssen, wie wir das zu­stande bringen. Welche Richtung können wir einschlagen? Wie schaffen wir die Kraft für Zukunftsinvestitionen, wie können wir Impulse setzen, auch um in Krisenzeiten ge­gensteuern zu können?


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Schauen wir uns den Bund und das Land Vorarlberg im Vergleich an: Seit mittlerweile über 30 Jahren – mit zwei Ausnahmen, aber auch da nur sehr geringfügig, eine Hoch­wasserkatastrophe im Jahr 1999, eine Finanzkrise im Jahr 2008 – gibt es in Vorarlberg keine neuen Schulden. Im Bundesbudget gibt es das 55. Jahr in Folge neue Defizite. Der Skandal in Kärnten rund um die Hypo Alpe-Adria hat seinen Teil dazu getan, das hat die Performance kurzfristig wieder verschlechtert. Ich muss dem Finanzminister at­testieren und einräumen, dass er sich in der Frage der Senkung der Abgaben- und Schul­denquote enorm bemüht. Das war angesichts des unglaublichen Skandals in Kärnten da­mals eigentlich unmöglich, eine Mission impossible, weil die Bewältigung dieses Krimi­nalfalles – um es einmal so zu nennen – natürlich gekostet hat und noch immer kostet. Das wirkt sich natürlich auf Defizitquoten, auf Schuldenquoten und so weiter aus.

Unabhängig davon muss sich aber die Grundrichtung ändern, es braucht eine Trend­wende. Oder wollen wir auf das Jahr 60, auf das Jahr 70 oder auf das Jahr 100 warten und bis dahin immer neue Defizite machen? Wer soll das bezahlen? – Sie werden es beantworten können: Unsere Kinder, unsere Enkelkinder und die Generationen danach werden einen Schuldenberg vorfinden, der sich gewaschen hat.

Auch bei uns wird man sich nach der Decke strecken müssen, auch die Länder sind in diesem Zusammenhang gefragt. Es ist eine gesamtstaatliche Aufgabenstellung, eine Trendwende herbeizuführen und natürlich zu schauen, dass die Länderinteressen da­bei gewahrt werden. Das ist eine wichtige Leitplanke, und ich habe es am Beginn schon kurz gesagt: Wenn es um Finanzen geht, bitte ich Sie wirklich um Unterstützung, denn es kommt manchmal zu Vorgängen, die schmerzen. Zuletzt ist so etwas ja auch im Bereich der Pflege passiert.

Der Finanzausgleich ist gerade für kleine Bundesländer wie Vorarlberg entscheidend; kraft Größe kann man überall drüberfahren. Aber nicht über uns! Als kleiner Partner ist man noch mehr darauf angewiesen, dass Vereinbartes eingehalten wird. Das ist auch ein Grund dafür, dass wir so genau und so penibel sind, dass das fair, auf Augenhöhe und partnerschaftlich läuft. Man sollte immer darauf achten, dass die Sache, auch wenn der Partner kleiner ist, fair abläuft und Verträge eingehalten werden.

Der Finanzausgleich ist neben den gesamtstaatlichen Finanzen und deren Strömen eine ganz, ganz wichtige Leitplanke für die Planbarkeit in den Ländern und den Ge­meinden; Sie kommen ja alle aus Ländern und Gemeinden. Den Finanzausgleich kann man daher nicht jede Viertelstunde ändern. Man muss sagen, dass er zumindest für die nächsten paar Jahre vereinbart worden ist.

Ich lege größten Wert darauf, dass diese Vereinbarungen eingehalten werden. Wenn Än­derungen gewünscht sind, und auch das wird wahrscheinlich vorkommen, dann ist zu verhandeln, dann ist partnerschaftlich vorzugehen und nicht einseitig. Das ist eine wich­tige Botschaft, und ich bitte Sie im Bundesrat um die bestmögliche Unterstützung in die­sem Zusammenhang, denn es kann immer wieder zu solchen Situationen kommen.

Ich bitte Sie auch, aufmerksam zu bleiben, wenn es um Finanzen geht: In den letzten Jahren – in der letzten Gesetzgebungsperiode, muss man mittlerweile schon sagen – gab es genügend Vorschläge oder Angriffe in Richtung Auflösung der Finanzhoheit der Bundesländer. Sie kennen die Diskussionen rund um die Finanzverfassung. Sie wissen auch, von welchen Personen ich jetzt rede, die im Eindruck von verschiedenen Schwie­rigkeiten – der Spekulationsskandal in Salzburg etwa oder auch die Vorfälle in Kärn­ten – ein paar ganz intelligente Vorschläge gemacht haben. Solche Vorschläge kom­men immer im Kielwasser solcher Schwierigkeiten, das muss man sehen, in diesem Zu­sammenhang werden Versuche unternommen, die Finanzhoheit der Länder insgesamt abzuschaffen. § 6 Finanz-Verfassungsgesetz, Sie kennen es: Was ist Bundessache und wie weit geht die Länderhoheit in dem Zusammenhang?


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Solche Vorschläge gibt es im Nationalrat immer wieder, und ich bitte Sie, als Bundesrat sehr darauf zu schauen. Wenn das wirklich kommen würde, verlieren wir im Kern die Ge­staltungsfreiheiten, und das sollte eigentlich nicht passieren.

Ich streife nur kurz die jüngste Debatte zum Pflegeregress: Inhaltlich kann man durch­aus der Meinung sein, dass die Abschaffung richtig ist. Ich will das inhaltlich gar nicht in Zweifel stellen, aber den Ländern 100 Millionen € anzubieten und dann zu meinen, es sei damit erledigt, widerspricht den Grundrechnungsarten. Das beleidigt den Haus­verstand. Wer ein bisschen nachrechnet, wird sagen: Na gut, mit 100 Millionen € wird es nicht getan sein. Alleine die Einnahmeausfälle werden geschätzt bei 200 Millionen € liegen, und die Folgekosten werden noch höher sein.

Ich lasse die inhaltliche Debatte jetzt beiseite, man kann sich auch dafür aussprechen. Ich verlange aber natürlich vehementest, dass das nach dem 15. Oktober geradege­stellt wird. Es muss klar sein: Wer einseitig eingreift und etwas abschafft, in diesem Fall den Pflegeregress, ohne Verhandlungen zu führen, und damit in die Finanzmasse der Länder per Gesetz, per Verfassungsgesetz direkt eingreift, Landesgesetze per 1. Jän­ner direkt aushebelt, wird dafür die Rechnung bekommen. Es ist relativ einfach: Wer an­schafft, zahlt.

Wir werden das ganz sachlich, ganz konstruktiv handhaben. Es ist inhaltlich in Ord­nung, finanziell aber ungelöst, und das wird man am 16. Oktober und danach natürlich sagen müssen. Wir sagen es jetzt schon, und bekannt ist es ja schon. Der Finanzminis­ter hat uns zugesichert, in Gespräche einzutreten und dafür zu sorgen, dass wir auch die entsprechende Abgeltung bekommen.

Abgesehen davon wäre zum System selbst auch die eine oder andere Diskussion not­wendig: Was unternimmt man, wenn man da eingreift? Wie kann man ambulante Pfle­ge, die uns wichtig ist, stärken? Das wäre notwendig.

Das ist ein kleines, aber interessantes Beispiel dafür, wie vorgegangen wird und wie wir uns aufstellen müssen. Ich bitte Sie um Ihre Aufmerksamkeit in diesem Zusammen­hang, denn wenn es solche Vorgänge gibt, ist höchste Aufmerksamkeit gefragt. Ich bit­te Sie, genau hinzuschauen, wo man da wirklich zustimmt und wo nicht.

Eines der großen Themen, das uns wichtig ist, ist Bildung, Ausbildung und Qualifika­tion. Dazu möchte ich zwei Dinge sagen, die mir aus Ländersicht und aus Vorarlberger Sicht besonders wichtig sind: In jedem Bildungssystem ist zu beantworten, wie die Spit­zenleistungen entstehen, und in jedem Bildungssystem ist zu beantworten, wie die Chan­cengleichheit organisiert wird, wenn es funktionieren soll. Diese beiden großen Aufga­ben bleiben und werden in Österreich unzureichend gelöst. Wir könnten besser sein. Der Einsatz von Geldmitteln ist eigentlich relativ hoch, der Output ist zu gering. In Fra­gen der Bildung, der Qualifikation haben wir gemeinsam, Bund und Land und natürlich alle anderen, die im Bildungssystem tätig sind, ganz besonders viel Arbeit vor uns, um eine der größten Herausforderungen überhaupt zu bewältigen.

Österreich ist kein Land, in dem große Bodenschätze vorhanden sind. Wir können uns nicht darauf verlassen, dass wir Öl oder sonst irgendetwas finden. Wasser haben wir ausreichend, Natur haben wir ausreichend. Das sind große Schätze, aber ökonomisch verwertbar sind sie nur im Tourismus. Insgesamt braucht es Investitionen in die besten Köpfe, es braucht das Bildungssystem.

Ein letzter Satz noch dazu, weil das in der Gesamtausrichtung wichtig sein wird: Schauen wir doch genauer hin und überlegen uns wirklich, wie es uns besser gelingen kann, bil­dungsfernere Kinder, bildungsfernere Eltern, bildungsfernere Jugendliche zu erreichen! Die Demografie wird uns ja ohnehin zeigen, wohin das läuft. Wir lassen zu viele Kinder zurück, auch bei uns. Ich sage das selbstkritisch; es sind zu viele, die den Hauptschul­abschluss nicht schaffen.


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Wenn Sie mit einem Unternehmer reden und fragen, was der Wachstumsengpass der Zukunft ist, wo die neuen Arbeitsplätze entstehen und was wir tun müssen, damit es klappt, dann sagt Ihnen jeder: Die Kosten sind wichtig, Steuerpolitik, Abgabenquote, Lohn­nebenkosten, die Arbeitszeit. – Okay, aber wie ein roter Faden zieht es sich durch Ös­terreich: Die Fachkräfte sind entscheidend. Wir brauchen die am besten ausgebildeten Leute.

In Vorarlberg gibt es einen Slogan dazu: Wir wollen das Land der besten Fachkräfte sein. Wir investieren nicht umsonst so viel in die Lehrlingsausbildung, in die duale Aus­bildung, wir wollen dort weltweit an der Spitze bleiben, weil wir gar nicht anders kön­nen. Es ist ein Fehler, Kinder zurückzulassen; das ist ein Fehler.

Die Unternehmer haben in den letzten Jahren gesagt: Eigentlich ist das einfach, da kom­men 100 Bewerber, und die besten zehn nehme ich! Heute aber kommen 20 Bewer­ber, und alle 20 werden genommen, egal, welchen Hintergrund, egal, ob migrantischer Hintergrund oder nicht, egal, welche Ausbildung sie haben, die meisten Unternehmer können gar nicht anders. Und für die kleineren Betriebe ist es noch schwieriger, die sa­gen, sie finden gar keine Bewerber mehr. Darin ist also eine große Aufgabe zu sehen, und es ist mir ein großes Anliegen, zu sagen: Investieren wir weiter in die duale Ausbil­dung! – Ein Thema, das in Österreich unterbelichtet ist. (Beifall bei ÖVP und SPÖ sowie des Bundesrates Stögmüller.)

Die Lehrlingsausbildung ist eine Visitenkarte im europäischen Vergleich. Ich bin im Aus­schuss der Regionen. Ein kleines Beispiel: Neben mir sitzt mittlerweile ein Finne, glau­be ich, der mich immer fragt: Wie geht denn das mit der dualen Ausbildung in Öster­reich? Wie funktioniert das? Ich sage dann: Das ist eigentlich ganz einfach: Wir stellen die Berufsschulen zur Verfügung – öffentliche Investition –, aber die Betriebe selbst bil­den aus, und zwar Jugendliche. Die Antwort meines Kollegen, den ich sehr schätze, war: Bei uns wäre das unmöglich, das wäre Kinderarbeit! – Es gibt also auch völlig andere An­sichten in diesem Zusammenhang.

In Finnland – das hochgelobte System – ist die Jugendarbeitslosigkeit fünfmal höher als bei uns, und es gibt eine Verschulung, Fachschulen, diese mögen auch gut sein, aber keine, fast keine, wirklich kombinierte Ausbildung mit einem Betrieb. Wo auf der Welt gibt es das? – In Deutschland, aber auch nicht in allen Bundesländern, in Öster­reich – in vielen Bundesländern bei uns mit hoher Quote –, in der Schweiz, und dann ist es vorbei! Das System wird jetzt gerade exportiert, nach China und weiß ich wohin, weil es erfolgreich ist. Bleiben wir da also drauf, reden wir nicht immer nur über die ge­meinsame Schule und solche Dinge, so wichtig das auch ist, sondern schauen wir auch dorthin, wo es wirklich wichtig ist!

Ich bitte Sie auch, dafür einzutreten, dass wir mehr Geld in die Volksschulen bringen. Ich sage das jetzt ganz offen: Die Volksschulen, die Frühförderung insgesamt und auch die Volksschulen, sind Bundessache und sie sind finanziell unterbelichtet. Ich halte es für unseriös, wenn Leute einfach hinaustreten und sagen, es stünden ein paar Tau­send Lehrer zur Verfügung – ich weiß gar nicht, wo die sind; das ist unseriös. Immerhin ist aber der Gedanke da, zu sagen, es braucht dort mehr an Unterstützung für die Volks­schulen.

In Vorarlberg müssen wir derzeit, um das System aufrechterhalten zu können – höhere Migrantenanteile, sonderpädagogischer Förderbedarf –, ungefähr 520 Lehrerstellen, das ist eine große Zahl, selbst finanzieren, weil der Bund es nicht tut. Die Stellenplanrichtli­nie des Bundes ist in diesem Zusammenhang eigentlich seit Jahren unterbelichtet. Es ist schon ein bisschen eigenartig, wenn dann Leute kommen und sagen, man hätte 5 000 Lehrer für uns. Dann sage ich: Ihr könnt gerne eine Rechnung für die haben, die wir jetzt schon selbst bezahlen, für die der Bund eigentlich zuständig ist!


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Das sind Wahlkampftöne. In Wirklichkeit geht es aber darum, dass wir dort mehr an Unterstützung leisten. Das ist etwas aus dem Blickfeld geraten, verloren gegangen. Man redet viel über Mittelschule, gemeinsame Schule und so weiter und zu wenig über die Volksschule, zu wenig über die Frühförderung. Wir wissen aber schon: Auf den Anfang kommt es an! Das beginnt in der Familie, wo, wie ich glaube, gewisse Verhaltenseigen­schaften, gewisse Charaktereigenschaften für das Leben gelernt werden können oder nicht. Es gibt gewisse Dinge, die man nur in der Familie lernen kann, in keinem ande­ren System. Es geht dann in der Kinderbetreuung und im Kindergarten weiter, wo sich die Frage von Deutschkenntnissen schon intensiv stellt, es geht weiter mit dem Schul­eintritt. Es ist richtig, wenn öffentlich darauf hingewiesen wird, dass beim Schuleintritt die Deutschkenntnisse besser sein sollten; natürlich ist das richtig. Und es ist auch wichtig, dass wir mehr Augenmerk auf die Volksschule richten, die Frühpädagogik, die duale Be­rufsausbildung und selbstverständlich auch auf die Frage, wie wir mehr Kinder im Sys­tem mitnehmen können.

Ich halte den letzten Teil in der Diskussion für eher unterbelichtet, zu wenig intensiv dis­kutiert, nämlich die Frage: Wen lassen wir auf der Seite liegen, wie viele Kinder kom­men nicht mit? Diese Diskussion wird zu wenig geführt.

Ein drittes Thema – ein ziemlicher Sprung – ist die Frage der Sicherheit, des Asyls und der Integration; drei, vier Sätze dazu: Helfen Sie mit, wenn es darum geht, regionale Sicherheitsstrukturen zu erhalten! Das Geheimnis einer hohen Aufklärungsquote liegt in einem guten Netz von Polizeiposten, liegt darin, dass wir vor Ort Leute haben, die Ortskenntnis haben. Das ist zumindest ein Geheimnis. Es liegt aber auch darin, dass wir dort genügend Personal und gut ausgebildetes Personal haben, bei der Polizei zum Beispiel. Das funktioniert nicht nur über zentrale Strukturen, nicht nur durch Tätigkeiten im Büro, sondern wir brauchen das Personal vor Ort, direkt bei der Bevölkerung. Alles, was an Initiativen in diese Richtung geht, ist zu unterstützen.

Die Polizei braucht auch die erforderlichen Instrumente dazu, um die Bekämpfung von Kriminalität, natürlich auch Terror, intensiv betreiben zu können. Seien Sie offen in die­ser Frage und schauen Sie, was dort wirklich benötigt wird! Reden Sie mit Polizisten und Ermittlern, die sagen Ihnen, wie sie über irgendwelche WhatsApp-Kanäle oder an­dere Dinge ausgetrickst werden, und fragen Sie nach, was an Instrumenten – natürlich immer mit Vorsicht, das ist mir schon klar; Datenschutz, die Freiheit des Einzelnen – benötigt wird, um dieser Dinge Herr zu werden! Es kann nicht sein, dass uns ein paar Kriminelle mit verschlüsselten WhatsApp-Kanälen und anderen Dingen am Laufen hal­ten, das kann nicht sein! Ich weiß, wovon wir in diesem Zusammenhang reden.

Zum Zweiten: die militärischen Strukturen. Eine regionale Sicherheitsstruktur bedeutet ein gutes Militärkommando in den Bundesländern, bedeutet auch ordentlich Personal vor Ort.

Ich habe den ehemaligen Minister Klug damals bei einem Besuch in Vorarlberg ge-
fragt: Es kostet Sie einen Federstrich, eine Kaserne zu schließen, aber haben Sie schon einmal probiert, eine neue Kompanie aufzubauen? – Wir versuchen es im Moment, weil es damals ja die Zusage des neuen Verteidigungsministers gegeben hat, in Vorarlberg eine zusätzliche Kompanie aufzubauen. Es dauert im Schnitt fünf Jahre, eher sieben, weil Sie ja das Personal ausbilden müssen, weil Sie rekrutieren müssen. Das heißt, der Aufbau einer derartigen Struktur dauert Jahre, und es dauert nur zwei Sekunden, sie zu streichen. – Vorher überlegen! (Beifall bei der ÖVP.)

Im Katastrophenfall ist das ungünstig, denn da brauchen Sie natürlich das notwendige Personal. (Zwischenrufe bei SPÖ und FPÖ.) Ich breche eine Lanze für gute regionale Sicherheitsstrukturen im Bereich der Polizei, im Bereich des Bundesheeres, um die Si­cherheit vor Ort gewährleisten zu können.


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Über Asylfragen lässt sich lange reden. Selbstverständlich braucht es eine Kontrolle über die Migrationsströme. Ich habe zu jenen gezählt, die im Jahr 2015 relativ deutlich gesagt haben – ich meine, auch glaubwürdig –, das Bundesland Vorarlberg wird sei­nen Beitrag leisten, wir werden die Quote erfüllen, wir werden keine Zelte aufstellen und keine Containerdörfer errichten. Das war damals eine mutige Aussage, weil jede Wo­che Hunderte in unser Bundesland gekommen sind und Zigtausende österreichweit. Trotz­dem habe ich gesagt, wir werden einen humanen Beitrag leisten, aber wir wollen wis­sen, wie es weitergeht, denn es kann sich nicht jedes Jahr so abspielen. Wir können nicht jedes Jahr ein paar Tausend Leute aufnehmen, wir brauchen natürlich eine Ober­grenze, und wir brauchen eine Kontrolle über die Migrationsströme. Mittlerweile ist un­bestritten, dass das so sein muss, und die Diskussionen sind allerorts im Gange. Das, was bis jetzt übrig geblieben ist, ist aber die Frage der Integration, und ich weiß, wovon wir diesbezüglich im Bundesland Vorarlberg reden. Da sollte man auch die Fehler der Vergangenheit nicht wiederholen.

Eine wichtige Botschaft an die, die zu uns gekommen sind, ist auch – und darauf legt auch die Bevölkerung bei uns größten Wert –: Man kann – auf Dauer jedenfalls nicht, aber auch nicht kurzfristig – nicht gegen uns leben, man kann auch nicht neben uns le­ben, Stichwort Parallelgesellschaft, man kann nur mit uns leben. (Beifall bei der ÖVP und bei Bundesräten der SPÖ.)

Diese zentrale Botschaft muss man zum Ausdruck bringen. Das klingt einfacher, als es ist, weil das natürlich heißt, dass man Werte, die in der Verfassung stehen, durchset­zen muss, das heißt, dass man für Spielregeln zu sorgen hat, die für alle gelten; ordent­liche Spielregeln für alle, die auch von allen eingehalten werden. Das heißt aber auch, klarzumachen, dass wir keine Parallelgesellschaften wollen. Und glauben Sie mir, bei dem Anteil an Migranten, den wir in Vorarlberg haben, aus früheren Wellen der Zuwan­derung, weiß ich, wovon wir reden; in Wien weiß man es auch, aber wir in Vorarlberg wis­sen es auch.

Eine entscheidende Frage ist: Was haben wir gemacht? – Mittlerweile ist das öster­reichweit klar geworden: Wir haben eine Integrationsvereinbarung eingeführt. Ein faires Angebot: flächendeckende Deutschkurse, bei uns im Bundesland, auch den Zugang für alle, die das benötigen, übrigens auch schon für Asylwerber, aber auch klare Spielregeln, was den Erfolg angeht. Die Sprache muss gelernt werden, im Alltag angewendet wer­den, nicht nur irgendwo im Hinterzimmer, und es geht um eine direkte Mithilfe, was den Arbeitsmarkt betrifft. Man kann sich logischerweise nicht einem Job verweigern, sondern muss aktive Mithilfe beim Suchen eines Jobs leisten.

Diese Dinge sind in einer Vereinbarung mit jedem, der asylberechtigt ist, ausgemacht worden, und das wird sanktioniert. Es gibt ungefähr 80 bis 100 Sanktionen im Monat – das betrifft im Übrigen alle, nicht nur Asylberechtigte. Das ist relativ streng, aber wir wer­den eher noch einen Zahn zulegen müssen: um klarzumachen, dass wir nicht zuschau­en können, wie Leute zu lange in der Mindestsicherung – die Kosten haben sich mehr als verdoppelt – bleiben; um klarzumachen, dass in der Mindestsicherung kein Dauer­aufenthalt möglich ist; um klarzumachen, dass das keine Hängematte ist, sondern eine Überbrückung; um klarzumachen, dass das kein Grundeinkommen ist, sondern eine Überbrückungshilfe – zurück in den Job.

Das gilt ja für alle, so natürlich auch für Asylberechtigte, insofern, glaube ich, ist das fair. Es ist konsequent, das gebe ich zu, es erfordert eine klare Umsetzung, aber es ist eine klare Strategie dahinter: ein gutes Angebot zur Integration, Mithilfe ist gefragt und bei Nichtmithilfe gibt es auch eine Sanktion. Das halte ich für richtig, weil es um den Einsatz von staatlichen Mindestsicherungsgeldern geht und weil die Leute schon fra­gen: Wie geht ihr damit um? Ist auch Missbrauch möglich?, und so weiter. Ich halte das für richtig.


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Diesen Weg haben wir eingeschlagen, und den wird es auch in Zukunft geben. Die Hilfe, die wir, glaube ich, auch bei uns zum Ausdruck gebracht haben – wir haben eine recht gute Verteilung auf fast alle Gemeinden vorgenommen –, ist keine Einbahnstra­ße, sondern es muss auch etwas zurückgegeben werden.

Ein weiterer Punkt, dessen Behandlung uns in der nächsten Gesetzgebungsperiode be­vorstehen wird, ist die Bürokratie. Wir reden viel über Bürokratie. Wer mit der Wirt­schaft zu tun hat, wird hören: Fachkräftemangel, die Ausbildung ist entscheidend! Wer mit der Wirtschaft und Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern, auch BürgerInnen, viel zu tun hat, wird hören, dass die Bürokratie zu groß ist. Das stimmt auch, gerade für Kleinbetriebe. Die Last an Bürokratie, die auf deren Schultern liegt, ist oft viel, viel er­drückender als die Kosten; sie ist erdrückend. Das heißt, daran muss intensiv gearbei­tet werden, damit Wachstum überhaupt möglich ist.

Wir haben in Vorarlberg ein um ein Drittel höheres Entwicklungstempo als im Öster­reichschnitt – Vorarlberg hat den Wachstumspreis bekommen. Das heißt, an sich sind die Wachstumschancen gut, wenn es gelingt, die Bürokratie abzustauben. Ich traue mich für Vorarlberg wieder einmal in den Mund zu nehmen – in den letzten zwei Jahrzehn­ten konnten wir das nicht mehr sagen –: Wir steuern auf die Vollbeschäftigung zu. Un­sere Arbeitslosenquote fällt – mit oder ohne Flüchtlinge –, glaube ich, auf Dauer unter 5 Prozent. Nach EU-Kriterien heißt das Vollbeschäftigung. Der Österreichschnitt liegt bei über 7 Prozent.

Möglich ist da also sehr viel, wie man an unserem Beispiel auch sehen kann, aber es braucht die richtigen Schritte und die richtigen Maßnahmen dazu. Im Bereich der Bü­rokratie ist das eine nicht einfache Aufgabenstellung; ich bringe Ihnen ein paar Vor­schläge.

Ich würde raten, im Rahmen der Bundesgesetzgebung in der nächsten Legislaturperio­de dafür zu sorgen, um konkret zu bleiben, dass das ArbeitnehmerInnenschutzgesetz entrümpelt wird. Schauen Sie sich wirklich einmal im täglichen Betrieb an, was es dort an Voraussetzungen geben muss! Ich weiß, dass der Arbeitnehmerschutz wichtig ist – damit ich richtig verstanden werde –, aber wir haben eine überbordende Bürokratie.

Vor Kurzem war ein Unternehmer bei mir, der mir erklärt hat, dass er ein Problem mit dem Arbeitsinspektorat hatte, weil er keinen Obstkorbkontrollor hatte. Sie wissen, wie das ist? – Da läuft jemand mit dem Obstkorb durch die Firma, und man kann frische Äpfel herausnehmen. Nun könnte es sein, dass da ein fauler Apfel darunter ist – es könnte sein. Die Frage war, wo der Kontrollor für den Obstkorb sei; wenn es keinen ge­be, dann solle man einen einstellen, oder so. – Ich weiß nicht, wer überhaupt auf eine solche Idee kommt. Ich sage, gut, lassen wir das einmal beiseite, ein schlechteres Bei­spiel gibt es ja gar nicht mehr, aber es ist schon ein Zeichen dafür, dass wir im Arbeit­nehmerInnenschutzgesetz überreguliert sind. Wir sollten dort etwas tun, ganz konkret, und nicht nur darüber reden, Bürokratie abzubauen, sondern sagen: Entrümpeln wir das ArbeitnehmerInnenschutzgesetz!

Ich bringe Ihnen ein zweites Beispiel für zentrale Gesetzgebung, denn in diesen Fra­gen sind Sie als Bundesräte ja unmittelbar angesprochen: Bringen Sie mir jemanden – außer er ist ein geschulter Anwalt –, der das Vergaberecht noch versteht, und fragen Sie einmal die Verwaltungsgerichte, wie viele von den Vergaben beim Gericht landen! – Die Quote ist enorm! Fragen Sie einen Unternehmer, ob es ihm noch gelingt, das Verga­berecht einzuhalten! – Es geht eigentlich gar nicht mehr. Auch im öffentlichen Bereich ist das übrigens sehr schwierig. Sie landen ja auch immer vor Gericht, wir alle. – Ent­stauben Sie also das Vergaberecht! Schauen Sie sich das einfach einmal in der zentra­len Bundesgesetzgebung an, und versuchen Sie, dass wir dort einen Schritt setzen!

Schauen Sie sich das Mietrecht an! – Ich weiß, das ist eine zündende Bombe. (Bun­desrat Mario Lindner: Wer war da dagegen?) Wir sind immer für die Verländerung des


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Mietrechtes, das sage ich auch dazu, da werden nicht alle dafür sein. Haben Sie aber ein paar Leute gefunden, die das Mietrecht wirklich gut verstehen? Für Vorarlberger Ver­hältnisse passt es überhaupt nicht. Es führt dazu, dass keiner mehr vermietet. Leer ste­hende Wohnungen, höchste Preise – und wir diskutieren täglich über leistbares Woh­nen. (Bundesrat Stögmüller: Ja, tun wir etwas! Wir würden es eh vorschlagen!) – Im­mer ruhig bleiben, immer ruhig bleiben! Wir haben noch Zeit, zu diskutieren. (Bundes­rat Schennach: Ihre Rede kommt zu spät für Ihre Fraktion!)

Ich sage Ihnen, das österreichische Mietrecht – es mag da und dort auch seine Gültig­keit und Berechtigung haben – ist für die Verhältnisse in vielen Ländern, bei uns jeden­falls, das kann ich mit Gewissheit sagen, ungeeignet. Ein Bundesratsmandatar sollte das nicht ignorieren, sondern sollte sehen, dass man in diese Richtung auch etwas tun muss. (Bundesrat Stögmüller: Wir würden es eh ändern! – Zwischenrufe bei der SPÖ.)

 


Präsident Edgar Mayer: Am Wort ist der Herr Landeshauptmann, und wir alle sind ge­neigt, ihn ausreden zu lassen und zuzuhören, und diskutieren im Anschluss daran. – Dan­ke schön.

 


Landeshauptmann von Vorarlberg Mag. Markus Wallner (fortsetzend): Wir haben schon noch Zeit, zu diskutieren.

Es ist auch notwendig, einen Blick in die Betriebsanlagenverfahren zu werfen. Wir be­mühen uns, 80 Prozent der Anlagenverfahren in drei Monaten zu erledigen – 80 Pro­zent! – und knapp 98 Prozent in ungefähr sechs Monaten. Das ist der Wert, den wir in Vorarlberg derzeit erreichen. Das ist beim gegenwärtigen Betriebsanlagenrecht mög­lich, aber extrem schwer zu halten, und wenn es so weitergeht, wird es eher schwierig sein, diese kurzen Genehmigungsfristen, die für die Wirtschaft wichtig sind, auf Dauer aufrechtzuerhalten. Also: kurze Genehmigungsverfahren, natürlich rechtsstaatlich or­dentlich, das ist ohnehin klar, aber es dauert oft einfach viel zu lange.

Es ist mir auch wichtig, dass Sie diese großen Rechtsbereiche des Bundes – es bleibt immer zu theoretisch – nicht nur auf die Frage hin anschauen, was politisch notwendig ist und wer welche Interessen hat, sondern auch hinsichtlich Bürokratie testen. Ich ha­be Ihnen jetzt einige große Rechtsbereiche genannt, man könnte das noch um andere Bereiche ergänzen, in denen das auch zwingend notwendig sein wird. Im Übrigen gilt das auch für die Landesgesetze. Es ist nicht so, dass ich sage, dass das nur für die Bun­desgesetzgebung gilt. In der letzten Landtagssitzung, gestern, haben wir wieder fünf Lan­desgesetze abgeschafft, in 21 Landesgesetzen eine Rechtsbereinigung vorgenommen – ein enormer Schritt in Richtung Deregulierung. Auch wir sind aufgefordert, in den eige­nen Landesgesetzen darauf zu achten, dass die Überbürokratisierung nicht zunimmt, son­dern dass die Bürokratie weiter abnimmt.

Also: Deregulierung, Verwaltungsvereinfachung, Entstauben von gewissen – ich sage das jetzt einmal so – großen Materien im Bereich der Bundesgesetzgebung, das wäre mir ein wichtiges Anliegen.

Wenn man über Bürokratie redet, ist man logischerweise immer auch bei Europa ange­kommen; und da möchte ich folgenden Gedanken bringen: Wer für ein subsidiäres Eu­ropa eintritt, sollte im Übrigen auch für ein subsidiäres Österreich eintreten. Beides – nach oben und nach unten – wird entscheidend sein, andernfalls ist die Haltung inkonse­quent. Wer also konsequent Subsidiarität das Wort redet, so wie ich, der sollte sich auch im Klaren sein: Das gilt im Land, das gilt in der Republik, und das gilt auch im eu­ropäischen Zusammenhang.

Mir ist das wichtig, weil wir ja versuchen, daran zu arbeiten, ein gemeinsames Länder­papier in Richtung Europa zu entwickeln – die Bundesregierung hat das nicht mehr auf den Weg gebracht; wir versuchen das zumindest –: Wo können sich die Länder in der


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Diskussion um das Weißbuch zur Frage, wie es in Europa insgesamt weitergeht, posi­tionieren? Wie ist diesbezüglich unsere Haltung?

Erstens würde ich mir wünschen, dass viele heraustreten – ich mache das jetzt auch wieder und habe es immer wieder gemacht – und klar und deutlich sagen, wo sie ste­hen, nämlich pro Europa. Das würde ich mir wünschen.

Zweitens würde ich mir wünschen, dass man dazusagt – als Vorarlberger fällt es einem leicht, das zu sagen –: Wir haben von diesem Europa, das so intensiv kritisiert wird, enorm profitiert, gerade unsere Region. Unser Exportvolumen schießt durch die Decke! Die Wirt­schaft in unserem Lande hat die Möglichkeiten des größeren europäischen Raums ganz enorm wahrgenommen, hat die Chancen enorm genützt. Und man muss immer wieder die Kraft aufbringen und im Hinblick auf die größeren Zusammenhänge sagen: Wir ha­ben davon profitiert, Land und Leute! (Zwischenruf der Bundesrätin Mühlwerth.)

Ein Drittes: Natürlich muss in Richtung Reform Druck gemacht werden; das ist auch aus Sicht der Bundesländer wichtig. (Bundesrätin Mühlwerth: Es ist ja nicht alles su­per, was die machen, oder?!) – Nein, aber es kann in einer öffentlichen Debatte nicht schaden – Sie müssen ja nicht meiner Meinung sein –, wenn ein paar heraustreten und sagen: Erstens bin ich für Europa, zweitens haben wir profitiert, und drittens treten wir für Reformen ein!, und zwar in dieser Reihenfolge und nicht anders, denn die Kritik an Europa ist sehr einfach, aber zu sagen, dass wir auch wirklich profitiert haben, ist of­fenbar schwieriger.

Persönlich weiß ich nicht, was daran so schwierig sein soll; der Blick auf Vorarlberg wird es beweisen. Das gilt für mein Bundesland – ich kann nicht für alle reden – und für Österreich gesamt übrigens auch. Insgesamt hat uns Europa aber logischerweise in vie­lerlei Hinsicht mehr gebracht als geschadet, und trotzdem wird es erforderlich sein, den Blick darauf zu lenken, was notwendig ist.

Ich weiß nicht, wann es in der europäischen Diskussion zum letzten Mal der Fall war – es dürfte ziemlich lange zurückliegen –, dass man eine Situation vorfindet, in der viele eu­ropäische Bürger – in Österreich ja ganz stark, aber ich meine, auch weit über Öster­reich hinaus –, wenn man genau hinhört, bei gewissen Fragen nach einem starken Eu­ropa rufen. Das bedeutet umgekehrt: Würde man darauf reagieren, hätte man die Chan­ce, das Vertrauen in Europa zu stärken, was gesamthaft im globalen Wettbewerb wich­tig wäre.

Wann haben die Bürgerinnen und Bürger zuletzt so intensiv geäußert, dass sie sich zum Beispiel im Grenzschutz ein starkes Europa wünschen? Wann haben die Bürge­rinnen und Bürger zum letzten Mal so stark geäußert, dass sie sich mehr innere Si­cherheit wünschen, und zwar nicht nur vom Nationalstaat und von der Region, sondern von Europa? Sie formulieren es ja auch; das Problem ist, die Reaktion setzt zu wenig rasch ein.

Eigentlich könnte man aber aus dem Problem auch eine Chance machen und sagen: Wenn diese großen Fragen angegangen werden, so schwierig sie sind – die Asylfrage, Außengrenzschutz, innere Sicherheit, den Schengenraum letztlich doch wiederherzustel­len –, wäre die Chance eigentlich sehr intakt, dass Europa wieder an Boden und an Ver­trauen bei der Bevölkerung gewinnt. Macht man das nicht, ist es natürlich eine vertane Möglichkeit.

Die andere Frage ist, ob man sich in kleine Dinge einmischen muss. Wer das Weiß­buch und die Szenarien kennt, weiß, es gibt Bereiche, in denen es mehr EU braucht, und dazu muss man sich ja auch bekennen. Es gibt Bereiche, in denen wir mehr Euro­päische Union benötigen, und es gibt Bereiche, in denen wir durchaus weniger Euro­päische Union benötigen. Wenn eine Reform in diese Richtung geht, dann findet sie


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natürlich auch unsere Unterstützung, weil sie konsequenterweise eher dem Subsidiari­tätsprinzip folgt und nicht Dinge regelt, die eigentlich nicht geregelt werden müssen.

Die Allergenverordnung war so etwas: intensiv diskutiert im Tourismus, eine völlig über­schießende Regelung, in Österreich noch dazu Gold Plating hoch vier – war so gar nicht notwendig. Ich weiß von den Nachbarländern in unserer Region, dass sie uns ausge­lacht und gesagt haben: Also was ihr da produziert, über das hinaus, was die EU-Richtlinie überhaupt vorschreibt – eure Sache! Notwendig war es in dieser Form nicht; man hat es übrigens in einer Art und Weise korrigiert, dass es jetzt funktioniert.

Das ist ein gutes Beispiel dafür, dass man sich in Dinge einmischt, bei denen es ab­solut nicht notwendig ist, und noch dazu wurde Gold Plating betrieben. Diesen Weg kann ich auch nicht unterstützen, da sage ich: Kritik an Europa, aber auch an uns selbst, denn das Gold Plating haben wir selbst verursacht. Das hätte aus meiner Sicht nicht sein müs­sen.

Die Grundrichtung muss also gegeben sein, das kann auch unterhalb der Schwelle von Vertragsänderungen sein, das kann auch mit den bestehenden Kompetenzen gut ge­macht werden, da braucht es in diesen Bereichen nicht unbedingt überall Vertragsän­derungen.

Ein letztes Thema, weil wir hier im Bundesrat sind: Kämpfen wir miteinander um den Föderalismus! Da muss ich auch eine Sorge loswerden, denn die veröffentlichte Mei­nung, insbesondere bundesweit, ist sehr stark gegen den Föderalismus gewendet. Ich sage, die veröffentlichte, nicht unbedingt die öffentliche Meinung. Mir geht es dabei im Kern darum, dass man erkennen muss oder erkennen sollte, dass ein Wettbewerbsfö­deralismus die richtige Richtung wäre, dass wir uns eigentlich damit befassen sollten, wer für den Bürger und die Bürgerin im jeweiligen Kompetenzbereich die bessere, die günstigere und die effizientere Lösung anbieten kann. Das ist die eigentliche Fragestel­lung; was man dabei aushalten muss, sind Unterschiede.

Wer also für einen Föderalismus eintritt, wie dieses Haus ja auch, der sollte sich letzt­lich auch dazu bekennen, dass es durchaus Unterschiede geben kann – nicht überall, aber in manchen Bereichen; ich sage jetzt einmal: im Sinne eines gesunden Wettbe­werbsföderalismus. Wer dafür eintritt, dass immer alles einheitlich sein muss, in allen Fragen, der muss sich über den Föderalismus keine Gedanken mehr machen, denn am Ende bedeutet das immer auch Wettbewerb und am Ende bedeutet das auch ein Stück weit Unterschiedlichkeit, weil die Lebensverhältnisse und die Möglichkeiten auch in Ös­terreich unterschiedlich sind.

Ich weiß, man tut sich mit dieser Diskussion schwer; trotzdem: Suchen Sie in der De­batte auch Möglichkeiten, das herauszuarbeiten! Ich nenne Ihnen noch zwei, drei Bei­spiele – ich kann das nur vom eigenen Land sagen –: Es wird immer beklagt, dass es neun verschiedene Baugesetze gibt. Wissen Sie, ich bin wirklich froh darüber, dass wir im Land Vorarlberg ein eigenes Baugesetz haben, und zwar aus einem ganz einfachen Grund: Bei uns ist man den Weg einer starken Öffnung des Baugesetzes gegangen, wir haben eine starke Liberalisierung gewählt – das will nicht jeder, denn die Ortsbild­fragen beschäftigen die Leute. Es gibt das Modell Alpbach – das ist auch in Ordnung, das ist entschieden worden –, aber es gibt auch andere Modelle.

Ich will logischerweise niemandem vorschreiben, was er zu tun hat, aber das Entste­hen einer international anerkannten Architektur, das Entstehen einer Holzbauweise, die weit über die Grenzen Vorarlbergs hinaus bekannt ist, die Tatsache, dass französische Architekturexkursionen in unser Land unternommen werden, hat damit zu tun, dass wir das Baugesetz geändert haben. Das hat damit zu tun, dass wir eine perfekte, gut auf­gestellte Architekturszene haben und dass das Handwerk aufgeblüht ist. Das hat am Ende des Tages regionale Wertschöpfung, internationale Anerkennung und Jobs ge­schaffen – und zwar Wachstum und damit ordentlich Jobs geschaffen!


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Ich wüsste nicht, wie es wäre, wenn das zentral geregelt wäre – eher nicht so. Ich weiß nicht, ob andere auch diesen Weg gehen möchten. Wir haben uns entschieden, diesen Weg zu gehen. Wer bei uns im Land war oder ist, der wird das kennen, das kann man mögen oder nicht, aber es hat sich eine beachtliche Architekturszene mit beachtlicher Wirtschaftskraft entwickelt, und die Bevölkerung nimmt das sehr positiv auf. – Das war ein Beispiel.

Ein zweites Beispiel ist das Dienstrecht: Schauen Sie, wir sind, glaube ich, immer noch das einzige Bundesland – Sie werden es mir dann schon sagen, wenn es anders ist; in Wien kommt das jetzt auch –, das die Pragmatisierung abgeschafft hat, vor Jahren schon. (Ruf bei der SPÖ: Schon längst ...!) – Jaja, „schon längst“; wir haben das schon vor 20 Jah­ren begonnen. Das heißt, dass wir – anders als viele andere – natürlich keine Pensions­zahlungen wie einen riesigen Berg vor uns herschieben. In 20, 30 Jahren fällt das wie ein Komet vom Himmel, das haut ganz extrem auf die Finanzlöcher. Das heißt, die ei­genen Möglichkeiten hinsichtlich Dienstrecht sind ausgeschöpft worden.

Wir haben eine Gehaltsreform durchgeführt, die einen höheren Einstiegsgehalt ermög­licht, die Pragmatisierung abgeschafft und alle auf ASVG-Pensionen umgestellt – alle! Das haben die Bundesländer in Summe natürlich noch nicht erledigt. Dass wir alle auf ASVG-Pensionen umgestellt haben, bedeutet für die Zukunft, dass die hohen Pensionszah­lungen nicht mehr anfallen. Das geht nur, wenn man die Hoheit über das Dienstrecht hat und die Kompetenz in diesem Bereich eben eine regionale ist.

Man könnte auch ein paar andere Beispiele ausführen; was ich damit sagen will, ist: Schauen wir auch darauf, dass diese regionalen Möglichkeiten erhalten bleiben, dass es ein gesunder Föderalismus ist, dass Wettbewerb stattfinden darf, dass nicht immer alles vereinheitlicht werden muss und dass eine föderale Ordnung am Ende des Tages auch ein Standortvorteil sein kann! Es gibt auch Studien, die das ganz klar zeigen.

Wenn Sie überlegen, wo in Europa die erfolgreichsten Regionen sind, dann erkennen Sie, dass es ein paar ganz markante Kennzeichen für erfolgreiche Regionen gibt: Ers­tens sind es jene Regionen, die produzieren können, eine stark produzierende Wirt­schaft haben; zweitens sind es Regionen mit einem wirklich guten Bildungssystem und einer hohen Forschungsquote; und drittens sind es jene Regionen, die sehr stark föde­ral organisiert sind. Das können Sie in allen Rankings ablesen, das sind drei Faktoren, die maßgeblich ausschlaggebend dafür sind, ob man im Wettbewerb mithalten kann oder nicht, unbestritten. Das auch in der Diskussion zu transportieren wird mir wichtig sein, auch in der Phase danach.

Ich glaube, es braucht Dialogbereitschaft mit dem Bund insgesamt, die Fragen betref­fend Staatsreform und Verwaltung werden natürlich wieder auftauchen, und sie werden auch nach dem 15. Oktober beantwortet werden müssen. Wie ich am Beginn gesagt habe: Es wird schon darauf ankommen, ob man das in Partnerschaft angehen kann, aber auch darauf, ob man lösungsorientiert ist; dass man sich nicht irgendwo im Bun­ker versteckt, sondern auch sagt, welche Kompetenzen man verschieben kann, welche die klaren regionalen Kompetenzen sind und welche nicht.

Man kann auch darüber reden, wie die Gesetzgebung gestaltet wird. Ich bin kein be­sonderer Fan der Ausführungsgesetzgebung – das führt immer zu Schwierigkeiten. Wir können uns auch darüber unterhalten, ob wir ganz klar sagen, da ist die Aufgabe und da ist die Kompetenz, auch die gesetzliche; darüber können wir uns unterhalten. Wir können auch sagen, wir schaffen die Ausführungsgesetzgebung ab, das brauchen wir nicht mehr! Entscheiden wir uns, wer es regelt! Im Moment gibt es etliche Bereiche, in denen nicht ganz klar ist, wie weit der Grundsatzgesetzgeber geht und wie weit der Aus­führungsgesetzgeber geht – in gewisser Hinsicht eine Doppelgleisigkeit.

Das ließe sich in einer Staatsreform natürlich bereinigen, wenn man sich hinsetzt und klärt, wer welche Zuständigkeiten übernimmt. Ich glaube, man kann, wenn es gefordert


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wird, auch darüber reden – mit mir immer –, ob wir die Steuerautonomie anheben. Im letzten Finanzausgleich hat man im Bereich der Wohnbauförderung einen Schritt ver­einbart – einen kleinen, aber immerhin. Man kann testen, wie es jetzt läuft. Es wäre theo­retisch auch in anderen Bereichen denkbar.

Das schafft neue Fragen, neue Herausforderungen, man wird Fragen des Ausgleichs nicht ausblenden können – das ist auch in der Schweiz und in anderen Ländern so, in denen es das gibt –, aber es könnte eine neue Grundrichtung werden, zu sagen: Wenn die Reformen in die Richtung gehen, die Kompetenz, die Aufgabenstellung, die Finan­zierung in einer Hand regeln zu wollen, sollten die Bundesländer für diese Reform of­fen sein, durchaus auch dafür, Einnahmenverantwortung zu übernehmen und nicht nur Ausgabenverantwortung.

Prinzipiell kann man mit uns – mit mir ganz sicher – über diese Fragen reden. Im letz­ten Finanzausgleich wurde das, wie gesagt, angeschnitten, aber nicht endgültig beant­wortet. Das steht vor der Tür, und die Frage wird sein, welche Richtung man ein­schlägt. Der Vorschlag der Länder, zumindest von unserer Seite, ist natürlich der, sich auf diese Diskussion einzulassen, und die Vorstellungen gehen da prinzipiell sehr weit.

Ich danke Ihnen sehr fürs Zuhören, fürs Mitdiskutieren im Anschluss, aber auch für die Möglichkeit, uns hier auszutauschen. Ich wünsche Ihnen für die letzten Tage des inten­siven Wahlkampfs, dass alles gut gehen möge. Vergessen wir eines nicht: dass wir dann bei den Aufgaben, die kommen, auch wieder zusammenarbeiten müssen und dass wir die Achse zwischen Bund und Bundesrat auch in der nächsten Legislaturperiode – ich glaube, sogar noch intensiver – benötigen werden. – Danke schön. (Beifall bei ÖVP und SPÖ, bei Bundesräten von FPÖ und Grünen sowie des Bundesrates Zelina.)

10.12


Präsident Edgar Mayer: Ich danke dem Herrn Landeshauptmann für seine Ausführun­gen, ich danke auch für das Aufzeigen der alemannischen Perspektive, des alemanni­schen Weges. Wir versuchen auch immer wieder intensiv, das den Kolleginnen und Kol­legen im Parlament, im Bundesrat ans Herz zu legen. Danke, Herr Landeshauptmann!

Wir gehen in die Debatte ein.

Zu Wort gemeldet ist Herr Kollege Dr. Brunner. – Bitte.

 


10.13.03

Bundesrat Dr. Magnus Brunner, LL.M (ÖVP, Vorarlberg): Sehr geehrter Herr Präsi­dent! Herr Landeshauptmann! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Liebe Zuseherinnen und Zuseher! Zuerst einmal vielen Dank, Herr Landeshauptmann, für deine klaren und zum Teil auch sehr pointierten Positionen, wie wir an manchen Reaktionen auch gemerkt ha­ben! Danke auch für die Art und Weise, wie Vorarlberg den Vorsitz führt: konstruktiv, wie ich meine, und auch in einer sehr engen Partnerschaft mit allen Beteiligten – eben ganz nach dem Motto: „Gemeinsam Perspektiven schaffen“ –, auch wenn gegen Ende deiner Rede die Emotionen doch etwas geweckt worden sind, was ja nicht so schlecht ist. Übrigens: Wenn es bei uns Obst gäbe, würde ich gerne ehrenamtlich das Amt des Obstkorbbeauftragten hier im Bundesrat übernehmen. (Heiterkeit bei Bundesräten von ÖVP und SPÖ.)

Der Herr Landeshauptmann hat es angesprochen: In Zeiten der Wahlauseinanderset­zung ist es nicht sehr leicht, maßgebende Gesetze, maßgebende Reformen umzuset­zen. Es wird aber wohl dem Vorsitzenden, dem Landeshauptmann, aber auch dem Bun­desratspräsidenten in den Zeiten nach der Wahl, in den Zeiten der Regierungsbildung eine wichtige Rolle zukommen, und in dann hoffentlich nicht allzu turbulenten Zeiten wer­den die Länder sicher auch wieder eine Stimme der Vernunft sein und wahrscheinlich auch sein müssen.


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Der Landeshauptmann hat viele wichtige Themen angesprochen, manche haben im Hin­tergrund gesagt, er hat mir nicht mehr viel zu sagen übrig gelassen. Am Schluss hat er vor allem auch den Zusammenhang zwischen Reformen – Staatsreform –, Föderalismus und Subsidiarität angesprochen, und dieses Thema möchte ich gerne aufgreifen, weil dieser Zusammenhang in der Diskussion wahrscheinlich oft zu kurz kommt und deswe­gen auch wert ist, beleuchtet zu werden.

In der österreichischen Diskussion wird dem Föderalismus von vornherein oft unter­stellt, ineffizient zu sein, und er wird von vielen für vieles verantwortlich gemacht, wie zum Beispiel Bürokratiekosten für Unternehmen und andere Dinge.

In einer soeben erschienenen Studie räumen zwei sehr renommierte Ökonomen – Lars Feld, der in Deutschland zu den Wirtschaftsweisen gehört, der auch die Bundesregie­rung in Deutschland berät, und Christoph Schaltegger, das ist einer der prominentes­ten Schweizer Ökonomen – mit diesem Vorurteil auf und gelangen in einer Publikation zum Thema Föderalismus und Wettbewerbsfähigkeit, die sie gerade veröffentlicht ha­ben, zu dem Schluss, dass sich die Zahl der unterschiedlichen staatlichen Ebenen, al­so in unserem Fall Bund, Länder und Gemeinden, nicht negativ auf die Attraktivität des Wirtschaftsstandortes auswirkt, wenn es – und der Herr Landeshauptmann hat es an­gesprochen – einen Wettbewerb unter den unterschiedlichen Ebenen, unter den Ländern gibt.

Bezogen auf die Schweiz, die bekanntlich viel stärker dezentralisiert ist als Österreich, gelangen sie zum Schluss – und ich darf zitieren –, dass der Schweizer Wettbewerbsfö­deralismus der Bewältigung großer wirtschaftspolitischer Herausforderungen, soliden Staatsfinanzen, dem Wirtschaftswachstum oder der Regulierung zuträglich ist. Unter­schiedliche Gefahren sehen die Autoren natürlich auch, aber vor allem bei Verflechtun­gen von unterschiedlichen Aufgaben, auch bei unklaren Aufgabenzuordnungen und bei einem gewissen Zentralisierungstrend, der natürlich auch in anderen europäischen Län­dern zu beobachten ist.

Wenn wir diese Erkenntnisse auf Österreich umlegen, dann wäre die Botschaft eigent­lich relativ klar: zum Ersten die Entflechtung der Kompetenzverteilung, zum Zweiten die Verlagerung von wichtigen Staatsaufgaben auf die Länder und zum Dritten die Ermög­lichung eines stärkeren Wettbewerbs auch unter den Bundesländern, insbesondere auch – der Herr Landeshauptmann hat das am Schluss auch angesprochen – über das Thema Steuerautonomie.

Im Nationalratswahlkampf wird praktisch von allen Parteien die Notwendigkeit einer Fö­deralismusreform, in welcher Art und Weise auch immer, bestätigt. Von einer der Re­gierungsparteien wird das Prinzip „1 Aufgabe, 1 Zuständigkeit“ ausgerufen – (in Rich­tung SPÖ blickend) da schaue ich in diese Richtung. Das klingt zunächst ja nicht schlecht, muss man sagen, wenn man sich allerdings die konkrete Umsetzung und die Umset­zungsvorschläge anschaut, sieht man, dass die meisten Vorschläge leider doch auf mehr Zentralismus, eine größere Zentralisierung hinauslaufen.

Wenn man dann im ersten Schritt auch noch eine Volksbefragung fordert, womöglich auch noch mit einer suggestiven Fragestellung, dann kann man sich vorstellen, dass die Länder wahrscheinlich noch stärker unter Druck geraten werden, als sie es bisher schon sind; und am Ende soll dann eine Volksabstimmung stehen, die eine womöglich massi­ve Schwächung des bundesstaatlichen Prinzips absegnen soll. – Das ist aus meiner Sicht keine so gute Option.

Wir betonen demgegenüber das Subsidiaritätsprinzip, das entspricht aus meiner Sicht auch dem Wesen eines föderalen Systems; das heißt, die übergeordnete Ebene soll nur dann Aufgaben an sich ziehen, wenn eine untergeordnete Ebene zu deren Bewälti­gung nicht in der Lage ist oder die Aufgaben nicht hinreichend erfüllen kann. Natürlich


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wird es da und dort auch Bedarf geben, gewisse Standards auf Bundesebene zu erhal­ten – das ist keine Frage –, dem Bund also in manchen Bereichen eine stärkere Rolle zuzuordnen. Es gibt ja auch positive Beispiele dafür: Das Thema erneuerbare Energie nehme ich als Beispiel, das in den letzten Jahren eher dem Bund zugeordnet worden ist und trotzdem eine eigentlich sehr gute Entwicklung genommen hat. Der Appell des Herrn Landeshauptmanns war ja auch nicht an den Bundesrat gerichtet, sondern eher an den Nationalrat, nehme ich einmal an, aber er hat das halt hier auch zum Ausdruck gebracht.

Insgesamt müssen wir darauf schauen, dass die Aufgaben eben bürgernäher werden, dass sie auf untere Ebenen verlagert werden und dadurch auch Synergien erzielt wer­den können. Wir, die Vorarlberger Bundesräte, haben in den letzten Jahren immer wie­der die Forderung eingebracht, gewisse Doppelgleisigkeiten zwischen Bund und Län­dern abzuschaffen, vor allem im Bereich der unmittelbaren Bundesverwaltung gibt es diese zuhauf. Es ist nicht einzusehen, dass beispielsweise in der Sozialverwaltung Parallelverwaltungen betrieben werden: das Sozialministeriumservice auf der einen Seite und Sozialverwaltungen in den Ländern auf der anderen Seite. Das kann man integrie­ren, in welcher Form auch immer, am besten im Rahmen der mittelbaren Bundesver­waltung, nehme ich an.

Es gibt beispielsweise auch im Bereich Wildbach- und Lawinenverbauung die Möglich­keit, die Aufgaben an die Wasserbauverwaltung der Länder zu übertragen. Da gibt es verschiedene Möglichkeiten. Das Institut für Föderalismus hat in einer Untersuchung dar­gelegt, dass auch in anderen Bereichen, beispielsweise beim Arbeitsinspektorat oder beim Denkmalschutzwesen, Doppelgleisigkeiten bestehen. Wir als Vorarlberger Bun­desräte werden auch bei einer neuen Bundesregierung nicht aufhören, diese Forderun­gen weiterzubringen, weil wir glauben, dass in diesen Bereichen wirklich sinnvolle Re­formen und sinnvolle Synergien möglich wären.

Die Bundesländer sollten – das wäre auch ein konkreter Vorschlag an die Länder und an die Landesregierungen – die Zeit bis zur Regierungsbildung nach der Nationalrats­wahl aus meiner Sicht nützen, zu diesem Thema der Doppelgleisigkeiten vielleicht ent­sprechende Untersuchungen anzustellen, wie der konkrete Nutzen ist und welche Ein­sparungspotenziale eine Dezentralisierung der Verwaltung mit sich bringt. Es geht da­rum, Zahlenmaterial zu eruieren, es geht um Dienstposten, es geht um Aufgabenvertei­lungen. Die Länder müssen auch einmal darlegen können, dass sie die Aufgaben im Er­gebnis vielleicht kostengünstiger erledigen können, als der Bund das kann, und viel­leicht bestünde in den nächsten Monaten die Möglichkeit, eine solche Initiative zu set­zen und eine solche Untersuchung durchzuführen.

Die Länder – davon bin ich überzeugt – sind bereit, mehr Verantwortung zu überneh­men, man muss sie nur lassen. Unzählige Beispiele aus den Bundesländern belegen die­se Reformbereitschaft der Länder, die ehrlich gesagt, um das höflich auszudrücken, dem Bund hinsichtlich Reformbereitschaft um nichts nachstehen. Ich rufe nur den Start bei der letzten Verwaltungsreform in Erinnerung, als der Bund nicht einmal in der Lage war, eine Fuhrparkverwaltung für die Bundesregierung zu vereinheitlichen. Im Hinblick da­rauf sollte man sich vielleicht doch auch einmal zuerst selber an der Nase nehmen.

Ich darf noch ein paar Beispiele aus Vorarlberg nennen, weil wir heute den Vorarlber­ger Vorsitz sozusagen zelebrieren. Dieser Reformwille der Länder hat sich beispielswei­se am Vorarlberger Modell der organisatorischen Verfahrenskonzentration gezeigt – üb­rigens ist all das ohne Mithilfe des Bundesgesetzgebers geschehen –: Die Bezirkshaupt­mannschaften wickeln diese Verfahren ab, die Verfahren wurden beschleunigt, und Vor­arlberg wurde dafür auch der „Amtsmanager“ – sogar „des Jahrzehnts“ – von der Wirt­schaftskammer verliehen.


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Es gibt also genügend Beispiele, natürlich auch in anderen Bundesländern, die diese Reformbereitschaft der Länder entsprechend darstellen. Deswegen von hier auch mei­ne Botschaft an alle, die glauben, mit einem zentralisierten Staat würden wir in Öster­reich besser fahren und die Landeshauptleute würden nur, wie es manche ausdrücken, als „Fürsten der Finsternis“ ihre Pfründe bewahren wollen. (Bundesrätin Mühlwerth: Das sagt der Herr Landwirtschaftsminister immer!) – Das sagt nicht der Herr Landwirtschafts­minister, das sagt der Chef einer Oppositionspartei!

Die föderalen Strukturen – das ist die Botschaft, Frau Kollegin Mühlwerth! – ermögli­chen nicht nur eine Nähe der Behörden zu den Bürgern, sondern andererseits auch ei­ne viel bessere Beteiligung der Bürger an der Gesetzgebung, an der Verwaltung und auch eine echte Teilnahme der Bürgerinnen und Bürger am Gemeinwesen insgesamt. – Das ist eigentlich die Botschaft.

Der Zentralismus leidet ja gerade daran, dass er die unterschiedlichen Verhältnisse und unterschiedlichen Vorstellungen, die in unterschiedlichen Regionen und Ländern vorherr­schen, nicht berücksichtigen kann, und der Versuch, sich über diese Unterschiede hin­wegzusetzen, bedeutet ein Mehr an Aufwand, ein Weniger an Treffsicherheit und ei­gentlich auch eine Einschränkung jedes Einzelnen von uns. Ein gewisses eigenverant­wortliches Handeln ist in der Regel eben wesentlich effizienter, als wenn man alles vor­geschrieben bekommt und nur ausführende Tätigkeiten übernimmt. Zahlreiche Studien beleuchten, dass dezentrale Staaten und dezentrale Einheiten wesentlich effizienter sind: Staatsquoten sind niedriger trotz höherer Standards in manchen Politikbereichen. Der Sinn des Föderalismus ist es ja gerade, unterschiedliche Lösungen in den Regionen über­haupt möglich zu machen. – Das ist eigentlich der Punkt.

Der Altbundespräsident von Deutschland Roman Herzog hat es einmal auf den Punkt gebracht, indem er gesagt hat: „Ein Föderalismus, der keine Unterschiede zulässt, ist schon gedanklich ein Unding. Wir brauchen Mut zum Unterschied, damit Freiheit ent­steht.“ – Der Altbundespräsident hat aus meiner Sicht vollkommen recht, die Heilser­wartung an zentrale Lenkung ist nämlich ein Irrweg. (Präsident Mayer gibt das Glocken­zeichen.) – Ich komme schon zum Schluss, danke für den Hinweis, Herr Präsident!

Wir brauchen nicht die Gleichmacherei, wir brauchen gleiche Chancen, wir brauchen kei­ne Nivellierung nach unten, sondern wir brauchen mehr individuelle Entwicklung auch für die Regionen.

Lieber Herr Landeshauptmann! Ich wünsche dir für den zweiten Teil des Vorarlberger Vorsitzes natürlich gemeinsam mit unserem Präsidenten Edgar Mayer, dass es euch getreu dem Motto gelingt, gemeinsam Perspektiven zu schaffen und gerade in Zeiten nach der Nationalratswahl eine vernünftige, eine starke und auch eine ausgleichende Stimme in Österreich zu sein. – Danke. (Beifall bei der ÖVP, bei Bundesräten der Grü­nen sowie des Bundesrates Zelina.)

10.25


Präsident Edgar Mayer: Danke, Herr Kollege Dr. Brunner.

Als Nächster zu Wort gemeldet: Herr Bundesrat Ing. Bock. – Bitte, Herr Kollege.

 


10.25.54

Bundesrat Ing. Hans-Peter Bock (SPÖ, Tirol): Geschätzter Herr Präsident! Sehr ge­ehrter Herr Landeshauptmann beziehungsweise Nachbar-Landeshauptmann in diesem Falle! Geschätzte Kolleginnen und Kollegen des Bundesrates! Ich darf eingangs ein biss­chen auf ein paar Punkte replizieren, die der Herr Landeshauptmann heute vorgebracht hat.

Ich möchte zuerst festhalten, dass sehr viele Punkte dabei sind, mit denen ich als Tiro­ler recht gut leben kann. Ich möchte aber ein paar Dinge herausstreichen, mit denen ich nicht ganz einverstanden bin oder zu denen ich etwas kritisch anmerken möchte.


BundesratStenographisches Protokoll872. Sitzung / Seite 31

Zum Punkt Bildung: Ich bin wirklich froh, dass es einen solchen Landeshauptmann gibt, dessen Einstellung zur Bildung sehr nahe zu unserer Einstellung ist. Ich möchte das begrüßen; es freut mich, dass das in dieser Form stattfindet.

Auch betreffend Pflegeregress liegen wir inhaltlich relativ nahe beieinander. Zur Finan­zierung möchte ich später noch eine Anmerkung machen. Hinsichtlich Arbeitnehmer­schutz habe ich das hoffentlich nicht richtig verstanden, dass Sie gegen die Arbeiter­kammer sind und dass das Arbeitsrecht in die Richtung verändert werden soll, dass die Arbeiterkammer Dinge nicht mehr einfordern kann. (Zwischenruf der Bundesrätin Jun­ker.) Im letzten Jahr wurden 532 Millionen € von der Arbeiterkammer für die Arbeitneh­mer erstritten! (Bundesrätin Junker: ... 1 Prozent der Lohnsumme!) Ich habe schon ver­standen, dass es um gewisse Einrichtungen beim Arbeitnehmerschutz geht, die wahr­scheinlich übrig sind. (Beifall bei SPÖ und Grünen.)

Wir wissen natürlich, wie lange uns die Verwaltungsreform schon begleitet und wie oft eine solche sowohl auf Bundes- als auch auf Länderebene diskutiert wurde, allerdings ist das immer an den Personen gescheitert, weil niemand Macht abgeben will. Die meis­ten möchten ein bisschen mehr Geld und mehr Macht, zahlen soll es dann aber je­mand anderer. – Diese Einstellung ist natürlich von oben nach unten und von unten nach oben gleichlautend vorhanden.

Zum Föderalismus noch eine Anmerkung: Ich habe von Ihnen heute sehr viel über Fö­deralismus, von der Übertragung von Aufgaben vom Bund auf die Länder gehört. Was mir als Bürgermeister gefehlt hat, ist natürlich, dass der Föderalismus nicht bei den Län­dern aufhört, sondern bis tief in die Gemeinden gehen muss. Das Gleiche, was in Rich­tung Bund kritisch angemerkt wird, dass bisweilen Aufgaben ohne finanzielle Mittelbe­reitstellung an die Länder übertragen werden, ist natürlich oftmals auch auf Länderebe­ne geschehen. Fast alle Bundesländer stehen wirtschaftlich und finanziell sehr gut da, während die Gemeinden sehr stark mit der Finanzierung ihrer Aufgaben kämpfen: Sie bekommen Aufgaben sowohl vom Land als auch vom Bund übertragen, ohne dass die notwendigen Geldmittel zur Verfügung gestellt werden. (Beifall bei der SPÖ.)

Als Nachbar Vorarlbergs, und da ich doch immer wieder Besucher in Vorarlberg bin, darf ich einen kleinen Rückblick auf die Entwicklung Vorarlbergs geben, nachdem das vom Herrn Landeshauptmann und von Kollegen Brunner noch nicht getan wurde: Vor­arlberg wurde schon immer von allen Seiten ein bisschen verwaltet. – Ich sage das des­wegen, weil man die Erfolgsgeschichte eines Bundeslandes nur dann erwähnen kann, wenn man dessen Geschichte ein bisschen kennt.

Vorarlberg war in habsburgischer Verwaltung. Die Tiroler waren auch sehr oft Verwal­ter und Anschaffer in Vorarlberg. Die Vorarlberger hatten bereits eine bayerische Herr­schaft. Dann wurden sie wieder von Innsbruck aus verwaltet, und es gibt heute noch ein paar Dinge, die von Innsbruck aus verwaltet werden oder hinsichtlich welcher es Ge­meinsamkeiten zwischen Innsbruck und Vorarlberg gibt.

1861 hat Vorarlberg einen eigenen Landtag und eine eigene Landesverfassung be­kommen. In diesem Zusammenhang möge man bedenken: Vorarlberg hatte zu diesem Zeitpunkt noch 100 000 Einwohner. Es hatte 1861 nur 100 000 Einwohner! Heute hat Vorarlberg natürlich wesentlich mehr Einwohner.

Aber noch etwas dazu: Ich darf diese bekannte Abstimmung 1919 nach dem Krieg in Erinnerung bringen. Damals haben sich 80 Prozent der Vorarlberger entschieden, dass sie einen Kanton der Schweiz bilden wollen. Ich darf jetzt auch in Erinnerung rufen, wenn man über das Thema Ausland diskutiert: Die Schweizer haben das abgelehnt, weil ihnen die Vorarlberger zu katholisch und zu deutsch waren. – So möchte ich das auf einfache Art und Weise herunterbrechen.


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Heute hat Vorarlberg 388 000 Einwohner. 240 000 davon leben im Rheintal oder in der Umgebung von Bregenz, zwischen Bregenz und Feldkirch. Und auch in Vorarlberg gibt es die Probleme mit dem ländlichen Raum, nicht so stark ausgeprägt wie in Niederös­terreich, aber es gibt sie. 60 Prozent der Einwohner leben in dem erwähnten kleinen Be­reich.

Vorarlberg hat einen Immigrationsanteil von 16 Prozent und einen Ausländeranteil von 14,3 Prozent. Das heißt, in etwa 30 Prozent der in Vorarlberg Lebenden haben Migra­tionshintergrund beziehungsweise sind Ausländer. Der Herr Landeshauptmann hat heu­te schon erklärt – und dazu gratuliere ich! –, dass er die Problematik mit dem Auslän­der- und Asylwesen recht gut gestaltet hat und auch gut geschafft hat.

Vorarlberg hat aber auch eine Wirtschaftsleistung von 16 Milliarden € und liegt mit dem BIP pro Kopf bei 42 000 €, also an vorderster Stelle in Österreich, hat somit sehr gute Wirtschaftsdaten. Die Arbeitslosenquote ist mit 5,8 Prozent mit Stand Mai 2017 eine hervorragende. Das Wirtschaftswachstum liegt über dem Österreich-Durchschnitt, von 2000 bis 2016 durchschnittlich bei 1,9 Prozent. – Das ist eine Erfolgsgeschichte, auf die man durchaus stolz sein kann, das hat gut funktioniert.

Die Beschäftigungssteigerungen betrugen im gleichen Zeitraum, also innerhalb der ge­nannten 15 Jahre, 24 Prozent. In dieser Zeit gab es eine Produktionssteigerung von 39 Prozent, und die Zahl der aktiven Mitglieder in der Wirtschaftskammer hat um 68 Pro­zent zugenommen.

Das heißt, in Vorarlberg findet eine große Wirtschaftsentwicklung statt, viele sind Selb­ständige geworden, und Vorarlberg hat sich in dieser Zeit äußerst gut entwickelt. Das sage ich aber nicht nur für Vorarlberg. Ich denke, wir sollten auch immer wieder fest­halten, dass es Österreich nicht so schlecht geht, auch wenn wir immer jammern, uns aufführen und gegenseitig beschuldigen. (Beifall bei der SPÖ und bei Bundesräten der Grünen.)

Österreich zählt, nicht nur für mich, zu den schönsten, besten, reichsten, aber auch le­benswertesten und sichersten Ländern der Welt, vor allem was Bildung, Gesundheit, Soziales und auch Naturschutz anbelangt. In dieser Hinsicht sind wir sicherlich sehr gut unterwegs.

Ich möchte meine Aufmerksamkeit etwas auf meine Sorge im Zusammenhang mit der Globalisierung richten: Österreich und Vorarlberg sind ja zu klein, um sich in der Welt­geschichte und in der Weltwirtschaft allein zurechtzufinden. Das wurde auch heute be­reits mehrfach angesprochen. Globale Probleme werden uns beschäftigen, von der Ge­meinde bis hin zum Bundesstaat. Wir haben das Problem, dass die Rohstoffe für rei­che Staaten aus den armen Staaten geholt werden. Wir haben das Problem, dass wir in diese Gegenden Waffen liefern, und zwar noch und nöcher. Wir kaufen Grund in die­sen Ländern. Diesbezüglich sind auch wir in Österreich nicht ganz unschuldig, ich den­ke jetzt etwa an den Osten, an Bulgarien und an Rumänien; dort ist sozusagen noch einiges zu holen. Wir betreiben Raubbau in der Landwirtschaft und wundern uns, dass die Menschen dann in diese Gegend hier kommen wollen, wo alles scheinbar gut ist und bestens funktioniert. Außerdem sind die Menschen heute informiert wie noch nie. Sie haben Internet, sie haben Fernsehen, sie haben die Social Media. Sie wissen also, wo es gut ist, und wir leben in einer Gegend, wo es sehr gut ist. Der Klimawandel wird diese Entwicklungen noch beschleunigen. Der Klimawandel wird Auswirkungen auf alle haben, ob wir es wollen oder nicht.

Zum Schluss kommend möchte ich noch zwei Punkte erwähnen, die auch maßgebliche Veränderungen bewirken werden: Erstens werden technische Entwicklungen im Bereich der 3-D-Drucker und menschliche Roboter, die sogar im Sozial- und Gesundheitswe­sen eingesetzt werden, Arbeitskräfte ersetzen, im Gesundheitsbereich ebenso wie in der


BundesratStenographisches Protokoll872. Sitzung / Seite 33

Industrie. Arme und reiche Staaten driften auseinander, die Armen werden ärmer und die Reichen werden reicher.

Wenn wir darauf keine Antworten finden, dann werden wir auch in Österreich größte Probleme damit haben. Diesbezüglich stehen wir in einem europäischen Kontext. Oh­ne Europa werden wir es überhaupt nicht schaffen und die Probleme nicht in den Griff bekommen. Daher auch meine Bitte, Europa in dieser Sache nicht zu vergessen. Wir haben eine gewisse Umverteilung im Sinne des Friedens vorzunehmen, und der Be­griff Friede endet für mich nicht bei der Waffengewalt, sondern es muss auch sozialer Frieden vorhanden sein. Das schaffen wir nur, wenn wir europäisch denken, wenn wir europäisch handeln und gemeinsam Lösungen finden. Ich wünsche meinen Nachbarn alles Gute bei der Vorsitzführung! – Herzlichen Dank. (Beifall bei der SPÖ und bei Bun­desräten der Grünen.)

10.36


Präsident Edgar Mayer: Herzlichen Dank, Kollege Ing. Hans-Peter Bock, auch für die lobenden Worte für die Vorarlberger als Nachbarn, sogar als unmittelbare Nachbarn im Bezirk. Man sieht, wie weit der Bezirk Bludenz auch nach Landeck hineinwirkt und welch gutnachbarliche Beziehungen wir hier aufgebaut haben! – Vielen Dank.

Als Nächster zu Wort gemeldet ist Kollege Christoph Längle. – Bitte.

 


10.37.00

Bundesrat Christoph Längle (FPÖ, Vorarlberg): Herr Präsident! Sehr geehrter Herr Landeshauptmann! Geschätzte Damen und Herren! Werte Zuseher zu Hause an den Fernsehgeräten! Vorneweg ist es mir wichtig, dass wir hier einmal den vielen, vielen fleißigen Vorarlbergerinnen und Vorarlbergern großes Lob und große Anerkennung aus­sprechen, denn diese gehen tagtäglich frühmorgens in die Arbeit. (Bundesrat Schen­nach: Das tun sie in Wien auch!) Selbstverständlich gibt es auch in Restösterreich vie­le Leute, die das tun. (Ruf: Wir Steirer gehen überhaupt erst um vier in die Arbeit!) – Ja, eben! (Heiterkeit und Zwischenrufe bei der SPÖ. – Präsident Mayer gibt das Glo­ckenzeichen.)

So, das Vorhaben ist geglückt: Jetzt sind wieder alle munter geworden und wach nach diesen komischen Monologen hier. (Beifall bei der FPÖ.)

Ich muss schon sagen: Wir in Österreich und insbesondere auch in Vorarlberg haben sehr viele gute Betriebe, die tagtäglich viel Wertschöpfung schaffen und tagtäglich sehr viel leisten. Wir haben auch viele Grenzgänger, die in die Schweiz und nach Liechten­stein arbeiten gehen und auch hier in Österreich viel Steuern zahlen. Außerdem haben wir einen guten Tourismus, es gibt tolle Betriebe, Hotels und dergleichen, die ebenfalls sehr viel zum Wohle Österreichs beitragen. Das sind genau die Menschen, die zum Wohl­stand Österreichs beitragen, nur die Politik in diesem Land ist es nämlich nicht! (Beifall bei der FPÖ.)

Ganz klar wurde hier gesagt, dass diese Diskussion unter dem Motto „Perspektiven schaffen“ steht. Wenn man sich das aber genauer anschaut und die Politik der letzten Jahre verfolgt, dann könnte man meinen, dass hier nicht Perspektiven geschaffen, son­dern Perspektiven vernichtet werden.

Herr Landeshauptmann Wallner! Ich sage Ihnen ganz klar an dieser Stelle zu Floskeln wie: Wir stehen vor großen Herausforderungen!, Wir müssen jetzt zusammenhelfen!, Wir müssen die Dinge jetzt angehen!, dass ich das langsam nicht mehr hören kann. Das muss ich Ihnen in aller Deutlichkeit sagen. (Beifall bei der FPÖ.) Das sagen Sie näm­lich nicht nur heute, sondern das sagen Sie jedes Mal. Jedes Mal kommen Vertreter Ihrer schwarz-türkisen Partei vorbei und sagen das! (Zwischenruf des Bundesra­tes Preineder.)


BundesratStenographisches Protokoll872. Sitzung / Seite 34

Es gibt immer etwas zu tun in der Politik. Die Politik trägt die Verantwortung, und daher ist es unser aller Bemühen, dass wir eben diese Verantwortung entsprechend anpa­cken. Wir stehen immer vor Herausforderungen, das ist nichts Neues.

Was ich Ihnen sage, ist ein klares Angebot an diese türkis-schwarze Partei: Wir haben seitens der Freiheitlichen Partei ein Angebot unterbreitet, und zwar dass wir die Steu­ern im Bereich der Nächtigungen nicht auf 13 Prozent erhöhen, sondern bei 10 Prozent belassen wollen. Was aber haben Sie vor einem Jahr getan? – Sie haben die Steuer erhöht und auch Vorarlberger Betriebe damit zusätzlich belastet!

Dazu ist auch zu sagen, dass die Abschreibungsdauer auf 40 Jahre erhöht wurde, was wir auch nicht wollten; dafür sind auch Sie verantwortlich. Vorhin haben Sie gesagt, man muss die Wirtschaft, den Standort unterstützen, und genau das Gegenteil haben Sie mit Ihrer neuen, komischen Steuerpolitik gemacht. (Beifall bei der FPÖ.)

Es kommt dazu, dass auch Sie gesagt haben, der Standort ist wichtig. – Ja, da pflichte ich Ihnen bei, der Standort ist tatsächlich wichtig, und es gilt gerade für Österreich, be­sonders darauf aufzupassen, denn im benachbarten Ausland – von Vorarlberg aus ge­sehen –, im benachbarten Allgäu kostet der Quadratmeter um ein Vielfaches weniger als bei uns in Österreich, und die Gefahr einer Betriebsabwanderung ist immer gegeben.

Ziel der Politik sollte es sein, dass wir unsere Standorte schützen, von Bürokratie be­freien und sie nach bestem Wissen und Gewissen unterstützen, damit sich die Betriebe hier ansiedeln und wir sie in unserem Land behalten.

Wir Freiheitliche sagen ganz klar, wir haben in Österreich eine zu hohe Steuer- und Abgabenquote. Sie kamen vor ein paar Minuten her und sagten: Ja, da müssen wir et­was tun! – Ich frage Sie, Herr Landeshauptmann: Wer stellt denn seit 30 Jahren den Finanz- und den Wirtschaftsminister? Das sind, glaube ich, schon Ihr Klientel und Ih­re Partei. Da müssen Sie einmal etwas tun! Schaut man durch die Gegend, so sieht man, dass Sie österreichweit plakatieren: „Es ist Zeit.“ – Ja, sollen wir noch einmal 30 Jahre lang warten? Das ist ja unglaublich! (Heiterkeit und Beifall bei der FPÖ.)

Zu Standort und Wirtschaft: Für die Wirtschaft ist es ganz wichtig und essenziell, dass die Verkehrssysteme gegeben sind, dass wir Straßen haben, dass wir Zugverbindun­gen haben, dass wir auch die Möglichkeit haben, Häfen anzusteuern und, und, und.

In Vorarlberg wird seit 40 Jahren über die Entlastungsstraße im Unteren Rheintal dis­kutiert. Ja, „es ist Zeit“, diskutieren wir noch einmal 40 Jahre darüber! Ich möchte nicht wissen, wie viel da für Planungen ausgegeben wurde, wie viel Steuergeld nur für Pla­nungen und Studien verschwendet wurde, und gemacht worden und passiert ist gar nichts. Ich gebe Ihnen die Empfehlung, gehen Sie einmal zur Hauptverkehrszeit nach Lustenau und schauen Sie sich an, wie die Menschen dort leiden! (Bundesrat Schen­nach: Der Gorbach war halt der beste Minister!)

Stichwort Verkehr – da sind wir nämlich noch lange nicht fertig –: Seit vielen Jahren wird von der Vernetzung der Regionen gesprochen, das haben sogar auch Sie gesagt. Es wird darüber gesprochen, dass wir eine Autobahndirektverbindung in die Schweiz be­kommen. Da wird auch seit Jahren diskutiert, mittlerweile haben wir diese immer noch nicht, und da sind auch viele Gelder für Planungen und dergleichen ausgegeben wor­den. Ich finde das irgendwie grob fahrlässig. (Bundesrat Schennach: Gorbach!)

Vor rund dreieinhalb Jahren bin ich auch im Parlament am Rednerpult gestanden – noch im anderen Gebäude, nicht hier –, damals haben wir über den Finanzausgleich gespro­chen. Es ging darum, diese berühmte Tunnelspinne in Feldkirch zu bauen, die für die Menschen in Feldkirch endlich eine Entlastung bringen würde. Es ist nämlich immer noch so, dass man, wenn man von Tirol kommend in die Schweiz oder nach Liechten­stein will, von der Autobahn runtermuss, durch die Stadt fahren muss, dann die Grenze


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passieren muss, und dann kann man auf Schweizer beziehungsweise liechtensteini­scher Seite wieder auf die Autobahn auffahren. Vor rund drei Jahren bin ich auch am Rednerpult gestanden und habe über den Finanzausgleich diskutiert. Es wurden sei­tens der Bundesregierung knapp 40 Millionen € zugesagt: Wenn Spatenstich ist, kommt dieses Geld. Es ist nun dreieinhalb Jahre später, und wir haben immer noch keinen Spatenstich. – Das ist ein Beispiel dafür, wie Sie in Vorarlberg arbeiten, nämlich lang­sam und ineffizient. (Beifall bei der FPÖ. – Zwischenrufe bei der ÖVP.)

Kommen wir zum nächsten Punkt, zur Sicherheit: Dazu haben Sie in Ihrer Rede ge­sagt, es ist wichtig, dass wir eine gute Polizei haben, es ist wichtig, dass wir genügend Personal haben. – Dann schauen Sie sich einmal die Polizeiberichte und die Statisti­ken an! Es ist leider so in diesem Land – auch in Vorarlberg –, dass die Kriminalität ex­plizit in den letzten drei, vier Jahren gestiegen ist (Bundesrat Stögmüller: Gesunken!), und zwar gerade in den Bereichen Verbrechen, Gewalt und Hauseinbrüche. Schaut man sich jetzt das Verhältnis an ... (Bundesrat Stögmüller: Gesunken ist sie!) – Nur Ruhe! Du kannst dich auch gern zu Wort melden, kein Thema, es kommen alle dran. (Bun­desrat Schennach: Ist das jetzt Märchenstunde oder was?)

Schaut man sich nämlich das Verhältnis zwischen Einwohnern und Polizisten an, dann hat Vorarlberg das schlechteste Verhältnis. Bei uns kommt nämlich die größte Zahl an Einwohnern auf einen Polizisten. Wie können Sie das erklären? Sie sind ja auch in Re­gierungsverantwortung, stellen seit vielen, vielen Jahren den Innenminister, und Sie sag­ten vor einer Dreiviertelstunde, als Sie am Wort waren, wie gut und wie toll man das al­les gemacht hat. – Es ist aber eben genau umgekehrt!

Stichwort Bundesheer: Es freut mich außerordentlich, Sie hier jetzt in Geschichte un­terrichten zu können. Schauen Sie einmal all die Jahre zurück: Wer hat denn ange­fangen, das Bundesheer kleinzusparen? Wer hat denn angefangen, das Bundesheer mit zu wenig Geld zu bedenken? – Das war Ihr Verteidigungsminister Platter, der mit diesen Dingen angefangen hat! (Beifall bei der FPÖ und bei Bundesräten der SPÖ.)

Schauen Sie sich die Dinge an, die da in den letzten Jahren passiert sind! Was ist denn da passiert? – Da wurde auch von Ihrem ÖVP-Finanzminister zu wenig Geld für die Landesverteidigung und so weiter hergegeben. Es dürfte, glaube ich, jedem klar sein, wenn die finanziellen Mittel fehlen, dann kann man auch nicht die entsprechen­den Dinge wie Ausrüstung, Personal und dergleichen haben.

Ich komme zum nächsten Punkt: Sie haben die Finanzen angesprochen und darauf hingewiesen, Vorarlberg steht gut da, das Land Vorarlberg ist nicht verschuldet. – Das mag vielleicht oberflächlich stimmen, doch schauen Sie einmal in Ihre 96 Gemeinden! Es gibt nämlich so gut wie gar keine Gemeinde mehr, die keine Schulden hat. Es sind die großen Städte, die großen Gemeinden mit einem Vielfachen ihres Jahresbudgets verschuldet. Es ist immer leicht, sich damit zu präsentieren, dass das Land nicht ver­schuldet ist, aber unsere Gemeinden, die nämlich die Hauptlast zu tragen haben – Ka­nal, Wasserbau, Straßenbau, Schule, Bildung, Kindergärten und dergleichen –, sind al­le verschuldet, und dort gehört das Geld hin! Diese Rechnung sollten Sie einmal nach­rechnen, Herr Landeshauptmann! (Beifall bei der FPÖ.)

Noch ein Stichwort, zur Mindestsicherung: Wir haben mittlerweile knapp 60 Prozent Mi­grationsanteil unter den Menschen, die Mindestsicherung beziehen. Das ist auch recht „nett“, denn vor ein paar Jahren haben Sie noch gesagt, da kommen tolle Facharbeiter her, die wir in der Wirtschaft brauchen, und, und, und. – Genau das Umgekehrte ist wie­der einmal der Fall: Diese Personen landen überwiegend in der Mindestsicherung.

Abschließend – meine Redezeit ist gleich aufgebraucht – möchte ich hier noch einen Appell an Sie richten: Sie haben vorhin gesagt, der Herr Bundeskanzler soll sich ent­schuldigen. Da bin ich vielleicht sogar bei Ihnen, nur, wenn sich hier jemand entschul-


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digen sollte, dann ist es Ihre schwarz-türkise Partei. – Danke. (Beifall bei der FPÖ und bei Bundesräten der SPÖ.)

10.47


Präsident Edgar Mayer: Als Nächste zu Wort gemeldet ist Frau Kollegin Mag. Schrey­er. – Bitte.

 


10.47.43

Bundesrätin Mag. Nicole Schreyer (Grüne, Tirol): Hohes Haus! Sehr geehrter Herr Landeshauptmann! Sehr geehrte ZuseherInnen hier und zu Hause! „Gemeinsam Pers­pektiven schaffen“ ist ein wunderbares Motto für den Vorarlberger Vorsitz. Ich freue mich sehr, dass ich jetzt als Abschluss der kompletten Westachse sprechen kann. Perspek­tiven können in viele verschiedene Richtungen geschaffen werden; ich habe mir jetzt auch ein bisschen etwas rausgepickt, denn es ist ein ziemlich bunter Blumenstrauß an Perspektiven angesprochen worden.

Ich möchte zuerst noch ein Wort zu Föderalismus und Reformen verlieren und in Erin­nerung rufen – vor allem zum Kollegen Brunner –: Im Strategiepapier des Herrn Minis­ter Kurz, im Projekt Ballhausplatz, das vor Kurzem aufgetaucht ist, steht unter anderem auch ein Projekt mit dem Namen Bundesrat abschaffen. – Das wollte ich nur einmal kurz erwähnen, falls es da in der Runde untergegangen ist.

Zurück zu den Perspektiven: Ich finde, das Wichtigste ist, dass den Menschen in Ös­terreich eine Perspektive auf eine lebenswerte Zukunft in einer intakten Umwelt gege­ben wird. Da stehen wir nun einmal vor riesigen Herausforderungen. Vor Kurzem ist der Klimaschutzbericht des Umweltbundesamtes herausgekommen, und es schaut ein­fach nicht gut aus. Österreich kommt beim Klimaschutz nicht vom Fleck. Wir kommen vom Platz des Klimaschutzschlusslichts einfach nicht weg.

Die Klimagase in Österreich sind in einem einzigen Jahr um mehr als 3 Prozent ge­stiegen. EU-weit sind die Emissionen – das sind ohnehin alles altbekannte Zahlen – seit 1990 um 24 Prozent gesunken, in Österreich sind die Emissionen im gleichen Zeit­raum sogar ein kleines bisschen gestiegen, um 0,1 Prozent, und der CO2-Ausstoß, ge­rade im Verkehr, spielt dabei eine der Hauptrollen.

Jetzt gehe ich auch schon weg vom Problem und hin zu den Lösungen: Ich freue mich sehr, dass jetzt mit Tirol, Vorarlberg und Wien drei Bundesländer hintereinander den Vorsitz im Bundesrat und in der Landeshauptleutekonferenz haben, die in der Weiter­entwicklung des öffentlichen Verkehrs die Latte sehr hoch legen. Um 365 € im Jahr ist man nicht nur in Wien, sondern auch in ganz Vorarlberg landesweit unterwegs, und jetzt ist um 490 € – ein bisschen mehr – auch ganz Tirol öffentlich verbunden, und das ganze Angebot an öffentlichem Verkehr wird stark ausgebaut.

Mein Vorredner hat die Autobahnverbindungen angesprochen. Ich finde es wichtiger, dass der öffentliche Verkehr und die öffentlichen Anbindungen schneller ausgebaut wer­den, bevor die Autobahnanbindungen verstärkt werden. (Zwischenruf des Bundesra-
tes Schennach.)

Überregionale, länderübergreifende Zusammenarbeit wurde bereits von mehreren Sei­ten angesprochen. Es ist sehr viel hinsichtlich bürokratischer Öffi-Barrieren an den Lan­desgrenzen gelungen, denn da hat es ja Auswüchse dahin gehend gegeben, dass man austeigen musste, bevor man mit den Ländertickets weiterfahren konnte, oder dass man nicht schon im Zug Tickets kaufen konnte und so weiter. Diese bürokratischen Bar­rieren wurden und werden schrittweise abgebaut, und es werden noch günstigere Tari­fe für Wenigverdiener umgesetzt. Alles zusammen fördert den Weg, weg vom Individu­alverkehr zu kommen und den Verkehr von der Straße auf Schiene und Öffis zu ver­legen. In der Landeshauptleutekonferenz kann man sicher diese Best-Practice-Beispie­le vorstellen und die österreichweite Umsetzung Stück für Stück voranbringen.


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Da wir schon im Wahlkampf sind, möchte ich nur ganz kurz erwähnen, dass in diesen drei Bundesländern grüne LandesrätInnen für den öffentlichen Verkehr zuständig sind. Das erwähne ich jetzt nur mal so dazu und freue mich sehr, dass wir da so viel wei­terbekommen haben. (Bundesrat Schennach: Ohne Absicht, nehme ich an?!) – Ohne Absicht.

Ich habe vorhin die Perspektive auf eine intakte Umwelt genannt, das schließt natürlich auch ein, dass der Raum erhalten wird, Stichwort Ressourcenschonung. Es braucht ei­ne gute Naturschutzgesetzgebung, ergänzt durch eine vorausschauende und ressour­censchonende Raumordnung. Dass der Flächenverbrauch derzeit mehr als sechsmal so hoch wie der Zielwert ist, wissen wir. Wir brauchen im Moment 16,1 Hektar pro Tag statt 2,5 Hektar. Das fällt auch wieder in den Bereich Best Practice. Da können die Länder viel voneinander abschauen und lernen, zum Beispiel Raumordnungsinstrumen­te weiterzuentwickeln. Der neue Salzburger Raumordnungsstandard sollte bundesweit ausgerollt werden. Da steht nämlich drin, es braucht verbindliche, regionalspezifizierte Zielwerte als Obergrenze des Flächenverbrauchs. Jetzt stehen in der Nachhaltigkeitsstra­tegie zwar Obergrenzen oder Zielwerte drin, aber diese sind unverbindlich, eben diese 2,5 Hektar pro Tag, die nicht eingehalten werden.

Daher ist da etwas weiterzuentwickeln, damit es Verbindlichkeit gibt und der Raum ge­schützt wird. Wenn es so weitergeht wie im Moment, werden wir das Problem nicht in den Griff bekommen – die Ortskerne und die Stadtkerne werden entsiedelt, die Geschäf­te stehen leer, die Einkaufszentren auf der grünen Wiese wachsen wie die Schwam­merl mit den dazugehörigen Parkplätzen und dem Verkehr, da jeder hinausfahren muss, weil die Betriebe draußen angesiedelt werden und das nicht gelenkt wird.

Zum Thema Sicherung der Lebensqualität, das heute auch schon von allen Richtungen angesprochen worden ist: In Österreich sind Wirtschaft und Arbeitsplätze in einer schö­nen Umgebung angesiedelt, und wir müssen natürlich darauf achten, dass wir diese er­halten. Das ist ein Standortfaktor, der für Österreich ausschlaggebend ist.

Ich habe eingangs gesagt, dass ich mir ein paar Themen für Perspektiven rausgepickt habe, und jetzt geht es um die sichere Perspektive auf Erhalt des Arbeitsplatzes, um Kinderbetreuung: Es geht darum – vor allem Frauen sind davon betroffen –, dass es ei­ne sichere Zukunftsperspektive für die Vereinbarkeit von Familie und Beruf und für die Möglichkeit geben muss, auch mit Kindern weiterhin am Erwerbsleben teilzuhaben und sich nicht Sorgen machen zu müssen, ob man denn wegen der Kinder für die nächsten zehn bis fünfzehn Jahre, wenn es blöd hergeht, ausfällt – vor allem im ländlichen Raum, je weiter in der Peripherie, umso mehr – und man dann, vor allem im vielleicht schon fortgeschrittenen Alter, null Perspektive auf einen Wiedereinstieg hat.

Deshalb finde ich das jetzt besonders passend für den Bundesrat und den Vorsitzen­den der Landeshauptleutekonferenz, da der Ausbau der Kinderbetreuung in Länder­kompetenz fällt, die Finanzierung aber vor allem Bundesaufgabe ist. Der Ausbau muss vorangetrieben werden, in allen Bundesländern, und in einigen Bundesländern eben noch ein bisschen mehr. Gegenseitig kann man sich da wieder Best-Practice-Beispiele aus den Ländern anschauen und zum Vorbild nehmen.

Herr Landeshauptmann, ich habe im Sommer einen Artikel darüber gelesen, dass Sie sich auch dafür starkmachen, dass endlich die 15a-Vereinbarung zur Finanzierung der Kinderbetreuung eine langfristige Perspektive bekommt. Bis in den Sommer hinein hat es ja gar keine Planungssicherheit gegeben, die Vereinbarung wäre einfach Ende des Jahres ausgelaufen. Jetzt ist sie einmal für ein Jahr verlängert worden. Die Verhand­lungen gehen aber schon wieder nicht weiter, und ich befürchte, wenn da nicht schnell weiterverhandelt wird, werden wir uns im nächsten Jahr wieder in der gleichen Situa­tion befinden. Wir müssen einfach schauen, dass da etwas weitergeht!


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Eine weitere wichtige Perspektive, die ich noch kurz ansprechen möchte, ist die Pers­pektive auf gute Ausbildung. Ich freue mich als Grüne ganz besonders, da wir vor allem mit unserem Vorarlberger Bildungssprecher Harald Walser sehr dahinter waren, dass mit Vorarlberg die Vorreiter der gemeinsamen Schule der 10- bis 14-Jährigen jetzt auch den Vorsitz haben.

Das ist eine riesige Aufgabe und es geht natürlich nicht von heute auf morgen, sondern nur auf lange Sicht und vorausschauend geplant. Es werden jetzt in Vorarlberg die Rah­menbedingungen und Voraussetzungen für die gemeinsame Schule geschaffen – von der gemeinsamen neuen LehrerInnenausbildung über die gesetzlichen Rahmenbedin­gungen, die natürlich erst einmal geschaffen werden müssen –, die Mittel müssen auf­getrieben und gelenkt werden, damit dann durchgestartet werden kann. Ich glaube, für 2023 ist es geplant – viel Erfolg! Ich hoffe, dass da noch viele Regionen nachfolgen.

Ganz kurz möchte ich auch noch auf das Thema Steuern eingehen. Sie haben gesagt, niemand will eine Erhöhung der Steuern. Das ist auch bei uns so. Die Grünen wollen auch keine Erhöhung der Steuern, sondern wir wollen eine Umschichtung der Belastung, um den Menschen eben Perspektiven zu geben.

Wir Grünen wollen ein leistungs- und chancengerechtes Steuersystem. Es sollen die Abgaben auf Arbeit für selbständig und für unselbständig Erwerbstätige sowie die Lohn­nebenkosten für Unternehmen gesenkt werden. Das grüne Modell sieht eine Entlas­tung von 8 Milliarden € vor. Als Gegenfinanzierung wollen wir nicht, dass im Sozialbe­reich Einsparungen kommen und dort gekürzt wird, sondern um den Leuten wirklich mehr vom Einkommen zu lassen und dadurch die Wirtschaft und den Konsum anzukurbeln, soll die Gegenfinanzierung aufkommensneutral dazukommen. Das grüne Modell dazu ist, denke ich, hinlänglich bekannt, ich erwähne es daher nur kurz: Gegenfinanzierung über Besteuerung fossiler Energieträger, über Klimaschutz – das habe ich vorhin schon angesprochen, diesen bekommen wir nur dann in den Griff, wenn die Verursacher mit­einbezogen werden, wenn die Verursacher der Klimaproblematik die Auswirkungen mit­zahlen – und über die Besteuerung von Vermögen, nämlich dass auch Millionenerben und Milliardenstifter einen fairen Beitrag zur Finanzierung der großen Zukunftsfragen – Klimaschutz, Bildung und soziale Sicherheit in Österreich – beitragen, um eben Pers­pektiven zu schaffen. – Danke schön. (Beifall bei den Grünen und bei Bundesräten der SPÖ.)

10.57


Präsident Edgar Mayer: Als Nächster hat sich Herr Landeshauptmann Mag. Wallner zu einer abschließenden Stellungnahme zu Wort gemeldet. – Bitte, Herr Landeshaupt­mann.

 


10.57.44

Landeshauptmann von Vorarlberg Mag. Markus Wallner: Herr Präsident! Geschätzte Bundesräte! Nur noch zwei, drei Bemerkungen zum Abschluss, um das Ganze nicht in die Länge zu ziehen.

Zum Arbeitnehmerschutzgesetz: Herr Kollege, Sie wissen, wie ich es gemeint habe. Mei­ne Bitte war, dass man in den großen Bereichen der Bundesgesetzgebung, wo zen­trale, große Gesetzgebung stattfindet, einen Anlauf zur Entrümpelung nimmt. Ich bleibe dabei, beim Arbeitnehmerschutzgesetz gibt es jede Menge unsinnige Bestimmungen. Das hat jetzt nichts mit der Arbeiterkammer oder mit anderen Dingen zu tun und ist auch kein Angriff auf den Arbeitnehmerschutz per se, aber ich lade Sie gerne dazu ein, einmal in einen kleinen Betrieb zu gehen und das alles durchzuarbeiten. Sie werden feststellen, da gibt es so viele Bestimmungen, bei denen Sie, dem Hausverstand fol­gend, sagen werden: Das braucht kein Mensch mehr! – In diesem Zusammenhang kann man einiges tun und auch gewisse Erleichterungen für Betriebe schaffen.


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Ansonsten hat der Tiroler sehr viel Ahnung von Vorarlberg, wie ich mitbekommen ha­be, auch über die historischen Zusammenhänge. Wir sind gute Nachbarn und werden uns über die Grenzen hinweg auch weiterhin gut verständigen können. Ich danke auch sehr für das eine oder andere positive Wort, das Sie gefunden haben.

Im Gegensatz zu Kollegem Längle – ich weiß gar nicht, was ich Ihnen eigentlich ant­worten soll. Am besten würde ich Ihnen raten (Bundesrat Schennach: Gorbach!) – ja, das mache ich schon noch –, im Landtag zu kandidieren, denn dann hätte ich Gele­genheit, mich mit Ihnen wirklich auseinanderzusetzen. (Bundesrat Längle: Das denke ich mir!) Die Zeit dazu habe ich heute nicht. Der Bundesrat ist auch nicht der Landtag, Sie haben das Gremium verwechselt. (Beifall bei der ÖVP sowie der Bundesräte Kurz und Stögmüller.)

Aber ich habe einen Wunsch: Treten Sie einfach einmal bei uns an, damit wir offenen Visiers miteinander diskutieren können, und treten Sie nicht hier heraus und schütten mich mit irgendetwas an, von dem Sie wenig verstehen!

Sie haben sich intensiv darum bemüht, das Land schlechtzumachen. – Ich nenne das Nestbeschmutzung. Ich sage Ihnen Folgendes: Ich trete mit dem Vorarlberger Bundes­land, mit unserer Heimat jeden internationalen Vergleich an, wenn er objektiv gemacht wird – jeden! Ich sage nicht, dass wir überall die Besten sind, aber wir strengen uns mas­siv an, vorne mit dabei zu sein.

Schauen Sie sich die Wirtschaftsdaten, die Arbeitsmarktdaten, die Lebenserwartung an, und schauen Sie sich die Umweltdaten in unserem Bundesland an, schauen Sie sich die Energiedaten an! Natürlich kann man alles auch von einer anderen Seite her be­trachten, aber seriös ist die Geschichte nicht.

Dazu muss ich Ihnen schon noch etwas sagen: Sie haben Erinnerungsstörungen! (Bun­desrat Jenewein: Ist der Ausdruck parlamentarisch?!) Ihre Partei war über Jahrzehnte an der Regierung dieses Bundeslandes beteiligt; Ihre Partei hatte jahrzehntelang Ver­antwortung für Verkehr und Infrastruktur, für Raumplanung und für ein paar andere Agenden. Ich wäre nie im Traum darauf gekommen, mich so negativ zu äußern wie Sie, weil dort auch durchaus vernünftige Arbeit geleistet wurde; aber Sie finden immer noch einen Grund, zu sagen, was da alles nicht passt. Sie können bei Ihren eigenen Leuten nachfragen. Sie können bei Ihrem Kollegen Gorbach nachfragen, der im Mo­ment das Land Vorarlberg klagt, weil er eine höhere Pension haben will. Dort können Sie nachfragen, wie seriös die ganze Geschichte ist. (Heiterkeit und Beifall bei ÖVP und Grünen sowie bei Bundesräten der SPÖ.)

Wissen Sie, ich habe nicht vor, mir das von Ihnen einfach so sagen zu lassen – auch nicht im Bundesrat! Sie können nachfragen, was er damals als Minister im Bereich der Infrastruktur und der Raumplanung im Lande geleistet hat, fragen Sie nach! (Bundes­rätin Mühlwerth: Der ist zum BZÖ gegangen, das ist nicht mehr FPÖ!) Er hat die ers­ten Probebohrungen für die Entlastungsstraße, von der wir da reden, durchgeführt. Er­gebnis: bis heute keines; das weiß ich. Sie vergessen offensichtlich, welche großen In­frastrukturvorhaben im Land Vorarlberg durchgeführt werden, die blenden Sie einfach aus. Okay, lassen wir das beiseite.

Sie haben auch dazugesagt, die Politik habe keine Leistung in Bezug auf die Rahmen­bedingungen gebracht. Ich habe darauf hingewiesen, dass die Herausforderungen groß sind – und das weiß wohl jeder – und dass wir in der Zukunft einiges gemeinsam zu machen haben. Hier aber ein Detail aus der letzten Steuerreform herauszunehmen, zu­gegebenermaßen ein kritisches, und alles andere beiseitezulassen, ist eine höchst un­seriöse Vorgangsweise. Die letzte Steuerreform – und sie wirkt im Übrigen – hatte im­merhin einen Umfang von in Summe 4,9 Milliarden €, das ist ein Viertel des Lohnsteu­eraufkommens, das wurde aus dem gesamten Lohnsteueraufkommen der Republik he-


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rausgeschnitten. (Bundesrätin Mühlwerth: ... nicht finanziert! – Weitere Zwischenrufe bei der FPÖ.) – Hören Sie zu! Das ist eine Entlastung, die jede Bürgerin und jeder Bürger auch gespürt hat.

Ich stehe nicht an, zu sagen: Das ist nicht das Ende! Ich stehe nicht an, zu sagen, dass eine weitere Entlastung notwendig ist! Ich stehe nicht an, zu sagen, dass die kalte Pro­gression weggehört! Da sind wir uns einig. Aber: Das zu verschweigen, ist falsch, weil Ihnen alle Ökonomen sagen werden, dass es im Moment zwei Dinge gibt, die Öster­reich und im Speziellen die Vorarlberger Wirtschaft beflügeln: die Exporte, speziell bei uns, das werden Sie hoffentlich wissen, und auch der inländische Konsum. Der inländi­sche Konsum wird deswegen beflügelt, weil die Lohnsteuer gesenkt wurde; das ist ein maßgeblicher Effekt (Bundesrat Pisec: Aber geh!) – und das sage nicht ich, sondern das können Sie beim IHS oder beim WIFO oder bei anderen nachlesen. Ich sage auch dazu: Das Ende der Fahnenstange ist logischerweise noch nicht erreicht, weil die Ab­gabenquote immer noch zu hoch ist und weil es genügend Länder um uns herum gibt, in der unmittelbaren Nachbarschaft meiner Heimat, die es auch schaffen, die Abgaben­quote weiter runter zu bringen – und deswegen die Richtung: keine neuen Steuern; und deswegen die Richtung: geordnete Staatsfinanzen in enger Partnerschaft von Bund und Ländern.

Verschweigen Sie aber nicht, dass ein Viertel der Lohnsteuer herausgenommen wur­de – verschweigen Sie das nicht! Das spürt jeder in der Geldtasche, und das hat auch die inländische Wirtschaft und den Konsum mit – nicht nur, aber mit – angekurbelt. Ich bitte Sie also sehr: Verwechseln Sie nicht die Gremien Bundesrat und Landtag, schrei­ben Sie nicht einfach die Pressedienste der Vorarlberger FPÖ ab, schalten Sie ein biss­chen den eigenen Verstand mit ein! (Heiterkeit des Bundesrates Stögmüller.) Und wenn Sie mit mir wirklich diskutieren wollen, dann treten Sie in Vorarlberg an! (Beifall bei der ÖVP sowie der Bundesräte Todt und Stögmüller.)

11.03


Präsident Edgar Mayer: Weitere Wortmeldungen liegen dazu nicht vor.

Wünscht noch jemand das Wort? – Herr Kollege Längle, bitte. (Bundesrat Schennach: jetzt haben wir eine Landtagsdebatte!)

 


11.04.11

Bundesrat Christoph Längle (FPÖ, Vorarlberg): Herr Präsident! Sehr geehrter Herr Landeshauptmann, zu Ihren Ausführungen zwei Dinge (Heiterkeit bei der ÖVP sowie des Bundesrates Stögmüller): Erstens haben wir den Herrn Gorbach schon lange aus der freiheitlichen Familie ausgeschlossen (Zwischenrufe der Bundesräte Novak und Schennach), und es ist jetzt auch etwas unseriös von Ihnen, mit Dingen zu kommen, die zehn, fünfzehn Jahre zurückliegen. (Ruf bei der FPÖ: ... Strasser! – Rufe und Ge­genrufe zwischen SPÖ und FPÖ.)

Zweitens: Wenn es Ihnen wichtig ist, dass ich im Landtag spreche – ich fühle mich da geehrt –, dann könnten Sie ja die Geschäftsordnung des Landtags reformieren und den Bundesräten ein Rederecht einräumen. – Danke. (Beifall bei der FPÖ sowie der Bun­desräte Beer und Ebner.)

11.04


Präsident Edgar Mayer: Weitere Wortmeldungen liegen dazu nicht vor.

Wünscht noch jemand das Wort? – Das ist nicht der Fall. Die Debatte ist geschlossen.

11.05.01Aktuelle Stunde


BundesratStenographisches Protokoll872. Sitzung / Seite 41

 


Präsident Edgar Mayer: Wir gelangen nun zur Aktuellen Stunde zum Thema

„Trendwende in Europa: Perspektiven zur Lösung aktueller Herausforderungen von Brexit bis zur Migrationskrise“

mit dem Herrn Bundesminister für Europa, Integration und Äußeres Sebastian Kurz. – Ich darf ihn hiermit auch herzlich begrüßen: Guten Tag, Herr Minister! (Allgemeiner Bei­fall.)

In der Präsidialkonferenz wurde Einvernehmen über folgenden Ablauf erzielt: Zunächst kommt je eine Rednerin/ein Redner pro Fraktion zu Wort, deren beziehungsweise des­sen Redezeit jeweils 10 Minuten beträgt. Sodann folgt die Stellungnahme des Herrn Bun­desministers, die ebenfalls 10 Minuten nicht überschreiten soll. Danach folgt wiederum je eine Rednerin/ein Redner der Fraktionen sowie anschließend je eine Wortmeldung der Bundesräte ohne Fraktion mit jeweils einer fünfminütigen Redezeit. Zuletzt kann noch eine abschließende Stellungnahme des Herrn Bundesministers erfolgen, die nach Mög­lichkeit 5 Minuten nicht überschreiten soll.

Als Erster zu Wort gemeldet ist Herr Vizepräsident des Bundesrates Mag. Gödl. Ich er­teile ihm dieses.

 


11.06.03

Bundesrat Mag. Ernst Gödl (ÖVP, Steiermark): Meine sehr geehrten Damen und Her­ren! Sehr geehrter Herr Präsident! Sehr geehrter Herr Bundesminister! Sehr geehrter Herr Landeshauptmann! Geschätzte Kolleginnen und Kollegen im Bundesrat! Ich darf zualler­erst dem Herrn Außenminister meine Hochachtung und meinen Dank aussprechen. Er war ja vor wenigen Stunden noch in London (Oh-Rufe bei der SPÖ) und ist jetzt hier bei uns im Bundesrat, um bei dieser Aktuellen Stunde persönlich dabei zu sein (Zwi­schenrufe bei der FPÖ) und sich nicht vertreten zu lassen, sondern auch diese Rolle im Parlament und vor dem Parlament ernsthaft einzunehmen. (Beifall bei der ÖVP. – Bundesrat Stögmüller: Das ist eine Verpflichtung!)

Das Thema ist ein wichtiges Thema, nämlich Europa, und der Außenminister kommt ja gerade aus Europa, nämlich aus London (Heiterkeit bei SPÖ, FPÖ und Grünen), wo er mit dem Außenminister wichtige Gespräche geführt hat. (Bundesrat Jenewein: Von Eu­ropa ... Europa!) So trifft es sich gut, dass wir folgenden Titel für diese Aktuelle Stun­den gewählt haben: „Trendwende in Europa: Perspektiven zur Lösung aktueller Heraus­forderungen von Brexit bis zur Migrationskrise“.

In der Tat war die Europäische Union in den letzten Jahren, im letzten Jahrzehnt, durch­aus von einigen schwerwiegenden Krisen gebeutelt – man denke an die Finanzkrise, die Eurokrise, die Griechenlandkrise –, aber zwei ganz besonders einschneidende Ereig­nisse, die auch hier in Österreich sehr stark aufgeschlagen sind, waren natürlich 2015 die Migrationskrise und schließlich 2016 dieses doch etwas überraschende Votum in Großbritannien zum Austritt aus der Europäischen Union.

Spätestens mit diesem Zeigefinger, den die Briten aufgestellt haben, wurde es notwen­dig, über Änderungen in der europäischen Politik zu sprechen; und damit wurden diese Änderungen quasi auch eingeleitet. Der Brexit muss eben ein Anlass sein, darüber zu diskutieren: Wie können wir unser Europa verbessern? Viele von uns – und ich persön­lich auch – sind überzeugte Proeuropäer. Überzeugter Proeuropäer oder Proeuropäerin zu sein bedeutet aber nicht – auf keinen Fall! –, mit dem Status quo zufrieden sein zu dürfen, sondern wir müssen danach trachten, wie wir unser gemeinsames Europa bes­ser machen können.

Europa ist eigentlich eine extreme Erfolgsgeschichte, nicht nur, dass wir seit dem Zwei­ten Weltkrieg in Zentraleuropa, hier in der Europäischen Union Frieden haben, sondern das wird auch deutlich, wenn man sich ein paar Zahlen vergegenwärtigt: Europa behei­matet circa 8 Prozent der Weltbevölkerung, diese 8 Prozent der Weltbevölkerung er-


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wirtschaften fast 25 Prozent, fast ein Viertel der Weltwirtschaftsleistung. Was aber ganz markant für Europa spricht: 50 Prozent aller Sozialleistungen werden in Europa ausbe­zahlt – 50 Prozent aller Sozialleistungen weltweit werden in Europa ausbezahlt! Das be­deutet, wir sind ein sehr sozialer Kontinent.

Wenn man dann noch einmal die verschiedenen Staaten innerhalb von Europa betrach­tet, dann erkennt man natürlich, dass gewisse Staaten – und da gehört Österreich da­zu – ein besonders dichtes soziales Netz geknüpft haben. Das ist richtig und das ist gut so! Das macht ja Europa auch so attraktiv. Wenn es Fluchtbewegungen gibt – und die gab es in den letzten Jahren zuhauf –, ist es dann aber so, dass jene Länder, die das beste Sozialsystem anbieten, natürlich als Zielländer ausgesucht werden, wenn es sich der Flüchtling aussuchen darf.

Europa ist eine Erfolgsgeschichte, es hat sich aber gezeigt, dass dann, wenn nicht nur die Sonne scheint, sondern auch dunkle Wolken aufziehen, die Europäische Union nicht gerüstet ist, um in einer krisenhaften Situation auch die richtigen Maßnahmen zu set­zen. Man hat gesehen, dass das, was wir gemeinsam erreicht haben, zum Beispiel der Schengenraum, die offenen Grenzen, dann nicht gewährleistet ist, wenn wir, die Euro­päische Union, es nicht schaffen, unsere Außengrenzen zu schützen und auch zu kon­trollieren.

Daher darf und muss der Brexit als echte Warnung gesehen werden, denn wenn die Bürgerinnen, wenn die Bürger das Gefühl haben, dass die Europäische Union für die großen Fragen, für die großen Probleme keine Lösungen anbietet, dann wird uns die Be­völkerung die Gefolgschaft versagen. Daher ist eine Trendwende einzuleiten, sie ist aus meiner Sicht auch eingeleitet; und da gibt es schon einige sehr zukunftsweisende Punk­te, die ich ganz kurz anführen möchte.

Im März gab es zum Beispiel eine gemeinsame Erklärung aller 27 Staats- und Regie­rungschefs über die Zukunft der Europäischen Union, und dabei wurden vier zentrale Ziele formuliert. Erstens: Europa muss sicher und geschützt sein. Zweitens: Europa muss wohlhabend sein und nachhaltig geführt werden. Drittens: Europa muss eine soziale Kom­ponente aufweisen. Viertens: Europa muss in Zukunft noch stärker auf der globalen Büh­ne auftreten.

Es gab auch weitere Vorschläge; der Kommissionspräsident hat eine Rede zur Lage der Europäischen Union gehalten, und auch der starke französische Präsident, der mit einem starken Votum der Bevölkerung ausgestattet wurde, hat erst Ende September eine Grundsatzrede gehalten und sogar von einer Neugründung eines souveränen, ein­es vereinten und demokratischen Europas gesprochen. Ich denke, von einer Neugrün­dung muss man vielleicht nicht sprechen, aber wovon wir ganz sicher sprechen müs­sen, ist, dass Europa einen Kurswechsel braucht: Europa muss sich auf die Kernkom­petenzen konzentrieren!

Was sind Kernkompetenzen der Gemeinschaft? – Außengrenzschutz, Klimaschutz, Ener­giepolitik, Handelspolitik. Wenn man sich auf Kernkompetenzen konzentriert, dann re­sultiert daraus Subsidiarität. All das, was nicht große Fragen sind, was nicht Europa lö­sen muss, delegieren wir an die Nationalstaaten oder an noch kleinere Einheiten, etwa die Regionen Europas. Das bedeutet, es stellt sich gar nicht die Frage, ob wir mehr oder weniger Europa brauchen, wir brauchen wohl beides: Wir brauchen in manchen Fra­gen – ich denke gerade auch an die Klimapolitik – ganz sicher mehr Europa, wir brauchen aber auch in vielen Fragen weniger Europa.

Der Herr Landeshauptmann von Vorarlberg hat die unsägliche Allergenverordnung be­reits angesprochen: Da brauchen wir Europa nicht. Diese Dinge können wir zu Hause im Nationalstaat oder beispielsweise auch in den Regionen besser regeln. Europa muss sich in manchen Bereichen auch zurücknehmen. (Bundesrat Pisec: ... Steuersenkung ...!)


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Die Stärke der Europäischen Union muss gelebte Subsidiarität sein, nur dann werden die Bürgerinnen und Bürger diese EU auch verstehen. Nach außen hin braucht es ein starkes Auftreten, geschlossenes Auftreten in einer globalisierten Welt und ganz be­sonders – auch im Eigeninteresse Österreichs und natürlich auch im Interesse der Zu­kunft der Europäischen Union – ein starkes Engagement in Krisenregionen, in Afrika, in anderen Regionen.

Auch über die Erweiterung der EU werden wir reden müssen. Ich denke, die Westbal­kanstaaten sind nach klaren Kriterien natürlich in die Europäische Union zu integrieren, aber andererseits – das ist auch ganz klar – hat die Türkei mit ihrer derzeitigen Aus­richtung wohl keinen Platz!

Meine Damen und Herren, die knappste Ressource der Politik ist die Glaubwürdigkeit. (Bundesrat Stögmüller: Geht verloren!) Zur Glaubwürdigkeit gehört eben – gerade in Fragen der Europäischen Union –, den Bürgerinnen und Bürgern möglichst viel Freiheit zu gewähren, möglichst wenige Spielregeln zu haben, aber jene Regeln, die wir haben, 100-prozentig einzuhalten. Das ist eine Frage von konsequenter und glaubwürdiger Poli­tik. Da gibt es noch viele Punkte, die wir ansprechen müssen. Man konnte heute in meh­reren Zeitungen etwas zur Frage der Steuerpraxis lesen. Es geht natürlich nicht, dass Konzerne beispielsweise bevorteilt werden und über Konstruktionen Steuern quasi wo­anders und bei uns fast nichts zahlen. (Ruf bei der SPÖ: KTM zum Beispiel!) Das ge­hört abgestellt, auch da muss die Europäische Union auf jeden Fall noch nachschärfen.

Ich darf sagen, dass unser Bundesminister in den letzten Jahren wirklich ausgezeich­nete Europa- und Außenpolitik betrieben hat, denn nur wer das Ganze im Blick hat, kann für seinen Teil das Beste und das Meiste erreichen. Sebastian Kurz hat, wie ich glaube, in vielen, vielen Fragen bewiesen, dass er nicht nur in der Theorie Politik versteht, sondern auch in der Praxis Themen umsetzt, die ganz Europa bewegen. Man denke nur an die Schließung der Balkanroute, an die starke Haltung in der Migrationsfrage; da sind wir ja mit Sebastian Kurz an der Spitze doch um einiges weitergekommen.

Daniel Bell hat einmal formuliert, dass die Nationalstaaten zunehmend zu klein sind, um die großen Probleme zu lösen, und oft zu groß sind, um die kleinen Probleme zu lösen. Genau diesen Spagat müssen wir schaffen, nämlich einen Spagat zwischen Auf­gabenorientierungen – große Probleme löst uns die EU, die kleinen Dinge lassen wir nach dem Subsidiaritätsprinzip in den Nationalstaaten, in den Regionen.

Wer es also mit unseren Kindern gut meint, der setzt auf ein starkes Europa, auf ein Eu­ropa der Sicherheit, auf ein Europa des Wohlstands, der Gerechtigkeit, der Solidarität und schließlich der Subsidiarität. – In diesem Sinne: Glück auf und alles Gute! Herr Mi­nister, alles Gute auch für die nächsten Wochen! (Beifall bei der ÖVP sowie des Bun­desrates Zelina.)

11.15


Präsident Edgar Mayer: Als Nächster zu Wort gemeldet ist Professor Schennach. – Bitte, Herr Kollege.

 


11.16.03

Bundesrat Stefan Schennach (SPÖ, Wien): Sehr geehrter Herr Präsident! Sehr ge­ehrter Herr Minister! Herr Landeshauptmann! Ich werde jetzt den Fehler des Kollegen Gödl nicht machen, denn wieso wollen Sie hier eine Personaldebatte über den Außen­minister abführen? (Bundesrat Stögmüller: Weil Wahlkampf ist!) Sie haben hier ange­fangen, über den Herrn Außenminister selbst zu sprechen.

Ich mache allerdings eine Anmerkung (in Richtung Bundesminister Kurz): In den letz­ten Debatten, die wir im Bundesrat hatten, haben wir Sie auf der Regierungsbank im­mer schmerzlich vermisst, denn Sie haben zu den Agenden, die Ihr Ressort betreffen,


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dem Bundesrat gegenüber selten ein Statement abgegeben. Wenn Herr Gödl ein biss­chen etwas zum Außenminister und dessen Person gesagt hat, dann mache ich den letzten Satz: Der Kampf um österreichische Positionen in Europa – und bei dem, was Sie ausgedrückt haben, da sind wir nicht weit auseinander – bedarf aber auch einer ent­sprechenden Präsenz in den Sitzungen des Außenministerrats. Da gibt es ja auch eine Statistik, und wenn man die anschaut, kann man sagen, wenn man bei über 50 Prozent der Sitzungen nicht dabei ist, ist es auch schwierig, österreichische Positionen einzu­bringen (Bundesrat Stögmüller: Schwänzer!) – so weit nur zu der von Ihnen angezoge­nen Debatte, Herr Gödl! (Beifall bei SPÖ und Grünen.)

Kommen wir zu der Aussage von Herrn Gödl, dass die Europäische Union den Bürgern Freiheiten geben muss: Wenn ich Ihre Publikationen lese, dann sehe ich da drinnen überall nur, dass den Konzernen Freiheiten zu geben seien, nämlich die Freiheiten, Ka­pital, Menschen und Leistungen zu verschieben und die Steuertricks in Europa mög­lichst auszunützen.

Ja, Sie haben es angesprochen: Die gute Nachricht kommt nicht aus London, die gute Nachricht kommt aus Luxemburg, denn die EU-Kommission verpflichtet Amazon, Steu­ern in der Höhe einer Viertelmilliarde Euro nachzuzahlen. Dieser Konzern, Amazon, hat in Europa nämlich 2,4 Milliarden € Gewinn gemacht und eine Viertelmilliarde Euro an Steuern von Luxemburg geschenkt bekommen. (Zwischenruf bei der ÖVP.) Das geht nicht!

Es geht aber auch noch weiter, wenn wir zum Beispiel Apple anschauen: Apple hat in Europa sage und schreibe – zum Mitschreiben – 0,005 Prozent Steuern gezahlt; und jetzt bedarf es des Europäischen Gerichtshofes, dass Irland endlich 13 Milliarden € an Steu­ernachforderungen in Rechnung stellt. Dasselbe betrifft Starbucks.

Das bedeutet, wenn wir Europa und seine Probleme ernst nehmen, dann müssen wir vor allem Folgendes machen: Wir müssen eine Steuergerechtigkeit schaffen, wir müs­sen das beenden, denn kein einziger Arbeitnehmer und keine einzige Arbeitnehmerin hat die Chance, mit den Steuern zu tricksen, aber die großen internationalen Konzer­ne, die tricksen (Bundesrat Gödl: Das gehört abgeschafft!); und das geht letztlich zu­lasten der Arbeitnehmer und Arbeitnehmerinnen, denn es ist unser Vertrag, dass beide Seiten Steuern zahlen. (Beifall bei SPÖ und Grünen.)

Subsidiarität klingt in diesen Hallen immer gut, aber wir sagen: Wir brauchen auch ein Mehr an Europa, nämlich ein Mehr an Europa dort, wo die Entsenderichtlinie nicht funk­tioniert, wo es dann zu Lohndumping kommt, zu Sozialdumping, wo Menschen hin und her geschoben werden, um soziale Mindeststandards in einzelnen Mitgliedsländern aus­zunützen. Das gehört unterbunden, und da brauchen wir ein Mehr an Europa, damit es im Bereich des Lohns und des Sozialen nicht zu diesem Dumping kommt. Das haben wir auch schon im EU-Ausschuss im Bereich der Lkw-Fahrer und ‑Fahrerinnen disku­tiert.

Wo ich ganz anderer Meinung als der Herr Außenminister bin: Europa wird ohne das vierte Standbein niemals funktionieren. Ein Europa, das nicht auch ein soziales Europa ist, das nicht auch eine soziale Union ist, wird nicht funktionieren. (Beifall bei SPÖ und Grünen.)

Und wenn wir von den großen Problemen in Europa sprechen, dann sage ich: Es gibt immer Krisen – Kollege Gödl hat viele davon erwähnt. Die Krisen kommen, die Krisen werden bewältigt, denn Europa ist ein starkes Europa mit einer starken Wirtschaftskraft (Bundesrätin Mühlwerth: Wie lange noch?) – na, keine Sorge! (Bundesrätin Mühl­werth: Na, das ist dahingesagt!) –, aber wir geraten in Gefahr, wenn junge Menschen den Glauben an Europa verlieren, weil sie keinen Job finden oder bei der Tätigkeit, die sie machen, nicht genügend verdienen, um leben zu können. Das gefährdet Europa!


BundesratStenographisches Protokoll872. Sitzung / Seite 45

Deshalb brauchen wir auch eine Koordinierung auf dem Arbeitsmarkt, deshalb brau­chen wir eine soziale Union, deshalb brauchen wir Maßnahmen, um die Jugend in Be­schäftigung zu bringen. Deshalb brauchen wir ein duales Lehrlingsausbildungsmodell quer über Europa, in allen Mitgliedstaaten, eine Jobgarantie für die Jungen, damit sie daran glauben, dass Europa auf ihrer Seite ist und dass sie in Europa auch einen Platz haben. Das ist, glaube ich, die ganz große Herausforderung. Andere Herausforderun­gen schaffen wir – zum Beispiel den Brexit.

Am Anfang war ein alter Mann, ein alter Mann hat zweimal Nein gesagt: de Gaulle. Er hat zweimal die Aufnahme Großbritanniens verhindert. Und jetzt war es leider eine ver­schlafene Jugend, die vergessen hat, zu den Wahlen zu gehen, sonst hätten wir keine Brexit-Debatte. (Beifall bei der SPÖ.)

Ich war wie der Herr Außenminister auch gerade in London, ich war im Unterhaus und im House of Lords und habe mit Dutzenden Leuten gesprochen. Niemand will den Bre­xit, niemand – außer Sir Cash, den Kollege Edgar Mayer und ich bestens kennen, gibt es niemanden, der den Brexit will. Ich kenne mittlerweile so viele Leute, die von ihrer britischen Staatsbürgerschaft in eine irische gewechselt sind – und es ist relativ leicht, die irische Staatsbürgerschaft zu bekommen, weil man bald irgendwo nachweisen kann, dass es in der Familie eine irische Vergangenheit gibt –, weil sie sagen: Wir wollen EU-Bürger und -Bürgerinnen bleiben.

Die Konsequenzen, die bereits derzeit wirtschaftlich auf Großbritannien einbrechen, sind ja gewaltig. Dass jetzt die zwei großen EU-Agenturen das Land verlassen, dass alle gro­ßen Immobilienkonzerne bereits das Land verlassen haben, dass bereits 40 000 Men­schen in der City of London arbeitslos sind, dass der Bankensektor auf Europa aufge­teilt wird, ist eine verheerende Situation für das Land, und ich bin nicht sicher, ob am Ende der Brexit tatsächlich kommt oder ob es nicht eine neuerliche Volksabstimmung gibt.

Liebe Kollegen und Kolleginnen! Der Redebeitrag des Kollegen Gödl und auch der Ti­tel dieser Aktuellen Stunde haben auch die Migration zum Thema. Keine Frage, 2015 war das Handeln so, wie es notwendig war; keine Frage ist, dass wir eine Sicherung der Außengrenzen brauchen, dass wir aber auch sichere Routen für jene Menschen brauchen, die auf der Flucht vor Kriegen, auf der Flucht vor Gewalt, aus all den Grün­den, die die Genfer Flüchtlingskonvention aufzählt, nach Europa kommen, und dass wir den Schleppern die Grundlagen zu entziehen haben. Es ist klar, dass wir innerhalb Europas eine Solidarität, ein Relocation-Programm brauchen, keine Frage; es ist ein­fach unfassbar, wie sich manche Staaten da um die Verantwortung drücken.

Wir haben aber auch eine Verantwortung, wenn wir heute Berichte sehen, etwa aus Libyen, und davon hören, was dort mit den Menschen los ist; dass 80 Prozent der jun­gen Mädchen mit Sicherheit vergewaltigt werden, dass viele Menschen versklavt wer­den. Wir können da nicht wegsehen, und deshalb brauchen wir für Nordafrika dringend einen Marshallplan. Schließungen oder dass irgendwelche Inseln, auf denen Menschen leben, die Landwirtschaft betreiben und vom Tourismus und von der Fischerei leben, zu Gefängnissen oder Internierungslagern umgewandelt werden – wie der Herr Außen­minister sich das gewünscht hat –, das sollte auf keinen Fall in unserem Blickfeld sein.

Ja zu einer fairen Aufnahme in Europa – Europa kann sich nicht verschließen. Europa braucht auch die Migration. Deutschland braucht die Zuwanderung von einer halben Mil­lion Menschen pro Jahr, aber das muss auf geordneten Wegen geschehen.

Zum Schluss, Herr Außenminister: In Ihrem Programm steht – und ich finde, das ist eine schlechte Idee, und der Vorredner auf der Regierungsbank, der Herr Landeshaupt­mann, hat auch das Gegenteil dazu gesagt – die Abschaffung des Bundesrates. Ge­rade als Außenminister müssten Sie das vehement bekämpfen, denn Sie würden damit


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die Europakammer abschaffen. Viele Landeshauptleute haben das erkannt und sagen, nach dem Lissabonner Vertrag müssten wir den Bundesrat gründen und nicht abschaf­fen, denn seit Jahren belegen wir als aktivste Europakammer Platz eins oder Platz zwei. Die Einkammerparlamente beneiden uns um diese Kompetenz; die Subsidiarität, die Sie in Europa fordern, die kennt nämlich der Bundesrat innerösterreichisch und die kennt er auch in Europa; deshalb sind wir auch so erfolgreich. Fragen Sie den Herrn Präsidenten, wie oft Bundesräte die Einzigen sind, die das österreichische Parlament in internationalen Foren vertreten! Bitte streichen Sie das aus Ihrem Programm! – Dan­ke. (Beifall bei SPÖ und Grünen sowie der Bundesräte Mühlwerth und Zelina.)

11.26


Präsident Edgar Mayer: Als Nächste zu Wort gemeldet ist Frau Kollegin Mühlwerth. – Bitte, Frau Kollegin.

 


11.27.12

Bundesrätin Monika Mühlwerth (FPÖ, Wien): Sehr geehrter Herr Präsident! Sehr ge­ehrter Herr Minister! Sehr geehrte Damen und Herren hier und zu Hause! Ich gebe mei­nem Kollegen Schennach nicht so oft recht, aber in diesem Fall schon. (Bundesrat Schen­nach: Zu was?) – Zum Thema Nichtabschaffung des Bundesrates, denn wir erleben es manchmal auch gemeinsam, dass wir die Einzigen sind, die Österreich international ver­treten; ich bin da auch manchmal mit an Bord.

Das kennen wir aber schon, das ist so eine billige Geschichte aller Politologen, der Jour­nalisten: Bundesrat abschaffen! – Das ist so eine ganz superleichte Sache, das sagt sich schnell, und man muss nicht weiter darüber nachdenken. Das gilt in Wirklichkeit für vieles andere auch. (Bundesrat Gödl: Wo steht denn das? Wo steht denn das?)

Zur Trendwende in Europa: Ich frage mich schon, von welcher Trendwende eigentlich gesprochen wird. Ganz sicher ist die Trendwende in Europa nicht der Juncker-Plan, denn wenn man sich angehört hat, was Juncker gesagt hat, dann muss man sagen, das ist keinesfalls eine Trendwende in Europa, sondern es ist eher die Vertiefung eines Zustands, der jetzt schon unbefriedigend ist.

Was hat er denn gesagt? – Alle sollen den Euro haben! Eine Superidee: Alle sollen den Euro haben! Wir haben ja jetzt schon die besten Erfahrungen damit gemacht – mit Griechenland; da ist es trotz Milliarden und Abermilliarden nicht gelungen, es aus dem Sumpf herauszuziehen. Das Land ist immer noch da drinnen, obwohl da schon Milliar­den versandet und verpufft sind. Und dann sollen alle den Euro haben?! – Das ist eine großartige Idee, das kann wirklich nur dem Herrn Juncker einfallen.

Das Gleiche bei Schengen: Alle sollen an der Schengenaußengrenze teilhaben. Jetzt sage ich Ihnen schon: Wenn man sich die Situation in Rumänien, Bulgarien et cetera anschaut – Rumänien selbst hat auch immer wieder gesagt, es möchte gerne bei Schen­gen dabei sein –, dann stellt sich aber die Frage: Können sie das überhaupt? – Die Ru­mänen haben es ja bis heute nicht einmal geschafft, ihre Korruption zu bekämpfen. Die Rumänen haben es bis heute nicht geschafft, sich wirtschaftlich an das restliche Eu­ropa, vor allem an die Nettozahler, anzunähern. Und die wollen jetzt natürlich die Auf­gaben stemmen, und Herr Juncker sagt: Die können das alle! – Das klingt ja eigentlich nach einer gefährlichen Drohung und nicht nach einer Trendwende in Europa.

Wir Freiheitlichen wollen keinesfalls eine Sozialunion, wir wollen auch keine Fiskaluni­on. (Bundesrat Schennach: Da trefft ihr euch eh mit der ÖVP, ich weiß!) Es ist ein Un­terschied, ob man sagt, man hilft einem Land, das gerade Schwierigkeiten hat – dage­gen wäre jetzt gar nichts zu sagen –, oder ob man sagt: Wir machen eine Sozialunion! Sozialunion heißt, die Nettozahler werden immer die Lokomotive sein, und die anderen werden in diesen Zug einsteigen und sagen: Super, führt mich bitte von hier nach dort! – Das haben wir schon oft genug gesehen.


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Sie haben gesagt: Krisen hat es immer gegeben, und Krisen sind immer bewältigt wor­den. (Bundesrat Schennach: Ja!) – Also die jetzige Migrationskrise sehe ich überhaupt nicht bewältigt. Die wird uns wahrscheinlich noch ewig begleiten oder zumindest sehr lange. (Bundesrat Schennach: Na, mit Griechenland sind wir auch noch nicht fertig!) Und warum? – Erstens einmal sind da Menschen nach Europa geströmt, die nicht alle Asyl gebraucht haben, die nicht kontrolliert worden sind, bei denen keiner gewusst hat, woher sie kommen und warum sie kommen. Zu behaupten, man komme aus Syrien, ist eine Sache, es zu glauben, ist eine zweite Sache, und ob es dann stimmt, ist eine dritte Sache. – Die sind aber da!

Jetzt gibt es wieder eine Studie, die sagt, dass diese Leute eben nicht bereit sind, sich zu integrieren (Bundesrat Stögmüller: Die Studien stimmen nicht, haben Sie zuerst ge­sagt!), dass das Leute sind, die unsere Werte ablehnen, die zu einem hohen Prozent­satz – fast die Hälfte von ihnen – sagen, die Scharia sei wichtiger als unsere demokra­tische Gesetzgebung, und die – was wir immer schon gesagt haben – unsere demokra­tischen Werte im Grunde genommen verachten; die wollen damit überhaupt nichts zu tun haben. Aber diese Krise mit diesen Leuten werden wir jetzt bewältigen?! – Na, das schaue ich mir einmal an! Fragen Sie einmal all jene Frauen, die belästigt werden, die vergewaltigt werden, wie sie das sehen! Das sind zu 99 Prozent Zuwanderer, aber die­se Krise mit diesen Zuwanderern werden wir ja bewältigen. – Das werden wir nicht schaffen! (Beifall bei der FPÖ.)

Da wollte die EU einen Verteilungsschlüssel für alle Länder. Orbán ist gescholten wor­den, weil er gesagt hat, das mache er nicht, und alle anderen, die sogenannten Vise­grád-Staaten, sind gescholten worden: Das darf man nicht machen, man muss doch ei­ne Quote festlegen und man muss sie aufnehmen! – Dann hat der Herr Außenminis­ter – und das ist ja so bejubelt worden – die Westbalkangrenze geschlossen, wobei das ja nur die halbe Wahrheit ist, denn in Wirklichkeit haben da die Slowenen und Maze­donien selbst schon sehr viel gemacht. Ungarn und Slowenien haben den Mazedoni­ern geholfen, dort Stacheldrahtzäune aufzuziehen, damit die eben nicht weiterkönnen, und die Polen, die Tschechen, die Slowenen und die Kroaten haben Polizisten hinge­schickt, damit das überhaupt funktioniert. Also da ist zwar ein Anteil da, aber er ist nicht so groß, wie immer wieder gesagt wird.

Afrika ist auch noch erwähnt worden. Wir haben das ja schon lange gesagt, wie wir vieles schon lange gesagt haben. Der „Kurier“ – und das ist kein der FPÖ zugeneigtes Blatt – hat vor gar nicht allzu langer Zeit gesagt: Das, was der Herr Außenminister und jetzige Spitzenkandidat der Bewegung Kurz – es ist ja nicht mehr die ÖVP, sondern die Bewegung Kurz (Bundesrat Gödl: „Die neue Volkspartei“ heißt es richtig!) – gesagt hat, das hat Haider schon 1992 gesagt, und Heinz-Christian Strache sagt es zumindest schon seit 2005, als – in dem Fall – Parteiobmann. Da gibt es also unter Kurz nicht wirklich etwas Neues, alles schon da gewesen, das haben wir alles schon gesagt.

Wir haben vor den Entwicklungen gewarnt, und Sie haben halt nicht auf uns gehört, denn das hat sich ja oft genug noch ganz anders angehört: „Der Islam gehört zu Eu­ropa“ und „Wir haben zu wenig Willkommenskultur“ und so weiter. – Ihnen sind ja Ihre Aussagen hoffentlich noch bekannt, und daher erspare ich es mir jetzt, sie noch einmal zu wiederholen; aber es zeigt halt, dass es bei dem, was Sie gerade sagen, offensicht­lich darauf ankommt, wo Sie gerade stehen. Ob das für den Wähler verlässlich er­scheint oder ein Punkt sein wird, um zu sagen: Ja, das ist ein Mann meines Vertrau­ens!, wird der Wähler am 15. Oktober zu bewerten haben.

Zu Afrika möchte ich schon einmal grundsätzlich etwas sagen. Ich habe das – nicht hier an dieser Stelle, aber in unserem alten Sitzungssaal – schon gesagt: Wer Afrika helfen will, darf das nicht mit Geld tun, und Sie können es sich abschminken, zu sagen, es müsse immer mehr Entwicklungshilfe geben. – In Afrika wird seit 50 Jahren Ent-


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wicklungshilfe in Milliardenhöhe geleistet, und geändert hat sich nichts. Die Einzigen, die das jetzt einigermaßen erkannt haben, sind die Chinesen. Die machen nämlich das, was man eigentlich machen müsste, nämlich kleine Kooperationen in Afrika, Koopera­tionen der Geschäfte, bei denen die aus Eigenem heraus produktiv werden.

Frau Kollegin Kurz – Namensvetterin – glaubt immer noch: Wenn man dort Geld hin­schüttet, dann wird das was! – Ich weiß nicht, wie lange man sozusagen einem nicht funktionierenden Schulversuch zuschauen muss, bis man endlich begreift, dass man viel­leicht eine andere Lösung suchen muss. (Bundesrätin Kurz: Aber nicht die chinesische!) Es geht ja nicht darum, zu sagen, wir sollen gar nichts tun, aber das, was bis jetzt ge­tan worden ist, ist nachweislich das Falsche. (Beifall bei der FPÖ.)

Dass Millionen von Afrikanern ante portas stehen, ist ja mittlerweile bekannt. Libyen schafft das nicht mehr: Gaddafi ist weg, der hat es sich natürlich gut bezahlen lassen, dass er da alle Afrikaner aufgehalten hat. Der ist jetzt weg. Die Neuen haben nicht das Vertrauen der Clans, denn dort funktioniert das Leben ein wenig anders als bei uns, in einer westlichen Demokratie. Was man auch oft nicht bedenkt, auch nicht in Europa: Wenn man den anderen helfen möchte, dann glaubt man, man muss allen unser Mo­dell drüberstülpen und dann funktioniert das auch. Man will nicht zur Kenntnis nehmen, dass es nicht funktioniert.

Interessanterweise habe ich zum Thema Katalonien von der EU überhaupt nichts ge­hört. Da haben sich ja beide Seiten ... (Bundesrat Schennach: Oh ja! – Bundesrat Gödl: Dann haben Sie nicht aufgepasst!) – Ja, aber so mini, mini, mini! Also die EU ist wirk­lich ... (Bundesrat Schennach: Was möchtest du hören? Was möchtest du hören?) – Lie­ber, lieber Kollege! Na, dass man da vielleicht einmal ein bisschen runterkommt, auf bei­den Seiten, aber vor allem aufseiten der spanischen Regierung, die das jetzt natürlich hochlizitiert hat. Also wenn ich ein Katalane wäre, hätte ich genauso reagiert.

Als Regierung muss man schon auch Augenmaß haben und schauen, wie man da zu einem Kompromiss kommen kann, auch wenn die andere Seite sehr vehement ist. Das sollte uns und vor allem euch, die ihr einer Regierungsfraktion angehört, schon klar sein. Beim Staubsauger und beim Licht, da ist die EU immer sehr, sehr laut, aber dort, wo sie ihre Stimme vielleicht einmal erheben könnte und erheben sollte, nicht.

Also wie gesagt: Von einer Trendwende Europas merke ich überhaupt nichts, ganz im Gegenteil. Ich sehe, es geht fast so weiter wie bisher, und das versetzt mich eher in Angst und Schrecken, als dass es Hoffnung macht. (Beifall bei der FPÖ.)

11.37


Präsident Edgar Mayer: Als Nächste zu Wort gemeldet ist Frau Kollegin Dr. Dzie­dzic. – Bitte.

 


11.37.35

Bundesrätin Mag. Dr. Ewa Dziedzic (Grüne, Wien): Sehr geehrter Herr Minister! Wer­ter Präsident! Werte Kollegen und Kolleginnen! Frau Mühlwerth hat es kurz erwähnt, ich möchte explizit darauf eingehen. Wir haben alle vor ein paar Tagen die schreckli­chen Bilder gesehen: blutende Gesichter, ältere Frauen, die geschubst werden, junge Menschen, Frauen, Männer, die mit Schlagstöcken davon abgehalten werden, wählen zu gehen.

Das alles geschieht in Europa, und das alles geschieht in einem Land, bei dem wir da­von ausgehen müssten, dass das Wahlrecht ein Recht ist, für das schon in der Ver­gangenheit blutige Kriege geführt wurden. Was am Sonntag in Katalonien passiert ist, ist inakzeptabel. Ich glaube, das steht außer Frage. Diese unverhältnismäßige Gewalt ist auch durch nichts zu rechtfertigen, und zwar unabhängig davon, was man von der katalanischen Unabhängigkeit hält, und auch unabhängig davon, ob man dieses Refe­rendum für legal hält oder nicht.


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Die Abgeordneten im Europäischen Parlament diskutierten gestern Nachmittag bereits zu diesem Thema. Die Fraktion der Grünen hatte diese Debatte nach der massiven Ge­walt der Polizei beantragt. Die EU-Kommission wurde daraufhin aufgefordert, sich für den Dialog einzusetzen und sich als Vermittler anzubieten. Die EU-Kommission könnte unserer Meinung nach, weil sie von beiden Konfliktparteien anerkannt ist, eine Art Me­diatorrolle einnehmen, um zu einer gemeinsamen Lösung beizutragen. Klar ist: Die spa­nische Regierung muss aufhören, gewaltsam gegen friedliche Menschen vorzugehen.

Das Recht auf Selbstbestimmung ist im internationalen Recht, wie wir wissen, fest ver­ankert. Die spanische und die katalanische Regierung müssen deshalb zusammen an einer friedlichen und demokratischen Lösung arbeiten, und dafür brauchen sie Unter­stützung aus Europa. Sie brauchen unsere Unterstützung, weil wir auch Europa sind und hier, wie wir heute schon gehört haben, die Europakammer.

Was sich in Katalonien abspielt, ist jedenfalls nicht nur eine spanische Angelegenheit. Es erschüttert – und das haben wir alle gesehen – die Europäische Union in ihren Grund­festen. Die katalanische Krise ist ein politisches Problem, kein spanisches Problem, und sie muss deshalb auch nicht nur in Spanien, sondern europäisch und politisch gelöst werden und sicher nicht mit Polizeigewalt.

Wir brauchen Dialog, Verhandlung und Kompromisse, die für alle tragbar sind, und da­für – damit bin ich bei Ihnen, Herr Bundesminister – müssen Sie sich in Ihrer Rolle ein­setzen. (Beifall bei den Grünen und bei Bundesräten der SPÖ.) Ich und viele andere haben Ihre Reaktion vermisst. Ulrike Lunacek hat in einem dieser unzähligen TV-Duel­le gemeint, Sie werden der Rolle als Europaminister nicht gerecht. Das möchte ich nicht behaupten, aber ich ersuche Sie, dieser Rolle – trotz Wahlkampf – gerecht zu werden.

Wir wissen, dass es eine Pflicht ist, als europäischer Staat Position zu beziehen, wenn solche gewaltsamen Ausschreitungen in anderen europäischen Ländern stattfinden. Wir müssen auf Dialog setzen. Wir müssen die Polizeigewalt dort mit klarer Position ableh­nen, und wir müssen uns dafür einsetzen, dass es in der Kommission eine Art Media­tionsstelle gibt, um diese gemeinsamen Herausforderungen zu bewältigen.

Wir reden heute über Zusammenhalt, über gemeinsame Werte und eben die genann­ten Herausforderungen, und uns ist bewusst, dass wir diese gemeinsam bewältigen kön­nen. Ich glaube, an diesem aktuellen Beispiel können wir unter Beweis stellen, dass wir es können und dass es wichtig ist, zu zeigen, dass wir, Europa, es können. Österreich hat, wie wir wissen, immer eine wichtige Rolle in der außenpolitischen Vermittlung – ich möchte nicht, dass wir das aufs Spiel setzen, auch nicht in Wahlkampfzeiten.

Ich ersuche Sie, dass Sie da Verantwortung übernehmen, als Europaminister, als Au­ßenminister auf den Dialog setzen, auf Vermittlung setzen, klar Position beziehen und sich zu Wort melden. Ich glaube nicht, dass das uns oder Ihnen schadet, gerade im Wahlkampf nicht, sondern im Gegenteil, ich glaube, dass es Österreich aufwertet und dass es diese Europakammer aufwertet. Vielen Dank. (Beifall bei den Grünen und bei Bundesräten der SPÖ.)

11.42


Präsident Edgar Mayer: Danke, Frau Kollegin Dziedzic.

Zu einer ersten Stellungnahme zu Wort gemeldet hat sich Herr Bundesminister für Eu­ropa, Integration und Äußeres Sebastian Kurz. Ich erteile es ihm. Auch seine Redezeit soll 10 Minuten nicht überschreiten. – Bitte, Herr Bundesminister.

 


11.42.38

Bundesminister für Europa, Integration und Äußeres Sebastian Kurz: Sehr geehr­ter Herr Präsident! Sehr geehrte Damen und Herren Bundesräte! Ich freue mich, dass wir heute über die Europäische Union, über die Zukunft der Europäischen Union, aber


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auch über die Herausforderungen diskutieren dürfen, die uns auf europäischer Ebene alle betreffen; es ist auch für uns entscheidend, dass wir diese Herausforderungen ge­meinsam stemmen und erledigen.

Ich komme – wie vorhin schon von dem einen oder anderen von Ihnen erwähnt wur­de – direkt aus London. Ich habe Gespräche mit Außenminister Boris Johnson geführt, aber auch mit seinem Kabinettskollegen, dem Brexit-Hauptverantwortlichen, demjeni­gen, der die Verhandlungen führt, David Davis. Außerdem habe ich gestern auch mit dem Chefverhandler vonseiten der Europäischen Union gesprochen.

Die Situation, die wir derzeit erleben, ist eine relativ angespannte, weil die Brexit-Ver­handlungen gerade in einer entscheidenden Phase sind. Wir haben uns auf europäi­scher Ebene gemeinsam mit Großbritannien vorgenommen, dass wir mit 20. Oktober, mit dem Europäischen Rat, in die sogenannte zweite Phase kommen wollen, dass wir nicht nur darüber sprechen wollen, wie wir den Brexit abwickeln, sondern vor allem auch darüber sprechen wollen, wie das zukünftige Verhältnis zwischen Großbritannien und der Europäischen Union aussehen soll.

Das Problem ist, dass wir, um in diese zweite Phase einsteigen zu können, zunächst einmal einen Fortschritt in der Frage brauchen, wie wir das Verhältnis zwischen Groß­britannien und der Europäischen Union auflösen. Diesen Fortschritt gibt es noch nicht in ausreichendem Ausmaß. Ich hoffe, dass es gelingt, in der nächsten Verhandlungs­runde ab 9. Oktober diesen Fortschritt zu erzielen, denn das ist die Basis, um auch über die gemeinsame Zukunft sprechen zu können.

Ich habe eine sehr klare Vorstellung von dieser gemeinsamen Zukunft. Ich glaube, es ist in unser aller Interesse, dass wir ein gutes Miteinander finden, dass es keine Be­strafungsaktion gegenüber Großbritannien gibt, dass es aber gleichzeitig auch nicht so ist, dass man besser dasteht, wenn man nicht mehr in der Europäischen Union ist, als wenn man noch in der Europäischen Union ist, dass man also die Vorteile genießt, aber die Zahlungen zum Beispiel nicht mehr leisten muss. Das gilt es auszuverhandeln.

Dieses Ergebnis ist deshalb so wichtig, weil ja auch Österreich ein Interesse an einem guten Miteinander hat. Großbritannien ist einer der wichtigsten Wirtschaftsmärkte die­ser Welt – nicht nur in Europa, sondern der gesamten Welt. Großbritannien ist eine der wichtigsten Militärmächte in Europa, und Großbritannien ist auch politisch ein entschei­dender Player. Ich hoffe daher sehr, dass es gelingt, während unseres Ratsvorsitzes im zweiten Halbjahr 2018 diese Verhandlungen abzuschließen und auch ein geordnetes Verhältnis zu schaffen.

Bis zum 20. Oktober muss es gelingen, einerseits Klarheit für die EU-Bürger in Groß­britannien zu schaffen und andererseits auch Klarheit darüber zu schaffen, dass Groß­britannien finanzielle Verpflichtungen, die eingegangen wurden, natürlich weiter erfül­len muss. Es kann nicht sein, dass man finanzielle Verpflichtungen eingeht, die dann mit dem Austritt enden, und zahlen müssen es Nettozahler wie wir in Österreich. Inso­fern bleibt bis zum 20. Oktober noch viel zu tun, aber die Hoffnung, dass es gelingt, den nächsten Schritt zustande zu bringen und in Phase zwei überzugehen, lebt. (Bei­fall bei der ÖVP.)

Parallel dazu sollten wir auf europäischer Ebene versuchen, nicht nur den Brexit ab­zuwickeln, sondern auch alles zu tun, um die Europäische Union so zu verändern und so zu reformieren, dass sie stärker und handlungsfähiger wird. Unser großes Ziel ist eine Fokussierung auf europäischer Ebene, das Prinzip der Subsidiarität, also eine Eu­ropäische Union, die sich mit den großen Fragen stärker beschäftigt, mehr Tiefe sucht und sich in kleinen Fragen ein Stück weit zurücknimmt.

Wenn das gelingt, dann sind wir in den großen Fragen handlungsfähiger – von der Mi­gration über den Außengrenzschutz bis hin zur gemeinsamen Währungspolitik – und


BundesratStenographisches Protokoll872. Sitzung / Seite 51

schaffen es gleichzeitig, dass die Bürokratie nicht immer mehr wird. Das ist insbeson­dere für eine klein- und mittelstrukturierte Wirtschaft, wie wir in Österreich sie haben, ein großes Ziel und Anliegen. Ich hoffe, dass wir in Österreich nicht nur überzeugte Eu­ropäer sind, sondern auch davon überzeugt sind, dass wir auf europäischer Ebene mit­gestalten wollen. Uns und der Europäischen Union wird das guttun. Vielen Dank. (Bei­fall bei der ÖVP.)

11.47


Präsident Edgar Mayer: Vielen Dank, Herr Bundesminister.

Ich mache darauf aufmerksam, dass die Redezeit aller weiteren TeilnehmerInnen an der Aktuellen Stunde nach Beratung in der Präsidialkonferenz 5 Minuten nicht überschrei­ten darf.

Zu Wort gemeldet ist Herr Bundesrat Preineder. – Bitte.

 


11.47.47

Bundesrat Martin Preineder (ÖVP, Niederösterreich): Geschätzter Herr Präsident! Herr Bundesminister! Werte Kolleginnen und Kollegen im Bundesrat! Geschätzte Damen und Herren! Ich darf vorerst einmal zu den Beiträgen der Kollegen Stellung beziehen. Kolle­ge Schennach hat gemeint, Herr Bundesminister Kurz sei zu wenig in Europa und zu wenig im Bundesrat. – Er ist heute im Bundesrat, er war gestern in London; ich denke, das zeugt von einem sehr engagierten Einsatz für die Republik und für sein Amt. (Bei­fall bei der ÖVP. – Zwischenruf des Bundesrates Schennach.)

Lieber Stefan, du hast auch gesagt, wir brauchen eine Sozialunion, Europa muss eine Sozialunion werden. – Wir haben die höchsten Sozialleistungen in Europa weltweit. (Neu­erlicher Zwischenruf des Bundesrates Schennach.) Es ist halt kein gemeinschaftliches Thema, es ist ein subsidiäres Thema, um das es hier geht.

Da Kollegen aller Fraktionen gemeint haben, im Wahlprogramm der ÖVP findet sich die Abschaffung des Bundesrates: Ich habe sie nirgends gefunden, aber vielleicht schaue ich einmal in den Wahlprogrammen Ihrer Parteien nach. (Bundesrat Schennach: ... musst du den Außenminister fragen! Schau mal, er sitzt ja hier! – Bundesrat Stögmüller: Er gibt ja keine Antwort! – Zwischenruf der Bundesrätin Mühlwerth. Weitere Zwischenrufe bei SPÖ und FPÖ.)

Liebe Kollegin Mühlwerth, wenn für dich bis jetzt keine Wende in Europa sichtbar ist ... (Bundesrat Schennach: Was schaust denn in die Richtung, schau in die andere!) Nein, nein, ich rede jetzt mit Frau Kollegin Mühlwerth, denn sie hat gesagt, sie sieht kei­ne spürbare Wende in Europa. Frau Kollegin Mühlwerth! Außenminister Kurz, zwei The­men: Migration und Türkei – das sollte auch für dich sichtbar gewesen sein!

Geschätzte Damen und Herren! Österreich hat sich mit mehr als zwei Drittel der Stim­men sehr klar für einen Beitritt zur Europäischen Union entschieden, und wir sind ein aktiver Teil dieser Europäischen Union. Die Aufgabe, Frieden zu sichern, hat diese Uni­on bisher auch sehr gut erfüllt, aber jetzt hat sich die weltpolitische Lage entsprechend verändert, es hat sich in Europa sehr viel verändert. Die Europäische Union ist größer geworden, also gilt es auch, die Ziele neu zu definieren und entsprechend neue Pers­pektiven für Europa zu entwickeln.

Jean-Claude Juncker hat gemeint: weniger, aber dafür effizienter. Wir brauchen mehr Gemeinsamkeit, und – wir haben es heute auch schon gehört – wir brauchen ein Euro­pa, das die großen Probleme löst und die kleinen den Mitgliedsländern überlässt.

Da das Thema Brexit sehr aktuell ist: Da gilt es, die europäischen Bürger, die in Groß­britannien bleiben, entsprechend zu schützen, es gilt, für eine rasche Abwicklung zu sor­gen, die finanziellen Verpflichtungen Großbritanniens aufrechtzuerhalten und sicherzu­stellen, dass diese auch erfüllt werden.


BundesratStenographisches Protokoll872. Sitzung / Seite 52

Das Thema Sicherheit ist eines, das für ein gemeinsames Europa wahrscheinlich das wichtigste ist, weil sich die Sicherheitslage verändert hat. Aufseiten des neuen Präsi­denten der Vereinigten Staaten ist wahrscheinlich keine Bereitschaft mehr gegeben, für die Sicherheit Europas so stark zu sorgen wie bisher – also müssen wir stärker für die europäische Sicherheit aufkommen. Wir müssen aber auch entsprechend darauf schau­en, dass unsere Grenzen, unsere Außengrenzen geschützt sind, und das ist auch eine zentrale Aufgabe der Europäischen Union. Europa – und das wurde auch schon ge­sagt – muss ein subsidiäres Europa sein, in dem sich Europa um seine Aufgaben küm­mert, aber durchaus Platz für die Aufgaben der Mitgliedstaaten lässt.

Geschätzte Damen und Herren, es gibt viele Perspektiven, die wir entwickeln, unser Au­ßenminister ist intensiv dabei. Alles Gute wünschen wir uns auf dem Weg zu einem ge­meinsamen, friedlichen Europa. (Beifall bei der ÖVP.)

11.51


Präsident Edgar Mayer: Danke, Herr Kollege Preineder.

Als Nächste zu Wort gemeldet ist Frau Bundesrätin Mag. Kurz. – Bitte.

 


11.51.55

Bundesrätin Mag. Susanne Kurz (SPÖ, Salzburg): Herr Bundesminister! Werte Kolle­ginnen und Kollegen! Sehr geehrte Damen und Herren! Herr Bundesminister, darf ich Sie zu Beginn meiner Rede ersuchen, etwas weniger auf Ihrem Handy Problemlösun­gen herauszusuchen. (Beifall bei der SPÖ sowie bei Bundesräten von FPÖ und Grü­nen.)

Meiner Meinung nach ist es schon eine gewisse Missachtung des Parlaments, wenn man einem Redner nicht zuhört. (Zwischenruf des Bundesrates Brunner. – Weitere Zwi­schenrufe bei der ÖVP. – Bundesrätin Winkler: Magnus, glaubst, dass sich euer Minis­ter nicht selbst verteidigen kann?! – Rufe und Gegenrufe zwischen Bundesräten von ÖVP und SPÖ.)

Ich muss aber auch sagen, ich war jetzt von Ihrer Rede ein bisschen enttäuscht, denn zum Thema, das Sie sich ausgesucht haben, nämlich „Trendwende in Europa: Pers­pektiven zur Lösung aktueller Herausforderungen von Brexit bis zur Migrationskrise“, haben Sie außer zum Brexit gar nichts gesagt, schon gar nichts zur Migrationskrise. Das ist ja sonst eigentlich immer Ihr Lieblingsthema, denn wenn man nämlich die Fern­sehdebatten verfolgt – die in Wahlzeiten ja sehr häufig sind –, dann haben Sie zumeist auf jede Frage, ganz egal, ob es um Gesundheit, um Bildung, um Verwaltung oder um Soziales gegangen ist, die Zuwanderung und die Flüchtlinge ins Feld geführt. Sie ha­ben das Thema Migration auch immer wieder dazu benützt, um von den tatsächlichen Baustellen in Europa abzulenken.

Wenn es ums große Geld geht, dann gibt es viele Themen, und über eines ist heute schon gesprochen worden: Wir könnten nämlich auch darüber reden, dass den EU-Län­dern jährlich 1 000 Milliarden € – 1 000 Milliarden €! – durch Steuertricks entgehen. Wie das gemacht wird, hat mein Kollege Stefan Schennach ohnehin schon ausgeführt. Man muss sich das vorstellen: Das entspricht dem Dreifachen des Budgetdefizits aller 28 Mit­gliedstaaten zusammen! Auf Österreich heruntergerechnet kommen wir zu einem Ein­nahmenentfall von 1,6 Milliarden € – also da besteht dringender Handlungsbedarf!

Wir könnten aber auch darüber diskutieren, dass das reichste Prozent der Österreicher 534 Milliarden € besitzt – 534 Milliarden €! Das ist so viel wie alle Staatsausgaben zu­sammen; für die öffentliche Verwaltung, für das Gesundheitswesen, für sämtliche Bil­dungseinrichtungen, für die Polizei, für die Feuerwehr, für die Rettung, für die Pensio­nen, für den Straßenbau und vieles andere, und zwar nicht für ein Jahr, sondern für drei Jahre. Sollten wir vielleicht doch über die Vermögens- und Erbschaftssteuer reden, wie sie von der SPÖ vorgeschlagen wurde? (Zwischenruf der Bundesrätin Ledl-Rossmann.)


BundesratStenographisches Protokoll872. Sitzung / Seite 53

Sie wollen die Staatsausgaben massiv kürzen, das hören wir auch in jeder Ihrer Re­den. Wie das gegenfinanziert werden soll, hören wir weniger oft. Es wird allerdings quasi mantraartig gefordert, dass bei der Mindestsicherung der Sparstift anzusetzen ist; darin sind Sie sich auch mit der FPÖ einig.

Schauen wir uns doch einmal an, was das bringen würde: Die Kosten für die Mindest­sicherung in Österreich machen ein 76stel des Budgets aus, also 1,3 Prozent. Konkret beliefen sich die Ausgaben für das Jahr 2016 auf etwas mehr als 1 Milliarde €; mit die­ser Milliarde werden 325 000 Erwachsene und Kinder davor bewahrt, in die Armut ab­zurutschen.

Ich darf nur darauf hinweisen – ein kleiner Nebenaspekt –, dass es im Übrigen genau­so viel Geld ist, wie Herr Sobotka als Finanzreferent in Niederösterreich verzockt hat. (He-Ruf bei der ÖVP. – Zwischenruf des Bundesrates Pum.) Er hat mit Wohnbaugel­dern spekuliert, die erhoffte Rendite hat sich nicht eingestellt, der Rechnungshof bezif­fert den Schaden auf etwa 1 Milliarde €, aber darüber diskutieren wir natürlich nicht. (Bei­fall bei der SPÖ und bei Bundesräten der Grünen.)

Stattdessen wird über vermeintlich Faule geredet, und es werden Flüchtlinge attackiert. Die Flüchtlinge machen im Übrigen nicht einmal ein Drittel der Mindestsicherungsbe­zieherInnen aus. Sie warnen auch immer wieder vor der Migration ins Sozialsystem. Der Zuzug nach Österreich gefährde den Sozialstaat, da Migrantinnen und Migranten nichts einzahlen und sofort Sozialleistungen erhalten. Tatsächlich ist das ein Märchen, denn im Jahr 2016 zahlten Menschen ohne österreichische Staatsbürgerschaft 5,3 Mil­liarden € über Beiträge in das Sozialsystem ein – über Steuern auf Einkommen, Ge­winne und Konsum –, doch an diese Gruppe ausbezahlt wurden lediglich 3,7 Milliar­den €. Immigrantinnen und Immigranten sind also Nettozahlerinnen und -zahler und fi­nanzieren unseren Wohlstand mit. (Bundesrat Gödl: Na, bitte!) Das lässt sich alles nach­lesen, wenn man will. (Beifall bei der SPÖ. – Zwischenruf der Bundesrätin Mühlwerth.)

Ein paar Worte noch zu Ihren Ressorts: Entwicklungszusammenarbeit. Sie rühmen sich ja damit, dass unter Ihrer Führung die Mittel für die Entwicklungszusammenarbeit ge­stiegen sind. Sie sind tatsächlich leicht erhöht worden, das war auch dringend notwen­dig, und es war auch immer eine Forderung der SPÖ, der jahrelang nicht nachgekom­men wurde. Allerdings werden die Ausgaben zur Versorgung von Asylwerbern im In­land als Entwicklungshilfegelder angerechnet. Diese Gelder decken demnach zu einem großen Teil die Flüchtlingskosten im Inland ab und fließen nicht in Projekte ins Aus­land. Für jeden aus einem Entwicklungsland kommenden Studierenden wird ausgerech­net, was er einer Uni im Schnitt kostet, und auch diese Beiträge werden als Entwick­lungshilfe angerechnet. (Präsident Mayer gibt das Glockenzeichen.)

Hinzu kommen Entschuldungen, die oft künstlich aufgeblasen sind, damit sie größer wir­ken. Auf solche Posten entfallen drei Viertel von Österreichs Entwicklungsleistungen ab­seits der Beiträge an internationale Organisationen, also nicht auf Hilfe vor Ort – und von dem angestrebten 0,7-Prozent-Ziel sind wir trotzdem noch weit entfernt.

 


Präsident Edgar Mayer: Bitte kommen Sie zum Schlusssatz!

 


Bundesrätin Mag. Susanne Kurz (fortsetzend): Herr Bundesminister, es gibt noch ei­nige Themen, die ich gerne mit Ihnen besprochen hätte, zum Beispiel Afrika und wofür Sie sich da einsetzen, auch andere Themen, die ebenfalls wichtig sind. Leider muss ich jetzt meine Rede beenden (Zwischenruf des Bundesrates Brunner), erwarte mir von Ihnen aber Maßnahmen, wenn es um Asyl und Migration geht, die den Menschen wirk­lich helfen, damit sie eben nicht zur Migration gezwungen sind. Ich erwarte mir keine Maß­nahmen wie die Neugestaltung des Asylsystems, das in keinster Weise dem Asylsys­tem der Genfer Konvention entspricht. – Danke. (Beifall bei der SPÖ.)

11.58



BundesratStenographisches Protokoll872. Sitzung / Seite 54

Präsident Edgar Mayer: Als Nächster zu Wort gemeldet ist Herr Bundesrat Jene­wein. – Bitte.

 


11.58.14

Bundesrat Hans-Jörg Jenewein, MA (FPÖ, Wien)|: Sehr geehrter Herr Bundesminis­ter! Sehr geehrter Herr Präsident! Meine sehr geehrte Damen und Herren! Man merkt, jetzt ist der Wahlkampf angekommen. In der Früh hat es noch ganz kurz danach aus­gesehen, als wäre das nicht der Fall, jetzt sind wir so weit. Mir soll es recht sein, ich bin mir nur nicht ganz sicher, ob ich bei diesem Wettkampf mitmachen werde oder nicht. (Heiterkeit bei der FPÖ sowie bei Bundesräten von ÖVP und SPÖ.) Ich möchte aber doch festhalten, dass meine Vorrednerin, deren intellektuelle Schärfe ich bei ihren Bei­trägen normalerweise durchaus schätze, heute nicht unbedingt zum Thema gesprochen hat. (Beifall bei der FPÖ und bei Bundesräten der ÖVP.)

Ich möchte ihr aber in einem Punkt durchaus recht geben: Es ist auffällig, dass der Herr Bundesminister permanent das Handy in der Hand hat, herumtelefoniert, während hier Fraktionskollegen sprechen. Ich weiß, er ist ein ganz wichtiger Mann, er fährt quer durch die Welt. Die Fotos werden regelmäßig auf Instagram gepostet, das ist ja das Wich­tigste dabei; man sieht dann von Henry Kissinger bis zu Herrn Johnson ganz viele Fo­tos auf Instagram. Das ist ganz toll, während wir hier debattieren und er eigentlich zu­hören sollte, twittert er zu Katalonien. Das ist auch nicht uninteressant, denn in seiner Rede ist er auf den Redebeitrag von Frau Kollegin Dziedzic nicht eingegangen. Darum: Vielleicht ein bisschen weniger twittern, ein bisschen mehr an der parlamentarischen Debatte teilnehmen, das würde dem Niveau des Hauses auch nicht schaden! (Beifall bei der FPÖ und bei Bundesräten der SPÖ.)

Ich möchte aber trotzdem zum eigentlichen Thema sprechen, auch wenn ich nur mehr dreieinhalb Minuten habe. Wenn hier von einer Trendwende in Europa gesprochen wird – und jetzt werde ich den Applaus der SPÖ-Fraktion blitzartig verlieren, das macht aber nichts (Heiterkeit bei der FPÖ sowie bei Bundesräten von ÖVP und SPÖ) –, dann frage ich mich, wo sich denn diese Trendwende tatsächlich manifestiert. Wo manifes­tiert sie sich? Hat sie sich im Juncker-Plan manifestiert, als er gesagt hat: So, alle euro­päischen Staaten müssen den Euro nehmen, alle europäischen Staaten müssen Schen­gen beitreten!? – Das ist seine Vision. Herr Macron hat es auch recht deutlich formu­liert.

Wenn ich mir auf der anderen Seite anschaue – und man sollte das Kurzzeitgedächtnis ein bisschen aktivieren –, was diese Europäische Union in den vergangenen Jahren al­les gemacht hat, stelle ich mir ernsthaft die Frage, ob Sie das eigentlich noch ernst mei­nen, wenn Sie hier von Paradigmenwechsel oder von Trendwende sprechen.

Erinnern wir uns an Griechenland! Was ist denn da passiert? – Monatelang wurde eu­ropäisches Recht gebrochen. Obwohl in der Europäischen Union der Bail-out in der Eu­rozone dezidiert verboten war, dezidiert ausgeschlossen war, hat man sich einfach da­rüber hinweggesetzt und hat gesagt: Das ist wurscht, wir machen jetzt eine Schulden­union, die Europäer müssen aus Gründen der Solidarität haften! – Ja, ja, das ist recht schön und gut. Solidarität wird immer dann ins Treffen geführt, wenn es besonders op­portun erscheint. Nur: Was ist im Endeffekt passiert? – Im Endeffekt ist in dieser Frage nichts anderes passiert als ein permanenter Rechtsbruch.

Nächster Punkt: Migrationskrise. – Diese Krise ist keineswegs – keineswegs! – ausge­standen, ganz im Gegenteil. Wenn man den wirklichen Experten auf diesem Gebiet ver­trauen kann – und ich kann nur jedem empfehlen, hie und da einmal die Landesvertei­digungsakademie zu besuchen, denn dort bietet man relativ interessante Geschichten dazu an, im Rahmen derer man sich auch informieren kann –, dann weiß man, wie vie­le Millionen Menschen ante portas stehen. Die drängen alle in die Europäische Union.


BundesratStenographisches Protokoll872. Sitzung / Seite 55

Die einzige Reaktion ist, dass man sagt: Na ja, wir wollen ja jetzt da an den Außen­grenzen aktiv werden, die Leute werden dann dort aufgefangen!, und: Wir brauchen et­was auf europäischer Ebene!

Die Europäische Union schafft es seit dem Jahr 2015 überhaupt nicht mehr, in dieser wichtigen Frage mit einer Zunge zu sprechen – und in Wahrheit hat sie es auch vorher nicht geschafft. Erinnern wir uns daran, dass der deutsche Innenminister Schily – übri­gens kein Mitglied der FPÖ – schon im Jahr 2004 Auffanglager an den EU-Außengren­zen gefordert hat – das war im Jahr 2004! –, aber seit damals ist nichts passiert. (Zwi­schenruf der Bundesrätin Mühlwerth.) Es ist nichts passiert! Es wurde geredet und ge­redet, aber passiert ist nichts, im Gegenteil, und heute haben wir den Salat.

Im Jahr 2010 hat der Schweizer Armeechef Blattmann in einem Interview mit einer Schweizer Zeitung gesagt: In Zukunft wird die Schweizer Armee wichtig sein, denn wenn Migrationsströme durch Europa ziehen, dann braucht man den Schutz der Ar­mee. – Das war im Jahr 2010! Nur bei uns hat niemand etwas gewusst – ja klar, weil die Leute offenbar damit beschäftigt sind, im eigenen Ministerium nicht für das Land zu arbeiten, sondern irgendwelche Umsturzpläne für die eigene Partei ausarbeiten zu las­sen. So kann man auch nicht arbeiten, meine sehr geehrten Damen und Herren! (Bei­fall bei der FPÖ sowie des Bundesrates Beer.)

Zum Abschluss ein Letztes: Ich habe eingangs den Herrn Bundesminister erwähnt, der auf Twitter seine Besorgnis über die Zustände in Spanien geäußert hat. – Ja, diese Be­sorgnis ist recht nett. Vielleicht sollte er einmal mit seinem Parteifreund, Herrn Minister­präsident Rajoy sprechen, denn der war derjenige, der dafür verantwortlich ist, dass 900 Menschen verletzt wurden, dass diese aus Wahllokalen hinausgeprügelt wurden, dass sie dort auf dem Boden gelegen sind. Und zu sagen, das Ganze müsse auf Basis der spanischen Verfassung passieren, wo wir doch alle wissen, dass die Unabhängig­keit in der spanischen Verfassung nicht vorgesehen ist, ist etwas, wo man sagen muss: Vielleicht sollte der Herr Außenminister dann auch einmal mit seiner Parteifreundin, der deutschen Kanzlerin Merkel, sprechen, ob in der seinerzeitigen DDR-Verfassung vor­gesehen war, dass sich die DDR auflöst und der Bundesrepublik Deutschland an­schließt.

Meine sehr geehrten Damen und Herren, ich weiß schon, der Wahlkampf liegt in der Luft! Gott sei Dank sind es jetzt nur mehr ein paar Tage, bis die Wahlen da sind. (Prä­sident Mayer gibt das Glockenzeichen.)

Der Herr Präsident bimmelt, deswegen komme ich zu meinem Schlusssatz: Ich kann nur hoffen, dass nach den Wahlen vielleicht wieder ein bisschen Vernunft einkehrt, und ich möchte mit dem Zitat eines Politikers schließen, den ich normalerweise nie zitieren würde, aber in diesem Fall hat er wirklich recht gehabt. (Zwischenruf des Bundesrates Schennach.) Ein gewichtiger österreichischer Politiker aus der Bundeshauptstadt hat einmal gesagt: „Wahlkampf ist Zeit fokussierter Unintelligenz.“ – Das erleben wir leider wirklich stündlich. – Danke schön. (Beifall bei der FPÖ. – Bundesrat Schennach: Schön, dass du von Michael Häupl gelernt hast!)

12.04


Präsident Edgar Mayer: Als Nächste zu Wort gemeldet ist Frau Bundesrätin Schrey­er. – Bitte, Frau Kollegin.

 


12.04.30

Bundesrätin Mag. Nicole Schreyer (Grüne, Tirol): Hohes Haus! Sehr geehrter Herr Mi­nister! Sehr geehrte ZuseherInnen! Ja, als neunte Rednerin weiß ich gar nicht, wo ich anfangen sollte, zu replizieren, deswegen fange ich damit erst gar nicht an – außer mit einer ganz kurzen Stellungnahme zum Thema Katalonien: Es ist wirklich unglaublich, dass (in Richtung Bundesminister Kurz) Sie das komplett übergehen, dass Sie nicht


BundesratStenographisches Protokoll872. Sitzung / Seite 56

Stellung dazu beziehen, dass Sie die Gewalt dort nicht verurteilen. Also ich würde wirk­lich darum bitten, dass Sie das in Ihrem nächsten (Bundesminister Kurz: Habe ich ge­macht!) – nein, haben Sie nicht – Redebeitrag ganz kurz erwähnen.

Jetzt komme ich aber ohnehin gleich wieder zurück zu dem Thema, das ich gerne an­sprechen möchte, nämlich zu den grünen Lösungen zum Thema Migration und im Flücht­lingsbereich. Zuallererst muss man einfach einmal bei den Fluchtursachen anfangen und diese bekämpfen, und zwar mit deutlich mehr Anstrengung, als es momentan der Fall ist. Wir müssen Friedensprozesse unterstützen. Es braucht echtes Engagement von Ös­terreich und von der EU als Brückenbauer und keine Alibiaktionen. Es müssen Krisen präventiv verhindert und Menschen-, Frauen- und Kinderrechte vor Ort verteidigt wer­den. In diese Richtung müssen unsere Anstrengungen gehen. Wir machen schon et­was, aber die Anstrengungen müssen einfach noch viel stärker dorthin verlagert werden.

Wir brauchen – das ist heute auch schon ein paarmal gefordert worden – einen Waf­fenexportstopp in Kriegs- und Krisenregionen. Es ist doch wohl bitte einleuchtend, dass man, wenn man Waffen in Kriegsgebiete bringt, Kriegsflüchtlinge zurückbekommt.

Wir müssen uns extrem dafür einsetzen, dass den Menschen – und da rede ich natür­lich vor allem von Afrika – nicht ihre Lebens- und Wirtschaftsgrundlage vor Ort entzo­gen wird. Es dürfen einfach keine EU-exportsubventionierten Lebensmittel lokale Struk­turen vor Ort in Afrika zerstören. (Bundesrätin Kurz: Genau!)

Land Grabbing muss entschieden ein Riegel vorgeschoben werden. Wir müssen uns dafür einsetzen, dass da nicht ein ganzer Kontinent verschleudert wird!

Zur humanitären Hilfe: Wir sind, wie wir ja mittlerweile alle wissen, bei der humanitären Hilfe nicht im europäischen Spitzenfeld, sondern gerade einmal irgendwo in der Mitte bei den Zahlungen für die Entwicklungshilfe. Da braucht es dringend eine Verdoppe­lung des Beitrags Österreichs, damit wir dann auch wirklich im Spitzenfeld mitspielen.

Ein fairer Beitrag für die Entwicklungszusammenarbeit: Über einen Stufenplan sollen für die Entwicklungszusammenarbeit und humanitäre Hilfe 0,7 Prozent des Bruttona­tionaleinkommens budgetiert werden. – Vorhin ist von der Kollegin das System Ent­wicklungshilfe kritisiert worden. – Ja, dabei ist vieles verbesserbar. Es versickert viel in undurchsichtigen Kanälen, und das ein bisschen anders anzugehen und zu reorgani­sieren, ist sicher eine wichtige Aufgabe, der wir uns stellen müssen, aber Geld braucht es halt trotzdem dafür, egal, wie es dann verwendet und umgesetzt wird. – Soweit zur Ursachenbekämpfung.

Es braucht ein neues, faires und nachhaltiges EU-Asylsystem statt einer Festung Eu­ropa. Es braucht einen sicheren und legalen Zugang über die Wiedereinführung – das hat es ja schon einmal gegeben, das ist ja keine Erfindung von uns – von Botschafts­asyl an österreichischen Botschaften wie in jenen der anderen EU-Staaten und den De­legationen der Europäischen Union. Das sollte einmal ermöglicht werden. – Zentren in Nordafrika, wie Sie sie vorschlagen, Herr Minister Kurz, würden bedeuten, dass die Leu­te wieder zuerst durch die Sahara – durch das Massengrab Sahara – durchmüssen, an­statt dass sie das von ihrem Ort aus machen können und schauen können, wie gut ihre Chancen sind.

Schließlich sollen Asylsuchende, wenn sie dann in die EU gelangt sind, zuerst in ge­meinsamen Erstaufnahmezentren in der EU aufgenommen und dann zügig auf alle 28 Mitgliedstaaten verteilt werden. Da muss Österreich einfach auch mehr Druck auf­bauen, dass die EU die Länder, die da unsolidarisch sind, richtig in die Pflicht nimmt, denn eines ist klar: Man kann sich nicht die Rosinen herauspicken, Vorteile genießen und die Pflichten nicht wahrnehmen.

Ich möchte gerne mit einem Vergleich schließen, wie wir uns das vorstellen würden: Die Schließung von irgendwelchen Routen ohne Ersatz, ohne Begleitmaßnahmen, das


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ist, als ob die Milch überkocht und man den Deckel auf den Topf drückt. Es wird nicht besser, aber der Druck steigt weiter an, und irgendwo kommt die Milch dann heraus. Da ist es viel nachhaltiger und gescheiter, wenn ich die Herdplatte unten ausschalte, al­so wenn ich die Ursachen bekämpfe. – Danke schön. (Beifall bei den Grünen und bei Bundesräten der SPÖ.)

12.08


Präsident Edgar Mayer: Als Nächster ist Bundesrat Mag. Zelina zu Wort gemeldet. – Bitte, Herr Kollege.

 


12.09.02

Bundesrat Mag. Gerald Zelina (STRONACH, Niederösterreich): Sehr geehrter Herr Außenminister! Von meiner Seite gibt es ein klares Bekenntnis zur Europäischen Uni­on; keine Frage, die Europäische Union ist wichtig. Die EU ist ein wesentliches Frie­densprojekt, sie ist auch ein wesentliches Wirtschaftsprojekt. Der freie Güterverkehr und der freie Kapitalverkehr fördern unseren Außenhandel – man braucht sich nur unsere Außenhandelszahlen anzuschauen –, und diese steigenden Umsätze sind die Basis un­serer Arbeitsplätze.

Auch im privaten Bereich ist die EU wichtig: Ich möchte die Personenfreizügigkeit – ganz wesentlich! – nicht missen. Die Reisefreiheit innerhalb von Europa, die Möglichkeit, über­all in Europa arbeiten und wohnen zu können, die Möglichkeit, wo auch immer in Euro­pa studieren zu können, das sind tolle Errungenschaften. Dennoch gibt es einige Kritik an Europa: Europa ist sehr zentral aufgestellt, die Europäische Kommission hat ein Ge­waltenteilungsproblem und sie hat auch ein Demokratiedefizitproblem.

Ein Problem mit der Gewaltenteilung gibt es deswegen, weil bei der Europäischen Kom­mission sehr viel Macht konzentriert ist. Die Europäische Kommission bereitet alle Ge­setze vor, die kommen dann per EU-Richtlinien, die wir innerstaatlich umsetzen müs­sen, per Regulierungen und Verordnungen zu uns in die nationalen Parlamente.

Die EU-Kommission ist aber mit ihren Kommissaren gleichzeitig auch Regierung, also Exekutive, und die EU-Kommission spielt quasi auch Richter, indem sie dann Staaten wie Ungarn und Polen verurteilt. Es ist dort also eine geballte Macht konzentriert. (Bun­desrat Schennach: Na, sie können einfach Verfahren einleiten!)

Das gilt detto für das Demokratiedefizit: Die Europäische Kommission trifft sehr viele Entscheidungen, die die Bürger im großen Ausmaß treffen; die Bürger können bezie­hungsweise dürfen bei diesen Entscheidungen jedoch nicht mitsprechen. Beispiel Ban­kenrettungen: Wurden Sie gefragt, ob Sie mit Ihren Steuergeldern die europäischen Banken retten wollen? (Zwischenruf des Bundesrates Schennach.) – Gleiches gilt für den Europäischen Stabilitätsmechanismus: Wir übernehmen gewaltige Haftungen – 20 Mil­liarden € allein für Österreich –, aber niemand aus der Bevölkerung wird gefragt, ob wir diese Haftungen übernehmen wollen. Gleiches gilt genauso für die Anleihenkäufe der Eu­ropäischen Zentralbank: Auch das sind Gemeinschaftshaftungen, die wir übernehmen, aber es wird nicht informiert, das Volk wird nicht gefragt, es wird einfach über die Leute drüberregiert. (Bundesrat Schennach: So ist das mit der gemeinsamen Währung!)

Innerstaatlich haben wir in Österreich darüber hinaus zum Beispiel Griechenlandanlei­hen im Ausmaß von 7 Milliarden € gekauft. Da wird niemand vom Volk gefragt. – Ich bin nicht dafür, dass wir Schulden von anderen Staaten übernehmen.

Auch beim Flüchtlingsthema ist es dasselbe: Die Europäische Kommission macht Quo­tenvorgaben, wie viele Flüchtlinge wir hier in Österreich aufnehmen sollen. (Zwischen­ruf des Bundesrates Schennach.) Es kann nicht sein, dass die Europäische Kommis­sion entscheidet, wie viele Flüchtlinge wir in Österreich aufnehmen. Das muss Kompe­tenz der Nationalstaaten sein, nicht europäische Kompetenz!


BundesratStenographisches Protokoll872. Sitzung / Seite 58

Bei TTIP, CETA und anderen Handelsabkommen ist es dasselbe: Da wird sogar disku­tiert, ob man all diese Handelsabkommen überhaupt nur mehr auf europäischer Ebene macht und gar nicht mehr in die nationalen Parlamente zur Abstimmung bringt. Auch da gibt es ein Demokratiedefizit.

Gott sei Dank gibt es jetzt auch eine Partei, die hier in Österreich die direkte Demo­kratie und die Mitsprache der Bürger fördert, das sind die Weißen, und diese Partei un­terstütze ich.

Noch eine Anmerkung zum Thema EU-Armee: Auch diese sehe ich sehr kritisch, denn auch bei einer europäischen Armee muss man immer überlegen, unter welchem Ober­kommando sie steht. Wenn eine EU-Armee wiederum der Europäischen Kommission un­tersteht, ist das eine weitere Machtkonzentration. – Das sind meine Kritikpunkte an der Europäischen Union.

Ja zur Europäischen Union, ich befürworte sie, aber sie muss demokratischer gebaut werden. – Vielen Dank.

12.13


Präsident Edgar Mayer: Danke, Kollege Zelina.

Weitere Wortmeldungen liegen dazu nicht vor. Die Aktuelle Stunde ist beendet.

12.13.23Trauerkundgebung anlässlich des Ablebens des ehemaligen Mitgliedes des Bundesrates Albrecht Konecny

 


Präsident Edgar Mayer: Bevor wir in die Tagesordnung eingehen, darf ich, liebe Kol­leginnen und Kollegen, noch um eure Aufmerksamkeit bitten.

Noch immer stehen wir tief betroffen unter dem Eindruck der Nachricht über das Able­ben von Professor Albrecht Karl Konecny. Mit dem langjährigen Vorsitzenden der Bun­desratsfraktion der Sozialdemokratischen Partei Österreichs Professor Albrecht Koneny ist ein beeindruckender und verdienstvoller Politiker von uns gegangen, der die eu­ropäische Entwicklung unserer zweiten Kammer in ganz entscheidender Weise mitge­prägt hat. Wir alle, und auch insbesondere ich, werden ihm gerne ein ehrendes Anden­ken bewahren und auch mit großem Respekt an ihn denken.

Mit seinem großartigen Engagement hat Professor Albrecht Konecny Zeit seines Le­bens in tiefster Überzeugung für die demokratischen Werte gekämpft. Die Republik Ös­terreich und der österreichische Bundesrat verlieren mit Herrn Professor Albrecht Ko­necny einen über alle Parteigrenzen hinweg äußerst geachteten Homo politicus.

Liebe Kolleginnen und Kollegen, auch wir – der Bundesrat und dessen Präsidium – ha­ben unser Mitgefühl und unsere Anteilnahme gegenüber seiner Familie zum Ausdruck gebracht. Der österreichische Bundesrat dankt. Der österreichische Bundesrat gedenkt seiner. Ich darf euch ersuchen, euch zum Gedenken an den ehemaligen Fraktionsvor­sitzenden Albrecht Konecny von den Sitzen zu erheben. (Die Anwesenden erheben sich von ihren Sitzplätzen und verharren einige Zeit in stummer Trauer.)

Ich danke für das Zeichen eurer Trauer. (Die Anwesenden nehmen ihre Sitzplätze wie­der ein.)

*****

Ab hier wird Frau Kollegin Vizepräsidentin Winkler den Vorsitz übernehmen.


BundesratStenographisches Protokoll872. Sitzung / Seite 59

12.15.15Einlauf und Zuweisungen

 


Vizepräsidentin Ingrid Winkler (den Vorsitz übernehmend): Hinsichtlich der einge­langten, vervielfältigten und verteilten Anfragebeantwortungen,

jenes Verhandlungsgegenstandes, der gemäß Art. 42 Abs. 5 Bundes-Verfassungsge­setz nicht dem Mitwirkungsrecht des Bundesrates unterliegt,

der Bestätigung des Salzburger Landtages über das Einlangen der Verzichtserklärung eines Mitglieds des Bundesrates,

eines Schreibens des Ministerratsdienstes des Bundeskanzleramtes betreffend den Auf­enthalt eines Mitglieds der Bundesregierung in einem anderen Mitgliedstaat der Euro­päischen Union,

der Schreiben des Bundeskanzlers gemäß Artikel 23c Abs. 5 B-VG betreffend die No­minierung eines Mitglieds und eines stellvertretenden Mitglieds des Ausschusses der Re­gionen,

der Unterrichtung des Generalsekretärs des Bundesministeriums für Europa, Integra­tion und Äußeres und des Bundesministers für Finanzen gemäß Artikel 50 Abs. 5 B-VG sowie

eines Schreibens des Präsidenten des Verfassungsgerichtshofes betreffend die Mittei­lung über das Freiwerden einer Stelle eines Mitglieds des Verfassungsgerichtshofes we­gen Erreichung der Altersgrenze und Erstattung eines Vorschlages für die Neubeset­zung dieser Stelle gemäß Artikel 147 Abs. 2 B-VG durch den Bundesrat

verweise ich gemäß § 41 Abs. 1 der Geschäftsordnung auf die im Sitzungssaal verteil­ten Mitteilungen, die dem Stenographischen Protokoll dieser Sitzung angeschlossen wer­den.

Ebenso verweise ich hinsichtlich der eingelangten Verhandlungsgegenstände und de­ren Zuweisungen im Sinne des § 19 Abs. 1 der Geschäftsordnung auf die gemäß § 41 Abs. 1 der Geschäftsordnung im Sitzungssaal verteilten Mitteilungen, die ebenfalls dem Stenographischen Protokoll dieser Sitzung angeschlossen werden.

Die schriftliche Mitteilung hat folgenden Wortlaut:

A. Eingelangt sind:

1. Anfragebeantwortungen:

2998/AB-BR bis 3012/AB-BR (siehe S. 6)

2. Eingelangter Verhandlungsgegenstand, der gemäß Art. 42 Abs. 5 B-VG nicht dem Mitwirkungsrecht des Bundesrates unterliegt:

Beschluss des Nationalrates vom 20. September 2017 betreffend ein Bundesgesetz über die Genehmigung des Bundesrechnungsabschlusses für das Jahr 2016 (III-401/NR und Zu III-401/NR sowie 1768/NR der Beilagen)

3. Schreiben der Landtage:

Bestätigung des Salzburger Landtags über das Einlangen der Verzichtserklärung von BR Josef Saller mit Ablauf des 30. September 2017 (Anlage 1)

4. Aufenthalte von Mitgliedern der Bundesregierung in einem anderen Mitglieds­staat der Europäischen Union:

Schreiben des Ministerratsdienstes des Bundeskanzleramts betreffend den Aufenthalt des Bundesministers für Europa, Integration und Äußeres Sebastian Kurz am 4. und
5. Oktober 2017 in London, wobei er seine Angelegenheiten im Bundesrat am 5. Ok-


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tober bis zu seinem Eintreffen (vorgesehene Landung um 9.20 Uhr) gemäß Art. 73 Abs. 3 B-VG durch Bundesminister Dr. Harald Mahrer wahrnehmen lässt (Anlage 6)

5. Unterrichtung gemäß Art. 50 Abs. 5 B-VG:

Schreiben des Generalsekretärs des Bundesministeriums für Europa, Integration und Äußeres betreffend Aufnahme von Verhandlungen über ein Abkommen zwischen der Republik Österreich und der Organisation der Vereinten Nationen für Erziehung, Wis­senschaft und Kultur (UNESCO) über die Einrichtung des Internationalen Zentrums für die Förderung von Menschenrechten auf lokaler und regionaler Ebene unter der Schirm­herrschaft der UNECSO (Kategorie 2) in Graz (Österreich) (Anlage 2)

Schreiben des Bundesministers für Finanzen betreffend Aufnahme von Verhandlungen über ein Revisionsprotokoll zum Abkommen zwischen der Republik Österreich und Ir­land zur Vermeidung der Doppelbesteuerung auf dem Gebiete der Steuern vom Ein­kommen (Anlage 3)

6. Unterrichtung gemäß Abs. 23c Abs. 5 B-VG:

Schreiben des Bundeskanzlers betreffend

die Nominierung von Herrn Abgeordnetem zum Nationalrat Hannes Weninger zum Mit­glied des Ausschusses der Regionen (Anlage 4) sowie

die Nominierung von Bürgermeister Dipl.-Ing. Markus Linhart zum stellvertretenden Mit­glied des Ausschusses der Regionen (Anlage 5).

7. Erstattung eines Vorschlages für die Ernennung eines Mitgliedes des Verfas­sungsgerichtshofes gemäß § 147 Abs. 2 B-VG:

Schreiben des Präsidenten des Verfassungsgerichtshofes betreffend die Mitteilung, dass die Stelle des Mitgliedes des Verfassungsgerichtshofes Rechtsanwalt Mag. Dr. Eleo­nore Berchtold-Ostermann wegen Erreichens der Altersgrenze mit Wirkung 1. Jänner 2017 frei wird und zur Erstattung eines Vorschlages für die Neubesetzung dieser Stelle gemäß Art. 147 Abs. 2 B-VG der Bundesrat berufen ist (Anlage 7)

B. Zuweisungen

1. Gesetzesbeschlüsse (Beschlüsse) des Nationalrates sowie EU-Vorhaben ge­mäß Art. 23e B-VG:

(siehe Tagesordnung)

2. Selbständige Anträge:

Gesetzesantrag 238/A-BR/2017 der Bundesräte David Stögmüller, Kolleginnen und Kol­legen betreffend ein Bundesgesetz, mit dem das Bundesgesetz über Ausbildung, Tä­tigkeit und Beruf der Sanitäter (Sanitätergesetz – SanG), BGBl. I Nr. 30/2002, zuletzt ge­ändert mit BGBl. I Nr. 8/2016, geändert wird

zugewiesen dem Gesundheitsausschuss

3. Vorlagen der Bundesregierung oder ihrer Mitglieder sowie Berichte der Volks­anwaltschaft:

Verkehrstelematikbericht 2017 (III-625-BR/2017)

und

Tätigkeitsbericht der Schienen-Control GmbH 2016 (III-627-BR/2017)

beide zugewiesen dem Ausschuss für Verkehr

Bericht der Bundesregierung betreffend den Abbau von Benachteiligungen von Frauen (Berichtszeitraum 2015-2016) (III-626-BR/2017)

zugewiesen dem Gleichbehandlungsausschuss


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Kunst- und Kulturbericht 2016 (III-628-BR/2017)

zugewiesen dem Ausschuss für Unterricht, Kunst und Kultur

Tätigkeitsberichte des Rates für Forschung- und Technologieentwicklung für die Jah-
re 2015 und 2016 (III-629-BR/2017)

zugewiesen dem Ausschuss für Wissenschaft und Forschung

Dreijahresprogramm der österreichischen Entwicklungspolitik 2016-2018 Aktualisie­rung 2017 (III-630-BR/2017)

zugewiesen dem Ausschuss für auswärtige Angelegenheiten

Tätigkeitsbericht des Verwaltungsgerichtshofes für das Jahr 2016 (III-631-BR/2017)

zugewiesen dem Ausschuss für Verfassung und Föderalismus

Maßnahmen für die Land- und Forstwirtschaft im Jahre 2018 (III-632-BR2017)

und

Grüner Bericht 2017 (III-633-BR/2017)

beide zugewiesen dem Ausschuss für Land-, Forst- und Wasserwirtschaft

4. Petitionen:

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Bestätigung des Salzburger Landtags über das Einlangen der Verzichtserklärung von Bundesrat Josef Saller mit Ablauf des 30. September 2017, damit ist diese gemäß § 3 Abs. 3 GO-BR wirksam; das Ersatzmitglied Dr. Andrea Eder-Gitschthaler rückt am 1.10.
2017 nach (Anlage 1):

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Schreiben des Bundesministers für Finanzen gemäß Art. 50 Abs. 5 B-VG:


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Korrigierte Meldungen für die Dienstreise von HBM Kurz vom 4. bis 5.10.2017 nach Lon­don (zu Anlage 6):

 


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Vizepräsidentin Ingrid Winkler: Eingelangt und den gegenständlichen Ausschüssen zugewiesen wurden jene Beschlüsse des Nationalrates beziehungsweise jene Berich­te, die Gegenstand der heutigen Tagesordnung sind.

Diese Ausschüsse haben ihre Vorberatungen abgeschlossen und schriftliche Ausschuss­berichte erstattet.

Anträge gemäß § 49 Abs. 1 iVm § 16 Abs. 3 GO-BR

 


Vizepräsidentin Ingrid Winkler: Ich gebe bekannt, dass zudem auch die gestern vom Nationalrat verabschiedeten Beschlüsse vom 4. Oktober 2017 betreffend ein Fremden­rechtsänderungsgesetz 2017, 2285/A, und ein Bundesgesetz, mit dem das Tierschutz­gesetz geändert wird, 2286/A, eingelangt sind.

Hinsichtlich des Beschlusses vom 4. Oktober 2017 betreffend ein Fremdenrechtsände­rungsgesetz 2017, 2285/A, wurde von den Bundesräten Martin Preineder, Reinhard Todt, Kolleginnen und Kollegen gemäß § 49 Abs. 1 in Verbindung mit § 16 Abs. 3 der Geschäftsordnung des Bundesrates beantragt, diesen gegenständlichen Beschluss des Nationalrates gemäß § 16 Abs. 3 der Geschäftsordnung des Bundesrates ohne Aus­schussvorberatung in Verhandlung zu nehmen.

Ich lasse daher über den Antrag, diesen gegenständlichen Beschluss des Nationalra­tes gemäß § 16 Abs. 3 der Geschäftsordnung des Bundesrates ohne Vorberatung durch einen Ausschuss unmittelbar in Verhandlung zu nehmen, abstimmen.

Hiezu ist eine Mehrheit von mindestens zwei Dritteln der abgegebenen Stimmen erfor­derlich.

Ich ersuche jene Bundesrätinnen und Bundesräte, die dem vorliegenden Antrag ihre Zu­stimmung geben, um ein Handzeichen. – Das ist die Stimmenmehrheit.

Der Antrag, diesen gegenständlichen Beschluss des Nationalrates vom 4. Oktober 2017 gemäß § 16 Abs. 3 der Geschäftsordnung des Bundesrates ohne Vorberatung durch einen Ausschuss unmittelbar in Verhandlung zu nehmen, ist somit mit der erforderlichen Zweidrittelmehrheit angenommen.

Ich ergänze daher die Tagesordnung um den Beschluss des Nationalrates vom 4. Ok­tober 2017 betreffend ein Fremdenrechtsänderungsgesetz 2017, 2285/A, als neu ge­reihten 7. Tagesordnungspunkt. Die bisherigen Tagesordnungspunkte 7 und 8 erhalten die Bezeichnung 8 und 9.

*****

Ich gebe weiters bekannt, dass von den Bundesräten Edgar Mayer, Reinhard Todt, Mag. Nicole Schreyer, Kolleginnen und Kollegen gemäß § 66 der Geschäftsordnung des Bundesrates der Antrag auf Abhaltung einer parlamentarischen Enquete zum The­ma „Die Zukunft der EU – aus Sicht der Bundesländer und Regionen“ eingebracht wurde.

Auch hiezu wurde gemäß § 49 Abs. 1 in Verbindung mit § 16 Abs. 3 der Geschäftsord­nung des Bundesrates beantragt, diesen Selbständigen Antrag gemäß § 16 Abs. 3 der Geschäftsordnung des Bundesrates ohne Ausschussvorberatung in Verhandlung zu neh­men.

Ich lasse daher über den Antrag der Bundesräte Edgar Mayer, Reinhard Todt, Mag. Ni­cole Schreyer, Kolleginnen und Kollegen, diesen Selbständigen Antrag auf Abhaltung einer parlamentarischen Enquete gemäß § 16 Abs. 3 der Geschäftsordnung des Bun­desrates ohne Ausschussvorberatung in Verhandlung zu nehmen, abstimmen.

Hiezu ist eine Mehrheit von mindestens zwei Dritteln der abgegebenen Stimmen erfor­derlich.


BundesratStenographisches Protokoll872. Sitzung / Seite 83

Ich bitte jene Bundesrätinnen und Bundesräte, die dem vorliegenden Antrag ihre Zu­stimmung erteilen, um ein Handzeichen. – Das ist die Stimmeneinhelligkeit. Der An­trag, den Selbständigen Antrag 240/A-BR/2017 auf Abhaltung einer parlamentarischen Enquete gemäß § 16 Abs. 3 der Geschäftsordnung des Bundesrates ohne Vorbera­tung durch einen Ausschuss unmittelbar in Verhandlung zu nehmen, ist somit mit der erforderlichen Zweidrittelmehrheit angenommen.

Ich werde die Tagesordnung um den Selbständigen Antrag 240/A-BR/2017 auf Abhal­tung einer parlamentarischen Enquete ergänzen und diesen als 10. Tagesordnungs­punkt in Verhandlung nehmen.

*****

Ich habe die zuvor genannten Verhandlungsgegenstände, den Beschluss des National­rates vom 4. Oktober 2017 betreffend ein Fremdenrechtsänderungsgesetz 2017 sowie den Antrag auf Abhaltung einer parlamentarischen Enquete auf die Tagesordnung der heutigen Sitzung gestellt.

Wird zur Tagesordnung das Wort gewünscht? – Es ist dies nicht der Fall.

Behandlung der Tagesordnung

 


Vizepräsidentin Ingrid Winkler: Aufgrund eines mir zugekommenen Vorschlages be­absichtige ich, die Debatte über die Tagesordnungspunkte 5 und 6 sowie 8 und 9 je­weils unter einem zu verhandeln.

Erhebt sich dagegen ein Einwand? – Es ist dies nicht der Fall.

12.22.391. Punkt

Beschluss des Nationalrates vom 20. September 2017 betreffend Protokoll Nr. 15 zur Konvention zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten (1673 d.B. und 1702 d.B. sowie 9888/BR d.B.)

 


Vizepräsidentin Ingrid Winkler: Wir gehen in die Tagesordnung ein und gelangen zu Punkt 1.

Berichterstatter ist Herr Bundesrat Oberlehner. Ich bitte um den Bericht.

 


12.23.08

Berichterstatter Peter Oberlehner: Sehr geehrte Frau Präsidentin! Wertes Präsidium! Liebe Kolleginnen und Kollegen im Bundesrat! Ich darf den Bericht des Ausschusses für auswärtige Angelegenheiten über den Beschluss des Nationalrates vom 20. Septem­ber 2017 betreffend Protokoll Nr. 15 zur Konvention zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten zur Kenntnis bringen.

Der Bericht liegt in schriftlicher Form vor, ich stelle daher gleich den entsprechenden Antrag.

Der Ausschuss für auswärtige Angelegenheiten stellt nach Beratung der Vorlage am 3. Oktober 2017 mit Stimmenmehrheit den Antrag,

1. gegen den vorliegenden Beschluss des Nationalrates keinen Einspruch zu erheben,

2. dem vorliegenden Beschluss gemäß § 1 des Bundesverfassungsgesetzes über die Genehmigung des Protokolls Nr. 15 zur Konvention zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten und dessen Erklärung zum Bundesverfassungsgesetz die verfas­sungsmäßige Zustimmung zu erteilen.

Danke.

 



BundesratStenographisches Protokoll872. Sitzung / Seite 84

Vizepräsidentin Ingrid Winkler: Wir gehen in die Debatte ein.

Zu Wort gemeldet ist Herr Bundesrat Herbert. Ich erteile es ihm.

 


12.24.23

Bundesrat Werner Herbert (FPÖ, Niederösterreich): Frau Präsidentin! Geschätzte Kol­leginnen und Kollegen! Ich darf eingangs feststellen, dass uns der Herr Außenminister wieder verlassen hat. (Bundesrat Schennach: Ist schon da!) – Nein, er ist schon wie­der da, wunderbar! Ich habe schon befürchtet, er schenkt uns nicht seine volle Aufmerk­samkeit bei diesem Tagesordnungspunkt. Auch wenn es hierbei nicht um die großen Dinge der Außenpolitik geht, so ist es doch immerhin ein Staatsvertrag, der hier mit ei­nem erhöhten Quorum beschlossen wird. So gesehen ist er es, glaube ich, doch wert, dass auch Sie, Herr Bundesminister, uns dankenswerterweise Ihre Aufmerksamkeit hier gönnen.

Bei dem hier in Rede stehenden Zusatzprotokoll zur Europäischen Menschenrechtskon­vention ist unser Zugang nicht, dass uns das ganz gefällt. Zum einen – und das habe ich im Ausschuss auch schon dargelegt – beinhaltet es die Herabsetzung der Einspruchs­frist von bisher sechs auf vier Monate. Ich sage einmal, das stellt jetzt nicht die große Aus­hebelung der Bürgerrechte dar, aber dem vorliegenden Aktenrückstau beim Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte damit zu begegnen, dass man die Zugangsmöglichkei­ten für Beschwerden von Bürgern zu minimieren versucht, das ist, glaube ich, rechts­staatlich ein völlig falscher Ansatz. Wir stehen jeder Einschränkung von Bürgerrechten, sei sie auch nur geringfügig, höchst kritisch gegenüber, und ich denke, das ist auch im Sinne aller betroffenen Bürger generell abzulehnen.

Das Zweite, was wir in diesem Zusammenhang sehr kritisch sehen, ist, dass es sich bei diesem Zusatzprotokoll immerhin um einen Staatsvertrag handelt, einen Staatsver­trag, der mitunter eine sehr weitreichende Einflussnahme in unser bestehendes öster­reichisches Rechtssystem mit sich bringt, und wir haben eigentlich kaum eine Möglich­keit, wenn es einmal beschlossen ist, innerstaatlich etwas dagegen zu unternehmen. Das heißt, es wäre klug und richtig, wenn – und das ist eine Meinung, die wir generell hin­sichtlich aller Staatsverträge vertreten – solche Verträge wie auch dieser vorab durch den Verfassungsgerichtshof geprüft würden, auf ihre Folgewirkung, auf ihre Auswir­kung auf innerstaatliches Recht, aber auch auf mögliche Verbindlichkeiten, die sich da­raus ergeben könnten. Das ist in diesem Fall einmal mehr nicht passiert.

Die dritte Sache, gegen die wir uns verwehren, ist der Umstand, dass wir wahrnehmen müssen, dass der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte in der Vergangenheit zu­nehmend nicht nur auf rechtsstaatlicher Grundlage entschieden hat, sondern auch poli­tisch gewertet hat, was ihm eigentlich nicht zusteht, denn er ist wie jeder Gerichtshof pragmatisch an seine Rechtsgrundlagen gebunden. Es sei jedem seine politische Mei­nung unbenommen, aber als Vertreter eines Gerichtshofes steht es einem einfach nicht zu – sowohl persönlich als auch als Kollegium –, politische Bewertungen in Rechtsent­scheidungen mit einfließen zu lassen.

Deshalb – nicht nur aus den genannten rechtlichen Gründen, sondern auch, um hier ein­mal mehr auf diese Problematik der unangemessenen Rechtsentscheidungen durch poli­tisches Werten aufmerksam zu machen, sehen wir uns gezwungen –, dieses Zusatzpro­tokoll abzulehnen. Wir hoffen, dass wir zumindest bei den nachfolgenden staatsvertrag­lich verpflichtenden, bindenden Verträgen aus den Organisationen der EU diese ver­fassungsmäßige Prüfung durch den Verfassungsgerichtshof gewährleistet sehen, weil es, glaube ich, ein wichtiger, ein notwendiger Schritt ist, um nicht nur die rechtsstaatliche Ent­wicklung in Österreich im Griff behalten zu können, sondern auch Folgewirkungen, die zum Nachteil von Österreich daraus entstehen können, vorzeitig und auch wirkungsvoll hintanhalten zu können.


BundesratStenographisches Protokoll872. Sitzung / Seite 85

In diesem Sinne erfolgt leider eine Ablehnung der Anerkennung dieses Zusatzproto­kolls durch meine Fraktion. – Danke schön. (Beifall bei der FPÖ. – Bundesrat Hammerl: Eine Zustimmung ist nicht erforderlich! – Bundesrat Herbert – auf dem Weg zu seinem Sitzplatz –: Ich habe ja nicht gesagt, dass eine Zustimmung erforderlich ist, ich habe ge­sagt, dass wir es ablehnen!)

12.29


Vizepräsidentin Ingrid Winkler: Als Nächster zu Wort gemeldet ist Herr Bundesrat Ing. Köck. – Bitte, Herr Kollege.

 


12.30.01

Bundesrat Ing. Eduard Köck (ÖVP, Niederösterreich): Sehr geehrte Frau Präsident! Sehr geehrter Herr Minister! Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen! Sehr geehrte Da­men und Herren! Lieber Kollege Werner Herbert, wenn man internationale Verträge schließt, muss man sie eben auch halten.

Nirgendwo anders auf der Welt werden Menschenrechte so umfassend geschützt wie bei uns hier in Europa, und darauf sollten wir stolz sein. Die Europäische Menschen­rechtskonvention ist das entscheidende Instrument, das wir zum Schutz der Menschen­rechte und Grundfreiheiten haben. Wir haben hier in Europa eine Rechtssicherheit, die es woanders so nicht gibt. Das sollten wir schon auch klar festhalten.

Der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte wurde 1959 in Straßburg von den Mit­gliedstaaten des Europarates errichtet, um eben die Einhaltung dieser Europäischen Menschenrechtskonvention sicherzustellen. Der Europäische Gerichtshof für Menschen­rechte urteilt über Beschwerden einzelner Personen sowie Personengruppen und Staa­ten, die sich auf eine Verletzung der in der Menschenrechtskonvention anerkannten Rechte beziehen. Seit 1998 ist er ein ständig tagender Gerichtshof, Bürger können sich, nachdem die innerstaatlichen Rechtsbehelfe erschöpft sind, mit Beschwerden direkt an ihn wenden.

Die vom Gerichtshof gefällten Urteile sind für die betroffenen Staaten bindend. Die Recht­sprechung des Gerichtshofs macht die Konvention so zu einem lebendigen Instrument, um neuen Herausforderungen zu begegnen sowie Rechtsstaatlichkeit und Demokratie in Eu­ropa zu festigen. Dazu bedarf es manchmal aber auch Anpassungen an die aktuelle Si­tuation. Diese Möglichkeiten führten nämlich auch dazu, dass immer mehr Europäerinnen und Europäer dieses Recht in Anspruch nehmen, und das hat zu einem enormen Rück­stau in der Bearbeitung der Verfahren geführt. Ende 2016 waren 65 000 Rechtssachen anhängig. Es braucht daher eine Anpassung; dies geschieht mit diesem Protokoll.

Die geänderten Punkte in aller Kürze: Ein Einspruch einer Partei gegen die Zuweisung einer Rechtssache durch eine Kammer an die Große Kammer ist in Zukunft nicht mehr möglich; die Beschwerdefristen, die nationalstaatliche Entscheidungen betreffen, wer­den von sechs auf vier Monate verkürzt; es gibt auch einen neuen Unzulässigkeitstat­bestand, damit eben Bagatellbeschwerden die Arbeit des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte nicht zusätzlich belasten. Eine Beschwerde kann für unzulässig erklärt werden, wenn für den Beschwerdeführer kein erheblicher Nachteil gegeben ist. Ein wei­terer Punkt: Richter müssten jetzt mit Vollendung des 70. Lebensjahres austreten. Das würde zu einem unnötigen Wahlprozedere führen, deshalb wird das jetzt dergestalt geän­dert, dass sie bei Amtsantritt nicht älter als 65 Jahre sein dürfen.

Bei der letzten Tagung des Europarates, bei der ich anwesend war, habe ich darüber auch mit der derzeitigen Richterin aus Österreich, Frau Dr. Gabriele Kucsko-Stadlmay­er, gesprochen: Auch sie erachtet diese Maßnahmen als notwendig. Wir stimmen da­her diesen Änderungen zu.

Ich möchte doch auch noch auf die Worte meiner Kollegin Kurz bezüglich Finanzen in Niederösterreich, Sobotka und dergleichen eingehen. Das ist ein Gerücht, dieser Ver-


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lust wurde nie realisiert, der Rechnungshof hat den Veranlagungen ein positives Zeug­nis ausgestellt. Die Veranlagungen erwirtschaften derzeit 3,5 Prozent, das gibt es nir­gends am Kapitalmarkt. Ich muss Ihnen schon eines sagen, Frau Kollegin: In der SPÖ Salzburg gibt es in Stadt und Land verurteilte Politiker, die aufgrund von Finanzmalver­sationen zurücktreten mussten! Und dann stellen Sie sich hierher und wollen über Nie­derösterreich urteilen?! Gehen Sie nach Hause, und schauen Sie, was Sie dort ange­richtet haben! (Bundesrätin Kurz: Ich habe dort nichts angerichtet!) Seid ihr alle schon Silberstein-wahnsinnig? Habt ihr alle eine Kopfwäsche hinter euch?

Ich hoffe, dass der Wähler dieses System Silberstein am Sonntag abwählt, dass es zu so etwas nie wieder kommt in diesem Land. – Danke für die Aufmerksamkeit. (Beifall bei der ÖVP. – Bundesrätin Grimling: Silberstein hat überhaupt nichts damit zu tun! Man kann schon dumm sein, aber ...! – Weitere Zwischenrufe bei der SPÖ. – Ruf: Jetzt geht’s los mit dem Wahlkampf!)

12.34


Vizepräsidentin Ingrid Winkler: Als Nächster zu Wort gemeldet ist Herr Bundesrat Pro­fessor Schennach. – Bitte.

 


12.34.19

Bundesrat Stefan Schennach (SPÖ, Wien): Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr ge­schätzter Herr Bundesminister! Als Stefan Zweig sein Buch „Sternstunden der Mensch­heit“ geschrieben hat, hat es den Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte noch nicht gegeben. Ich bin sicher, er hätte ihn als eine Sternstunde der Menschheit, zumin­dest der europäischen Menschheit, angeführt, denn einen solchen Gerichtshof gibt es kein zweites Mal.

Das ist ein Gerichtshof, an den sich 800 Millionen Menschen aus ganz Europa – nicht nur aus der EU, sondern aus ganz Europa, aus allen Mitgliedstaaten des Europarates, denn er ist Teil des Europarates – wenden können. Vielleicht wissen Sie nicht, wie man sich an ihn wenden kann. Ich war mehrmals dort, er ist ja ein Teil des Europarates. Da gibt es beeindruckende Dokumente, die zeigen, wie einfach es ist. Wenn Menschen ir­gendwo eingesperrt sind, unter Menschen unzumutbaren Zuständen, ist oft das Einzi­ge, was sie bekommen, ein Stück Toilettenpapier, auf das sie ihre Beschwerde schrei­ben können, auf dem sie berichten können, was geschehen ist. Dies wird dann irgend­wie rausgeschmuggelt und nach Straßburg gebracht – und es wird angenommen. Es gibt unfassbare Dokumente, auch vom Material her, wie eben zum Beispiel solche aus Gefängnissen, aus Russland oder anderen Ländern, die an den Europäischen Gerichts­hof für Menschenrechte kommen.

Deshalb bin ich in solchen Diskussionen hinsichtlich Russland ausschließen oder nicht ganz vorsichtig. Ich sage immer: Wenn ihr Russland ausschließt, dann schneidet ihr über 200 Millionen Menschen den direkten Weg zum Europäischen Gerichtshof für Men­schenrechte ab. Und wer dafür die Verantwortung übernehmen will, der soll aufstehen! – Ich nicht.

Wenn wir heute die Fälle anschauen, und es sind über 60 000, fast 70 000 Beschwer­den aus Europa, dann sehen wir, da sind Menschen in enormer Bedrängnis, und für sehr viele ist es oft die letzte Hoffnung. Dieser große Anfall bedarf aber auch Reformen.

Ich verstehe schon, dass Kollege Herbert versucht hat, da herumzuturnen, aber in Wirk­lichkeit steht bei euch drinnen, dass Österreich aus dem Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte austreten soll (Bundesrat Herbert: Das stimmt ja nicht! Das stimmt ja nicht!) – o ja, auch das kann man nachlesen! (Bundesrat Herbert: Alles Unterstellun­gen!) – und eine eigene österreichische Menschenrechtskonvention machen soll. Aber ich lass’ es, wenn du sagst, es stimmt nicht; wir können dann nachher darüber spre­chen.


BundesratStenographisches Protokoll872. Sitzung / Seite 87

Ganz große Sorgen macht uns aber, dass manche Menschen durch diesen enormen Anfall – ich verfolge derzeit acht Fälle – seit Jahren im Gefängnis darauf warten, dass ihre Beschwerde aufgegriffen wird, aber aufgrund der Anzahl von fast 70 000 Beschwer­den dauert es. Es kommt noch dazu, dass der Europäische Gerichtshof für Menschen­rechte das einzige Gericht ist – Sie werden sonst kein Gericht auf der Welt finden –, das 365 Tage Tag und Nacht arbeitet. Eine Beschwerde kann um 2 Uhr in der Früh in Straßburg einlangen, aus Nowosibirsk zum Beispiel, und um 4 Uhr kann die Journal­richterin oder der Journalrichter eine Maßnahme direkt nach Russland veranlassen, zum Beispiel die sofortige Enthaftung oder das Nichtdurchführen einer Abschiebung und so weiter und so fort.

Das ist eine Sternstunde der Menschheit für Menschenrechte, für Grundrechte, und des­halb müssen wir alles dazu tun, dass dieser Menschenrechtsgerichtshof auch tätig sein kann. Es gab Staatschefs wie zum Beispiel den nicht mehr im Amt befindlichen briti­schen Premier Cameron – dieser hat alles getan, um zum Beispiel das individuelle Recht der Bürger abzuschneiden –, und es gibt heute Staaten, die sehr viel unternehmen, dass Urteile des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte nicht umgesetzt, sondern vor­her noch einmal geprüft werden.

Wir – Österreich – haben ein solches Urteil vor noch nicht allzu langer Zeit bekommen, da ging es um die Adoption von Kindern durch gleichgeschlechtliche Paare, und Öster­reich ist dem Urteil des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte gefolgt und hat dieses auch umgesetzt – und das ist richtig so! (Beifall bei der SPÖ.)

Deshalb sind diese Maßnahmen, die in dem vorliegenden Protokoll vorgesehen sind, im Sinne der Betroffenen. Wenn hier irrsinnig viele Beschwerden gegen die Abgabe ei­ner Rechtssache von einer Kammer an die Große Kammer eingelegt werden, dann be­deutet das eine Verzögerung für alle anderen, die darauf warten, dass ihre Beschwer­de in Verhandlung genommen wird. Diese Verbesserung, die die FPÖ heute ablehnt, führt dazu, dass vielleicht jemand nicht ein ganzes weiteres Jahr in Haft sitzen muss, sondern dass sein Fall früher drankommt. Deshalb müssen wir das unterstützen, und deshalb ist es wichtig, dass Österreich mit ganzem Herzen hinter diesem Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte steht.

Beide Richterinnen, die heutige und die frühere, sind exzellent. Österreich hat nur ex­zellente Richter und Richterinnen dorthin geschickt. Außerdem ist es – vielleicht wissen Sie das nicht – das einzige Gericht, in dem die Richterinnen und Richter von einem Par­lament gewählt werden, nämlich vom Europarat. Es gibt ein eigenes Komitee für die Aus­wahl der Richter und Richterinnen, danach gibt es eine geheime Abstimmung im Ple­num, und das ist eine sehr sorgfältige Vorgangsweise – aber auch die wollte Cameron nicht, auch das wollte Cameron damals abwürgen. Also hier sind einige Dinge zu ver­teidigen, so wie der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte die Menschen- und Grundrechte in Europa verteidigt. – Danke. (Beifall bei der SPÖ und bei Bundesräten der Grünen.)

12.40


Vizepräsidentin Ingrid Winkler: Als Nächste zu Wort gemeldet ist Frau Bundesrätin Mag. Dr. Dziedzic. – Bitte, Frau Kollegin.

 


12.40.49

Bundesrätin Mag. Dr. Ewa Dziedzic (Grüne, Wien): Sehr geehrte Frau Präsidentin! Herr Bundesminister! Werte Kollegen und Kolleginnen! Ein paar Stellungnahmen zu den einzelnen Maßnahmen haben wir schon gehört. Es geht hier um die ausdrückliche Erwähnung des Subsidiaritätsprinzips und des Ermessensspielraumes der Vertrags­parteien oder auch um die Einführung eines Höchstalters für die Kandidaten und Kan­didatinnen.


BundesratStenographisches Protokoll872. Sitzung / Seite 88

Was wir begrüßen, ist, dass es in Hinkunft möglich sein wird, Rechtssachen unabhän­gig vom Parteiwillen auch an die Große Kammer abzugeben. Was wir klar kritisieren, ist wiederum die Verkürzung der Beschwerdefrist um zwei Monate, weil es aus unserer Sicht den Zugang erschwert und auch negative Auswirkungen haben kann, wenn es um den Zugang zum Gericht geht.

Aber: Wir wissen, dass es Länder gibt – Ukraine, Polen, Türkei –, die wiederholt verur­teilt werden, und wir wissen, dass die Maßnahmen, die in dieser Novelle enthalten sind, nicht zwangsläufig dazu beitragen, dass es mehr Effizienz gibt, sondern dass sich die Mitgliedstaaten auch an die Umsetzung halten müssten. Leider ist es so, dass auch Ös­terreich mehrmals verurteilt worden ist, und zwar dann, wenn es um die Zuerkennung der gleichen Rechte und um den Minderheitenschutz ging. Ich möchte Ihnen dafür ein paar Beispiele nennen.

Erstes Beispiel: Im Jahr 2013 gab es ein historisches Urteil, da hat der Gerichtshof ge­urteilt, dass die Opfer der homophoben Sonderstrafgesetze rehabilitiert werden müs­sen und ihre Strafregistereintragungen gelöscht werden müssen.

Zweites Beispiel, ein weiteres Urteil, ebenfalls aus dem Jahr 2013: Da hat die Große Kammer geurteilt, dass das Verbot der Stiefkindadoption bei gleichgeschlechtlichen Paa­ren gegen die Europäische Menschenrechtskonvention verstößt. Mit dem Adoptions­rechts-Änderungsgesetz 2013 wurde dieses Urteil umgesetzt, und seit 1. August 2013 dürfen auch in gleichgeschlechtlichen Partnerschaften Stiefkinder adoptiert werden.

Zugleich wurden durch Begleitgesetze zahlreiche Diskriminierungen von Regenbogen­familien beseitigt, und die Zahl der Ungleichbehandlungen zwischen der eingetragenen Partnerschaft und der Ehe sank damals schlagartig auf 40.

Seit 1. April 2017 dieses Jahres werden eingetragene Partnerschaften am Standesamt geschlossen – genauso wie Ehen! – und dürfen gleichgeschlechtliche Paare wieder ei­nen Familiennamen tragen. Viele wissen es nicht, sieben Jahre lang hat man einen Nach­namen erhalten, wenn man sich eingetragen hat, und den Familiennamen verloren – ei­ne sehr absurde Differenzierung, die 2010 mit dem EPG, Eingetragene Partnerschaft-Gesetz, eingeführt worden ist.

Nun wissen wir ja alle, dass sich Bundesminister Kurz vehement dagegen verwahrt, die Ehe für alle zu öffnen, und wir wissen auch, dass uns da der Europäische Gerichts­hof für Menschenrechte leider nicht zu Hilfe kommen wird, wie er es bei den anderen Ungleichbehandlungen tat, weil Familienrecht nationale Angelegenheit ist, aber die Hoff­nung stirbt zuletzt, und daher nutze ich diese Gelegenheit hier heute, ein weiteres Mal zu wiederholen, dass es in dieser Sache nicht nur um reine Symbolik geht. Es gab über 70 Ungleichbehandlungen, von denen viele vom Europäischen Gerichtshof für Menschen­rechte beziehungsweise durch die Urteile aufgehoben wurden, aber es gibt nach wie vor 29 Ungleichbehandlungen, die sich konkret auf den Alltag der Betroffenen auswirken.

Ich nenne dafür nur ein paar Beispiele: Es geht dabei um Dinge wie das Ja-Wort. Es geht um die fehlende Anerkennung im Ausland. Es geht darum, dass Adoption erlaubt ist, aber die Kinder nicht ehelich sein dürfen; Österreich ist wirklich weltweit das einzige Land, in dem es diese Konstruktion gibt. Oder es geht auch darum, dass es unter­schiedliche Formulare gibt. Das heißt, es kam da auch zu einem bürokratischen Mehr­aufwand, dessen Sinn sich einfach nicht erschließt. Und: Auch wenn sich jemand ein­trägt, heißt das nicht automatisch, dass man beispielsweise bei der Arbeitssuche je­dem Arbeitgeber mitteilen möchte, ob man homosexuell oder heterosexuell ist. Das heißt, da gibt es noch viel zu tun, und da können wir uns leider nicht auf den Europäi­schen Gerichtshof für Menschenrechte verlassen.

Abschließend möchte ich hier erneut an Sie appellieren: Geben Sie sich einen Ruck und sorgen wir dafür, dass auch diese 29 Ungleichbehandlungen und somit auch diese


BundesratStenographisches Protokoll872. Sitzung / Seite 89

Debatte endlich ein Ende finden! – Vielen Dank. (Beifall bei den Grünen und bei Bun­desräten der SPÖ.)

12.46


Vizepräsidentin Ingrid Winkler: Als Nächste zu Wort gemeldet ist Frau Bundesrätin Mag. Gruber-Pruner. – Bitte, Frau Kollegin.

 


12.46.21

Bundesrätin Mag. Daniela Gruber-Pruner (SPÖ, Wien): Sehr geehrte Frau Präsiden­tin! Herr Minister! Geschätzte Kolleginnen und Kollegen! Geschätzte ZuseherInnen! Die Konvention zum Schutz der Menschenrechte und Grundfreiheiten gibt es bereits seit 1950 und den Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte, der deren Umsetzung über­wacht, seit 1959. Seither dauert das Ringen um Verbesserungen im menschenrechtli­chen Bereich an, wobei es da noch Luft nach oben gibt, das hat soeben auch meine Kollegin von der grünen Fraktion am Beispiel „Ehe für alle“ anschaulich dargestellt. Ich möchte mich diesen ihren Ausführungen anschließen und meine auch, dass es da um Diskriminierung geht, die endlich beseitigt werden muss. Viele Länder haben das be­reits verwirklicht, und es wird Zeit, dass wir da nachziehen.

Dem vorliegenden Zusatzprotokoll liegen zähe Verhandlungen zugrunde, das hat Bot­schafter Tichy im Ausschuss ausgeführt, und ich bin sehr froh, dass Österreich bei die­sen Verhandlungen standhaft geblieben ist und vor allem auch das Individualbesch­werderecht verteidigt hat. Dieses Individualbeschwerderecht ist eines der höchsten Gü­ter der Europäischen Menschenrechtskonvention, und das gilt es zu verteidigen.

Als Mitglied des Kinderrechteausschusses des Bundesrates möchte ich darauf hinwei­sen, dass es auch im Bereich der Kinderrechte seit Kurzem eine Individualbeschwer­demöglichkeit gibt. Es gibt da ein Zusatzprotokoll, das Kindern ermöglicht – natürlich nach Ausschöpfung der innerstaatlichen Instanzen –, direkt beim Kinderrechteausschuss der UNO eine Beschwerde einzureichen. Dafür wurde ein Fakultativprotokoll der UNO-Kinderrechtskonvention entworfen, das eine Individualbeschwerdemöglichkeit für Kin­der und Jugendliche vorsieht.

Österreich war zwar unter den ersten Unterzeichnern dieses Zusatzprotokolls, aber wir sind bei dessen Ratifizierung nach wie vor säumig, und es ist höchst an der Zeit, eine Ratifizierung in diesem Bereich vorzunehmen. Mittlerweile haben uns nämlich weltweit 34 Staaten überholt, und ich würde meinen, auch unseren Kindern und Jugendlichen soll­ten die Möglichkeiten, die damit verbunden sind, zugestanden werden. (Beifall bei der SPÖ und bei Bundesräten der Grünen.)

Wir sollten ihnen diese Möglichkeiten nicht länger verwehren, und es wäre, wie gesagt, höchste Zeit, diesen Schritt zu setzen und dieses Zusatzprotokoll zu ratifizieren. Da­durch würden wir endlich auch international zu den Vorreitern im Bereich der Menschen­rechte und Kinderrechte gezählt werden. Österreich hat ja in diesem Bereich eine vor­bildhafte Tradition, Österreich steht für Menschenrechte und hat sich in der Vergangen­heit mehrfach dafür eingesetzt. Dafür genießen wir auch ein entsprechendes Ansehen, aber aktuell sehe ich dieses Ansehen gefährdet.

Dieses Ansehen ist auch deshalb bedroht, weil immer wieder die Übereinkünfte im Menschenrechtsbereich infrage gestellt werden. Nicht nur verschiedene europäische Län­der stellen infrage, ob die universellen Gedanken der Menschenrechte noch notwendig sind, sondern auch viele Nationalstaaten versuchen, sich da aus der Verantwortung zu stehlen.

Auch im österreichischen Wahlkampf ist das ein Thema, das debattiert wird. Zum Bei­spiel habe ich im Wahlprogramm der FPÖ gelesen, dass eine Evaluierung der Europäi­schen Menschenrechtskonvention verlangt wird und dass diese gegebenenfalls durch


BundesratStenographisches Protokoll872. Sitzung / Seite 90

eine österreichische Menschenrechtskonvention ersetzt werden soll, die auch das Hei­matrecht der Österreicher schützt. (Bundesrat Schennach: Hört! Hört! – Bundesrat Her­bert: Evaluierung und Ersatz! – Bundesrat Schennach: Was heißt „Ersatz“?)

Ich finde so etwas sehr bedenklich, denn wenn man das durchdenkt, würde das bedeu­ten, dass in einer Gemeinschaft Menschen unterschiedlicher Klasse existieren: Men­schen mit mehr Rechten, Menschen mit mehr Freiheit, Menschen mit mehr Schutz als andere. Eine solche Gemeinschaft kann nicht funktionieren, das versteht jedes Kind! (Beifall bei SPÖ und Grünen.)

Dass solche Überlegungen tatsächlich gefährlich sind, mahnt mich, da wachsam zu bleiben. Meine Fraktion hat da größte Bedenken, und wir sind uns einig, dass die Euro­päische Menschenrechtskonvention und ihre Mechanismen nicht aufgeweicht werden dürfen. Daher sind wir froh, dass dieses Zusatzprotokoll heute hier in der Form vorliegt, wie es ist. – Danke schön. (Beifall bei SPÖ und Grünen.)

12.51


Vizepräsidentin Ingrid Winkler: Bevor wir in der Debatte fortschreiten, möchte ich in unserer Mitte Herrn Bundesminister Mag. Drozda recht herzlich begrüßen. (Allgemei­ner Beifall.)

Als Nächster zu Wort gemeldet ist Herr Bundesrat Lindner. – Bitte, Herr Kollege.

 


12.51.34

Bundesrat Mario Lindner (SPÖ, Steiermark): Hochgeschätzte Frau Präsidentin! Mei­ne Herren Bundesminister! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich habe in meinen Reden hier im Bundesrat schon öfter gesagt: Die europäischen Menschenrechte sind unan­tastbar!, und ich werde nicht müde werden, es immer und immer wieder zu sagen.

Ich möchte mich der Meinung meiner Kollegin Ewa Dziedzic anschließen und dem noch Folgendes hinzufügen: Gerade dann, wenn es um Rechte von homosexuellen Men­schen in Österreich geht, haben in den vergangenen 20 Jahren großteils Gerichte ent­schieden, unter anderem auch der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte. Wir sind daher sehr froh, dass es diesen Gerichtshof gibt, und ihm sehr dankbar, weil wirk­lich vieles mit seiner Hilfe besser geworden ist.

Menschenrechte und Grundfreiheiten sind immer auch Rechte von homosexuellen Men­schen. Kollegin Dziedzic hat schon ausgeführt, dass es immer noch 29 Ungleichbe­handlungen bei der eingetragenen Partnerschaft im Vergleich zur Ehe im klassischen Sinn gibt. Sie hat auch schon einige Beispiele dafür aufgezählt, aber ich möchte noch ein ganz konkretes Beispiel bringen, bei dem es wirklich um Diskriminierung bei der ein­getragenen Partnerschaft im Vergleich zur Ehe für alle geht.

Und zwar: Jeder, der auf die Gemeinde geht und sich melden möchte, sprich, der ei­nen Meldezettel will – egal, ob für einen Hauptwohnsitz oder für einen Nebenwohn­sitz –, muss seinen Familienstand angeben. Man kann Ehe angeben, man kann ledig angeben oder man kann eingetragene Partnerschaft angeben, aber sobald man Letz­teres angibt, ist man als homosexueller Mensch in Österreich zwangsgeoutet, ob er es will oder nicht, denn es können nur gleichgeschlechtliche Paare in einer eingetragenen Partnerschaft leben.

Auch ich habe mir aussuchen können, ob ich ein Outing mache oder nicht. Ich habe es gemacht, und ich stehe auch heute noch dazu, aber diesen Weg können und wollen nicht alle gehen. Daher ist es ganz wichtig, dass wir auch in Österreich im Jahr 2017 endlich die Ehe für alle einführen. (Beifall bei der SPÖ und bei Bundesräten der Grü­nen.)

56 Prozent der ÖVP-Wählerinnen und Wähler sind dafür, 34 dagegen; 46 Prozent der FPÖ-Wählerinnen und Wähler sind dafür, 37 dagegen.


BundesratStenographisches Protokoll872. Sitzung / Seite 91

Herr Bundesminister Kurz, am 1. Oktober 2017 ist in Deutschland die Ehe für alle eingeführt worden. Ich habe nur eine Bitte an Sie: Geben Sie auch in Österreich die Abstimmung darüber frei! Ich bin überzeugt, dass das österreichische Parlament, der Nationalrat und der Bundesrat, mit großer Mehrheit dafür stimmen werden. Seien Sie wie Angela Merkel, seien Sie mutig und beweisen Sie Zivilcourage! – Herzlichen Dank. (Beifall bei der SPÖ.)

12.55

12.55.08

 


Vizepräsidentin Ingrid Winkler: Weitere Wortmeldungen liegen dazu nicht vor.

Wünscht noch jemand das Wort? – Es ist dies nicht der Fall. Die Debatte ist geschlos­sen.

Wir kommen zur Abstimmung.

Der vorliegende Beschluss des Nationalrates bedarf gemäß § 1 des Bundesverfas­sungsgesetzes über die Genehmigung des Protokolls Nr. 15 zur Konvention zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten und dessen Erklärung zum Bundes­verfassungsgesetz der in der Anwesenheit von mindestens der Hälfte der Mitglieder und mit einer Mehrheit von zwei Dritteln der abgegebenen Stimmen zu erteilenden Zu­stimmung des Bundesrates.

Ich stelle zunächst die für die Abstimmung erforderliche Anwesenheit der Mitglieder des Bundesrates fest.

Wir gelangen zunächst zur Abstimmung, gegen den vorliegenden Beschluss des Natio­nalrates keinen Einspruch zu erheben.

Ich ersuche jene Bundesrätinnen und Bundesräte, die dem Antrag zustimmen, gegen den gegenständlichen Beschluss des Nationalrates keinen Einspruch zu erheben, um ein Handzeichen. – Das ist die Stimmenmehrheit. Der Antrag, gegen den vorliegen­den Beschluss des Nationalrates keinen Einspruch zu erheben, ist somit angenom­men.

Nunmehr lasse ich über den Antrag abstimmen, dem vorliegenden Beschluss des Na­tionalrates gemäß § 1 des Bundesverfassungsgesetzes über die Genehmigung des Pro­tokolls Nr. 15 zur Konvention zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten und dessen Erklärung zum Bundesverfassungsgesetz die verfassungsmäßige Zustim­mung zu erteilen.

Ich bitte jene Bundesrätinnen und Bundesräte, die diesem Antrag zustimmen, um ein Handzeichen. – Das ist die Stimmenmehrheit. Der Antrag ist somit unter Berücksichti­gung der besonderen Erfordernisse angenommen.

Ausdrücklich stelle ich die verfassungsmäßig erforderliche Zweidrittelmehrheit fest.

12.57.102. Punkt

ORF-Jahresbericht 2016 gemäß § 7 ORF-Gesetz (III-621-BR/2017 d.B. sowie 9891/BR d.B.)

 


Vizepräsidentin Ingrid Winkler: Wir gelangen nun zu Punkt 2 der Tagesordnung.

Berichterstatter ist Herr Bundesrat Dr. Köll. Ich bitte um den Bericht.

 


12.57.32

Berichterstatter Dr. Andreas Köll: Sehr geehrte Frau Präsidentin! Geschätzter Herr Bun­desminister! Werte Kolleginnen und Kollegen! Ich erstatte den Bericht des Ausschus­ses für Verfassung und Föderalismus über den ORF-Jahresbericht 2016 gemäß § 7 ORF-Gesetz.

Der Bericht liegt Ihnen in schriftlicher Form vor, weshalb auf eine Verlesung verzichtet werden darf.


BundesratStenographisches Protokoll872. Sitzung / Seite 92

Bei der Abstimmung wurde mit Stimmenmehrheit beschlossen, dem Bundesrat die Kennt­nisnahme des gegenständlichen Berichtes zu empfehlen.

Der Ausschuss für Verfassung und Föderalismus stellt nach Beratung der Vorlage am 3. Oktober 2017 den Antrag, den ORF-Jahresbericht 2016 gemäß § 7 ORF-Gesetz (III-621-BR/2017 d.B.) zur Kenntnis zu nehmen.

 


Vizepräsidentin Ingrid Winkler: Wir gehen in die Debatte ein.

Zu Wort gemeldet ist Herr Bundesrat Jenewein. – Bitte, Herr Kollege.

 


12.58.14

Bundesrat Hans-Jörg Jenewein, MA (FPÖ, Wien): Meine sehr geehrten Damen und Herren! Frau Präsidentin! Herr Bundesminister Drozda! Ich bin seit dem Jahr 2010 Mit­glied des österreichischen Bundesrates und habe noch jedes Jahr zum ORF-Bericht gesprochen. (Bundesrat Schennach: Leider ja!) – Ja, genau, da sind wir schon mitten im Thema, Herr Kollege Schennach, obwohl ich heute ein bisschen die negative Ener­gie aus der Debatte herausnehmen wollte. Ich wollte nämlich wieder weg vom Wahl­kampf kommen, aber wenn mir Herr Kollege Schennach das Hölzl wirft, dann nehme ich es dankbar auf. (Bundesrat Schennach: Wieso? Ich habe ja nur „leider“ gesagt!) Ja, „leider“ haben Sie gesagt. Das war nicht wertschätzend, aber ich nehme es nicht persön­lich, ich weiß eh, wie Sie es meinen.

Unabhängig davon: Ich möchte es eigentlich dem Hohen Haus hier ersparen (Bundes­rat Schennach: Was ist das Problem?) – lassen Sie mich einmal fertigreden! –, dass ich meine Reden der letzten Jahre einfach nur wiederhole, aber im Prinzip kann ich nicht viele neue Aspekte einbringen. Alle, die meine Redebeiträge in den letzten Jah­ren hier in diesem Haus verfolgt haben, wissen, dass ich zumindest versuche, immer einen neuen Aspekt hineinzubringen. Diesen muss man nicht teilen, aber es ist zumin­dest ein Anspruch von mir. Ich halte ganz selten Redebeiträge nur für die Statistik.

Ganz kurz zum Bericht: Er umfasst 190 Seiten. Wer ihn liest, ist durchaus über das, was im ORF abgeht, informiert. Der Vorgänger von Herrn Bundesminister Drozda, der in den Jahren seiner Amtszeit öfter im Bundesrat gewesen ist – Minister Drozda ist es jetzt auch schon das zweite Jahr –, hat mir immer erklärt, ich könne den Bericht wohl­wollend zur Kenntnis nehmen, denn er stimme ja inhaltlich.

Ich habe mir gedacht, ich suche mir etwas heraus, was nicht stimmt, und wenn man 190 Seiten durchsucht, findet man natürlich immer etwas. Ich möchte jetzt gar nicht beckmessern, aber es gibt wirklich einen Punkt, der mir aufgefallen ist und der es durchaus wert ist, dass man ihn beleuchtet. Ich weiß nicht, wer den Bericht vorliegen hat, aber wenn, dann lesen Sie auf Seite 171 nach. Dort wird über die Reichweiten der ORF-Fernsehprogramme berichtet. Auf den Seiten davor wird über die Reichweiten der Radioprogramme berichtet, und dort ist das unheimlich schön aufgeschlüsselt: nach Bundesland, nach Sendern, nach Prozentzahlen, nach Realzahlen, nach Tagesreich­weite, nach Höchstreichweite. Wenn man aber zu Seite 171 kommt, findet man nur ei­ne Gesamttagesreichweite der Programme ORF eins, ORF 2, ORF III, ORF Sport+, eine Gesamttagesreichweite für das Jahr 2016 von 3,6 Millionen oder umgerechnet 46,1 Prozent. Es gibt aber keine Aufschlüsselung – was durchaus interessant wäre –, welche Reichweite eigentlich ORF III im Detail hat, welche Reichweite ORF Sport+ im Detail hat.

Ich werde jetzt nicht meine Bedenken, die ich in Bezug auf die Spartensender durch­aus habe, wiederholen, das habe ich in den letzten Jahren schon gemacht, nämlich dass ich es nicht wirklich als notwendig erachte, dass man sich einen ORF-Sport+-Sender leistet, um dort irgendwelche Tennismatches aus den 1980er-Jahren zu wie­derholen. Das mag zwar schön sein, nur in Zeiten wie diesen ist das nicht notwendig, weil das alles auf diversen Streaming-Plattformen ohnehin jederzeit abrufbar ist. Dafür


BundesratStenographisches Protokoll872. Sitzung / Seite 93

braucht man sich nicht diese ganze Infrastruktur zu leisten, dafür muss man sich nicht diese Kosten leisten.

Wie gesagt, dass es da keine Aufschlüsselung gibt, ist einer der wesentlichen Kritik­punkte, die ich habe. In der Betriebswirtschaftslehre würde man das als mangelnde Bi­lanzkontinuität bezeichnen. Wenn man es für die Radioprogramme macht, muss man es für die Fernsehprogramme auch machen. Das ist nicht passiert, und das kritisiere ich im Detail sehr wohl.

Damit komme ich schon ein bisschen vom Bericht weg hin in Richtung ORF; ich möch­te mich doch ein bisschen zum ORF äußern. Wir erleben seit einiger Zeit nicht nur auf politischer Ebene, sondern auch im ORF selbst eine Diskussion, die es wert ist, geführt zu werden, und die es – für eine zukünftige Regierung, wie immer die dann auch aus­sehen wird – auch wert ist, in eine neue gesetzliche Regelung zu fließen. Derzeit ist es doch so, dass die eigentliche Situation wirklich unbefriedigend ist. Es gibt im ORF viele Beschäftigte, die ordentlich arbeiten, die anständig arbeiten, die wirklich gute Arbeit leisten – bei diesen sollte man sich auch bedanken –, es gibt aber leider Gottes auch solche, bei denen man den Eindruck hat, dass sie den ORF hauptsächlich als Vehikel der eigenen Eitelkeit benutzen. Und dies führt dann zu der Situation, dass es bei In­formationsveranstaltungen, bei Fernsehdiskussionen oftmals darum geht, dass gar nicht so sehr das Informationsinteresse, sondern oftmals nur das Eigeninteresse und die Ei­genvermarktung im Vordergrund stehen. Diesen Eindruck hat man stark.

Ich darf nur daran erinnern, es ist noch nicht so lange her – ich schätze, ich habe es nicht genau herausgesucht, es war vor dem Sommer, drei Monate –, es gab auf Ö1 – leider um die Mittagszeit, da haben die wenigsten Leute Zeit, zuzuhören – eine Diskus­sion über den „ZIB 2“-Anchorman, über seinen beruflichen Zugang und darüber, wie er mit den Leuten umgeht, die zu ihm ins Studio kommen. Das war nicht von der FPÖ initiiert, sondern das war ORF-intern initiiert. Das heißt, diese Diskussion führen nicht nur wir, diese Diskussion wird auch innerhalb des ORF geführt, und ich denke, dass es da Regeln braucht, auch für die Zukunft, auch was die Neuen Medien betrifft.

Es ist ja nicht so, dass sich der ORF abnabeln kann, dass der ORF sagen kann, er sei ein großer Betrieb, er finanziere sich auf der einen Seite aus Gebühren, auf der ande­ren Seite auch durch Werbung und seine Mitarbeiter schwirrten halt irgendwo im luft­leeren Raum. – Nein! Wenn man öffentliche Gebühren bekommt, wenn der ORF Ge­bühren bekommt, dann muss es auch Regeln geben, Regeln, die die Transparenz auch so weit tangieren, dass, wenn jemand sagt, er möchte als Gebührenzahler sehr gerne wissen, nicht nur was mit den Gebühren passiert – das sieht man natürlich auch im Re­chenschaftsbericht, das sieht man auch im ORF-Bericht –, sondern auch wie die Mitar­beiter bezahlt werden und wer dort unter Umständen noch mitbezahlt, was auch mög­lich ist. Denn nur, wenn man weiß, wer da noch mitbezahlt – übrigens ein Thema, das wir gerade im aktuellen Wahlkampf gut und gerne auch laut diskutieren könnten, weil nie ganz uninteressant ist, wer dann eigentlich noch bezahlt, wer dann eigentlich noch mitfinanziert –, nur wenn man das weiß, nur wenn man die Finanzströme freilegt, kann man auch die Interessen freilegen, und das ist das Interessante an der Geschichte. (Beifall bei der FPÖ.)

Ich möchte zu diesem Behufe folgenden Entschließungsantrag einbringen – er wurde bereits eingebracht, aber ich darf ihn verlesen –:

Entschließungsantrag

der Bundesräte Hans-Jörg Jenewein, MA, Kolleginnen und Kollegen betreffend Offen­legung der Einkünfte von ORF-Mitarbeitern, die Nachrichten-/Informations-/Wirtschafts-Formate mediengattungsunabhängig gestalten und/oder moderieren


BundesratStenographisches Protokoll872. Sitzung / Seite 94

Der Bundesrat wolle beschließen:

„Die Bundesregierung und insbesondere der Bundesminister für Kunst und Kultur Ver­fassung und Medien werden aufgefordert, dem Nationalrat eine Regierungsvorlage vor­zulegen, die gewährleistet, dass moderierende und/oder programmgestaltende Mitar­beiter – mediengattungsunabhängig – der Nachrichten-/Informations-/Wirtschafts-Forma­te des ORF oder seiner Tochtergesellschaften ihre Einkünfte durch den ORF und sei­ner Tochtergesellschaften und auch etwaige Nebeneinkünfte von anderen, aufgeschlüs­selt nach Auftraggeber und auszahlender Stelle, die Höhe des Entgelts sowie etwaige Sachleistungen und die als Abgeltung für diese Nebentätigkeit geleisteten Zahlungen und/oder Sachleistungen an Dritte auf der ORF-Homepage offenzulegen haben.“

*****

Ich denke, das ist nur fair gegenüber all jenen, die jeden Monat ihre ORF-Gebühr zah­len, zahlen müssen und auch zahlen, die natürlich schon auch ein Interesse daran ha­ben, zu wissen, wer denn da die wahren Auftraggeber sind, ob es da vielleicht durch­aus auch andere Interessen gibt, die bei der ORF-Programmgestaltung, die bei der In­formationsgestaltung mitspielen. Ich denke, dass das einfach in Zeiten wie diesen, in denen man gerade von der Politik Transparenz einfordert – ich darf daran erinnern, wir haben im Jahr 2013 umfassende Transparenzregelungen für die Abgeordneten dieses Hauses geschaffen; das kann sich jeder auf der Parlamentshomepage anschauen, dort werden die Einkommensverhältnisse und damit auch die Interessen offengelegt –, auch für jene Leute, die ebenfalls aus öffentlichen Bereichen gespeist werden, also auch für jene, die beim ORF arbeiten, durchaus akzeptabel sein muss.

Ich bin durchaus der Meinung – das ist zwar nicht Teil dieses Antrags, aber auch das sollten wir uns einmal genauer anschauen –, dass man sich auch die Pensionsrege­lungen gerade für alle jene, die am Küniglberg noch vor den 1990er-Jahren ihren Ver­trag unterschrieben haben, einmal ganz genau anschauen soll, ob die denn nicht den guten Sitten widersprechen. – Aber dazu vielleicht im nächsten Jahr mehr, wenn wir uns wieder um den ORF-Bericht bemühen.

Das war es von meiner Seite, und ich freue mich auf eine lebhafte Diskussion. – Danke schön. (Beifall bei der FPÖ.)

13.07


Vizepräsidentin Ingrid Winkler: Der von den Bundesräten Hans-Jörg Jenewein, Kol­leginnen und Kollegen eingebrachte Entschließungsantrag betreffend Offenlegung der Einkünfte von ORF-Mitarbeitern, die Nachrichten-/lnformations-/Wirtschafts-Formate me­diengattungsunabhängig gestalten und/oder moderieren, ist genügend unterstützt und steht demnach mit in Verhandlung.

Wir setzen die Debatte fort.

Zu Wort gemeldet ist Herr Bundesrat Schennach. – Bitte.

 


13.07.44

Bundesrat Stefan Schennach (SPÖ, Wien): Frau Präsidentin! Sehr geschätzter Herr Bundesminister! Ich habe deshalb „leider“ gesagt, als Kollege Jenewein hierher ans Rednerpult getreten ist, weil ich nach ihm auch immer das Wort ergreifen muss. (Bun­desrat Jenewein: Ja, leider!) Vielleicht könnten wir jetzt ausmachen: Nächstes Jahr spre­chen Sie nicht, dann spreche ich auch nicht. Dann wird das vielleicht ein bisschen an­ders. (Rufe bei der FPÖ: Warten wir einmal die Koalition ab!)

Zuerst einmal: Sie haben die übliche Ich-verdächtige-den-ORF-in-allem,-und-alles,-was-der-ORF-macht,-ist-schlecht!-Rede gehalten. – Wenn ich diesen Jahresbericht lese, kann


BundesratStenographisches Protokoll872. Sitzung / Seite 95

ich nur sagen: Halleluja! Bei dem Markt, den wir derzeit im Äther haben, über Satellit, über Kabel, über terrestrische Programme, solche Reichweiten ausweisen zu können, da kann man nur sagen: Was für ein Unternehmen, Hut ab! Man erreicht zum Beispiel bei Fern­sehsendungen – und der ORF steht ja nicht nur in Konkurrenz mit den österreichischen Privaten, sondern er steht in Konkurrenz mit allen Privaten, die in deutscher Sprache sen­den und auch nach Österreich liefern – einen Marktanteil von 35,1 Prozent; das ist mehr als die Freiheitliche Partei im Nationalrat Marktanteil hat.

Zum Zweiten muss man sich den Markt im Hörfunkbereich anschauen, der komplett überhitzt ist. Bedenken wir nur, wie viele Hörfunksender es pro Bundesland in Öster­reich gibt, und dazu kommen noch jene, die in den Grenzregionen empfangen werden: Angesichts dessen mit der ORF-Radioflotte einen Marktanteil von 71 Prozent zu ha­ben, also dazu muss man sagen: Das ist eine tolle Bilanz, ein solches Unternehmen kann sich sehen lassen!

Ich möchte den heutigen Tag aber auch dazu nutzen, dem ORF hier vom Hohen Haus aus Geburtstagswünsche zu übermitteln. Alles Gute zum Geburtstag, Ö1! 50 Jahre Ö1! 1967 wurde jener Sender gegründet, der heute unter den öffentlich-rechtlichen als der beste Radiosender der Welt gilt. Für Fernsehen ist BBC unser Vorbild, aber es gibt in der Welt ein einziges Vorbild für ein öffentlich-rechtliches Radioprogramm, und das heißt Ö1. Das kann man sagen, 620 000 Menschen hören täglich Ö1. Ich gebe zu, die Marktanteile sind unterschiedlich. Am hart umkämpften Wiener Markt hat Ö1, man höre und staune, 15 bis 16 Prozent – sensationell! –; im derzeitigen Vorsitzland mit 3 Pro­zent ist die Situation durchaus ausbaubar, aber dort können vielleicht schon andere Sen­der empfangen werden.

Das ist großartig, können wir nur sagen. Ab 35 Jahren – Frau Kollegin Mühlwerth, da fallen wir zwei darunter – ist der durchschnittliche Marktanteil 10,5 Prozent. Das ist großartig für einen anspruchsvollen Sender, der Texte zur Zeitgeschichte, der Texte zu jeglicher Form von Kunst, der immer noch Hörspiele produziert. In Zeiten des Bildes, des Fernsehens, des schnellen Bildes gehört die österreichische Hörspielproduktion zu den Besten in Europa. Es gibt die Goldene Palme zu gewinnen, und dieser Preis geht immer wieder nach Österreich – für seine hervorragenden Hörspielproduktionen!

Anlässlich 50 Jahre Ö1 wurden einige seiner Produktionen zu Denkmälern erhoben. Ich möchte nur kurz eine Sendung erwähnen, weil sie das Vorsitzland betrifft, nämlich das Hörspiel von Peter Klein und Michael Köhlmeier über das Verschwinden einer Mu­sikkapelle. Als ich das das erste Mal in meinem Leben, so nebenbei beim Kochen, hör­te, habe ich geglaubt, das ist echt. Und das war nur das erste Feature! Dieses Hörspiel zählt jetzt zu den Denkmälern in der Radiokultur; ich kann nur raten, es sich anzuhö­ren.

Ich möchte diesmal aber auch ein anderes Thema streifen, Kollege Jenewein, nämlich auch den großen Bereich der Volksgruppen, unserer autochthonen Volksgruppen, für die es Radioprogramme gibt. Erwähnen möchte ich da die Zusammenarbeit mit Radio Agora. 2016 haben wir ein ungarisches Magazin für die ungarische Volksgruppe im Bur­genland übernommen. Es gibt also Programme für die Volksgruppe der Roma, für die tschechische, für die slowenische, für die ungarische, für die slowakische sowie für die burgenlandkroatische Volksgruppe – all das in verschiedenen Formen: der ORF hat Ra­dioprogramme, Kooperationen mit Radiosendern und auch regionale Fernsehprogramme.

Das zeigt, der öffentlich-rechtliche Auftrag bedeutet, auch für alle Volksgruppen in die­sem Land etwas zu machen, für alle Menschen, auch für Menschen mit besonderem Bedarf. Das heißt, das Schwerpunktprogramm 2010 bis 2014, das vorsieht, dass auch blinde und gehörlose beziehungsweise stark seh- oder hörbehinderte Menschen an den Programmen teilhaben können müssen, ist nun durch Untertitelung, durch Zeichenspra­che und so weiter und so fort weiter ausgebaut worden.


BundesratStenographisches Protokoll872. Sitzung / Seite 96

Dass der ORF eine Bibliothek des Wissens ist, ist dadurch gegeben, dass Sie alle, dass jeder und jede von uns, dass jede Bürgerin und jeder Bürger auf Programme des ORF aus den Archiven des ORF zurückgreifen kann – etwas, was wir immer gefordert haben und was auch ein ganz wichtiger Aspekt des öffentlich-rechtlichen Auftrages ist; ebenso die Zusammenarbeit in Europa.

Fernsehen machen ist überall gleich teuer; der ORF hat denselben Output wie die ARD, nur gibt es in Deutschland mehr Gebührenzahler, weil das Land zehnmal größer ist. Wenn man heute ein Programm in Österreich distribuiert, so braucht der ORF 2 400 Sen­destationen, wenn man dasselbe Programm in Dänemark distribuiert, braucht es drei, in den Niederlanden vier, in Irland drei Sendestationen. Viele dieser Stationen in unse­rem Land und in der Schweiz sind auch noch bemannt, und wenn Menschen auf den Bergspitzen vor Ort sein müssen, dann kostet das Geld.

Der Herr Landeshauptmann von Vorarlberg hat hier heute etwas Interessantes gesagt, was zu der ORF-Diskussion passt, Kollege Jenewein: Wer anschafft, der soll zahlen! Der Bundesgesetzgeber schafft an, wem der ORF seine Programme kostenlos ins Haus zu liefern hat. Und wenn der Gesetzgeber einem Unternehmen wie dem ORF einen Auf­trag erteilt, dann ist es auch durchaus richtig, auch eine Rechnung dafür zu senden. Die­se Debatte haben wir jedes Jahr. Wenn jemand von den Gebühren zu befreien ist, dann ist es so, wie der Herr Landeshauptmann von Vorarlberg gesagt hat: Wer anschafft, soll zahlen.

Wichtig ist auch, dass das Humanitarian Broadcasting – auch etwas, was der ORF für Europa erfunden hat – weiter ausgebaut wurde. Abgesehen von dem, was wir alle ken­nen, Licht ins Dunkel oder Nachbar in Not, sind nun auch Initiativen wie Helfen wie wir dazugekommen. Auch das sei nur nebenbei erwähnt.

Zu dem Entschließungsantrag der FPÖ möchte ich nur sagen: Das ist eine haarige Ge­schichte, was ihr da macht, weil ihr damit – und das ist etwas, was euch ja an sich wichtig ist – den Datenschutz berührt. Es wichtig, dass ein Unternehmen interne Vor­kehrungen trifft, und deshalb wurden mit einer Dienstanweisung des Generaldirektors ei­nige Dinge über Nebenbeschäftigungen klargestellt.

Erstens wurde beim ORF intern ein Verhaltenskodex – das ist der Verhaltenskodex Num­mer 9/11, für den Kollegen Jenewein – in Kraft gesetzt, der verbindliche Linien der All­tagspraxis aufzeigt.

Eine weitere Richtlinie des Generaldirektors besagt, wie viele Nebenbeschäftigungen pro Jahr ein Mitarbeiter oder eine Mitarbeiterin haben darf und dass all diese genehmi­gungspflichtig sind.

Des Weiteren wurde im Zusammenhang mit den Nebenbeschäftigungen der sogenannte ORF-Ethikrat eingesetzt. Der Ethikrat hat zu überprüfen, ob diese Nebenbeschäftigun­gen dem Verhaltenskodex entsprechen, und dieser Ethikrat im ORF ist unabhängig.

Würden, wie schon früher öfters gefordert, diese Dinge offengelegt, dann hätten wir ei­nen Braindrain in Richtung Deutschland – und wir hatten aus dem Fernsehbereich lei­der schon besonders viele Abflüsse von wichtigen Leuten nach Deutschland. Wenn nämlich bekannt wird, wie wenig man zum Beispiel in Österreich verdient, dann ist das eine willkommene Sache für andere Konkurrenzsender.

Deshalb: Verhaltenskodex, Ethikrat – das genügt, um die Nebenbeschäftigungen in­tern, innerhalb des ORF, ausreichend und nachhaltig zu kontrollieren.

Noch einmal: Wir gratulieren dem ORF zu diesem Jahresbericht. – Danke. (Beifall bei der SPÖ.)


BundesratStenographisches Protokoll872. Sitzung / Seite 97

13.18


Vizepräsidentin Ingrid Winkler: Nächster Debattenredner: Herr Bundesrat Forstner. – Bitte, Herr Kollege.

 


13.18.12

Bundesrat Armin Forstner, MPA (ÖVP, Steiermark): Frau Präsident! Geschätzter Herr Minister! Geschätzte Kolleginnen und Kollegen! Sowohl im Fernseh- als auch im Radiobereich ist der ORF weiterhin Marktführer. Im TV-Bereich konnte die ORF-Sen­degruppe im Jahr 2016 einen Marktanteil, wie Herr Kollege Jenewein schon gesagt hat, von 35 Prozent erzielen. Damit blieben die Werte gegenüber den letzten Jahren weit­gehend stabil; allerdings gab es bei ORF eins – und das trotz reichweitenstarken Sport­großereignissen im letzten Jahr – ein kleines Minus und auch bei ORF 2 ein kleines Mi­nus gegenüber dem Vorjahr.

Im fünften Sendejahr weiter behaupten konnten sich die beiden ORF-Spartensender ORF III und ORF SPORT+. Den Kultur- und Informationskanal ORF III – und das habe ich mir auch extra angeschaut, Herr Kollege – haben letztes Jahr 600 000 Personen an­gesehen.

Ich habe mir auch eine ganz spezielle Seite in dem Bericht angeschaut; nicht die Sei­te 171, sondern die Seite 113, worüber wir bereits im Ausschuss geredet haben. Dort steht unter den „Highlights der ORF-III-Regelformate“:

„Um das Demokratieverständnis [...] der Österreicherinnen und Österreicher weiter zu stärken,“ – und da hören Sie mir jetzt bitte zu, Herr Minister (in Richtung Bundesminis­ter Drozda, der sich abseits der Regierungsbank mit einem Mitarbeiter unterhält), das wäre schön – „überträgt ORF III im Rahmen der Programmleiste ,Politik live‘ die Debat­ten des Bundes- sowie des Nationalrats live und in voller Länge.“ – Das trifft auf den Bundesrat in den letzten Jahren sicher nicht zu!

Bitte, Herr Minister, nehmen Sie das als Verbesserungsvorschlag für die Zukunft mit! Vielleicht kann man die Bundesratssitzungen in Zukunft in voller Länge übertragen – zu­mindest, wenn es im Jahresbericht so vermerkt wird.

Der Sportkanal, der insbesondere über Sportbewerbe mit Österreichbezug berichtet, die in der Regel weniger im medialen Rampenlicht stehen, konnte im Tagesschnitt 226 000 Zu­seher erreichen. Dass über sie berichtet wird, ist für jene Sportarten wichtig, die nicht so sehr in der Öffentlichkeit stehen.

Was man auch erwähnen sollte, ist das letztes Jahr neu eingeführte Frühfernsehen auf ORF 2, „Guten Morgen Österreich“, das live aus mobilen Studios ausgestrahlt wird. Es weist durchschnittlich 300 000 Zuseher auf, weiters haben circa 19 000 Menschen das mobile Studio vor Ort besucht. Da werden Gemeinden, Regionen und Menschen vor­gestellt. Ich glaube, das ist eine gute Sache, dazu kann ich dem ORF wieder gratulie­ren.

Einen wesentlichen Beitrag zur Erfüllung des öffentlich-rechtlichen Auftrags leisteten 2016 wieder die ORF-Landesstudios. Die Sendung „Bundesland heute“ erreichte eine durchschnittliche Reichweite von knapp über einer Million Zuseher und einen gesamt­österreichischen Marktanteil von 52 Prozent. Ich glaube, es ist für uns alle wichtig, dass wir, wenn wir abends „Bundesland heute“ schauen, sehen, was bei uns, in unserem Bun­desland, passiert ist. (Bundesrat Stögmüller: Niederösterreich heute als ÖVP!)

Erneut ausgebaut wurde das Angebot des ORF für gehörlose und stark hörbehinderte Menschen. So wurden in ORF eins und ORF 2 im vergangenen Jahr bereits circa 12 000 Sendestunden untertitelt. Das entspricht einer Untertitelungsquote von cir­ca 70 Prozent. Neu ist etwa die Untertitelung der täglichen „ZIB 20“ und des „ZIB Ma­gazin“. Die „Zeit im Bild“ und das Servicemagazin „heute konkret“ werden auf ORF 2 Eu­rope zu­sätzlich in Gebärdensprache gedolmetscht und stehen in dieser Form auch in der ORF-TVthek zur Verfügung. ORF III erreichte eine Untertitelungsquote von 37 Prozent. Das ist ein richtiger und wichtiger Schritt für gehörlose und für stark hörbehinderte Men­schen.


BundesratStenographisches Protokoll872. Sitzung / Seite 98

Die ORF-Radioflotte – das ist von Kollegen Schennach schon erwähnt worden – er­reichte mit einem Marktanteil von 71 Prozent den gleichen Wert wie voriges Jahr. Ich glaube, dazu kann man gratulieren. Da Ö1 zum 50. Geburtstag gratuliert wurde: Wir sind draufgekommen, dass auch Ö3 50 Jahre alt ist. Ich gratuliere auch Ö3 zum 50. Ge­burtstag! (Zwischenruf des Bundesrates Stögmüller.)

Der ORF hat im Jahr 2016 erstmals wieder Verluste geschrieben. Grund dafür sind Ver­zögerungen bei einem angeblich geplanten Immobilienverkauf. Demnach wurde im ver­gangen Jahr ein negatives Ergebnis von circa 30 Millionen € erzielt. Für das laufende Jahr ist das ORF-Direktorium allerdings zuversichtlich, wieder ausgeglichen zu bilan­zieren. Zufrieden ist die ORF-Spitze mit den erzielten Marktanteilen und Reichweiten. Auch der gesetzliche Programmauftrag und weitere Programmverpflichtungen des Sen­ders wurden laut Bericht zur Gänze erfüllt.

Abschließend, geschätzte Kolleginnen und Kollegen: Wenn man durch Pflichtgebühren finanziert wird, glaube ich, braucht man sich um die Bilanz der nächsten Jahre keine Sorgen zu machen. – Danke schön. (Beifall bei der ÖVP und bei Bundesräten der SPÖ.)

13.23


Vizepräsidentin Ingrid Winkler: Als Nächste zu Wort gemeldet ist Frau Bundesrätin Mag. Schreyer. – Bitte, Frau Kollegin.

 


13.23.33

Bundesrätin Mag. Nicole Schreyer (Grüne, Tirol): Hohes Haus! Sehr geehrter Herr Minister! Sehr geehrte ZuseherInnen! Auch von meiner Seite, auch vonseiten der Grü­nen vielen Dank für den sehr umfangreichen und interessanten Bericht! Wir werden den Bericht natürlich sehr, sehr gerne zur Kenntnis nehmen.

Ganz kurz möchte ich noch auf den Entschließungsantrag der Freiheitlichen Partei eingehen: Wir werden ihm nicht zustimmen, weil wir einfach keine Lex ORF haben möchten. Die Grundidee ist nicht schlecht. Die Grünen sind bekannterweise für volle Transparenz, aber wir wollen nicht, dass nur der ORF herausgepickt wird; öffentlich-rechtlich als Begründung reicht uns da nicht.

Es ist schon so viel an Zahlen, Daten und Fakten über den Bericht gesagt worden, da will ich jetzt nichts wiederholen, sondern über den ORF selbst reden. – Herr Minister, Sie haben ja eine ORF-Reform angekündigt und zuvor eine Enquete über die künftige Finanzierung des ORF, die künftigen Aufsichtsgremien und den Programmauftrag des ORF. Das ist sich vor der Wahl leider nicht mehr ausgegangen beziehungsweise ist die Enquete ja mehrere Male verschoben worden. Wir würden uns wünschen, dass da recht bald etwas weitergeht, weil eine Reform tatsächlich notwendig wäre.

Was wir Grüne uns noch wünschen – und das ist natürlich auch schon lange ein dring­licher Wunsch und das Dringlichste für uns bei einer Reform –, ist ein öffentlich-recht­licher Rundfunk, von dem sich keine Partei politische Vorteile erwartet. Das sollte beim öffentlich-rechtlichen Rundfunk die Grundvoraussetzung sein, weil er ja für alle Bürge­rinnen und Bürger da sein soll und nicht von Parteien als ihr Sprachrohr genutzt wer­den soll und von ihm keine politischen Vorteile erwartet werden sollen. Und natürlich wünschen wir uns auch einen ORF, der ausreichend finanziert ist. (Beifall des Bundes­rates Stögmüller.)

Wir sind eben für eine völlige Abschaffung der Entsendung von Vertretern der Parteien. Es sollten weder die Bundes- noch die Landesregierungen Vertreter in den Stiftungsrat entsenden können. Aus unserer Sicht sollten die Gremien von einem zivilgesellschaftli­chen Konvent – also von den Bürgerinnen und Bürgern – besetzt werden, in dem Ös­terreich, in dem die Österreicher und Österreicherinnen allumfassend abgebildet werden.

Ein paar Worte zum Bericht: Es ist ein dicker und umfangreicher Bericht, weil es eben einen sehr umfangreichen Programmauftrag gibt. Die Tatsache, dass die zweite Kam-


BundesratStenographisches Protokoll872. Sitzung / Seite 99

mer des Parlaments vom ORF ein bisschen unter den Teppich gekehrt wird, ist ohne­hin gerade zur Genüge angesprochen worden; und das passiert, obwohl ORF III ei­gentlich gerade für die politische Vermittlung gegründet wurde – Kollege Forstner hat das aber, wie gesagt, eben vor mir angesprochen und ausgeführt.

Worauf ich ganz am Schluss noch einmal hinaus möchte, genau diesen Bildungs­auftrag betreffend: Es gibt ja in letzter Zeit immer wieder Privatisierungsgerüchte be­züglich des ORF, also dass ORF eins oder Ö3 privatisiert werden könnten. Dagegen möchten wir uns ganz dezidiert aussprechen. Es braucht auch weiterhin einen starken ORF mit einem Programmauftrag, der zu einer ausgewogenen Berichterstattung ver­pflichtet. Es braucht im ORF, also im öffentlich-rechtlichen Fernsehen in Österreich, Un­terhaltung und Sport genauso, wie es Qualitätsjournalismus braucht, der Fake News entgegenwirkt. – Danke schön. (Beifall bei den Grünen und bei Bundesräten der SPÖ.)

13.26

13.27.01

 


Vizepräsidentin Ingrid Winkler: Weitere Wortmeldungen liegen dazu nicht vor.

Wünscht noch jemand das Wort? – Es ist dies nicht der Fall. Die Debatte ist geschlos­sen.

Wir gelangen zur Abstimmung.

Ich ersuche jene Bundesrätinnen und Bundesräte, die dem Antrag zustimmen, den ge­genständlichen Bericht zur Kenntnis zu nehmen, um ein Handzeichen. – Das ist die Stim­menmehrheit. Der Antrag ist somit angenommen.

Es liegt ein Antrag der Bundesräte Jenewein, Kolleginnen und Kollegen auf Fassung einer Entschließung betreffend Offenlegung der Einkünfte von ORF-Mitarbeitern, die Nachrichten-/Informations-/Wirtschafts-Formate mediengattungsunabhängig gestalten und/oder moderieren, vor.

Ich lasse über diesen Entschließungsantrag abstimmen.

Ich bitte jene Bundesrätinnen und Bundesräte, die diesem Antrag zustimmen, um ein Handzeichen. – Es ist dies die Stimmenminderheit. Der Antrag auf Fassung einer Ent­schließung ist daher abgelehnt.

13.27.583. Punkt

Tätigkeitsbericht des Verfassungsgerichtshofes für das Jahr 2016 (III-624-BR/2017 d.B. sowie 9892/BR d.B.)

 


Vizepräsidentin Ingrid Winkler: Nun gelangen wir zu Punkt 3 der Tagesordnung.

Berichterstatter ist wieder Herr Bundesrat Dr. Köll. – Ich bitte um den Bericht.

 


13.28.18

Berichterstatter Dr. Andreas Köll: Geschätzte Frau Präsidentin! Geschätzter Herr Bun­desminister! Ich bringe den Bericht des Ausschusses für Verfassung und Föderalismus über den Tätigkeitsbericht des Verfassungsgerichtshofes für das Jahr 2016. Der Be­richt liegt Ihnen allen in schriftlicher Form vor, weshalb wieder auf eine Verlesung ver­zichtet werden darf.

Der Ausschuss hat mit Stimmeneinhelligkeit beschlossen, dem Bundesrat die Kennt­nisnahme des gegenständlichen Berichtes zu empfehlen.

Der Ausschuss für Verfassung und Föderalismus stellt nach Beratung der Vorlage am 3. Oktober 2017 den Antrag, den Tätigkeitsbericht des Verfassungsgerichtshofes für das Jahr 2016 zur Kenntnis zu nehmen.

 


Vizepräsidentin Ingrid Winkler: Wir gehen in die Debatte ein.

Zu Wort gemeldet ist Herr Bundesrat Todt. – Bitte, Herr Kollege.

 



BundesratStenographisches Protokoll872. Sitzung / Seite 100

13.29.00

Bundesrat Reinhard Todt (SPÖ, Wien): Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrter Herr Bundesminister! Liebe Kolleginnen! Liebe Kollegen! Sehr geehrte Damen und Her­ren vor den Fernsehgeräten! Ich habe mich auch zum Bericht des Verwaltungsge­richtshofes zu Wort gemeldet, mache das aber jetzt in einem Redebeitrag – ich bitte, mich beim nächsten Punkt aus der Rednerliste zu streichen –, denn einige Punkte, die ich anspreche, betreffen beide Gerichtshöfe.

Wir besprechen heute die Tätigkeit des VfGH und des VwGH im Jahr 2016. Die Ge­richtshöfe des öffentlichen Rechts und ihre Tätigkeit sind ebenso wie die ordentliche Ge­richtsbarkeit Säule und Ausdruck der Rechtsstaatlichkeit unserer Demokratie. Sie ge­winnen umso mehr Bedeutung in Zeiten, in denen der politische Konsens immer klei­ner und die Verfassung als flexibles, wandelbares Gut wahrgenommen wird.

In Zeiten, in denen Rufe nach der Abkehr von der Europäischen Menschenrechtskon­vention, und damit von einem Grundrechtskatalog in Verfassungsrang, zu hören sind, sind wir als demokratische Gesellschaft umso mehr aufgerufen, verfassungsrechtliche Grundlagen zu schützen.

Der Verfassungsgerichtshof als oberster Hüter ebendieser Grundlagen steht vor einem interessanten Jahr. Immerhin treten drei seiner 14 Mitglieder den Ruhestand an und wer­den nachnominiert. Auch wir als Bundesrat stehen vor der Aufgabe, eine Richterin oder einen Richter vorzuschlagen. Das ist eine Aufgabe, der wir uns mit Freude und Be­dacht annehmen werden.

Dem Verwaltungsgerichtshof möchte ich an dieser Stelle, zwar mit einiger Verspätung, aber doch ganz herzlich, zu seinem 140. Geburtstag gratulieren, den er im Berichtsjahr mit einem internationalen Symposium begangen hat. Wie bereits im Jahr zuvor hatte der Verwaltungsgerichtshof auch 2016 und im ersten Halbjahr dieses Jahres eine Stei­gerung der Geschäftsfälle zu bewältigen, die seit der Umsetzung der Reform der Ver­waltungsgerichtsbarkeit im Allgemeinen und im Lichte der globalpolitischen Entwicklun­gen der letzten Jahre insbesondere in Asylsachen zu beobachten ist.

Es ist daher äußerst erfreulich, dass der Verwaltungsgerichtshof mit dem Einsatz be­sonderer Teams an wissenschaftlichen Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern einen Weg ge­funden hat, um die zuständigen Richterinnen und Richter entsprechend zu unterstützen und den Anhängigkeitsstand im Vergleich zum Vorjahr ebenso zu senken wie die durch­schnittliche Verfahrensdauer.

Zum Tätigkeitsbericht des VfGH ist eines insbesondere festzuhalten, und zwar, dass sich die mit 1.1.2015 in Kraft getretene Gesetzesbeschwerde auch im zweiten Jahr ih­res Bestehens bewährt hat und dass es gelingt, Detailfragen im Wege der Judikatur zu klären. Ein starkes Zeichen für diese erfreuliche Entwicklung ist insbesondere die Tat­sache, dass mehr als 40 Prozent aller Normenprüfungsverfahren auf Gesetzesbeschwer­den fußen.

Die rege Tätigkeit des Verfassungsgerichtshofes lässt sich nicht nur an den 3 989 be­handelten Verfahren feststellen, sondern auch an den zahlreichen Veranstaltungen und internationalen Kontakten. Das zeugt nicht nur von einer äußerst selbstbewussten Ju­risprudenz in Verfassungssachen, sondern auch davon, dass der Verfassungsgerichts­hof seine Tätigkeit aktiv im Kontext der Europäischen Union und der internationalen Ge­meinschaft ansiedelt und einbettet, und dafür möchte ich mich ausdrücklich bedanken.

Hervorheben möchte ich zudem den Tag der offenen Tür des VfGH. Das mag einem nicht von großer Relevanz erscheinen, beweist aber die niederschwellige Zugänglich­keit eines Höchstgerichtes, das im Herzen der Demokratie arbeitet.

Eine kritische Anmerkung sei mir zu beiden Berichten gleichermaßen gestattet: Den Maß­nahmen zur Frauenförderung räumen sie nur einige wenige Zeilen ein. Beide Gerichts-


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höfe bekennen sich zur aktiven Gleichbehandlungspolitik und zur Chancengleichheit der Geschlechter, es wäre daher wünschenswert, die Maßnahmen zur aktiven Frauenförde­rung ebenso wie die Entwicklung der Frauenquote im richterlichen, juristischen und nicht-juristischen Personal in die Tätigkeitsberichte mit aufzunehmen.

In diesem Lichte auch eine kleine Anmerkung zu den anstehenden Neubesetzungen am VfGH: Auch wenn drei verschiedene Institutionen mit der Nominierung für die Be­stellungen beauftragt sind, so wäre es dennoch mehr als erstrebenswert, wenn diese auch da die Herstellung der Geschlechterparität anstreben würden.

Abschließend möchte ich mich bei beiden Gerichtshöfen und allen Beteiligten, den Rich­terinnen und Richtern ebenso wie den wissenschaftlichen Mitarbeiterinnen und Mitar­beitern sowie beim administrativen Personal für die ausgezeichnete Arbeit und den Dienst an unserer Demokratie bedanken. (Beifall bei der SPÖ, bei Bundesräten der ÖVP so­wie der Bundesrätin Reiter.)

13.35


Vizepräsidentin Ingrid Winkler: Als Nächster zu Wort gemeldet ist Herr Bundesrat See­ber. – Bitte, Herr Kollege.

 


13.35.27

Bundesrat Robert Seeber (ÖVP, Oberösterreich): Hohes Präsidium! Liebe Kollegin­nen und Kollegen! Ich spreche heute zu einem Thema, welches vordergründig betrach­tet eine eher trockene Materie darstellt, aber im Hinblick auf einen funktionierenden Rechtsstaat meiner Meinung nach von besonderer Wichtigkeit ist: Der Tätigkeitsbericht des Verfassungsgerichtshofes für das Jahr 2016 liegt vor.

Wenn man internationale Beziehungen betrachtet, dann weiß man, dass das Funktio­nieren eines Rechtsstaates und einer Verfassung von enormer Bedeutung ist. Ich ver­weise auf das Beispiel Polen. Dort wurde ja versucht, die Verfassungsrichter auszuhe­beln. Ich verweise – international betrachtet – auf das Beispiel Amerika und Präsident Trump, den das alles nicht sehr berührt. Das sind Entwicklungen, die bedenklich sind und an denen man sieht, dass Demokratie nicht selbstverständlich ist.

Wenn ich über den Tätigkeitsbericht spreche, ist es angebracht zu sagen, dass Demo­kratie gelebt und erlebt werden muss, auch von uns allen hier in diesem Hause. Was den Verfassungsgerichtshof und die Arbeit des vergangenen Jahres betrifft, ist festzu­halten, dass trotz eines steigenden Arbeitsaufwandes die Zahl der Fälle gestiegen ist und die Verfahrensdauer der zu behandelnden Sachen insgesamt verkürzt werden konn­te, und zwar auf fünf Monate, und das ist im internationalen Vergleich sehr beachtlich. Es wurden fast 4 000 Verfahren abgeschlossen.

Eine große Herausforderung war, das möchte ich hier auch erwähnen, die Anfechtung der Bundespräsidentenstichwahl. Erstmals wurde eine auf Bundesebene durchgeführte Wahl bundesweit aufgehoben.

Einige allgemeine Zahlen haben wir heute schon gehört. Ich möchte jetzt nicht zu sehr ins Detail gehen, aber man kann sagen, dass 548 Gesetzesprüfungen erledigt wurden und die Zahl der Gesetzesbeschwerden insgesamt gestiegen ist. Was den Arbeitsbe­reich des Verfassungsgerichtshofes anbelangt, möchte ich dazu sagen, dass das in der Strafprozessordnung verankerte Aussageverweigerungsrecht für geschiedene Ehepart­ner behandelt wird. Es werden die Registrierkassenpflicht oder die Zurücknahme der Konzessionen für Glücksspielapparate oder auch das Werbeverbot für ästhetische Be­handlungen, Betriebspensionen der Nationalbank oder dieses leidige Thema der Waldbe­sitzer mit den Jägern behandelt. Das ist nur eine plakative Aufstellung und soll nur das weite und große Spektrum, welches der Verfassungsgerichtshof in seiner täglichen Ar­beit hat, symbolisieren.


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Das, was für mich hier vielleicht auch noch relevant zu erwähnen ist, ist, dass in der österreichischen Bundesverfassung keine Urteilsverfassungsbeschwerde gegen die Ent­scheidungen der ordentlichen Gerichte vorgesehen ist. Laut Präsident Holzinger ist das rechtspolitisch eher bedauerlich, denn man könnte damit eine einheitliche Interpreta­tion der Verfassung beziehungsweise der Grundrechte ermöglichen.

Meine Damen und Herren! An dieser Stelle sei auch kurz daran erinnert: Es passiert in vielen Staaten der Welt, auch in Österreich, dass die Demokratie und der Rechtsstaat manchmal gegeneinander ausgespielt werden. Ich erinnere an den Kontrollverlust des Staates im Zuge der Migrationskrise 2015, als die Menschen das Vertrauen in den Rechts­staat verloren haben.

Meine Damen und Herren! Man hört das oft, auch hier in diesem Saal oder in ver­schiedenen Vorträgen: Wir leben in sehr volatilen Zeiten, in unsicheren Zeiten, wir er­leben Schwankungen der Wirtschaft. Jedem ist es ein Begriff: Wirtschaftskrise, Euro­krise, Fluchtbewegung, Migration, Terrorismus, verschärfte wirtschaftliche Rahmenbe­dingungen. Ich sage das deswegen im Zusammenhang mit dem Tätigkeitsbericht des Verfassungsgerichtshofes, weil es eine gesellschaftspolitische Entwicklung ist, bei der es sehr viele Verlierer gibt – das muss uns klar sein –, und weil dort, wo es sehr viele Verlierer gibt, die Gefahr, dass versucht wird, Populisten zu glauben oder auch an den Grundfesten der Demokratie zu rütteln, sehr groß ist.

Meine Damen und Herren! Das Modell einer liberalen Demokratie, wie es der Präsident des Verfassungsgerichtshofes ausdrückt, ist der Garant für Freiheit, Frieden und wirt­schaftlichen Wohlstand – und ich meine das im Sinne von: nachhaltig und auf Dauer. Ich bin auch als Wirtschaftstreibender und Unternehmer hundertprozentig dieser Mei­nung und kann sie voll und ganz unterstützen. Es kommt darauf an, dass in Krisenzei­ten Demokratie gelebt werden muss und bewahrt werden muss, und da kommt uns al­len eine Vorbildwirkung zu. Es ist mir ein Bedürfnis, dies hier zu erwähnen.

Ich möchte auch an dieser Stelle die Gelegenheit ergreifen und dem langjährigen Prä­sidenten Holzinger – er verlässt ja mit Jahresende den Verfassungsgerichtshof – für sei­ne langjährige Arbeit, begleitet von wissenschaftlicher Exzellenz, danken. Der Tätigkeits­bericht des vorangegangenen Jahres legt ein sehr gutes Zeugnis davon ab, darum bit­te ich, dem Antrag des Ausschusses zuzustimmen und den Bericht zur Kenntnis zu neh­men. – Danke. (Beifall bei ÖVP und SPÖ sowie der Bundesrätin Reiter.)

13.41


Vizepräsidentin Ingrid Winkler: Als Nächster zu Wort gemeldet ist Herr Bundesrat Dr. Raml. – Bitte, Herr Kollege.

 


13.42.06

Bundesrat Mag. Dr. Michael Raml (FPÖ, Oberösterreich): Sehr geehrte Frau Präsi­dentin! Herr Minister! Geschätzte Kolleginnen und Kollegen! Meine sehr geehrten Da­men und Herren hier auf der Zuschauergalerie – es ist gerade niemand anwesend; dann zu Hause vor den Bildschirmen!

Kollege Seeber, das wird deinen Parteiobmann Kurz aber nicht freuen, dass du ihn hier noch einmal in deiner Rede erwähnst, denn du hast gerade von Populismus gespro­chen und hast vor Populisten gewarnt. – Ja, davor kann man wirklich warnen, nur muss man sich dabei schon eines vor Augen halten: Populistisch ist es, wenn man im Jahr 2015 in die linke Richtung rennt und dann 2017, in einem Wahljahr, plötzlich Richtung ganz rechts abbiegt. Davor muss man den Wähler draußen wirklich warnen, da hast du völ­lig recht. Danke, dass du das angesprochen hast! (Beifall bei der FPÖ sowie der Bun­desrätin Ebner.)

Meine sehr geehrten Damen und Herren! Jetzt aber wieder zurück zum Bericht des Verfassungsgerichtshofes: Der Bericht stellt den Behörden und auch dem Gesetzgeber


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ein durchaus gutes Zeugnis aus. Insgesamt waren nur 5 Prozent der Beschwerden er­folgreich. Jetzt könnte man auf den ersten Blick meinen, das ist für die Rechtsunter­worfenen, für die Bürgerinnen und Bürger ein enttäuschendes Ergebnis, wenn sie qua­si mit ihrem Anliegen in 95 Prozent der Fälle nicht durchgedrungen sind. Die Wahrheit sieht aber anders aus: Der Verfassungsgerichtshof hat festgestellt, dass in 95 Prozent der Fälle, die an ihn herangetragen wurden, die Behörden richtig gehandelt haben, dass in 95 Prozent der Fälle die Menschen, die Bürgerinnen und Bürger rechtlich kor­rekt behandelt wurden.

Der Verfassungsgerichtshof hat auch unterschiedlichste Normen auf ihre Verfassungs­mäßigkeit geprüft. Es waren im letzten Jahr 114 geprüfte Normen, und er hat davon „nur“ – unter Anführungszeichen – 20 aufgehoben. Das heißt, 94 Normen haben der Prüfung standgehalten. Das ist ja doch ein ganz ordentliches Zeugnis, auch wenn natürlich Ver­besserungsbedarf gegeben und Luft nach oben ist – aber nach dem 15. Oktober wird ja ohnedies ein neues Parlament die Möglichkeit haben, dieses Ergebnis zu toppen.

Ein großes Thema im Jahr 2016 – auch das hat Kollege Seeber kurz angerissen – war natürlich die Aufhebung der Bundespräsidentenstichwahl durch den Verfassungsgerichts­hof. Hiezu hat Präsident Holzinger in einer Pressemitteilung gemeint: „Die Aufhebung der Stichwahl war völlig alternativlos.“ Ich möchte an dieser Stelle schon noch einmal kurz daran erinnern, dass es Politikerinnen und Politiker und auch Medienvertreter ge­geben hat, die nicht kritisiert haben, was bei dieser Wahl schiefgelaufen ist, sondern die die FPÖ, die Norbert Hofer, die Heinz-Christian Strache dafür kritisiert haben, dass sie eines eingefordert haben, dass sie gefordert haben, dass dubiose Vorgänge natür­lich lückenlos und restlos aufgeklärt werden müssen, untersucht werden müssen.

Man sieht schon, wer das kritisiert hat. Das waren natürlich auch die Grünen. (Bundes­rat Stögmüller: Wenn es euch ... betrifft, dann schreit ihr!) Ich weiß ja nicht: Was hat euch denn daran gestört, dass der Verfassungsgerichtshof die Möglichkeit hatte, fest­zustellen, da hat etwas funktioniert oder – wie er eben festgestellt hat – da hat etwas nicht funktioniert? Ich verstehe schon, dass ihr ein bisschen nervös geworden seid, aber ich kann euch beruhigen: Das Ergebnis hat euch ja im Endeffekt dann hoffentlich ohnedies gefallen.

Man merkt aber hier und, meine sehr geehrten Damen und Herren zu Hause vor den Bildschirmen, Sie merken es auch: Die Linken predigen immer Meinungsfreiheit und Li­beralismus und so weiter; das geht aber nur so lange, solange sie davon positiv betrof­fen sind. Wenn andere diese Grundrechte – um wieder zum Verfassungsgerichtshof zu kommen – für sich beanspruchen, dann wird mit Steinen auf sie geworfen, wie wir in Wien beim Akademikerball jedes Jahr sehen, und dann wird man dafür kritisiert, wenn man als österreichische Partei ein Wahlergebnis, das nicht korrekt zustande gekommen ist, vor dem Verfassungsgerichtshof anficht. Das kommt da heraus. (Beifall bei der FPÖ. – Bundesrat Stögmüller: Ihr Armen! – Bundesrat Herbert: Rechtsstaat nennt man das, Herr Kollege! Rechtsstaat!)

Meine sehr geehrten Damen und Herren! Abschließend wieder etwas Positives – man soll jede Rede positiv beginnen und positiv auch wieder beenden –: Der Verfassungs­gerichtshof hat als Höchstgericht die Aufgabe, den Rechtsstaat objektiv und vor allem unabhängig zu sichern. Er macht das deshalb, denke ich, damit wir unsere österrei­chischen rechtsstaatlichen Verhältnisse beibehalten und damit wir bei uns keine türki­schen, kritischen Verhältnisse bekommen. Für diese Aufgabe gebührt dem Verfassungs­gerichtshof Dank und Anerkennung und damit einhergehend natürlich die positive Kennt­nisnahme des Berichts. – Das werden wir heute gemeinsam sehr gerne machen. (Bei­fall bei der FPÖ sowie der Bundesrätin Ebner.)

13.47



BundesratStenographisches Protokoll872. Sitzung / Seite 104

Vizepräsidentin Ingrid Winkler: Nunmehr ist Frau Bundesrätin Dr. Reiter zu Wort ge­meldet. – Bitte, Frau Kollegin.

 


13.47.31

Bundesrätin Dr. Heidelinde Reiter (Grüne, Salzburg): Frau Präsidentin! Werte Kolle­gen und Kolleginnen! Ich möchte mich vor allem für den Bericht bedanken. Leider war niemand im Ausschuss, um ihn zu diskutieren – das ist ein anderes Kapitel. Ich möchte hier aber schon auch unterstreichen, dass der Verfassungsgerichtshof, wie das ja auch meine Vorgänger schon erwähnt haben, wirklich eine wesentliche, wichtige Säule un­serer Demokratie darstellt, von deren Gefährdung ja immer mehr die Rede ist, nicht nur bei uns, sondern eben auch in anderen Staaten. Ich glaube, in diesem Rahmen darauf hinzuweisen ist nicht umsonst, insbesondere weil uns ja auch Menschen draußen zu­hören und zusehen. – Damit auch ein Gruß an die Menschen vor den Fernsehschirmen!

Die Positiva, wie dass die durchschnittliche Verfahrensdauer deutlich reduziert werden konnte, wurden schon erwähnt – das möchte ich also hier nicht wiederholen –, und das alles trotz des bisher aufwendigsten Verfahrens in der Geschichte des Verfassungsge­richtshofes, nämlich der Aufhebung der Bundespräsidentenwahl. Das war wirklich ein sehr aufwendiges und, wie ich glaube, auch sehr wichtiges Verfahren, denn das in die­sem Zusammenhang gefällte Urteil ist richtungsweisend für die Zukunft. Das wurde auch gestern beim Symposium zur digitalen Zukunft diskutiert, nämlich im Zusammenhang mit dem E-Voting, das im Lichte dieses Urteils in Österreich sicher noch lange nicht, wenn überhaupt jemals, möglich sein wird.

Es ist zu hoffen, dass das Vertrauen in unser Wahlsystem dadurch gestärkt wird, wei­ter gestärkt wird. Das unterstreicht aber auch, denke ich, die Bedeutung der Stimmab­gabe bei Wahlen und die Bedeutung der Wahlen, die in diesem System eben gegeben ist. Ich glaube, auch darauf sollte man in Zeiten wie diesen hinweisen.

2015 wurde die Gesetzesbeschwerde als Rechtsschutzinstrument für Verfahrenspar­teien in Gerichtsverfahren neu eingeführt. Dieses Rechtsschutzinstrument wurde und wird wesentlich intensiver genutzt als ursprünglich erwartet. Es wurde aber auch schon von meinem Vorredner erwähnt, dass die Erfolgsaussichten gering sind: Lediglich vier der 381 im vergangenen Jahr abgeschlossenen Verfahren haben zu einer Aufhebung beanstandeter Bestimmungen geführt; von 114 geprüften Normen wurden 20 zumindest teilweise aufgehoben, 94 hielten hingegen der Prüfung stand. Ich glaube aber auch, dass es wichtig ist oder gerade für uns wichtig ist, darin auch zu sehen, dass die Ge­setzgebung in diesem Land gut arbeitet. Ich denke, darauf sollten wir stolz sein.

Ein Thema, das ich auch ansprechen möchte, ist, dass drei Mitglieder aus Altersgrün­den ihre Tätigkeit am Verfassungsgerichtshof beenden, allen voran der Präsident. Ihn in diesem Zusammenhang zu loben oder auf seine Verdienste entsprechend hinzuwei­sen verbietet die Rededauer, die mir zugestanden ist.

Ich möchte in diesem Zusammenhang jedoch erwähnen, dass Harald Stefan, der Ver­fassungssprecher der FPÖ, diesbezüglich gemeint hat, dass es bei den bevorstehen­den Koalitionsverhandlungen ein Nominierungsrecht für zwei der drei zu besetzenden VerfassungsrichterInnen für seine Partei geben muss oder soll, wenn die Koalitionsver­handlungen von Erfolg gekrönt sein sollten. Das halten wir und ich für unerträglich – für das Ansehen dieser Institution in höchstem Maße, aber eben auch aus demokratischen Standpunkten. (Bundesrat Herbert: Aber bei den anderen geht es, glaube ich, schon! Da ist es schon in Ordnung!) Wir erwarten uns ein nachvollziehbares Auswahlverfah­ren unter Einbindung auch unabhängiger ExpertInnen und Hearings im Parlament.

Ich möchte unterstreichen, dass Parteinähe oder -mitgliedschaft natürlich kein Ausschluss­grund sein darf, ja auch kein Negativum darstellen darf, aber sie darf keinesfalls ein erstrangiges Qualifikationsmerkmal darstellen. Die Besetzungen dürfen nicht durch Par-


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teisekretariate erfolgen. Ich erwarte mir eigentlich eine klare Distanzierung der von mir sehr geschätzten Kollegen der FPÖ von den Forderungen ihres Parteikollegen Harald Stefan. Ich hoffe, dass damit für den Verfassungsgerichtshof wirklich die besten Be­werber in einem transparenten Verfahren ausgewählt werden, um damit das Vertrauen und die Glaubwürdigkeit des Verfassungsgerichtshofs zu stärken und weiter auszubau­en, nämlich als Fundament für unsere Demokratie und unseren Rechtsstaat. – Danke. (Beifall bei Grünen und SPÖ.)

13.52

13.52.54

 


Vizepräsidentin Ingrid Winkler: Weitere Wortmeldungen liegen dazu nicht vor.

Wünscht noch jemand das Wort? – Dies ist nicht der Fall. Die Debatte ist geschlossen.

Wir gelangen zur Abstimmung.

Ich ersuche jene Bundesrätinnen und Bundesräte, die dem Antrag zustimmen, den ge­genständlichen Bericht zur Kenntnis zu nehmen, um ein Handzeichen. – Das ist die Stimmeneinhelligkeit, der Antrag ist somit angenommen.

13.53.224. Punkt

Tätigkeitsbericht des Verwaltungsgerichtshofes für das Jahr 2016 (III-631-BR/2017 d.B. sowie 9893/BR d.B.)

 


Vizepräsidentin Ingrid Winkler: Nun gelangen wir zu Punkt 4 der Tagesordnung.

Berichterstatterin ist Frau Bundesrätin Kern. – Bitte, Frau Kollegin.

 


13.53.43

Berichterstatterin Sandra Kern: Sehr geehrte Frau Präsidentin! Geschätzter Herr Mi­nister! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich erstatte den Bericht des Ausschusses für Verfassung und Föderalismus über den Tätigkeitsbericht des Verwaltungsgerichtsho­fes für das Jahr 2016.

Der Bericht liegt Ihnen in schriftlicher Form vor, ich darf deshalb gleich zur Antrag­stellung kommen.

Der Ausschuss für Verfassung und Föderalismus stellt nach Beratung der Vorlage am 3. Oktober 2017 den Antrag, den Tätigkeitsbericht des Verwaltungsgerichtshofes für das Jahr 2016 (III-631-BR/2017 d.B.) zur Kenntnis zu nehmen.

 


Vizepräsidentin Ingrid Winkler: Ich danke für den Bericht.

Wir gehen in die Debatte ein.

Zu Wort gemeldet ist Herr Bundesrat Dr. Köll. – Bitte, Herr Kollege.

 


13.54.30

Bundesrat Dr. Andreas Köll (ÖVP, Tirol): Sehr geehrte Frau Präsidentin! Herr Bun­desminister! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Uns ist schon klar, dass derzeit die Ner­vosität bei manchen hier im Saal direkt proportional zur Nähe bevorstehender Ereig­nisse steigt, aber lieber Kollege Dr. Michael Raml, als Neodoktor müssen Sie wissen, dass man bei den Zitierregeln sehr genau sein muss. Wenn Sie schon meinen Kolle­gen Robert Seeber zitieren, dann tun Sie das richtig.

Er hat hier in seinen Ausführungen betreffend Populismus mit Sicherheit nicht unseren geschätzten Herrn Bundesminister und Spitzenkandidaten Sebastian Kurz gemeint. Mir ist auch nicht ganz klar, mit Ausnahme von diversen Asylangelegenheiten, wo da der Konnex zu diesen an und für sich sachlichen Berichten über die Tätigkeiten des Ver­waltungs- und des Verfassungsgerichtshofes liegen sollte. Wenn Sie das aber schon zu missbrauchen versuchen, müssen wir darauf natürlich auch kurz replizieren, im Sinne von Kurz replizieren.


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Wir sind hier weder links noch rechts angesiedelt, sondern straight on in der Mitte. Das Original löst die Probleme, während die Kopie die Probleme nur aufzeigt. Das hat sich anhand der Schließung der Balkanroute gezeigt, wo andere nur darüber geredet ha­ben, und auch anhand der bevorstehenden endgültigen Schließung der Mittelmeerroute. Lieber Kollege Dr. Raml, wenn Sie also zitieren, dann tun Sie das richtig, denn sonst wird unter Umständen auch Ihre Doktoratsarbeit einmal einer gewissen Überprüfung nicht standhalten! (Heiterkeit und Beifall bei der ÖVP.)

Zur Sache selbst, bitte, darf ich noch kurz auf den Tätigkeitsbericht des Verwaltungs­gerichtshofes eingehen. Die Verwaltungsgerichtsbarkeits-Novelle 2012 hat sich sehr posi­tiv ausgewirkt. Es gibt natürlich eine Zunahme der Tätigkeiten in den Asylverfahren. Noch einmal: Das ist der einzige Konnex, lieber Kollege Raml, den ich heute hier – wirklich sehr nachsichtig – in Ihren Ausführungen zum Bericht des Verfassungsgerichtshofes er­kennen konnte.

Die Zahl der Verfahren ist natürlich gestiegen, und zwar auf 5 100 im Jahre 2016. Es gibt auch im aktuellen Jahr, über das noch nicht berichtet wurde, eine Zunahme der lau­fenden Verfahren, und man kann seitens unserer Fraktion durchaus nachvollziehen, dass die berechtigte Forderung nach personeller und vielleicht auch finanzieller Mehrausstat­tung des Verwaltungsgerichtshofes im Raum steht.

Alles in allem wird von unseren Höchstrichterinnen und Höchstrichtern hervorragende qualitative Arbeit geleistet; sie haben jetzt aufgrund dieser neuen Novelle in den soge­nannten Normalverfahren bekanntlich nur mehr darüber zu entscheiden, wenn eine or­dentliche Revision erhoben wird, wenn eine Rechtsfrage von grundsätzlicher Bedeu­tung für Österreich ist, oder eben bei einer außerordentlichen Revision über die Klärung dieser Frage.

Wir dürfen also hier namens unserer Fraktion den Höchstrichterinnen und Höchstrich­tern, allen Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern, Referenten des Verwaltungsgerichtshofes herzlich danken für die großartige Arbeit. Man kann ohne Weiteres konstatieren, dass der Rechtsstaat in Österreich auch weiterhin in guten Händen sein wird. – Danke. (Bei­fall bei der ÖVP.)

13.58


Vizepräsidentin Ingrid Winkler: Als Nächster ist Herr Bundesrat Dr. Raml zu Wort gemeldet. – Bitte, Herr Kollege. (Bundesrat Stögmüller: Jetzt kannst du deine Doktor­arbeit verteidigen!)

 


13.58.17

Bundesrat Mag. Dr. Michael Raml (FPÖ, Oberösterreich): Frau Präsidentin! Herr Mi­nister! Geschätzte Kolleginnen und Kollegen! Sehr geehrte Zuseherinnen und Zuseher! Kollege Dr. Köll, ich glaube, wir verlegen diese Diskussion auf die Zeit nach der Sit­zung. Insgesamt nur eines: Ich kenne mich bei euch nicht mehr ganz aus, seid ihr jetzt eine Original-Volkspartei oder seid ihr die neue Liste Kurz, die neue Zeit, jetzt erst recht? Ich kenne mich nicht ganz aus, aber besprechen wir das auch nachher! (Zwischenrufe bei der ÖVP.) Ihr wisst es selber nicht, gell? Diskutiert das selber einmal aus, und dann sagt uns das Ergebnis bitte, kurz und bündig! (Weitere Zwischenrufe bei der ÖVP.) – Nein, wir bleiben unserer Linie treu.

Sehr geehrte Damen und Herren, kommen wir zurück zum Bericht des Verwaltungs­gerichtshofes. Es ist richtig, wie bereits angesprochen wurde, auch der Verwaltungsge­richtshof ist ein elementarer Bestandteil unseres Rechtsstaates. Beim Erstellen meiner Unterlage habe ich mir gedacht, ich denke voraus, vor mir redet jemand. Ich könnte ja auch sagen: Inhaltlich haben wir dazu heute schon viel gehört! – Nun, Kollege Todt hat im Sinne der Effizienz auf seine Wortmeldung verzichtet.


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Herr Kollege Köll, du hast zwar eine Zahl angesprochen. Ein bisschen etwas hat man gehört, nämlich dass die Zahl der Fälle stark angestiegen ist. Es ist aber schon wieder typisch ÖVP, typisch Bundesregierung, dass man halt nicht die ganze Wahrheit sagt, dass man nicht alles ausspricht.

Es stimmt, der Verwaltungsgerichtshof hatte im Jahr 2016 über 10 Prozent mehr Fälle zu bearbeiten. Man fragt sich natürlich, warum das so ist, weil 10 Prozent – gerade in absoluten Zahlen – nicht so wenig sind. Liegt es daran, dass die Österreicher so gerne streiten? Liegt es daran, dass möglicherweise so viele Häuselbauer um ihre Baugeneh­migung kämpfen und alle Instanzen durchmarschieren? – Nein, die Frage ist ganz an­ders, liegt ganz woanders begraben, und die Antwort ist auch mit Hausverstand zu fin­den.

Dazu müsste man – wenn man nicht will – auch gar nicht in den Bericht reinschauen, denn da braucht man sich nur an das Jahr 2015 zurückzuerinnern. Im Jahr 2015 haben rund hunderttausend Menschen aus aller Herren Länder den Weg zu uns nach Öster­reich gesucht.

Im Jahr 2015 haben natürlich bei Weitem nicht alle hunderttausend, aber doch viele Zehntausende Menschen zwar gewusst, was sie bei uns wollen – nämlich neben Schutz Sozialleistungen, Frauen, Autos –, sie haben aber damals nicht gewusst, woher sie kom­men und wie sie heißen. Viele Menschen haben zwar ein hochmodernes Handy mit­gehabt, aber gleichzeitig keinen Reisepass, kein einziges behördliches Dokument.

Bei diesen Menschen bedarf es natürlich der Klärung durch österreichische Behörden, durch österreichische Gerichte. Das hat auch im Jahr 2016 – nicht nur, aber zu einem großen Teil – dazu geführt, dass die Zahl der Verfahren am Verwaltungsgerichtshof so ra­sant angestiegen ist, und wenn man in den Bericht hineinschaut, sieht man, dass die Tendenz stark steigend ist. (Vizepräsident Gödl übernimmt den Vorsitz.)

Dieses Vorkommen hat zu dreierlei Ergebnissen geführt: Erstens hat diese Überzahl an Asylverfahren mit verursacht, dass wir teilweise in diesen Verfahren extrem lange Ver­fahrensdauern haben. Zweitens hat es dazu geführt, dass wir dann aufgrund dieser langen Verfahrensdauern oftmals oder manchmal Sonderfälle – auch genannt Einzelfäl­le – haben, wo durchaus gut integrierte Asylwerber – die aber zu Unrecht zu uns ins Land hereingekommen sind, die zu Unrecht hier geblieben sind – dann vor dem Problem stehen und sagen: Ich bin gut integriert, ich bin nun seit fünf Jahren da, was macht man jetzt mit mir?

Nun, da kann ich nur eines dazu sagen: Es gibt schon Gründe, warum das so ist, wa­rum diese Verfahren so lange dauern. Viele dieser Herrschaften sind nämlich einfach nicht willig, ordentlich zum Verfahren beizutragen. Und sehr viele Herrschaften aus der Anwaltschaft, die von sogenannten NGOs beschäftigt und bezahlt werden, sind durch­aus gewillt, immer ein paar Sachen herauszufinden, wie man das Verfahren noch in die Länge ziehen könnte. Ich muss schon sagen, dass da derjenige, der zu uns reinkommt, wirklich dumm ist, wenn er die Wahrheit sagt und dann aber einen negative Bescheid bekommt. Daher meine ich: Man sollte dieses System einmal insgesamt überdenken, ob man da nicht etwas verbessern kann. (Beifall bei der FPÖ.)

Das dritte Ergebnis – und da sind wir wieder beim Bericht des Verwaltungsgerichts­hofes – ist, dass diese Verfahren Steuergeld kosten und viele Ressourcen benötigen. Man kann auch aus dem Bericht herauslesen – das hat man aber heute noch so gut wie gar nicht gehört –, und auch in einer Mitteilung der Parlamentskorrespondenz wird das deutlich, dass der Verwaltungsgerichtshof unter der Aktenlast schon buchstäblich stöhnt, man braucht mehr Ressourcen, man braucht mehr Geld.

Es finden sich zu dieser problematischen Situation im Bericht leider – und das ist wirk­lich ein Anliegen, das ich im Namen unserer Fraktion an Sie herantrage – keine kon-


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kreten Zahlen. Was kostet denn das Ganze? Das wird ja draußen immer vergessen, wenn man es den Menschen erzählt. Die „Kronen Zeitung“ hat unlängst einmal ge­schrieben „Flüchtlinge kosten uns zwei Milliarden Euro“, wobei ich aber davon über­zeugt bin, dass da zum Großteil nur die Sozialleistungen inbegriffen sind. Es wird den Menschen draußen aber nicht erzählt, was diese Gerichtsverfahren kosten.

Meine sehr geehrten Damen und Herren, da sitzt ja nicht irgendjemand bei der Behör­de, da sitzt ja nicht irgendjemand beim Bundesverwaltungsgericht, und beim Verwal­tungsgerichtshof ist das schon gar keine billige Arbeitskraft, denn das sind hochgradig gut ausgebildete Menschen, die natürlich ein entsprechendes Salär dafür bekommen wollen. Es werden tagtäglich Tausende von Aktenseiten, von Schriftsätzen formuliert. Le­sen Sie sich das einmal durch, gehen Sie einmal in die Datenbank des Rechtsinforma­tionssystems des Bundes und schauen Sie sich die Urteile an!

Darüber, was das kostet, spricht niemand! Verstehen Sie mich nicht falsch, der Rechts­staat ist sehr wichtig, der Rechtsstaat muss in Österreich mit allen Mitteln beibehalten werden. Als Gesetzgeber kann man – und muss man – sich aber schon Gedanken ma­chen, wie man dieses System – das offenbar in vielen Fällen ad absurdum geführt wird und den Steuerzahler Unmengen an Geld kostet – im Sinne der österreichischen Steu­erzahler reformieren kann, damit das Ganze dann auch wieder verhältnismäßig ist. (Bei­fall bei der FPÖ.)

Meine sehr geehrten Damen und Herren, dafür kann der Verwaltungsgerichtshof im Großen und Ganzen aber nichts. Der Verwaltungsgerichtshof sucht sich ja seine Fälle nicht aus, sondern er bekommt sie. Er hat aufgrund der Gesetze, die der Nationalrat ge­meinsam mit dem Bundesrat verabschiedet, Fälle zu bearbeiten.

Daher werden wir diesem Bericht heute zustimmen, jedoch mit dem Wunsch an die kommende Bundesregierung, dass sie sich dieses Phänomen einmal anschaut, dass die Zahl der Verfahren auffälligerweise gerade in Asylrechtsangelegenheiten so stark steigt, was den Steuerzahler immens belastet. – Vielen Dank. (Beifall bei der FPÖ.)

14.06


Vizepräsident Mag. Ernst Gödl: Als Nächste gelangt Frau Bundesrätin Dr. Reiter zu Wort. – Bitte.

 


14.06.27

Bundesrätin Dr. Heidelinde Reiter (Grüne, Salzburg)|: Die Reform des Jahres 2012 – die Schaffung der Verwaltungsgerichtshöfe – war sicher eine sehr bedeutende. Es war ein sehr erfolgreicher Schritt.

Die Entwicklung ist eine sehr positive, auch wenn sich das bei meinem Vorredner nicht so dargestellt hat. Sie setzt sich auch im dritten Jahr so fort, obwohl die Zahl der neuen Fälle im Jahr 2016 wieder deutlich angestiegen ist und obwohl im Bericht auch klar zum Ausdruck kommt, dass der Verwaltungsgerichtshof vor dem Hintergrund der Bud­getrestriktionen die Grenzen seiner Arbeitskapazitäten erreicht hat. Ohne eine entspre­chende Aufstockung der personellen und finanziellen Ressourcen besteht die Gefahr, dass dieses Gericht seine Aufgaben nicht mehr in optimaler Weise erfüllen kann, wo­durch auch der Erfolg der Reform infrage gestellt wird.

Im ersten Quartal 2017 hat übrigens die Zahl der neuen Fälle erstmals die Erledigungs­zahl übertroffen, es wird also vor einem Rückstand und von einer Verlängerung der Ver­fahrensdauer gewarnt. Es wird auch deutlich in diesem Bericht darauf hingewiesen, dass die Möglichkeiten der internen Effizienzsteigerung inzwischen erschöpft sind. Ich glau­be, dass das durchaus eine wichtige Frage ist, mit der man sich wird beschäftigen müs­sen, und dass es zu personeller und auch finanzieller Aufstockung kommen muss.

Das Ganze nun solcherart auf die Asylverfahren abzuwälzen, wie das mein Vorredner getan hat, halte ich wirklich für unstatthaft, denn der Zugang zum Rechtssystem muss


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unabhängig von der Herkunft einer Person gewährleistet sein. Ich kann ja auch kein The­ma daraus machen, dass es in der Bevölkerung 0,2 Prozent Querulanten gibt, die im Vergleich zu anderen Menschen das Rechtssystem wohl über Gebühr belasten.

Das heißt folglich – auch im Zuge der Diskussion über Menschenrechte und die Be­deutung der Menschenrechte, die wir geführt haben –, dass es keine Frage sein kann, dass in korrekter Weise verfahren werden muss. Es ist keine Sache der Herkunft, wie diese Verfahren abgeführt werden, denn es gibt dazu gesetzliche Rahmenbedingungen, die eingehalten werden müssen.

Natürlich ist es ein Problem, denke ich, wenn es gerade im Bereich der Asylverfahren zu Schwierigkeiten im personellen Bereich kommt. Wir haben zurzeit die Situation, dass für viele der Erstinterviews beziehungsweise für die Eingänge in die Verfahren aufgrund fehlender personeller Ressourcen Personal mit sehr geringer Qualifikation herangezo­gen wird. Das sind teilweise nur Maturanten ohne wirkliche zusätzliche Ausbildung, die diese Interviews und die Datenfeststellungen vornehmen. Um das Personal aufzustocken, wird zum Beispiel in Handelsakademien rekrutiert.

Ich denke, dass wir auch im Vorfeld Probleme haben, die dann dazu führen, dass beim Verwaltungsgerichtshof so viele Fälle anhängig werden. Ich glaube auch, dass es ein Problem ist, wenn Menschen nach fünf Jahren erfolgreicher Integration abgeschoben werden, wenn diese Menschen nicht bleiben können, in die ja auch viel investiert wor­den ist.

Eine Verfahrensverkürzung und eine Verbesserung der Verfahren ist, denke ich, auf al­len Stufen anzustreben – sowohl für die Menschen, die auf der Suche nach Schutz und Hilfe hierherkommen, als auch im Sinne des Rechtssystem, das wir haben, und auch im Sinne dessen, was in diese Menschen investiert wird und was ihnen als Hilfe ange­boten wird.

Ich denke, der Bericht zeigt deutlich, dass diese Reform eine Erfolgsgeschichte ist, dass im Verwaltungsgerichtshof ausgezeichnet gearbeitet wird, und zwar unter wirkli­cher Ausschöpfung und Ausnutzung der Effizienzpotenziale, die es intern gibt. Ich glau­be aber, dass es notwendig sein wird, personell wie finanziell entsprechend nachzurüs­ten beziehungsweise sich an die Situation anzupassen, um diese Erfolgsgeschichte wei­terzuschreiben. – Wir werden dem Bericht sehr gerne zustimmen. (Beifall bei Grünen und SPÖ.)

14.11

14.11.54

 


Vizepräsident Mag. Ernst Gödl: Weitere Wortmeldungen liegen dazu nicht vor.

Wünscht noch jemand das Wort? – Das ist nicht der Fall. Die Debatte ist geschlossen.

Wir gelangen nun zur Abstimmung.

Ich ersuche jene Bundesrätinnen und Bundesräte, die dem Antrag zustimmen, den ge­genständlichen Bericht zur Kenntnis zu nehmen, um ein Handzeichen. – Das ist die Ein­stimmigkeit. Der Antrag ist somit angenommen.

14.12.145. Punkt

Beschluss des Nationalrates vom 20. September 2017 betreffend ein Bundesge­setz, mit dem das Einkommensteuergesetz 1988, das Körperschaftsteuergesetz 1988 und das Studienförderungsgesetz 1992 geändert werden (2280/A und 1769 d.B. so­wie 9889/BR d.B.)

6. Punkt

Beschluss des Nationalrates vom 20. September 2017 betreffend ein Bundesge­setz, mit dem das Wohnbauförderungsbeitragsgesetz 2018 erlassen wird und das


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Bundesgesetz über die Einhebung eines Wohnbauförderungsbeitrages sowie
das Finanzausgleichsgesetz 2017 geändert werden (2269/A und 1770 d.B. sowie 9890/BR d.B.)

 


Vizepräsident Mag. Ernst Gödl: Wir gelangen nun zu den Punkten 5 und 6 der Ta­gesordnung, über welche die Debatte unter einem durchgeführt wird.

Berichterstatter zu beiden Punkten ist Herr Bundesrat Weber. – Ich bitte um die Be­richte.

 


14.12.58

Berichterstatter Martin Weber: Herr Präsident! Sehr gerne berichte ich aus dem Fi­nanzausschuss, zuerst über den Beschluss des Nationalrates vom 20. September 2017 betreffend ein Bundesgesetz, mit dem das Einkommensteuergesetz 1988, das Körper­schaftsteuergesetz 1988 und das Studienförderungsgesetz 1992 geändert werden.

Der Bericht liegt Ihnen in schriftlicher Form vor, ich komme daher sogleich zur Antrag­stellung.

Der Finanzausschuss stellt nach Beratung der Vorlage am 3. Oktober 2017 mit Stim­meneinhelligkeit den Antrag, gegen den vorliegenden Beschluss des Nationalrates kei­nen Einspruch zu erheben.

Ich erstatte zudem den Bericht des Finanzausschusses über den Beschluss des Natio­nalrates vom 20. September 2017 betreffend ein Bundesgesetz, mit dem das Wohn­bauförderungsbeitragsgesetz 2018 erlassen wird und das Bundesgesetz über die Ein­hebung eines Wohnbauförderungsbeitrages sowie das Finanzausgleichsgesetz 2017 ge­ändert werden.

Der Bericht liegt Ihnen ebenso in schriftlicher Form vor, ich komme daher ebenfalls so­gleich zur Antragstellung.

Der Finanzausschuss stellt nach Beratung der Vorlage am 3. Oktober 2017 mit Stim­menmehrheit den Antrag, gegen den vorliegenden Beschluss des Nationalrates kei­nen Einspruch zu erheben.

 


Vizepräsident Mag. Ernst Gödl: Ich danke für die Berichterstattung.

Wir gehen in die Debatte ein.

Als Erste ist Frau Bundesrätin Dr. Reiter zu Wort gemeldet. – Bitte.

 


14.14.38

Bundesrätin Dr. Heidelinde Reiter (Grüne, Salzburg): Erstrednerin zu sein, ist eine sehr ungewohnte Position für mich, weil normalerweise meine Vorredner bereits die Lage er­klärt haben, wodurch ich mich immer auf die Punkte beschränken kann, die von unse­rer Seite kritisiert werden. (Allgemeine Heiterkeit. – Zwischenruf des Bundesrates Krusche.)

Wir stimmen den redaktionellen Änderungen im Einkommensteuergesetz und im Kör­perschaftsteuergesetz zu, auch stimmen wir der Nachbesserung des Studienförderungs­gesetzes zu, weil dadurch rund 300 Studierenden nun doch der Zugang zum Selbster­halterstipendium möglich wird.

Gott sei Dank wurde dieses Selbsterhalterstipendium ja angehoben, was aber zur Fol­ge hat, dass man in den Jahren davor mehr verdient haben muss, um das Anrecht auf dieses Selbsterhalterstipendium zu bekommen. Um die Übergangsfrist zu verlängern, weil vielleicht viele doch hinsichtlich ihrer Lebensplanung in der Vorbereitung auf die­ses Stipendium von den neuen Schwellen eher überrascht sind beziehungsweise sonst hinausfallen würden, erfolgt nun diese Änderung. Wir halten es, wie gesagt, für gut, dass es diesbezüglich zu einer deutlichen Verbesserung für 300 Studienwillige kommt. Dem Tagesordnungspunkt 5 werden wir also zustimmen.


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Zum Tagesordnungspunkt 6: Es kommt zu einer Änderung des Finanzausgleichsgeset­zes, nämlich zur Umsetzung der Verländerung des Wohnbauförderungsbeitrages. Ab Jänner können die Länder die Höhe des Tarifs festlegen, und sollten sie das nicht tun, bleibt die derzeitige Regelung vorläufig in Kraft.

Ich möchte dazu eigentlich ganz persönlich sagen, dass dieses Schauspiel, die Vor­gänge rund um den neuen Finanzausgleich für mich die größte Enttäuschung meiner Arbeit im Bundesrat waren. Erlitten habe ich ja den Finanzausgleich schon als kleine, unbedeutende Kommunalpolitikerin durch viele Jahre, und auch in der Landespolitik.

Ich habe wie viele andere doch viel Hoffnung in den Konvent zur Bundesstaatsreform gesetzt, bei dem zwei Jahre lang wirklich viel Hirnschmalz investiert wurde, bei dem un­zählige Expertengutachten gemacht wurden – es gibt zur Reform des Bundesstaates Rechnungshofberichte, Vorschläge und so weiter, die inzwischen wahrscheinlich ganze Zimmer füllen.

Was nun aber bei der Neuverhandlung des Finanzausgleichs herausgekommen ist, der doch eigentlich Dreh- und Angelpunkt einer Bundesstaatsreform ist, das ist nicht ein­mal das berühmte Mäuslein des kreißenden Bergs, sondern bestenfalls ein Floh oder ein Flatus. (Zwischenruf des Bundesrates Novak.)

Was wurde denn aus dem Einstieg in den Umstieg? (Zwischenruf bei der ÖVP.) Was ist geblieben? (Bundesrat Schennach: Die Gemeinden sind zufrieden!) – Nein, sind sie nicht. Wenn man sich bei der Umsetzung zum Beispiel die aufgabenorientierte Kin­derbetreuung ansieht (Bundesrat Schennach – auf Bundesrat Novak deutend –: Aber da ist ein Bürgermeister ...!): Diese sollte bis 1. September 2017 einvernehmlich vorbe­reitet werden – es bräuchte eine Verordnung – und dann ab 1. Jänner 2018 starten. (Bundesrat Novak: Alles werden wir nicht schaffen!) Die Verordnung gibt es nicht, die Artikel-15a-Vereinbarung in diesem Bereich wurde nun mit viel Krampf und weniger Mit­teln für ein Jahr fortgesetzt. Das heißt also, die Planungsgrundlage für die Gemeinden ist eine Katastrophe.

Oder die Grundsteuerreform: Es wurde vereinbart, dass es bis Mitte des Jahres 2017 eine Arbeitsgruppe gibt, die diese Reform vorbereiten und sich mit der Stärkung der Abgabenautonomie der Gemeinden befassen soll. Wissen Sie etwas davon? Gibt es das? (Zwischenrufe bei ÖVP und SPÖ.) – Na alles, viel mehr wurde ja nicht vereinbart, mehr haben wir nicht!

Und nun kommen wir zur Verländerung der Wohnbauförderung, die nun als erster wichtiger Schritt in der Bundesstaatsreform umgesetzt wird. Was bleibt denn davon an politischen Zielen übrig? – Es bleibt die Belastung der Lohnkosten, bei der wir uns, glau­be ich, alle einige sind – über viele Parteigrenzen hinweg –, dass man davon wegkom­men muss. Das bleibt.

Eigentlich müssten die Länder sie abschaffen (Heiterkeit der Rednerin), sozusagen ge­gen null fahren, und dafür die politische Verantwortung übernehmen, aber natürlich auch den finanziellen Verlust. Sie unterschiedlich festzulegen, wäre auch ein ziemlicher Hum­bug, glaube ich – was eigentlich jeder einsieht, denn Unternehmen arbeiten ja auch über Ländergrenzen hinweg –, und hätte eine ziemliche Verkomplizierung des Ganzen zur Folge.

Die Verwaltung der ganzen Geschichte bleibt gleich. Es gibt nach wie vor keine Zweck­bindung, also können die Länder die Mittel nach wie vor auch zur Budgetsanierung oder zum Spekulieren verwenden, aber es ist im Paktum vereinbart worden, dass die Län­der jetzt zweijährige Wohnbauprogramme mit einer verbindlichen Wohnbauleistung er­stellen und dafür ausreichend Mittel binden. Das heißt, sie werden noch mehr gegän­gelt als bisher. (Heiterkeit des Bundesministers Schelling.)


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Für mich stellt sich die Frage: Was passiert, wenn diese Bindungsvereinbarung nicht eingehalten werden kann oder nicht eingehalten wird oder wenn diese Zahlen vonsei­ten der Länder möglichst tief angesetzt werden, aufgrund welcher Vorgaben werden die­se Pläne entwickelt?

Ich bin glühende Föderalistin, ich glaube, dass diese Frage der Subsidiarität nicht nur innerhalb Österreichs, sondern gerade auch innerhalb der EU einer der wesentlichen Punkte ist, um mit der Kooperation im Ganzen auch größere Räume und größere Ge­meinschaften zur Kooperation zu bewegen. Wenn sich die Fortschritte in solchen Re­gelungen erschöpfen oder das alles ist, was dabei herauskommt, ist das viel zu wenig.

Die Hoffnung, dass wir auf diesem Gebiet Besseres erreichen und auch besser han­deln und die Kooperation auf bessere Grundlagen stellen können, stirbt zuletzt, aber die­ser Punkt lässt die Hoffnung ziemlich im Koma und belebt sie nicht wirklich.

Wir werden der Verländerung der Wohnbauförderung in dieser Form nicht zustimmen. – Danke. (Beifall bei den Grünen.)

14.22


Vizepräsident Mag. Ernst Gödl: Als Nächstem darf ich Herrn Bundesrat Dr. Brunner das Wort erteilen. – Bitte, Herr Bundesrat.

 


14.22.12

Bundesrat Dr. Magnus Brunner, LL.M (ÖVP, Vorarlberg): Hohes Präsidium! Sehr ge­ehrter Herr Bundesminister! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Kollegin Reiter hat positiv und richtig die Änderungen im Einkommensteuergesetz – Punkt 5 der Tagesordnung – dargelegt, deshalb kann ich mich auf den zweiten Punkt, den sie nicht so positiv gefun­den hat, konzentrieren.

Erstens: Bei dem, was du zur Zweckbindung und zur Gängelung gesagt hast, habe ich den Zusammenhang nicht ganz verstanden. Du hast auf der einen Seite gesagt, du wärst für eine Zweckbindung, aber du glaubst, dass ohne die Zweckbindung eine Gän­gelung der Länder besteht – da hast du dich vielleicht auch versprochen, das kann na­türlich durchaus sein.

So schlecht ist der Finanzausgleich erstens weder für die Gemeinden noch für die Län­der gewesen, und zweitens ist, glaube ich, auch diese Beschlussfassung heute zu den Wohnbauförderungsmitteln eigentlich ein sehr bedeutender Schritt für die Länder hin zu mehr Autonomie im Finanzbereich, im Steuerbereich insgesamt. Die Länder werden ab 2018 ermächtigt, diesen Wohnbauförderungsbeitrag autonom festzusetzen und auch einzuheben. Wir fordern seit ewigen Zeiten mehr Autonomie in diesem Bereich.

Der heutige Beschluss ist auch aus Sicht aller Länder toll, nachdem in den letzten Jah­ren in dem Bereich sukzessive immer mehr Kompetenzen an die Länder gegangen sind, und daher ist die Verländerung der Beiträge eigentlich ein logischer Schritt, der auch in diese Richtung geht. (Bundesrat Schennach: Und wie oft ... in Vorarlberg ...?) – Dazu komme ich gleich, ich werde gleich sagen, was wir in Vorarlberg noch machen werden, zumindest was ich glaube, wenn ich die Gespräche mit dem Landeshauptmann richtig interpretiere.

Ich denke, dass diese Weichenstellung heute eine vorsichtige Hinwendung zu mehr Steuerautonomie der Länder ist. Wir haben das heute Früh ja auch schon intensiv mit dem Herrn Landeshauptmann diskutiert. Das ist ein Einstieg in den Umstieg in diesem Bereich. (Zwischenruf des Bundesrates Stögmüller.) – Wir können gerne nachher, Da­vid, noch intensiver darüber reden, oder du kommst selber noch heraus.

Ich möchte nur zwei prinzipielle Sätze zur Steuerhoheit der Länder sagen, denn es geht dabei nicht darum, einen ruinösen Steuerwettbewerb in Gang setzen zu wollen. Eine Steuerautonomie wäre eigentlich zumindest aus Sicht meines Bundeslandes viel-


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mehr eine Chance für einen gesunden Wettbewerb unter den Ländern. Auch das, die­sen Wettbewerbsföderalismus, haben wir heute Früh ja schon intensiv diskutiert.

Wer die eigenen Gestaltungsspielräume optimal nützt, der wird ja auch die Verwal­tungskosten in dem Bereich hoffentlich so niedrig wie möglich halten, und im besten Fall wäre es dann ein Wettbewerb um die besten Ideen und auch um die größte Inno­vationskraft in diesem Staat. Ich sehe dabei nichts Schlechtes. Man muss aber bei dem heutigen Beschluss auch ein wenig die Kirche im Dorf lassen. Um welches Volumen geht es denn da? – Dieser steuerliche Kompetenzzuwachs, den wir heute haben, ist für die Länder ja nicht wirklich überzubewerten, wenn man ehrlich ist. Was Vorarlberg betrifft: Bei einem Landeshaushalt von 1,7 Milliarden € geht es bei der Wohnbauförde­rung gerade einmal um 50 Millionen €, also man muss da schon ein bisschen die Kir­che im Dorf lassen, aber es ist trotzdem die richtige Entscheidung, den Ländern auf die­sem Gebiet mehr Verantwortung zu übertragen. Die Länder sind, glaube ich, auch be­reit dazu, mehr Verantwortung zu übernehmen, wir fordern sie auch dauernd, und wa­rum sollten wir diesen Schritt dann nicht positiv bewerten?!

Zum Wohnbauförderungsbeitrag: Er liegt bei 1 Prozent der Bemessungsgrundlage der Sozialversicherung, Sie wissen das alle, Arbeitgeber und Arbeitnehmer kommen eben mit je 0,5 Prozent dafür auf. Ich kann mir – und jetzt komme ich zur Antwort, was Vor­arlberg machen wird – natürlich nicht vorstellen, dass es zu einer Erhöhung dieses Bei­trags kommt – keinesfalls, das schließe ich aus –, und auch eine Senkung muss natür­lich gut durchdacht sein, weil wir, zumindest in Vorarlberg, jeden Cent für die Wohn­bauförderung und damit die Sicherung von leistbarem Wohnen benötigen. So schnell wird es da zu keiner Änderung kommen – um die Frage des Kollegen Schennach di­rekt zu beantworten.

Ich glaube aber, mit dem Thema leistbares Wohnen behandeln wir ein wichtiges Zu­kunftsthema. Wohnbauförderung ist Ländersache, und konsequenterweise werden die Länder jetzt mit diesem Beschluss auch bei der Finanzierung in die Verantwortung ge­nommen. Das ist gut so, und man kann das, glaube ich, schon als eine Art Meilenstein, einen weiteren Meilenstein in der österreichischen Steuergeschichte sehen. – Danke. (Beifall bei ÖVP und SPÖ.)

14.27


Vizepräsident Mag. Ernst Gödl: Als Nächster zu Wort gelangt Herr Bundesrat Lindin­ger. – Bitte, Herr Bundesrat.

 


14.27.38

Bundesrat Ewald Lindinger (SPÖ, Oberösterreich): Herr Präsident! Herr Bundesmi­nister Schelling! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Zum Tagesordnungspunkt 5 ist schon fast alles gesagt. Man kann ja die Studentinnen und Studenten nicht vor den Kopf sto­ßen und sagen: Weist uns das Einkommen der letzten vier Jahre nach, und ist es zu nied­rig, fallt ihr um das Stipendium um.

Darum ist das Inkrafttreten vom Studienjahr 2018 auf das Studienjahr 2019 verschoben worden, damit sich die betroffenen Stipendienempfänger danach richten und darauf ein­stellen können. Das ist auch gut so. Immerhin waren um die 300 Studentinnen und Stu­denten betroffen und wären von einem Stipendium ausgeschlossen gewesen.

Bei der Verländerung des Wohnbauförderungsbeitrags muss man schon vorsichtig sein, denn Wohnen wird ja immer teurer. Dem hat ja auch gestern der Nationalrat Rechnung getragen und die Abschaffung der Vertragsgebühr beschlossen. Das bringt jedem Woh­nungsmieter eine Verbesserung von circa 200 bis 300 €.

Es wäre aber möglich, dass man in den Ländern vielleicht sogar das Niveau der Woh­nungen herunterschraubt, dass nicht mehr überall ein Lift vorhanden sein muss, man


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die Barrierefreiheit etwas anders auslegt und, und, und, also alles, was dem Mieter zu­gutekommt. In Oberösterreich spüren wir schon, dass das Wohnen teurer wird. Was die Wohnbeihilfe betrifft, so wird nicht die Beihilfe angehoben, sondern die Kriterien, dass man Wohnbeihilfe erhält, sind verschärft worden, und da zahlen hauptsächlich Stu­dentinnen und Studenten, Alleinerzieherinnen und Alleinerzieher drauf, die dann keine Wohnbeihilfe mehr bekommen; das wirkt sich ganz, ganz stark auf jene Gruppen aus, die die Wohnbeihilfe brauchen.

Gerade im Hinblick auf jene müssen wir aber ganz genau aufpassen, was mit diesem Wohnbauförderungsbeitrag in Zukunft geschieht. Auch wenn alle zwei Jahre ein Wohn­bauprogramm vorgelegt werden muss, damit auch die Länder nachweisen, was mit die­sem Geld geschieht, kann der Bund nicht die Kriterien festlegen und ihnen sagen, was zu machen ist. Darauf müssen wir in den Ländern ganz genau schauen und aufpas­sen, was mit dem Geld geschieht. (Zwischenruf des Bundesrates Stögmüller. – Bun­desrätin Mühlwerth: In Wien zum Beispiel könnten wir schauen!)

Oder: Wenn immer gesagt wird, wir schrauben die Steuern herunter, könnte es sein, dass man vielleicht auch daran denkt, den Wohnbauförderungsbeitrag zulasten des Wohn­baus herunterzuschrauben. Wir wissen, dass es sehr viele Wohnungssuchende gibt. Im Zentralraum, in Linz und auch rund um die Städte brauchen wir neue Wohnungen. Aufgrund alter Wohnbauförderungsgesetze ist es so, dass alte Wohnungen teurer als neue sind; auch durch den Annuitätensprung werden alte Wohnungen teuer.

Das Kuriose ist, dass Personen, Familien in neue Wohnungen einziehen und die alten Wohnungen leer stehen. Das ist ein Problem der Genossenschaften, das ist ein Pro­blem im mehrgeschossigen Wohnbau, dass Familien, junge Menschen in neue Woh­nungen einziehen und es gerade im ländlichen Raum in diesem Bereich einen großen Leerstand gibt. Gerade Wohnungen um die 70, 80, 90 Quadratmeter kann sich nie­mand mehr leisten. Die Mieter sehen sich veranlasst, andere Wohnungen zu beziehen. Das sieht man auch bei den Wohnungsübergaben, die jetzt aufgrund des Wohnbaus stattfinden. Ich spüre es auch in meiner Gemeinde. Ich habe vor Kurzem vier Häuser übergeben, in die fast ausschließlich Personen aus anderen Mietwohnungen eingezo­gen sind, weil die Wohnungen günstiger werden. Jetzt haben wir das Problem, dass die großen alten Wohnungen mit einem vielleicht nicht mehr so guten Standard teurer sind als die neuen. (Ruf bei der SPÖ: BUWOG!)

Gerade da sind die Länder und die Landeswohnbaureferenten gefordert, das Geld viel­leicht auch dafür zu verwenden, dass in Zukunft die Wohnungen, die jetzt bestehen, billiger für die jungen Menschen, für die Familien werden. Gerade deshalb ist es sehr wichtig, dass wir darauf schauen, was bei der Verländerung des Wohnbauförderungs­beitrags geschieht. Es kann auch sein, dass in einigen Ländern das Geld anders ver­wendet wird, was ja auch positiv sein kann.

Geschätzte Kolleginnen und Kollegen, ich halte es für gut, dass wir gemeinsam darauf schauen, dass das Geld nicht zweckentfremdet, sondern zweckgebunden für den Wohn­bau verwendet wird, und darum stimmen wir auch zu. (Beifall bei der SPÖ.)

14.33


Vizepräsident Mag. Ernst Gödl: Nächster Redner ist Herr Bundesrat Pisec. – Bitte, Herr Bundesrat.

 


14.33.43

Bundesrat Mag. Reinhard Pisec, BA (FPÖ, Wien): Sehr geehrter Herr Präsident! Sehr geehrter Herr Bundesminister! Sehr geehrte Damen und Herren! Da werden zwei Gesetze unter einem behandelt, von denen eines mit dem Finanzministerium im Grun­de überhaupt nichts zu tun hat; das gehört eigentlich zum Bundesminister für Wissen­schaft und Forschung, der sich mit Universitäten und Studierenden beschäftigt. Es ist


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nur deswegen hier gelandet, weil es ein Reparaturgesetz in letzter Minute ist, da man sich im Frühjahr, als die Novelle des Studienförderungsgesetzes beschlossen wurde, offensichtlich keine genauen Gedanken gemacht hat.

Es ist auch ein Beispiel für eine rückwirkende Gesetzesänderung; so etwas lehnen wir von der FPÖ generell ab, weil das unfair ist. Es ist ein rückwirkendes Gesetz, bei dem es eben zu Fehlern gekommen ist, aber dazu komme ich später.

Ich komme nun zum zweiten jetzt zur Debatte stehenden Tagesordnungspunkt, näm­lich zum Wohnbauförderungsgesetz. Es betrifft die Lohnzusatzkosten, die ja einen Teil der Abgabenquote ausmachen, die in Österreich insgesamt bereits 47 Prozent beträgt. Es wird immer von 43 Prozent gesprochen, aber es sind 47 Prozent. 3 bis 4 Prozent sind für die Finanz bereits uneinbringlich, da die Belastung dermaßen hoch ist.

Es ist ein Rucksack von einem Prozent, den je zur Hälfte die Unternehmer tragen müs­sen, die andere Hälfte wird von den Mitarbeitern getragen. Mit diesem Rucksack muss man vorsichtig umgehen, denn der Beitrag soll natürlich zweckgewidmet eingesetzt wer­den. Das wäre unser Wunsch gewesen.

Dieses Wohnbauförderungsgesetz ist aber trotzdem ein Gesetz, dem wir zustimmen können, weil das der Beginn der Steuerautonomie ist und wir sehr wohl den Wettbe­werb im Visier haben. Herr Kollege Brunner sagte, es solle kein desaströser Wettbe­werb sein. – Also davon sind wir bei einer Abgabenquote von 47 Prozent meilenweit ent­fernt! Von einem desaströsen Wettbewerb zu sprechen beginne ich vielleicht bei 30 Pro­zent – das ist die heutige Position der Schweiz –, da gibt es also noch jede Menge Spiel­raum. (Bundesrat Brunner: Innerhalb der Länder, meine ich!)

Es ist ein guter Beginn, wenn der Steuerwettbewerb auch in diesem Sinne geführt wird, aber ich bin da schon ein bisschen skeptisch, denn darin könnte implizit auch eine Steu­er- oder Abgabenerhöhung liegen, da die Länder das Recht hätten, mit einem gemein­samen Beschluss etwa der Landeshauptleutekonferenz – das ist ja praktisch eine infor­melle Institution ohne Verfassungsrang, eine Art Kartell, würde ich einmal meinen – ei­ne gemeinsame Erhöhung über dieses kleine Österreich mit seinen insgesamt neun Bun­desländern hinweg zu beschließen. (Bundesrat Brunner: Wer hat denn gesagt, dass Vor­arlberg das nicht macht?)

Da muss man schon Vorsicht walten lassen, wie sich das entwickelt, denn der Wettbe­werb in Österreich ist im Allgemeinen ein Problem, da die Wettbewerbsbehörde – das betrifft jetzt nicht diesen Fall – nicht gerade sehr marktgerecht eingreift, siehe Lebens­mittelhandel. Die Teuerungsraten werden in erster Linie von diesen Supermarktketten ge­speist, wobei in Österreich praktisch der gesamte Lebensmittelhandel auf nur drei Ket­ten aufgeteilt ist. Daher ist es kein Wunder, dass wir dermaßen hohe Lebensmittelprei­se haben.

Zum Thema Bürokratie, weil es Landeshauptmann Wallner erwähnt hat und dabei, wie schon mein Kollege Längle richtig gesagt hat, ziemlich unkonkret gewesen ist: Ich möchte das einmal konkretisieren. Bürokratie bedeutet in erster Linie Zeitaufwand und Kosten, aufgewendete Zeit für Tätigkeiten, die man für etwas anderes produktiver verwenden könnte, und Kosten – und das in erster Linie – für die Berechnung dieser Lohnzusatz­kosten.

Insgesamt 14 Lohnnebenkosten – ich würde sie eher mit dem Begriff Arbeitskosten be­zeichnen – werden vom Unternehmer berechnet. Der Finanzminister fühlt sich wohl, wenn das Geld hereinkommt, aber die Berechnung – die Kosten, die Gebühren – leis­ten die Unternehmer, auch die Mitarbeiter. Lohnverrechner ist mittlerweile ein eigener Beruf geworden, der extrem kompliziert ist. Steuerberater finden gar nicht mehr so leicht Lohnverrechner, weil sich mit diesem Wust von Gesetzen auch niemand mehr beschäftigten möchte, obwohl man sich damit beschäftigen muss. In der Verrechnung


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passieren auch permanent Fehler – keine bewussten Fehler, sondern unabsichtliche Fehler –, weil das Ganze einfach viel zu komplex ist. Da würden wir von der FPÖ uns endlich eine Steuerbereinigung im Sinne einer Vereinfachung wünschen, und da rede ich noch nicht einmal von einer Senkung, sondern von einer Vereinfachung – einfache Gesetzestexte, einfache Berechnung – und Zusammenlegung der abzuführenden Posi­tionen, um nicht 14 verschiedene Positionen berechnen zu müssen.

Oft wird auch über die Gegenverrechnung gesprochen. Wir von der FPÖ fordern, Steu­ern und Abgaben zu senken. Wie wird das gegenverrechnet? – Dazu gibt es verschie­dene Modelle. Ich will jetzt nicht den Rechnungshof mit den über 600 Vorschlägen zi­tieren. Sehr geehrter Herr Finanzminister, auch Ihre Finanztransaktionssteuer halte ich für ein vollkommen falsches Signal an den Finanzmarkt Österreich, der dermaßen dar­niederliegt, dass die Unternehmer praktisch kein Working Capital mehr bekommen kön­nen.

Ich denke allein an den Umsatzsteuerbetrug – das ist keine Steuerhinterziehung, das ist ein waschechter Betrug! Da werden über die Umsatzsteuerverrechnung 20 Prozent – um das österreichische Niveau zu nehmen – an Steuer eingenommen und nicht an das Finanzamt abgeführt. Europol berechnet das mit sage und schreibe 100 Milliarden €, die allen Volkswirtschaften in ganz Europa entgehen.

Wenn ich als Maßstab den österreichischen Anteil am europäischen BIP, der 3,25 Pro­zent beträgt, hernehme, wären dies allein für Österreich 3,25 Milliarden €, die durch den Umsatzsteuerbetrug entgehen. Sehr geehrter Herr Finanzminister, da würde ich mir wün­schen, dass man sich in Europa nicht für die Finanztransaktionssteuer einsetzt, die ja nichts anderes als eine Börsenumsatzsteuer ist, sondern dafür, diesen Umsatzsteuer­betrug mit einem anderen Modell, zum Beispiel dem Reverse Charge System hintanzu­halten und zu versuchen, diesem Betrug entgegenzuwirken und die Gegenfinanzierung für einen Teil sicherzustellen. Faktum ist, dass wir eine ganz klare Lohnzusatzkosten­senkung wollen.

Zum zweiten Punkt, zum Studienförderungsgesetz: Es wurde im Frühjahr beschlossen, die Studienbeihilfe anzuheben, was natürlich löblich ist. Es gibt aber auch Selbster­halter – so im Alter zwischen 25 und 30 Jahren –, die bereits davor mindestens vier Jah­re gearbeitet haben und diesen Betrag vorweisen müssen, da sie Studienbeihilfe – die jetzt erhöht wurde – beziehen. Gleichzeitig wurde die Mindestzuverdienstgrenze rück­wirkend erhöht.

Jetzt haben sie aber in den vergangenen Jahren so viel mit ihrer Mindestarbeitsleis­tung verdient, damit sie diese Studienbeihilfe, die noch eine geringe war, erhalten kön­nen. Beides wurde angehoben, und jetzt fallen circa 300 Menschen durch den Rost. Das wurde hiermit behoben. Das hätte man aber, wenn man das Ganze aufmerksamer verfolgt hätte, durchaus gleich am Anfang korrekt machen können.

Es ist ja im Finanzministerium gelandet, weil es sich in der alten Legislaturperiode, die ja – Gott sei Dank – mit 15. Oktober endlich zu Ende geht – dann werden wir hoffent­lich von diesem schwarz-roten System befreit–, nicht mehr ausgegangen wäre, dies zeit­gerecht richtigzustellen. Daher ist es jetzt beim Finanzministerium gelandet, müsste aber eigentlich zum Wirtschafts- und Wissenschaftsministerium der ÖVP gehören.

Da darf ich gleich kurz zum Thema Universitäten kommen. Es ist ja interessant, dass Wirtschaft und Wissenschaft zusammengespannt wurden. Ich kann mich noch gut da­ran erinnern, als ich vor einem Jahr vom ehemaligen ÖVP-Obmann Mitterlehner ge­scholten worden bin – gescholten jetzt natürlich im diplomatischen Sinne –, weil ich ge­sagt habe, er hat dieses Institut für Österreichische Geschichtsforschung, das über hun­dert Jahre beim Bund gewesen ist, mit dem Argument der Kosten – um es so zu sa­gen – an die Universität zurückgegeben.


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Jetzt kommen wir weiter zu den Kosten. Es ist nur ein Detail am Rande, aber in diesem Zusammenhang möchte ich schon diese Einladung zu einem Workshop der Wirtschafts- und Währungsunion der EU im Haus der Europäischen Union in der Wipplingerstraße erwähnen. „Lesson learned from history“, von der Geschichte lernen – das sollte ein­mal die Bundesregierung, von der Geschichte lernen! Das ist in erster Linie auch Wirt­schaftsgeschichte.

Die Kausalität des Zusammenhangs, hohe Steuersätze, hohe Abgaben, hohe Gebüh­ren ist gleich niedriges Wirtschaftswachstum, hätte zumindest bei dieser Bundesregie­rung irgendwann einmal ankommen müssen. Was macht das Wirtschafts- und Wis­senschaftsministerium? – Das hat das Curriculum der Wirtschaftsgeschichte an der Uni­versität Wien vor einem Jahr einfach aufgelöst. Diesen Bildungsweg gibt es nicht mehr, den Herbert Matis genossen hat, den Ben Bernanke, der ehemalige Chef der Federal Reserve mit seiner Habilitation über die Wirtschaftsgeschichte der USA gemacht hat. Diese Ausbildung gibt es in Österreich nicht mehr.

Der Herr Wirtschaftsminister ist jetzt nicht da, aber vielleicht können Sie ihm das ver­mitteln, sehr geehrter Herr Finanzminister: Warum wird Wirtschaftsgeschichte an der Universität Wien abgeschafft? Das darf doch nicht wahr sein! Beispiel ist das Haus der Europäischen Union in der Wipplingerstraße, das sogar einen Workshop in diese Rich­tung macht. In Österreich kann man diesen Bildungsnachweis nicht mehr erbringen und diese Bildung nicht mehr genießen, und das ist sicherlich falsch. Offensichtlich wollen Sie, dass man aus der österreichischen Misswirtschaftsgeschichte der großen Koalition nichts lernt. Hoffentlich ist am 15. Oktober Schluss damit. – Danke. (Beifall bei der FPÖ.)

14.43


Vizepräsident Mag. Ernst Gödl: Als Nächster zu Wort gemeldet ist Herr Bundesrat Heger. – Bitte, Herr Bundesrat.

 


14.43.11

Bundesrat Peter Heger (SPÖ, Burgenland): Sehr geehrter Herr Präsident! Herr Minis­ter! Geschätzte Kolleginnen und Kollegen des Bundesrates! Werte Zuseher! Für mich als letztem Redner zu diesen Tagesordnungspunkten ist es – auch wenn in diesen zwei Tagesordnungspunkten insgesamt acht Gesetze geändert werden – ziemlich schwie­rig, noch etwas zu ergänzen. Zudem werden in diesen beiden Tagesordnungspunkten Gesetzesänderungen, beispielsweise im Einkommensteuergesetz, im Körperschaftsteuer­gesetz und im Stiftungseingangssteuergesetz, behandelt, die eigentlich ausschließlich technische Anträge sind und die Redaktionsversehen beseitigen.

Meine VorrednerInnen haben die vorliegenden Gesetzesänderungen schon, so meine ich, ausreichend kommentiert. Selbstverständlich gibt es – und das war auch im letzten Debattenbeitrag sehr deutlich – gerade in Vorwahlzeiten teilweise äußerst unterschiedli­che argumentative Ansätze. Ich möchte mich nochmals mit den Änderungen des Stu­dienförderungsgesetzes 1992 beschäftigen, denn eines der Kernstücke der Maßnah­men ist die Erhöhung der Einkommensgrenzen für das Selbsterhalterstipendium.

Ich denke, über die Voraussetzungen des Anspruchs auf ein Selbsterhalterstipendium wurde ebenfalls schon alles gesagt. Gestatten Sie mir daher nur ein paar Anmerkun­gen: Das seit 1992 nicht mehr überarbeitete Gesetz bringt ja mit den Änderungen der Höhe der Studienbeihilfe beispielsweise auch eine Neuberechnung der Bemessungs­grundlage mit sich. Anscheinend ist es wirklich so, dass gut Ding manchmal Weile braucht. Diesbezüglich wird nämlich eine deutliche und langjährige Forderung der Ös­terreichischen Hochschülerschaft, die Studienbeihilfe endlich zu erhöhen, wirklich erfüllt.

Jetzt werden tatsächlich absolut wichtige Schritte in die richtige Richtung gemacht. Mit dieser Novelle wird also ein kleiner, aber wichtiger Beitrag zur Verbesserung der Situa­tion der Studierenden geleistet, denn studieren darf kein Privileg sein, sondern muss ein


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Recht sein, das allen zusteht. Es muss das Ziel sein, den freien und offenen Hoch­schulzugang für alle, unabhängig vom sozialen Hintergrund, sicherzustellen.

Meine Fraktion wird den Beschlüssen des Nationalrates zustimmen, damit wir diesem Ziel, den freien und offenen Hochschulzugang für alle, unabhängig vom sozialen Hin­tergrund, sicherzustellen, auch tatsächlich diesen einen Schritt näher kommen. – Dan­ke. (Beifall bei der SPÖ.)

14.46


Vizepräsident Mag. Ernst Gödl: Nun darf ich zum Abschluss Herrn Bundesminister Dr. Schelling das Wort erteilen. – Bitte, Herr Minister.

 


14.46.07

Bundesminister für Finanzen Dr. Johann Georg Schelling: Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Ich habe nur ein paar kurze Anmerkungen. Zum Wohn­bau: Ich glaube, dass es richtig ist, dass wir diesen Verländerungsschritt gesetzt ha­ben. Es ist auch nicht so, dass wir die Länder ans Gängelband nehmen, sondern wir stellen durch dieses zweijährige Wohnbauprogramm sicher, dass die Mittel entspre­chend eingesetzt sind.

Einer der Gründe ist, dass man nur einen Teil der Mittel zweckwidmen hätte können. Wenn man aber verländert, dann hat der Bund kein Recht mehr, auf einer reinen Lan­desabgabe eine Zweckwidmung zu machen. Das ist jetzt Aufgabe der Landesregie­rungen. Frau Dr. Reiter, Sie beziehungsweise Ihre Fraktion sitzt ja in vielen Landesre­gierungen, und ich nehme doch an, dass Sie dort diese Anträge auch unterstützen wer­den. (Zwischenruf des Bundesrates Stögmüller.)

Zum Thema Finanzausgleich: Die Aufgabenorientierung für die Elementarpädagogik ist fertig. Vonseiten des Bundes sind wir nicht säumig, aber es gibt ein Bundesland, das nicht zustimmt – auch dort sitzen Sie mit in der Regierung –, das ist Wien, und es gibt Bedenken einzelner Städtebundvertreter und auch Vertreter des Gemeindebundes. Der Bund selbst aber hat das erarbeitet und ordnungsgemäß vorgelegt.

Diese Arbeitsgruppe, die Sie noch angesprochen haben, tagt selbstverständlich, aber da gibt es verfassungsmäßige Diskussionen über die Frage der Grundsteuer, wie man das gestaltet. Sie dürfen nämlich nicht vergessen, dass die Grundsteuer, so wie sie heute gestaltet ist, nur deshalb vom Verfassungsgerichtshof nicht gekippt wurde, weil es sich nach dessen Auffassung um eine Bagatellsteuer handelt. Würde sie verändert werden, ist es keine Bagatellsteuer mehr, und dann muss das gelöst werden. Diese Ar­beitsgruppe tagt also auch, ich bitte, das einfach so zur Kenntnis zu nehmen.

Ich bin mir jetzt nicht ganz sicher, zu welchen Tagesordnungspunkten Herr Bundesrat Pisec gesprochen hat, aber ich nehme das so mit. (Beifall bei der ÖVP.) Sie werden vielleicht wissen, wenn Sie sich schon mit Wirtschaftsgeschichte beschäftigen, dass Österreich bereits vor mehr als zehn Jahren den Antrag auf Reverse Charge gestellt hat. Sie werden vielleicht auch wissen, dass ich zu Beginn meiner Tätigkeit als Finanz­minister diesen Antrag in der Kommission erneuert habe. Sie werden auch wissen, dass wir das Thema Reverse Charge zur Vermeidung von Umsatzsteuerkarussellbetrug – um diesen geht es nämlich – tatsächlich als Pilotprojekt für zehn Jahre beantragt haben.

Warum steht das Ganze im Moment? – Das steht deshalb, weil die Kommission Re­verse Charge nicht will oder weil zumindest einzelne Kommissare es nicht wollen. Da­raus resultierend hat die Kommission einen Vorschlag gemacht, der völlig inakzeptabel ist, nämlich: Du kannst Reverse Charge einführen, wenn du nachweisen kannst, dass du 15 Prozent des Umsatzsteueraufkommens durch Karussellbetrug verlierst. Zweitens muss das auf drei Jahre befristet sein. Da bitte ich wirklich um Verständnis: Ich möchte keinem Unternehmen antun, nach drei Jahren das Umsatzsteuersystem wieder umzu-


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stellen. Der dritte Punkt ist, die Kommission kann das Verfahren jederzeit stoppen. Das sind Bedingungen, die ich, das werden Sie verstehen, nicht akzeptiere.

Nächste Woche wird ein neues Programm betreffend den Mehrwertsteuerbetrug in Verhandlung genommen. Die Kommission hat einen Vorschlag vorgelegt, der nächste Woche Montag, Dienstag im Zuge des ECOFIN in Luxemburg in Behandlung genom­men wird. Dass das ein Thema ist, das behandelt werden muss, ist überhaupt keine Frage, und ich wundere mich ja auch immer wieder, warum man sich da so schwertut. Ich glaube, dass die Bekämpfung des Mehrwertsteuerbetrugs auf allen Ebenen eine ganz wichtige Herausforderung ist. Ob die Zahlen stimmen, die da immer wieder kol­portiert werden, weiß niemand so genau, aber die Schätzungen gehen schon in viele Milliarden, die da verloren gehen.

Daher hoffe ich, dass die neue Mehrwertsteuerrichtlinie, die nächste Woche vorgestellt wird, tatsächlich zu einer Verbesserung der Betrugsbekämpfung führt. Ich möchte da­zusagen, auch andere Maßnahmen, die von Ihnen permanent kritisiert wurden, führen zur Bekämpfung des Mehrwertsteuerbetrugs in Österreich, und andere Länder werden da folgen.

Was die Frage des Wachstums anlangt, könnten wir auch das ein bisschen historisch betrachten. Sie stellen sich nun in Wahlkampfzeiten hierher und sagen, die Bundesre­gierung hätte nichts gemacht. Ja, natürlich entsteht Wachstum durch Unternehmen, die investieren. Dafür haben wir aber viel gemacht. Wir haben unter anderem eine Steuer­reform mit einer Tarifsenkung von 5 Milliarden € gemacht. Wir haben mehrere hundert Millionen Euro für kommunale Investitionsprogramme inklusive Förderprogramme für klei­ne und mittelständische Unternehmen ausgegeben, die große Nachfrage haben.

Wir sehen zum ersten Mal, dass wir bei allen drei Wachstumstreibern, nämlich beim Kon­sum, bei den Investitionen und beim Export, im Plus liegen, was am Ende des Tages da­zu führt, dass wir derzeit eine Prognose – möge sie denn auch eintreten, ich bin ja pro­gnosengeschädigt, wie ich immer sage – von 2,8 Prozent Wirtschaftswachstum haben. Das ist deutlich mehr als der europäische Durchschnitt, und es ist deutlich mehr als Deutschland hat.

Wir haben also schon die richtigen Maßnahmen und Signale gesetzt. Dass sie akzep­tiert wurden, ist ein Verdienst der Unternehmen, die diese Signale positiv in Konjunktur übersetzen. Ich glaube, dass es mit ein ganz entscheidender Punkt war, diese Signale als Impuls zu setzen. Es soll niemand behaupten, dass die Politik dafür sozusagen al­lein die Verantwortung trägt, aber die richtigen Maßnahmen scheinen wir gesetzt zu haben.

Daher möchte ich noch einmal kurz zum Wohnbauförderungsbereich zurückkommen. Ja, es ist der erste Schritt in dieser Verländerung. Ja, es gibt Regeln, die übrigens noch immer auf Bundesebene definiert werden. Es gibt keine rückwirkenden Maßnahmen – es darf innerhalb eines Jahres nicht geändert werden, es müssen die Dienstgeber- und Dienstnehmeranteile in gleicher Höhe aufrechterhalten bleiben.

Da gibt es Bundesregelungen, die wir einsetzen, aber ansonsten bin ich vollständig und vollkommen dafür, dass man diese Verländerung durchführt, denn wir müssen doch da­von ausgehen, dass in den neun Bundesländern völlig unterschiedliche Situationen im Wohnbau vorhanden sind. Städte und ländlicher Raum sind schon unterschiedlich, große und kleine Gemeinden sind unterschiedlich. Die Länder sollen diesbezüglich die notwen­digen Maßnahmen setzen.

Ich würde mich freuen, wenn das in den Bundesländern individuell behandelt wird. Der­zeit schaut es ja eher danach aus, dass man es einheitlich belässt. Ich darf aber noch einmal dazu sagen, das ist keine Entscheidung, die wir als Bundesregierung treffen.


BundesratStenographisches Protokoll872. Sitzung / Seite 120

Bei einer Verländerung ist das eine Entscheidung, die dann auf der Ebene der Länder getroffen wird. Da können Sie alle, auch als Vertreter der Länder, Einfluss darauf neh­men, wie das in Zukunft gehandhabt wird. Das ist ja der Sinn und Zweck dieser Kom­petenzverschiebung vom Bund zu den Ländern. Ich glaube, dass das ein guter und richtiger Schritt ist, und bedanke mich bei allen, die den Anträgen zustimmen.

Sie haben natürlich vollkommen recht, die Stipendienfrage wird hier behandelt, obwohl sie nicht mein Ressort betrifft. Wir haben das gestern auch im Finanzausschuss des Nationalrates gehabt, wo ein Antrag, der heute schon erwähnt wurde, hereingekommen ist, nämlich in der Frage der Vergebührung von Mietverträgen, die eigentlich dem Bau­tenausschuss zugewiesen ist. Da aber der Bautenausschuss nicht mehr tagt, darf sich der Finanzausschuss damit befassen.

Ich mache darauf aufmerksam, dass wir außer im Finanzausschuss dazu noch keine Beschlüsse haben, weil noch die Rechtsfrage zu klären ist, ob das verfassungsrecht­lich überhaupt geht, dass man zwischen privaten und gewerblichen Mietverträgen split­tet. Ich darf nur darauf hinweisen, dass wir von ungefähr 140 Millionen € Entfall an Ge­bühren reden, sollte die gesamte Gebühr fallen. Würde man es nur auf den privaten Wohn­bereich beschränken, ist das natürlich weniger.

Wir werden also sehen, was der 12. Oktober noch an Beschlüssen bringt, und dann wer­den wir weitersehen, wie die Umsetzung erfolgt. Im Gegensatz zu Ihnen bin ich zuver­sichtlich, dass wir nach dem 15. Oktober die richtigen Entscheidungen treffen werden. (Beifall bei der ÖVP und bei Bundesräten der SPÖ.)

14.54


14.54.20

Vizepräsident Mag. Ernst Gödl: Weitere Wortmeldungen liegen dazu nicht vor.

Wünscht noch jemand das Wort? – Das ist nicht der Fall. Die Debatte ist geschlossen.

Die Abstimmung erfolgt getrennt.

Wir kommen zunächst zur Abstimmung über den Beschluss des Nationalrates vom 20. September 2017 betreffend ein Bundesgesetz, mit dem das Einkommensteuerge­setz 1988 und weitere Gesetze geändert werden.

Ich ersuche jene Bundesrätinnen und Bundesräte, die dem Antrag zustimmen, gegen den vorliegenden Beschluss des Nationalrates keinen Einspruch zu erheben, um ein Handzeichen. – Dies ist die Einstimmigkeit. Der Antrag ist somit angenommen.

Nun kommen wir zur Abstimmung über den Beschluss des Nationalrates vom 20. Sep­tember 2017 betreffend ein Bundesgesetz, mit dem das Wohnbauförderungsbeitrags­gesetz 2018 erlassen wird und das Bundesgesetz über die Einhebung eines Wohnbau­förderungsbeitrages sowie das Finanzausgleichsgesetz 2017 geändert werden.

Ich ersuche jene Bundesrätinnen und Bundesräte, die dem Antrag zustimmen, gegen den vorliegenden Beschluss des Nationalrates keinen Einspruch zu erheben, um ein Handzeichen. – Dies ist die einstimmige ... (Bundesrat Stögmüller: Nein, nein, nein!) – die Stimmenmehrheit. Der Antrag ist somit angenommen.

14.55.317. Punkt

Beschluss des Nationalrates vom 4. Oktober 2017 betreffend ein Bundesgesetz, mit dem das Niederlassungs- und Aufenthaltsgesetz, das Fremdenpolizeigesetz 2005, das Asylgesetz 2005, das BFA-Verfahrensgesetz, das Grundversorgungsgesetz – Bund 2005 und das Grenzkontrollgesetz geändert werden (Fremdenrechtsände­rungsgesetz 2017 – FrÄG 2017) (2285/A)

 



BundesratStenographisches Protokoll872. Sitzung / Seite 121

Vizepräsident Mag. Ernst Gödl: Wir gelangen nun aufgrund der ergänzten Tagesord­nung zum neuen Punkt 7.

14.55.51

Es gibt zu diesem Punkt keine Wortmeldungen.

Wünscht jemand das Wort? – Das ist nicht der Fall.

Damit kommen wir zur Abstimmung.

Es liegt mir der Antrag der Bundesräte Schödinger, Weber, Kolleginnen und Kollegen gemäß § 43 Abs. 1 der Geschäftsordnung des Bundesrates vor, gegen den vorliegen­den Beschluss des Nationalrates keinen Einspruch zu erheben.

Ich ersuche jene Bundesrätinnen und Bundesräte, die diesem Antrag zustimmen, ge­gen den vorliegenden Beschluss des Nationalrates keinen Einspruch zu erheben, um ein Handzeichen. – Es ist dies die Stimmenmehrheit. Der Antrag ist somit angenom­men.

*****

Bevor wir zu den nächsten beiden Tagesordnungspunkten kommen, darf ich zwei Be­grüßungen vornehmen. Zum einen begrüßen wir auf der Galerie sehr herzlich Herrn Professor Herwig Hösele, Präsident des Bundesrates außer Dienst und Generalsekre­tär des Zukunftsfonds der Republik Österreich. Grüß Gott! (Allgemeiner Beifall.)

Ebenso begrüßen wir sehr herzlich Herrn Dr. Kurt Scholz, den Vorsitzenden des Zu­kunftsfonds der Republik Österreich. Herzlich willkommen im Bundesrat! (Allgemeiner Beifall.)

14.56.568. Punkt

Beschluss des Nationalrates vom 20. September 2017 betreffend ein Bundesge­setz, mit dem das Bundesgesetz über den Nationalfonds der Republik Österreich für Opfer des Nationalsozialismus geändert wird (2270/A und 1772 d.B. sowie 9894/BR d.B.)

9. Punkt

Beschluss des Nationalrates vom 20. September 2017 betreffend ein Bundesge­setz, mit dem das Zukunftsfonds-Gesetz geändert wird (1766 d.B. und 1773 d.B. sowie 9895/BR d.B.)

 


Vizepräsident Mag. Ernst Gödl: Nunmehr gelangen wir zu den neuen Punkten 8 und 9 der Tagesordnung.

Berichterstatter zu beiden Punkten ist Herr Bundesrat Seeber. Ich bitte um die beiden Berichte.

 


14.57.30

Berichterstatter Robert Seeber: Hohes Präsidium! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich darf den Bericht des Ausschusses für Verfassung und Föderalismus über den Be­schluss des Nationalrates vom 20. September 2017 betreffend ein Bundesgesetz, mit dem das Bundesgesetz über den Nationalfonds der Republik Österreich für Opfer des Nationalsozialismus geändert wird, zur Kenntnis bringen.

Der Bericht liegt in schriftlicher Form vor, ich komme daher sogleich zur Antragstellung.

Der Ausschuss für Verfassung und Föderalismus stellt nach Beratung der Vorlage am 3. Oktober 2017 mit Stimmeneinhelligkeit den Antrag, gegen den vorliegenden Beschluss des Nationalrates keinen Einspruch zu erheben.


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Weiters darf ich den Bericht des Ausschusses für Verfassung und Föderalismus über den Beschluss des Nationalrates vom 20. September 2017 betreffend ein Bundesge­setz, mit dem das Zukunftsfonds-Gesetz geändert wird, zur Kenntnis bringen.

Der Bericht liegt ebenfalls in schriftlicher Form vor, ich komme daher sogleich zur An­tragstellung:

Der Ausschuss für Verfassung und Föderalismus stellt nach Beratung der Vorlage am 3. Oktober 2017 mit Stimmeneinhelligkeit den Antrag, gegen den vorliegenden Beschluss des Nationalrates keinen Einspruch zu erheben.

 


Vizepräsident Mag. Ernst Gödl: Danke für die Berichte.

Wir gehen in die Debatte ein.

Als Erster zu Wort gemeldet ist Herr Bundesrat Beer. – Bitte, Herr Bundesrat.

 


14.58.56

Bundesrat Wolfgang Beer (SPÖ, Wien): Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolle­ginnen und Kollegen! Wir behandeln heute zwei Gesetze, die eigentlich von der Mate­rie her sehr ähnlich sind. In beiden Gesetzen geht es auch darum, mehr Geld zur Ver­fügung zu stellen. Beginnen wir mit dem Nationalfonds der Republik Österreich für die Opfer des Nationalsozialismus. Wir haben es da auch mit der Erhaltung eines wirklich ganz furchtbaren und schrecklichen Konzentrationslagers zu tun. Auschwitz-Birkenau war ein sehr berüchtigtes Lager.

Dieses Lager ist aufgrund des Alters und der doch eher geringen Mittel, die zur Ver­fügung standen, immer schlechter geworden und, ich will nicht sagen, dem Verfall preis­gegeben worden, aber doch in einen sehr, sehr schlechten Zustand gekommen.

Wir haben 6 Millionen € zur Instandhaltung dieser Gedenkstätte zur Verfügung gestellt und hoffen – oder wir wissen, weil mit diesen Geldern sehr sorgsam umgegangen wird –, dass es in Zusammenarbeit mit dem Staatlichen Museum Auschwitz-Birkenau wieder zu einer Restaurierung kommen wird, sodass wir in diesem Bereich dann auch wieder die Möglichkeit haben, dieser schrecklichen Dinge, die dort vor Jahrzehnten stattgefun­den haben, zu gedenken.

Zum Bundesgesetz, mit dem das Zukunftsfonds-Gesetz geändert wird: Den Fonds haben wir im Jahr 2005 eingerichtet. Der Fonds wurde mit 20 Millionen € dotiert und ist ein sogenannter verzehrender Fonds. Das bedeutet, dass dieser Verein, sobald die Fondsmittel aufgebraucht sind, seine Aufgaben nicht mehr wahrnehmen kann und dass der Zukunftsfonds hätte aufgelöst werden müssen. Jetzt haben wir aber beschlos­sen, dass wir ab 1. Jänner 2018 über einen Zeitraum von fünf Jahren einen Betrag in Höhe von 2 Millionen € pro Kalenderjahr zur Verfügung stellen.

Der Zukunftsfonds hat sehr, sehr viele Aufgaben. Er ist dem Gedenken der Opfer ge­schuldet und soll auch in weiterer Folge für die Zukunft an die Bedrohung durch tota­litäre Systeme und Gewaltherrschaften erinnern, mahnen und ganz einfach auch sol­che, ich will nicht sagen, aufdecken, aber doch erkennen. Im Jahr 2016 hat der Zukunfts­fonds 335 Projekte bearbeitet, davon wurden 242 genehmigt.

Ich will mich nicht zu sehr in diese beiden Gesetze vertiefen, da es auch noch ein paar andere Redner gibt, und die sollen auch noch etwas zu sagen haben. Ich bin mir si­cher, dass sie auch noch in diesem Bereich näher darauf eingehen werden. Ich möchte nur noch sagen, dass es eine Internetadresse des Zukunftsfonds gibt. Diese lautet – für alle, die sehr interessiert sind –: www.zukunftsfonds-austria.at. Für diejenigen, die da­ran Interesse haben, sind auf dieser Seite die Projekte aufgelistet, können also auf der Homepage abgerufen werden.

Ich möchte trotzdem noch ansprechen, warum es so wichtig ist, dass wir in diesen Be­reichen ganz einfach nicht vergessen, immer wieder daran erinnern und mahnen, was


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passiert ist, und vielleicht auch ein bisschen dazu beitragen, zu erkennen, wie es pas­sieren konnte. Wie konnte es eigentlich dazu kommen, dass wir mit diesen Abscheu­lichkeiten – oder eigentlich nicht wir, nicht die meisten von uns, sondern unsere Groß­eltern, unsere Eltern – konfrontiert wurden?

Es hat eigentlich in der Zwischenkriegszeit begonnen: Die schlechte wirtschaftliche La­ge, die hohe Inflation, die Arbeitslosigkeit und nicht zuletzt die Weltwirtschaftskrise En­de der 1920er-Jahre radikalisierten die Gesellschaft. Eine radikalisierte Gesellschaft ist sehr anfällig für Feindbilder. In der heutigen Zeit, aber auch in der Vergangenheit hat die Religion immer eine zentrale Rolle als Vorwand für ein Feindbild gespielt. Man braucht immer einen Vorwand oder einen Anlassfall für die Diskriminierung von Frem­den, und das sind vor allem die Religion und die Kultur.

Wir erleben so etwas in unserer Zeit, zwar nicht in dieser stark ausgeprägten Form wie vor dem Zweiten Weltkrieg, aber doch beginnend. Schauen wir uns einmal das Feind­bild an, das wir heute haben: Wir haben Muslime und Flüchtlinge; und weil das noch nicht ganz ausreicht, nehmen wir doch gleich die Sinti und die Roma und vielleicht noch einmal die Juden – die haben wir ja schon gehabt – auch dazu. Es macht ja nichts. Je mehr desto besser! (Bundesrätin Mühlwerth: Und wer macht das? Sag es einfach: Wer macht das?!) – Ach ja: Es gibt ja auch noch die Homosexuellen, nicht? (Bundesrätin Mühlwerth: Ich will ja nur wissen, wen du jetzt meinst! Wer jetzt? Sag’s einfach!) Die wollen ja sogar heiraten. Also: Warum stört das jemanden? (Bundesrätin Mühlwerth: Ich will aber wissen, wer da gemeint ist! Sag es einfach!) Wem tut denn das weh, wenn die heiraten wollen? (Bundesrat Rösch: Was hat das mit dem Thema zu tun?) Und meistens ist derjenige ... (Bundesrätin Mühlwerth: Du kannst ja nicht einfach etwas in den Raum stellen und dann sagen: Ja, nein, weiß ich nicht! – Bundes­rat Jenewein: Was ist da eigentlich die Botschaft?) – Weißt du, es ist eigentlich (Bun­desrätin Mühlwerth: Ja was jetzt?) immer so, dass derjenige, der bellt und meldet ... (Bundesrätin Mühlwerth: Deshalb will ich ja wissen, wer das macht! Sag es einfach!) – Habe ich irgendjemanden beschuldigt? (Bundesrätin Mühlwerth: Darum frage ich ja!) – Na schau dir doch bitte ... (Bundesrätin Mühlwerth: Darum frage ich ja! Wer macht das?) – Warum bist du so nervös und aufgeregt? (Bundesrätin Mühlwerth: Ich bin über­haupt nicht nervös, ich will es nur wissen!) – Ich habe mit keinem Wort die Freiheitli­chen erwähnt. Oder habe ich dazu irgendetwas gesagt? Es ist aber natürlich klar: Die­jenigen, die sich betroffen fühlen (Bundesrätin Mühlwerth: Ich weiß: Man hört ja nix, man sagt ja nur!), sind sofort da und schreien, bevor ich überhaupt fertig bin. Das ist ja das Interessante daran. (Bundesrat Rösch: Weil es keinen Sinn macht!)

Es ist so, dass sich diese Haltung quer durch die Bevölkerungsgruppen zieht – ange­trieben von der Angst davor, was man nicht kennt, und vor der Überfremdung. Das war immer so und das wird auch immer so sein. Zugegebenermaßen muss ich sagen: Es stört mich auch, wenn es mehr Kebabstände und keine Würstelstände mehr gibt. (Bun­desrat Stögmüller: Warum stört dich das?) Diese Bevölkerungsgruppe macht es uns sehr leicht, sie als Feindbild zu erkennen.

Auch da haben wir die Problematik, dass da von der linken Seite gleich wieder welche schreien: „Warum stört dich das?“ – Wir haben hier also sehr vielfältige Interessen, die eigentlich alle für die Bevölkerung nicht mehr richtig zu erkennen sind. Es ist natürlich problematisch, wenn es abgelehnt wird, einer Frau die Hand zu geben oder mit ihr zu sprechen. Wenn eine Parallelgesellschaft entsteht, ist das auch nicht gerade das Beste und das Feine. Man muss von diesen Menschen einfordern, dass sie sich auch an die Gepflogenheiten unseres Landes halten. Sollte dies nicht geschehen, wird es sicher wei­ter zu einer Radikalisierung der Mehrheitsbevölkerung kommen.

Vorher sind jedoch schon andere Feindbilder geschaffen worden: Arbeiter gegen An­gestellte, Arbeitslose gegen Arbeitende, alle gegen die Beamten – mit Desinformatio-


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nen über die Gehälter der Beamten. (Bundesrat Rösch: Dienstag Mittag!) Da ist ge­sagt worden, die hätten 16 Monatsgehälter – das ist kompletter Schwachsinn. Da ka­men Aussagen, laut denen wir unserer Jugend die Zukunft stehlen, daher müssen wir die Pensionen kürzen und die Menschen länger arbeiten. Es wurde auch gesagt, die Jungen werden keine Pension mehr erhalten und müssen privat vorsorgen.

Dass wir die Entwicklung solcher Feindbilder eigentlich verhindern müssen, ist uns al­len klar, und doch werden diese Vergleiche immer öfter und massiver strapaziert, ge­rade von Politikern, die ihre Vorstellungen auf diese Weise durchsetzen wollen. Gott sei Dank kennen wir ja solche Politiker nicht, denn die würden sich ja jetzt zu Wort mel­den und alles als Schwachsinn darstellen.

Die Mechanismen sind immer die gleichen, und wir können, wenn wir wollen, aus der Zeit des Nationalsozialismus Schlüsse ziehen, die es uns ermöglichen, solche Gefah­ren frühzeitig zu erkennen und zu verhindern.

Darum ist es wichtig, diesen Institutionen mehr Geld zu geben, um in der Zukunft für die Jugend in den Bereichen Bildung, Geschichtsbewusstsein und Ethikbildung reüs­sieren zu können. Denken wir doch einmal gemeinsam darüber nach. – Ich glaube, das wird uns allen ein wenig gut tun – und nicht immer sofort schreien!

Und zu dir (in Richtung Bundesrätin Mühlwerth): Der Zukunftsfonds hat auch genau die­se Aufgaben. (Beifall bei der SPÖ.)

15.10


Vizepräsident Mag. Ernst Gödl: Als Nächster zu Wort gemeldet ist Herr Bundesrat Dr. Köll. – Bitte.

 


15.10.48

Bundesrat Dr. Andreas Köll (ÖVP, Tirol): Sehr geehrter Herr Präsident! Geschätzte Kolleginnen und Kollegen! Kollege Beer hat eigentlich über beide Gesetze schon hin­länglich referiert, was deren Inhalt und Intention betrifft. Ich darf noch einmal in Anknüp­fung an die durchaus interessanten Diskussionen im zuständigen Ausschuss ein herzli­ches Dankeschön an die beiden heute hier im Redoutensaal anwesenden Vorsitzen­den Dr. Kurt Scholz und Professor Herwig Hösele richten. Es ist eine sehr wertvolle Tätigkeit, die Sie im Dienste der Republik und für unsere Bevölkerung – natürlich auch für unsere Gäste und weit darüber hinaus – wahrnehmen, um das Ansehen Österreichs, das sich in den letzten Jahrzehnten durchaus aufgebaut hat, auch weiterhin auszubauen.

Man kann natürlich vielschichtig diskutieren und viele Zugänge zu diesen schwierigen The­mata nehmen, aber, lieber Kollege Beer – ich habe das ein bisschen mitbekommen –: Die Position unserer Fraktion zum Thema Ehe und Verpartnerung von gleichgeschlecht­lich orientierten Menschen ist einfach, dass es aus der Sicht des Team Kurz und der Neuen Volkspartei keinerlei Diskriminierung geben darf. Im Dritten Reich, das wissen wir, hat es diese Diskriminierung sogar bis hin zur Verfolgung und zur Vernichtung ge­geben, und man muss das sicherlich getrennt von den aktuellen Entwicklungen sehen, weil da zumindest für mich keinerlei Konnex erkennbar ist. (Zwischenruf des Bundesra­tes Mario Lindner.)

Wir haben sicherlich kein Problem mit einer Dokumentierung von Partnerschaften, aber wir glauben – wahrscheinlich mit großer Mehrheit –, dass die Institution der Ehe andere staatspolitische und grundsätzliche Aufgaben als die Dokumentation einer durchaus zu­lässigen Lebensform, die nicht diskriminiert werden darf, hat.

Lieber Kollege Beer, Sie haben es zwar gesagt, aber Sie haben vom Thema nicht mehr viel übrig gelassen. So darf ich vielleicht kurz berichten, wie es mir hier im Hause beim Orientierungslauf gegangen ist. Ich bin da zufällig in der Nationalbibliothek auf eines der Museen der Nationalbibliothek, nämlich auf das Papyrusmuseum gestoßen. Sie wer-


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den sich jetzt fragen: Was hat das Papyrusmuseum mit diesen beiden Fonds zu tun? – Ich möchte versuchen, einen grundsätzlichen Zugang zu wählen, weil es durchaus nicht nur in der herrschenden Lehre, sondern auch im Umgang mit diesen schwierigen The­men zwei Meinungen gibt: Soll man verschweigen, vergessen, verdrängen? Soll man es aufarbeiten, und mit welchen Instrumentarien soll man das tun?

Sie werden vielleicht einmal während der Beschäftigung mit der Antike oder der ägyp­tischen Geschichte auf die beiden Begriffe damnatio memoriae oder abolitio nominis gestoßen sein. Sie bezeichnen die Auslöschung bestimmter Symbole, Artefakte, Erin­nerungen. Ich möchte das hier einmal völlig wertneutral bekunden. Es geht dabei rein um die Methodik des Zuganges. Wir haben aus den Zeiten des Dritten Reiches Täter­orte – das ist vielleicht der Obersalzberg, das ist Nürnberg –, wir haben Opferorte und natürlich auch Täterorte – das ist Auschwitz-Birkenau, das sind viele andere Konzen­trationslager –, und wir haben vielleicht auch einen neutralen Ort, das ist Braunau am Inn, der – genauso wie die ganze Region – mit dem Stigma leben muss, dass dort das Geburtshaus Adolf Hitlers steht, das Haus des Herrn Schicklgruber, das sich über eini­ge Jahre auch im Eigentum dieser Familie befunden hat.

Jetzt möchte ich gerne anhand dieses Beispiels dokumentieren, wie wichtig es ist, nicht zu verdrängen, nicht zu vergessen und vielleicht auch, derartige Einrichtungen nicht ab­zureißen, so wie man das vielleicht im alten Rom oder im alten Ägypten getan hätte. Denken Sie an die Zeit von Echnaton, das war damals der Vorläufer einer Art mono­theistischen Religion mit Aton. Es wurde später versucht, sowohl dessen Symbole als auch das Andenken an Echnaton auszuradieren. Das hat beides nicht gewirkt, weil ge­nau das Gegenteil dabei herausgekommen ist, nämlich die Erinnerung an das Verges­sen. Ebenso schwierig sind wahrscheinlich auch heute die Zugänge zu diesen The­men: Wie soll man unseren jungen Menschen derartige Themata beibringen, damit so etwas zumindest in Österreich, in den westlichen Demokratien, in der westlichen Welt nie mehr passiert? Darüber hinaus können wir es leider nur völkerrechtlich und über die Vereinten Nationen beeinflussen.

Umso wichtiger ist diese wertvolle Tätigkeit, die da stattfindet. Sie verdient jegliche Un­terstützung, auch seitens des österreichischen Parlamentes, des Nationalrates und na­türlich auch des Bundesrates, weshalb ich die Zustimmung zu diesen beiden Gesetz­entwürfen hier empfehlen darf. – Danke. (Beifall bei ÖVP und SPÖ.)

15.16


Vizepräsident Mag. Ernst Gödl: Als Nächster zu Wort gemeldet ist Herr Bundesrat Je­newein. – Bitte, Herr Bundesrat.

 


15.16.16

Bundesrat Hans-Jörg Jenewein, MA (FPÖ, Wien): Meine sehr geehrten Damen und Herren! Herr Präsident! Nach meinem Kollegen Beer und meinem Kollegen Köll ist jetzt wirklich nicht mehr viel da. (Bundesrätin Zwazl: Von den beiden ist schon noch genug da!) – Sie sind schon da, aber inhaltlich ist nicht mehr allzu viel zu sagen. Das wollte ich damit sagen. Es wurde jetzt auch ein großer Bedeutungsbogen in die Antike ge­spannt. Herr Kollege Beer hat es ein bisschen anders gemacht, er hat von den Würs­telständen geredet, und dann waren wir in der Antike. Ich denke – und nehme auch an, dass wir uns dabei einig sind –, die beste Firewall gegen Entwicklungen, die wir alle nicht wollen, ist ein starkes und funktionierendes Parlament, mit funktionierendem Dialog und funktionierender inhaltlicher Auseinandersetzung.

Solange das gegeben ist, mache ich mir um die Demokratie in diesem Land keine Sorgen. Das Problem, das ich vielmehr sehe, ist, dass es Tendenzen vielfältiger Natur gibt, den Parlamentarismus mehr und mehr in den Hintergrund zu drängen, parlamen­tarische Entscheidungen auszulagern, Verantwortungen auszulagern. Ab dem Zeitpunkt,


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an dem wir das Heft des Handelns nicht mehr in der Hand haben – auch in diesem Haus das Heft des Handelns nicht mehr in der Hand haben –, entscheidet jemand an­derer. Ab jenem Zeitpunkt können wir selbst nicht mehr entscheiden. – So ist auch mein Appell zu verstehen.

Unsere Fraktion wird dem hier selbstverständlich zustimmen. Wir freuen uns ja auch, dass da speziell mit dem ehemaligen Wiener Stadtschulratspräsidenten Scholz wirklich jemand federführend tätig ist, der sich schon in der Vergangenheit bei all seinen Tätig­keiten, die er nach seiner Tätigkeit als Stadtschulratspräsident im politischen Bereich ausgeübt hat, einen Ruf erarbeitet hat, und zwar den Ruf eines fairen, eines sehr über­legten und mit Fingerspitzengefühl ausgestatteten Menschen. – Es ist gut so, dass dem so ist.

Ich denke nur, wenn wir über diese Themen reden, sollten wir nie den Dialog zwischen den Parteien und den Dialog untereinander gering schätzen, denn ab dem Zeitpunkt, an dem das passiert, sind wir in einer Situation, in der es eigentlich nur mehr ein paar Schritte bis zur Gesprächsverweigerung braucht. Wenn die einmal da ist, dann ist et­was in diesem Land gefährdet, das uns allen sehr am Herzen liegen sollte, nämlich die Demokratie in diesem Land. – Herzlichen Dank. (Beifall bei der FPÖ sowie bei Bundes­räten von ÖVP und SPÖ.)

15.18


Vizepräsident Mag. Ernst Gödl: Nun darf ich Frau Bundesrätin Dr. Reiter das Wort er­teilen. – Bitte, Frau Bundesrätin.

 


15.19.14

Bundesrätin Dr. Heidelinde Reiter (Grüne, Salzburg): Es wurde bei diesen Tagesord­nungspunkten wirklich ein großer Bogen gespannt. Ich möchte nur kurz Folgendes da­zu bemerken: Ich kenne den Obersalzberg sehr gut und weiß auch, wie sich das über die vielen Jahre entwickelt hat. Ich denke, das Erinnern, das Umgehen mit Geschichte, das Umgehen mit den Orten der Geschichte, wo diese tatsächlich stattgefunden hat, ist auch ein dynamischer Prozess. Am Obersalzberg hat man praktisch alles bis auf das Teehaus abgerissen, aber es gibt dort heute eine ganz tolle Dokumentationsstelle.

Das ist ein Ort, an dem viel passiert: Vermittlung, Darstellung – das hat es zuvor über viele Jahre nicht gegeben –, modernste Museumspädagogik und auch eine Ausbildung der Menschen, die diese Dinge vermitteln und weitergeben.

Also ich denke, dass sich das auch in Zukunft immer wieder verändern wird: Welche Möglichkeiten haben wir, welche hat man oder welche werden genutzt, um Erkenntnis­se oder das Lernen aus historischen Prozessen weiterzugeben?

Beim Nationalfonds der Republik Österreich für Opfer des Nationalsozialismus war es einfach so, dass sich die ursprüngliche Tätigkeit auch aufgrund der erledigten Auszah­lungen deutlich reduziert hatte. Ändert sich also die Aufgabe und sozusagen auch das Ziel für diesen Nationalfonds? – Mit den jetzt zur Verfügung gestellten Mitteln soll die Ausstellung im sogenannten Österreich-Pavillon in Auschwitz-Birkenau saniert, neu ge­staltet und der Betrieb nach der Neueröffnung koordiniert werden. Ich denke, das ist ein sehr wichtiger Prozess, da heute die Ansprüche an eine solche Ausstellung, an die Art der Vermittlung und so weiter andere sind, als sie es noch vor zehn, 15 oder 20 Jah­ren waren.

Ich denke, es ist auch wichtig, Mittel zur Verfügung zu stellen, damit die Ausbildung der Vermittler, aber auch die Art der Präsentation entsprechend angepasst und verändert werden. Ich danke für diese Tätigkeit und für das Weiterführen dieses wichtigen Pro­jektes; auch die Beratung von Angehörigen von NS-Opfern und so weiter wird weiter­geführt.


BundesratStenographisches Protokoll872. Sitzung / Seite 127

Zum Zukunftsfonds der Republik Österreich: Dr. Kurt Scholz hat ja Gott sei Dank heute verlautbart, dass der Fonds der ein verzehrender Fonds ist; diesen Ausdruck habe ich heute gelernt – vor dem Aus stünde. Ich möchte schon mit einigem Stolz vermer­ken, dass es vor allem wir waren, die tatsächlich versucht haben, auf allen Ebenen Druck zu machen – auch mit Aussendungen und so weiter –, um die Aufmerksamkeit dafür sicherzustellen. Gott sei Dank, und vielen Dank dafür, ist es dann zu einer ganz breiten Unterstützung dieser Arbeit gekommen, denn das Ende hätte auch das Ende zahlreicher erinnerungspolitischer Projekte bedeutet. Vielen Dank also für die einhelli­ge Zustimmung zur Weiterführung dieser wichtigen Arbeit.

Es wurden bisher ungefähr 2 000 Projekte gefördert. Liest man sich den Ausschussbe­richt durch und stellt sich die Frage: Was ist die Zukunftsorientierung?, so ist diese dort klar als „Förderung von Toleranz und Nicht-Diskriminierung vor allem in Österreich“, aber auch in „den Partnerländern“ definiert. Ich denke, das geht weit über Erinnerungs­kultur und so weiter hinaus. Ebenso soll die Achtung der Menschenrechte gefördert und in verschiedenen Projekten weitergetragen werden. – Das ist eine immens wichtige und bedeutsame Arbeit.

Ob jedes Projekt zum Erfolg führt, das kann so nicht gesagt werden, aber ich glaube, es ist wichtig, dafür Gelder und einen Rahmen, in dem eine solche Arbeit gemacht wer­den kann, zur Verfügung zu stellen. Die Arbeit wird sich natürlich über die Jahre auch dynamisch entwickeln, die Ansprüche daran oder die Umgangsweise damit werden si­cher in fünf bis zehn Jahren wieder ganz andere sein, auch weil sich die Dinge, die ei­nem zur Verfügung stehen – neue Medien, eine andere und neue Art der Vermittlung und so weiter – entsprechend dynamisch verändern.

Ich danke für die breite Unterstützung für diese Projekte und danke insbesondere auch Herrn Dr. Kurt Scholz, dass er die Initiative ergriffen, auf eine Weiterführung dieses Pro­jektes gedrängt und sich dafür sehr massiv eingesetzt hat. Wünschen wir diesen Pro­jekten viel Erfolg in unser aller Sinn!

Ich danke für Ihre Aufmerksamkeit. Ich glaube, der Beschluss dieser beiden Projekte, dieser beiden Fonds und ihrer Dotierung ist ein schöner Schluss. – Danke. (Allgemei­ner Beifall.)

15.24

15.24.47

 


Vizepräsident Mag. Ernst Gödl: Weitere Wortmeldungen liegen dazu nicht vor.

Wünscht noch jemand das Wort? – Das ist nicht der Fall. Die Debatte ist geschlossen.

Wir kommen zur Abstimmung; diese erfolgt getrennt.

Wir kommen zunächst zur Abstimmung über den Beschluss des Nationalrates vom 20. September 2017 betreffend ein Bundesgesetz, mit dem das Bundesgesetz über den Nationalfonds der Republik Österreich für Opfer des Nationalsozialismus geändert wird.

Ich ersuche jene Bundesrätinnen und Bundesräte, die dem Antrag zustimmen, gegen den vorliegenden Beschluss des Nationalrates keinen Einspruch zu erheben, um ein Handzeichen. – Dies ist die Stimmeneinhelligkeit. Der Antrag ist somit angenommen.

Nun kommen wir zur Abstimmung über den Beschluss des Nationalrates vom 20. Sep­tember 2017 betreffend ein Bundesgesetz, mit dem das Zukunftsfonds-Gesetz geän­dert wird.

Ich ersuche jene Bundesrätinnen und Bundesräte, die dem Antrag zustimmen, gegen den vorliegenden Beschluss des Nationalrates keinen Einspruch zu erheben, um ein Handzeichen. – Das ist die Stimmeneinhelligkeit. Der Antrag ist somit angenommen.


BundesratStenographisches Protokoll872. Sitzung / Seite 128

15.25.5210. Punkt

Antrag der Bundesräte Edgar Mayer, Reinhard Todt, Mag. Nicole Schreyer, Kolle­ginnen und Kollegen betreffend Abhaltung einer parlamentarischen Enquete ge­mäß § 66 GO-BR zum Thema: „Die Zukunft der EU – aus Sicht der Bundesländer und Regionen“ (240/A-BR/2017)

 


Vizepräsident Mag. Ernst Gödl: Wir kommen nun aufgrund der ergänzten Tagesord­nung zum neuen 10. Punkt der Tagesordnung.

Zu Wort ist dazu niemand gemeldet.

Damit kommen wir zur Abstimmung über den Antrag der Bundesräte Edgar Mayer, Reinhard Todt, Mag. Nicole Schreyer, Kolleginnen und Kollegen betreffend Abhaltung einer parlamentarischen Enquete gemäß § 66 der Geschäftsordnung des Bundesrates.

Ich bitte jene Bundesrätinnen und Bundesräte, die diesem Antrag Ihre Zustimmung ge­ben, um ein Handzeichen. – Dies ist die Stimmeneinhelligkeit. Der Antrag auf Abhal­tung der gegenständlichen Enquete ist somit angenommen.

Hinsichtlich des Termins, der Tagesordnung und des Teilnehmerkreises für die soeben beschlossene Enquete darf ich auf den bereits allen Mitgliedern des Bundesrates zu­gegangenen Selbständigen Antrag 240/A-BR/2017 verweisen.

Die Tagesordnung ist erschöpft.

Verlesung eines Teiles des Amtlichen Protokolls

 


Vizepräsident Mag. Ernst Gödl: Es liegt mir das schriftliche Verlangen von fünf Mit­gliedern des Bundesrates vor, das Amtliche Protokoll hinsichtlich des Tagesordnungs­punktes 7 zu verlesen, damit dieser Teil des Amtlichen Protokolls mit Schluss der Sit­zung als genehmigt gilt. Dadurch soll die umgehende Beschlussfassung ermöglicht wer­den.

Ich werde daher so vorgehen und verlese nunmehr den entsprechenden Teil des Amtl­ichen Protokolls:

„TO-Punkt 7: Beschluss des Nationalrates vom 4. Oktober 2017 betreffend ein Bundes­gesetz, mit dem das Niederlassungs- und Aufenthaltsgesetz, das Fremdenpolizeige­setz 2005, das Asylgesetz 2005, das BFA-Verfahrensgesetz, das Grundversorgungs­gesetz – Bund 2005 und das Grenzkontrollgesetz geändert werden (Fremdenrechtsän­derungsgesetz 2017 – FrÄG 2017) (2285/A)

Die Bundesräte Gerhard Schödinger, Martin Weber, Kolleginnen und Kollegen bringen den Antrag gemäß § 43 Abs. 1 GO-BR (Beilage VII/1), gegen den vorliegenden Beschluss keinen Einspruch zu erheben, ein.

Abstimmung: Antrag der Bundesräte Gerhard Schödinger, Martin Weber, Kolleginnen und Kollegen, keinen Einspruch zu erheben, wird angenommen (mit Stimmenmehrheit).“

*****

Erheben sich Einwendungen gegen die Fassung oder den Inhalt dieses Teiles des Amt­lichen Protokolls? – Das ist nicht der Fall.

Dieser Teil des Amtlichen Protokolls gilt daher gemäß § 64 Abs. 2 der Geschäftsord­nung des Bundesrates mit Schluss dieser Sitzung als genehmigt.

*****


BundesratStenographisches Protokoll872. Sitzung / Seite 129

Geschätzte Damen und Herren, ich darf noch darauf hinweisen, dass auf Ihren Plätzen Zettel aufgelegt wurden, um Anregungen und Anmerkungen zum Betrieb des Bundesra­tes hier in diesem Sitzungssaal abzugeben.

Wer eine Anregung hat, möge bitte die beiden Urnen an den Seiten verwenden, um die­se Zettel einzuwerfen.

15.28.57Einlauf und Zuweisung

 


Vizepräsident Mag. Ernst Gödl: Ich gebe bekannt, dass seit der letzten beziehungs­weise in der heutigen Sitzung insgesamt fünf Anfragen, 3253/J-BR/2017 bis 3257/J-BR/2017, eingebracht wurden.

Eingelangt ist der Entschließungsantrag 239/A(E)-BR/2017 der Bundesräte Werner Her­bert, Kolleginnen und Kollegen betreffend Ausgleichsmaßnahmen für besondere Er­schwernisse des Exekutivdienstes im Nachtdienst, der dem Ausschuss für Verfassung und Föderalismus zugewiesen wird.

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Die Einberufung der nächsten Sitzung des Bundesrates wird auf schriftlichem Wege erfolgen. Als Sitzungstermin wird Mittwoch, der 25. Oktober 2017, 9 Uhr, in Aussicht ge­nommen.

Für die Tagesordnung dieser Sitzung kommen insbesondere jene Beschlüsse in Be­tracht, die der Nationalrat bis dahin verabschiedet haben wird, soweit diese dem Ein­spruchsrecht beziehungsweise dem Zustimmungsrecht des Bundesrates unterliegen.

Die Ausschussvorberatungen sind für Montag, den 23. Oktober 2017, 14 Uhr, vorgese­hen.

Diese Sitzung ist geschlossen.

15.29.53Schluss der Sitzung: 15.29 Uhr

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Parlamentsdirektion

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