Stenographisches Protokoll
872. Sitzung des Bundesrates der Republik Österreich
Donnerstag, 5. Oktober 2017
872. Sitzung des Bundesrates der Republik Österreich
Donnerstag, 5. Oktober 2017
Dauer der Sitzung
Donnerstag, 5. Oktober 2017: 9.03 – 15.29 Uhr
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Tagesordnung
Ergänzung der Tagesordnung ........................................................................................ 82
1. Punkt: Protokoll Nr. 15 zur Konvention zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten
2. Punkt: ORF-Jahresbericht 2016 gemäß § 7 ORF-Gesetz
3. Punkt: Tätigkeitsbericht des Verfassungsgerichtshofes für das Jahr 2016
4. Punkt: Tätigkeitsbericht des Verwaltungsgerichtshofes für das Jahr 2016
5. Punkt: Bundesgesetz, mit dem das Einkommensteuergesetz 1988, das Körperschaftsteuergesetz 1988 und das Studienförderungsgesetz 1992 geändert werden
6. Punkt: Bundesgesetz, mit dem das Wohnbauförderungsbeitragsgesetz 2018 erlassen wird und das Bundesgesetz über die Einhebung eines Wohnbauförderungsbeitrages sowie das Finanzausgleichsgesetz 2017 geändert werden
7. Punkt: Bundesgesetz, mit dem das Niederlassungs- und Aufenthaltsgesetz, das Fremdenpolizeigesetz 2005, das Asylgesetz 2005, das BFA-Verfahrensgesetz, das Grundversorgungsgesetz – Bund 2005 und das Grenzkontrollgesetz geändert werden (Fremdenrechtsänderungsgesetz 2017 – FrÄG 2017)
8. Punkt: Bundesgesetz, mit dem das Bundesgesetz über den Nationalfonds der Republik Österreich für Opfer des Nationalsozialismus geändert wird
9. Punkt: Bundesgesetz, mit dem das Zukunftsfonds-Gesetz geändert wird
10. Punkt: Antrag der Bundesräte Edgar Mayer, Reinhard Todt, Mag. Nicole Schreyer, Kolleginnen und Kollegen betreffend Abhaltung einer parlamentarischen Enquete gemäß § 66 GO-BR zum Thema: „Die Zukunft der EU – aus Sicht der Bundesländer und Regionen“ (240/A-BR/2017)
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Inhalt
Bundesrat
Ansprache des Präsidenten Edgar Mayer ................................................................... 8
Schreiben an die Präsidentin des Salzburger Landtages betreffend Mandatsverzicht des Bundesrates Josef Saller .............................................................................................................................. 10
Angelobung der Bundesrätin Dr. Andrea Eder-Gitschthaler .................................... 11
Erklärung des Landeshauptmannes von Vorarlberg Mag. Markus Wallner gemäß § 38 Abs. 3 GO-BR – Bekanntgabe .................................................................................................................. 11
Verlangen auf Durchführung einer Debatte gemäß § 38 Abs. 4 GO-BR ...................... 11
Landeshauptmann Mag. Markus Wallner .................................................................. 11
Debatte:
Dr. Magnus Brunner, LL.M .......................................................................................... 27
Ing. Hans-Peter Bock ................................................................................................... 30
Christoph Längle ................................................................................................... 33, 40
Mag. Nicole Schreyer ................................................................................................... 36
Landeshauptmann Mag. Markus Wallner .................................................................. 38
Trauerkundgebung anlässlich des Ablebens von Albrecht Konecny ....................... 58
Bestätigung der Präsidentin des Salzburger Landtags über das Einlangen der Verzichtserklärung von Bundesrat Josef Saller mit Ablauf des 30. September 2017 62
Schreiben des Generalsekretärs für auswärtige Angelegenheiten gemäß Art. 50 Abs. 5 B-VG betreffend Erteilung der Vollmacht zur Aufnahme von Verhandlungen über ein Abkommen zwischen der Republik Österreich und der Organisation der Vereinten Nationen für Erziehung, Wissenschaft und Kultur (UNESCO) über die Einrichtung des Internationalen Zentrums für die Förderung von Menschenrechten auf lokaler und regionaler Ebene unter der Schirmherrschaft der UNECSO (Kategorie 2) in Graz (Österreich) durch den Herrn Bundespräsidenten ............................................................................................... 63
Schreiben des Bundesministers für Finanzen gemäß Art. 50 Abs. 5 B-VG betreffend Erteilung der Vollmacht zur Aufnahme von Verhandlungen über ein Revisionsprotokoll zum Abkommen zwischen der Republik Österreich und Irland zur Vermeidung der Doppelbesteuerung auf dem Gebiete der Steuern vom Einkommen ......................................................................................................................................... 67
Schreiben des Bundeskanzlers betreffend Nominierung eines Mitgliedes in den Ausschuss der Regionen gemäß Art. 23c Abs. 5 B-VG ......................................................................................... 70
Schreiben des Bundeskanzlers betreffend Nominierung eines stellvertretenden Mitgliedes in den Ausschuss der Regionen gemäß Art. 23c Abs. 5 B-VG .................................................................. 74
Schreiben des Präsidenten des Verfassungsgerichtshofes betreffend Erstattung eines Vorschlages für die Neubesetzung eines Mitgliedes des Verfassungsgerichtshofes gemäß Art. 147 Abs. 2 B-VG 81
Antrag der Bundesräte Martin Preineder, Reinhard Todt, Kolleginnen und Kollegen gemäß § 49 Abs. 1 in Verbindung mit § 16 Abs. 3 GO-BR, den Beschluss des Nationalrates vom 4. Oktober 2017 betreffend ein Bundesgesetz, mit dem das Niederlassungs- und Aufenthaltsgesetz, das Fremdenpolizeigesetz 2005, das Asylgesetz 2005, das BFA-Verfahrensgesetz, das Grundversorgungsgesetz – Bund 2005 und das Grenzkontrollgesetz geändert werden (Fremdenrechtsänderungsgesetz 2017 – FrÄG 2017) (2285/A), ohne Vorberatung durch einen Ausschuss unmittelbar in Verhandlung zu nehmen – Annahme 82, 82
Antrag der Bundesräte Edgar Mayer, Reinhard Todt, Mag. Nicole Schreyer, Kolleginnen und Kollegen gemäß § 49 Abs. 1 in Verbindung mit § 16 Abs. 3 GO-BR, den Antrag der Bundesräte Edgar Mayer, Reinhard Todt, Mag. Nicole Schrey-
er, Kolleginnen und Kollegen betreffend Abhaltung einer parlamentarischen Enquete gemäß § 66 GO-BR zum Thema: „Die Zukunft der EU – aus Sicht der Bundesländer und Regionen“ (240/A-BR/2017) ohne Vorberatung durch einen Ausschuss unmittelbar in Verhandlung zu nehmen – Annahme 82, 83
Verlesung der vorgesehenen Fassung eines Teiles des Amtlichen Protokolls dieser Sitzung durch Vizepräsident Mag. Ernst Gödl ................................................................................. 128
Genehmigung des verlesenen Teiles des Amtlichen Protokolls ................................ 128
Personalien
Verhinderungen ................................................................................................................ 8
Aktuelle Stunde (55.)
Thema: „Trendwende in Europa: Perspektiven zur Lösung aktueller Herausforderungen von Brexit bis zur Migrationskrise“ .............................................................................................. 41
Redner/Rednerinnen:
Mag. Ernst Gödl ............................................................................................................ 41
Stefan Schennach ........................................................................................................ 43
Monika Mühlwerth ........................................................................................................ 46
Mag. Dr. Ewa Dziedzic ................................................................................................. 48
Bundesminister Sebastian Kurz ................................................................................ 49
Martin Preineder ........................................................................................................... 51
Mag. Susanne Kurz ...................................................................................................... 52
Hans-Jörg Jenewein, MA ............................................................................................ 54
Mag. Nicole Schreyer ................................................................................................... 55
Mag. Gerald Zelina ....................................................................................................... 57
Bundesregierung
Schreiben des Bundeskanzleramtes betreffend Aufenthalt eines Mitgliedes der Bundesregierung in einem anderen Mitgliedstaat der Europäischen Union 78, 79, 80
Nationalrat
Beschlüsse und Gesetzesbeschlüsse ............................................................................ 82
Ausschüsse
Zuweisungen ......................................................................................................... 59, 129
Verhandlungen
1. Punkt: Beschluss des Nationalrates vom 20. September 2017 betreffend Protokoll Nr. 15 zur Konvention zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten (1673 d.B. und 1702 d.B. sowie 9888/BR d.B.) ............................................................................................................................... 83
Berichterstatter: Peter Oberlehner ............................................................................... 83
Redner/Rednerinnen:
Werner Herbert ............................................................................................................. 84
Ing. Eduard Köck .......................................................................................................... 85
Stefan Schennach ........................................................................................................ 86
Mag. Dr. Ewa Dziedzic ................................................................................................. 87
Mag. Daniela Gruber-Pruner ....................................................................................... 89
Mario Lindner ................................................................................................................ 90
Annahme des Antrages des Berichterstatters, 1. gegen den vorliegenden Beschluss des Nationalrates keinen Einspruch zu erheben und 2. dem vorliegenden Beschluss gemäß § 1 des Bundesverfassungsgesetzes über die Genehmigung des Protokolls Nr. 15 zur Konvention zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten und dessen Erklärung zum Bundesverfassungsgesetz die verfassungsmäßige Zustimmung zu erteilen ............................................................................................................................ 91
2. Punkt: ORF-Jahresbericht 2016 gemäß § 7 ORF-Gesetz (III-621-BR/2017 d.B. sowie 9891/BR d.B.) ............................................................................................................................... 91
Berichterstatter: Dr. Andreas Köll ................................................................................ 91
Redner/Rednerinnen:
Hans-Jörg Jenewein, MA ............................................................................................ 92
Stefan Schennach ........................................................................................................ 94
Armin Forstner, MPA ................................................................................................... 97
Mag. Nicole Schreyer ................................................................................................... 98
Entschließungsantrag der Bundesräte Hans-Jörg Jenewein, MA,
Kolleginnen und Kollegen betreffend
Offenlegung der Einkünfte von ORF-Mitarbeitern, die Nachrichten-/Informations-/Wirtschafts-Formate mediengattungsunabhängig gestalten
und/
oder moderieren – Ablehnung ................................................................................. 93,
99
Annahme des Antrages des Berichterstatters, den Bericht III-621-BR/2017 d.B. zur Kenntnis zu nehmen ............................................................................................................................... 99
3. Punkt: Tätigkeitsbericht des Verfassungsgerichtshofes für das Jahr 2016 (III-624-BR/2017 d.B. sowie 9892/BR d.B.) ................................................................................................................. 99
Berichterstatter: Dr. Andreas Köll ........................................................................... ..... 99
Redner/Rednerinnen:
Reinhard Todt ............................................................................................................. 100
Robert Seeber ............................................................................................................. 101
Mag. Dr. Michael Raml ............................................................................................... 102
Dr. Heidelinde Reiter .................................................................................................. 104
Annahme des Antrages des Berichterstatters, den Bericht III-624-BR/2017 d.B. zur Kenntnis zu nehmen ............................................................................................................................. 105
4. Punkt: Tätigkeitsbericht des Verwaltungsgerichtshofes für das Jahr 2016 (III-631-BR/2017 d.B. sowie 9893/BR d.B.) ............................................................................................................... 105
Berichterstatterin: Sandra Kern .................................................................................. 105
Redner/Rednerinnen:
Dr. Andreas Köll ......................................................................................................... 105
Mag. Dr. Michael Raml ............................................................................................... 106
Dr. Heidelinde Reiter .................................................................................................. 108
Annahme des Antrages der Berichterstatterin, den Bericht III-631-BR/2017 d.B. zur Kenntnis zu nehmen ............................................................................................................................. 109
Gemeinsame Beratung über
5. Punkt: Beschluss des Nationalrates vom 20. September 2017 betreffend ein Bundesgesetz, mit dem das Einkommensteuergesetz 1988, das Körperschaftsteuergesetz 1988 und das Studienförderungsgesetz 1992 geändert werden (2280/A und 1769 d.B. sowie 9889/BR d.B.) ................................... 109
Berichterstatter: Martin Weber .................................................................................... 110
6. Punkt: Beschluss des Nationalrates vom 20. September 2017 betreffend ein Bundesgesetz, mit dem das Wohnbauförderungsbeitragsgesetz 2018 erlassen wird und das Bundesgesetz über die Einhebung eines Wohnbauförderungsbeitrages sowie das Finanzausgleichsgesetz 2017 geändert werden (2269/A und 1770 d.B. sowie 9890/BR d.B.) .................................................................................... 109
Berichterstatter: Martin Weber .................................................................................... 110
Redner/Rednerinnen:
Dr. Heidelinde Reiter .................................................................................................. 110
Dr. Magnus Brunner, LL.M ........................................................................................ 112
Ewald Lindinger ......................................................................................................... 113
Mag. Reinhard Pisec, BA ........................................................................................... 114
Peter Heger ................................................................................................................. 117
Bundesminister Dr. Johann Georg Schelling ......................................................... 118
Annahme des Antrages des Berichterstatters zu Punkt 5, gegen den vorliegenden Beschluss des Nationalrates keinen Einspruch zu erheben ................................................................. 120
Annahme des Antrages des Berichterstatters zu Punkt 6, gegen den vorliegenden Beschluss des Nationalrates keinen Einspruch zu erheben ................................................................. 120
7. Punkt: Beschluss des Nationalrates vom 4. Oktober 2017 betreffend ein Bundesgesetz, mit dem das Niederlassungs- und Aufenthaltsgesetz, das Fremdenpolizeigesetz 2005, das Asylgesetz 2005, das BFA-Verfahrensgesetz, das Grundversorgungsgesetz – Bund 2005 und das Grenzkontrollgesetz geändert werden (Fremdenrechtsänderungsgesetz 2017 – FrÄG 2017) (2285/A) ................................. 120
Annahme des Antrages der Bundesräte Gerhard Schödinger, Martin Weber, Kolleginnen und Kollegen gemäß § 43 Abs. 1 der Geschäftsordnung des Bundesrates, gegen den vorliegenden Beschluss des Nationalrates keinen Einspruch zu erheben ................................................................. 121
Gemeinsame Beratung über
8. Punkt: Beschluss des Nationalrates vom 20. September 2017 betreffend ein Bundesgesetz, mit dem das Bundesgesetz über den Nationalfonds der Republik Österreich für Opfer des Nationalsozialismus geändert wird (2270/A und 1772 d.B. sowie 9894/BR d.B.) ........................................................ 121
Berichterstatter: Robert Seeber .................................................................................. 121
9. Punkt: Beschluss des Nationalrates vom 20. September 2017 betreffend ein Bundesgesetz, mit dem das Zukunftsfonds-Gesetz geändert wird (1766 d.B. und 1773 d.B. sowie 9895/BR d.B.) 121
Berichterstatter: Robert Seeber .................................................................................. 121
Redner/Rednerinnen:
Wolfgang Beer ............................................................................................................ 122
Dr. Andreas Köll ......................................................................................................... 124
Hans-Jörg Jenewein, MA .......................................................................................... 125
Dr. Heidelinde Reiter .................................................................................................. 126
Annahme des Antrages des Berichterstatters zu Punkt 8, gegen den vorliegenden Beschluss des Nationalrates keinen Einspruch zu erheben ................................................................. 127
Annahme des Antrages des Berichterstatters zu Punkt 9, gegen den vorliegenden Beschluss des Nationalrates keinen Einspruch zu erheben ................................................................. 127
10. Punkt: Antrag der Bundesräte Edgar Mayer, Reinhard Todt, Mag. Nicole Schreyer, Kolleginnen und Kollegen betreffend Abhaltung einer parlamentarischen Enquete gemäß § 66 GO-BR zum Thema: „Die Zukunft der EU – aus Sicht der Bundesländer und Regionen“ (240/A-BR/2017) ....... 128
Annahme des Antrages 240/A-BR/2017 ...................................................................... 128
Eingebracht wurden
Anträge der Bundesräte
David Stögmüller, Kolleginnen und Kollegen betreffend ein Bundesgesetz, mit dem das Bundesgesetz über Ausbildung, Tätigkeit und Beruf der Sanitäter (Sanitätergesetz – SanG), BGBl. I Nr. 30/2002, zuletzt geändert mit BGBl. I Nr. 8/2016, geändert wird (238/A-BR/2017)
Werner Herbert, Kolleginnen und Kollegen betreffend Ausgleichsmaßnahmen für besondere Erschwernisse des Exekutivdienstes im Nachtdienst (239/A(E)-BR/2017)
Edgar Mayer, Reinhard Todt, Mag. Nicole Schreyer, Kolleginnen und Kollegen betreffend Abhaltung einer parlamentarischen Enquete gemäß § 66 GO-BR zum Thema: „Die Zukunft der EU – aus Sicht der Bundesländer und Regionen“ (240/A-BR/2017)
Anfragen der Bundesräte
David Stögmüller, Kolleginnen und Kollegen an den Bundesminister für Verkehr, Innovation und Technologie Mag. Jörg Leichtfried betreffend Causa S10 Mühlviertler-Schnellstraße und die Vernichtung wertvollen Bodens in Lasberg (3253/J-BR/2017)
David Stögmüller, Kolleginnen und Kollegen an den Bundesminister für Kunst und Kultur, Verfassung und Medien betreffend baukulturelle Leitlinien (3254/J-BR/2017)
Hans-Jörg Jenewein, MA, Kolleginnen und Kollegen an den Bundeskanzler betreffend Bau einer Mauer rund um das Bundeskanzleramt (3255/J-BR/2017)
David Stögmüller, Kolleginnen und Kollegen an den Bundesminister für Inneres betreffend Tetron und Sepura Digitalfunkgeräte (3256/J-BR/2017)
David Stögmüller, Kolleginnen und Kollegen an den Bundesminister für Landesverteidigung und Sport betreffend Tetron und Sepura Digitalfunkgeräte (3257/J-BR/2017)
Anfragebeantwortungen
des Bundesministers für Inneres auf die Anfrage der Bundesräte Arnd Meißl, Kolleginnen und Kollegen betreffend Moscheevereine und Koranschulen in der Steiermark (2998/AB-BR/2017 zu 3235/J-BR/2017)
des Bundesministers für Inneres auf die Anfrage der Bundesräte David Stögmüller, Kolleginnen und Kollegen betreffend Enteignung Liegenschaft Salzburger Vorstadt 15, 5280 Braunau – „Hitlers Geburtshaus“ (2999/AB-BR/2017 zu 3237/J-BR/2017)
des Bundesministers
für Inneres auf die Anfrage der Bundesräte David
Stögmüller, Kolleginnen und Kollegen betreffend
Grenzkontrollen Bayern – Region Innviertel (3000/AB-
BR/2017 zu 3238/J-BR/2017)
des Bundesministers für Wissenschaft, Forschung und Wirtschaft auf die Anfrage der Bundesräte David Stögmüller, Kolleginnen und Kollegen betreffend Grenzkontrollen Bayern – Region Innviertel: Was bedeutet das für die Wirtschaft? (3001/AB-BR/2017 zu 3236/J-BR/2017)
des Bundesministers für Wissenschaft, Forschung und Wirtschaft auf die Anfrage der Bundesräte David Stögmüller, Kolleginnen und Kollegen betreffend Bundesimmobiliengesellschaft und das Schillerpark-Tiefgaragenprojekt in Linz (3002/AB-BR/2017 zu 3241/J-BR/2017)
des Bundesministers für Europa, Integration und Äußeres auf die Anfrage der Bundesräte Mag. Dr. Ewa Dziedzic, Kolleginnen und Kollegen betreffend wiederholte Menschenrechtsverletzungen gegenüber Homosexuellen im Iran (3003/AB-BR/2017 zu 3242/J-BR/2017)
der Bundesministerin für Gesundheit und Frauen auf die Anfrage der Bundesräte Ferdinand Tiefnig, Kolleginnen und Kollegen betreffend neue Studie zu Palmöl (3004/AB-BR/2017 zu 3243/J-BR/2017)
des Bundesministers für Finanzen auf die Anfrage der Bundesräte Rosa Ecker, Kolleginnen und Kollegen betreffend „das Bundesministerium für Finanzen sucht Ihre Ideen!“ (3005/AB-BR/2017 zu 3244/J-BR/2017)
des Bundesministers für Inneres auf die Anfrage der Bundesräte Peter Samt, Kolleginnen und Kollegen betreffend Zusammenarbeit zwischen dem Innenministerium und der ORS Service GmbH in der Steiermark (3006/AB-BR/2017 zu 3247/J-BR/2017)
des Bundesministers für Inneres auf die Anfrage der Bundesräte Gerd Krusche, Kolleginnen und Kollegen betreffend Luxusmöbel im Schubhaftzentrum Vordernberg (3007/AB-BR/2017 zu 3246/J-BR/2017)
des Bundesministers für Justiz auf die Anfrage der Bundesräte Arnd Meißl, Kolleginnen und Kollegen betreffend Strafvollzug in der Steiermark (3008/AB-BR/2017 zu 3245/J-BR/2017)
des Bundesministers für Inneres auf die Anfrage der Bundesräte Hans-Jörg Jenewein, MA, Kolleginnen und Kollegen betreffend Polizeieinsätze im Umfeld der Wiener U-Bahnstation „Margareten Gürtel“ 2016 (3009/AB-BR/2017 zu 3248/J-BR/2017)
des Bundesministers für Inneres auf die Anfrage der Bundesräte Martin Weber, Kolleginnen und Kollegen betreffend „Gemeinsam.Sicher“ (3010/AB-BR/2017 zu 3250/J-BR/2017)
des Bundesministers für Verkehr, Innovation und Technologie auf die Anfrage der Bundesräte Gerd Krusche, Kolleginnen und Kollegen betreffend Verschubarbeiten am Bhf St. Michael i. d. Obersteiermark (3011/AB-BR/2017 zu 3251/J-BR/2017)
des Bundesministers für Inneres auf die Anfrage der Bundesräte Hans-Jörg Jenewein, MA, Kolleginnen und Kollegen betreffend Exekutive – Planstellen und Überstunden 2016 (3012/AB-BR/2017 zu 3252/J-BR/2017)
Beginn der Sitzung: 9.03 Uhr
Präsident Edgar Mayer: Sehr verehrte Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich darf die 872. Sitzung des Bundesrates eröffnen.
Ich freue mich darüber, dass so viele Leute aus Vorarlberg angereist sind – Freunde, Bekannte, Journalisten, Medienvertreter – und begrüße auch alle anderen vorarlbergaffinen Personen. Ein herzliches Grüß Gott, guten Morgen! (Allgemeiner Beifall.)
9.03
Präsident Edgar Mayer: Erstmals tritt heute der Bundesrat nicht im Parlamentsgebäude, sondern in der Wiener Hofburg zu einer Sitzung zusammen. Damit ist der Bundesrat schließlich doch noch in der Hofburg eingezogen.
Warum, meine Damen und Herren, sage ich das? – In den Anfangsjahren der Ersten Republik, in den Jahren 1918 bis 1920, hat das österreichische Parlament nicht zwei Kammern umfasst, sondern nur eine: Die Provisorische beziehungsweise Konstituierende Nationalversammlung hat im Parlamentsgebäude am Ring getagt. Derselbe Tagungsort war natürlich auch für den mit dem Bundes-Verfassungsgesetz von 1920 geschaffenen Nationalrat vorgesehen.
Das zweite durch das B-VG eingerichtete Organ der Bundesgesetzgebung hingegen, der Bundesrat, sollte, auch um seine organisatorische Unabhängigkeit und administrative Autonomie zum Ausdruck zu bringen, zunächst in einem anderen öffentlichen Gebäude tagen. So begab sich der designierte Kanzleidirektor des Bundesrates, Hofrat Kowy, auf „Herbergsuche“ für den Bundesrat. Er klopfte zunächst, was sachlich und räumlich naheliegend erschien, in der Hofburg an, bei der Burghauptmannschaft. Hier beschied man ihm freilich, dass eine Unterbringung des Bundesrates in der Hofburg jedenfalls so kurzfristig wegen der erforderlichen Adaptierungsmaßnahmen nicht möglich sei.
Ähnlich abschlägigen Bescheid erhielt Hofrat Kowy auch an den anderen Orten, die er aufsuchte, im Belvedere etwa oder im Alten Rathaus in der Wipplingerstraße. So kam es schließlich dazu, dass der Bundesrat doch ins Parlamentsgebäude einzog, wo als Provisorium der ehemalige Vorraum des Herrenhaussitzungssaales für die Plenarsitzungen des Bundesrates adaptiert wurde. Dieses Provisorium hat, wie wir alle wissen, 97 Jahre Bestand gehabt.
So also ist es, meine Damen und Herren, zu verstehen, wenn ich sage, dass der Bundesrat der Republik Österreich schließlich doch seinen Tagungsort in der Hofburg gefunden hat.
9.05
*****
Die Amtlichen Protokolle der 870. und der 871. Sitzung des Bundesrates vom 5. und 6. Juli 2017 sind aufgelegen, unbeanstandet geblieben und gelten daher als genehmigt.
Als verhindert gemeldet sind die Mitglieder des Bundesrates Jutta Arztmann, Ana Blatnik, Mag. Klaus Fürlinger, Inge Posch-Gruska und Dr. Dietmar Schmittner.
Bundesratspräsident a.D. Josef Saller, den ich heute auch herzlich begrüßen möchte (allgemeiner Beifall), hat Bundesrat a.D. Franz Wenger und weitere Salzburger Kollegen mitgebracht, zu denen es natürlich einen besonderen Bezug gibt, wie zum Beispiel Nationalratsabgeordneten Peter Haubner, den ich, wie alle Freunde aus Salzburg, herzlich begrüßen möchte. Einen schönen guten Morgen! (Allgemeiner Beifall.)
Mandatsverzicht und Angelobung
Präsident Edgar Mayer: Da Bundesrat Josef Saller mit Ablauf des 30. September 2017 auf sein Mandat verzichtet hat, ist sein Ersatzmitglied, Dr. Andrea Eder-Gitschthaler, ex lege auf das durch das Ausscheiden von Bundesrat Josef Saller freigewordene Mandat nachgerückt.
Die schriftliche Mitteilung hat folgenden Wortlaut:
Schreiben an den Salzburger Landtag betreffend Mandatsverzicht:
*****
Präsident Edgar Mayer: Das neue Mitglied des Bundesrates Dr. Andrea Eder-Gitschthaler ist im Hause anwesend. Ich werde daher sogleich die Angelobung vornehmen.
Nach Verlesung der Gelöbnisformel durch den Herrn Schriftführer wird die Angelobung mit den Worten „Ich gelobe“ zu leisten sein.
Ich ersuche um Verlesung der Gelöbnisformel.
Schriftführer Ewald Lindinger: „Sie werden geloben unverbrüchliche Treue der Republik Österreich, stete und volle Beobachtung der Verfassungsgesetze und aller anderen Gesetze sowie gewissenhafte Erfüllung Ihrer Pflichten.“
Präsident Edgar Mayer: Ich darf das neue Mitglied des Bundesrates Dr. Andrea Eder-Gitschthaler recht herzlich in unserer Mitte begrüßen. (Allgemeiner Beifall. – Die neu angelobte Bundesrätin wird von ihren Kolleginnen und Kollegen beglückwünscht.)
*****
Bevor wir zur Aktuellen Stunde kommen, habe ich noch eine Mitteilung zu machen – in eigener Sache, wenn ich das so bezeichnen darf –: Ich darf bekannt geben, dass das Mitglied des Bundesrates Michael Raml seine Dissertation abgeschlossen hat und zum Doktor promoviert wurde. Der Titel der Dissertation lautet: Der Bundesrat – eine Analyse seiner Kompetenzen in Theorie und Verfassungswirklichkeit.
Dazu darf ich herzlich gratulieren. Wir wünschen uns alle, dass deine Dissertation wesentliche Impulse für den Bundesrat bringen möge und dass damit auch eine allfällige Reform des Bundesrates verbunden werden kann. – Herzliche Gratulation im Namen des Bundesrates! (Allgemeiner Beifall.)
Ich darf nun den Landeshauptmann von Vorarlberg, Herrn Mag. Markus Wallner, sehr herzlich bei uns im Bundesrat begrüßen. Guten Morgen, Herr Landeshauptmann! (Allgemeiner Beifall.)
Ankündigung einer Erklärung des Landeshauptmannes von Vorarlberg
gemäß § 38 Abs. 3 GO-BR
Präsident Edgar Mayer: Ich darf auch bekannt geben, dass Landeshauptmann Mag. Markus Wallner seine Absicht bekundet hat, eine Erklärung gemäß § 38 Abs. 3 der Geschäftsordnung des Bundesrates zum Thema „Gemeinsam Perspektiven schaffen“ abzugeben.
Es liegt mir hierzu auch ein schriftliches Verlangen im Sinne des § 38 Abs. 4 der Geschäftsordnung des Bundesrates vor, im Anschluss an die vom Herrn Landeshauptmann abgegebene Erklärung eine Debatte durchzuführen. Da das Verlangen ausreichend unterstützt ist, werde ich diesem ohne Weiteres stattgeben.
Ich erteile nun dem Herrn Landeshauptmann zur Abgabe seiner Erklärung das Wort. – Bitte.
Erklärung des Landeshauptmannes von Vorarlberg zum Thema
„Gemeinsam Perspektiven schaffen“
9.11
Landeshauptmann von Vorarlberg Mag. Markus Wallner: Sehr geehrter Herr Präsident! Frau Vizepräsidentin! Herr Vizepräsident! Meine Damen und Herren Bundesräte! Zunächst einmal herzlichen Dank für die Möglichkeit, heute vor Ihnen sprechen zu dürfen. Ich möchte natürlich die Gelegenheit wahrnehmen, am Beginn auch Ihnen meinen
Respekt zu zollen, Ihnen Wertschätzung entgegenzubringen und Ihnen meinen Dank für das auszusprechen, was Sie leisten. Wir sind jetzt mitten im Wahlkampf, und man könnte vieles sagen; ich lasse das heute ein bisschen beiseite, wenn es geht.
Ich weiß, dass wir gerade als Länder und Gemeinden eine starke Achse im Bundesrat benötigen. Dass der Einsatz für Länderinteressen, wenn es ein Vorarlberger sagt, von besonderer Bedeutung ist, muss ich nicht unterstreichen. Ich danke Ihnen daher sehr. Wann immer Sie Ihre Stimme für Länderinteressen erheben, bin ich grundsätzlich dankbar und zu jeder Form der Zusammenarbeit bereit. Ich danke auch der Vorsitzführung – Vorarlberger Vorsitz, die Marke Vorarlberg spiegelt sich schon in der Vorsitzführung wider.
Es ist schon ganz entscheidend, dass wir uns als Länder artikulieren. Ich sage Ihnen das schon jetzt: In der nächsten Legislaturperiode, wenn es um Fragen der Staatsreform geht, wird das noch einmal ganz entscheidend werden.
Was das Verhältnis zwischen Bund und Ländern betrifft, stehen wir vor großen Herausforderungen. Wenn man die Entwicklungen der nächsten Jahre anschaut, dann kann man auch sagen, dass das vielleicht zur Nagelprobe dafür werden wird, ob Bund, Länder und Gemeinden mit ihrem Verhältnis, mit ihrer Partnerschaft, wie ich es eigentlich nenne, mit ihrer konstruktiven Partnerschaft auch in der Lage sind, reformorientiert zu arbeiten, ob wir dem Bundesrat endlich nach vielen Jahrzehnten jene Möglichkeiten einräumen, die für den Bundesrat in Deutschland eigentlich ganz normal sind, nämlich – wenn es nach mir geht – ein echtes Mitspracherecht, echte Vetomöglichkeiten.
Es wird sich aber auch die darüber hinausgehende Frage stellen, ob wir das, was an Herausforderungen ansteht, miteinander gut bewältigen können. In guten Zeiten ist das Miteinander nie ein Problem, in Krisenzeiten wird es jedoch auf die Probe gestellt, und es gibt in den nächsten Jahren doch einige große Herausforderungen, die uns alle miteinander ordentlich unter Druck setzen werden. Gerade im internationalen Standortwettbewerb, ein erster wichtiger Bereich, geht es natürlich zum einen um optimale bundesweite Rahmenbedingungen. Das liegt auf der Hand. Wer mit Unternehmern und Arbeitnehmern zu tun hat, hört das jeden Tag: optimale Steuerpolitik, das Bildungssystem, noch mehr Investitionen im Bereich Forschung und Entwicklung, also Dinge, die der Bund sehr maßgeblich mit beeinflussen kann und bei denen er dafür sorgen kann, dass gute Rahmenbedingungen vorherrschen, um unseren Betrieben zu ermöglichen, dass sie international im Wettbewerb besser mithalten können.
Es geht aber nicht nur um bundesweite Rahmenbedingungen, sondern – wir sind ja hier im Bundesrat – es geht auch darum, dass wir nicht übersehen sollten, dass die regionalen Chancen, in diesem Fall für die Länder – auch für unser Bundesland –, intakt bleiben. Ich möchte den Blick dafür schärfen – ich sage das im Bund immer wieder –, dass wir nicht nur über Österreich diskutieren und uns innerhalb der sehr engen Grenzen der Nation bewegen können, sondern dass wir auch aufgefordert sind, über die Grenzen zu schauen.
Für uns im Westen Österreichs, in Vorarlberg im Speziellen, hat das eine ganz besondere Bedeutung, und ich will den Blick darauf lenken, weil alles, was wir diskutieren, oft von nationalen Grenzen eingeengt wird; in Europa, in einem offenen Europa, das wir auch haben wollen, greift das zu kurz. Wir sind im Westen Österreichs, speziell in Vorarlberg, in eine hochkompetitive Bodenseeregion und in eine sehr vitale Alpenregion eingebettet, und die Grenzen engen uns eher ein. Wir brauchen mehr Spielraum für überregionale Zusammenarbeit. Das ist ganz wichtig.
Wir denken in einem Europa der Regionen, wir denken über die engen Grenzen des Nationalstaates hinaus; anders geht es bei uns gar nicht. Ich sage Ihnen, wie ich aufgewachsen bin: immer mit vier bis fünf Währungen in der Hosentasche. Mein Vater hatte
außer österreichischen Schillingen immer Deutsche Mark, Schweizer Franken, Italienische Lire und gelegentlich auch französische Francs dabei, weil wir sehr nahe an den hochvitalen und wettbewerbsfähigen Regionen dieser Staaten leben. Das heißt, der Blick muss auch auf die überregionale Zusammenarbeit, auf den europäischen Zusammenhalt gelenkt werden.
Allein wenn Sie diese Vierländerregion rund um den Bodensee hernehmen – außer Österreich die Ostschweiz, Liechtenstein und die südlichen deutschen Bundesländer, vor allem Bayern und Baden-Württemberg –, so ist das eine der stärksten Wirtschaftsregionen in Europa mit über 27 Millionen Einwohnern, davon 11,4 Millionen Beschäftigten – eine echte Konjunkturlokomotive! Die Rennpferde Europas sitzen in diesen Regionen, und wir sind gut beraten, dass wir die Entwicklung dort auch im Auge behalten und die Diskussionen nicht immer nur innerhalb der österreichischen Grenzen führen, sondern weit über diese hinausblicken, unsere Region im Auge behalten, aber sagen, eine überregionale Sichtweise ist notwendig.
Die Wertschöpfung in dieser Vierländerregion, von der ich jetzt spreche, beträgt mehr als vier Mal so viel wie in Gesamtösterreich. Jeder zwölfte Euro, der in der EU erwirtschaftet wird, stammt aus dieser Vierländerregion. Ich möchte das einfach einmal sagen, damit man den Blick ein bisschen weg von Wien lenkt und auf eine andere Region schaut, damit Sie wissen, wie hochpotent diese Region ist und dass uns nicht geholfen ist, wenn immer nur zwischen Eisenstadt und Bregenz diskutiert wird, wenn immer nur die Vereinheitlichung dieser Regionen angesprochen wird. Uns ist in Wirklichkeit ein guter europäischer Rahmen und eine zurückhaltende Gesetzgebung auf Bundesebene lieber. Wir brauchen eine ganz enge Abstimmung in diesen Regionen, um den Wohlstand für uns auf Dauer absichern zu können.
Österreich hat alle Chancen, im europäischen Vergleich erfolgreich zu sein. Unser Wachstum ist in den letzten Jahren über dem Eurozonenschnitt gelegen. Die Zahl der Arbeitslosen ist zu hoch, aber sie ist jetzt zumindest im Rückgang begriffen; in unserer Region ist sie sehr niedrig. Eine Visitenkarte für Österreich ist aber die im internationalen Vergleich sehr geringe Jugendarbeitslosigkeit. Schauen Sie ein bisschen in den Süden Europas, in andere Regionen in Europa, und Sie werden sehen, was sich dort im Bereich der Jugendarbeitslosigkeit abspielt: Da gibt es Raten von 30 oder 40 Prozent, in gewissen Ländern Südeuropas sogar von bis zu 70 Prozent. Da brennen die Autos in den Vorstädten, da gibt es eine steigende Jugendkriminalität – eine Entwicklung, die ich natürlich nicht für gut halte und angesichts derer ich schon dazusagen muss: Vorarlberg nicht, kein Bundesland in Österreich hat das so je mitgemacht.
Wir sind also schon in einer Situation, wenn ich diesen speziellen Aspekt herausnehme, der uns auch auszeichnet, in der man sagen kann, im europäischen Vergleich hat Österreich im Moment sehr gute Wachstumschancen und somit natürlich die Möglichkeit, zu den wirtschaftlich erfolgreichen Staaten zu zählen.
Wenn wir das ein bisschen untermauern: Es gibt so viele Rankings und Vergleiche, die unseriös sind oder in denen die Vergleiche schwierig sind, ich ziehe daher den Global Competitiveness Index heran, denn das ist eines jener Rankings, die geeignet sind und die ich auch für seriös halte. Da kann man die Stärken und Schwächen Österreichs sehr gut erkennen: Wir waren im Jahre 2008/2009 noch auf Platz 14 dieses Rankings, sind dann stark abgerutscht, haben uns mittlerweile wieder um ein paar Positionen verbessert, sind aber nicht wirklich dort, wo Österreich hingehört.
Ein Blick auf unsere Stärken und Schwächen, zumindest gemäß diesem Index, zeigt auch ganz klar, wo wir stehen: In den Bereichen Arbeitsproduktivität, Lehrlingsausbildung, Gesundheitssystem und Lebensqualität hat Österreich absolute Spitzenpositionen. Das sollte man sich immer vor Augen halten. In anderen Bereichen wie öffentliche Finanzen, Arbeitszeitregelungen, Abgabenquote oder, was mich eigentlich am meisten är-
gert, Investitionen in die Informations- und Kommunikationstechnologien, also in Bereichen, die wir so dringend benötigen, haben wir leider schlechte Plätze im europäischen Vergleich. Beim Breitbandausbau und in ähnlichen Bereichen muss also mehr geschehen.
Die Schwächen werden natürlich schonungslos offengelegt, in diesen Bereichen sind wir nicht einmal unter den Top 50 weltweit. Ich denke, es ist ziemlich klar, was geschehen muss, in welche Richtung die Investitionen gehen müssen und in welche Richtung die grundsätzliche Strategie der nächsten Regierung, wie immer sie auch aussehen wird, gehen muss. Diese Dinge sind weitestgehend unbestritten, die Frage wird dann sein, was man genau tut.
Die Herausforderungen in der Wirtschaftspolitik sind groß. Wir diskutieren das bei uns ganz offen und klar und versuchen, Strategien zu entwickeln. Die großen Fragen sind Digitalisierung und Automatisierung, die Abgabenbelastung, der demografische Wandel, die Finanzierung von Pflege und Gesundheit bei einer älter werdenden Bevölkerung – eine große Herausforderung! –, die europäische Integration – wo geht es hin und welche Rolle nehmen Österreich und die Bundesländer dabei ein? – und Reformen in der EU, die Globalisierung, der Klimawandel. – Das sind die großen Fragen, die uns betreffen und auf die Antworten gefunden werden müssen.
Wir haben versucht, während unseres Vorsitzes – so schwierig das in Wahlkampfzeiten auch ist – zu sagen: Eigentlich geht es uns, mir im Speziellen und den Bundesländern im Allgemeinen, darum, die Gemeinsamkeiten zu suchen, die Herausforderungen klar herauszufiltern, zu versuchen, sie außer Streit zu stellen und gemeinsam Perspektiven aufzubauen. Der Stil soll dabei sachlich gehalten werden, konstruktiv sein, auf Zusammenarbeit ausgerichtet sein, er soll positive Impulse setzen, den Wettbewerb, auch unter den Ländern, zulassen, aber grundsätzlich auf einem partnerschaftlichen Gedanken beruhen. Es soll auf Augenhöhe verhandelt werden, die Länder sind keine Befehlsempfänger, und die Gemeinden auch nicht, und zwar von gar niemandem. In der Verfassung, auch in der Finanzverfassung, sind die Dinge auf Augenhöhe geregelt. Alle anderen Bestrebungen laufen mir zutiefst zuwider.
Man kann, wenn man die Dinge partnerschaftlich anpackt, so wie es die Verfassung vorsieht, immer mit Vorarlberg und mit den Ländern reden, auch unter unserer Vorsitzführung. Wenn man es anders anpackt, dann gibt es auch Gegenäußerungen.
Ich habe mir vorgenommen, mich nicht zu allem zu äußern, denn es gibt genug, die zu allem ihren Senf dazugeben. Ich habe mir vorgenommen, dass wir uns während unseres Vorsitzes und vor allem in der Zeit nach dem 15. Oktober, denn darauf wird es ankommen, in den Bereichen einbringen, in denen wir selbst Glaubwürdigkeit haben, auch in der Öffentlichkeit.
Ich äußere mich nicht zu Dingen, von denen ich nichts verstehe, sondern ich äußere mich, wenn ich den Eindruck habe, dass wir in einem Bereich im eigenen Bundesland versuchen, mit viel Bemühen einen Schritt vorauszugehen. Das ist guter Föderalismus, da kann man uns auch messen, da sind wir auch bereit, zu sagen, was wir tun und was wir nicht tun, wo die Stärken und Schwächen sind, wo wir mit gutem Beispiel vorangehen können. Dazu versuche ich mich zu äußern, weil ich auch in der öffentlichen Debatte immer noch an das positive Beispiel und weniger an die Dampfplauderei glaube, an die echten Umsetzungen, die gemacht werden.
Das mag uns ein bisschen unterscheiden; das ist ein gewisser alemannischer Grundzug: Wir rechnen noch immer, bevor wir reden, und nicht umgekehrt. Wir schauen noch immer, dass wir die Dinge auch umsetzen und nicht nur ankündigen können. – Das ist eine spezielle Eigenschaft, die nicht alle mögen, weil sie manchmal unangenehm ist. Wir legen auch Wert auf Eigenständigkeit, das mögen auch nicht immer alle. Gele-
gentlich wird das als Eigensinnigkeit interpretiert, auch das ist in der Bandbreite der politischen Debatte möglich. Wir sind nicht immer die Bequemsten, aber wir äußern uns nicht zu jedem Schmarrn, sondern wir überlegen genau, wozu wir uns äußern. Wir äußern uns sachlich, wir sind nicht prinzipiell gegen oder prinzipiell für etwas, sondern wir schauen uns das ganz genau an.
Wir äußern uns dann, wenn es darum geht, mit öffentlichen Mitteln sparsam umzugehen. Da ist immer eine Stimme der Vernunft gefragt. Wenn sie aus dem Westen kommt, ist sie, meine ich, glaubwürdiger, schlichtweg deswegen, weil wir seit 30 Jahren keine neuen Schulden mehr machen; schlichtweg deswegen, weil Vorarlberg nie spekuliert hat, auch ohne einheitliches österreichisches Haushaltsrecht, das ja nun kommt; schlichtweg deswegen, weil es keine Spekulationen gegeben hat, weil keine Schulden gemacht worden sind; weil wir jene Region, jenes Bundesland sind, wo die Investitionsquote sehr hoch ist, sie ist vergleichbar mit Bayern, mit guten Schweizer Kantonen, mit den besten Bundesländern, mit Oberösterreich.
Wenn es um den Umgang mit öffentlichen Mitteln geht, dann äußern wir uns. Ich meine, dass wir das auch glaubwürdig tun können. Das können nicht alle von sich behaupten, und ich denke, wenn man die Vorarlberger Stimme in diesem Bereich einbringt, kann man auch etwas erreichen.
Wir äußern uns in Fragen der Haushaltskonsolidierung und als geübte Finanzausgleichsverhandler, das wird Ihnen aufgefallen sein. Dazu brauchen wir auch Ihre Partnerschaft. Immer, wenn es um Finanzausgleichsfragen geht, hat Vorarlberg seine Stimme sehr sachlich und lösungsorientiert erhoben. Immer dann, wenn einseitig eingegriffen wurde, haben wir uns heftig eingebracht, bis hin zu Verfassungsklagen, alles ist in diesem Zusammenhang schon vorgekommen. In diesen Bereichen kann man weiterhin erwarten, dass wir klar Position beziehen.
Wir äußern uns zu Sicherheitsthemen, weil wir das Bundesland mit der höchsten Aufklärungsquote sind, weil uns die Sicherheit der Bürger ganz wichtig ist. Ich denke, auch da können wir uns glaubwürdig einbringen.
Mir ist die Asylfrage, insbesondere die Integrationsfrage, persönlich besonders wichtig. Vorarlberg ist neben Wien eines der Bundesländer mit hohem Migrantenanteil. Wir haben viel Erfahrung mit Zuwanderungswellen, wir sind in Fragen der Integration schon seit Jahrzehnten herausgefordert, und ich meine, dass wir fachliches, aber auch politisches Know-how in dieser Frage einbringen können. Bei der österreichweiten Debatte wird Ihnen vielleicht auffallen, dass dann und wann auch etwas von uns dazu kommt, das sich von den üblichen Plattitüden unterscheiden möge.
Wir äußern uns zum Zukunftsthema Bildung, weil ich es für die Schlüsselfrage der Zukunft halte. Wir sind bemüht, im Bereich des Bildungssystems sehr viel zu tun.
Die Zeit des Vorsitzes ist ein Stück weit von den Nationalratswahlen geprägt, in diesen Tagen ist die Situation nicht einfach. Dirty Campaigning und Vorwürfe in den Medien machen es schwierig, die Sachthemen überhaupt zu diskutieren, weil das untergeht. Es stehen aber viele ungeklärte Fragen im Raum. Mir ist bewusst, dass man in einer solchen Phase kurz vor einer Wahl, in den Wochen vor einer Wahl, nicht die größten Reformen auf den Weg bringen kann. Das wird man wohl für danach planen müssen, im Moment geht das im Dirty-Campaigning-Sumpf sowieso unter.
Man kann sich nur wünschen, dass die Dinge rasch auf den Tisch kommen, rasch aufgeklärt werden. Ein Satz dazu sei mir erlaubt: Ich hätte mir erwartet, dass sich der Bundeskanzler bei der österreichischen Bevölkerung entschuldigt. Das hätte ich mir erwartet, und mehr sage ich dazu nicht. Es wäre im Sinne des Gesamten notwendig gewesen, schlichtweg zu sagen: Da haben wir einen Fehler gemacht. – Das könnte ein Bundeskanzler auch zugeben, wenn derartige Methoden ans Licht kommen. (Beifall bei der ÖVP.) Gut, ich lasse das jetzt beiseite.
Man kann nicht erwarten, dass man während der Zeit des Vorsitzes die allergrößten Reformen auf den Weg bringt, es ist aber wichtig, sich für danach vorzubereiten. Es ist wichtig, zu überlegen, was die wichtigsten Länderforderungen sind. Es ist gut, sich darauf intern vorzubereiten und zu überlegen, was kommt und wo wir als Länder dann auch gefragt sind, wo wir unsere Reformvorschläge einbringen.
Was ist für die Menschen entscheidend? – Die Sicherheit im umfassenden Sinne, und ich meine in diesem Zusammenhang nicht nur militärische und polizeiliche, sondern auch soziale Sicherheit.
Ein wichtiger Punkt sind geordnete Staatsfinanzen. Ich habe am Beginn gesagt, dass wir uns dazu immer äußern, weil uns das sehr wichtig ist. Die nächste Bundesregierung braucht die Partnerschaft zwischen Bund, Ländern und Gemeinden, um die Staatsfinanzen – ich will nicht sagen: in Ordnung zu bringen – zu ordnen. Wir sitzen insgesamt auf einem Schuldenberg, der nicht gut ist. Die Kinder und Enkelkinder werden das abtragen müssen, und das muss natürlich ein Ende finden.
Wenn wir das sagen, sagen wir es glaubwürdig. Wir stecken jetzt alle in den Vorbereitungen der Budgets für 2018. Es sind harte interne Gespräche zu führen, wir fahren einen engen Sparkurs, wenn wir vorgeben, keine neuen Schulden zu machen. Wenn man im eigenen Laden, den eigenen Leuten, den Regierungsmitgliedern, den vielen Zielgruppen, die etwas wollen, sagt, wir in Vorarlberg machen keine neuen Schulden, wir werden den Gürtel etwas enger schnallen müssen, dann sind das nicht immer die besten Nachrichten.
Das ist aber notwendig, weil es insgesamt die Kraft für Investitionen anhebt. Es geht nicht um Sparen als Selbstzweck, um des Sparens willen. Es geht darum, dass Spielräume geschaffen werden. Es geht darum, dass Investitionsquoten hoch gehalten werden, und es geht darum, dass man die Kraft hat, in jene Bereiche zu investieren, die für die Bewältigung von Zukunftsaufgaben wichtig sind.
Werfen Sie einen Blick ins Bundesbudget und schauen Sie einmal, was wir für die Vergangenheit ausgeben und was für die Zukunft! Dann schauen Sie, was weltweit passiert, und überlegen Sie, ob wir wirklich die Kraft und auch das Geld haben, um die großen Herausforderungen anzupacken und letztlich auch zu finanzieren, oder ob wir in vielen Bereichen eben die Vergangenheit bedienen! – In vielen Bereichen ist das leider so. Das trifft auch auf einige Budgets auf Landesebene zu.
Darum geht es mir im Kern: Eine stabile Regierung braucht stabile Staatsfinanzen. Die kommende Regierung wird in diesem Zusammenhang einiges zu tun haben. Es wird auf der Hand liegen, auch wenn die Konzepte unterschiedlich sind, im Grunde genommen sagen es alle Parteien. Steuern rauf!, sagen wohl die wenigsten. Abgabenquote rauf!, sagen wohl die wenigsten. Die Konzepte mögen unterschiedlich sein, aber davon, die Steuern zu senken, reden fast alle. Wenn man aber neue Steuern erfindet, die Abgabenquote anhebt, auch wenn man nichts tut und schlichtweg sagt, wir lassen alles stehen wie es ist, was ganz schlecht ist, werden die Quoten natürlich steigen. Wir sind jetzt bei einer Höhe, die nicht gut ist, die international schädlich ist. Ich hoffe, dass es schon Übereinstimmung darin gibt, dass die grundsätzliche Strategie und Richtung doch sein muss: etwas hinunter – zumindest Richtung deutsches Niveau. Wenn es dort geht, dann verstehe ich nicht, warum es bei uns nicht gehen soll.
Die Konzepte mögen unterschiedlich sein, aber die Grundrichtung muss da sein. Wir, die Länder, werden uns mit dem Bund darüber verständigen müssen, wie wir das zustande bringen. Welche Richtung können wir einschlagen? Wie schaffen wir die Kraft für Zukunftsinvestitionen, wie können wir Impulse setzen, auch um in Krisenzeiten gegensteuern zu können?
Schauen wir uns den Bund und das Land Vorarlberg im Vergleich an: Seit mittlerweile über 30 Jahren – mit zwei Ausnahmen, aber auch da nur sehr geringfügig, eine Hochwasserkatastrophe im Jahr 1999, eine Finanzkrise im Jahr 2008 – gibt es in Vorarlberg keine neuen Schulden. Im Bundesbudget gibt es das 55. Jahr in Folge neue Defizite. Der Skandal in Kärnten rund um die Hypo Alpe-Adria hat seinen Teil dazu getan, das hat die Performance kurzfristig wieder verschlechtert. Ich muss dem Finanzminister attestieren und einräumen, dass er sich in der Frage der Senkung der Abgaben- und Schuldenquote enorm bemüht. Das war angesichts des unglaublichen Skandals in Kärnten damals eigentlich unmöglich, eine Mission impossible, weil die Bewältigung dieses Kriminalfalles – um es einmal so zu nennen – natürlich gekostet hat und noch immer kostet. Das wirkt sich natürlich auf Defizitquoten, auf Schuldenquoten und so weiter aus.
Unabhängig davon muss sich aber die Grundrichtung ändern, es braucht eine Trendwende. Oder wollen wir auf das Jahr 60, auf das Jahr 70 oder auf das Jahr 100 warten und bis dahin immer neue Defizite machen? Wer soll das bezahlen? – Sie werden es beantworten können: Unsere Kinder, unsere Enkelkinder und die Generationen danach werden einen Schuldenberg vorfinden, der sich gewaschen hat.
Auch bei uns wird man sich nach der Decke strecken müssen, auch die Länder sind in diesem Zusammenhang gefragt. Es ist eine gesamtstaatliche Aufgabenstellung, eine Trendwende herbeizuführen und natürlich zu schauen, dass die Länderinteressen dabei gewahrt werden. Das ist eine wichtige Leitplanke, und ich habe es am Beginn schon kurz gesagt: Wenn es um Finanzen geht, bitte ich Sie wirklich um Unterstützung, denn es kommt manchmal zu Vorgängen, die schmerzen. Zuletzt ist so etwas ja auch im Bereich der Pflege passiert.
Der Finanzausgleich ist gerade für kleine Bundesländer wie Vorarlberg entscheidend; kraft Größe kann man überall drüberfahren. Aber nicht über uns! Als kleiner Partner ist man noch mehr darauf angewiesen, dass Vereinbartes eingehalten wird. Das ist auch ein Grund dafür, dass wir so genau und so penibel sind, dass das fair, auf Augenhöhe und partnerschaftlich läuft. Man sollte immer darauf achten, dass die Sache, auch wenn der Partner kleiner ist, fair abläuft und Verträge eingehalten werden.
Der Finanzausgleich ist neben den gesamtstaatlichen Finanzen und deren Strömen eine ganz, ganz wichtige Leitplanke für die Planbarkeit in den Ländern und den Gemeinden; Sie kommen ja alle aus Ländern und Gemeinden. Den Finanzausgleich kann man daher nicht jede Viertelstunde ändern. Man muss sagen, dass er zumindest für die nächsten paar Jahre vereinbart worden ist.
Ich lege größten Wert darauf, dass diese Vereinbarungen eingehalten werden. Wenn Änderungen gewünscht sind, und auch das wird wahrscheinlich vorkommen, dann ist zu verhandeln, dann ist partnerschaftlich vorzugehen und nicht einseitig. Das ist eine wichtige Botschaft, und ich bitte Sie im Bundesrat um die bestmögliche Unterstützung in diesem Zusammenhang, denn es kann immer wieder zu solchen Situationen kommen.
Ich bitte Sie auch, aufmerksam zu bleiben, wenn es um Finanzen geht: In den letzten Jahren – in der letzten Gesetzgebungsperiode, muss man mittlerweile schon sagen – gab es genügend Vorschläge oder Angriffe in Richtung Auflösung der Finanzhoheit der Bundesländer. Sie kennen die Diskussionen rund um die Finanzverfassung. Sie wissen auch, von welchen Personen ich jetzt rede, die im Eindruck von verschiedenen Schwierigkeiten – der Spekulationsskandal in Salzburg etwa oder auch die Vorfälle in Kärnten – ein paar ganz intelligente Vorschläge gemacht haben. Solche Vorschläge kommen immer im Kielwasser solcher Schwierigkeiten, das muss man sehen, in diesem Zusammenhang werden Versuche unternommen, die Finanzhoheit der Länder insgesamt abzuschaffen. § 6 Finanz-Verfassungsgesetz, Sie kennen es: Was ist Bundessache und wie weit geht die Länderhoheit in dem Zusammenhang?
Solche Vorschläge gibt es im Nationalrat immer wieder, und ich bitte Sie, als Bundesrat sehr darauf zu schauen. Wenn das wirklich kommen würde, verlieren wir im Kern die Gestaltungsfreiheiten, und das sollte eigentlich nicht passieren.
Ich streife nur kurz die jüngste Debatte zum Pflegeregress: Inhaltlich kann man durchaus der Meinung sein, dass die Abschaffung richtig ist. Ich will das inhaltlich gar nicht in Zweifel stellen, aber den Ländern 100 Millionen € anzubieten und dann zu meinen, es sei damit erledigt, widerspricht den Grundrechnungsarten. Das beleidigt den Hausverstand. Wer ein bisschen nachrechnet, wird sagen: Na gut, mit 100 Millionen € wird es nicht getan sein. Alleine die Einnahmeausfälle werden geschätzt bei 200 Millionen € liegen, und die Folgekosten werden noch höher sein.
Ich lasse die inhaltliche Debatte jetzt beiseite, man kann sich auch dafür aussprechen. Ich verlange aber natürlich vehementest, dass das nach dem 15. Oktober geradegestellt wird. Es muss klar sein: Wer einseitig eingreift und etwas abschafft, in diesem Fall den Pflegeregress, ohne Verhandlungen zu führen, und damit in die Finanzmasse der Länder per Gesetz, per Verfassungsgesetz direkt eingreift, Landesgesetze per 1. Jänner direkt aushebelt, wird dafür die Rechnung bekommen. Es ist relativ einfach: Wer anschafft, zahlt.
Wir werden das ganz sachlich, ganz konstruktiv handhaben. Es ist inhaltlich in Ordnung, finanziell aber ungelöst, und das wird man am 16. Oktober und danach natürlich sagen müssen. Wir sagen es jetzt schon, und bekannt ist es ja schon. Der Finanzminister hat uns zugesichert, in Gespräche einzutreten und dafür zu sorgen, dass wir auch die entsprechende Abgeltung bekommen.
Abgesehen davon wäre zum System selbst auch die eine oder andere Diskussion notwendig: Was unternimmt man, wenn man da eingreift? Wie kann man ambulante Pflege, die uns wichtig ist, stärken? Das wäre notwendig.
Das ist ein kleines, aber interessantes Beispiel dafür, wie vorgegangen wird und wie wir uns aufstellen müssen. Ich bitte Sie um Ihre Aufmerksamkeit in diesem Zusammenhang, denn wenn es solche Vorgänge gibt, ist höchste Aufmerksamkeit gefragt. Ich bitte Sie, genau hinzuschauen, wo man da wirklich zustimmt und wo nicht.
Eines der großen Themen, das uns wichtig ist, ist Bildung, Ausbildung und Qualifikation. Dazu möchte ich zwei Dinge sagen, die mir aus Ländersicht und aus Vorarlberger Sicht besonders wichtig sind: In jedem Bildungssystem ist zu beantworten, wie die Spitzenleistungen entstehen, und in jedem Bildungssystem ist zu beantworten, wie die Chancengleichheit organisiert wird, wenn es funktionieren soll. Diese beiden großen Aufgaben bleiben und werden in Österreich unzureichend gelöst. Wir könnten besser sein. Der Einsatz von Geldmitteln ist eigentlich relativ hoch, der Output ist zu gering. In Fragen der Bildung, der Qualifikation haben wir gemeinsam, Bund und Land und natürlich alle anderen, die im Bildungssystem tätig sind, ganz besonders viel Arbeit vor uns, um eine der größten Herausforderungen überhaupt zu bewältigen.
Österreich ist kein Land, in dem große Bodenschätze vorhanden sind. Wir können uns nicht darauf verlassen, dass wir Öl oder sonst irgendetwas finden. Wasser haben wir ausreichend, Natur haben wir ausreichend. Das sind große Schätze, aber ökonomisch verwertbar sind sie nur im Tourismus. Insgesamt braucht es Investitionen in die besten Köpfe, es braucht das Bildungssystem.
Ein letzter Satz noch dazu, weil das in der Gesamtausrichtung wichtig sein wird: Schauen wir doch genauer hin und überlegen uns wirklich, wie es uns besser gelingen kann, bildungsfernere Kinder, bildungsfernere Eltern, bildungsfernere Jugendliche zu erreichen! Die Demografie wird uns ja ohnehin zeigen, wohin das läuft. Wir lassen zu viele Kinder zurück, auch bei uns. Ich sage das selbstkritisch; es sind zu viele, die den Hauptschulabschluss nicht schaffen.
Wenn Sie mit einem Unternehmer reden und fragen, was der Wachstumsengpass der Zukunft ist, wo die neuen Arbeitsplätze entstehen und was wir tun müssen, damit es klappt, dann sagt Ihnen jeder: Die Kosten sind wichtig, Steuerpolitik, Abgabenquote, Lohnnebenkosten, die Arbeitszeit. – Okay, aber wie ein roter Faden zieht es sich durch Österreich: Die Fachkräfte sind entscheidend. Wir brauchen die am besten ausgebildeten Leute.
In Vorarlberg gibt es einen Slogan dazu: Wir wollen das Land der besten Fachkräfte sein. Wir investieren nicht umsonst so viel in die Lehrlingsausbildung, in die duale Ausbildung, wir wollen dort weltweit an der Spitze bleiben, weil wir gar nicht anders können. Es ist ein Fehler, Kinder zurückzulassen; das ist ein Fehler.
Die Unternehmer haben in den letzten Jahren gesagt: Eigentlich ist das einfach, da kommen 100 Bewerber, und die besten zehn nehme ich! Heute aber kommen 20 Bewerber, und alle 20 werden genommen, egal, welchen Hintergrund, egal, ob migrantischer Hintergrund oder nicht, egal, welche Ausbildung sie haben, die meisten Unternehmer können gar nicht anders. Und für die kleineren Betriebe ist es noch schwieriger, die sagen, sie finden gar keine Bewerber mehr. Darin ist also eine große Aufgabe zu sehen, und es ist mir ein großes Anliegen, zu sagen: Investieren wir weiter in die duale Ausbildung! – Ein Thema, das in Österreich unterbelichtet ist. (Beifall bei ÖVP und SPÖ sowie des Bundesrates Stögmüller.)
Die Lehrlingsausbildung ist eine Visitenkarte im europäischen Vergleich. Ich bin im Ausschuss der Regionen. Ein kleines Beispiel: Neben mir sitzt mittlerweile ein Finne, glaube ich, der mich immer fragt: Wie geht denn das mit der dualen Ausbildung in Österreich? Wie funktioniert das? Ich sage dann: Das ist eigentlich ganz einfach: Wir stellen die Berufsschulen zur Verfügung – öffentliche Investition –, aber die Betriebe selbst bilden aus, und zwar Jugendliche. Die Antwort meines Kollegen, den ich sehr schätze, war: Bei uns wäre das unmöglich, das wäre Kinderarbeit! – Es gibt also auch völlig andere Ansichten in diesem Zusammenhang.
In Finnland – das hochgelobte System – ist die Jugendarbeitslosigkeit fünfmal höher als bei uns, und es gibt eine Verschulung, Fachschulen, diese mögen auch gut sein, aber keine, fast keine, wirklich kombinierte Ausbildung mit einem Betrieb. Wo auf der Welt gibt es das? – In Deutschland, aber auch nicht in allen Bundesländern, in Österreich – in vielen Bundesländern bei uns mit hoher Quote –, in der Schweiz, und dann ist es vorbei! Das System wird jetzt gerade exportiert, nach China und weiß ich wohin, weil es erfolgreich ist. Bleiben wir da also drauf, reden wir nicht immer nur über die gemeinsame Schule und solche Dinge, so wichtig das auch ist, sondern schauen wir auch dorthin, wo es wirklich wichtig ist!
Ich bitte Sie auch, dafür einzutreten, dass wir mehr Geld in die Volksschulen bringen. Ich sage das jetzt ganz offen: Die Volksschulen, die Frühförderung insgesamt und auch die Volksschulen, sind Bundessache und sie sind finanziell unterbelichtet. Ich halte es für unseriös, wenn Leute einfach hinaustreten und sagen, es stünden ein paar Tausend Lehrer zur Verfügung – ich weiß gar nicht, wo die sind; das ist unseriös. Immerhin ist aber der Gedanke da, zu sagen, es braucht dort mehr an Unterstützung für die Volksschulen.
In Vorarlberg müssen wir derzeit, um das System aufrechterhalten zu können – höhere Migrantenanteile, sonderpädagogischer Förderbedarf –, ungefähr 520 Lehrerstellen, das ist eine große Zahl, selbst finanzieren, weil der Bund es nicht tut. Die Stellenplanrichtlinie des Bundes ist in diesem Zusammenhang eigentlich seit Jahren unterbelichtet. Es ist schon ein bisschen eigenartig, wenn dann Leute kommen und sagen, man hätte 5 000 Lehrer für uns. Dann sage ich: Ihr könnt gerne eine Rechnung für die haben, die wir jetzt schon selbst bezahlen, für die der Bund eigentlich zuständig ist!
Das sind Wahlkampftöne. In Wirklichkeit geht es aber darum, dass wir dort mehr an Unterstützung leisten. Das ist etwas aus dem Blickfeld geraten, verloren gegangen. Man redet viel über Mittelschule, gemeinsame Schule und so weiter und zu wenig über die Volksschule, zu wenig über die Frühförderung. Wir wissen aber schon: Auf den Anfang kommt es an! Das beginnt in der Familie, wo, wie ich glaube, gewisse Verhaltenseigenschaften, gewisse Charaktereigenschaften für das Leben gelernt werden können oder nicht. Es gibt gewisse Dinge, die man nur in der Familie lernen kann, in keinem anderen System. Es geht dann in der Kinderbetreuung und im Kindergarten weiter, wo sich die Frage von Deutschkenntnissen schon intensiv stellt, es geht weiter mit dem Schuleintritt. Es ist richtig, wenn öffentlich darauf hingewiesen wird, dass beim Schuleintritt die Deutschkenntnisse besser sein sollten; natürlich ist das richtig. Und es ist auch wichtig, dass wir mehr Augenmerk auf die Volksschule richten, die Frühpädagogik, die duale Berufsausbildung und selbstverständlich auch auf die Frage, wie wir mehr Kinder im System mitnehmen können.
Ich halte den letzten Teil in der Diskussion für eher unterbelichtet, zu wenig intensiv diskutiert, nämlich die Frage: Wen lassen wir auf der Seite liegen, wie viele Kinder kommen nicht mit? Diese Diskussion wird zu wenig geführt.
Ein drittes Thema – ein ziemlicher Sprung – ist die Frage der Sicherheit, des Asyls und der Integration; drei, vier Sätze dazu: Helfen Sie mit, wenn es darum geht, regionale Sicherheitsstrukturen zu erhalten! Das Geheimnis einer hohen Aufklärungsquote liegt in einem guten Netz von Polizeiposten, liegt darin, dass wir vor Ort Leute haben, die Ortskenntnis haben. Das ist zumindest ein Geheimnis. Es liegt aber auch darin, dass wir dort genügend Personal und gut ausgebildetes Personal haben, bei der Polizei zum Beispiel. Das funktioniert nicht nur über zentrale Strukturen, nicht nur durch Tätigkeiten im Büro, sondern wir brauchen das Personal vor Ort, direkt bei der Bevölkerung. Alles, was an Initiativen in diese Richtung geht, ist zu unterstützen.
Die Polizei braucht auch die erforderlichen Instrumente dazu, um die Bekämpfung von Kriminalität, natürlich auch Terror, intensiv betreiben zu können. Seien Sie offen in dieser Frage und schauen Sie, was dort wirklich benötigt wird! Reden Sie mit Polizisten und Ermittlern, die sagen Ihnen, wie sie über irgendwelche WhatsApp-Kanäle oder andere Dinge ausgetrickst werden, und fragen Sie nach, was an Instrumenten – natürlich immer mit Vorsicht, das ist mir schon klar; Datenschutz, die Freiheit des Einzelnen – benötigt wird, um dieser Dinge Herr zu werden! Es kann nicht sein, dass uns ein paar Kriminelle mit verschlüsselten WhatsApp-Kanälen und anderen Dingen am Laufen halten, das kann nicht sein! Ich weiß, wovon wir in diesem Zusammenhang reden.
Zum Zweiten: die militärischen Strukturen. Eine regionale Sicherheitsstruktur bedeutet ein gutes Militärkommando in den Bundesländern, bedeutet auch ordentlich Personal vor Ort.
Ich habe den ehemaligen Minister Klug damals bei
einem Besuch in Vorarlberg ge-
fragt: Es kostet Sie einen Federstrich, eine
Kaserne zu schließen, aber haben Sie schon einmal probiert, eine neue Kompanie aufzubauen? – Wir
versuchen es im Moment, weil es damals ja die Zusage des neuen
Verteidigungsministers gegeben hat, in Vorarlberg eine zusätzliche
Kompanie aufzubauen. Es dauert im Schnitt fünf Jahre, eher sieben, weil
Sie ja das Personal ausbilden müssen, weil Sie rekrutieren müssen.
Das heißt, der Aufbau einer derartigen Struktur dauert Jahre, und es
dauert nur zwei Sekunden, sie zu streichen. – Vorher überlegen!
(Beifall bei der ÖVP.)
Im Katastrophenfall ist das ungünstig, denn da brauchen Sie natürlich das notwendige Personal. (Zwischenrufe bei SPÖ und FPÖ.) Ich breche eine Lanze für gute regionale Sicherheitsstrukturen im Bereich der Polizei, im Bereich des Bundesheeres, um die Sicherheit vor Ort gewährleisten zu können.
Über Asylfragen lässt sich lange reden. Selbstverständlich braucht es eine Kontrolle über die Migrationsströme. Ich habe zu jenen gezählt, die im Jahr 2015 relativ deutlich gesagt haben – ich meine, auch glaubwürdig –, das Bundesland Vorarlberg wird seinen Beitrag leisten, wir werden die Quote erfüllen, wir werden keine Zelte aufstellen und keine Containerdörfer errichten. Das war damals eine mutige Aussage, weil jede Woche Hunderte in unser Bundesland gekommen sind und Zigtausende österreichweit. Trotzdem habe ich gesagt, wir werden einen humanen Beitrag leisten, aber wir wollen wissen, wie es weitergeht, denn es kann sich nicht jedes Jahr so abspielen. Wir können nicht jedes Jahr ein paar Tausend Leute aufnehmen, wir brauchen natürlich eine Obergrenze, und wir brauchen eine Kontrolle über die Migrationsströme. Mittlerweile ist unbestritten, dass das so sein muss, und die Diskussionen sind allerorts im Gange. Das, was bis jetzt übrig geblieben ist, ist aber die Frage der Integration, und ich weiß, wovon wir diesbezüglich im Bundesland Vorarlberg reden. Da sollte man auch die Fehler der Vergangenheit nicht wiederholen.
Eine wichtige Botschaft an die, die zu uns gekommen sind, ist auch – und darauf legt auch die Bevölkerung bei uns größten Wert –: Man kann – auf Dauer jedenfalls nicht, aber auch nicht kurzfristig – nicht gegen uns leben, man kann auch nicht neben uns leben, Stichwort Parallelgesellschaft, man kann nur mit uns leben. (Beifall bei der ÖVP und bei Bundesräten der SPÖ.)
Diese zentrale Botschaft muss man zum Ausdruck bringen. Das klingt einfacher, als es ist, weil das natürlich heißt, dass man Werte, die in der Verfassung stehen, durchsetzen muss, das heißt, dass man für Spielregeln zu sorgen hat, die für alle gelten; ordentliche Spielregeln für alle, die auch von allen eingehalten werden. Das heißt aber auch, klarzumachen, dass wir keine Parallelgesellschaften wollen. Und glauben Sie mir, bei dem Anteil an Migranten, den wir in Vorarlberg haben, aus früheren Wellen der Zuwanderung, weiß ich, wovon wir reden; in Wien weiß man es auch, aber wir in Vorarlberg wissen es auch.
Eine entscheidende Frage ist: Was haben wir gemacht? – Mittlerweile ist das österreichweit klar geworden: Wir haben eine Integrationsvereinbarung eingeführt. Ein faires Angebot: flächendeckende Deutschkurse, bei uns im Bundesland, auch den Zugang für alle, die das benötigen, übrigens auch schon für Asylwerber, aber auch klare Spielregeln, was den Erfolg angeht. Die Sprache muss gelernt werden, im Alltag angewendet werden, nicht nur irgendwo im Hinterzimmer, und es geht um eine direkte Mithilfe, was den Arbeitsmarkt betrifft. Man kann sich logischerweise nicht einem Job verweigern, sondern muss aktive Mithilfe beim Suchen eines Jobs leisten.
Diese Dinge sind in einer Vereinbarung mit jedem, der asylberechtigt ist, ausgemacht worden, und das wird sanktioniert. Es gibt ungefähr 80 bis 100 Sanktionen im Monat – das betrifft im Übrigen alle, nicht nur Asylberechtigte. Das ist relativ streng, aber wir werden eher noch einen Zahn zulegen müssen: um klarzumachen, dass wir nicht zuschauen können, wie Leute zu lange in der Mindestsicherung – die Kosten haben sich mehr als verdoppelt – bleiben; um klarzumachen, dass in der Mindestsicherung kein Daueraufenthalt möglich ist; um klarzumachen, dass das keine Hängematte ist, sondern eine Überbrückung; um klarzumachen, dass das kein Grundeinkommen ist, sondern eine Überbrückungshilfe – zurück in den Job.
Das gilt ja für alle, so natürlich auch für Asylberechtigte, insofern, glaube ich, ist das fair. Es ist konsequent, das gebe ich zu, es erfordert eine klare Umsetzung, aber es ist eine klare Strategie dahinter: ein gutes Angebot zur Integration, Mithilfe ist gefragt und bei Nichtmithilfe gibt es auch eine Sanktion. Das halte ich für richtig, weil es um den Einsatz von staatlichen Mindestsicherungsgeldern geht und weil die Leute schon fragen: Wie geht ihr damit um? Ist auch Missbrauch möglich?, und so weiter. Ich halte das für richtig.
Diesen Weg haben wir eingeschlagen, und den wird es auch in Zukunft geben. Die Hilfe, die wir, glaube ich, auch bei uns zum Ausdruck gebracht haben – wir haben eine recht gute Verteilung auf fast alle Gemeinden vorgenommen –, ist keine Einbahnstraße, sondern es muss auch etwas zurückgegeben werden.
Ein weiterer Punkt, dessen Behandlung uns in der nächsten Gesetzgebungsperiode bevorstehen wird, ist die Bürokratie. Wir reden viel über Bürokratie. Wer mit der Wirtschaft zu tun hat, wird hören: Fachkräftemangel, die Ausbildung ist entscheidend! Wer mit der Wirtschaft und Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern, auch BürgerInnen, viel zu tun hat, wird hören, dass die Bürokratie zu groß ist. Das stimmt auch, gerade für Kleinbetriebe. Die Last an Bürokratie, die auf deren Schultern liegt, ist oft viel, viel erdrückender als die Kosten; sie ist erdrückend. Das heißt, daran muss intensiv gearbeitet werden, damit Wachstum überhaupt möglich ist.
Wir haben in Vorarlberg ein um ein Drittel höheres Entwicklungstempo als im Österreichschnitt – Vorarlberg hat den Wachstumspreis bekommen. Das heißt, an sich sind die Wachstumschancen gut, wenn es gelingt, die Bürokratie abzustauben. Ich traue mich für Vorarlberg wieder einmal in den Mund zu nehmen – in den letzten zwei Jahrzehnten konnten wir das nicht mehr sagen –: Wir steuern auf die Vollbeschäftigung zu. Unsere Arbeitslosenquote fällt – mit oder ohne Flüchtlinge –, glaube ich, auf Dauer unter 5 Prozent. Nach EU-Kriterien heißt das Vollbeschäftigung. Der Österreichschnitt liegt bei über 7 Prozent.
Möglich ist da also sehr viel, wie man an unserem Beispiel auch sehen kann, aber es braucht die richtigen Schritte und die richtigen Maßnahmen dazu. Im Bereich der Bürokratie ist das eine nicht einfache Aufgabenstellung; ich bringe Ihnen ein paar Vorschläge.
Ich würde raten, im Rahmen der Bundesgesetzgebung in der nächsten Legislaturperiode dafür zu sorgen, um konkret zu bleiben, dass das ArbeitnehmerInnenschutzgesetz entrümpelt wird. Schauen Sie sich wirklich einmal im täglichen Betrieb an, was es dort an Voraussetzungen geben muss! Ich weiß, dass der Arbeitnehmerschutz wichtig ist – damit ich richtig verstanden werde –, aber wir haben eine überbordende Bürokratie.
Vor Kurzem war ein Unternehmer bei mir, der mir erklärt hat, dass er ein Problem mit dem Arbeitsinspektorat hatte, weil er keinen Obstkorbkontrollor hatte. Sie wissen, wie das ist? – Da läuft jemand mit dem Obstkorb durch die Firma, und man kann frische Äpfel herausnehmen. Nun könnte es sein, dass da ein fauler Apfel darunter ist – es könnte sein. Die Frage war, wo der Kontrollor für den Obstkorb sei; wenn es keinen gebe, dann solle man einen einstellen, oder so. – Ich weiß nicht, wer überhaupt auf eine solche Idee kommt. Ich sage, gut, lassen wir das einmal beiseite, ein schlechteres Beispiel gibt es ja gar nicht mehr, aber es ist schon ein Zeichen dafür, dass wir im ArbeitnehmerInnenschutzgesetz überreguliert sind. Wir sollten dort etwas tun, ganz konkret, und nicht nur darüber reden, Bürokratie abzubauen, sondern sagen: Entrümpeln wir das ArbeitnehmerInnenschutzgesetz!
Ich bringe Ihnen ein zweites Beispiel für zentrale Gesetzgebung, denn in diesen Fragen sind Sie als Bundesräte ja unmittelbar angesprochen: Bringen Sie mir jemanden – außer er ist ein geschulter Anwalt –, der das Vergaberecht noch versteht, und fragen Sie einmal die Verwaltungsgerichte, wie viele von den Vergaben beim Gericht landen! – Die Quote ist enorm! Fragen Sie einen Unternehmer, ob es ihm noch gelingt, das Vergaberecht einzuhalten! – Es geht eigentlich gar nicht mehr. Auch im öffentlichen Bereich ist das übrigens sehr schwierig. Sie landen ja auch immer vor Gericht, wir alle. – Entstauben Sie also das Vergaberecht! Schauen Sie sich das einfach einmal in der zentralen Bundesgesetzgebung an, und versuchen Sie, dass wir dort einen Schritt setzen!
Schauen Sie sich das Mietrecht an! – Ich weiß, das ist eine zündende Bombe. (Bundesrat Mario Lindner: Wer war da dagegen?) Wir sind immer für die Verländerung des
Mietrechtes, das sage ich auch dazu, da werden nicht alle dafür sein. Haben Sie aber ein paar Leute gefunden, die das Mietrecht wirklich gut verstehen? Für Vorarlberger Verhältnisse passt es überhaupt nicht. Es führt dazu, dass keiner mehr vermietet. Leer stehende Wohnungen, höchste Preise – und wir diskutieren täglich über leistbares Wohnen. (Bundesrat Stögmüller: Ja, tun wir etwas! Wir würden es eh vorschlagen!) – Immer ruhig bleiben, immer ruhig bleiben! Wir haben noch Zeit, zu diskutieren. (Bundesrat Schennach: Ihre Rede kommt zu spät für Ihre Fraktion!)
Ich sage Ihnen, das österreichische Mietrecht – es mag da und dort auch seine Gültigkeit und Berechtigung haben – ist für die Verhältnisse in vielen Ländern, bei uns jedenfalls, das kann ich mit Gewissheit sagen, ungeeignet. Ein Bundesratsmandatar sollte das nicht ignorieren, sondern sollte sehen, dass man in diese Richtung auch etwas tun muss. (Bundesrat Stögmüller: Wir würden es eh ändern! – Zwischenrufe bei der SPÖ.)
Präsident Edgar Mayer: Am Wort ist der Herr Landeshauptmann, und wir alle sind geneigt, ihn ausreden zu lassen und zuzuhören, und diskutieren im Anschluss daran. – Danke schön.
Landeshauptmann von Vorarlberg Mag. Markus Wallner (fortsetzend): Wir haben schon noch Zeit, zu diskutieren.
Es ist auch notwendig, einen Blick in die Betriebsanlagenverfahren zu werfen. Wir bemühen uns, 80 Prozent der Anlagenverfahren in drei Monaten zu erledigen – 80 Prozent! – und knapp 98 Prozent in ungefähr sechs Monaten. Das ist der Wert, den wir in Vorarlberg derzeit erreichen. Das ist beim gegenwärtigen Betriebsanlagenrecht möglich, aber extrem schwer zu halten, und wenn es so weitergeht, wird es eher schwierig sein, diese kurzen Genehmigungsfristen, die für die Wirtschaft wichtig sind, auf Dauer aufrechtzuerhalten. Also: kurze Genehmigungsverfahren, natürlich rechtsstaatlich ordentlich, das ist ohnehin klar, aber es dauert oft einfach viel zu lange.
Es ist mir auch wichtig, dass Sie diese großen Rechtsbereiche des Bundes – es bleibt immer zu theoretisch – nicht nur auf die Frage hin anschauen, was politisch notwendig ist und wer welche Interessen hat, sondern auch hinsichtlich Bürokratie testen. Ich habe Ihnen jetzt einige große Rechtsbereiche genannt, man könnte das noch um andere Bereiche ergänzen, in denen das auch zwingend notwendig sein wird. Im Übrigen gilt das auch für die Landesgesetze. Es ist nicht so, dass ich sage, dass das nur für die Bundesgesetzgebung gilt. In der letzten Landtagssitzung, gestern, haben wir wieder fünf Landesgesetze abgeschafft, in 21 Landesgesetzen eine Rechtsbereinigung vorgenommen – ein enormer Schritt in Richtung Deregulierung. Auch wir sind aufgefordert, in den eigenen Landesgesetzen darauf zu achten, dass die Überbürokratisierung nicht zunimmt, sondern dass die Bürokratie weiter abnimmt.
Also: Deregulierung, Verwaltungsvereinfachung, Entstauben von gewissen – ich sage das jetzt einmal so – großen Materien im Bereich der Bundesgesetzgebung, das wäre mir ein wichtiges Anliegen.
Wenn man über Bürokratie redet, ist man logischerweise immer auch bei Europa angekommen; und da möchte ich folgenden Gedanken bringen: Wer für ein subsidiäres Europa eintritt, sollte im Übrigen auch für ein subsidiäres Österreich eintreten. Beides – nach oben und nach unten – wird entscheidend sein, andernfalls ist die Haltung inkonsequent. Wer also konsequent Subsidiarität das Wort redet, so wie ich, der sollte sich auch im Klaren sein: Das gilt im Land, das gilt in der Republik, und das gilt auch im europäischen Zusammenhang.
Mir ist das wichtig, weil wir ja versuchen, daran zu arbeiten, ein gemeinsames Länderpapier in Richtung Europa zu entwickeln – die Bundesregierung hat das nicht mehr auf den Weg gebracht; wir versuchen das zumindest –: Wo können sich die Länder in der
Diskussion um das Weißbuch zur Frage, wie es in Europa insgesamt weitergeht, positionieren? Wie ist diesbezüglich unsere Haltung?
Erstens würde ich mir wünschen, dass viele heraustreten – ich mache das jetzt auch wieder und habe es immer wieder gemacht – und klar und deutlich sagen, wo sie stehen, nämlich pro Europa. Das würde ich mir wünschen.
Zweitens würde ich mir wünschen, dass man dazusagt – als Vorarlberger fällt es einem leicht, das zu sagen –: Wir haben von diesem Europa, das so intensiv kritisiert wird, enorm profitiert, gerade unsere Region. Unser Exportvolumen schießt durch die Decke! Die Wirtschaft in unserem Lande hat die Möglichkeiten des größeren europäischen Raums ganz enorm wahrgenommen, hat die Chancen enorm genützt. Und man muss immer wieder die Kraft aufbringen und im Hinblick auf die größeren Zusammenhänge sagen: Wir haben davon profitiert, Land und Leute! (Zwischenruf der Bundesrätin Mühlwerth.)
Ein Drittes: Natürlich muss in Richtung Reform Druck gemacht werden; das ist auch aus Sicht der Bundesländer wichtig. (Bundesrätin Mühlwerth: Es ist ja nicht alles super, was die machen, oder?!) – Nein, aber es kann in einer öffentlichen Debatte nicht schaden – Sie müssen ja nicht meiner Meinung sein –, wenn ein paar heraustreten und sagen: Erstens bin ich für Europa, zweitens haben wir profitiert, und drittens treten wir für Reformen ein!, und zwar in dieser Reihenfolge und nicht anders, denn die Kritik an Europa ist sehr einfach, aber zu sagen, dass wir auch wirklich profitiert haben, ist offenbar schwieriger.
Persönlich weiß ich nicht, was daran so schwierig sein soll; der Blick auf Vorarlberg wird es beweisen. Das gilt für mein Bundesland – ich kann nicht für alle reden – und für Österreich gesamt übrigens auch. Insgesamt hat uns Europa aber logischerweise in vielerlei Hinsicht mehr gebracht als geschadet, und trotzdem wird es erforderlich sein, den Blick darauf zu lenken, was notwendig ist.
Ich weiß nicht, wann es in der europäischen Diskussion zum letzten Mal der Fall war – es dürfte ziemlich lange zurückliegen –, dass man eine Situation vorfindet, in der viele europäische Bürger – in Österreich ja ganz stark, aber ich meine, auch weit über Österreich hinaus –, wenn man genau hinhört, bei gewissen Fragen nach einem starken Europa rufen. Das bedeutet umgekehrt: Würde man darauf reagieren, hätte man die Chance, das Vertrauen in Europa zu stärken, was gesamthaft im globalen Wettbewerb wichtig wäre.
Wann haben die Bürgerinnen und Bürger zuletzt so intensiv geäußert, dass sie sich zum Beispiel im Grenzschutz ein starkes Europa wünschen? Wann haben die Bürgerinnen und Bürger zum letzten Mal so stark geäußert, dass sie sich mehr innere Sicherheit wünschen, und zwar nicht nur vom Nationalstaat und von der Region, sondern von Europa? Sie formulieren es ja auch; das Problem ist, die Reaktion setzt zu wenig rasch ein.
Eigentlich könnte man aber aus dem Problem auch eine Chance machen und sagen: Wenn diese großen Fragen angegangen werden, so schwierig sie sind – die Asylfrage, Außengrenzschutz, innere Sicherheit, den Schengenraum letztlich doch wiederherzustellen –, wäre die Chance eigentlich sehr intakt, dass Europa wieder an Boden und an Vertrauen bei der Bevölkerung gewinnt. Macht man das nicht, ist es natürlich eine vertane Möglichkeit.
Die andere Frage ist, ob man sich in kleine Dinge einmischen muss. Wer das Weißbuch und die Szenarien kennt, weiß, es gibt Bereiche, in denen es mehr EU braucht, und dazu muss man sich ja auch bekennen. Es gibt Bereiche, in denen wir mehr Europäische Union benötigen, und es gibt Bereiche, in denen wir durchaus weniger Europäische Union benötigen. Wenn eine Reform in diese Richtung geht, dann findet sie
natürlich auch unsere Unterstützung, weil sie konsequenterweise eher dem Subsidiaritätsprinzip folgt und nicht Dinge regelt, die eigentlich nicht geregelt werden müssen.
Die Allergenverordnung war so etwas: intensiv diskutiert im Tourismus, eine völlig überschießende Regelung, in Österreich noch dazu Gold Plating hoch vier – war so gar nicht notwendig. Ich weiß von den Nachbarländern in unserer Region, dass sie uns ausgelacht und gesagt haben: Also was ihr da produziert, über das hinaus, was die EU-Richtlinie überhaupt vorschreibt – eure Sache! Notwendig war es in dieser Form nicht; man hat es übrigens in einer Art und Weise korrigiert, dass es jetzt funktioniert.
Das ist ein gutes Beispiel dafür, dass man sich in Dinge einmischt, bei denen es absolut nicht notwendig ist, und noch dazu wurde Gold Plating betrieben. Diesen Weg kann ich auch nicht unterstützen, da sage ich: Kritik an Europa, aber auch an uns selbst, denn das Gold Plating haben wir selbst verursacht. Das hätte aus meiner Sicht nicht sein müssen.
Die Grundrichtung muss also gegeben sein, das kann auch unterhalb der Schwelle von Vertragsänderungen sein, das kann auch mit den bestehenden Kompetenzen gut gemacht werden, da braucht es in diesen Bereichen nicht unbedingt überall Vertragsänderungen.
Ein letztes Thema, weil wir hier im Bundesrat sind: Kämpfen wir miteinander um den Föderalismus! Da muss ich auch eine Sorge loswerden, denn die veröffentlichte Meinung, insbesondere bundesweit, ist sehr stark gegen den Föderalismus gewendet. Ich sage, die veröffentlichte, nicht unbedingt die öffentliche Meinung. Mir geht es dabei im Kern darum, dass man erkennen muss oder erkennen sollte, dass ein Wettbewerbsföderalismus die richtige Richtung wäre, dass wir uns eigentlich damit befassen sollten, wer für den Bürger und die Bürgerin im jeweiligen Kompetenzbereich die bessere, die günstigere und die effizientere Lösung anbieten kann. Das ist die eigentliche Fragestellung; was man dabei aushalten muss, sind Unterschiede.
Wer also für einen Föderalismus eintritt, wie dieses Haus ja auch, der sollte sich letztlich auch dazu bekennen, dass es durchaus Unterschiede geben kann – nicht überall, aber in manchen Bereichen; ich sage jetzt einmal: im Sinne eines gesunden Wettbewerbsföderalismus. Wer dafür eintritt, dass immer alles einheitlich sein muss, in allen Fragen, der muss sich über den Föderalismus keine Gedanken mehr machen, denn am Ende bedeutet das immer auch Wettbewerb und am Ende bedeutet das auch ein Stück weit Unterschiedlichkeit, weil die Lebensverhältnisse und die Möglichkeiten auch in Österreich unterschiedlich sind.
Ich weiß, man tut sich mit dieser Diskussion schwer; trotzdem: Suchen Sie in der Debatte auch Möglichkeiten, das herauszuarbeiten! Ich nenne Ihnen noch zwei, drei Beispiele – ich kann das nur vom eigenen Land sagen –: Es wird immer beklagt, dass es neun verschiedene Baugesetze gibt. Wissen Sie, ich bin wirklich froh darüber, dass wir im Land Vorarlberg ein eigenes Baugesetz haben, und zwar aus einem ganz einfachen Grund: Bei uns ist man den Weg einer starken Öffnung des Baugesetzes gegangen, wir haben eine starke Liberalisierung gewählt – das will nicht jeder, denn die Ortsbildfragen beschäftigen die Leute. Es gibt das Modell Alpbach – das ist auch in Ordnung, das ist entschieden worden –, aber es gibt auch andere Modelle.
Ich will logischerweise niemandem vorschreiben, was er zu tun hat, aber das Entstehen einer international anerkannten Architektur, das Entstehen einer Holzbauweise, die weit über die Grenzen Vorarlbergs hinaus bekannt ist, die Tatsache, dass französische Architekturexkursionen in unser Land unternommen werden, hat damit zu tun, dass wir das Baugesetz geändert haben. Das hat damit zu tun, dass wir eine perfekte, gut aufgestellte Architekturszene haben und dass das Handwerk aufgeblüht ist. Das hat am Ende des Tages regionale Wertschöpfung, internationale Anerkennung und Jobs geschaffen – und zwar Wachstum und damit ordentlich Jobs geschaffen!
Ich wüsste nicht, wie es wäre, wenn das zentral geregelt wäre – eher nicht so. Ich weiß nicht, ob andere auch diesen Weg gehen möchten. Wir haben uns entschieden, diesen Weg zu gehen. Wer bei uns im Land war oder ist, der wird das kennen, das kann man mögen oder nicht, aber es hat sich eine beachtliche Architekturszene mit beachtlicher Wirtschaftskraft entwickelt, und die Bevölkerung nimmt das sehr positiv auf. – Das war ein Beispiel.
Ein zweites Beispiel ist das Dienstrecht: Schauen Sie, wir sind, glaube ich, immer noch das einzige Bundesland – Sie werden es mir dann schon sagen, wenn es anders ist; in Wien kommt das jetzt auch –, das die Pragmatisierung abgeschafft hat, vor Jahren schon. (Ruf bei der SPÖ: Schon längst ...!) – Jaja, „schon längst“; wir haben das schon vor 20 Jahren begonnen. Das heißt, dass wir – anders als viele andere – natürlich keine Pensionszahlungen wie einen riesigen Berg vor uns herschieben. In 20, 30 Jahren fällt das wie ein Komet vom Himmel, das haut ganz extrem auf die Finanzlöcher. Das heißt, die eigenen Möglichkeiten hinsichtlich Dienstrecht sind ausgeschöpft worden.
Wir haben eine Gehaltsreform durchgeführt, die einen höheren Einstiegsgehalt ermöglicht, die Pragmatisierung abgeschafft und alle auf ASVG-Pensionen umgestellt – alle! Das haben die Bundesländer in Summe natürlich noch nicht erledigt. Dass wir alle auf ASVG-Pensionen umgestellt haben, bedeutet für die Zukunft, dass die hohen Pensionszahlungen nicht mehr anfallen. Das geht nur, wenn man die Hoheit über das Dienstrecht hat und die Kompetenz in diesem Bereich eben eine regionale ist.
Man könnte auch ein paar andere Beispiele ausführen; was ich damit sagen will, ist: Schauen wir auch darauf, dass diese regionalen Möglichkeiten erhalten bleiben, dass es ein gesunder Föderalismus ist, dass Wettbewerb stattfinden darf, dass nicht immer alles vereinheitlicht werden muss und dass eine föderale Ordnung am Ende des Tages auch ein Standortvorteil sein kann! Es gibt auch Studien, die das ganz klar zeigen.
Wenn Sie überlegen, wo in Europa die erfolgreichsten Regionen sind, dann erkennen Sie, dass es ein paar ganz markante Kennzeichen für erfolgreiche Regionen gibt: Erstens sind es jene Regionen, die produzieren können, eine stark produzierende Wirtschaft haben; zweitens sind es Regionen mit einem wirklich guten Bildungssystem und einer hohen Forschungsquote; und drittens sind es jene Regionen, die sehr stark föderal organisiert sind. Das können Sie in allen Rankings ablesen, das sind drei Faktoren, die maßgeblich ausschlaggebend dafür sind, ob man im Wettbewerb mithalten kann oder nicht, unbestritten. Das auch in der Diskussion zu transportieren wird mir wichtig sein, auch in der Phase danach.
Ich glaube, es braucht Dialogbereitschaft mit dem Bund insgesamt, die Fragen betreffend Staatsreform und Verwaltung werden natürlich wieder auftauchen, und sie werden auch nach dem 15. Oktober beantwortet werden müssen. Wie ich am Beginn gesagt habe: Es wird schon darauf ankommen, ob man das in Partnerschaft angehen kann, aber auch darauf, ob man lösungsorientiert ist; dass man sich nicht irgendwo im Bunker versteckt, sondern auch sagt, welche Kompetenzen man verschieben kann, welche die klaren regionalen Kompetenzen sind und welche nicht.
Man kann auch darüber reden, wie die Gesetzgebung gestaltet wird. Ich bin kein besonderer Fan der Ausführungsgesetzgebung – das führt immer zu Schwierigkeiten. Wir können uns auch darüber unterhalten, ob wir ganz klar sagen, da ist die Aufgabe und da ist die Kompetenz, auch die gesetzliche; darüber können wir uns unterhalten. Wir können auch sagen, wir schaffen die Ausführungsgesetzgebung ab, das brauchen wir nicht mehr! Entscheiden wir uns, wer es regelt! Im Moment gibt es etliche Bereiche, in denen nicht ganz klar ist, wie weit der Grundsatzgesetzgeber geht und wie weit der Ausführungsgesetzgeber geht – in gewisser Hinsicht eine Doppelgleisigkeit.
Das ließe sich in einer Staatsreform natürlich bereinigen, wenn man sich hinsetzt und klärt, wer welche Zuständigkeiten übernimmt. Ich glaube, man kann, wenn es gefordert
wird, auch darüber reden – mit mir immer –, ob wir die Steuerautonomie anheben. Im letzten Finanzausgleich hat man im Bereich der Wohnbauförderung einen Schritt vereinbart – einen kleinen, aber immerhin. Man kann testen, wie es jetzt läuft. Es wäre theoretisch auch in anderen Bereichen denkbar.
Das schafft neue Fragen, neue Herausforderungen, man wird Fragen des Ausgleichs nicht ausblenden können – das ist auch in der Schweiz und in anderen Ländern so, in denen es das gibt –, aber es könnte eine neue Grundrichtung werden, zu sagen: Wenn die Reformen in die Richtung gehen, die Kompetenz, die Aufgabenstellung, die Finanzierung in einer Hand regeln zu wollen, sollten die Bundesländer für diese Reform offen sein, durchaus auch dafür, Einnahmenverantwortung zu übernehmen und nicht nur Ausgabenverantwortung.
Prinzipiell kann man mit uns – mit mir ganz sicher – über diese Fragen reden. Im letzten Finanzausgleich wurde das, wie gesagt, angeschnitten, aber nicht endgültig beantwortet. Das steht vor der Tür, und die Frage wird sein, welche Richtung man einschlägt. Der Vorschlag der Länder, zumindest von unserer Seite, ist natürlich der, sich auf diese Diskussion einzulassen, und die Vorstellungen gehen da prinzipiell sehr weit.
Ich danke Ihnen sehr fürs Zuhören, fürs Mitdiskutieren im Anschluss, aber auch für die Möglichkeit, uns hier auszutauschen. Ich wünsche Ihnen für die letzten Tage des intensiven Wahlkampfs, dass alles gut gehen möge. Vergessen wir eines nicht: dass wir dann bei den Aufgaben, die kommen, auch wieder zusammenarbeiten müssen und dass wir die Achse zwischen Bund und Bundesrat auch in der nächsten Legislaturperiode – ich glaube, sogar noch intensiver – benötigen werden. – Danke schön. (Beifall bei ÖVP und SPÖ, bei Bundesräten von FPÖ und Grünen sowie des Bundesrates Zelina.)
10.12
Präsident Edgar Mayer: Ich danke dem Herrn Landeshauptmann für seine Ausführungen, ich danke auch für das Aufzeigen der alemannischen Perspektive, des alemannischen Weges. Wir versuchen auch immer wieder intensiv, das den Kolleginnen und Kollegen im Parlament, im Bundesrat ans Herz zu legen. Danke, Herr Landeshauptmann!
Wir gehen in die Debatte ein.
Zu Wort gemeldet ist Herr Kollege Dr. Brunner. – Bitte.
10.13
Bundesrat Dr. Magnus Brunner, LL.M (ÖVP, Vorarlberg): Sehr geehrter Herr Präsident! Herr Landeshauptmann! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Liebe Zuseherinnen und Zuseher! Zuerst einmal vielen Dank, Herr Landeshauptmann, für deine klaren und zum Teil auch sehr pointierten Positionen, wie wir an manchen Reaktionen auch gemerkt haben! Danke auch für die Art und Weise, wie Vorarlberg den Vorsitz führt: konstruktiv, wie ich meine, und auch in einer sehr engen Partnerschaft mit allen Beteiligten – eben ganz nach dem Motto: „Gemeinsam Perspektiven schaffen“ –, auch wenn gegen Ende deiner Rede die Emotionen doch etwas geweckt worden sind, was ja nicht so schlecht ist. Übrigens: Wenn es bei uns Obst gäbe, würde ich gerne ehrenamtlich das Amt des Obstkorbbeauftragten hier im Bundesrat übernehmen. (Heiterkeit bei Bundesräten von ÖVP und SPÖ.)
Der Herr Landeshauptmann hat es angesprochen: In Zeiten der Wahlauseinandersetzung ist es nicht sehr leicht, maßgebende Gesetze, maßgebende Reformen umzusetzen. Es wird aber wohl dem Vorsitzenden, dem Landeshauptmann, aber auch dem Bundesratspräsidenten in den Zeiten nach der Wahl, in den Zeiten der Regierungsbildung eine wichtige Rolle zukommen, und in dann hoffentlich nicht allzu turbulenten Zeiten werden die Länder sicher auch wieder eine Stimme der Vernunft sein und wahrscheinlich auch sein müssen.
Der Landeshauptmann hat viele wichtige Themen angesprochen, manche haben im Hintergrund gesagt, er hat mir nicht mehr viel zu sagen übrig gelassen. Am Schluss hat er vor allem auch den Zusammenhang zwischen Reformen – Staatsreform –, Föderalismus und Subsidiarität angesprochen, und dieses Thema möchte ich gerne aufgreifen, weil dieser Zusammenhang in der Diskussion wahrscheinlich oft zu kurz kommt und deswegen auch wert ist, beleuchtet zu werden.
In der österreichischen Diskussion wird dem Föderalismus von vornherein oft unterstellt, ineffizient zu sein, und er wird von vielen für vieles verantwortlich gemacht, wie zum Beispiel Bürokratiekosten für Unternehmen und andere Dinge.
In einer soeben erschienenen Studie räumen zwei sehr renommierte Ökonomen – Lars Feld, der in Deutschland zu den Wirtschaftsweisen gehört, der auch die Bundesregierung in Deutschland berät, und Christoph Schaltegger, das ist einer der prominentesten Schweizer Ökonomen – mit diesem Vorurteil auf und gelangen in einer Publikation zum Thema Föderalismus und Wettbewerbsfähigkeit, die sie gerade veröffentlicht haben, zu dem Schluss, dass sich die Zahl der unterschiedlichen staatlichen Ebenen, also in unserem Fall Bund, Länder und Gemeinden, nicht negativ auf die Attraktivität des Wirtschaftsstandortes auswirkt, wenn es – und der Herr Landeshauptmann hat es angesprochen – einen Wettbewerb unter den unterschiedlichen Ebenen, unter den Ländern gibt.
Bezogen auf die Schweiz, die bekanntlich viel stärker dezentralisiert ist als Österreich, gelangen sie zum Schluss – und ich darf zitieren –, dass der Schweizer Wettbewerbsföderalismus der Bewältigung großer wirtschaftspolitischer Herausforderungen, soliden Staatsfinanzen, dem Wirtschaftswachstum oder der Regulierung zuträglich ist. Unterschiedliche Gefahren sehen die Autoren natürlich auch, aber vor allem bei Verflechtungen von unterschiedlichen Aufgaben, auch bei unklaren Aufgabenzuordnungen und bei einem gewissen Zentralisierungstrend, der natürlich auch in anderen europäischen Ländern zu beobachten ist.
Wenn wir diese Erkenntnisse auf Österreich umlegen, dann wäre die Botschaft eigentlich relativ klar: zum Ersten die Entflechtung der Kompetenzverteilung, zum Zweiten die Verlagerung von wichtigen Staatsaufgaben auf die Länder und zum Dritten die Ermöglichung eines stärkeren Wettbewerbs auch unter den Bundesländern, insbesondere auch – der Herr Landeshauptmann hat das am Schluss auch angesprochen – über das Thema Steuerautonomie.
Im Nationalratswahlkampf wird praktisch von allen Parteien die Notwendigkeit einer Föderalismusreform, in welcher Art und Weise auch immer, bestätigt. Von einer der Regierungsparteien wird das Prinzip „1 Aufgabe, 1 Zuständigkeit“ ausgerufen – (in Richtung SPÖ blickend) da schaue ich in diese Richtung. Das klingt zunächst ja nicht schlecht, muss man sagen, wenn man sich allerdings die konkrete Umsetzung und die Umsetzungsvorschläge anschaut, sieht man, dass die meisten Vorschläge leider doch auf mehr Zentralismus, eine größere Zentralisierung hinauslaufen.
Wenn man dann im ersten Schritt auch noch eine Volksbefragung fordert, womöglich auch noch mit einer suggestiven Fragestellung, dann kann man sich vorstellen, dass die Länder wahrscheinlich noch stärker unter Druck geraten werden, als sie es bisher schon sind; und am Ende soll dann eine Volksabstimmung stehen, die eine womöglich massive Schwächung des bundesstaatlichen Prinzips absegnen soll. – Das ist aus meiner Sicht keine so gute Option.
Wir betonen demgegenüber das Subsidiaritätsprinzip, das entspricht aus meiner Sicht auch dem Wesen eines föderalen Systems; das heißt, die übergeordnete Ebene soll nur dann Aufgaben an sich ziehen, wenn eine untergeordnete Ebene zu deren Bewältigung nicht in der Lage ist oder die Aufgaben nicht hinreichend erfüllen kann. Natürlich
wird es da und dort auch Bedarf geben, gewisse Standards auf Bundesebene zu erhalten – das ist keine Frage –, dem Bund also in manchen Bereichen eine stärkere Rolle zuzuordnen. Es gibt ja auch positive Beispiele dafür: Das Thema erneuerbare Energie nehme ich als Beispiel, das in den letzten Jahren eher dem Bund zugeordnet worden ist und trotzdem eine eigentlich sehr gute Entwicklung genommen hat. Der Appell des Herrn Landeshauptmanns war ja auch nicht an den Bundesrat gerichtet, sondern eher an den Nationalrat, nehme ich einmal an, aber er hat das halt hier auch zum Ausdruck gebracht.
Insgesamt müssen wir darauf schauen, dass die Aufgaben eben bürgernäher werden, dass sie auf untere Ebenen verlagert werden und dadurch auch Synergien erzielt werden können. Wir, die Vorarlberger Bundesräte, haben in den letzten Jahren immer wieder die Forderung eingebracht, gewisse Doppelgleisigkeiten zwischen Bund und Ländern abzuschaffen, vor allem im Bereich der unmittelbaren Bundesverwaltung gibt es diese zuhauf. Es ist nicht einzusehen, dass beispielsweise in der Sozialverwaltung Parallelverwaltungen betrieben werden: das Sozialministeriumservice auf der einen Seite und Sozialverwaltungen in den Ländern auf der anderen Seite. Das kann man integrieren, in welcher Form auch immer, am besten im Rahmen der mittelbaren Bundesverwaltung, nehme ich an.
Es gibt beispielsweise auch im Bereich Wildbach- und Lawinenverbauung die Möglichkeit, die Aufgaben an die Wasserbauverwaltung der Länder zu übertragen. Da gibt es verschiedene Möglichkeiten. Das Institut für Föderalismus hat in einer Untersuchung dargelegt, dass auch in anderen Bereichen, beispielsweise beim Arbeitsinspektorat oder beim Denkmalschutzwesen, Doppelgleisigkeiten bestehen. Wir als Vorarlberger Bundesräte werden auch bei einer neuen Bundesregierung nicht aufhören, diese Forderungen weiterzubringen, weil wir glauben, dass in diesen Bereichen wirklich sinnvolle Reformen und sinnvolle Synergien möglich wären.
Die Bundesländer sollten – das wäre auch ein konkreter Vorschlag an die Länder und an die Landesregierungen – die Zeit bis zur Regierungsbildung nach der Nationalratswahl aus meiner Sicht nützen, zu diesem Thema der Doppelgleisigkeiten vielleicht entsprechende Untersuchungen anzustellen, wie der konkrete Nutzen ist und welche Einsparungspotenziale eine Dezentralisierung der Verwaltung mit sich bringt. Es geht darum, Zahlenmaterial zu eruieren, es geht um Dienstposten, es geht um Aufgabenverteilungen. Die Länder müssen auch einmal darlegen können, dass sie die Aufgaben im Ergebnis vielleicht kostengünstiger erledigen können, als der Bund das kann, und vielleicht bestünde in den nächsten Monaten die Möglichkeit, eine solche Initiative zu setzen und eine solche Untersuchung durchzuführen.
Die Länder – davon bin ich überzeugt – sind bereit, mehr Verantwortung zu übernehmen, man muss sie nur lassen. Unzählige Beispiele aus den Bundesländern belegen diese Reformbereitschaft der Länder, die ehrlich gesagt, um das höflich auszudrücken, dem Bund hinsichtlich Reformbereitschaft um nichts nachstehen. Ich rufe nur den Start bei der letzten Verwaltungsreform in Erinnerung, als der Bund nicht einmal in der Lage war, eine Fuhrparkverwaltung für die Bundesregierung zu vereinheitlichen. Im Hinblick darauf sollte man sich vielleicht doch auch einmal zuerst selber an der Nase nehmen.
Ich darf noch ein paar Beispiele aus Vorarlberg nennen, weil wir heute den Vorarlberger Vorsitz sozusagen zelebrieren. Dieser Reformwille der Länder hat sich beispielsweise am Vorarlberger Modell der organisatorischen Verfahrenskonzentration gezeigt – übrigens ist all das ohne Mithilfe des Bundesgesetzgebers geschehen –: Die Bezirkshauptmannschaften wickeln diese Verfahren ab, die Verfahren wurden beschleunigt, und Vorarlberg wurde dafür auch der „Amtsmanager“ – sogar „des Jahrzehnts“ – von der Wirtschaftskammer verliehen.
Es gibt also genügend Beispiele, natürlich auch in anderen Bundesländern, die diese Reformbereitschaft der Länder entsprechend darstellen. Deswegen von hier auch meine Botschaft an alle, die glauben, mit einem zentralisierten Staat würden wir in Österreich besser fahren und die Landeshauptleute würden nur, wie es manche ausdrücken, als „Fürsten der Finsternis“ ihre Pfründe bewahren wollen. (Bundesrätin Mühlwerth: Das sagt der Herr Landwirtschaftsminister immer!) – Das sagt nicht der Herr Landwirtschaftsminister, das sagt der Chef einer Oppositionspartei!
Die föderalen Strukturen – das ist die Botschaft, Frau Kollegin Mühlwerth! – ermöglichen nicht nur eine Nähe der Behörden zu den Bürgern, sondern andererseits auch eine viel bessere Beteiligung der Bürger an der Gesetzgebung, an der Verwaltung und auch eine echte Teilnahme der Bürgerinnen und Bürger am Gemeinwesen insgesamt. – Das ist eigentlich die Botschaft.
Der Zentralismus leidet ja gerade daran, dass er die unterschiedlichen Verhältnisse und unterschiedlichen Vorstellungen, die in unterschiedlichen Regionen und Ländern vorherrschen, nicht berücksichtigen kann, und der Versuch, sich über diese Unterschiede hinwegzusetzen, bedeutet ein Mehr an Aufwand, ein Weniger an Treffsicherheit und eigentlich auch eine Einschränkung jedes Einzelnen von uns. Ein gewisses eigenverantwortliches Handeln ist in der Regel eben wesentlich effizienter, als wenn man alles vorgeschrieben bekommt und nur ausführende Tätigkeiten übernimmt. Zahlreiche Studien beleuchten, dass dezentrale Staaten und dezentrale Einheiten wesentlich effizienter sind: Staatsquoten sind niedriger trotz höherer Standards in manchen Politikbereichen. Der Sinn des Föderalismus ist es ja gerade, unterschiedliche Lösungen in den Regionen überhaupt möglich zu machen. – Das ist eigentlich der Punkt.
Der Altbundespräsident von Deutschland Roman Herzog hat es einmal auf den Punkt gebracht, indem er gesagt hat: „Ein Föderalismus, der keine Unterschiede zulässt, ist schon gedanklich ein Unding. Wir brauchen Mut zum Unterschied, damit Freiheit entsteht.“ – Der Altbundespräsident hat aus meiner Sicht vollkommen recht, die Heilserwartung an zentrale Lenkung ist nämlich ein Irrweg. (Präsident Mayer gibt das Glockenzeichen.) – Ich komme schon zum Schluss, danke für den Hinweis, Herr Präsident!
Wir brauchen nicht die Gleichmacherei, wir brauchen gleiche Chancen, wir brauchen keine Nivellierung nach unten, sondern wir brauchen mehr individuelle Entwicklung auch für die Regionen.
Lieber Herr Landeshauptmann! Ich wünsche dir für den zweiten Teil des Vorarlberger Vorsitzes natürlich gemeinsam mit unserem Präsidenten Edgar Mayer, dass es euch getreu dem Motto gelingt, gemeinsam Perspektiven zu schaffen und gerade in Zeiten nach der Nationalratswahl eine vernünftige, eine starke und auch eine ausgleichende Stimme in Österreich zu sein. – Danke. (Beifall bei der ÖVP, bei Bundesräten der Grünen sowie des Bundesrates Zelina.)
10.25
Präsident Edgar Mayer: Danke, Herr Kollege Dr. Brunner.
Als Nächster zu Wort gemeldet: Herr Bundesrat Ing. Bock. – Bitte, Herr Kollege.
10.25
Bundesrat Ing. Hans-Peter Bock (SPÖ, Tirol): Geschätzter Herr Präsident! Sehr geehrter Herr Landeshauptmann beziehungsweise Nachbar-Landeshauptmann in diesem Falle! Geschätzte Kolleginnen und Kollegen des Bundesrates! Ich darf eingangs ein bisschen auf ein paar Punkte replizieren, die der Herr Landeshauptmann heute vorgebracht hat.
Ich möchte zuerst festhalten, dass sehr viele Punkte dabei sind, mit denen ich als Tiroler recht gut leben kann. Ich möchte aber ein paar Dinge herausstreichen, mit denen ich nicht ganz einverstanden bin oder zu denen ich etwas kritisch anmerken möchte.
Zum Punkt Bildung: Ich bin wirklich froh, dass es einen solchen Landeshauptmann gibt, dessen Einstellung zur Bildung sehr nahe zu unserer Einstellung ist. Ich möchte das begrüßen; es freut mich, dass das in dieser Form stattfindet.
Auch betreffend Pflegeregress liegen wir inhaltlich relativ nahe beieinander. Zur Finanzierung möchte ich später noch eine Anmerkung machen. Hinsichtlich Arbeitnehmerschutz habe ich das hoffentlich nicht richtig verstanden, dass Sie gegen die Arbeiterkammer sind und dass das Arbeitsrecht in die Richtung verändert werden soll, dass die Arbeiterkammer Dinge nicht mehr einfordern kann. (Zwischenruf der Bundesrätin Junker.) Im letzten Jahr wurden 532 Millionen € von der Arbeiterkammer für die Arbeitnehmer erstritten! (Bundesrätin Junker: ... 1 Prozent der Lohnsumme!) Ich habe schon verstanden, dass es um gewisse Einrichtungen beim Arbeitnehmerschutz geht, die wahrscheinlich übrig sind. (Beifall bei SPÖ und Grünen.)
Wir wissen natürlich, wie lange uns die Verwaltungsreform schon begleitet und wie oft eine solche sowohl auf Bundes- als auch auf Länderebene diskutiert wurde, allerdings ist das immer an den Personen gescheitert, weil niemand Macht abgeben will. Die meisten möchten ein bisschen mehr Geld und mehr Macht, zahlen soll es dann aber jemand anderer. – Diese Einstellung ist natürlich von oben nach unten und von unten nach oben gleichlautend vorhanden.
Zum Föderalismus noch eine Anmerkung: Ich habe von Ihnen heute sehr viel über Föderalismus, von der Übertragung von Aufgaben vom Bund auf die Länder gehört. Was mir als Bürgermeister gefehlt hat, ist natürlich, dass der Föderalismus nicht bei den Ländern aufhört, sondern bis tief in die Gemeinden gehen muss. Das Gleiche, was in Richtung Bund kritisch angemerkt wird, dass bisweilen Aufgaben ohne finanzielle Mittelbereitstellung an die Länder übertragen werden, ist natürlich oftmals auch auf Länderebene geschehen. Fast alle Bundesländer stehen wirtschaftlich und finanziell sehr gut da, während die Gemeinden sehr stark mit der Finanzierung ihrer Aufgaben kämpfen: Sie bekommen Aufgaben sowohl vom Land als auch vom Bund übertragen, ohne dass die notwendigen Geldmittel zur Verfügung gestellt werden. (Beifall bei der SPÖ.)
Als Nachbar Vorarlbergs, und da ich doch immer wieder Besucher in Vorarlberg bin, darf ich einen kleinen Rückblick auf die Entwicklung Vorarlbergs geben, nachdem das vom Herrn Landeshauptmann und von Kollegen Brunner noch nicht getan wurde: Vorarlberg wurde schon immer von allen Seiten ein bisschen verwaltet. – Ich sage das deswegen, weil man die Erfolgsgeschichte eines Bundeslandes nur dann erwähnen kann, wenn man dessen Geschichte ein bisschen kennt.
Vorarlberg war in habsburgischer Verwaltung. Die Tiroler waren auch sehr oft Verwalter und Anschaffer in Vorarlberg. Die Vorarlberger hatten bereits eine bayerische Herrschaft. Dann wurden sie wieder von Innsbruck aus verwaltet, und es gibt heute noch ein paar Dinge, die von Innsbruck aus verwaltet werden oder hinsichtlich welcher es Gemeinsamkeiten zwischen Innsbruck und Vorarlberg gibt.
1861 hat Vorarlberg einen eigenen Landtag und eine eigene Landesverfassung bekommen. In diesem Zusammenhang möge man bedenken: Vorarlberg hatte zu diesem Zeitpunkt noch 100 000 Einwohner. Es hatte 1861 nur 100 000 Einwohner! Heute hat Vorarlberg natürlich wesentlich mehr Einwohner.
Aber noch etwas dazu: Ich darf diese bekannte Abstimmung 1919 nach dem Krieg in Erinnerung bringen. Damals haben sich 80 Prozent der Vorarlberger entschieden, dass sie einen Kanton der Schweiz bilden wollen. Ich darf jetzt auch in Erinnerung rufen, wenn man über das Thema Ausland diskutiert: Die Schweizer haben das abgelehnt, weil ihnen die Vorarlberger zu katholisch und zu deutsch waren. – So möchte ich das auf einfache Art und Weise herunterbrechen.
Heute hat Vorarlberg 388 000 Einwohner. 240 000 davon leben im Rheintal oder in der Umgebung von Bregenz, zwischen Bregenz und Feldkirch. Und auch in Vorarlberg gibt es die Probleme mit dem ländlichen Raum, nicht so stark ausgeprägt wie in Niederösterreich, aber es gibt sie. 60 Prozent der Einwohner leben in dem erwähnten kleinen Bereich.
Vorarlberg hat einen Immigrationsanteil von 16 Prozent und einen Ausländeranteil von 14,3 Prozent. Das heißt, in etwa 30 Prozent der in Vorarlberg Lebenden haben Migrationshintergrund beziehungsweise sind Ausländer. Der Herr Landeshauptmann hat heute schon erklärt – und dazu gratuliere ich! –, dass er die Problematik mit dem Ausländer- und Asylwesen recht gut gestaltet hat und auch gut geschafft hat.
Vorarlberg hat aber auch eine Wirtschaftsleistung von 16 Milliarden € und liegt mit dem BIP pro Kopf bei 42 000 €, also an vorderster Stelle in Österreich, hat somit sehr gute Wirtschaftsdaten. Die Arbeitslosenquote ist mit 5,8 Prozent mit Stand Mai 2017 eine hervorragende. Das Wirtschaftswachstum liegt über dem Österreich-Durchschnitt, von 2000 bis 2016 durchschnittlich bei 1,9 Prozent. – Das ist eine Erfolgsgeschichte, auf die man durchaus stolz sein kann, das hat gut funktioniert.
Die Beschäftigungssteigerungen betrugen im gleichen Zeitraum, also innerhalb der genannten 15 Jahre, 24 Prozent. In dieser Zeit gab es eine Produktionssteigerung von 39 Prozent, und die Zahl der aktiven Mitglieder in der Wirtschaftskammer hat um 68 Prozent zugenommen.
Das heißt, in Vorarlberg findet eine große Wirtschaftsentwicklung statt, viele sind Selbständige geworden, und Vorarlberg hat sich in dieser Zeit äußerst gut entwickelt. Das sage ich aber nicht nur für Vorarlberg. Ich denke, wir sollten auch immer wieder festhalten, dass es Österreich nicht so schlecht geht, auch wenn wir immer jammern, uns aufführen und gegenseitig beschuldigen. (Beifall bei der SPÖ und bei Bundesräten der Grünen.)
Österreich zählt, nicht nur für mich, zu den schönsten, besten, reichsten, aber auch lebenswertesten und sichersten Ländern der Welt, vor allem was Bildung, Gesundheit, Soziales und auch Naturschutz anbelangt. In dieser Hinsicht sind wir sicherlich sehr gut unterwegs.
Ich möchte meine Aufmerksamkeit etwas auf meine Sorge im Zusammenhang mit der Globalisierung richten: Österreich und Vorarlberg sind ja zu klein, um sich in der Weltgeschichte und in der Weltwirtschaft allein zurechtzufinden. Das wurde auch heute bereits mehrfach angesprochen. Globale Probleme werden uns beschäftigen, von der Gemeinde bis hin zum Bundesstaat. Wir haben das Problem, dass die Rohstoffe für reiche Staaten aus den armen Staaten geholt werden. Wir haben das Problem, dass wir in diese Gegenden Waffen liefern, und zwar noch und nöcher. Wir kaufen Grund in diesen Ländern. Diesbezüglich sind auch wir in Österreich nicht ganz unschuldig, ich denke jetzt etwa an den Osten, an Bulgarien und an Rumänien; dort ist sozusagen noch einiges zu holen. Wir betreiben Raubbau in der Landwirtschaft und wundern uns, dass die Menschen dann in diese Gegend hier kommen wollen, wo alles scheinbar gut ist und bestens funktioniert. Außerdem sind die Menschen heute informiert wie noch nie. Sie haben Internet, sie haben Fernsehen, sie haben die Social Media. Sie wissen also, wo es gut ist, und wir leben in einer Gegend, wo es sehr gut ist. Der Klimawandel wird diese Entwicklungen noch beschleunigen. Der Klimawandel wird Auswirkungen auf alle haben, ob wir es wollen oder nicht.
Zum Schluss kommend möchte ich noch zwei Punkte erwähnen, die auch maßgebliche Veränderungen bewirken werden: Erstens werden technische Entwicklungen im Bereich der 3-D-Drucker und menschliche Roboter, die sogar im Sozial- und Gesundheitswesen eingesetzt werden, Arbeitskräfte ersetzen, im Gesundheitsbereich ebenso wie in der
Industrie. Arme und reiche Staaten driften auseinander, die Armen werden ärmer und die Reichen werden reicher.
Wenn wir darauf keine Antworten finden, dann werden wir auch in Österreich größte Probleme damit haben. Diesbezüglich stehen wir in einem europäischen Kontext. Ohne Europa werden wir es überhaupt nicht schaffen und die Probleme nicht in den Griff bekommen. Daher auch meine Bitte, Europa in dieser Sache nicht zu vergessen. Wir haben eine gewisse Umverteilung im Sinne des Friedens vorzunehmen, und der Begriff Friede endet für mich nicht bei der Waffengewalt, sondern es muss auch sozialer Frieden vorhanden sein. Das schaffen wir nur, wenn wir europäisch denken, wenn wir europäisch handeln und gemeinsam Lösungen finden. Ich wünsche meinen Nachbarn alles Gute bei der Vorsitzführung! – Herzlichen Dank. (Beifall bei der SPÖ und bei Bundesräten der Grünen.)
10.36
Präsident Edgar Mayer: Herzlichen Dank, Kollege Ing. Hans-Peter Bock, auch für die lobenden Worte für die Vorarlberger als Nachbarn, sogar als unmittelbare Nachbarn im Bezirk. Man sieht, wie weit der Bezirk Bludenz auch nach Landeck hineinwirkt und welch gutnachbarliche Beziehungen wir hier aufgebaut haben! – Vielen Dank.
Als Nächster zu Wort gemeldet ist Kollege Christoph Längle. – Bitte.
10.37
Bundesrat Christoph Längle (FPÖ, Vorarlberg): Herr Präsident! Sehr geehrter Herr Landeshauptmann! Geschätzte Damen und Herren! Werte Zuseher zu Hause an den Fernsehgeräten! Vorneweg ist es mir wichtig, dass wir hier einmal den vielen, vielen fleißigen Vorarlbergerinnen und Vorarlbergern großes Lob und große Anerkennung aussprechen, denn diese gehen tagtäglich frühmorgens in die Arbeit. (Bundesrat Schennach: Das tun sie in Wien auch!) Selbstverständlich gibt es auch in Restösterreich viele Leute, die das tun. (Ruf: Wir Steirer gehen überhaupt erst um vier in die Arbeit!) – Ja, eben! (Heiterkeit und Zwischenrufe bei der SPÖ. – Präsident Mayer gibt das Glockenzeichen.)
So, das Vorhaben ist geglückt: Jetzt sind wieder alle munter geworden und wach nach diesen komischen Monologen hier. (Beifall bei der FPÖ.)
Ich muss schon sagen: Wir in Österreich und insbesondere auch in Vorarlberg haben sehr viele gute Betriebe, die tagtäglich viel Wertschöpfung schaffen und tagtäglich sehr viel leisten. Wir haben auch viele Grenzgänger, die in die Schweiz und nach Liechtenstein arbeiten gehen und auch hier in Österreich viel Steuern zahlen. Außerdem haben wir einen guten Tourismus, es gibt tolle Betriebe, Hotels und dergleichen, die ebenfalls sehr viel zum Wohle Österreichs beitragen. Das sind genau die Menschen, die zum Wohlstand Österreichs beitragen, nur die Politik in diesem Land ist es nämlich nicht! (Beifall bei der FPÖ.)
Ganz klar wurde hier gesagt, dass diese Diskussion unter dem Motto „Perspektiven schaffen“ steht. Wenn man sich das aber genauer anschaut und die Politik der letzten Jahre verfolgt, dann könnte man meinen, dass hier nicht Perspektiven geschaffen, sondern Perspektiven vernichtet werden.
Herr Landeshauptmann Wallner! Ich sage Ihnen ganz klar an dieser Stelle zu Floskeln wie: Wir stehen vor großen Herausforderungen!, Wir müssen jetzt zusammenhelfen!, Wir müssen die Dinge jetzt angehen!, dass ich das langsam nicht mehr hören kann. Das muss ich Ihnen in aller Deutlichkeit sagen. (Beifall bei der FPÖ.) Das sagen Sie nämlich nicht nur heute, sondern das sagen Sie jedes Mal. Jedes Mal kommen Vertreter Ihrer schwarz-türkisen Partei vorbei und sagen das! (Zwischenruf des Bundesrates Preineder.)
Es gibt immer etwas zu tun in der Politik. Die Politik trägt die Verantwortung, und daher ist es unser aller Bemühen, dass wir eben diese Verantwortung entsprechend anpacken. Wir stehen immer vor Herausforderungen, das ist nichts Neues.
Was ich Ihnen sage, ist ein klares Angebot an diese türkis-schwarze Partei: Wir haben seitens der Freiheitlichen Partei ein Angebot unterbreitet, und zwar dass wir die Steuern im Bereich der Nächtigungen nicht auf 13 Prozent erhöhen, sondern bei 10 Prozent belassen wollen. Was aber haben Sie vor einem Jahr getan? – Sie haben die Steuer erhöht und auch Vorarlberger Betriebe damit zusätzlich belastet!
Dazu ist auch zu sagen, dass die Abschreibungsdauer auf 40 Jahre erhöht wurde, was wir auch nicht wollten; dafür sind auch Sie verantwortlich. Vorhin haben Sie gesagt, man muss die Wirtschaft, den Standort unterstützen, und genau das Gegenteil haben Sie mit Ihrer neuen, komischen Steuerpolitik gemacht. (Beifall bei der FPÖ.)
Es kommt dazu, dass auch Sie gesagt haben, der Standort ist wichtig. – Ja, da pflichte ich Ihnen bei, der Standort ist tatsächlich wichtig, und es gilt gerade für Österreich, besonders darauf aufzupassen, denn im benachbarten Ausland – von Vorarlberg aus gesehen –, im benachbarten Allgäu kostet der Quadratmeter um ein Vielfaches weniger als bei uns in Österreich, und die Gefahr einer Betriebsabwanderung ist immer gegeben.
Ziel der Politik sollte es sein, dass wir unsere Standorte schützen, von Bürokratie befreien und sie nach bestem Wissen und Gewissen unterstützen, damit sich die Betriebe hier ansiedeln und wir sie in unserem Land behalten.
Wir Freiheitliche sagen ganz klar, wir haben in Österreich eine zu hohe Steuer- und Abgabenquote. Sie kamen vor ein paar Minuten her und sagten: Ja, da müssen wir etwas tun! – Ich frage Sie, Herr Landeshauptmann: Wer stellt denn seit 30 Jahren den Finanz- und den Wirtschaftsminister? – Das sind, glaube ich, schon Ihr Klientel und Ihre Partei. Da müssen Sie einmal etwas tun! Schaut man durch die Gegend, so sieht man, dass Sie österreichweit plakatieren: „Es ist Zeit.“ – Ja, sollen wir noch einmal 30 Jahre lang warten? Das ist ja unglaublich! (Heiterkeit und Beifall bei der FPÖ.)
Zu Standort und Wirtschaft: Für die Wirtschaft ist es ganz wichtig und essenziell, dass die Verkehrssysteme gegeben sind, dass wir Straßen haben, dass wir Zugverbindungen haben, dass wir auch die Möglichkeit haben, Häfen anzusteuern und, und, und.
In Vorarlberg wird seit 40 Jahren über die Entlastungsstraße im Unteren Rheintal diskutiert. Ja, „es ist Zeit“, diskutieren wir noch einmal 40 Jahre darüber! Ich möchte nicht wissen, wie viel da für Planungen ausgegeben wurde, wie viel Steuergeld nur für Planungen und Studien verschwendet wurde, und gemacht worden und passiert ist gar nichts. Ich gebe Ihnen die Empfehlung, gehen Sie einmal zur Hauptverkehrszeit nach Lustenau und schauen Sie sich an, wie die Menschen dort leiden! (Bundesrat Schennach: Der Gorbach war halt der beste Minister!)
Stichwort Verkehr – da sind wir nämlich noch lange nicht fertig –: Seit vielen Jahren wird von der Vernetzung der Regionen gesprochen, das haben sogar auch Sie gesagt. Es wird darüber gesprochen, dass wir eine Autobahndirektverbindung in die Schweiz bekommen. Da wird auch seit Jahren diskutiert, mittlerweile haben wir diese immer noch nicht, und da sind auch viele Gelder für Planungen und dergleichen ausgegeben worden. Ich finde das irgendwie grob fahrlässig. (Bundesrat Schennach: Gorbach!)
Vor rund dreieinhalb Jahren bin ich auch im Parlament am Rednerpult gestanden – noch im anderen Gebäude, nicht hier –, damals haben wir über den Finanzausgleich gesprochen. Es ging darum, diese berühmte Tunnelspinne in Feldkirch zu bauen, die für die Menschen in Feldkirch endlich eine Entlastung bringen würde. Es ist nämlich immer noch so, dass man, wenn man von Tirol kommend in die Schweiz oder nach Liechtenstein will, von der Autobahn runtermuss, durch die Stadt fahren muss, dann die Grenze
passieren muss, und dann kann man auf Schweizer beziehungsweise liechtensteinischer Seite wieder auf die Autobahn auffahren. Vor rund drei Jahren bin ich auch am Rednerpult gestanden und habe über den Finanzausgleich diskutiert. Es wurden seitens der Bundesregierung knapp 40 Millionen € zugesagt: Wenn Spatenstich ist, kommt dieses Geld. Es ist nun dreieinhalb Jahre später, und wir haben immer noch keinen Spatenstich. – Das ist ein Beispiel dafür, wie Sie in Vorarlberg arbeiten, nämlich langsam und ineffizient. (Beifall bei der FPÖ. – Zwischenrufe bei der ÖVP.)
Kommen wir zum nächsten Punkt, zur Sicherheit: Dazu haben Sie in Ihrer Rede gesagt, es ist wichtig, dass wir eine gute Polizei haben, es ist wichtig, dass wir genügend Personal haben. – Dann schauen Sie sich einmal die Polizeiberichte und die Statistiken an! Es ist leider so in diesem Land – auch in Vorarlberg –, dass die Kriminalität explizit in den letzten drei, vier Jahren gestiegen ist (Bundesrat Stögmüller: Gesunken!), und zwar gerade in den Bereichen Verbrechen, Gewalt und Hauseinbrüche. Schaut man sich jetzt das Verhältnis an ... (Bundesrat Stögmüller: Gesunken ist sie!) – Nur Ruhe! Du kannst dich auch gern zu Wort melden, kein Thema, es kommen alle dran. (Bundesrat Schennach: Ist das jetzt Märchenstunde oder was?)
Schaut man sich nämlich das Verhältnis zwischen Einwohnern und Polizisten an, dann hat Vorarlberg das schlechteste Verhältnis. Bei uns kommt nämlich die größte Zahl an Einwohnern auf einen Polizisten. Wie können Sie das erklären? Sie sind ja auch in Regierungsverantwortung, stellen seit vielen, vielen Jahren den Innenminister, und Sie sagten vor einer Dreiviertelstunde, als Sie am Wort waren, wie gut und wie toll man das alles gemacht hat. – Es ist aber eben genau umgekehrt!
Stichwort Bundesheer: Es freut mich außerordentlich, Sie hier jetzt in Geschichte unterrichten zu können. Schauen Sie einmal all die Jahre zurück: Wer hat denn angefangen, das Bundesheer kleinzusparen? Wer hat denn angefangen, das Bundesheer mit zu wenig Geld zu bedenken? – Das war Ihr Verteidigungsminister Platter, der mit diesen Dingen angefangen hat! (Beifall bei der FPÖ und bei Bundesräten der SPÖ.)
Schauen Sie sich die Dinge an, die da in den letzten Jahren passiert sind! Was ist denn da passiert? – Da wurde auch von Ihrem ÖVP-Finanzminister zu wenig Geld für die Landesverteidigung und so weiter hergegeben. Es dürfte, glaube ich, jedem klar sein, wenn die finanziellen Mittel fehlen, dann kann man auch nicht die entsprechenden Dinge wie Ausrüstung, Personal und dergleichen haben.
Ich komme zum nächsten Punkt: Sie haben die Finanzen angesprochen und darauf hingewiesen, Vorarlberg steht gut da, das Land Vorarlberg ist nicht verschuldet. – Das mag vielleicht oberflächlich stimmen, doch schauen Sie einmal in Ihre 96 Gemeinden! Es gibt nämlich so gut wie gar keine Gemeinde mehr, die keine Schulden hat. Es sind die großen Städte, die großen Gemeinden mit einem Vielfachen ihres Jahresbudgets verschuldet. Es ist immer leicht, sich damit zu präsentieren, dass das Land nicht verschuldet ist, aber unsere Gemeinden, die nämlich die Hauptlast zu tragen haben – Kanal, Wasserbau, Straßenbau, Schule, Bildung, Kindergärten und dergleichen –, sind alle verschuldet, und dort gehört das Geld hin! Diese Rechnung sollten Sie einmal nachrechnen, Herr Landeshauptmann! (Beifall bei der FPÖ.)
Noch ein Stichwort, zur Mindestsicherung: Wir haben mittlerweile knapp 60 Prozent Migrationsanteil unter den Menschen, die Mindestsicherung beziehen. Das ist auch recht „nett“, denn vor ein paar Jahren haben Sie noch gesagt, da kommen tolle Facharbeiter her, die wir in der Wirtschaft brauchen, und, und, und. – Genau das Umgekehrte ist wieder einmal der Fall: Diese Personen landen überwiegend in der Mindestsicherung.
Abschließend – meine Redezeit ist gleich aufgebraucht – möchte ich hier noch einen Appell an Sie richten: Sie haben vorhin gesagt, der Herr Bundeskanzler soll sich entschuldigen. Da bin ich vielleicht sogar bei Ihnen, nur, wenn sich hier jemand entschul-
digen sollte, dann ist es Ihre schwarz-türkise Partei. – Danke. (Beifall bei der FPÖ und bei Bundesräten der SPÖ.)
10.47
Präsident Edgar Mayer: Als Nächste zu Wort gemeldet ist Frau Kollegin Mag. Schreyer. – Bitte.
10.47
Bundesrätin Mag. Nicole Schreyer (Grüne, Tirol): Hohes Haus! Sehr geehrter Herr Landeshauptmann! Sehr geehrte ZuseherInnen hier und zu Hause! „Gemeinsam Perspektiven schaffen“ ist ein wunderbares Motto für den Vorarlberger Vorsitz. Ich freue mich sehr, dass ich jetzt als Abschluss der kompletten Westachse sprechen kann. Perspektiven können in viele verschiedene Richtungen geschaffen werden; ich habe mir jetzt auch ein bisschen etwas rausgepickt, denn es ist ein ziemlich bunter Blumenstrauß an Perspektiven angesprochen worden.
Ich möchte zuerst noch ein Wort zu Föderalismus und Reformen verlieren und in Erinnerung rufen – vor allem zum Kollegen Brunner –: Im Strategiepapier des Herrn Minister Kurz, im Projekt Ballhausplatz, das vor Kurzem aufgetaucht ist, steht unter anderem auch ein Projekt mit dem Namen Bundesrat abschaffen. – Das wollte ich nur einmal kurz erwähnen, falls es da in der Runde untergegangen ist.
Zurück zu den Perspektiven: Ich finde, das Wichtigste ist, dass den Menschen in Österreich eine Perspektive auf eine lebenswerte Zukunft in einer intakten Umwelt gegeben wird. Da stehen wir nun einmal vor riesigen Herausforderungen. Vor Kurzem ist der Klimaschutzbericht des Umweltbundesamtes herausgekommen, und es schaut einfach nicht gut aus. Österreich kommt beim Klimaschutz nicht vom Fleck. Wir kommen vom Platz des Klimaschutzschlusslichts einfach nicht weg.
Die Klimagase in Österreich sind in einem einzigen Jahr um mehr als 3 Prozent gestiegen. EU-weit sind die Emissionen – das sind ohnehin alles altbekannte Zahlen – seit 1990 um 24 Prozent gesunken, in Österreich sind die Emissionen im gleichen Zeitraum sogar ein kleines bisschen gestiegen, um 0,1 Prozent, und der CO2-Ausstoß, gerade im Verkehr, spielt dabei eine der Hauptrollen.
Jetzt gehe ich auch schon weg vom Problem und hin zu den Lösungen: Ich freue mich sehr, dass jetzt mit Tirol, Vorarlberg und Wien drei Bundesländer hintereinander den Vorsitz im Bundesrat und in der Landeshauptleutekonferenz haben, die in der Weiterentwicklung des öffentlichen Verkehrs die Latte sehr hoch legen. Um 365 € im Jahr ist man nicht nur in Wien, sondern auch in ganz Vorarlberg landesweit unterwegs, und jetzt ist um 490 € – ein bisschen mehr – auch ganz Tirol öffentlich verbunden, und das ganze Angebot an öffentlichem Verkehr wird stark ausgebaut.
Mein Vorredner hat die Autobahnverbindungen angesprochen.
Ich finde es wichtiger, dass der
öffentliche Verkehr und die öffentlichen Anbindungen schneller
ausgebaut werden, bevor die Autobahnanbindungen verstärkt werden. (Zwischenruf des Bundesra-
tes Schennach.)
Überregionale, länderübergreifende Zusammenarbeit wurde bereits von mehreren Seiten angesprochen. Es ist sehr viel hinsichtlich bürokratischer Öffi-Barrieren an den Landesgrenzen gelungen, denn da hat es ja Auswüchse dahin gehend gegeben, dass man austeigen musste, bevor man mit den Ländertickets weiterfahren konnte, oder dass man nicht schon im Zug Tickets kaufen konnte und so weiter. Diese bürokratischen Barrieren wurden und werden schrittweise abgebaut, und es werden noch günstigere Tarife für Wenigverdiener umgesetzt. Alles zusammen fördert den Weg, weg vom Individualverkehr zu kommen und den Verkehr von der Straße auf Schiene und Öffis zu verlegen. In der Landeshauptleutekonferenz kann man sicher diese Best-Practice-Beispiele vorstellen und die österreichweite Umsetzung Stück für Stück voranbringen.
Da wir schon im Wahlkampf sind, möchte ich nur ganz kurz erwähnen, dass in diesen drei Bundesländern grüne LandesrätInnen für den öffentlichen Verkehr zuständig sind. Das erwähne ich jetzt nur mal so dazu und freue mich sehr, dass wir da so viel weiterbekommen haben. (Bundesrat Schennach: Ohne Absicht, nehme ich an?!) – Ohne Absicht.
Ich habe vorhin die Perspektive auf eine intakte Umwelt genannt, das schließt natürlich auch ein, dass der Raum erhalten wird, Stichwort Ressourcenschonung. Es braucht eine gute Naturschutzgesetzgebung, ergänzt durch eine vorausschauende und ressourcenschonende Raumordnung. Dass der Flächenverbrauch derzeit mehr als sechsmal so hoch wie der Zielwert ist, wissen wir. Wir brauchen im Moment 16,1 Hektar pro Tag statt 2,5 Hektar. Das fällt auch wieder in den Bereich Best Practice. Da können die Länder viel voneinander abschauen und lernen, zum Beispiel Raumordnungsinstrumente weiterzuentwickeln. Der neue Salzburger Raumordnungsstandard sollte bundesweit ausgerollt werden. Da steht nämlich drin, es braucht verbindliche, regionalspezifizierte Zielwerte als Obergrenze des Flächenverbrauchs. Jetzt stehen in der Nachhaltigkeitsstrategie zwar Obergrenzen oder Zielwerte drin, aber diese sind unverbindlich, eben diese 2,5 Hektar pro Tag, die nicht eingehalten werden.
Daher ist da etwas weiterzuentwickeln, damit es Verbindlichkeit gibt und der Raum geschützt wird. Wenn es so weitergeht wie im Moment, werden wir das Problem nicht in den Griff bekommen – die Ortskerne und die Stadtkerne werden entsiedelt, die Geschäfte stehen leer, die Einkaufszentren auf der grünen Wiese wachsen wie die Schwammerl mit den dazugehörigen Parkplätzen und dem Verkehr, da jeder hinausfahren muss, weil die Betriebe draußen angesiedelt werden und das nicht gelenkt wird.
Zum Thema Sicherung der Lebensqualität, das heute auch schon von allen Richtungen angesprochen worden ist: In Österreich sind Wirtschaft und Arbeitsplätze in einer schönen Umgebung angesiedelt, und wir müssen natürlich darauf achten, dass wir diese erhalten. Das ist ein Standortfaktor, der für Österreich ausschlaggebend ist.
Ich habe eingangs gesagt, dass ich mir ein paar Themen für Perspektiven rausgepickt habe, und jetzt geht es um die sichere Perspektive auf Erhalt des Arbeitsplatzes, um Kinderbetreuung: Es geht darum – vor allem Frauen sind davon betroffen –, dass es eine sichere Zukunftsperspektive für die Vereinbarkeit von Familie und Beruf und für die Möglichkeit geben muss, auch mit Kindern weiterhin am Erwerbsleben teilzuhaben und sich nicht Sorgen machen zu müssen, ob man denn wegen der Kinder für die nächsten zehn bis fünfzehn Jahre, wenn es blöd hergeht, ausfällt – vor allem im ländlichen Raum, je weiter in der Peripherie, umso mehr – und man dann, vor allem im vielleicht schon fortgeschrittenen Alter, null Perspektive auf einen Wiedereinstieg hat.
Deshalb finde ich das jetzt besonders passend für den Bundesrat und den Vorsitzenden der Landeshauptleutekonferenz, da der Ausbau der Kinderbetreuung in Länderkompetenz fällt, die Finanzierung aber vor allem Bundesaufgabe ist. Der Ausbau muss vorangetrieben werden, in allen Bundesländern, und in einigen Bundesländern eben noch ein bisschen mehr. Gegenseitig kann man sich da wieder Best-Practice-Beispiele aus den Ländern anschauen und zum Vorbild nehmen.
Herr Landeshauptmann, ich habe im Sommer einen Artikel darüber gelesen, dass Sie sich auch dafür starkmachen, dass endlich die 15a-Vereinbarung zur Finanzierung der Kinderbetreuung eine langfristige Perspektive bekommt. Bis in den Sommer hinein hat es ja gar keine Planungssicherheit gegeben, die Vereinbarung wäre einfach Ende des Jahres ausgelaufen. Jetzt ist sie einmal für ein Jahr verlängert worden. Die Verhandlungen gehen aber schon wieder nicht weiter, und ich befürchte, wenn da nicht schnell weiterverhandelt wird, werden wir uns im nächsten Jahr wieder in der gleichen Situation befinden. Wir müssen einfach schauen, dass da etwas weitergeht!
Eine weitere wichtige Perspektive, die ich noch kurz ansprechen möchte, ist die Perspektive auf gute Ausbildung. Ich freue mich als Grüne ganz besonders, da wir vor allem mit unserem Vorarlberger Bildungssprecher Harald Walser sehr dahinter waren, dass mit Vorarlberg die Vorreiter der gemeinsamen Schule der 10- bis 14-Jährigen jetzt auch den Vorsitz haben.
Das ist eine riesige Aufgabe und es geht natürlich nicht von heute auf morgen, sondern nur auf lange Sicht und vorausschauend geplant. Es werden jetzt in Vorarlberg die Rahmenbedingungen und Voraussetzungen für die gemeinsame Schule geschaffen – von der gemeinsamen neuen LehrerInnenausbildung über die gesetzlichen Rahmenbedingungen, die natürlich erst einmal geschaffen werden müssen –, die Mittel müssen aufgetrieben und gelenkt werden, damit dann durchgestartet werden kann. Ich glaube, für 2023 ist es geplant – viel Erfolg! Ich hoffe, dass da noch viele Regionen nachfolgen.
Ganz kurz möchte ich auch noch auf das Thema Steuern eingehen. Sie haben gesagt, niemand will eine Erhöhung der Steuern. Das ist auch bei uns so. Die Grünen wollen auch keine Erhöhung der Steuern, sondern wir wollen eine Umschichtung der Belastung, um den Menschen eben Perspektiven zu geben.
Wir Grünen wollen ein leistungs- und chancengerechtes Steuersystem. Es sollen die Abgaben auf Arbeit für selbständig und für unselbständig Erwerbstätige sowie die Lohnnebenkosten für Unternehmen gesenkt werden. Das grüne Modell sieht eine Entlastung von 8 Milliarden € vor. Als Gegenfinanzierung wollen wir nicht, dass im Sozialbereich Einsparungen kommen und dort gekürzt wird, sondern um den Leuten wirklich mehr vom Einkommen zu lassen und dadurch die Wirtschaft und den Konsum anzukurbeln, soll die Gegenfinanzierung aufkommensneutral dazukommen. Das grüne Modell dazu ist, denke ich, hinlänglich bekannt, ich erwähne es daher nur kurz: Gegenfinanzierung über Besteuerung fossiler Energieträger, über Klimaschutz – das habe ich vorhin schon angesprochen, diesen bekommen wir nur dann in den Griff, wenn die Verursacher miteinbezogen werden, wenn die Verursacher der Klimaproblematik die Auswirkungen mitzahlen – und über die Besteuerung von Vermögen, nämlich dass auch Millionenerben und Milliardenstifter einen fairen Beitrag zur Finanzierung der großen Zukunftsfragen – Klimaschutz, Bildung und soziale Sicherheit in Österreich – beitragen, um eben Perspektiven zu schaffen. – Danke schön. (Beifall bei den Grünen und bei Bundesräten der SPÖ.)
10.57
Präsident Edgar Mayer: Als Nächster hat sich Herr Landeshauptmann Mag. Wallner zu einer abschließenden Stellungnahme zu Wort gemeldet. – Bitte, Herr Landeshauptmann.
10.57
Landeshauptmann von Vorarlberg Mag. Markus Wallner: Herr Präsident! Geschätzte Bundesräte! Nur noch zwei, drei Bemerkungen zum Abschluss, um das Ganze nicht in die Länge zu ziehen.
Zum Arbeitnehmerschutzgesetz: Herr Kollege, Sie wissen, wie ich es gemeint habe. Meine Bitte war, dass man in den großen Bereichen der Bundesgesetzgebung, wo zentrale, große Gesetzgebung stattfindet, einen Anlauf zur Entrümpelung nimmt. Ich bleibe dabei, beim Arbeitnehmerschutzgesetz gibt es jede Menge unsinnige Bestimmungen. Das hat jetzt nichts mit der Arbeiterkammer oder mit anderen Dingen zu tun und ist auch kein Angriff auf den Arbeitnehmerschutz per se, aber ich lade Sie gerne dazu ein, einmal in einen kleinen Betrieb zu gehen und das alles durchzuarbeiten. Sie werden feststellen, da gibt es so viele Bestimmungen, bei denen Sie, dem Hausverstand folgend, sagen werden: Das braucht kein Mensch mehr! – In diesem Zusammenhang kann man einiges tun und auch gewisse Erleichterungen für Betriebe schaffen.
Ansonsten hat der Tiroler sehr viel Ahnung von Vorarlberg, wie ich mitbekommen habe, auch über die historischen Zusammenhänge. Wir sind gute Nachbarn und werden uns über die Grenzen hinweg auch weiterhin gut verständigen können. Ich danke auch sehr für das eine oder andere positive Wort, das Sie gefunden haben.
Im Gegensatz zu Kollegem Längle – ich weiß gar nicht, was ich Ihnen eigentlich antworten soll. Am besten würde ich Ihnen raten (Bundesrat Schennach: Gorbach!) – ja, das mache ich schon noch –, im Landtag zu kandidieren, denn dann hätte ich Gelegenheit, mich mit Ihnen wirklich auseinanderzusetzen. (Bundesrat Längle: Das denke ich mir!) Die Zeit dazu habe ich heute nicht. Der Bundesrat ist auch nicht der Landtag, Sie haben das Gremium verwechselt. (Beifall bei der ÖVP sowie der Bundesräte Kurz und Stögmüller.)
Aber ich habe einen Wunsch: Treten Sie einfach einmal bei uns an, damit wir offenen Visiers miteinander diskutieren können, und treten Sie nicht hier heraus und schütten mich mit irgendetwas an, von dem Sie wenig verstehen!
Sie haben sich intensiv darum bemüht, das Land schlechtzumachen. – Ich nenne das Nestbeschmutzung. Ich sage Ihnen Folgendes: Ich trete mit dem Vorarlberger Bundesland, mit unserer Heimat jeden internationalen Vergleich an, wenn er objektiv gemacht wird – jeden! Ich sage nicht, dass wir überall die Besten sind, aber wir strengen uns massiv an, vorne mit dabei zu sein.
Schauen Sie sich die Wirtschaftsdaten, die Arbeitsmarktdaten, die Lebenserwartung an, und schauen Sie sich die Umweltdaten in unserem Bundesland an, schauen Sie sich die Energiedaten an! Natürlich kann man alles auch von einer anderen Seite her betrachten, aber seriös ist die Geschichte nicht.
Dazu muss ich Ihnen schon noch etwas sagen: Sie haben Erinnerungsstörungen! (Bundesrat Jenewein: Ist der Ausdruck parlamentarisch?!) Ihre Partei war über Jahrzehnte an der Regierung dieses Bundeslandes beteiligt; Ihre Partei hatte jahrzehntelang Verantwortung für Verkehr und Infrastruktur, für Raumplanung und für ein paar andere Agenden. Ich wäre nie im Traum darauf gekommen, mich so negativ zu äußern wie Sie, weil dort auch durchaus vernünftige Arbeit geleistet wurde; aber Sie finden immer noch einen Grund, zu sagen, was da alles nicht passt. Sie können bei Ihren eigenen Leuten nachfragen. Sie können bei Ihrem Kollegen Gorbach nachfragen, der im Moment das Land Vorarlberg klagt, weil er eine höhere Pension haben will. Dort können Sie nachfragen, wie seriös die ganze Geschichte ist. (Heiterkeit und Beifall bei ÖVP und Grünen sowie bei Bundesräten der SPÖ.)
Wissen Sie, ich habe nicht vor, mir das von Ihnen einfach so sagen zu lassen – auch nicht im Bundesrat! Sie können nachfragen, was er damals als Minister im Bereich der Infrastruktur und der Raumplanung im Lande geleistet hat, fragen Sie nach! (Bundesrätin Mühlwerth: Der ist zum BZÖ gegangen, das ist nicht mehr FPÖ!) Er hat die ersten Probebohrungen für die Entlastungsstraße, von der wir da reden, durchgeführt. Ergebnis: bis heute keines; das weiß ich. Sie vergessen offensichtlich, welche großen Infrastrukturvorhaben im Land Vorarlberg durchgeführt werden, die blenden Sie einfach aus. Okay, lassen wir das beiseite.
Sie haben auch dazugesagt, die Politik habe keine Leistung in Bezug auf die Rahmenbedingungen gebracht. Ich habe darauf hingewiesen, dass die Herausforderungen groß sind – und das weiß wohl jeder – und dass wir in der Zukunft einiges gemeinsam zu machen haben. Hier aber ein Detail aus der letzten Steuerreform herauszunehmen, zugegebenermaßen ein kritisches, und alles andere beiseitezulassen, ist eine höchst unseriöse Vorgangsweise. Die letzte Steuerreform – und sie wirkt im Übrigen – hatte immerhin einen Umfang von in Summe 4,9 Milliarden €, das ist ein Viertel des Lohnsteueraufkommens, das wurde aus dem gesamten Lohnsteueraufkommen der Republik he-
rausgeschnitten. (Bundesrätin Mühlwerth: ... nicht finanziert! – Weitere Zwischenrufe bei der FPÖ.) – Hören Sie zu! Das ist eine Entlastung, die jede Bürgerin und jeder Bürger auch gespürt hat.
Ich stehe nicht an, zu sagen: Das ist nicht das Ende! Ich stehe nicht an, zu sagen, dass eine weitere Entlastung notwendig ist! Ich stehe nicht an, zu sagen, dass die kalte Progression weggehört! Da sind wir uns einig. Aber: Das zu verschweigen, ist falsch, weil Ihnen alle Ökonomen sagen werden, dass es im Moment zwei Dinge gibt, die Österreich und im Speziellen die Vorarlberger Wirtschaft beflügeln: die Exporte, speziell bei uns, das werden Sie hoffentlich wissen, und auch der inländische Konsum. Der inländische Konsum wird deswegen beflügelt, weil die Lohnsteuer gesenkt wurde; das ist ein maßgeblicher Effekt (Bundesrat Pisec: Aber geh!) – und das sage nicht ich, sondern das können Sie beim IHS oder beim WIFO oder bei anderen nachlesen. Ich sage auch dazu: Das Ende der Fahnenstange ist logischerweise noch nicht erreicht, weil die Abgabenquote immer noch zu hoch ist und weil es genügend Länder um uns herum gibt, in der unmittelbaren Nachbarschaft meiner Heimat, die es auch schaffen, die Abgabenquote weiter runter zu bringen – und deswegen die Richtung: keine neuen Steuern; und deswegen die Richtung: geordnete Staatsfinanzen in enger Partnerschaft von Bund und Ländern.
Verschweigen Sie aber nicht, dass ein Viertel der Lohnsteuer herausgenommen wurde – verschweigen Sie das nicht! Das spürt jeder in der Geldtasche, und das hat auch die inländische Wirtschaft und den Konsum mit – nicht nur, aber mit – angekurbelt. Ich bitte Sie also sehr: Verwechseln Sie nicht die Gremien Bundesrat und Landtag, schreiben Sie nicht einfach die Pressedienste der Vorarlberger FPÖ ab, schalten Sie ein bisschen den eigenen Verstand mit ein! (Heiterkeit des Bundesrates Stögmüller.) Und wenn Sie mit mir wirklich diskutieren wollen, dann treten Sie in Vorarlberg an! (Beifall bei der ÖVP sowie der Bundesräte Todt und Stögmüller.)
11.03
Präsident Edgar Mayer: Weitere Wortmeldungen liegen dazu nicht vor.
Wünscht noch jemand das Wort? – Herr Kollege Längle, bitte. (Bundesrat Schennach: jetzt haben wir eine Landtagsdebatte!)
11.04
Bundesrat Christoph Längle (FPÖ, Vorarlberg): Herr Präsident! Sehr geehrter Herr Landeshauptmann, zu Ihren Ausführungen zwei Dinge (Heiterkeit bei der ÖVP sowie des Bundesrates Stögmüller): Erstens haben wir den Herrn Gorbach schon lange aus der freiheitlichen Familie ausgeschlossen (Zwischenrufe der Bundesräte Novak und Schennach), und es ist jetzt auch etwas unseriös von Ihnen, mit Dingen zu kommen, die zehn, fünfzehn Jahre zurückliegen. (Ruf bei der FPÖ: ... Strasser! – Rufe und Gegenrufe zwischen SPÖ und FPÖ.)
Zweitens: Wenn es Ihnen wichtig ist, dass ich im Landtag spreche – ich fühle mich da geehrt –, dann könnten Sie ja die Geschäftsordnung des Landtags reformieren und den Bundesräten ein Rederecht einräumen. – Danke. (Beifall bei der FPÖ sowie der Bundesräte Beer und Ebner.)
11.04
Präsident Edgar Mayer: Weitere Wortmeldungen liegen dazu nicht vor.
Wünscht noch jemand das Wort? – Das ist nicht der Fall. Die Debatte ist geschlossen.
Präsident Edgar Mayer: Wir gelangen nun zur Aktuellen Stunde zum Thema
„Trendwende in Europa: Perspektiven zur Lösung aktueller Herausforderungen von Brexit bis zur Migrationskrise“
mit dem Herrn Bundesminister für Europa, Integration und Äußeres Sebastian Kurz. – Ich darf ihn hiermit auch herzlich begrüßen: Guten Tag, Herr Minister! (Allgemeiner Beifall.)
In der Präsidialkonferenz wurde Einvernehmen über folgenden Ablauf erzielt: Zunächst kommt je eine Rednerin/ein Redner pro Fraktion zu Wort, deren beziehungsweise dessen Redezeit jeweils 10 Minuten beträgt. Sodann folgt die Stellungnahme des Herrn Bundesministers, die ebenfalls 10 Minuten nicht überschreiten soll. Danach folgt wiederum je eine Rednerin/ein Redner der Fraktionen sowie anschließend je eine Wortmeldung der Bundesräte ohne Fraktion mit jeweils einer fünfminütigen Redezeit. Zuletzt kann noch eine abschließende Stellungnahme des Herrn Bundesministers erfolgen, die nach Möglichkeit 5 Minuten nicht überschreiten soll.
Als Erster zu Wort gemeldet ist Herr Vizepräsident des Bundesrates Mag. Gödl. Ich erteile ihm dieses.
11.06
Bundesrat Mag. Ernst Gödl (ÖVP, Steiermark): Meine sehr geehrten Damen und Herren! Sehr geehrter Herr Präsident! Sehr geehrter Herr Bundesminister! Sehr geehrter Herr Landeshauptmann! Geschätzte Kolleginnen und Kollegen im Bundesrat! Ich darf zuallererst dem Herrn Außenminister meine Hochachtung und meinen Dank aussprechen. Er war ja vor wenigen Stunden noch in London (Oh-Rufe bei der SPÖ) und ist jetzt hier bei uns im Bundesrat, um bei dieser Aktuellen Stunde persönlich dabei zu sein (Zwischenrufe bei der FPÖ) und sich nicht vertreten zu lassen, sondern auch diese Rolle im Parlament und vor dem Parlament ernsthaft einzunehmen. (Beifall bei der ÖVP. – Bundesrat Stögmüller: Das ist eine Verpflichtung!)
Das Thema ist ein wichtiges Thema, nämlich Europa, und der Außenminister kommt ja gerade aus Europa, nämlich aus London (Heiterkeit bei SPÖ, FPÖ und Grünen), wo er mit dem Außenminister wichtige Gespräche geführt hat. (Bundesrat Jenewein: Von Europa ... Europa!) So trifft es sich gut, dass wir folgenden Titel für diese Aktuelle Stunden gewählt haben: „Trendwende in Europa: Perspektiven zur Lösung aktueller Herausforderungen von Brexit bis zur Migrationskrise“.
In der Tat war die Europäische Union in den letzten Jahren, im letzten Jahrzehnt, durchaus von einigen schwerwiegenden Krisen gebeutelt – man denke an die Finanzkrise, die Eurokrise, die Griechenlandkrise –, aber zwei ganz besonders einschneidende Ereignisse, die auch hier in Österreich sehr stark aufgeschlagen sind, waren natürlich 2015 die Migrationskrise und schließlich 2016 dieses doch etwas überraschende Votum in Großbritannien zum Austritt aus der Europäischen Union.
Spätestens mit diesem Zeigefinger, den die Briten aufgestellt haben, wurde es notwendig, über Änderungen in der europäischen Politik zu sprechen; und damit wurden diese Änderungen quasi auch eingeleitet. Der Brexit muss eben ein Anlass sein, darüber zu diskutieren: Wie können wir unser Europa verbessern? Viele von uns – und ich persönlich auch – sind überzeugte Proeuropäer. Überzeugter Proeuropäer oder Proeuropäerin zu sein bedeutet aber nicht – auf keinen Fall! –, mit dem Status quo zufrieden sein zu dürfen, sondern wir müssen danach trachten, wie wir unser gemeinsames Europa besser machen können.
Europa ist eigentlich eine extreme Erfolgsgeschichte, nicht nur, dass wir seit dem Zweiten Weltkrieg in Zentraleuropa, hier in der Europäischen Union Frieden haben, sondern das wird auch deutlich, wenn man sich ein paar Zahlen vergegenwärtigt: Europa beheimatet circa 8 Prozent der Weltbevölkerung, diese 8 Prozent der Weltbevölkerung er-
wirtschaften fast 25 Prozent, fast ein Viertel der Weltwirtschaftsleistung. Was aber ganz markant für Europa spricht: 50 Prozent aller Sozialleistungen werden in Europa ausbezahlt – 50 Prozent aller Sozialleistungen weltweit werden in Europa ausbezahlt! Das bedeutet, wir sind ein sehr sozialer Kontinent.
Wenn man dann noch einmal die verschiedenen Staaten innerhalb von Europa betrachtet, dann erkennt man natürlich, dass gewisse Staaten – und da gehört Österreich dazu – ein besonders dichtes soziales Netz geknüpft haben. Das ist richtig und das ist gut so! Das macht ja Europa auch so attraktiv. Wenn es Fluchtbewegungen gibt – und die gab es in den letzten Jahren zuhauf –, ist es dann aber so, dass jene Länder, die das beste Sozialsystem anbieten, natürlich als Zielländer ausgesucht werden, wenn es sich der Flüchtling aussuchen darf.
Europa ist eine Erfolgsgeschichte, es hat sich aber gezeigt, dass dann, wenn nicht nur die Sonne scheint, sondern auch dunkle Wolken aufziehen, die Europäische Union nicht gerüstet ist, um in einer krisenhaften Situation auch die richtigen Maßnahmen zu setzen. Man hat gesehen, dass das, was wir gemeinsam erreicht haben, zum Beispiel der Schengenraum, die offenen Grenzen, dann nicht gewährleistet ist, wenn wir, die Europäische Union, es nicht schaffen, unsere Außengrenzen zu schützen und auch zu kontrollieren.
Daher darf und muss der Brexit als echte Warnung gesehen werden, denn wenn die Bürgerinnen, wenn die Bürger das Gefühl haben, dass die Europäische Union für die großen Fragen, für die großen Probleme keine Lösungen anbietet, dann wird uns die Bevölkerung die Gefolgschaft versagen. Daher ist eine Trendwende einzuleiten, sie ist aus meiner Sicht auch eingeleitet; und da gibt es schon einige sehr zukunftsweisende Punkte, die ich ganz kurz anführen möchte.
Im März gab es zum Beispiel eine gemeinsame Erklärung aller 27 Staats- und Regierungschefs über die Zukunft der Europäischen Union, und dabei wurden vier zentrale Ziele formuliert. Erstens: Europa muss sicher und geschützt sein. Zweitens: Europa muss wohlhabend sein und nachhaltig geführt werden. Drittens: Europa muss eine soziale Komponente aufweisen. Viertens: Europa muss in Zukunft noch stärker auf der globalen Bühne auftreten.
Es gab auch weitere Vorschläge; der Kommissionspräsident hat eine Rede zur Lage der Europäischen Union gehalten, und auch der starke französische Präsident, der mit einem starken Votum der Bevölkerung ausgestattet wurde, hat erst Ende September eine Grundsatzrede gehalten und sogar von einer Neugründung eines souveränen, eines vereinten und demokratischen Europas gesprochen. Ich denke, von einer Neugründung muss man vielleicht nicht sprechen, aber wovon wir ganz sicher sprechen müssen, ist, dass Europa einen Kurswechsel braucht: Europa muss sich auf die Kernkompetenzen konzentrieren!
Was sind Kernkompetenzen der Gemeinschaft? – Außengrenzschutz, Klimaschutz, Energiepolitik, Handelspolitik. Wenn man sich auf Kernkompetenzen konzentriert, dann resultiert daraus Subsidiarität. All das, was nicht große Fragen sind, was nicht Europa lösen muss, delegieren wir an die Nationalstaaten oder an noch kleinere Einheiten, etwa die Regionen Europas. Das bedeutet, es stellt sich gar nicht die Frage, ob wir mehr oder weniger Europa brauchen, wir brauchen wohl beides: Wir brauchen in manchen Fragen – ich denke gerade auch an die Klimapolitik – ganz sicher mehr Europa, wir brauchen aber auch in vielen Fragen weniger Europa.
Der Herr Landeshauptmann von Vorarlberg hat die unsägliche Allergenverordnung bereits angesprochen: Da brauchen wir Europa nicht. Diese Dinge können wir zu Hause im Nationalstaat oder beispielsweise auch in den Regionen besser regeln. Europa muss sich in manchen Bereichen auch zurücknehmen. (Bundesrat Pisec: ... Steuersenkung ...!)
Die Stärke der Europäischen Union muss gelebte Subsidiarität sein, nur dann werden die Bürgerinnen und Bürger diese EU auch verstehen. Nach außen hin braucht es ein starkes Auftreten, geschlossenes Auftreten in einer globalisierten Welt und ganz besonders – auch im Eigeninteresse Österreichs und natürlich auch im Interesse der Zukunft der Europäischen Union – ein starkes Engagement in Krisenregionen, in Afrika, in anderen Regionen.
Auch über die Erweiterung der EU werden wir reden müssen. Ich denke, die Westbalkanstaaten sind nach klaren Kriterien natürlich in die Europäische Union zu integrieren, aber andererseits – das ist auch ganz klar – hat die Türkei mit ihrer derzeitigen Ausrichtung wohl keinen Platz!
Meine Damen und Herren, die knappste Ressource der Politik ist die Glaubwürdigkeit. (Bundesrat Stögmüller: Geht verloren!) Zur Glaubwürdigkeit gehört eben – gerade in Fragen der Europäischen Union –, den Bürgerinnen und Bürgern möglichst viel Freiheit zu gewähren, möglichst wenige Spielregeln zu haben, aber jene Regeln, die wir haben, 100-prozentig einzuhalten. Das ist eine Frage von konsequenter und glaubwürdiger Politik. Da gibt es noch viele Punkte, die wir ansprechen müssen. Man konnte heute in mehreren Zeitungen etwas zur Frage der Steuerpraxis lesen. Es geht natürlich nicht, dass Konzerne beispielsweise bevorteilt werden und über Konstruktionen Steuern quasi woanders und bei uns fast nichts zahlen. (Ruf bei der SPÖ: KTM zum Beispiel!) Das gehört abgestellt, auch da muss die Europäische Union auf jeden Fall noch nachschärfen.
Ich darf sagen, dass unser Bundesminister in den letzten Jahren wirklich ausgezeichnete Europa- und Außenpolitik betrieben hat, denn nur wer das Ganze im Blick hat, kann für seinen Teil das Beste und das Meiste erreichen. Sebastian Kurz hat, wie ich glaube, in vielen, vielen Fragen bewiesen, dass er nicht nur in der Theorie Politik versteht, sondern auch in der Praxis Themen umsetzt, die ganz Europa bewegen. Man denke nur an die Schließung der Balkanroute, an die starke Haltung in der Migrationsfrage; da sind wir ja mit Sebastian Kurz an der Spitze doch um einiges weitergekommen.
Daniel Bell hat einmal formuliert, dass die Nationalstaaten zunehmend zu klein sind, um die großen Probleme zu lösen, und oft zu groß sind, um die kleinen Probleme zu lösen. Genau diesen Spagat müssen wir schaffen, nämlich einen Spagat zwischen Aufgabenorientierungen – große Probleme löst uns die EU, die kleinen Dinge lassen wir nach dem Subsidiaritätsprinzip in den Nationalstaaten, in den Regionen.
Wer es also mit unseren Kindern gut meint, der setzt auf ein starkes Europa, auf ein Europa der Sicherheit, auf ein Europa des Wohlstands, der Gerechtigkeit, der Solidarität und schließlich der Subsidiarität. – In diesem Sinne: Glück auf und alles Gute! Herr Minister, alles Gute auch für die nächsten Wochen! (Beifall bei der ÖVP sowie des Bundesrates Zelina.)
11.15
Präsident Edgar Mayer: Als Nächster zu Wort gemeldet ist Professor Schennach. – Bitte, Herr Kollege.
11.16
Bundesrat Stefan Schennach (SPÖ, Wien): Sehr geehrter Herr Präsident! Sehr geehrter Herr Minister! Herr Landeshauptmann! Ich werde jetzt den Fehler des Kollegen Gödl nicht machen, denn wieso wollen Sie hier eine Personaldebatte über den Außenminister abführen? (Bundesrat Stögmüller: Weil Wahlkampf ist!) Sie haben hier angefangen, über den Herrn Außenminister selbst zu sprechen.
Ich mache allerdings eine Anmerkung (in Richtung Bundesminister Kurz): In den letzten Debatten, die wir im Bundesrat hatten, haben wir Sie auf der Regierungsbank immer schmerzlich vermisst, denn Sie haben zu den Agenden, die Ihr Ressort betreffen,
dem Bundesrat gegenüber selten ein Statement abgegeben. Wenn Herr Gödl ein bisschen etwas zum Außenminister und dessen Person gesagt hat, dann mache ich den letzten Satz: Der Kampf um österreichische Positionen in Europa – und bei dem, was Sie ausgedrückt haben, da sind wir nicht weit auseinander – bedarf aber auch einer entsprechenden Präsenz in den Sitzungen des Außenministerrats. Da gibt es ja auch eine Statistik, und wenn man die anschaut, kann man sagen, wenn man bei über 50 Prozent der Sitzungen nicht dabei ist, ist es auch schwierig, österreichische Positionen einzubringen (Bundesrat Stögmüller: Schwänzer!) – so weit nur zu der von Ihnen angezogenen Debatte, Herr Gödl! (Beifall bei SPÖ und Grünen.)
Kommen wir zu der Aussage von Herrn Gödl, dass die Europäische Union den Bürgern Freiheiten geben muss: Wenn ich Ihre Publikationen lese, dann sehe ich da drinnen überall nur, dass den Konzernen Freiheiten zu geben seien, nämlich die Freiheiten, Kapital, Menschen und Leistungen zu verschieben und die Steuertricks in Europa möglichst auszunützen.
Ja, Sie haben es angesprochen: Die gute Nachricht kommt nicht aus London, die gute Nachricht kommt aus Luxemburg, denn die EU-Kommission verpflichtet Amazon, Steuern in der Höhe einer Viertelmilliarde Euro nachzuzahlen. Dieser Konzern, Amazon, hat in Europa nämlich 2,4 Milliarden € Gewinn gemacht und eine Viertelmilliarde Euro an Steuern von Luxemburg geschenkt bekommen. (Zwischenruf bei der ÖVP.) Das geht nicht!
Es geht aber auch noch weiter, wenn wir zum Beispiel Apple anschauen: Apple hat in Europa sage und schreibe – zum Mitschreiben – 0,005 Prozent Steuern gezahlt; und jetzt bedarf es des Europäischen Gerichtshofes, dass Irland endlich 13 Milliarden € an Steuernachforderungen in Rechnung stellt. Dasselbe betrifft Starbucks.
Das bedeutet, wenn wir Europa und seine Probleme ernst nehmen, dann müssen wir vor allem Folgendes machen: Wir müssen eine Steuergerechtigkeit schaffen, wir müssen das beenden, denn kein einziger Arbeitnehmer und keine einzige Arbeitnehmerin hat die Chance, mit den Steuern zu tricksen, aber die großen internationalen Konzerne, die tricksen (Bundesrat Gödl: Das gehört abgeschafft!); und das geht letztlich zulasten der Arbeitnehmer und Arbeitnehmerinnen, denn es ist unser Vertrag, dass beide Seiten Steuern zahlen. (Beifall bei SPÖ und Grünen.)
Subsidiarität klingt in diesen Hallen immer gut, aber wir sagen: Wir brauchen auch ein Mehr an Europa, nämlich ein Mehr an Europa dort, wo die Entsenderichtlinie nicht funktioniert, wo es dann zu Lohndumping kommt, zu Sozialdumping, wo Menschen hin und her geschoben werden, um soziale Mindeststandards in einzelnen Mitgliedsländern auszunützen. Das gehört unterbunden, und da brauchen wir ein Mehr an Europa, damit es im Bereich des Lohns und des Sozialen nicht zu diesem Dumping kommt. Das haben wir auch schon im EU-Ausschuss im Bereich der Lkw-Fahrer und ‑Fahrerinnen diskutiert.
Wo ich ganz anderer Meinung als der Herr Außenminister bin: Europa wird ohne das vierte Standbein niemals funktionieren. Ein Europa, das nicht auch ein soziales Europa ist, das nicht auch eine soziale Union ist, wird nicht funktionieren. (Beifall bei SPÖ und Grünen.)
Und wenn wir von den großen Problemen in Europa sprechen, dann sage ich: Es gibt immer Krisen – Kollege Gödl hat viele davon erwähnt. Die Krisen kommen, die Krisen werden bewältigt, denn Europa ist ein starkes Europa mit einer starken Wirtschaftskraft (Bundesrätin Mühlwerth: Wie lange noch?) – na, keine Sorge! (Bundesrätin Mühlwerth: Na, das ist dahingesagt!) –, aber wir geraten in Gefahr, wenn junge Menschen den Glauben an Europa verlieren, weil sie keinen Job finden oder bei der Tätigkeit, die sie machen, nicht genügend verdienen, um leben zu können. Das gefährdet Europa!
Deshalb brauchen wir auch eine Koordinierung auf dem Arbeitsmarkt, deshalb brauchen wir eine soziale Union, deshalb brauchen wir Maßnahmen, um die Jugend in Beschäftigung zu bringen. Deshalb brauchen wir ein duales Lehrlingsausbildungsmodell quer über Europa, in allen Mitgliedstaaten, eine Jobgarantie für die Jungen, damit sie daran glauben, dass Europa auf ihrer Seite ist und dass sie in Europa auch einen Platz haben. Das ist, glaube ich, die ganz große Herausforderung. Andere Herausforderungen schaffen wir – zum Beispiel den Brexit.
Am Anfang war ein alter Mann, ein alter Mann hat zweimal Nein gesagt: de Gaulle. Er hat zweimal die Aufnahme Großbritanniens verhindert. Und jetzt war es leider eine verschlafene Jugend, die vergessen hat, zu den Wahlen zu gehen, sonst hätten wir keine Brexit-Debatte. (Beifall bei der SPÖ.)
Ich war wie der Herr Außenminister auch gerade in London, ich war im Unterhaus und im House of Lords und habe mit Dutzenden Leuten gesprochen. Niemand will den Brexit, niemand – außer Sir Cash, den Kollege Edgar Mayer und ich bestens kennen, gibt es niemanden, der den Brexit will. Ich kenne mittlerweile so viele Leute, die von ihrer britischen Staatsbürgerschaft in eine irische gewechselt sind – und es ist relativ leicht, die irische Staatsbürgerschaft zu bekommen, weil man bald irgendwo nachweisen kann, dass es in der Familie eine irische Vergangenheit gibt –, weil sie sagen: Wir wollen EU-Bürger und -Bürgerinnen bleiben.
Die Konsequenzen, die bereits derzeit wirtschaftlich auf Großbritannien einbrechen, sind ja gewaltig. Dass jetzt die zwei großen EU-Agenturen das Land verlassen, dass alle großen Immobilienkonzerne bereits das Land verlassen haben, dass bereits 40 000 Menschen in der City of London arbeitslos sind, dass der Bankensektor auf Europa aufgeteilt wird, ist eine verheerende Situation für das Land, und ich bin nicht sicher, ob am Ende der Brexit tatsächlich kommt oder ob es nicht eine neuerliche Volksabstimmung gibt.
Liebe Kollegen und Kolleginnen! Der Redebeitrag des Kollegen Gödl und auch der Titel dieser Aktuellen Stunde haben auch die Migration zum Thema. Keine Frage, 2015 war das Handeln so, wie es notwendig war; keine Frage ist, dass wir eine Sicherung der Außengrenzen brauchen, dass wir aber auch sichere Routen für jene Menschen brauchen, die auf der Flucht vor Kriegen, auf der Flucht vor Gewalt, aus all den Gründen, die die Genfer Flüchtlingskonvention aufzählt, nach Europa kommen, und dass wir den Schleppern die Grundlagen zu entziehen haben. Es ist klar, dass wir innerhalb Europas eine Solidarität, ein Relocation-Programm brauchen, keine Frage; es ist einfach unfassbar, wie sich manche Staaten da um die Verantwortung drücken.
Wir haben aber auch eine Verantwortung, wenn wir heute Berichte sehen, etwa aus Libyen, und davon hören, was dort mit den Menschen los ist; dass 80 Prozent der jungen Mädchen mit Sicherheit vergewaltigt werden, dass viele Menschen versklavt werden. Wir können da nicht wegsehen, und deshalb brauchen wir für Nordafrika dringend einen Marshallplan. Schließungen oder dass irgendwelche Inseln, auf denen Menschen leben, die Landwirtschaft betreiben und vom Tourismus und von der Fischerei leben, zu Gefängnissen oder Internierungslagern umgewandelt werden – wie der Herr Außenminister sich das gewünscht hat –, das sollte auf keinen Fall in unserem Blickfeld sein.
Ja zu einer fairen Aufnahme in Europa – Europa kann sich nicht verschließen. Europa braucht auch die Migration. Deutschland braucht die Zuwanderung von einer halben Million Menschen pro Jahr, aber das muss auf geordneten Wegen geschehen.
Zum Schluss, Herr Außenminister: In Ihrem Programm steht – und ich finde, das ist eine schlechte Idee, und der Vorredner auf der Regierungsbank, der Herr Landeshauptmann, hat auch das Gegenteil dazu gesagt – die Abschaffung des Bundesrates. Gerade als Außenminister müssten Sie das vehement bekämpfen, denn Sie würden damit
die Europakammer abschaffen. Viele Landeshauptleute haben das erkannt und sagen, nach dem Lissabonner Vertrag müssten wir den Bundesrat gründen und nicht abschaffen, denn seit Jahren belegen wir als aktivste Europakammer Platz eins oder Platz zwei. Die Einkammerparlamente beneiden uns um diese Kompetenz; die Subsidiarität, die Sie in Europa fordern, die kennt nämlich der Bundesrat innerösterreichisch und die kennt er auch in Europa; deshalb sind wir auch so erfolgreich. Fragen Sie den Herrn Präsidenten, wie oft Bundesräte die Einzigen sind, die das österreichische Parlament in internationalen Foren vertreten! Bitte streichen Sie das aus Ihrem Programm! – Danke. (Beifall bei SPÖ und Grünen sowie der Bundesräte Mühlwerth und Zelina.)
11.26
Präsident Edgar Mayer: Als Nächste zu Wort gemeldet ist Frau Kollegin Mühlwerth. – Bitte, Frau Kollegin.
11.27
Bundesrätin Monika Mühlwerth (FPÖ, Wien): Sehr geehrter Herr Präsident! Sehr geehrter Herr Minister! Sehr geehrte Damen und Herren hier und zu Hause! Ich gebe meinem Kollegen Schennach nicht so oft recht, aber in diesem Fall schon. (Bundesrat Schennach: Zu was?) – Zum Thema Nichtabschaffung des Bundesrates, denn wir erleben es manchmal auch gemeinsam, dass wir die Einzigen sind, die Österreich international vertreten; ich bin da auch manchmal mit an Bord.
Das kennen wir aber schon, das ist so eine billige Geschichte aller Politologen, der Journalisten: Bundesrat abschaffen! – Das ist so eine ganz superleichte Sache, das sagt sich schnell, und man muss nicht weiter darüber nachdenken. Das gilt in Wirklichkeit für vieles andere auch. (Bundesrat Gödl: Wo steht denn das? Wo steht denn das?)
Zur Trendwende in Europa: Ich frage mich schon, von welcher Trendwende eigentlich gesprochen wird. Ganz sicher ist die Trendwende in Europa nicht der Juncker-Plan, denn wenn man sich angehört hat, was Juncker gesagt hat, dann muss man sagen, das ist keinesfalls eine Trendwende in Europa, sondern es ist eher die Vertiefung eines Zustands, der jetzt schon unbefriedigend ist.
Was hat er denn gesagt? – Alle sollen den Euro haben! Eine Superidee: Alle sollen den Euro haben! Wir haben ja jetzt schon die besten Erfahrungen damit gemacht – mit Griechenland; da ist es trotz Milliarden und Abermilliarden nicht gelungen, es aus dem Sumpf herauszuziehen. Das Land ist immer noch da drinnen, obwohl da schon Milliarden versandet und verpufft sind. Und dann sollen alle den Euro haben?! – Das ist eine großartige Idee, das kann wirklich nur dem Herrn Juncker einfallen.
Das Gleiche bei Schengen: Alle sollen an der Schengenaußengrenze teilhaben. Jetzt sage ich Ihnen schon: Wenn man sich die Situation in Rumänien, Bulgarien et cetera anschaut – Rumänien selbst hat auch immer wieder gesagt, es möchte gerne bei Schengen dabei sein –, dann stellt sich aber die Frage: Können sie das überhaupt? – Die Rumänen haben es ja bis heute nicht einmal geschafft, ihre Korruption zu bekämpfen. Die Rumänen haben es bis heute nicht geschafft, sich wirtschaftlich an das restliche Europa, vor allem an die Nettozahler, anzunähern. Und die wollen jetzt natürlich die Aufgaben stemmen, und Herr Juncker sagt: Die können das alle! – Das klingt ja eigentlich nach einer gefährlichen Drohung und nicht nach einer Trendwende in Europa.
Wir Freiheitlichen wollen keinesfalls eine Sozialunion, wir wollen auch keine Fiskalunion. (Bundesrat Schennach: Da trefft ihr euch eh mit der ÖVP, ich weiß!) Es ist ein Unterschied, ob man sagt, man hilft einem Land, das gerade Schwierigkeiten hat – dagegen wäre jetzt gar nichts zu sagen –, oder ob man sagt: Wir machen eine Sozialunion! Sozialunion heißt, die Nettozahler werden immer die Lokomotive sein, und die anderen werden in diesen Zug einsteigen und sagen: Super, führt mich bitte von hier nach dort! – Das haben wir schon oft genug gesehen.
Sie haben gesagt: Krisen hat es immer gegeben, und Krisen sind immer bewältigt worden. (Bundesrat Schennach: Ja!) – Also die jetzige Migrationskrise sehe ich überhaupt nicht bewältigt. Die wird uns wahrscheinlich noch ewig begleiten oder zumindest sehr lange. (Bundesrat Schennach: Na, mit Griechenland sind wir auch noch nicht fertig!) Und warum? – Erstens einmal sind da Menschen nach Europa geströmt, die nicht alle Asyl gebraucht haben, die nicht kontrolliert worden sind, bei denen keiner gewusst hat, woher sie kommen und warum sie kommen. Zu behaupten, man komme aus Syrien, ist eine Sache, es zu glauben, ist eine zweite Sache, und ob es dann stimmt, ist eine dritte Sache. – Die sind aber da!
Jetzt gibt es wieder eine Studie, die sagt, dass diese Leute eben nicht bereit sind, sich zu integrieren (Bundesrat Stögmüller: Die Studien stimmen nicht, haben Sie zuerst gesagt!), dass das Leute sind, die unsere Werte ablehnen, die zu einem hohen Prozentsatz – fast die Hälfte von ihnen – sagen, die Scharia sei wichtiger als unsere demokratische Gesetzgebung, und die – was wir immer schon gesagt haben – unsere demokratischen Werte im Grunde genommen verachten; die wollen damit überhaupt nichts zu tun haben. Aber diese Krise mit diesen Leuten werden wir jetzt bewältigen?! – Na, das schaue ich mir einmal an! Fragen Sie einmal all jene Frauen, die belästigt werden, die vergewaltigt werden, wie sie das sehen! Das sind zu 99 Prozent Zuwanderer, aber diese Krise mit diesen Zuwanderern werden wir ja bewältigen. – Das werden wir nicht schaffen! (Beifall bei der FPÖ.)
Da wollte die EU einen Verteilungsschlüssel für alle Länder. Orbán ist gescholten worden, weil er gesagt hat, das mache er nicht, und alle anderen, die sogenannten Visegrád-Staaten, sind gescholten worden: Das darf man nicht machen, man muss doch eine Quote festlegen und man muss sie aufnehmen! – Dann hat der Herr Außenminister – und das ist ja so bejubelt worden – die Westbalkangrenze geschlossen, wobei das ja nur die halbe Wahrheit ist, denn in Wirklichkeit haben da die Slowenen und Mazedonien selbst schon sehr viel gemacht. Ungarn und Slowenien haben den Mazedoniern geholfen, dort Stacheldrahtzäune aufzuziehen, damit die eben nicht weiterkönnen, und die Polen, die Tschechen, die Slowenen und die Kroaten haben Polizisten hingeschickt, damit das überhaupt funktioniert. Also da ist zwar ein Anteil da, aber er ist nicht so groß, wie immer wieder gesagt wird.
Afrika ist auch noch erwähnt worden. Wir haben das ja schon lange gesagt, wie wir vieles schon lange gesagt haben. Der „Kurier“ – und das ist kein der FPÖ zugeneigtes Blatt – hat vor gar nicht allzu langer Zeit gesagt: Das, was der Herr Außenminister und jetzige Spitzenkandidat der Bewegung Kurz – es ist ja nicht mehr die ÖVP, sondern die Bewegung Kurz (Bundesrat Gödl: „Die neue Volkspartei“ heißt es richtig!) – gesagt hat, das hat Haider schon 1992 gesagt, und Heinz-Christian Strache sagt es zumindest schon seit 2005, als – in dem Fall – Parteiobmann. Da gibt es also unter Kurz nicht wirklich etwas Neues, alles schon da gewesen, das haben wir alles schon gesagt.
Wir haben vor den Entwicklungen gewarnt, und Sie haben halt nicht auf uns gehört, denn das hat sich ja oft genug noch ganz anders angehört: „Der Islam gehört zu Europa“ und „Wir haben zu wenig Willkommenskultur“ und so weiter. – Ihnen sind ja Ihre Aussagen hoffentlich noch bekannt, und daher erspare ich es mir jetzt, sie noch einmal zu wiederholen; aber es zeigt halt, dass es bei dem, was Sie gerade sagen, offensichtlich darauf ankommt, wo Sie gerade stehen. Ob das für den Wähler verlässlich erscheint oder ein Punkt sein wird, um zu sagen: Ja, das ist ein Mann meines Vertrauens!, wird der Wähler am 15. Oktober zu bewerten haben.
Zu Afrika möchte ich schon einmal grundsätzlich etwas sagen. Ich habe das – nicht hier an dieser Stelle, aber in unserem alten Sitzungssaal – schon gesagt: Wer Afrika helfen will, darf das nicht mit Geld tun, und Sie können es sich abschminken, zu sagen, es müsse immer mehr Entwicklungshilfe geben. – In Afrika wird seit 50 Jahren Ent-
wicklungshilfe in Milliardenhöhe geleistet, und geändert hat sich nichts. Die Einzigen, die das jetzt einigermaßen erkannt haben, sind die Chinesen. Die machen nämlich das, was man eigentlich machen müsste, nämlich kleine Kooperationen in Afrika, Kooperationen der Geschäfte, bei denen die aus Eigenem heraus produktiv werden.
Frau Kollegin Kurz – Namensvetterin – glaubt immer noch: Wenn man dort Geld hinschüttet, dann wird das was! – Ich weiß nicht, wie lange man sozusagen einem nicht funktionierenden Schulversuch zuschauen muss, bis man endlich begreift, dass man vielleicht eine andere Lösung suchen muss. (Bundesrätin Kurz: Aber nicht die chinesische!) Es geht ja nicht darum, zu sagen, wir sollen gar nichts tun, aber das, was bis jetzt getan worden ist, ist nachweislich das Falsche. (Beifall bei der FPÖ.)
Dass Millionen von Afrikanern ante portas stehen, ist ja mittlerweile bekannt. Libyen schafft das nicht mehr: Gaddafi ist weg, der hat es sich natürlich gut bezahlen lassen, dass er da alle Afrikaner aufgehalten hat. Der ist jetzt weg. Die Neuen haben nicht das Vertrauen der Clans, denn dort funktioniert das Leben ein wenig anders als bei uns, in einer westlichen Demokratie. Was man auch oft nicht bedenkt, auch nicht in Europa: Wenn man den anderen helfen möchte, dann glaubt man, man muss allen unser Modell drüberstülpen und dann funktioniert das auch. Man will nicht zur Kenntnis nehmen, dass es nicht funktioniert.
Interessanterweise habe ich zum Thema Katalonien von der EU überhaupt nichts gehört. Da haben sich ja beide Seiten ... (Bundesrat Schennach: Oh ja! – Bundesrat Gödl: Dann haben Sie nicht aufgepasst!) – Ja, aber so mini, mini, mini! Also die EU ist wirklich ... (Bundesrat Schennach: Was möchtest du hören? Was möchtest du hören?) – Lieber, lieber Kollege! Na, dass man da vielleicht einmal ein bisschen runterkommt, auf beiden Seiten, aber vor allem aufseiten der spanischen Regierung, die das jetzt natürlich hochlizitiert hat. Also wenn ich ein Katalane wäre, hätte ich genauso reagiert.
Als Regierung muss man schon auch Augenmaß haben und schauen, wie man da zu einem Kompromiss kommen kann, auch wenn die andere Seite sehr vehement ist. Das sollte uns und vor allem euch, die ihr einer Regierungsfraktion angehört, schon klar sein. Beim Staubsauger und beim Licht, da ist die EU immer sehr, sehr laut, aber dort, wo sie ihre Stimme vielleicht einmal erheben könnte und erheben sollte, nicht.
Also wie gesagt: Von einer Trendwende Europas merke ich überhaupt nichts, ganz im Gegenteil. Ich sehe, es geht fast so weiter wie bisher, und das versetzt mich eher in Angst und Schrecken, als dass es Hoffnung macht. (Beifall bei der FPÖ.)
11.37
Präsident Edgar Mayer: Als Nächste zu Wort gemeldet ist Frau Kollegin Dr. Dziedzic. – Bitte.
11.37
Bundesrätin Mag. Dr. Ewa Dziedzic (Grüne, Wien): Sehr geehrter Herr Minister! Werter Präsident! Werte Kollegen und Kolleginnen! Frau Mühlwerth hat es kurz erwähnt, ich möchte explizit darauf eingehen. Wir haben alle vor ein paar Tagen die schrecklichen Bilder gesehen: blutende Gesichter, ältere Frauen, die geschubst werden, junge Menschen, Frauen, Männer, die mit Schlagstöcken davon abgehalten werden, wählen zu gehen.
Das alles geschieht in Europa, und das alles geschieht in einem Land, bei dem wir davon ausgehen müssten, dass das Wahlrecht ein Recht ist, für das schon in der Vergangenheit blutige Kriege geführt wurden. Was am Sonntag in Katalonien passiert ist, ist inakzeptabel. Ich glaube, das steht außer Frage. Diese unverhältnismäßige Gewalt ist auch durch nichts zu rechtfertigen, und zwar unabhängig davon, was man von der katalanischen Unabhängigkeit hält, und auch unabhängig davon, ob man dieses Referendum für legal hält oder nicht.
Die Abgeordneten im Europäischen Parlament diskutierten gestern Nachmittag bereits zu diesem Thema. Die Fraktion der Grünen hatte diese Debatte nach der massiven Gewalt der Polizei beantragt. Die EU-Kommission wurde daraufhin aufgefordert, sich für den Dialog einzusetzen und sich als Vermittler anzubieten. Die EU-Kommission könnte unserer Meinung nach, weil sie von beiden Konfliktparteien anerkannt ist, eine Art Mediatorrolle einnehmen, um zu einer gemeinsamen Lösung beizutragen. Klar ist: Die spanische Regierung muss aufhören, gewaltsam gegen friedliche Menschen vorzugehen.
Das Recht auf Selbstbestimmung ist im internationalen Recht, wie wir wissen, fest verankert. Die spanische und die katalanische Regierung müssen deshalb zusammen an einer friedlichen und demokratischen Lösung arbeiten, und dafür brauchen sie Unterstützung aus Europa. Sie brauchen unsere Unterstützung, weil wir auch Europa sind und hier, wie wir heute schon gehört haben, die Europakammer.
Was sich in Katalonien abspielt, ist jedenfalls nicht nur eine spanische Angelegenheit. Es erschüttert – und das haben wir alle gesehen – die Europäische Union in ihren Grundfesten. Die katalanische Krise ist ein politisches Problem, kein spanisches Problem, und sie muss deshalb auch nicht nur in Spanien, sondern europäisch und politisch gelöst werden und sicher nicht mit Polizeigewalt.
Wir brauchen Dialog, Verhandlung und Kompromisse, die für alle tragbar sind, und dafür – damit bin ich bei Ihnen, Herr Bundesminister – müssen Sie sich in Ihrer Rolle einsetzen. (Beifall bei den Grünen und bei Bundesräten der SPÖ.) Ich und viele andere haben Ihre Reaktion vermisst. Ulrike Lunacek hat in einem dieser unzähligen TV-Duelle gemeint, Sie werden der Rolle als Europaminister nicht gerecht. Das möchte ich nicht behaupten, aber ich ersuche Sie, dieser Rolle – trotz Wahlkampf – gerecht zu werden.
Wir wissen, dass es eine Pflicht ist, als europäischer Staat Position zu beziehen, wenn solche gewaltsamen Ausschreitungen in anderen europäischen Ländern stattfinden. Wir müssen auf Dialog setzen. Wir müssen die Polizeigewalt dort mit klarer Position ablehnen, und wir müssen uns dafür einsetzen, dass es in der Kommission eine Art Mediationsstelle gibt, um diese gemeinsamen Herausforderungen zu bewältigen.
Wir reden heute über Zusammenhalt, über gemeinsame Werte und eben die genannten Herausforderungen, und uns ist bewusst, dass wir diese gemeinsam bewältigen können. Ich glaube, an diesem aktuellen Beispiel können wir unter Beweis stellen, dass wir es können und dass es wichtig ist, zu zeigen, dass wir, Europa, es können. Österreich hat, wie wir wissen, immer eine wichtige Rolle in der außenpolitischen Vermittlung – ich möchte nicht, dass wir das aufs Spiel setzen, auch nicht in Wahlkampfzeiten.
Ich ersuche Sie, dass Sie da Verantwortung übernehmen, als Europaminister, als Außenminister auf den Dialog setzen, auf Vermittlung setzen, klar Position beziehen und sich zu Wort melden. Ich glaube nicht, dass das uns oder Ihnen schadet, gerade im Wahlkampf nicht, sondern im Gegenteil, ich glaube, dass es Österreich aufwertet und dass es diese Europakammer aufwertet. – Vielen Dank. (Beifall bei den Grünen und bei Bundesräten der SPÖ.)
11.42
Präsident Edgar Mayer: Danke, Frau Kollegin Dziedzic.
Zu einer ersten Stellungnahme zu Wort gemeldet hat sich Herr Bundesminister für Europa, Integration und Äußeres Sebastian Kurz. Ich erteile es ihm. Auch seine Redezeit soll 10 Minuten nicht überschreiten. – Bitte, Herr Bundesminister.
11.42
Bundesminister für Europa, Integration und Äußeres Sebastian Kurz: Sehr geehrter Herr Präsident! Sehr geehrte Damen und Herren Bundesräte! Ich freue mich, dass wir heute über die Europäische Union, über die Zukunft der Europäischen Union, aber
auch über die Herausforderungen diskutieren dürfen, die uns auf europäischer Ebene alle betreffen; es ist auch für uns entscheidend, dass wir diese Herausforderungen gemeinsam stemmen und erledigen.
Ich komme – wie vorhin schon von dem einen oder anderen von Ihnen erwähnt wurde – direkt aus London. Ich habe Gespräche mit Außenminister Boris Johnson geführt, aber auch mit seinem Kabinettskollegen, dem Brexit-Hauptverantwortlichen, demjenigen, der die Verhandlungen führt, David Davis. Außerdem habe ich gestern auch mit dem Chefverhandler vonseiten der Europäischen Union gesprochen.
Die Situation, die wir derzeit erleben, ist eine relativ angespannte, weil die Brexit-Verhandlungen gerade in einer entscheidenden Phase sind. Wir haben uns auf europäischer Ebene gemeinsam mit Großbritannien vorgenommen, dass wir mit 20. Oktober, mit dem Europäischen Rat, in die sogenannte zweite Phase kommen wollen, dass wir nicht nur darüber sprechen wollen, wie wir den Brexit abwickeln, sondern vor allem auch darüber sprechen wollen, wie das zukünftige Verhältnis zwischen Großbritannien und der Europäischen Union aussehen soll.
Das Problem ist, dass wir, um in diese zweite Phase einsteigen zu können, zunächst einmal einen Fortschritt in der Frage brauchen, wie wir das Verhältnis zwischen Großbritannien und der Europäischen Union auflösen. Diesen Fortschritt gibt es noch nicht in ausreichendem Ausmaß. Ich hoffe, dass es gelingt, in der nächsten Verhandlungsrunde ab 9. Oktober diesen Fortschritt zu erzielen, denn das ist die Basis, um auch über die gemeinsame Zukunft sprechen zu können.
Ich habe eine sehr klare Vorstellung von dieser gemeinsamen Zukunft. Ich glaube, es ist in unser aller Interesse, dass wir ein gutes Miteinander finden, dass es keine Bestrafungsaktion gegenüber Großbritannien gibt, dass es aber gleichzeitig auch nicht so ist, dass man besser dasteht, wenn man nicht mehr in der Europäischen Union ist, als wenn man noch in der Europäischen Union ist, dass man also die Vorteile genießt, aber die Zahlungen zum Beispiel nicht mehr leisten muss. Das gilt es auszuverhandeln.
Dieses Ergebnis ist deshalb so wichtig, weil ja auch Österreich ein Interesse an einem guten Miteinander hat. Großbritannien ist einer der wichtigsten Wirtschaftsmärkte dieser Welt – nicht nur in Europa, sondern der gesamten Welt. Großbritannien ist eine der wichtigsten Militärmächte in Europa, und Großbritannien ist auch politisch ein entscheidender Player. Ich hoffe daher sehr, dass es gelingt, während unseres Ratsvorsitzes im zweiten Halbjahr 2018 diese Verhandlungen abzuschließen und auch ein geordnetes Verhältnis zu schaffen.
Bis zum 20. Oktober muss es gelingen, einerseits Klarheit für die EU-Bürger in Großbritannien zu schaffen und andererseits auch Klarheit darüber zu schaffen, dass Großbritannien finanzielle Verpflichtungen, die eingegangen wurden, natürlich weiter erfüllen muss. Es kann nicht sein, dass man finanzielle Verpflichtungen eingeht, die dann mit dem Austritt enden, und zahlen müssen es Nettozahler wie wir in Österreich. Insofern bleibt bis zum 20. Oktober noch viel zu tun, aber die Hoffnung, dass es gelingt, den nächsten Schritt zustande zu bringen und in Phase zwei überzugehen, lebt. (Beifall bei der ÖVP.)
Parallel dazu sollten wir auf europäischer Ebene versuchen, nicht nur den Brexit abzuwickeln, sondern auch alles zu tun, um die Europäische Union so zu verändern und so zu reformieren, dass sie stärker und handlungsfähiger wird. Unser großes Ziel ist eine Fokussierung auf europäischer Ebene, das Prinzip der Subsidiarität, also eine Europäische Union, die sich mit den großen Fragen stärker beschäftigt, mehr Tiefe sucht und sich in kleinen Fragen ein Stück weit zurücknimmt.
Wenn das gelingt, dann sind wir in den großen Fragen handlungsfähiger – von der Migration über den Außengrenzschutz bis hin zur gemeinsamen Währungspolitik – und
schaffen es gleichzeitig, dass die Bürokratie nicht immer mehr wird. Das ist insbesondere für eine klein- und mittelstrukturierte Wirtschaft, wie wir in Österreich sie haben, ein großes Ziel und Anliegen. Ich hoffe, dass wir in Österreich nicht nur überzeugte Europäer sind, sondern auch davon überzeugt sind, dass wir auf europäischer Ebene mitgestalten wollen. Uns und der Europäischen Union wird das guttun. – Vielen Dank. (Beifall bei der ÖVP.)
11.47
Präsident Edgar Mayer: Vielen Dank, Herr Bundesminister.
Ich mache darauf aufmerksam, dass die Redezeit aller weiteren TeilnehmerInnen an der Aktuellen Stunde nach Beratung in der Präsidialkonferenz 5 Minuten nicht überschreiten darf.
Zu Wort gemeldet ist Herr Bundesrat Preineder. – Bitte.
11.47
Bundesrat Martin Preineder (ÖVP, Niederösterreich): Geschätzter Herr Präsident! Herr Bundesminister! Werte Kolleginnen und Kollegen im Bundesrat! Geschätzte Damen und Herren! Ich darf vorerst einmal zu den Beiträgen der Kollegen Stellung beziehen. Kollege Schennach hat gemeint, Herr Bundesminister Kurz sei zu wenig in Europa und zu wenig im Bundesrat. – Er ist heute im Bundesrat, er war gestern in London; ich denke, das zeugt von einem sehr engagierten Einsatz für die Republik und für sein Amt. (Beifall bei der ÖVP. – Zwischenruf des Bundesrates Schennach.)
Lieber Stefan, du hast auch gesagt, wir brauchen eine Sozialunion, Europa muss eine Sozialunion werden. – Wir haben die höchsten Sozialleistungen in Europa weltweit. (Neuerlicher Zwischenruf des Bundesrates Schennach.) Es ist halt kein gemeinschaftliches Thema, es ist ein subsidiäres Thema, um das es hier geht.
Da Kollegen aller Fraktionen gemeint haben, im Wahlprogramm der ÖVP findet sich die Abschaffung des Bundesrates: Ich habe sie nirgends gefunden, aber vielleicht schaue ich einmal in den Wahlprogrammen Ihrer Parteien nach. (Bundesrat Schennach: ... musst du den Außenminister fragen! Schau mal, er sitzt ja hier! – Bundesrat Stögmüller: Er gibt ja keine Antwort! – Zwischenruf der Bundesrätin Mühlwerth. – Weitere Zwischenrufe bei SPÖ und FPÖ.)
Liebe Kollegin Mühlwerth, wenn für dich bis jetzt keine Wende in Europa sichtbar ist ... (Bundesrat Schennach: Was schaust denn in die Richtung, schau in die andere!) –Nein, nein, ich rede jetzt mit Frau Kollegin Mühlwerth, denn sie hat gesagt, sie sieht keine spürbare Wende in Europa. Frau Kollegin Mühlwerth! Außenminister Kurz, zwei Themen: Migration und Türkei – das sollte auch für dich sichtbar gewesen sein!
Geschätzte Damen und Herren! Österreich hat sich mit mehr als zwei Drittel der Stimmen sehr klar für einen Beitritt zur Europäischen Union entschieden, und wir sind ein aktiver Teil dieser Europäischen Union. Die Aufgabe, Frieden zu sichern, hat diese Union bisher auch sehr gut erfüllt, aber jetzt hat sich die weltpolitische Lage entsprechend verändert, es hat sich in Europa sehr viel verändert. Die Europäische Union ist größer geworden, also gilt es auch, die Ziele neu zu definieren und entsprechend neue Perspektiven für Europa zu entwickeln.
Jean-Claude Juncker hat gemeint: weniger, aber dafür effizienter. Wir brauchen mehr Gemeinsamkeit, und – wir haben es heute auch schon gehört – wir brauchen ein Europa, das die großen Probleme löst und die kleinen den Mitgliedsländern überlässt.
Da das Thema Brexit sehr aktuell ist: Da gilt es, die europäischen Bürger, die in Großbritannien bleiben, entsprechend zu schützen, es gilt, für eine rasche Abwicklung zu sorgen, die finanziellen Verpflichtungen Großbritanniens aufrechtzuerhalten und sicherzustellen, dass diese auch erfüllt werden.
Das Thema Sicherheit ist eines, das für ein gemeinsames Europa wahrscheinlich das wichtigste ist, weil sich die Sicherheitslage verändert hat. Aufseiten des neuen Präsidenten der Vereinigten Staaten ist wahrscheinlich keine Bereitschaft mehr gegeben, für die Sicherheit Europas so stark zu sorgen wie bisher – also müssen wir stärker für die europäische Sicherheit aufkommen. Wir müssen aber auch entsprechend darauf schauen, dass unsere Grenzen, unsere Außengrenzen geschützt sind, und das ist auch eine zentrale Aufgabe der Europäischen Union. Europa – und das wurde auch schon gesagt – muss ein subsidiäres Europa sein, in dem sich Europa um seine Aufgaben kümmert, aber durchaus Platz für die Aufgaben der Mitgliedstaaten lässt.
Geschätzte Damen und Herren, es gibt viele Perspektiven, die wir entwickeln, unser Außenminister ist intensiv dabei. Alles Gute wünschen wir uns auf dem Weg zu einem gemeinsamen, friedlichen Europa. (Beifall bei der ÖVP.)
11.51
Präsident Edgar Mayer: Danke, Herr Kollege Preineder.
Als Nächste zu Wort gemeldet ist Frau Bundesrätin Mag. Kurz. – Bitte.
11.51
Bundesrätin Mag. Susanne Kurz (SPÖ, Salzburg): Herr Bundesminister! Werte Kolleginnen und Kollegen! Sehr geehrte Damen und Herren! Herr Bundesminister, darf ich Sie zu Beginn meiner Rede ersuchen, etwas weniger auf Ihrem Handy Problemlösungen herauszusuchen. (Beifall bei der SPÖ sowie bei Bundesräten von FPÖ und Grünen.)
Meiner Meinung nach ist es schon eine gewisse Missachtung des Parlaments, wenn man einem Redner nicht zuhört. (Zwischenruf des Bundesrates Brunner. – Weitere Zwischenrufe bei der ÖVP. – Bundesrätin Winkler: Magnus, glaubst, dass sich euer Minister nicht selbst verteidigen kann?! – Rufe und Gegenrufe zwischen Bundesräten von ÖVP und SPÖ.)
Ich muss aber auch sagen, ich war jetzt von Ihrer Rede ein bisschen enttäuscht, denn zum Thema, das Sie sich ausgesucht haben, nämlich „Trendwende in Europa: Perspektiven zur Lösung aktueller Herausforderungen von Brexit bis zur Migrationskrise“, haben Sie außer zum Brexit gar nichts gesagt, schon gar nichts zur Migrationskrise. Das ist ja sonst eigentlich immer Ihr Lieblingsthema, denn wenn man nämlich die Fernsehdebatten verfolgt – die in Wahlzeiten ja sehr häufig sind –, dann haben Sie zumeist auf jede Frage, ganz egal, ob es um Gesundheit, um Bildung, um Verwaltung oder um Soziales gegangen ist, die Zuwanderung und die Flüchtlinge ins Feld geführt. Sie haben das Thema Migration auch immer wieder dazu benützt, um von den tatsächlichen Baustellen in Europa abzulenken.
Wenn es ums große Geld geht, dann gibt es viele Themen, und über eines ist heute schon gesprochen worden: Wir könnten nämlich auch darüber reden, dass den EU-Ländern jährlich 1 000 Milliarden € – 1 000 Milliarden €! – durch Steuertricks entgehen. Wie das gemacht wird, hat mein Kollege Stefan Schennach ohnehin schon ausgeführt. Man muss sich das vorstellen: Das entspricht dem Dreifachen des Budgetdefizits aller 28 Mitgliedstaaten zusammen! Auf Österreich heruntergerechnet kommen wir zu einem Einnahmenentfall von 1,6 Milliarden € – also da besteht dringender Handlungsbedarf!
Wir könnten aber auch darüber diskutieren, dass das reichste Prozent der Österreicher 534 Milliarden € besitzt – 534 Milliarden €! Das ist so viel wie alle Staatsausgaben zusammen; für die öffentliche Verwaltung, für das Gesundheitswesen, für sämtliche Bildungseinrichtungen, für die Polizei, für die Feuerwehr, für die Rettung, für die Pensionen, für den Straßenbau und vieles andere, und zwar nicht für ein Jahr, sondern für drei Jahre. Sollten wir vielleicht doch über die Vermögens- und Erbschaftssteuer reden, wie sie von der SPÖ vorgeschlagen wurde? (Zwischenruf der Bundesrätin Ledl-Rossmann.)
Sie wollen die Staatsausgaben massiv kürzen, das hören wir auch in jeder Ihrer Reden. Wie das gegenfinanziert werden soll, hören wir weniger oft. Es wird allerdings quasi mantraartig gefordert, dass bei der Mindestsicherung der Sparstift anzusetzen ist; darin sind Sie sich auch mit der FPÖ einig.
Schauen wir uns doch einmal an, was das bringen würde: Die Kosten für die Mindestsicherung in Österreich machen ein 76stel des Budgets aus, also 1,3 Prozent. Konkret beliefen sich die Ausgaben für das Jahr 2016 auf etwas mehr als 1 Milliarde €; mit dieser Milliarde werden 325 000 Erwachsene und Kinder davor bewahrt, in die Armut abzurutschen.
Ich darf nur darauf hinweisen – ein kleiner Nebenaspekt –, dass es im Übrigen genauso viel Geld ist, wie Herr Sobotka als Finanzreferent in Niederösterreich verzockt hat. (He-Ruf bei der ÖVP. – Zwischenruf des Bundesrates Pum.) Er hat mit Wohnbaugeldern spekuliert, die erhoffte Rendite hat sich nicht eingestellt, der Rechnungshof beziffert den Schaden auf etwa 1 Milliarde €, aber darüber diskutieren wir natürlich nicht. (Beifall bei der SPÖ und bei Bundesräten der Grünen.)
Stattdessen wird über vermeintlich Faule geredet, und es werden Flüchtlinge attackiert. Die Flüchtlinge machen im Übrigen nicht einmal ein Drittel der MindestsicherungsbezieherInnen aus. Sie warnen auch immer wieder vor der Migration ins Sozialsystem. Der Zuzug nach Österreich gefährde den Sozialstaat, da Migrantinnen und Migranten nichts einzahlen und sofort Sozialleistungen erhalten. Tatsächlich ist das ein Märchen, denn im Jahr 2016 zahlten Menschen ohne österreichische Staatsbürgerschaft 5,3 Milliarden € über Beiträge in das Sozialsystem ein – über Steuern auf Einkommen, Gewinne und Konsum –, doch an diese Gruppe ausbezahlt wurden lediglich 3,7 Milliarden €. Immigrantinnen und Immigranten sind also Nettozahlerinnen und -zahler und finanzieren unseren Wohlstand mit. (Bundesrat Gödl: Na, bitte!) Das lässt sich alles nachlesen, wenn man will. (Beifall bei der SPÖ. – Zwischenruf der Bundesrätin Mühlwerth.)
Ein paar Worte noch zu Ihren Ressorts: Entwicklungszusammenarbeit. Sie rühmen sich ja damit, dass unter Ihrer Führung die Mittel für die Entwicklungszusammenarbeit gestiegen sind. Sie sind tatsächlich leicht erhöht worden, das war auch dringend notwendig, und es war auch immer eine Forderung der SPÖ, der jahrelang nicht nachgekommen wurde. Allerdings werden die Ausgaben zur Versorgung von Asylwerbern im Inland als Entwicklungshilfegelder angerechnet. Diese Gelder decken demnach zu einem großen Teil die Flüchtlingskosten im Inland ab und fließen nicht in Projekte ins Ausland. Für jeden aus einem Entwicklungsland kommenden Studierenden wird ausgerechnet, was er einer Uni im Schnitt kostet, und auch diese Beiträge werden als Entwicklungshilfe angerechnet. (Präsident Mayer gibt das Glockenzeichen.)
Hinzu kommen Entschuldungen, die oft künstlich aufgeblasen sind, damit sie größer wirken. Auf solche Posten entfallen drei Viertel von Österreichs Entwicklungsleistungen abseits der Beiträge an internationale Organisationen, also nicht auf Hilfe vor Ort – und von dem angestrebten 0,7-Prozent-Ziel sind wir trotzdem noch weit entfernt.
Präsident Edgar Mayer: Bitte kommen Sie zum Schlusssatz!
Bundesrätin Mag. Susanne Kurz (fortsetzend): Herr Bundesminister, es gibt noch einige Themen, die ich gerne mit Ihnen besprochen hätte, zum Beispiel Afrika und wofür Sie sich da einsetzen, auch andere Themen, die ebenfalls wichtig sind. Leider muss ich jetzt meine Rede beenden (Zwischenruf des Bundesrates Brunner), erwarte mir von Ihnen aber Maßnahmen, wenn es um Asyl und Migration geht, die den Menschen wirklich helfen, damit sie eben nicht zur Migration gezwungen sind. Ich erwarte mir keine Maßnahmen wie die Neugestaltung des Asylsystems, das in keinster Weise dem Asylsystem der Genfer Konvention entspricht. – Danke. (Beifall bei der SPÖ.)
11.58
Präsident Edgar Mayer: Als Nächster zu Wort gemeldet ist Herr Bundesrat Jenewein. – Bitte.
11.58
Bundesrat Hans-Jörg Jenewein, MA (FPÖ, Wien) : Sehr geehrter Herr Bundesminister! Sehr geehrter Herr Präsident! Meine sehr geehrte Damen und Herren! Man merkt, jetzt ist der Wahlkampf angekommen. In der Früh hat es noch ganz kurz danach ausgesehen, als wäre das nicht der Fall, jetzt sind wir so weit. Mir soll es recht sein, ich bin mir nur nicht ganz sicher, ob ich bei diesem Wettkampf mitmachen werde oder nicht. (Heiterkeit bei der FPÖ sowie bei Bundesräten von ÖVP und SPÖ.) Ich möchte aber doch festhalten, dass meine Vorrednerin, deren intellektuelle Schärfe ich bei ihren Beiträgen normalerweise durchaus schätze, heute nicht unbedingt zum Thema gesprochen hat. (Beifall bei der FPÖ und bei Bundesräten der ÖVP.)
Ich möchte ihr aber in einem Punkt durchaus recht geben: Es ist auffällig, dass der Herr Bundesminister permanent das Handy in der Hand hat, herumtelefoniert, während hier Fraktionskollegen sprechen. Ich weiß, er ist ein ganz wichtiger Mann, er fährt quer durch die Welt. Die Fotos werden regelmäßig auf Instagram gepostet, das ist ja das Wichtigste dabei; man sieht dann von Henry Kissinger bis zu Herrn Johnson ganz viele Fotos auf Instagram. Das ist ganz toll, während wir hier debattieren und er eigentlich zuhören sollte, twittert er zu Katalonien. Das ist auch nicht uninteressant, denn in seiner Rede ist er auf den Redebeitrag von Frau Kollegin Dziedzic nicht eingegangen. Darum: Vielleicht ein bisschen weniger twittern, ein bisschen mehr an der parlamentarischen Debatte teilnehmen, das würde dem Niveau des Hauses auch nicht schaden! (Beifall bei der FPÖ und bei Bundesräten der SPÖ.)
Ich möchte aber trotzdem zum eigentlichen Thema sprechen, auch wenn ich nur mehr dreieinhalb Minuten habe. Wenn hier von einer Trendwende in Europa gesprochen wird – und jetzt werde ich den Applaus der SPÖ-Fraktion blitzartig verlieren, das macht aber nichts (Heiterkeit bei der FPÖ sowie bei Bundesräten von ÖVP und SPÖ) –, dann frage ich mich, wo sich denn diese Trendwende tatsächlich manifestiert. Wo manifestiert sie sich? Hat sie sich im Juncker-Plan manifestiert, als er gesagt hat: So, alle europäischen Staaten müssen den Euro nehmen, alle europäischen Staaten müssen Schengen beitreten!? – Das ist seine Vision. Herr Macron hat es auch recht deutlich formuliert.
Wenn ich mir auf der anderen Seite anschaue – und man sollte das Kurzzeitgedächtnis ein bisschen aktivieren –, was diese Europäische Union in den vergangenen Jahren alles gemacht hat, stelle ich mir ernsthaft die Frage, ob Sie das eigentlich noch ernst meinen, wenn Sie hier von Paradigmenwechsel oder von Trendwende sprechen.
Erinnern wir uns an Griechenland! Was ist denn da passiert? – Monatelang wurde europäisches Recht gebrochen. Obwohl in der Europäischen Union der Bail-out in der Eurozone dezidiert verboten war, dezidiert ausgeschlossen war, hat man sich einfach darüber hinweggesetzt und hat gesagt: Das ist wurscht, wir machen jetzt eine Schuldenunion, die Europäer müssen aus Gründen der Solidarität haften! – Ja, ja, das ist recht schön und gut. Solidarität wird immer dann ins Treffen geführt, wenn es besonders opportun erscheint. Nur: Was ist im Endeffekt passiert? – Im Endeffekt ist in dieser Frage nichts anderes passiert als ein permanenter Rechtsbruch.
Nächster Punkt: Migrationskrise. – Diese Krise ist keineswegs – keineswegs! – ausgestanden, ganz im Gegenteil. Wenn man den wirklichen Experten auf diesem Gebiet vertrauen kann – und ich kann nur jedem empfehlen, hie und da einmal die Landesverteidigungsakademie zu besuchen, denn dort bietet man relativ interessante Geschichten dazu an, im Rahmen derer man sich auch informieren kann –, dann weiß man, wie viele Millionen Menschen ante portas stehen. Die drängen alle in die Europäische Union.
Die einzige Reaktion ist, dass man sagt: Na ja, wir wollen ja jetzt da an den Außengrenzen aktiv werden, die Leute werden dann dort aufgefangen!, und: Wir brauchen etwas auf europäischer Ebene!
Die Europäische Union schafft es seit dem Jahr 2015 überhaupt nicht mehr, in dieser wichtigen Frage mit einer Zunge zu sprechen – und in Wahrheit hat sie es auch vorher nicht geschafft. Erinnern wir uns daran, dass der deutsche Innenminister Schily – übrigens kein Mitglied der FPÖ – schon im Jahr 2004 Auffanglager an den EU-Außengrenzen gefordert hat – das war im Jahr 2004! –, aber seit damals ist nichts passiert. (Zwischenruf der Bundesrätin Mühlwerth.) Es ist nichts passiert! Es wurde geredet und geredet, aber passiert ist nichts, im Gegenteil, und heute haben wir den Salat.
Im Jahr 2010 hat der Schweizer Armeechef Blattmann in einem Interview mit einer Schweizer Zeitung gesagt: In Zukunft wird die Schweizer Armee wichtig sein, denn wenn Migrationsströme durch Europa ziehen, dann braucht man den Schutz der Armee. – Das war im Jahr 2010! Nur bei uns hat niemand etwas gewusst – ja klar, weil die Leute offenbar damit beschäftigt sind, im eigenen Ministerium nicht für das Land zu arbeiten, sondern irgendwelche Umsturzpläne für die eigene Partei ausarbeiten zu lassen. So kann man auch nicht arbeiten, meine sehr geehrten Damen und Herren! (Beifall bei der FPÖ sowie des Bundesrates Beer.)
Zum Abschluss ein Letztes: Ich habe eingangs den Herrn Bundesminister erwähnt, der auf Twitter seine Besorgnis über die Zustände in Spanien geäußert hat. – Ja, diese Besorgnis ist recht nett. Vielleicht sollte er einmal mit seinem Parteifreund, Herrn Ministerpräsident Rajoy sprechen, denn der war derjenige, der dafür verantwortlich ist, dass 900 Menschen verletzt wurden, dass diese aus Wahllokalen hinausgeprügelt wurden, dass sie dort auf dem Boden gelegen sind. Und zu sagen, das Ganze müsse auf Basis der spanischen Verfassung passieren, wo wir doch alle wissen, dass die Unabhängigkeit in der spanischen Verfassung nicht vorgesehen ist, ist etwas, wo man sagen muss: Vielleicht sollte der Herr Außenminister dann auch einmal mit seiner Parteifreundin, der deutschen Kanzlerin Merkel, sprechen, ob in der seinerzeitigen DDR-Verfassung vorgesehen war, dass sich die DDR auflöst und der Bundesrepublik Deutschland anschließt.
Meine sehr geehrten Damen und Herren, ich weiß schon, der Wahlkampf liegt in der Luft! Gott sei Dank sind es jetzt nur mehr ein paar Tage, bis die Wahlen da sind. (Präsident Mayer gibt das Glockenzeichen.)
Der Herr Präsident bimmelt, deswegen komme ich zu meinem Schlusssatz: Ich kann nur hoffen, dass nach den Wahlen vielleicht wieder ein bisschen Vernunft einkehrt, und ich möchte mit dem Zitat eines Politikers schließen, den ich normalerweise nie zitieren würde, aber in diesem Fall hat er wirklich recht gehabt. (Zwischenruf des Bundesrates Schennach.) Ein gewichtiger österreichischer Politiker aus der Bundeshauptstadt hat einmal gesagt: „Wahlkampf ist Zeit fokussierter Unintelligenz.“ – Das erleben wir leider wirklich stündlich. – Danke schön. (Beifall bei der FPÖ. – Bundesrat Schennach: Schön, dass du von Michael Häupl gelernt hast!)
12.04
Präsident Edgar Mayer: Als Nächste zu Wort gemeldet ist Frau Bundesrätin Schreyer. – Bitte, Frau Kollegin.
12.04
Bundesrätin Mag. Nicole Schreyer (Grüne, Tirol): Hohes Haus! Sehr geehrter Herr Minister! Sehr geehrte ZuseherInnen! Ja, als neunte Rednerin weiß ich gar nicht, wo ich anfangen sollte, zu replizieren, deswegen fange ich damit erst gar nicht an – außer mit einer ganz kurzen Stellungnahme zum Thema Katalonien: Es ist wirklich unglaublich, dass (in Richtung Bundesminister Kurz) Sie das komplett übergehen, dass Sie nicht
Stellung dazu beziehen, dass Sie die Gewalt dort nicht verurteilen. Also ich würde wirklich darum bitten, dass Sie das in Ihrem nächsten (Bundesminister Kurz: Habe ich gemacht!) – nein, haben Sie nicht – Redebeitrag ganz kurz erwähnen.
Jetzt komme ich aber ohnehin gleich wieder zurück zu dem Thema, das ich gerne ansprechen möchte, nämlich zu den grünen Lösungen zum Thema Migration und im Flüchtlingsbereich. Zuallererst muss man einfach einmal bei den Fluchtursachen anfangen und diese bekämpfen, und zwar mit deutlich mehr Anstrengung, als es momentan der Fall ist. Wir müssen Friedensprozesse unterstützen. Es braucht echtes Engagement von Österreich und von der EU als Brückenbauer und keine Alibiaktionen. Es müssen Krisen präventiv verhindert und Menschen-, Frauen- und Kinderrechte vor Ort verteidigt werden. In diese Richtung müssen unsere Anstrengungen gehen. Wir machen schon etwas, aber die Anstrengungen müssen einfach noch viel stärker dorthin verlagert werden.
Wir brauchen – das ist heute auch schon ein paarmal gefordert worden – einen Waffenexportstopp in Kriegs- und Krisenregionen. Es ist doch wohl bitte einleuchtend, dass man, wenn man Waffen in Kriegsgebiete bringt, Kriegsflüchtlinge zurückbekommt.
Wir müssen uns extrem dafür einsetzen, dass den Menschen – und da rede ich natürlich vor allem von Afrika – nicht ihre Lebens- und Wirtschaftsgrundlage vor Ort entzogen wird. Es dürfen einfach keine EU-exportsubventionierten Lebensmittel lokale Strukturen vor Ort in Afrika zerstören. (Bundesrätin Kurz: Genau!)
Land Grabbing muss entschieden ein Riegel vorgeschoben werden. Wir müssen uns dafür einsetzen, dass da nicht ein ganzer Kontinent verschleudert wird!
Zur humanitären Hilfe: Wir sind, wie wir ja mittlerweile alle wissen, bei der humanitären Hilfe nicht im europäischen Spitzenfeld, sondern gerade einmal irgendwo in der Mitte bei den Zahlungen für die Entwicklungshilfe. Da braucht es dringend eine Verdoppelung des Beitrags Österreichs, damit wir dann auch wirklich im Spitzenfeld mitspielen.
Ein fairer Beitrag für die Entwicklungszusammenarbeit: Über einen Stufenplan sollen für die Entwicklungszusammenarbeit und humanitäre Hilfe 0,7 Prozent des Bruttonationaleinkommens budgetiert werden. – Vorhin ist von der Kollegin das System Entwicklungshilfe kritisiert worden. – Ja, dabei ist vieles verbesserbar. Es versickert viel in undurchsichtigen Kanälen, und das ein bisschen anders anzugehen und zu reorganisieren, ist sicher eine wichtige Aufgabe, der wir uns stellen müssen, aber Geld braucht es halt trotzdem dafür, egal, wie es dann verwendet und umgesetzt wird. – Soweit zur Ursachenbekämpfung.
Es braucht ein neues, faires und nachhaltiges EU-Asylsystem statt einer Festung Europa. Es braucht einen sicheren und legalen Zugang über die Wiedereinführung – das hat es ja schon einmal gegeben, das ist ja keine Erfindung von uns – von Botschaftsasyl an österreichischen Botschaften wie in jenen der anderen EU-Staaten und den Delegationen der Europäischen Union. Das sollte einmal ermöglicht werden. – Zentren in Nordafrika, wie Sie sie vorschlagen, Herr Minister Kurz, würden bedeuten, dass die Leute wieder zuerst durch die Sahara – durch das Massengrab Sahara – durchmüssen, anstatt dass sie das von ihrem Ort aus machen können und schauen können, wie gut ihre Chancen sind.
Schließlich sollen Asylsuchende, wenn sie dann in die EU gelangt sind, zuerst in gemeinsamen Erstaufnahmezentren in der EU aufgenommen und dann zügig auf alle 28 Mitgliedstaaten verteilt werden. Da muss Österreich einfach auch mehr Druck aufbauen, dass die EU die Länder, die da unsolidarisch sind, richtig in die Pflicht nimmt, denn eines ist klar: Man kann sich nicht die Rosinen herauspicken, Vorteile genießen und die Pflichten nicht wahrnehmen.
Ich möchte gerne mit einem Vergleich schließen, wie wir uns das vorstellen würden: Die Schließung von irgendwelchen Routen ohne Ersatz, ohne Begleitmaßnahmen, das
ist, als ob die Milch überkocht und man den Deckel auf den Topf drückt. Es wird nicht besser, aber der Druck steigt weiter an, und irgendwo kommt die Milch dann heraus. Da ist es viel nachhaltiger und gescheiter, wenn ich die Herdplatte unten ausschalte, also wenn ich die Ursachen bekämpfe. – Danke schön. (Beifall bei den Grünen und bei Bundesräten der SPÖ.)
12.08
Präsident Edgar Mayer: Als Nächster ist Bundesrat Mag. Zelina zu Wort gemeldet. – Bitte, Herr Kollege.
12.09
Bundesrat Mag. Gerald Zelina (STRONACH, Niederösterreich): Sehr geehrter Herr Außenminister! Von meiner Seite gibt es ein klares Bekenntnis zur Europäischen Union; keine Frage, die Europäische Union ist wichtig. Die EU ist ein wesentliches Friedensprojekt, sie ist auch ein wesentliches Wirtschaftsprojekt. Der freie Güterverkehr und der freie Kapitalverkehr fördern unseren Außenhandel – man braucht sich nur unsere Außenhandelszahlen anzuschauen –, und diese steigenden Umsätze sind die Basis unserer Arbeitsplätze.
Auch im privaten Bereich ist die EU wichtig: Ich möchte die Personenfreizügigkeit – ganz wesentlich! – nicht missen. Die Reisefreiheit innerhalb von Europa, die Möglichkeit, überall in Europa arbeiten und wohnen zu können, die Möglichkeit, wo auch immer in Europa studieren zu können, das sind tolle Errungenschaften. Dennoch gibt es einige Kritik an Europa: Europa ist sehr zentral aufgestellt, die Europäische Kommission hat ein Gewaltenteilungsproblem und sie hat auch ein Demokratiedefizitproblem.
Ein Problem mit der Gewaltenteilung gibt es deswegen, weil bei der Europäischen Kommission sehr viel Macht konzentriert ist. Die Europäische Kommission bereitet alle Gesetze vor, die kommen dann per EU-Richtlinien, die wir innerstaatlich umsetzen müssen, per Regulierungen und Verordnungen zu uns in die nationalen Parlamente.
Die EU-Kommission ist aber mit ihren Kommissaren gleichzeitig auch Regierung, also Exekutive, und die EU-Kommission spielt quasi auch Richter, indem sie dann Staaten wie Ungarn und Polen verurteilt. Es ist dort also eine geballte Macht konzentriert. (Bundesrat Schennach: Na, sie können einfach Verfahren einleiten!)
Das gilt detto für das Demokratiedefizit: Die Europäische Kommission trifft sehr viele Entscheidungen, die die Bürger im großen Ausmaß treffen; die Bürger können beziehungsweise dürfen bei diesen Entscheidungen jedoch nicht mitsprechen. Beispiel Bankenrettungen: Wurden Sie gefragt, ob Sie mit Ihren Steuergeldern die europäischen Banken retten wollen? (Zwischenruf des Bundesrates Schennach.) – Gleiches gilt für den Europäischen Stabilitätsmechanismus: Wir übernehmen gewaltige Haftungen – 20 Milliarden € allein für Österreich –, aber niemand aus der Bevölkerung wird gefragt, ob wir diese Haftungen übernehmen wollen. Gleiches gilt genauso für die Anleihenkäufe der Europäischen Zentralbank: Auch das sind Gemeinschaftshaftungen, die wir übernehmen, aber es wird nicht informiert, das Volk wird nicht gefragt, es wird einfach über die Leute drüberregiert. (Bundesrat Schennach: So ist das mit der gemeinsamen Währung!)
Innerstaatlich haben wir in Österreich darüber hinaus zum Beispiel Griechenlandanleihen im Ausmaß von 7 Milliarden € gekauft. Da wird niemand vom Volk gefragt. – Ich bin nicht dafür, dass wir Schulden von anderen Staaten übernehmen.
Auch beim Flüchtlingsthema ist es dasselbe: Die Europäische Kommission macht Quotenvorgaben, wie viele Flüchtlinge wir hier in Österreich aufnehmen sollen. (Zwischenruf des Bundesrates Schennach.) Es kann nicht sein, dass die Europäische Kommission entscheidet, wie viele Flüchtlinge wir in Österreich aufnehmen. Das muss Kompetenz der Nationalstaaten sein, nicht europäische Kompetenz!
Bei TTIP, CETA und anderen Handelsabkommen ist es dasselbe: Da wird sogar diskutiert, ob man all diese Handelsabkommen überhaupt nur mehr auf europäischer Ebene macht und gar nicht mehr in die nationalen Parlamente zur Abstimmung bringt. Auch da gibt es ein Demokratiedefizit.
Gott sei Dank gibt es jetzt auch eine Partei, die hier in Österreich die direkte Demokratie und die Mitsprache der Bürger fördert, das sind die Weißen, und diese Partei unterstütze ich.
Noch eine Anmerkung zum Thema EU-Armee: Auch diese sehe ich sehr kritisch, denn auch bei einer europäischen Armee muss man immer überlegen, unter welchem Oberkommando sie steht. Wenn eine EU-Armee wiederum der Europäischen Kommission untersteht, ist das eine weitere Machtkonzentration. – Das sind meine Kritikpunkte an der Europäischen Union.
Ja zur Europäischen Union, ich befürworte sie, aber sie muss demokratischer gebaut werden. – Vielen Dank.
12.13
Präsident Edgar Mayer: Danke, Kollege Zelina.
Weitere Wortmeldungen liegen dazu nicht vor. Die Aktuelle Stunde ist beendet.
Trauerkundgebung anlässlich des Ablebens des ehemaligen Mitgliedes des Bundesrates Albrecht Konecny
Präsident Edgar Mayer: Bevor wir in die Tagesordnung eingehen, darf ich, liebe Kolleginnen und Kollegen, noch um eure Aufmerksamkeit bitten.
Noch immer stehen wir tief betroffen unter dem Eindruck der Nachricht über das Ableben von Professor Albrecht Karl Konecny. Mit dem langjährigen Vorsitzenden der Bundesratsfraktion der Sozialdemokratischen Partei Österreichs Professor Albrecht Konecny ist ein beeindruckender und verdienstvoller Politiker von uns gegangen, der die europäische Entwicklung unserer zweiten Kammer in ganz entscheidender Weise mitgeprägt hat. Wir alle, und auch insbesondere ich, werden ihm gerne ein ehrendes Andenken bewahren und auch mit großem Respekt an ihn denken.
Mit seinem großartigen Engagement hat Professor Albrecht Konecny Zeit seines Lebens in tiefster Überzeugung für die demokratischen Werte gekämpft. Die Republik Österreich und der österreichische Bundesrat verlieren mit Herrn Professor Albrecht Konecny einen über alle Parteigrenzen hinweg äußerst geachteten Homo politicus.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, auch wir – der Bundesrat und dessen Präsidium – haben unser Mitgefühl und unsere Anteilnahme gegenüber seiner Familie zum Ausdruck gebracht. Der österreichische Bundesrat dankt. Der österreichische Bundesrat gedenkt seiner. Ich darf euch ersuchen, euch zum Gedenken an den ehemaligen Fraktionsvorsitzenden Albrecht Konecny von den Sitzen zu erheben. (Die Anwesenden erheben sich von ihren Sitzplätzen und verharren einige Zeit in stummer Trauer.)
Ich danke für das Zeichen eurer Trauer. (Die Anwesenden nehmen ihre Sitzplätze wieder ein.)
*****
Ab hier wird Frau Kollegin Vizepräsidentin Winkler den Vorsitz übernehmen.
Einlauf und Zuweisungen
Vizepräsidentin Ingrid Winkler (den Vorsitz übernehmend): Hinsichtlich der eingelangten, vervielfältigten und verteilten Anfragebeantwortungen,
jenes Verhandlungsgegenstandes, der gemäß Art. 42 Abs. 5 Bundes-Verfassungsgesetz nicht dem Mitwirkungsrecht des Bundesrates unterliegt,
der Bestätigung des Salzburger Landtages über das Einlangen der Verzichtserklärung eines Mitglieds des Bundesrates,
eines Schreibens des Ministerratsdienstes des Bundeskanzleramtes betreffend den Aufenthalt eines Mitglieds der Bundesregierung in einem anderen Mitgliedstaat der Europäischen Union,
der Schreiben des Bundeskanzlers gemäß Artikel 23c Abs. 5 B-VG betreffend die Nominierung eines Mitglieds und eines stellvertretenden Mitglieds des Ausschusses der Regionen,
der Unterrichtung des Generalsekretärs des Bundesministeriums für Europa, Integration und Äußeres und des Bundesministers für Finanzen gemäß Artikel 50 Abs. 5 B-VG sowie
eines Schreibens des Präsidenten des Verfassungsgerichtshofes betreffend die Mitteilung über das Freiwerden einer Stelle eines Mitglieds des Verfassungsgerichtshofes wegen Erreichung der Altersgrenze und Erstattung eines Vorschlages für die Neubesetzung dieser Stelle gemäß Artikel 147 Abs. 2 B-VG durch den Bundesrat
verweise ich gemäß § 41 Abs. 1 der Geschäftsordnung auf die im Sitzungssaal verteilten Mitteilungen, die dem Stenographischen Protokoll dieser Sitzung angeschlossen werden.
Ebenso verweise ich hinsichtlich der eingelangten Verhandlungsgegenstände und deren Zuweisungen im Sinne des § 19 Abs. 1 der Geschäftsordnung auf die gemäß § 41 Abs. 1 der Geschäftsordnung im Sitzungssaal verteilten Mitteilungen, die ebenfalls dem Stenographischen Protokoll dieser Sitzung angeschlossen werden.
Die schriftliche Mitteilung hat folgenden Wortlaut:
A. Eingelangt sind:
1. Anfragebeantwortungen:
2998/AB-BR bis 3012/AB-BR (siehe S. 6)
2. Eingelangter Verhandlungsgegenstand, der gemäß Art. 42 Abs. 5 B-VG nicht dem Mitwirkungsrecht des Bundesrates unterliegt:
Beschluss des Nationalrates vom 20. September 2017 betreffend ein Bundesgesetz über die Genehmigung des Bundesrechnungsabschlusses für das Jahr 2016 (III-401/NR und Zu III-401/NR sowie 1768/NR der Beilagen)
3. Schreiben der Landtage:
Bestätigung des Salzburger Landtags über das Einlangen der Verzichtserklärung von BR Josef Saller mit Ablauf des 30. September 2017 (Anlage 1)
4. Aufenthalte von Mitgliedern der Bundesregierung in einem anderen Mitgliedsstaat der Europäischen Union:
Schreiben des Ministerratsdienstes des
Bundeskanzleramts betreffend den Aufenthalt des Bundesministers für
Europa, Integration und Äußeres Sebastian Kurz am 4. und
5. Oktober 2017 in London, wobei er seine Angelegenheiten im Bundesrat am 5. Ok-
tober bis zu seinem Eintreffen (vorgesehene Landung um 9.20 Uhr) gemäß Art. 73 Abs. 3 B-VG durch Bundesminister Dr. Harald Mahrer wahrnehmen lässt (Anlage 6)
5. Unterrichtung gemäß Art. 50 Abs. 5 B-VG:
Schreiben des Generalsekretärs des Bundesministeriums für Europa, Integration und Äußeres betreffend Aufnahme von Verhandlungen über ein Abkommen zwischen der Republik Österreich und der Organisation der Vereinten Nationen für Erziehung, Wissenschaft und Kultur (UNESCO) über die Einrichtung des Internationalen Zentrums für die Förderung von Menschenrechten auf lokaler und regionaler Ebene unter der Schirmherrschaft der UNECSO (Kategorie 2) in Graz (Österreich) (Anlage 2)
Schreiben des Bundesministers für Finanzen betreffend Aufnahme von Verhandlungen über ein Revisionsprotokoll zum Abkommen zwischen der Republik Österreich und Irland zur Vermeidung der Doppelbesteuerung auf dem Gebiete der Steuern vom Einkommen (Anlage 3)
6. Unterrichtung gemäß Abs. 23c Abs. 5 B-VG:
Schreiben des Bundeskanzlers betreffend
die Nominierung von Herrn Abgeordnetem zum Nationalrat Hannes Weninger zum Mitglied des Ausschusses der Regionen (Anlage 4) sowie
die Nominierung von Bürgermeister Dipl.-Ing. Markus Linhart zum stellvertretenden Mitglied des Ausschusses der Regionen (Anlage 5).
7. Erstattung eines Vorschlages für die Ernennung eines Mitgliedes des Verfassungsgerichtshofes gemäß § 147 Abs. 2 B-VG:
Schreiben des Präsidenten des Verfassungsgerichtshofes betreffend die Mitteilung, dass die Stelle des Mitgliedes des Verfassungsgerichtshofes Rechtsanwalt Mag. Dr. Eleonore Berchtold-Ostermann wegen Erreichens der Altersgrenze mit Wirkung 1. Jänner 2017 frei wird und zur Erstattung eines Vorschlages für die Neubesetzung dieser Stelle gemäß Art. 147 Abs. 2 B-VG der Bundesrat berufen ist (Anlage 7)
B. Zuweisungen
1. Gesetzesbeschlüsse (Beschlüsse) des Nationalrates sowie EU-Vorhaben gemäß Art. 23e B-VG:
(siehe Tagesordnung)
2. Selbständige Anträge:
Gesetzesantrag 238/A-BR/2017 der Bundesräte David Stögmüller, Kolleginnen und Kollegen betreffend ein Bundesgesetz, mit dem das Bundesgesetz über Ausbildung, Tätigkeit und Beruf der Sanitäter (Sanitätergesetz – SanG), BGBl. I Nr. 30/2002, zuletzt geändert mit BGBl. I Nr. 8/2016, geändert wird
zugewiesen dem Gesundheitsausschuss
3. Vorlagen der Bundesregierung oder ihrer Mitglieder sowie Berichte der Volksanwaltschaft:
Verkehrstelematikbericht 2017 (III-625-BR/2017)
und
Tätigkeitsbericht der Schienen-Control GmbH 2016 (III-627-BR/2017)
beide zugewiesen dem Ausschuss für Verkehr
Bericht der Bundesregierung betreffend den Abbau von Benachteiligungen von Frauen (Berichtszeitraum 2015-2016) (III-626-BR/2017)
zugewiesen dem Gleichbehandlungsausschuss
Kunst- und Kulturbericht 2016 (III-628-BR/2017)
zugewiesen dem Ausschuss für Unterricht, Kunst und Kultur
Tätigkeitsberichte des Rates für
Forschung- und Technologieentwicklung für die Jah-
re 2015 und 2016 (III-629-BR/2017)
zugewiesen dem Ausschuss für Wissenschaft und Forschung
Dreijahresprogramm der österreichischen Entwicklungspolitik 2016-2018 Aktualisierung 2017 (III-630-BR/2017)
zugewiesen dem Ausschuss für auswärtige Angelegenheiten
Tätigkeitsbericht des Verwaltungsgerichtshofes für das Jahr 2016 (III-631-BR/2017)
zugewiesen dem Ausschuss für Verfassung und Föderalismus
Maßnahmen für die Land- und Forstwirtschaft im Jahre 2018 (III-632-BR2017)
und
Grüner Bericht 2017 (III-633-BR/2017)
beide zugewiesen dem Ausschuss für Land-, Forst- und Wasserwirtschaft
4. Petitionen:
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Bestätigung
des Salzburger Landtags über das Einlangen der Verzichtserklärung von
Bundesrat Josef Saller mit Ablauf des 30. September 2017, damit ist diese
gemäß § 3 Abs. 3
GO-BR wirksam; das Ersatzmitglied Dr. Andrea Eder-Gitschthaler rückt
am 1.10.
2017 nach (Anlage 1):
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Schreiben des Bundesministers für Finanzen gemäß Art. 50 Abs. 5 B-VG:
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Korrigierte Meldungen für die Dienstreise von HBM Kurz vom 4. bis 5.10.2017 nach London (zu Anlage 6):
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Vizepräsidentin Ingrid Winkler: Eingelangt und den gegenständlichen Ausschüssen zugewiesen wurden jene Beschlüsse des Nationalrates beziehungsweise jene Berichte, die Gegenstand der heutigen Tagesordnung sind.
Diese Ausschüsse haben ihre Vorberatungen abgeschlossen und schriftliche Ausschussberichte erstattet.
Anträge gemäß § 49 Abs. 1 iVm § 16 Abs. 3 GO-BR
Vizepräsidentin Ingrid Winkler: Ich gebe bekannt, dass zudem auch die gestern vom Nationalrat verabschiedeten Beschlüsse vom 4. Oktober 2017 betreffend ein Fremdenrechtsänderungsgesetz 2017, 2285/A, und ein Bundesgesetz, mit dem das Tierschutzgesetz geändert wird, 2286/A, eingelangt sind.
Hinsichtlich des Beschlusses vom 4. Oktober 2017 betreffend ein Fremdenrechtsänderungsgesetz 2017, 2285/A, wurde von den Bundesräten Martin Preineder, Reinhard Todt, Kolleginnen und Kollegen gemäß § 49 Abs. 1 in Verbindung mit § 16 Abs. 3 der Geschäftsordnung des Bundesrates beantragt, diesen gegenständlichen Beschluss des Nationalrates gemäß § 16 Abs. 3 der Geschäftsordnung des Bundesrates ohne Ausschussvorberatung in Verhandlung zu nehmen.
Ich lasse daher über den Antrag, diesen gegenständlichen Beschluss des Nationalrates gemäß § 16 Abs. 3 der Geschäftsordnung des Bundesrates ohne Vorberatung durch einen Ausschuss unmittelbar in Verhandlung zu nehmen, abstimmen.
Hiezu ist eine Mehrheit von mindestens zwei Dritteln der abgegebenen Stimmen erforderlich.
Ich ersuche jene Bundesrätinnen und Bundesräte, die dem vorliegenden Antrag ihre Zustimmung geben, um ein Handzeichen. – Das ist die Stimmenmehrheit.
Der Antrag, diesen gegenständlichen Beschluss des Nationalrates vom 4. Oktober 2017 gemäß § 16 Abs. 3 der Geschäftsordnung des Bundesrates ohne Vorberatung durch einen Ausschuss unmittelbar in Verhandlung zu nehmen, ist somit mit der erforderlichen Zweidrittelmehrheit angenommen.
Ich ergänze daher die Tagesordnung um den Beschluss des Nationalrates vom 4. Oktober 2017 betreffend ein Fremdenrechtsänderungsgesetz 2017, 2285/A, als neu gereihten 7. Tagesordnungspunkt. Die bisherigen Tagesordnungspunkte 7 und 8 erhalten die Bezeichnung 8 und 9.
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Ich gebe weiters bekannt, dass von den Bundesräten Edgar Mayer, Reinhard Todt, Mag. Nicole Schreyer, Kolleginnen und Kollegen gemäß § 66 der Geschäftsordnung des Bundesrates der Antrag auf Abhaltung einer parlamentarischen Enquete zum Thema „Die Zukunft der EU – aus Sicht der Bundesländer und Regionen“ eingebracht wurde.
Auch hiezu wurde gemäß § 49 Abs. 1 in Verbindung mit § 16 Abs. 3 der Geschäftsordnung des Bundesrates beantragt, diesen Selbständigen Antrag gemäß § 16 Abs. 3 der Geschäftsordnung des Bundesrates ohne Ausschussvorberatung in Verhandlung zu nehmen.
Ich lasse daher über den Antrag der Bundesräte Edgar Mayer, Reinhard Todt, Mag. Nicole Schreyer, Kolleginnen und Kollegen, diesen Selbständigen Antrag auf Abhaltung einer parlamentarischen Enquete gemäß § 16 Abs. 3 der Geschäftsordnung des Bundesrates ohne Ausschussvorberatung in Verhandlung zu nehmen, abstimmen.
Hiezu ist eine Mehrheit von mindestens zwei Dritteln der abgegebenen Stimmen erforderlich.
Ich bitte jene Bundesrätinnen und Bundesräte, die dem vorliegenden Antrag ihre Zustimmung erteilen, um ein Handzeichen. – Das ist die Stimmeneinhelligkeit. Der Antrag, den Selbständigen Antrag 240/A-BR/2017 auf Abhaltung einer parlamentarischen Enquete gemäß § 16 Abs. 3 der Geschäftsordnung des Bundesrates ohne Vorberatung durch einen Ausschuss unmittelbar in Verhandlung zu nehmen, ist somit mit der erforderlichen Zweidrittelmehrheit angenommen.
Ich werde die Tagesordnung um den Selbständigen Antrag 240/A-BR/2017 auf Abhaltung einer parlamentarischen Enquete ergänzen und diesen als 10. Tagesordnungspunkt in Verhandlung nehmen.
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Ich habe die zuvor genannten Verhandlungsgegenstände, den Beschluss des Nationalrates vom 4. Oktober 2017 betreffend ein Fremdenrechtsänderungsgesetz 2017 sowie den Antrag auf Abhaltung einer parlamentarischen Enquete auf die Tagesordnung der heutigen Sitzung gestellt.
Wird zur Tagesordnung das Wort gewünscht? – Es ist dies nicht der Fall.
Behandlung der Tagesordnung
Vizepräsidentin Ingrid Winkler: Aufgrund eines mir zugekommenen Vorschlages beabsichtige ich, die Debatte über die Tagesordnungspunkte 5 und 6 sowie 8 und 9 jeweils unter einem zu verhandeln.
Erhebt sich dagegen ein Einwand? – Es ist dies nicht der Fall.
Beschluss des Nationalrates vom 20. September 2017 betreffend Protokoll Nr. 15 zur Konvention zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten (1673 d.B. und 1702 d.B. sowie 9888/BR d.B.)
Vizepräsidentin Ingrid Winkler: Wir gehen in die Tagesordnung ein und gelangen zu Punkt 1.
Berichterstatter ist Herr Bundesrat Oberlehner. Ich bitte um den Bericht.
Berichterstatter Peter Oberlehner: Sehr geehrte Frau Präsidentin! Wertes Präsidium! Liebe Kolleginnen und Kollegen im Bundesrat! Ich darf den Bericht des Ausschusses für auswärtige Angelegenheiten über den Beschluss des Nationalrates vom 20. September 2017 betreffend Protokoll Nr. 15 zur Konvention zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten zur Kenntnis bringen.
Der Bericht liegt in schriftlicher Form vor, ich stelle daher gleich den entsprechenden Antrag.
Der Ausschuss für auswärtige Angelegenheiten stellt nach Beratung der Vorlage am 3. Oktober 2017 mit Stimmenmehrheit den Antrag,
1. gegen den vorliegenden Beschluss des Nationalrates keinen Einspruch zu erheben,
2. dem vorliegenden Beschluss gemäß § 1 des Bundesverfassungsgesetzes über die Genehmigung des Protokolls Nr. 15 zur Konvention zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten und dessen Erklärung zum Bundesverfassungsgesetz die verfassungsmäßige Zustimmung zu erteilen.
Danke.
Vizepräsidentin Ingrid Winkler: Wir gehen in die Debatte ein.
Zu Wort gemeldet ist Herr Bundesrat Herbert. Ich erteile es ihm.
12.24
Bundesrat Werner Herbert (FPÖ, Niederösterreich): Frau Präsidentin! Geschätzte Kolleginnen und Kollegen! Ich darf eingangs feststellen, dass uns der Herr Außenminister wieder verlassen hat. (Bundesrat Schennach: Ist schon da!) – Nein, er ist schon wieder da, wunderbar! Ich habe schon befürchtet, er schenkt uns nicht seine volle Aufmerksamkeit bei diesem Tagesordnungspunkt. Auch wenn es hierbei nicht um die großen Dinge der Außenpolitik geht, so ist es doch immerhin ein Staatsvertrag, der hier mit einem erhöhten Quorum beschlossen wird. So gesehen ist er es, glaube ich, doch wert, dass auch Sie, Herr Bundesminister, uns dankenswerterweise Ihre Aufmerksamkeit hier gönnen.
Bei dem hier in Rede stehenden Zusatzprotokoll zur Europäischen Menschenrechtskonvention ist unser Zugang nicht, dass uns das ganz gefällt. Zum einen – und das habe ich im Ausschuss auch schon dargelegt – beinhaltet es die Herabsetzung der Einspruchsfrist von bisher sechs auf vier Monate. Ich sage einmal, das stellt jetzt nicht die große Aushebelung der Bürgerrechte dar, aber dem vorliegenden Aktenrückstau beim Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte damit zu begegnen, dass man die Zugangsmöglichkeiten für Beschwerden von Bürgern zu minimieren versucht, das ist, glaube ich, rechtsstaatlich ein völlig falscher Ansatz. Wir stehen jeder Einschränkung von Bürgerrechten, sei sie auch nur geringfügig, höchst kritisch gegenüber, und ich denke, das ist auch im Sinne aller betroffenen Bürger generell abzulehnen.
Das Zweite, was wir in diesem Zusammenhang sehr kritisch sehen, ist, dass es sich bei diesem Zusatzprotokoll immerhin um einen Staatsvertrag handelt, einen Staatsvertrag, der mitunter eine sehr weitreichende Einflussnahme in unser bestehendes österreichisches Rechtssystem mit sich bringt, und wir haben eigentlich kaum eine Möglichkeit, wenn es einmal beschlossen ist, innerstaatlich etwas dagegen zu unternehmen. Das heißt, es wäre klug und richtig, wenn – und das ist eine Meinung, die wir generell hinsichtlich aller Staatsverträge vertreten – solche Verträge wie auch dieser vorab durch den Verfassungsgerichtshof geprüft würden, auf ihre Folgewirkung, auf ihre Auswirkung auf innerstaatliches Recht, aber auch auf mögliche Verbindlichkeiten, die sich daraus ergeben könnten. Das ist in diesem Fall einmal mehr nicht passiert.
Die dritte Sache, gegen die wir uns verwehren, ist der Umstand, dass wir wahrnehmen müssen, dass der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte in der Vergangenheit zunehmend nicht nur auf rechtsstaatlicher Grundlage entschieden hat, sondern auch politisch gewertet hat, was ihm eigentlich nicht zusteht, denn er ist wie jeder Gerichtshof pragmatisch an seine Rechtsgrundlagen gebunden. Es sei jedem seine politische Meinung unbenommen, aber als Vertreter eines Gerichtshofes steht es einem einfach nicht zu – sowohl persönlich als auch als Kollegium –, politische Bewertungen in Rechtsentscheidungen mit einfließen zu lassen.
Deshalb – nicht nur aus den genannten rechtlichen Gründen, sondern auch, um hier einmal mehr auf diese Problematik der unangemessenen Rechtsentscheidungen durch politisches Werten aufmerksam zu machen, sehen wir uns gezwungen –, dieses Zusatzprotokoll abzulehnen. Wir hoffen, dass wir zumindest bei den nachfolgenden staatsvertraglich verpflichtenden, bindenden Verträgen aus den Organisationen der EU diese verfassungsmäßige Prüfung durch den Verfassungsgerichtshof gewährleistet sehen, weil es, glaube ich, ein wichtiger, ein notwendiger Schritt ist, um nicht nur die rechtsstaatliche Entwicklung in Österreich im Griff behalten zu können, sondern auch Folgewirkungen, die zum Nachteil von Österreich daraus entstehen können, vorzeitig und auch wirkungsvoll hintanhalten zu können.
In diesem Sinne erfolgt leider eine Ablehnung der Anerkennung dieses Zusatzprotokolls durch meine Fraktion. – Danke schön. (Beifall bei der FPÖ. – Bundesrat Hammerl: Eine Zustimmung ist nicht erforderlich! – Bundesrat Herbert – auf dem Weg zu seinem Sitzplatz –: Ich habe ja nicht gesagt, dass eine Zustimmung erforderlich ist, ich habe gesagt, dass wir es ablehnen!)
12.29
Vizepräsidentin Ingrid Winkler: Als Nächster zu Wort gemeldet ist Herr Bundesrat Ing. Köck. – Bitte, Herr Kollege.
12.30
Bundesrat Ing. Eduard Köck (ÖVP, Niederösterreich): Sehr geehrte Frau Präsident! Sehr geehrter Herr Minister! Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen! Sehr geehrte Damen und Herren! Lieber Kollege Werner Herbert, wenn man internationale Verträge schließt, muss man sie eben auch halten.
Nirgendwo anders auf der Welt werden Menschenrechte so umfassend geschützt wie bei uns hier in Europa, und darauf sollten wir stolz sein. Die Europäische Menschenrechtskonvention ist das entscheidende Instrument, das wir zum Schutz der Menschenrechte und Grundfreiheiten haben. Wir haben hier in Europa eine Rechtssicherheit, die es woanders so nicht gibt. Das sollten wir schon auch klar festhalten.
Der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte wurde 1959 in Straßburg von den Mitgliedstaaten des Europarates errichtet, um eben die Einhaltung dieser Europäischen Menschenrechtskonvention sicherzustellen. Der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte urteilt über Beschwerden einzelner Personen sowie Personengruppen und Staaten, die sich auf eine Verletzung der in der Menschenrechtskonvention anerkannten Rechte beziehen. Seit 1998 ist er ein ständig tagender Gerichtshof, Bürger können sich, nachdem die innerstaatlichen Rechtsbehelfe erschöpft sind, mit Beschwerden direkt an ihn wenden.
Die vom Gerichtshof gefällten Urteile sind für die betroffenen Staaten bindend. Die Rechtsprechung des Gerichtshofs macht die Konvention so zu einem lebendigen Instrument, um neuen Herausforderungen zu begegnen sowie Rechtsstaatlichkeit und Demokratie in Europa zu festigen. Dazu bedarf es manchmal aber auch Anpassungen an die aktuelle Situation. Diese Möglichkeiten führten nämlich auch dazu, dass immer mehr Europäerinnen und Europäer dieses Recht in Anspruch nehmen, und das hat zu einem enormen Rückstau in der Bearbeitung der Verfahren geführt. Ende 2016 waren 65 000 Rechtssachen anhängig. Es braucht daher eine Anpassung; dies geschieht mit diesem Protokoll.
Die geänderten Punkte in aller Kürze: Ein Einspruch einer Partei gegen die Zuweisung einer Rechtssache durch eine Kammer an die Große Kammer ist in Zukunft nicht mehr möglich; die Beschwerdefristen, die nationalstaatliche Entscheidungen betreffen, werden von sechs auf vier Monate verkürzt; es gibt auch einen neuen Unzulässigkeitstatbestand, damit eben Bagatellbeschwerden die Arbeit des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte nicht zusätzlich belasten. Eine Beschwerde kann für unzulässig erklärt werden, wenn für den Beschwerdeführer kein erheblicher Nachteil gegeben ist. Ein weiterer Punkt: Richter müssten jetzt mit Vollendung des 70. Lebensjahres austreten. Das würde zu einem unnötigen Wahlprozedere führen, deshalb wird das jetzt dergestalt geändert, dass sie bei Amtsantritt nicht älter als 65 Jahre sein dürfen.
Bei der letzten Tagung des Europarates, bei der ich anwesend war, habe ich darüber auch mit der derzeitigen Richterin aus Österreich, Frau Dr. Gabriele Kucsko-Stadlmayer, gesprochen: Auch sie erachtet diese Maßnahmen als notwendig. Wir stimmen daher diesen Änderungen zu.
Ich möchte doch auch noch auf die Worte meiner Kollegin Kurz bezüglich Finanzen in Niederösterreich, Sobotka und dergleichen eingehen. Das ist ein Gerücht, dieser Ver-
lust wurde nie realisiert, der Rechnungshof hat den Veranlagungen ein positives Zeugnis ausgestellt. Die Veranlagungen erwirtschaften derzeit 3,5 Prozent, das gibt es nirgends am Kapitalmarkt. Ich muss Ihnen schon eines sagen, Frau Kollegin: In der SPÖ Salzburg gibt es in Stadt und Land verurteilte Politiker, die aufgrund von Finanzmalversationen zurücktreten mussten! Und dann stellen Sie sich hierher und wollen über Niederösterreich urteilen?! Gehen Sie nach Hause, und schauen Sie, was Sie dort angerichtet haben! (Bundesrätin Kurz: Ich habe dort nichts angerichtet!) Seid ihr alle schon Silberstein-wahnsinnig? Habt ihr alle eine Kopfwäsche hinter euch?
Ich hoffe, dass der Wähler dieses System Silberstein am Sonntag abwählt, dass es zu so etwas nie wieder kommt in diesem Land. – Danke für die Aufmerksamkeit. (Beifall bei der ÖVP. – Bundesrätin Grimling: Silberstein hat überhaupt nichts damit zu tun! Man kann schon dumm sein, aber ...! – Weitere Zwischenrufe bei der SPÖ. – Ruf: Jetzt geht’s los mit dem Wahlkampf!)
12.34
Vizepräsidentin Ingrid Winkler: Als Nächster zu Wort gemeldet ist Herr Bundesrat Professor Schennach. – Bitte.
12.34
Bundesrat Stefan Schennach (SPÖ, Wien): Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr geschätzter Herr Bundesminister! Als Stefan Zweig sein Buch „Sternstunden der Menschheit“ geschrieben hat, hat es den Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte noch nicht gegeben. Ich bin sicher, er hätte ihn als eine Sternstunde der Menschheit, zumindest der europäischen Menschheit, angeführt, denn einen solchen Gerichtshof gibt es kein zweites Mal.
Das ist ein Gerichtshof, an den sich 800 Millionen Menschen aus ganz Europa – nicht nur aus der EU, sondern aus ganz Europa, aus allen Mitgliedstaaten des Europarates, denn er ist Teil des Europarates – wenden können. Vielleicht wissen Sie nicht, wie man sich an ihn wenden kann. Ich war mehrmals dort, er ist ja ein Teil des Europarates. Da gibt es beeindruckende Dokumente, die zeigen, wie einfach es ist. Wenn Menschen irgendwo eingesperrt sind, unter Menschen unzumutbaren Zuständen, ist oft das Einzige, was sie bekommen, ein Stück Toilettenpapier, auf das sie ihre Beschwerde schreiben können, auf dem sie berichten können, was geschehen ist. Dies wird dann irgendwie rausgeschmuggelt und nach Straßburg gebracht – und es wird angenommen. Es gibt unfassbare Dokumente, auch vom Material her, wie eben zum Beispiel solche aus Gefängnissen, aus Russland oder anderen Ländern, die an den Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte kommen.
Deshalb bin ich in solchen Diskussionen hinsichtlich Russland ausschließen oder nicht ganz vorsichtig. Ich sage immer: Wenn ihr Russland ausschließt, dann schneidet ihr über 200 Millionen Menschen den direkten Weg zum Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte ab. Und wer dafür die Verantwortung übernehmen will, der soll aufstehen! – Ich nicht.
Wenn wir heute die Fälle anschauen, und es sind über 60 000, fast 70 000 Beschwerden aus Europa, dann sehen wir, da sind Menschen in enormer Bedrängnis, und für sehr viele ist es oft die letzte Hoffnung. Dieser große Anfall bedarf aber auch Reformen.
Ich verstehe schon, dass Kollege Herbert versucht hat, da herumzuturnen, aber in Wirklichkeit steht bei euch drinnen, dass Österreich aus dem Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte austreten soll (Bundesrat Herbert: Das stimmt ja nicht! Das stimmt ja nicht!) – o ja, auch das kann man nachlesen! (Bundesrat Herbert: Alles Unterstellungen!) – und eine eigene österreichische Menschenrechtskonvention machen soll. Aber ich lass’ es, wenn du sagst, es stimmt nicht; wir können dann nachher darüber sprechen.
Ganz große Sorgen macht uns aber, dass manche Menschen durch diesen enormen Anfall – ich verfolge derzeit acht Fälle – seit Jahren im Gefängnis darauf warten, dass ihre Beschwerde aufgegriffen wird, aber aufgrund der Anzahl von fast 70 000 Beschwerden dauert es. Es kommt noch dazu, dass der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte das einzige Gericht ist – Sie werden sonst kein Gericht auf der Welt finden –, das 365 Tage Tag und Nacht arbeitet. Eine Beschwerde kann um 2 Uhr in der Früh in Straßburg einlangen, aus Nowosibirsk zum Beispiel, und um 4 Uhr kann die Journalrichterin oder der Journalrichter eine Maßnahme direkt nach Russland veranlassen, zum Beispiel die sofortige Enthaftung oder das Nichtdurchführen einer Abschiebung und so weiter und so fort.
Das ist eine Sternstunde der Menschheit für Menschenrechte, für Grundrechte, und deshalb müssen wir alles dazu tun, dass dieser Menschenrechtsgerichtshof auch tätig sein kann. Es gab Staatschefs wie zum Beispiel den nicht mehr im Amt befindlichen britischen Premier Cameron – dieser hat alles getan, um zum Beispiel das individuelle Recht der Bürger abzuschneiden –, und es gibt heute Staaten, die sehr viel unternehmen, dass Urteile des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte nicht umgesetzt, sondern vorher noch einmal geprüft werden.
Wir – Österreich – haben ein solches Urteil vor noch nicht allzu langer Zeit bekommen, da ging es um die Adoption von Kindern durch gleichgeschlechtliche Paare, und Österreich ist dem Urteil des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte gefolgt und hat dieses auch umgesetzt – und das ist richtig so! (Beifall bei der SPÖ.)
Deshalb sind diese Maßnahmen, die in dem vorliegenden Protokoll vorgesehen sind, im Sinne der Betroffenen. Wenn hier irrsinnig viele Beschwerden gegen die Abgabe einer Rechtssache von einer Kammer an die Große Kammer eingelegt werden, dann bedeutet das eine Verzögerung für alle anderen, die darauf warten, dass ihre Beschwerde in Verhandlung genommen wird. Diese Verbesserung, die die FPÖ heute ablehnt, führt dazu, dass vielleicht jemand nicht ein ganzes weiteres Jahr in Haft sitzen muss, sondern dass sein Fall früher drankommt. Deshalb müssen wir das unterstützen, und deshalb ist es wichtig, dass Österreich mit ganzem Herzen hinter diesem Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte steht.
Beide Richterinnen, die heutige und die frühere, sind exzellent. Österreich hat nur exzellente Richter und Richterinnen dorthin geschickt. Außerdem ist es – vielleicht wissen Sie das nicht – das einzige Gericht, in dem die Richterinnen und Richter von einem Parlament gewählt werden, nämlich vom Europarat. Es gibt ein eigenes Komitee für die Auswahl der Richter und Richterinnen, danach gibt es eine geheime Abstimmung im Plenum, und das ist eine sehr sorgfältige Vorgangsweise – aber auch die wollte Cameron nicht, auch das wollte Cameron damals abwürgen. Also hier sind einige Dinge zu verteidigen, so wie der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte die Menschen- und Grundrechte in Europa verteidigt. – Danke. (Beifall bei der SPÖ und bei Bundesräten der Grünen.)
12.40
Vizepräsidentin Ingrid Winkler: Als Nächste zu Wort gemeldet ist Frau Bundesrätin Mag. Dr. Dziedzic. – Bitte, Frau Kollegin.
12.40
Bundesrätin Mag. Dr. Ewa Dziedzic (Grüne, Wien): Sehr geehrte Frau Präsidentin! Herr Bundesminister! Werte Kollegen und Kolleginnen! Ein paar Stellungnahmen zu den einzelnen Maßnahmen haben wir schon gehört. Es geht hier um die ausdrückliche Erwähnung des Subsidiaritätsprinzips und des Ermessensspielraumes der Vertragsparteien oder auch um die Einführung eines Höchstalters für die Kandidaten und Kandidatinnen.
Was wir begrüßen, ist, dass es in Hinkunft möglich sein wird, Rechtssachen unabhängig vom Parteiwillen auch an die Große Kammer abzugeben. Was wir klar kritisieren, ist wiederum die Verkürzung der Beschwerdefrist um zwei Monate, weil es aus unserer Sicht den Zugang erschwert und auch negative Auswirkungen haben kann, wenn es um den Zugang zum Gericht geht.
Aber: Wir wissen, dass es Länder gibt – Ukraine, Polen, Türkei –, die wiederholt verurteilt werden, und wir wissen, dass die Maßnahmen, die in dieser Novelle enthalten sind, nicht zwangsläufig dazu beitragen, dass es mehr Effizienz gibt, sondern dass sich die Mitgliedstaaten auch an die Umsetzung halten müssten. Leider ist es so, dass auch Österreich mehrmals verurteilt worden ist, und zwar dann, wenn es um die Zuerkennung der gleichen Rechte und um den Minderheitenschutz ging. Ich möchte Ihnen dafür ein paar Beispiele nennen.
Erstes Beispiel: Im Jahr 2013 gab es ein historisches Urteil, da hat der Gerichtshof geurteilt, dass die Opfer der homophoben Sonderstrafgesetze rehabilitiert werden müssen und ihre Strafregistereintragungen gelöscht werden müssen.
Zweites Beispiel, ein weiteres Urteil, ebenfalls aus dem Jahr 2013: Da hat die Große Kammer geurteilt, dass das Verbot der Stiefkindadoption bei gleichgeschlechtlichen Paaren gegen die Europäische Menschenrechtskonvention verstößt. Mit dem Adoptionsrechts-Änderungsgesetz 2013 wurde dieses Urteil umgesetzt, und seit 1. August 2013 dürfen auch in gleichgeschlechtlichen Partnerschaften Stiefkinder adoptiert werden.
Zugleich wurden durch Begleitgesetze zahlreiche Diskriminierungen von Regenbogenfamilien beseitigt, und die Zahl der Ungleichbehandlungen zwischen der eingetragenen Partnerschaft und der Ehe sank damals schlagartig auf 40.
Seit 1. April 2017 dieses Jahres werden eingetragene Partnerschaften am Standesamt geschlossen – genauso wie Ehen! – und dürfen gleichgeschlechtliche Paare wieder einen Familiennamen tragen. Viele wissen es nicht, sieben Jahre lang hat man einen Nachnamen erhalten, wenn man sich eingetragen hat, und den Familiennamen verloren – eine sehr absurde Differenzierung, die 2010 mit dem EPG, Eingetragene Partnerschaft-Gesetz, eingeführt worden ist.
Nun wissen wir ja alle, dass sich Bundesminister Kurz vehement dagegen verwahrt, die Ehe für alle zu öffnen, und wir wissen auch, dass uns da der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte leider nicht zu Hilfe kommen wird, wie er es bei den anderen Ungleichbehandlungen tat, weil Familienrecht nationale Angelegenheit ist, aber die Hoffnung stirbt zuletzt, und daher nutze ich diese Gelegenheit hier heute, ein weiteres Mal zu wiederholen, dass es in dieser Sache nicht nur um reine Symbolik geht. Es gab über 70 Ungleichbehandlungen, von denen viele vom Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte beziehungsweise durch die Urteile aufgehoben wurden, aber es gibt nach wie vor 29 Ungleichbehandlungen, die sich konkret auf den Alltag der Betroffenen auswirken.
Ich nenne dafür nur ein paar Beispiele: Es geht dabei um Dinge wie das Ja-Wort. Es geht um die fehlende Anerkennung im Ausland. Es geht darum, dass Adoption erlaubt ist, aber die Kinder nicht ehelich sein dürfen; Österreich ist wirklich weltweit das einzige Land, in dem es diese Konstruktion gibt. Oder es geht auch darum, dass es unterschiedliche Formulare gibt. Das heißt, es kam da auch zu einem bürokratischen Mehraufwand, dessen Sinn sich einfach nicht erschließt. Und: Auch wenn sich jemand einträgt, heißt das nicht automatisch, dass man beispielsweise bei der Arbeitssuche jedem Arbeitgeber mitteilen möchte, ob man homosexuell oder heterosexuell ist. Das heißt, da gibt es noch viel zu tun, und da können wir uns leider nicht auf den Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte verlassen.
Abschließend möchte ich hier erneut an Sie appellieren: Geben Sie sich einen Ruck und sorgen wir dafür, dass auch diese 29 Ungleichbehandlungen und somit auch diese
Debatte endlich ein Ende finden! – Vielen Dank. (Beifall bei den Grünen und bei Bundesräten der SPÖ.)
12.46
Vizepräsidentin Ingrid Winkler: Als Nächste zu Wort gemeldet ist Frau Bundesrätin Mag. Gruber-Pruner. – Bitte, Frau Kollegin.
12.46
Bundesrätin Mag. Daniela Gruber-Pruner (SPÖ, Wien): Sehr geehrte Frau Präsidentin! Herr Minister! Geschätzte Kolleginnen und Kollegen! Geschätzte ZuseherInnen! Die Konvention zum Schutz der Menschenrechte und Grundfreiheiten gibt es bereits seit 1950 und den Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte, der deren Umsetzung überwacht, seit 1959. Seither dauert das Ringen um Verbesserungen im menschenrechtlichen Bereich an, wobei es da noch Luft nach oben gibt, das hat soeben auch meine Kollegin von der grünen Fraktion am Beispiel „Ehe für alle“ anschaulich dargestellt. Ich möchte mich diesen ihren Ausführungen anschließen und meine auch, dass es da um Diskriminierung geht, die endlich beseitigt werden muss. Viele Länder haben das bereits verwirklicht, und es wird Zeit, dass wir da nachziehen.
Dem vorliegenden Zusatzprotokoll liegen zähe Verhandlungen zugrunde, das hat Botschafter Tichy im Ausschuss ausgeführt, und ich bin sehr froh, dass Österreich bei diesen Verhandlungen standhaft geblieben ist und vor allem auch das Individualbeschwerderecht verteidigt hat. Dieses Individualbeschwerderecht ist eines der höchsten Güter der Europäischen Menschenrechtskonvention, und das gilt es zu verteidigen.
Als Mitglied des Kinderrechteausschusses des Bundesrates möchte ich darauf hinweisen, dass es auch im Bereich der Kinderrechte seit Kurzem eine Individualbeschwerdemöglichkeit gibt. Es gibt da ein Zusatzprotokoll, das Kindern ermöglicht – natürlich nach Ausschöpfung der innerstaatlichen Instanzen –, direkt beim Kinderrechteausschuss der UNO eine Beschwerde einzureichen. Dafür wurde ein Fakultativprotokoll der UNO-Kinderrechtskonvention entworfen, das eine Individualbeschwerdemöglichkeit für Kinder und Jugendliche vorsieht.
Österreich war zwar unter den ersten Unterzeichnern dieses Zusatzprotokolls, aber wir sind bei dessen Ratifizierung nach wie vor säumig, und es ist höchst an der Zeit, eine Ratifizierung in diesem Bereich vorzunehmen. Mittlerweile haben uns nämlich weltweit 34 Staaten überholt, und ich würde meinen, auch unseren Kindern und Jugendlichen sollten die Möglichkeiten, die damit verbunden sind, zugestanden werden. (Beifall bei der SPÖ und bei Bundesräten der Grünen.)
Wir sollten ihnen diese Möglichkeiten nicht länger verwehren, und es wäre, wie gesagt, höchste Zeit, diesen Schritt zu setzen und dieses Zusatzprotokoll zu ratifizieren. Dadurch würden wir endlich auch international zu den Vorreitern im Bereich der Menschenrechte und Kinderrechte gezählt werden. Österreich hat ja in diesem Bereich eine vorbildhafte Tradition, Österreich steht für Menschenrechte und hat sich in der Vergangenheit mehrfach dafür eingesetzt. Dafür genießen wir auch ein entsprechendes Ansehen, aber aktuell sehe ich dieses Ansehen gefährdet.
Dieses Ansehen ist auch deshalb bedroht, weil immer wieder die Übereinkünfte im Menschenrechtsbereich infrage gestellt werden. Nicht nur verschiedene europäische Länder stellen infrage, ob die universellen Gedanken der Menschenrechte noch notwendig sind, sondern auch viele Nationalstaaten versuchen, sich da aus der Verantwortung zu stehlen.
Auch im österreichischen Wahlkampf ist das ein Thema, das debattiert wird. Zum Beispiel habe ich im Wahlprogramm der FPÖ gelesen, dass eine Evaluierung der Europäischen Menschenrechtskonvention verlangt wird und dass diese gegebenenfalls durch
eine österreichische Menschenrechtskonvention ersetzt werden soll, die auch das Heimatrecht der Österreicher schützt. (Bundesrat Schennach: Hört! Hört! – Bundesrat Herbert: Evaluierung und Ersatz! – Bundesrat Schennach: Was heißt „Ersatz“?)
Ich finde so etwas sehr bedenklich, denn wenn man das durchdenkt, würde das bedeuten, dass in einer Gemeinschaft Menschen unterschiedlicher Klasse existieren: Menschen mit mehr Rechten, Menschen mit mehr Freiheit, Menschen mit mehr Schutz als andere. Eine solche Gemeinschaft kann nicht funktionieren, das versteht jedes Kind! (Beifall bei SPÖ und Grünen.)
Dass solche Überlegungen tatsächlich gefährlich sind, mahnt mich, da wachsam zu bleiben. Meine Fraktion hat da größte Bedenken, und wir sind uns einig, dass die Europäische Menschenrechtskonvention und ihre Mechanismen nicht aufgeweicht werden dürfen. Daher sind wir froh, dass dieses Zusatzprotokoll heute hier in der Form vorliegt, wie es ist. – Danke schön. (Beifall bei SPÖ und Grünen.)
12.51
Vizepräsidentin Ingrid Winkler: Bevor wir in der Debatte fortschreiten, möchte ich in unserer Mitte Herrn Bundesminister Mag. Drozda recht herzlich begrüßen. (Allgemeiner Beifall.)
Als Nächster zu Wort gemeldet ist Herr Bundesrat Lindner. – Bitte, Herr Kollege.
12.51
Bundesrat Mario Lindner (SPÖ, Steiermark): Hochgeschätzte Frau Präsidentin! Meine Herren Bundesminister! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich habe in meinen Reden hier im Bundesrat schon öfter gesagt: Die europäischen Menschenrechte sind unantastbar!, und ich werde nicht müde werden, es immer und immer wieder zu sagen.
Ich möchte mich der Meinung meiner Kollegin Ewa Dziedzic anschließen und dem noch Folgendes hinzufügen: Gerade dann, wenn es um Rechte von homosexuellen Menschen in Österreich geht, haben in den vergangenen 20 Jahren großteils Gerichte entschieden, unter anderem auch der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte. Wir sind daher sehr froh, dass es diesen Gerichtshof gibt, und ihm sehr dankbar, weil wirklich vieles mit seiner Hilfe besser geworden ist.
Menschenrechte und Grundfreiheiten sind immer auch Rechte von homosexuellen Menschen. Kollegin Dziedzic hat schon ausgeführt, dass es immer noch 29 Ungleichbehandlungen bei der eingetragenen Partnerschaft im Vergleich zur Ehe im klassischen Sinn gibt. Sie hat auch schon einige Beispiele dafür aufgezählt, aber ich möchte noch ein ganz konkretes Beispiel bringen, bei dem es wirklich um Diskriminierung bei der eingetragenen Partnerschaft im Vergleich zur Ehe für alle geht.
Und zwar: Jeder, der auf die Gemeinde geht und sich melden möchte, sprich, der einen Meldezettel will – egal, ob für einen Hauptwohnsitz oder für einen Nebenwohnsitz –, muss seinen Familienstand angeben. Man kann Ehe angeben, man kann ledig angeben oder man kann eingetragene Partnerschaft angeben, aber sobald man Letzteres angibt, ist man als homosexueller Mensch in Österreich zwangsgeoutet, ob er es will oder nicht, denn es können nur gleichgeschlechtliche Paare in einer eingetragenen Partnerschaft leben.
Auch ich habe mir aussuchen können, ob ich ein Outing mache oder nicht. Ich habe es gemacht, und ich stehe auch heute noch dazu, aber diesen Weg können und wollen nicht alle gehen. Daher ist es ganz wichtig, dass wir auch in Österreich im Jahr 2017 endlich die Ehe für alle einführen. (Beifall bei der SPÖ und bei Bundesräten der Grünen.)
56 Prozent der ÖVP-Wählerinnen und Wähler sind dafür, 34 dagegen; 46 Prozent der FPÖ-Wählerinnen und Wähler sind dafür, 37 dagegen.
Herr Bundesminister Kurz, am 1. Oktober 2017 ist in Deutschland die Ehe für alle eingeführt worden. Ich habe nur eine Bitte an Sie: Geben Sie auch in Österreich die Abstimmung darüber frei! Ich bin überzeugt, dass das österreichische Parlament, der Nationalrat und der Bundesrat, mit großer Mehrheit dafür stimmen werden. Seien Sie wie Angela Merkel, seien Sie mutig und beweisen Sie Zivilcourage! – Herzlichen Dank. (Beifall bei der SPÖ.)
12.55
Vizepräsidentin Ingrid Winkler: Weitere Wortmeldungen liegen dazu nicht vor.
Wünscht noch jemand das Wort? – Es ist dies nicht der Fall. Die Debatte ist geschlossen.
Wir kommen zur Abstimmung.
Der vorliegende Beschluss des Nationalrates bedarf gemäß § 1 des Bundesverfassungsgesetzes über die Genehmigung des Protokolls Nr. 15 zur Konvention zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten und dessen Erklärung zum Bundesverfassungsgesetz der in der Anwesenheit von mindestens der Hälfte der Mitglieder und mit einer Mehrheit von zwei Dritteln der abgegebenen Stimmen zu erteilenden Zustimmung des Bundesrates.
Ich stelle zunächst die für die Abstimmung erforderliche Anwesenheit der Mitglieder des Bundesrates fest.
Wir gelangen zunächst zur Abstimmung, gegen den vorliegenden Beschluss des Nationalrates keinen Einspruch zu erheben.
Ich ersuche jene Bundesrätinnen und Bundesräte, die dem Antrag zustimmen, gegen den gegenständlichen Beschluss des Nationalrates keinen Einspruch zu erheben, um ein Handzeichen. – Das ist die Stimmenmehrheit. Der Antrag, gegen den vorliegenden Beschluss des Nationalrates keinen Einspruch zu erheben, ist somit angenommen.
Nunmehr lasse ich über den Antrag abstimmen, dem vorliegenden Beschluss des Nationalrates gemäß § 1 des Bundesverfassungsgesetzes über die Genehmigung des Protokolls Nr. 15 zur Konvention zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten und dessen Erklärung zum Bundesverfassungsgesetz die verfassungsmäßige Zustimmung zu erteilen.
Ich bitte jene Bundesrätinnen und Bundesräte, die diesem Antrag zustimmen, um ein Handzeichen. – Das ist die Stimmenmehrheit. Der Antrag ist somit unter Berücksichtigung der besonderen Erfordernisse angenommen.
Ausdrücklich stelle ich die verfassungsmäßig erforderliche Zweidrittelmehrheit fest.
ORF-Jahresbericht 2016 gemäß § 7 ORF-Gesetz (III-621-BR/2017 d.B. sowie 9891/BR d.B.)
Vizepräsidentin Ingrid Winkler: Wir gelangen nun zu Punkt 2 der Tagesordnung.
Berichterstatter ist Herr Bundesrat Dr. Köll. Ich bitte um den Bericht.
Berichterstatter Dr. Andreas Köll: Sehr geehrte Frau Präsidentin! Geschätzter Herr Bundesminister! Werte Kolleginnen und Kollegen! Ich erstatte den Bericht des Ausschusses für Verfassung und Föderalismus über den ORF-Jahresbericht 2016 gemäß § 7 ORF-Gesetz.
Der Bericht liegt Ihnen in schriftlicher Form vor, weshalb auf eine Verlesung verzichtet werden darf.
Bei der Abstimmung wurde mit Stimmenmehrheit beschlossen, dem Bundesrat die Kenntnisnahme des gegenständlichen Berichtes zu empfehlen.
Der Ausschuss für Verfassung und Föderalismus stellt nach Beratung der Vorlage am 3. Oktober 2017 den Antrag, den ORF-Jahresbericht 2016 gemäß § 7 ORF-Gesetz (III-621-BR/2017 d.B.) zur Kenntnis zu nehmen.
Vizepräsidentin Ingrid Winkler: Wir gehen in die Debatte ein.
Zu Wort gemeldet ist Herr Bundesrat Jenewein. – Bitte, Herr Kollege.
12.58
Bundesrat Hans-Jörg Jenewein, MA (FPÖ, Wien): Meine sehr geehrten Damen und Herren! Frau Präsidentin! Herr Bundesminister Drozda! Ich bin seit dem Jahr 2010 Mitglied des österreichischen Bundesrates und habe noch jedes Jahr zum ORF-Bericht gesprochen. (Bundesrat Schennach: Leider ja!) – Ja, genau, da sind wir schon mitten im Thema, Herr Kollege Schennach, obwohl ich heute ein bisschen die negative Energie aus der Debatte herausnehmen wollte. Ich wollte nämlich wieder weg vom Wahlkampf kommen, aber wenn mir Herr Kollege Schennach das Hölzl wirft, dann nehme ich es dankbar auf. (Bundesrat Schennach: Wieso? Ich habe ja nur „leider“ gesagt!) Ja, „leider“ haben Sie gesagt. Das war nicht wertschätzend, aber ich nehme es nicht persönlich, ich weiß eh, wie Sie es meinen.
Unabhängig davon: Ich möchte es eigentlich dem Hohen Haus hier ersparen (Bundesrat Schennach: Was ist das Problem?) – lassen Sie mich einmal fertigreden! –, dass ich meine Reden der letzten Jahre einfach nur wiederhole, aber im Prinzip kann ich nicht viele neue Aspekte einbringen. Alle, die meine Redebeiträge in den letzten Jahren hier in diesem Haus verfolgt haben, wissen, dass ich zumindest versuche, immer einen neuen Aspekt hineinzubringen. Diesen muss man nicht teilen, aber es ist zumindest ein Anspruch von mir. Ich halte ganz selten Redebeiträge nur für die Statistik.
Ganz kurz zum Bericht: Er umfasst 190 Seiten. Wer ihn liest, ist durchaus über das, was im ORF abgeht, informiert. Der Vorgänger von Herrn Bundesminister Drozda, der in den Jahren seiner Amtszeit öfter im Bundesrat gewesen ist – Minister Drozda ist es jetzt auch schon das zweite Jahr –, hat mir immer erklärt, ich könne den Bericht wohlwollend zur Kenntnis nehmen, denn er stimme ja inhaltlich.
Ich habe mir gedacht, ich suche mir etwas heraus, was nicht stimmt, und wenn man 190 Seiten durchsucht, findet man natürlich immer etwas. Ich möchte jetzt gar nicht beckmessern, aber es gibt wirklich einen Punkt, der mir aufgefallen ist und der es durchaus wert ist, dass man ihn beleuchtet. Ich weiß nicht, wer den Bericht vorliegen hat, aber wenn, dann lesen Sie auf Seite 171 nach. Dort wird über die Reichweiten der ORF-Fernsehprogramme berichtet. Auf den Seiten davor wird über die Reichweiten der Radioprogramme berichtet, und dort ist das unheimlich schön aufgeschlüsselt: nach Bundesland, nach Sendern, nach Prozentzahlen, nach Realzahlen, nach Tagesreichweite, nach Höchstreichweite. Wenn man aber zu Seite 171 kommt, findet man nur eine Gesamttagesreichweite der Programme ORF eins, ORF 2, ORF III, ORF Sport+, eine Gesamttagesreichweite für das Jahr 2016 von 3,6 Millionen oder umgerechnet 46,1 Prozent. Es gibt aber keine Aufschlüsselung – was durchaus interessant wäre –, welche Reichweite eigentlich ORF III im Detail hat, welche Reichweite ORF Sport+ im Detail hat.
Ich werde jetzt nicht meine Bedenken, die ich in Bezug auf die Spartensender durchaus habe, wiederholen, das habe ich in den letzten Jahren schon gemacht, nämlich dass ich es nicht wirklich als notwendig erachte, dass man sich einen ORF-Sport+-Sender leistet, um dort irgendwelche Tennismatches aus den 1980er-Jahren zu wiederholen. Das mag zwar schön sein, nur in Zeiten wie diesen ist das nicht notwendig, weil das alles auf diversen Streaming-Plattformen ohnehin jederzeit abrufbar ist. Dafür
braucht man sich nicht diese ganze Infrastruktur zu leisten, dafür muss man sich nicht diese Kosten leisten.
Wie gesagt, dass es da keine Aufschlüsselung gibt, ist einer der wesentlichen Kritikpunkte, die ich habe. In der Betriebswirtschaftslehre würde man das als mangelnde Bilanzkontinuität bezeichnen. Wenn man es für die Radioprogramme macht, muss man es für die Fernsehprogramme auch machen. Das ist nicht passiert, und das kritisiere ich im Detail sehr wohl.
Damit komme ich schon ein bisschen vom Bericht weg hin in Richtung ORF; ich möchte mich doch ein bisschen zum ORF äußern. Wir erleben seit einiger Zeit nicht nur auf politischer Ebene, sondern auch im ORF selbst eine Diskussion, die es wert ist, geführt zu werden, und die es – für eine zukünftige Regierung, wie immer die dann auch aussehen wird – auch wert ist, in eine neue gesetzliche Regelung zu fließen. Derzeit ist es doch so, dass die eigentliche Situation wirklich unbefriedigend ist. Es gibt im ORF viele Beschäftigte, die ordentlich arbeiten, die anständig arbeiten, die wirklich gute Arbeit leisten – bei diesen sollte man sich auch bedanken –, es gibt aber leider Gottes auch solche, bei denen man den Eindruck hat, dass sie den ORF hauptsächlich als Vehikel der eigenen Eitelkeit benutzen. Und dies führt dann zu der Situation, dass es bei Informationsveranstaltungen, bei Fernsehdiskussionen oftmals darum geht, dass gar nicht so sehr das Informationsinteresse, sondern oftmals nur das Eigeninteresse und die Eigenvermarktung im Vordergrund stehen. Diesen Eindruck hat man stark.
Ich darf nur daran erinnern, es ist noch nicht so lange her – ich schätze, ich habe es nicht genau herausgesucht, es war vor dem Sommer, drei Monate –, es gab auf Ö1 – leider um die Mittagszeit, da haben die wenigsten Leute Zeit, zuzuhören – eine Diskussion über den „ZIB 2“-Anchorman, über seinen beruflichen Zugang und darüber, wie er mit den Leuten umgeht, die zu ihm ins Studio kommen. Das war nicht von der FPÖ initiiert, sondern das war ORF-intern initiiert. Das heißt, diese Diskussion führen nicht nur wir, diese Diskussion wird auch innerhalb des ORF geführt, und ich denke, dass es da Regeln braucht, auch für die Zukunft, auch was die Neuen Medien betrifft.
Es ist ja nicht so, dass sich der ORF abnabeln kann, dass der ORF sagen kann, er sei ein großer Betrieb, er finanziere sich auf der einen Seite aus Gebühren, auf der anderen Seite auch durch Werbung und seine Mitarbeiter schwirrten halt irgendwo im luftleeren Raum. – Nein! Wenn man öffentliche Gebühren bekommt, wenn der ORF Gebühren bekommt, dann muss es auch Regeln geben, Regeln, die die Transparenz auch so weit tangieren, dass, wenn jemand sagt, er möchte als Gebührenzahler sehr gerne wissen, nicht nur was mit den Gebühren passiert – das sieht man natürlich auch im Rechenschaftsbericht, das sieht man auch im ORF-Bericht –, sondern auch wie die Mitarbeiter bezahlt werden und wer dort unter Umständen noch mitbezahlt, was auch möglich ist. Denn nur, wenn man weiß, wer da noch mitbezahlt – übrigens ein Thema, das wir gerade im aktuellen Wahlkampf gut und gerne auch laut diskutieren könnten, weil nie ganz uninteressant ist, wer dann eigentlich noch bezahlt, wer dann eigentlich noch mitfinanziert –, nur wenn man das weiß, nur wenn man die Finanzströme freilegt, kann man auch die Interessen freilegen, und das ist das Interessante an der Geschichte. (Beifall bei der FPÖ.)
Ich möchte zu diesem Behufe folgenden Entschließungsantrag einbringen – er wurde bereits eingebracht, aber ich darf ihn verlesen –:
Entschließungsantrag
der Bundesräte Hans-Jörg Jenewein, MA, Kolleginnen und Kollegen betreffend Offenlegung der Einkünfte von ORF-Mitarbeitern, die Nachrichten-/Informations-/Wirtschafts-Formate mediengattungsunabhängig gestalten und/oder moderieren
Der Bundesrat wolle beschließen:
„Die Bundesregierung und insbesondere der Bundesminister für Kunst und Kultur Verfassung und Medien werden aufgefordert, dem Nationalrat eine Regierungsvorlage vorzulegen, die gewährleistet, dass moderierende und/oder programmgestaltende Mitarbeiter – mediengattungsunabhängig – der Nachrichten-/Informations-/Wirtschafts-Formate des ORF oder seiner Tochtergesellschaften ihre Einkünfte durch den ORF und seiner Tochtergesellschaften und auch etwaige Nebeneinkünfte von anderen, aufgeschlüsselt nach Auftraggeber und auszahlender Stelle, die Höhe des Entgelts sowie etwaige Sachleistungen und die als Abgeltung für diese Nebentätigkeit geleisteten Zahlungen und/oder Sachleistungen an Dritte auf der ORF-Homepage offenzulegen haben.“
*****
Ich denke, das ist nur fair gegenüber all jenen, die jeden Monat ihre ORF-Gebühr zahlen, zahlen müssen und auch zahlen, die natürlich schon auch ein Interesse daran haben, zu wissen, wer denn da die wahren Auftraggeber sind, ob es da vielleicht durchaus auch andere Interessen gibt, die bei der ORF-Programmgestaltung, die bei der Informationsgestaltung mitspielen. Ich denke, dass das einfach in Zeiten wie diesen, in denen man gerade von der Politik Transparenz einfordert – ich darf daran erinnern, wir haben im Jahr 2013 umfassende Transparenzregelungen für die Abgeordneten dieses Hauses geschaffen; das kann sich jeder auf der Parlamentshomepage anschauen, dort werden die Einkommensverhältnisse und damit auch die Interessen offengelegt –, auch für jene Leute, die ebenfalls aus öffentlichen Bereichen gespeist werden, also auch für jene, die beim ORF arbeiten, durchaus akzeptabel sein muss.
Ich bin durchaus der Meinung – das ist zwar nicht Teil dieses Antrags, aber auch das sollten wir uns einmal genauer anschauen –, dass man sich auch die Pensionsregelungen gerade für alle jene, die am Küniglberg noch vor den 1990er-Jahren ihren Vertrag unterschrieben haben, einmal ganz genau anschauen soll, ob die denn nicht den guten Sitten widersprechen. – Aber dazu vielleicht im nächsten Jahr mehr, wenn wir uns wieder um den ORF-Bericht bemühen.
Das war es von meiner Seite, und ich freue mich auf eine lebhafte Diskussion. – Danke schön. (Beifall bei der FPÖ.)
13.07
Vizepräsidentin Ingrid Winkler: Der von den Bundesräten Hans-Jörg Jenewein, Kolleginnen und Kollegen eingebrachte Entschließungsantrag betreffend Offenlegung der Einkünfte von ORF-Mitarbeitern, die Nachrichten-/lnformations-/Wirtschafts-Formate mediengattungsunabhängig gestalten und/oder moderieren, ist genügend unterstützt und steht demnach mit in Verhandlung.
Wir setzen die Debatte fort.
Zu Wort gemeldet ist Herr Bundesrat Schennach. – Bitte.
13.07
Bundesrat Stefan Schennach (SPÖ, Wien): Frau Präsidentin! Sehr geschätzter Herr Bundesminister! Ich habe deshalb „leider“ gesagt, als Kollege Jenewein hierher ans Rednerpult getreten ist, weil ich nach ihm auch immer das Wort ergreifen muss. (Bundesrat Jenewein: Ja, leider!) Vielleicht könnten wir jetzt ausmachen: Nächstes Jahr sprechen Sie nicht, dann spreche ich auch nicht. Dann wird das vielleicht ein bisschen anders. (Rufe bei der FPÖ: Warten wir einmal die Koalition ab!)
Zuerst einmal: Sie haben die übliche Ich-verdächtige-den-ORF-in-allem,-und-alles,-was-der-ORF-macht,-ist-schlecht!-Rede gehalten. – Wenn ich diesen Jahresbericht lese, kann
ich nur sagen: Halleluja! Bei dem Markt, den wir derzeit im Äther haben, über Satellit, über Kabel, über terrestrische Programme, solche Reichweiten ausweisen zu können, da kann man nur sagen: Was für ein Unternehmen, Hut ab! Man erreicht zum Beispiel bei Fernsehsendungen – und der ORF steht ja nicht nur in Konkurrenz mit den österreichischen Privaten, sondern er steht in Konkurrenz mit allen Privaten, die in deutscher Sprache senden und auch nach Österreich liefern – einen Marktanteil von 35,1 Prozent; das ist mehr als die Freiheitliche Partei im Nationalrat Marktanteil hat.
Zum Zweiten muss man sich den Markt im Hörfunkbereich anschauen, der komplett überhitzt ist. Bedenken wir nur, wie viele Hörfunksender es pro Bundesland in Österreich gibt, und dazu kommen noch jene, die in den Grenzregionen empfangen werden: Angesichts dessen mit der ORF-Radioflotte einen Marktanteil von 71 Prozent zu haben, also dazu muss man sagen: Das ist eine tolle Bilanz, ein solches Unternehmen kann sich sehen lassen!
Ich möchte den heutigen Tag aber auch dazu nutzen, dem ORF hier vom Hohen Haus aus Geburtstagswünsche zu übermitteln. Alles Gute zum Geburtstag, Ö1! 50 Jahre Ö1! 1967 wurde jener Sender gegründet, der heute unter den öffentlich-rechtlichen als der beste Radiosender der Welt gilt. Für Fernsehen ist BBC unser Vorbild, aber es gibt in der Welt ein einziges Vorbild für ein öffentlich-rechtliches Radioprogramm, und das heißt Ö1. Das kann man sagen, 620 000 Menschen hören täglich Ö1. Ich gebe zu, die Marktanteile sind unterschiedlich. Am hart umkämpften Wiener Markt hat Ö1, man höre und staune, 15 bis 16 Prozent – sensationell! –; im derzeitigen Vorsitzland mit 3 Prozent ist die Situation durchaus ausbaubar, aber dort können vielleicht schon andere Sender empfangen werden.
Das ist großartig, können wir nur sagen. Ab 35 Jahren – Frau Kollegin Mühlwerth, da fallen wir zwei darunter – ist der durchschnittliche Marktanteil 10,5 Prozent. Das ist großartig für einen anspruchsvollen Sender, der Texte zur Zeitgeschichte, der Texte zu jeglicher Form von Kunst, der immer noch Hörspiele produziert. In Zeiten des Bildes, des Fernsehens, des schnellen Bildes gehört die österreichische Hörspielproduktion zu den Besten in Europa. Es gibt die Goldene Palme zu gewinnen, und dieser Preis geht immer wieder nach Österreich – für seine hervorragenden Hörspielproduktionen!
Anlässlich 50 Jahre Ö1 wurden einige seiner Produktionen zu Denkmälern erhoben. Ich möchte nur kurz eine Sendung erwähnen, weil sie das Vorsitzland betrifft, nämlich das Hörspiel von Peter Klein und Michael Köhlmeier über das Verschwinden einer Musikkapelle. Als ich das das erste Mal in meinem Leben, so nebenbei beim Kochen, hörte, habe ich geglaubt, das ist echt. Und das war nur das erste Feature! Dieses Hörspiel zählt jetzt zu den Denkmälern in der Radiokultur; ich kann nur raten, es sich anzuhören.
Ich möchte diesmal aber auch ein anderes Thema streifen, Kollege Jenewein, nämlich auch den großen Bereich der Volksgruppen, unserer autochthonen Volksgruppen, für die es Radioprogramme gibt. Erwähnen möchte ich da die Zusammenarbeit mit Radio Agora. 2016 haben wir ein ungarisches Magazin für die ungarische Volksgruppe im Burgenland übernommen. Es gibt also Programme für die Volksgruppe der Roma, für die tschechische, für die slowenische, für die ungarische, für die slowakische sowie für die burgenlandkroatische Volksgruppe – all das in verschiedenen Formen: der ORF hat Radioprogramme, Kooperationen mit Radiosendern und auch regionale Fernsehprogramme.
Das zeigt, der öffentlich-rechtliche Auftrag bedeutet, auch für alle Volksgruppen in diesem Land etwas zu machen, für alle Menschen, auch für Menschen mit besonderem Bedarf. Das heißt, das Schwerpunktprogramm 2010 bis 2014, das vorsieht, dass auch blinde und gehörlose beziehungsweise stark seh- oder hörbehinderte Menschen an den Programmen teilhaben können müssen, ist nun durch Untertitelung, durch Zeichensprache und so weiter und so fort weiter ausgebaut worden.
Dass der ORF eine Bibliothek des Wissens ist, ist dadurch gegeben, dass Sie alle, dass jeder und jede von uns, dass jede Bürgerin und jeder Bürger auf Programme des ORF aus den Archiven des ORF zurückgreifen kann – etwas, was wir immer gefordert haben und was auch ein ganz wichtiger Aspekt des öffentlich-rechtlichen Auftrages ist; ebenso die Zusammenarbeit in Europa.
Fernsehen machen ist überall gleich teuer; der ORF hat denselben Output wie die ARD, nur gibt es in Deutschland mehr Gebührenzahler, weil das Land zehnmal größer ist. Wenn man heute ein Programm in Österreich distribuiert, so braucht der ORF 2 400 Sendestationen, wenn man dasselbe Programm in Dänemark distribuiert, braucht es drei, in den Niederlanden vier, in Irland drei Sendestationen. Viele dieser Stationen in unserem Land und in der Schweiz sind auch noch bemannt, und wenn Menschen auf den Bergspitzen vor Ort sein müssen, dann kostet das Geld.
Der Herr Landeshauptmann von Vorarlberg hat hier heute etwas Interessantes gesagt, was zu der ORF-Diskussion passt, Kollege Jenewein: Wer anschafft, der soll zahlen! Der Bundesgesetzgeber schafft an, wem der ORF seine Programme kostenlos ins Haus zu liefern hat. Und wenn der Gesetzgeber einem Unternehmen wie dem ORF einen Auftrag erteilt, dann ist es auch durchaus richtig, auch eine Rechnung dafür zu senden. Diese Debatte haben wir jedes Jahr. Wenn jemand von den Gebühren zu befreien ist, dann ist es so, wie der Herr Landeshauptmann von Vorarlberg gesagt hat: Wer anschafft, soll zahlen.
Wichtig ist auch, dass das Humanitarian Broadcasting – auch etwas, was der ORF für Europa erfunden hat – weiter ausgebaut wurde. Abgesehen von dem, was wir alle kennen, Licht ins Dunkel oder Nachbar in Not, sind nun auch Initiativen wie Helfen wie wir dazugekommen. Auch das sei nur nebenbei erwähnt.
Zu dem Entschließungsantrag der FPÖ möchte ich nur sagen: Das ist eine haarige Geschichte, was ihr da macht, weil ihr damit – und das ist etwas, was euch ja an sich wichtig ist – den Datenschutz berührt. Es wichtig, dass ein Unternehmen interne Vorkehrungen trifft, und deshalb wurden mit einer Dienstanweisung des Generaldirektors einige Dinge über Nebenbeschäftigungen klargestellt.
Erstens wurde beim ORF intern ein Verhaltenskodex – das ist der Verhaltenskodex Nummer 9/11, für den Kollegen Jenewein – in Kraft gesetzt, der verbindliche Linien der Alltagspraxis aufzeigt.
Eine weitere Richtlinie des Generaldirektors besagt, wie viele Nebenbeschäftigungen pro Jahr ein Mitarbeiter oder eine Mitarbeiterin haben darf und dass all diese genehmigungspflichtig sind.
Des Weiteren wurde im Zusammenhang mit den Nebenbeschäftigungen der sogenannte ORF-Ethikrat eingesetzt. Der Ethikrat hat zu überprüfen, ob diese Nebenbeschäftigungen dem Verhaltenskodex entsprechen, und dieser Ethikrat im ORF ist unabhängig.
Würden, wie schon früher öfters gefordert, diese Dinge offengelegt, dann hätten wir einen Braindrain in Richtung Deutschland – und wir hatten aus dem Fernsehbereich leider schon besonders viele Abflüsse von wichtigen Leuten nach Deutschland. Wenn nämlich bekannt wird, wie wenig man zum Beispiel in Österreich verdient, dann ist das eine willkommene Sache für andere Konkurrenzsender.
Deshalb: Verhaltenskodex, Ethikrat – das genügt, um die Nebenbeschäftigungen intern, innerhalb des ORF, ausreichend und nachhaltig zu kontrollieren.
Noch einmal: Wir gratulieren dem ORF zu diesem Jahresbericht. – Danke. (Beifall bei der SPÖ.)
13.18
Vizepräsidentin Ingrid Winkler: Nächster Debattenredner: Herr Bundesrat Forstner. – Bitte, Herr Kollege.
13.18
Bundesrat Armin Forstner, MPA (ÖVP, Steiermark): Frau Präsident! Geschätzter Herr Minister! Geschätzte Kolleginnen und Kollegen! Sowohl im Fernseh- als auch im Radiobereich ist der ORF weiterhin Marktführer. Im TV-Bereich konnte die ORF-Sendegruppe im Jahr 2016 einen Marktanteil, wie Herr Kollege Jenewein schon gesagt hat, von 35 Prozent erzielen. Damit blieben die Werte gegenüber den letzten Jahren weitgehend stabil; allerdings gab es bei ORF eins – und das trotz reichweitenstarken Sportgroßereignissen im letzten Jahr – ein kleines Minus und auch bei ORF 2 ein kleines Minus gegenüber dem Vorjahr.
Im fünften Sendejahr weiter behaupten konnten sich die beiden ORF-Spartensender ORF III und ORF SPORT+. Den Kultur- und Informationskanal ORF III – und das habe ich mir auch extra angeschaut, Herr Kollege – haben letztes Jahr 600 000 Personen angesehen.
Ich habe mir auch eine ganz spezielle Seite in dem Bericht angeschaut; nicht die Seite 171, sondern die Seite 113, worüber wir bereits im Ausschuss geredet haben. Dort steht unter den „Highlights der ORF-III-Regelformate“:
„Um das Demokratieverständnis [...] der Österreicherinnen und Österreicher weiter zu stärken,“ – und da hören Sie mir jetzt bitte zu, Herr Minister (in Richtung Bundesminister Drozda, der sich abseits der Regierungsbank mit einem Mitarbeiter unterhält), das wäre schön – „überträgt ORF III im Rahmen der Programmleiste ,Politik live‘ die Debatten des Bundes- sowie des Nationalrats live und in voller Länge.“ – Das trifft auf den Bundesrat in den letzten Jahren sicher nicht zu!
Bitte, Herr Minister, nehmen Sie das als Verbesserungsvorschlag für die Zukunft mit! Vielleicht kann man die Bundesratssitzungen in Zukunft in voller Länge übertragen – zumindest, wenn es im Jahresbericht so vermerkt wird.
Der Sportkanal, der insbesondere über Sportbewerbe mit Österreichbezug berichtet, die in der Regel weniger im medialen Rampenlicht stehen, konnte im Tagesschnitt 226 000 Zuseher erreichen. Dass über sie berichtet wird, ist für jene Sportarten wichtig, die nicht so sehr in der Öffentlichkeit stehen.
Was man auch erwähnen sollte, ist das letztes Jahr neu eingeführte Frühfernsehen auf ORF 2, „Guten Morgen Österreich“, das live aus mobilen Studios ausgestrahlt wird. Es weist durchschnittlich 300 000 Zuseher auf, weiters haben circa 19 000 Menschen das mobile Studio vor Ort besucht. Da werden Gemeinden, Regionen und Menschen vorgestellt. Ich glaube, das ist eine gute Sache, dazu kann ich dem ORF wieder gratulieren.
Einen wesentlichen Beitrag zur Erfüllung des öffentlich-rechtlichen Auftrags leisteten 2016 wieder die ORF-Landesstudios. Die Sendung „Bundesland heute“ erreichte eine durchschnittliche Reichweite von knapp über einer Million Zuseher und einen gesamtösterreichischen Marktanteil von 52 Prozent. Ich glaube, es ist für uns alle wichtig, dass wir, wenn wir abends „Bundesland heute“ schauen, sehen, was bei uns, in unserem Bundesland, passiert ist. (Bundesrat Stögmüller: Niederösterreich heute als ÖVP!)
Erneut ausgebaut wurde das Angebot des ORF für gehörlose und stark hörbehinderte Menschen. So wurden in ORF eins und ORF 2 im vergangenen Jahr bereits circa 12 000 Sendestunden untertitelt. Das entspricht einer Untertitelungsquote von circa 70 Prozent. Neu ist etwa die Untertitelung der täglichen „ZIB 20“ und des „ZIB Magazin“. Die „Zeit im Bild“ und das Servicemagazin „heute konkret“ werden auf ORF 2 Europe zusätzlich in Gebärdensprache gedolmetscht und stehen in dieser Form auch in der ORF-TVthek zur Verfügung. ORF III erreichte eine Untertitelungsquote von 37 Prozent. Das ist ein richtiger und wichtiger Schritt für gehörlose und für stark hörbehinderte Menschen.
Die ORF-Radioflotte – das ist von Kollegen Schennach schon erwähnt worden – erreichte mit einem Marktanteil von 71 Prozent den gleichen Wert wie voriges Jahr. Ich glaube, dazu kann man gratulieren. Da Ö1 zum 50. Geburtstag gratuliert wurde: Wir sind draufgekommen, dass auch Ö3 50 Jahre alt ist. Ich gratuliere auch Ö3 zum 50. Geburtstag! (Zwischenruf des Bundesrates Stögmüller.)
Der ORF hat im Jahr 2016 erstmals wieder Verluste geschrieben. Grund dafür sind Verzögerungen bei einem angeblich geplanten Immobilienverkauf. Demnach wurde im vergangen Jahr ein negatives Ergebnis von circa 30 Millionen € erzielt. Für das laufende Jahr ist das ORF-Direktorium allerdings zuversichtlich, wieder ausgeglichen zu bilanzieren. Zufrieden ist die ORF-Spitze mit den erzielten Marktanteilen und Reichweiten. Auch der gesetzliche Programmauftrag und weitere Programmverpflichtungen des Senders wurden laut Bericht zur Gänze erfüllt.
Abschließend, geschätzte Kolleginnen und Kollegen: Wenn man durch Pflichtgebühren finanziert wird, glaube ich, braucht man sich um die Bilanz der nächsten Jahre keine Sorgen zu machen. – Danke schön. (Beifall bei der ÖVP und bei Bundesräten der SPÖ.)
13.23
Vizepräsidentin Ingrid Winkler: Als Nächste zu Wort gemeldet ist Frau Bundesrätin Mag. Schreyer. – Bitte, Frau Kollegin.
13.23
Bundesrätin Mag. Nicole Schreyer (Grüne, Tirol): Hohes Haus! Sehr geehrter Herr Minister! Sehr geehrte ZuseherInnen! Auch von meiner Seite, auch vonseiten der Grünen vielen Dank für den sehr umfangreichen und interessanten Bericht! Wir werden den Bericht natürlich sehr, sehr gerne zur Kenntnis nehmen.
Ganz kurz möchte ich noch auf den Entschließungsantrag der Freiheitlichen Partei eingehen: Wir werden ihm nicht zustimmen, weil wir einfach keine Lex ORF haben möchten. Die Grundidee ist nicht schlecht. Die Grünen sind bekannterweise für volle Transparenz, aber wir wollen nicht, dass nur der ORF herausgepickt wird; öffentlich-rechtlich als Begründung reicht uns da nicht.
Es ist schon so viel an Zahlen, Daten und Fakten über den Bericht gesagt worden, da will ich jetzt nichts wiederholen, sondern über den ORF selbst reden. – Herr Minister, Sie haben ja eine ORF-Reform angekündigt und zuvor eine Enquete über die künftige Finanzierung des ORF, die künftigen Aufsichtsgremien und den Programmauftrag des ORF. Das ist sich vor der Wahl leider nicht mehr ausgegangen beziehungsweise ist die Enquete ja mehrere Male verschoben worden. Wir würden uns wünschen, dass da recht bald etwas weitergeht, weil eine Reform tatsächlich notwendig wäre.
Was wir Grüne uns noch wünschen – und das ist natürlich auch schon lange ein dringlicher Wunsch und das Dringlichste für uns bei einer Reform –, ist ein öffentlich-rechtlicher Rundfunk, von dem sich keine Partei politische Vorteile erwartet. Das sollte beim öffentlich-rechtlichen Rundfunk die Grundvoraussetzung sein, weil er ja für alle Bürgerinnen und Bürger da sein soll und nicht von Parteien als ihr Sprachrohr genutzt werden soll und von ihm keine politischen Vorteile erwartet werden sollen. Und natürlich wünschen wir uns auch einen ORF, der ausreichend finanziert ist. (Beifall des Bundesrates Stögmüller.)
Wir sind eben für eine völlige Abschaffung der Entsendung von Vertretern der Parteien. Es sollten weder die Bundes- noch die Landesregierungen Vertreter in den Stiftungsrat entsenden können. Aus unserer Sicht sollten die Gremien von einem zivilgesellschaftlichen Konvent – also von den Bürgerinnen und Bürgern – besetzt werden, in dem Österreich, in dem die Österreicher und Österreicherinnen allumfassend abgebildet werden.
Ein paar Worte zum Bericht: Es ist ein dicker und umfangreicher Bericht, weil es eben einen sehr umfangreichen Programmauftrag gibt. Die Tatsache, dass die zweite Kam-
mer des Parlaments vom ORF ein bisschen unter den Teppich gekehrt wird, ist ohnehin gerade zur Genüge angesprochen worden; und das passiert, obwohl ORF III eigentlich gerade für die politische Vermittlung gegründet wurde – Kollege Forstner hat das aber, wie gesagt, eben vor mir angesprochen und ausgeführt.
Worauf ich ganz am Schluss noch einmal hinaus möchte, genau diesen Bildungsauftrag betreffend: Es gibt ja in letzter Zeit immer wieder Privatisierungsgerüchte bezüglich des ORF, also dass ORF eins oder Ö3 privatisiert werden könnten. Dagegen möchten wir uns ganz dezidiert aussprechen. Es braucht auch weiterhin einen starken ORF mit einem Programmauftrag, der zu einer ausgewogenen Berichterstattung verpflichtet. Es braucht im ORF, also im öffentlich-rechtlichen Fernsehen in Österreich, Unterhaltung und Sport genauso, wie es Qualitätsjournalismus braucht, der Fake News entgegenwirkt. – Danke schön. (Beifall bei den Grünen und bei Bundesräten der SPÖ.)
13.26
Vizepräsidentin Ingrid Winkler: Weitere Wortmeldungen liegen dazu nicht vor.
Wünscht noch jemand das Wort? – Es ist dies nicht der Fall. Die Debatte ist geschlossen.
Wir gelangen zur Abstimmung.
Ich ersuche jene Bundesrätinnen und Bundesräte, die dem Antrag zustimmen, den gegenständlichen Bericht zur Kenntnis zu nehmen, um ein Handzeichen. – Das ist die Stimmenmehrheit. Der Antrag ist somit angenommen.
Es liegt ein Antrag der Bundesräte Jenewein, Kolleginnen und Kollegen auf Fassung einer Entschließung betreffend Offenlegung der Einkünfte von ORF-Mitarbeitern, die Nachrichten-/Informations-/Wirtschafts-Formate mediengattungsunabhängig gestalten und/oder moderieren, vor.
Ich lasse über diesen Entschließungsantrag abstimmen.
Ich bitte jene Bundesrätinnen und Bundesräte, die diesem Antrag zustimmen, um ein Handzeichen. – Es ist dies die Stimmenminderheit. Der Antrag auf Fassung einer Entschließung ist daher abgelehnt.
Tätigkeitsbericht des Verfassungsgerichtshofes für das Jahr 2016 (III-624-BR/2017 d.B. sowie 9892/BR d.B.)
Vizepräsidentin Ingrid Winkler: Nun gelangen wir zu Punkt 3 der Tagesordnung.
Berichterstatter ist wieder Herr Bundesrat Dr. Köll. – Ich bitte um den Bericht.
Berichterstatter Dr. Andreas Köll: Geschätzte Frau Präsidentin! Geschätzter Herr Bundesminister! Ich bringe den Bericht des Ausschusses für Verfassung und Föderalismus über den Tätigkeitsbericht des Verfassungsgerichtshofes für das Jahr 2016. Der Bericht liegt Ihnen allen in schriftlicher Form vor, weshalb wieder auf eine Verlesung verzichtet werden darf.
Der Ausschuss hat mit Stimmeneinhelligkeit beschlossen, dem Bundesrat die Kenntnisnahme des gegenständlichen Berichtes zu empfehlen.
Der Ausschuss für Verfassung und Föderalismus stellt nach Beratung der Vorlage am 3. Oktober 2017 den Antrag, den Tätigkeitsbericht des Verfassungsgerichtshofes für das Jahr 2016 zur Kenntnis zu nehmen.
Vizepräsidentin Ingrid Winkler: Wir gehen in die Debatte ein.
Zu Wort gemeldet ist Herr Bundesrat Todt. – Bitte, Herr Kollege.
13.29
Bundesrat Reinhard Todt (SPÖ, Wien): Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrter Herr Bundesminister! Liebe Kolleginnen! Liebe Kollegen! Sehr geehrte Damen und Herren vor den Fernsehgeräten! Ich habe mich auch zum Bericht des Verwaltungsgerichtshofes zu Wort gemeldet, mache das aber jetzt in einem Redebeitrag – ich bitte, mich beim nächsten Punkt aus der Rednerliste zu streichen –, denn einige Punkte, die ich anspreche, betreffen beide Gerichtshöfe.
Wir besprechen heute die Tätigkeit des VfGH und des VwGH im Jahr 2016. Die Gerichtshöfe des öffentlichen Rechts und ihre Tätigkeit sind ebenso wie die ordentliche Gerichtsbarkeit Säule und Ausdruck der Rechtsstaatlichkeit unserer Demokratie. Sie gewinnen umso mehr Bedeutung in Zeiten, in denen der politische Konsens immer kleiner und die Verfassung als flexibles, wandelbares Gut wahrgenommen wird.
In Zeiten, in denen Rufe nach der Abkehr von der Europäischen Menschenrechtskonvention, und damit von einem Grundrechtskatalog in Verfassungsrang, zu hören sind, sind wir als demokratische Gesellschaft umso mehr aufgerufen, verfassungsrechtliche Grundlagen zu schützen.
Der Verfassungsgerichtshof als oberster Hüter ebendieser Grundlagen steht vor einem interessanten Jahr. Immerhin treten drei seiner 14 Mitglieder den Ruhestand an und werden nachnominiert. Auch wir als Bundesrat stehen vor der Aufgabe, eine Richterin oder einen Richter vorzuschlagen. Das ist eine Aufgabe, der wir uns mit Freude und Bedacht annehmen werden.
Dem Verwaltungsgerichtshof möchte ich an dieser Stelle, zwar mit einiger Verspätung, aber doch ganz herzlich, zu seinem 140. Geburtstag gratulieren, den er im Berichtsjahr mit einem internationalen Symposium begangen hat. Wie bereits im Jahr zuvor hatte der Verwaltungsgerichtshof auch 2016 und im ersten Halbjahr dieses Jahres eine Steigerung der Geschäftsfälle zu bewältigen, die seit der Umsetzung der Reform der Verwaltungsgerichtsbarkeit im Allgemeinen und im Lichte der globalpolitischen Entwicklungen der letzten Jahre insbesondere in Asylsachen zu beobachten ist.
Es ist daher äußerst erfreulich, dass der Verwaltungsgerichtshof mit dem Einsatz besonderer Teams an wissenschaftlichen Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern einen Weg gefunden hat, um die zuständigen Richterinnen und Richter entsprechend zu unterstützen und den Anhängigkeitsstand im Vergleich zum Vorjahr ebenso zu senken wie die durchschnittliche Verfahrensdauer.
Zum Tätigkeitsbericht des VfGH ist eines insbesondere festzuhalten, und zwar, dass sich die mit 1.1.2015 in Kraft getretene Gesetzesbeschwerde auch im zweiten Jahr ihres Bestehens bewährt hat und dass es gelingt, Detailfragen im Wege der Judikatur zu klären. Ein starkes Zeichen für diese erfreuliche Entwicklung ist insbesondere die Tatsache, dass mehr als 40 Prozent aller Normenprüfungsverfahren auf Gesetzesbeschwerden fußen.
Die rege Tätigkeit des Verfassungsgerichtshofes lässt sich nicht nur an den 3 989 behandelten Verfahren feststellen, sondern auch an den zahlreichen Veranstaltungen und internationalen Kontakten. Das zeugt nicht nur von einer äußerst selbstbewussten Jurisprudenz in Verfassungssachen, sondern auch davon, dass der Verfassungsgerichtshof seine Tätigkeit aktiv im Kontext der Europäischen Union und der internationalen Gemeinschaft ansiedelt und einbettet, und dafür möchte ich mich ausdrücklich bedanken.
Hervorheben möchte ich zudem den Tag der offenen Tür des VfGH. Das mag einem nicht von großer Relevanz erscheinen, beweist aber die niederschwellige Zugänglichkeit eines Höchstgerichtes, das im Herzen der Demokratie arbeitet.
Eine kritische Anmerkung sei mir zu beiden Berichten gleichermaßen gestattet: Den Maßnahmen zur Frauenförderung räumen sie nur einige wenige Zeilen ein. Beide Gerichts-
höfe bekennen sich zur aktiven Gleichbehandlungspolitik und zur Chancengleichheit der Geschlechter, es wäre daher wünschenswert, die Maßnahmen zur aktiven Frauenförderung ebenso wie die Entwicklung der Frauenquote im richterlichen, juristischen und nicht-juristischen Personal in die Tätigkeitsberichte mit aufzunehmen.
In diesem Lichte auch eine kleine Anmerkung zu den anstehenden Neubesetzungen am VfGH: Auch wenn drei verschiedene Institutionen mit der Nominierung für die Bestellungen beauftragt sind, so wäre es dennoch mehr als erstrebenswert, wenn diese auch da die Herstellung der Geschlechterparität anstreben würden.
Abschließend möchte ich mich bei beiden Gerichtshöfen und allen Beteiligten, den Richterinnen und Richtern ebenso wie den wissenschaftlichen Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern sowie beim administrativen Personal für die ausgezeichnete Arbeit und den Dienst an unserer Demokratie bedanken. (Beifall bei der SPÖ, bei Bundesräten der ÖVP sowie der Bundesrätin Reiter.)
13.35
Vizepräsidentin Ingrid Winkler: Als Nächster zu Wort gemeldet ist Herr Bundesrat Seeber. – Bitte, Herr Kollege.
13.35
Bundesrat Robert Seeber (ÖVP, Oberösterreich): Hohes Präsidium! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich spreche heute zu einem Thema, welches vordergründig betrachtet eine eher trockene Materie darstellt, aber im Hinblick auf einen funktionierenden Rechtsstaat meiner Meinung nach von besonderer Wichtigkeit ist: Der Tätigkeitsbericht des Verfassungsgerichtshofes für das Jahr 2016 liegt vor.
Wenn man internationale Beziehungen betrachtet, dann weiß man, dass das Funktionieren eines Rechtsstaates und einer Verfassung von enormer Bedeutung ist. Ich verweise auf das Beispiel Polen. Dort wurde ja versucht, die Verfassungsrichter auszuhebeln. Ich verweise – international betrachtet – auf das Beispiel Amerika und Präsident Trump, den das alles nicht sehr berührt. Das sind Entwicklungen, die bedenklich sind und an denen man sieht, dass Demokratie nicht selbstverständlich ist.
Wenn ich über den Tätigkeitsbericht spreche, ist es angebracht zu sagen, dass Demokratie gelebt und erlebt werden muss, auch von uns allen hier in diesem Hause. Was den Verfassungsgerichtshof und die Arbeit des vergangenen Jahres betrifft, ist festzuhalten, dass trotz eines steigenden Arbeitsaufwandes die Zahl der Fälle gestiegen ist und die Verfahrensdauer der zu behandelnden Sachen insgesamt verkürzt werden konnte, und zwar auf fünf Monate, und das ist im internationalen Vergleich sehr beachtlich. Es wurden fast 4 000 Verfahren abgeschlossen.
Eine große Herausforderung war, das möchte ich hier auch erwähnen, die Anfechtung der Bundespräsidentenstichwahl. Erstmals wurde eine auf Bundesebene durchgeführte Wahl bundesweit aufgehoben.
Einige allgemeine Zahlen haben wir heute schon gehört. Ich möchte jetzt nicht zu sehr ins Detail gehen, aber man kann sagen, dass 548 Gesetzesprüfungen erledigt wurden und die Zahl der Gesetzesbeschwerden insgesamt gestiegen ist. Was den Arbeitsbereich des Verfassungsgerichtshofes anbelangt, möchte ich dazu sagen, dass das in der Strafprozessordnung verankerte Aussageverweigerungsrecht für geschiedene Ehepartner behandelt wird. Es werden die Registrierkassenpflicht oder die Zurücknahme der Konzessionen für Glücksspielapparate oder auch das Werbeverbot für ästhetische Behandlungen, Betriebspensionen der Nationalbank oder dieses leidige Thema der Waldbesitzer mit den Jägern behandelt. Das ist nur eine plakative Aufstellung und soll nur das weite und große Spektrum, welches der Verfassungsgerichtshof in seiner täglichen Arbeit hat, symbolisieren.
Das, was für mich hier vielleicht auch noch relevant zu erwähnen ist, ist, dass in der österreichischen Bundesverfassung keine Urteilsverfassungsbeschwerde gegen die Entscheidungen der ordentlichen Gerichte vorgesehen ist. Laut Präsident Holzinger ist das rechtspolitisch eher bedauerlich, denn man könnte damit eine einheitliche Interpretation der Verfassung beziehungsweise der Grundrechte ermöglichen.
Meine Damen und Herren! An dieser Stelle sei auch kurz daran erinnert: Es passiert in vielen Staaten der Welt, auch in Österreich, dass die Demokratie und der Rechtsstaat manchmal gegeneinander ausgespielt werden. Ich erinnere an den Kontrollverlust des Staates im Zuge der Migrationskrise 2015, als die Menschen das Vertrauen in den Rechtsstaat verloren haben.
Meine Damen und Herren! Man hört das oft, auch hier in diesem Saal oder in verschiedenen Vorträgen: Wir leben in sehr volatilen Zeiten, in unsicheren Zeiten, wir erleben Schwankungen der Wirtschaft. Jedem ist es ein Begriff: Wirtschaftskrise, Eurokrise, Fluchtbewegung, Migration, Terrorismus, verschärfte wirtschaftliche Rahmenbedingungen. Ich sage das deswegen im Zusammenhang mit dem Tätigkeitsbericht des Verfassungsgerichtshofes, weil es eine gesellschaftspolitische Entwicklung ist, bei der es sehr viele Verlierer gibt – das muss uns klar sein –, und weil dort, wo es sehr viele Verlierer gibt, die Gefahr, dass versucht wird, Populisten zu glauben oder auch an den Grundfesten der Demokratie zu rütteln, sehr groß ist.
Meine Damen und Herren! Das Modell einer liberalen Demokratie, wie es der Präsident des Verfassungsgerichtshofes ausdrückt, ist der Garant für Freiheit, Frieden und wirtschaftlichen Wohlstand – und ich meine das im Sinne von: nachhaltig und auf Dauer. Ich bin auch als Wirtschaftstreibender und Unternehmer hundertprozentig dieser Meinung und kann sie voll und ganz unterstützen. Es kommt darauf an, dass in Krisenzeiten Demokratie gelebt werden muss und bewahrt werden muss, und da kommt uns allen eine Vorbildwirkung zu. Es ist mir ein Bedürfnis, dies hier zu erwähnen.
Ich möchte auch an dieser Stelle die Gelegenheit ergreifen und dem langjährigen Präsidenten Holzinger – er verlässt ja mit Jahresende den Verfassungsgerichtshof – für seine langjährige Arbeit, begleitet von wissenschaftlicher Exzellenz, danken. Der Tätigkeitsbericht des vorangegangenen Jahres legt ein sehr gutes Zeugnis davon ab, darum bitte ich, dem Antrag des Ausschusses zuzustimmen und den Bericht zur Kenntnis zu nehmen. – Danke. (Beifall bei ÖVP und SPÖ sowie der Bundesrätin Reiter.)
13.41
Vizepräsidentin Ingrid Winkler: Als Nächster zu Wort gemeldet ist Herr Bundesrat Dr. Raml. – Bitte, Herr Kollege.
13.42
Bundesrat Mag. Dr. Michael Raml (FPÖ, Oberösterreich): Sehr geehrte Frau Präsidentin! Herr Minister! Geschätzte Kolleginnen und Kollegen! Meine sehr geehrten Damen und Herren hier auf der Zuschauergalerie – es ist gerade niemand anwesend; dann zu Hause vor den Bildschirmen!
Kollege Seeber, das wird deinen Parteiobmann Kurz aber nicht freuen, dass du ihn hier noch einmal in deiner Rede erwähnst, denn du hast gerade von Populismus gesprochen und hast vor Populisten gewarnt. – Ja, davor kann man wirklich warnen, nur muss man sich dabei schon eines vor Augen halten: Populistisch ist es, wenn man im Jahr 2015 in die linke Richtung rennt und dann 2017, in einem Wahljahr, plötzlich Richtung ganz rechts abbiegt. Davor muss man den Wähler draußen wirklich warnen, da hast du völlig recht. Danke, dass du das angesprochen hast! (Beifall bei der FPÖ sowie der Bundesrätin Ebner.)
Meine sehr geehrten Damen und Herren! Jetzt aber wieder zurück zum Bericht des Verfassungsgerichtshofes: Der Bericht stellt den Behörden und auch dem Gesetzgeber
ein durchaus gutes Zeugnis aus. Insgesamt waren nur 5 Prozent der Beschwerden erfolgreich. Jetzt könnte man auf den ersten Blick meinen, das ist für die Rechtsunterworfenen, für die Bürgerinnen und Bürger ein enttäuschendes Ergebnis, wenn sie quasi mit ihrem Anliegen in 95 Prozent der Fälle nicht durchgedrungen sind. Die Wahrheit sieht aber anders aus: Der Verfassungsgerichtshof hat festgestellt, dass in 95 Prozent der Fälle, die an ihn herangetragen wurden, die Behörden richtig gehandelt haben, dass in 95 Prozent der Fälle die Menschen, die Bürgerinnen und Bürger rechtlich korrekt behandelt wurden.
Der Verfassungsgerichtshof hat auch unterschiedlichste Normen auf ihre Verfassungsmäßigkeit geprüft. Es waren im letzten Jahr 114 geprüfte Normen, und er hat davon „nur“ – unter Anführungszeichen – 20 aufgehoben. Das heißt, 94 Normen haben der Prüfung standgehalten. Das ist ja doch ein ganz ordentliches Zeugnis, auch wenn natürlich Verbesserungsbedarf gegeben und Luft nach oben ist – aber nach dem 15. Oktober wird ja ohnedies ein neues Parlament die Möglichkeit haben, dieses Ergebnis zu toppen.
Ein großes Thema im Jahr 2016 – auch das hat Kollege Seeber kurz angerissen – war natürlich die Aufhebung der Bundespräsidentenstichwahl durch den Verfassungsgerichtshof. Hiezu hat Präsident Holzinger in einer Pressemitteilung gemeint: „Die Aufhebung der Stichwahl war völlig alternativlos.“ Ich möchte an dieser Stelle schon noch einmal kurz daran erinnern, dass es Politikerinnen und Politiker und auch Medienvertreter gegeben hat, die nicht kritisiert haben, was bei dieser Wahl schiefgelaufen ist, sondern die die FPÖ, die Norbert Hofer, die Heinz-Christian Strache dafür kritisiert haben, dass sie eines eingefordert haben, dass sie gefordert haben, dass dubiose Vorgänge natürlich lückenlos und restlos aufgeklärt werden müssen, untersucht werden müssen.
Man sieht schon, wer das kritisiert hat. Das waren natürlich auch die Grünen. (Bundesrat Stögmüller: Wenn es euch ... betrifft, dann schreit ihr!) Ich weiß ja nicht: Was hat euch denn daran gestört, dass der Verfassungsgerichtshof die Möglichkeit hatte, festzustellen, da hat etwas funktioniert oder – wie er eben festgestellt hat – da hat etwas nicht funktioniert? Ich verstehe schon, dass ihr ein bisschen nervös geworden seid, aber ich kann euch beruhigen: Das Ergebnis hat euch ja im Endeffekt dann hoffentlich ohnedies gefallen.
Man merkt aber hier und, meine sehr geehrten Damen und Herren zu Hause vor den Bildschirmen, Sie merken es auch: Die Linken predigen immer Meinungsfreiheit und Liberalismus und so weiter; das geht aber nur so lange, solange sie davon positiv betroffen sind. Wenn andere diese Grundrechte – um wieder zum Verfassungsgerichtshof zu kommen – für sich beanspruchen, dann wird mit Steinen auf sie geworfen, wie wir in Wien beim Akademikerball jedes Jahr sehen, und dann wird man dafür kritisiert, wenn man als österreichische Partei ein Wahlergebnis, das nicht korrekt zustande gekommen ist, vor dem Verfassungsgerichtshof anficht. Das kommt da heraus. (Beifall bei der FPÖ. – Bundesrat Stögmüller: Ihr Armen! – Bundesrat Herbert: Rechtsstaat nennt man das, Herr Kollege! Rechtsstaat!)
Meine sehr geehrten Damen und Herren! Abschließend wieder etwas Positives – man soll jede Rede positiv beginnen und positiv auch wieder beenden –: Der Verfassungsgerichtshof hat als Höchstgericht die Aufgabe, den Rechtsstaat objektiv und vor allem unabhängig zu sichern. Er macht das deshalb, denke ich, damit wir unsere österreichischen rechtsstaatlichen Verhältnisse beibehalten und damit wir bei uns keine türkischen, kritischen Verhältnisse bekommen. Für diese Aufgabe gebührt dem Verfassungsgerichtshof Dank und Anerkennung und damit einhergehend natürlich die positive Kenntnisnahme des Berichts. – Das werden wir heute gemeinsam sehr gerne machen. (Beifall bei der FPÖ sowie der Bundesrätin Ebner.)
13.47
Vizepräsidentin Ingrid Winkler: Nunmehr ist Frau Bundesrätin Dr. Reiter zu Wort gemeldet. – Bitte, Frau Kollegin.
13.47
Bundesrätin Dr. Heidelinde Reiter (Grüne, Salzburg): Frau Präsidentin! Werte Kollegen und Kolleginnen! Ich möchte mich vor allem für den Bericht bedanken. Leider war niemand im Ausschuss, um ihn zu diskutieren – das ist ein anderes Kapitel. Ich möchte hier aber schon auch unterstreichen, dass der Verfassungsgerichtshof, wie das ja auch meine Vorgänger schon erwähnt haben, wirklich eine wesentliche, wichtige Säule unserer Demokratie darstellt, von deren Gefährdung ja immer mehr die Rede ist, nicht nur bei uns, sondern eben auch in anderen Staaten. Ich glaube, in diesem Rahmen darauf hinzuweisen ist nicht umsonst, insbesondere weil uns ja auch Menschen draußen zuhören und zusehen. – Damit auch ein Gruß an die Menschen vor den Fernsehschirmen!
Die Positiva, wie dass die durchschnittliche Verfahrensdauer deutlich reduziert werden konnte, wurden schon erwähnt – das möchte ich also hier nicht wiederholen –, und das alles trotz des bisher aufwendigsten Verfahrens in der Geschichte des Verfassungsgerichtshofes, nämlich der Aufhebung der Bundespräsidentenwahl. Das war wirklich ein sehr aufwendiges und, wie ich glaube, auch sehr wichtiges Verfahren, denn das in diesem Zusammenhang gefällte Urteil ist richtungsweisend für die Zukunft. Das wurde auch gestern beim Symposium zur digitalen Zukunft diskutiert, nämlich im Zusammenhang mit dem E-Voting, das im Lichte dieses Urteils in Österreich sicher noch lange nicht, wenn überhaupt jemals, möglich sein wird.
Es ist zu hoffen, dass das Vertrauen in unser Wahlsystem dadurch gestärkt wird, weiter gestärkt wird. Das unterstreicht aber auch, denke ich, die Bedeutung der Stimmabgabe bei Wahlen und die Bedeutung der Wahlen, die in diesem System eben gegeben ist. Ich glaube, auch darauf sollte man in Zeiten wie diesen hinweisen.
2015 wurde die Gesetzesbeschwerde als Rechtsschutzinstrument für Verfahrensparteien in Gerichtsverfahren neu eingeführt. Dieses Rechtsschutzinstrument wurde und wird wesentlich intensiver genutzt als ursprünglich erwartet. Es wurde aber auch schon von meinem Vorredner erwähnt, dass die Erfolgsaussichten gering sind: Lediglich vier der 381 im vergangenen Jahr abgeschlossenen Verfahren haben zu einer Aufhebung beanstandeter Bestimmungen geführt; von 114 geprüften Normen wurden 20 zumindest teilweise aufgehoben, 94 hielten hingegen der Prüfung stand. Ich glaube aber auch, dass es wichtig ist oder gerade für uns wichtig ist, darin auch zu sehen, dass die Gesetzgebung in diesem Land gut arbeitet. Ich denke, darauf sollten wir stolz sein.
Ein Thema, das ich auch ansprechen möchte, ist, dass drei Mitglieder aus Altersgründen ihre Tätigkeit am Verfassungsgerichtshof beenden, allen voran der Präsident. Ihn in diesem Zusammenhang zu loben oder auf seine Verdienste entsprechend hinzuweisen verbietet die Rededauer, die mir zugestanden ist.
Ich möchte in diesem Zusammenhang jedoch erwähnen, dass Harald Stefan, der Verfassungssprecher der FPÖ, diesbezüglich gemeint hat, dass es bei den bevorstehenden Koalitionsverhandlungen ein Nominierungsrecht für zwei der drei zu besetzenden VerfassungsrichterInnen für seine Partei geben muss oder soll, wenn die Koalitionsverhandlungen von Erfolg gekrönt sein sollten. Das halten wir und ich für unerträglich – für das Ansehen dieser Institution in höchstem Maße, aber eben auch aus demokratischen Standpunkten. (Bundesrat Herbert: Aber bei den anderen geht es, glaube ich, schon! Da ist es schon in Ordnung!) Wir erwarten uns ein nachvollziehbares Auswahlverfahren unter Einbindung auch unabhängiger ExpertInnen und Hearings im Parlament.
Ich möchte unterstreichen, dass Parteinähe oder -mitgliedschaft natürlich kein Ausschlussgrund sein darf, ja auch kein Negativum darstellen darf, aber sie darf keinesfalls ein erstrangiges Qualifikationsmerkmal darstellen. Die Besetzungen dürfen nicht durch Par-
teisekretariate erfolgen. Ich erwarte mir eigentlich eine klare Distanzierung der von mir sehr geschätzten Kollegen der FPÖ von den Forderungen ihres Parteikollegen Harald Stefan. Ich hoffe, dass damit für den Verfassungsgerichtshof wirklich die besten Bewerber in einem transparenten Verfahren ausgewählt werden, um damit das Vertrauen und die Glaubwürdigkeit des Verfassungsgerichtshofs zu stärken und weiter auszubauen, nämlich als Fundament für unsere Demokratie und unseren Rechtsstaat. – Danke. (Beifall bei Grünen und SPÖ.)
13.52
Vizepräsidentin Ingrid Winkler: Weitere Wortmeldungen liegen dazu nicht vor.
Wünscht noch jemand das Wort? – Dies ist nicht der Fall. Die Debatte ist geschlossen.
Wir gelangen zur Abstimmung.
Ich ersuche jene Bundesrätinnen und Bundesräte, die dem Antrag zustimmen, den gegenständlichen Bericht zur Kenntnis zu nehmen, um ein Handzeichen. – Das ist die Stimmeneinhelligkeit, der Antrag ist somit angenommen.
Tätigkeitsbericht des Verwaltungsgerichtshofes für das Jahr 2016 (III-631-BR/2017 d.B. sowie 9893/BR d.B.)
Vizepräsidentin Ingrid Winkler: Nun gelangen wir zu Punkt 4 der Tagesordnung.
Berichterstatterin ist Frau Bundesrätin Kern. – Bitte, Frau Kollegin.
Berichterstatterin Sandra Kern: Sehr geehrte Frau Präsidentin! Geschätzter Herr Minister! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich erstatte den Bericht des Ausschusses für Verfassung und Föderalismus über den Tätigkeitsbericht des Verwaltungsgerichtshofes für das Jahr 2016.
Der Bericht liegt Ihnen in schriftlicher Form vor, ich darf deshalb gleich zur Antragstellung kommen.
Der Ausschuss für Verfassung und Föderalismus stellt nach Beratung der Vorlage am 3. Oktober 2017 den Antrag, den Tätigkeitsbericht des Verwaltungsgerichtshofes für das Jahr 2016 (III-631-BR/2017 d.B.) zur Kenntnis zu nehmen.
Vizepräsidentin Ingrid Winkler: Ich danke für den Bericht.
Wir gehen in die Debatte ein.
Zu Wort gemeldet ist Herr Bundesrat Dr. Köll. – Bitte, Herr Kollege.
13.54
Bundesrat Dr. Andreas Köll (ÖVP, Tirol): Sehr geehrte Frau Präsidentin! Herr Bundesminister! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Uns ist schon klar, dass derzeit die Nervosität bei manchen hier im Saal direkt proportional zur Nähe bevorstehender Ereignisse steigt, aber lieber Kollege Dr. Michael Raml, als Neodoktor müssen Sie wissen, dass man bei den Zitierregeln sehr genau sein muss. Wenn Sie schon meinen Kollegen Robert Seeber zitieren, dann tun Sie das richtig.
Er hat hier in seinen Ausführungen betreffend Populismus mit Sicherheit nicht unseren geschätzten Herrn Bundesminister und Spitzenkandidaten Sebastian Kurz gemeint. Mir ist auch nicht ganz klar, mit Ausnahme von diversen Asylangelegenheiten, wo da der Konnex zu diesen an und für sich sachlichen Berichten über die Tätigkeiten des Verwaltungs- und des Verfassungsgerichtshofes liegen sollte. Wenn Sie das aber schon zu missbrauchen versuchen, müssen wir darauf natürlich auch kurz replizieren, im Sinne von Kurz replizieren.
Wir sind hier weder links noch rechts angesiedelt, sondern straight on in der Mitte. Das Original löst die Probleme, während die Kopie die Probleme nur aufzeigt. Das hat sich anhand der Schließung der Balkanroute gezeigt, wo andere nur darüber geredet haben, und auch anhand der bevorstehenden endgültigen Schließung der Mittelmeerroute. Lieber Kollege Dr. Raml, wenn Sie also zitieren, dann tun Sie das richtig, denn sonst wird unter Umständen auch Ihre Doktoratsarbeit einmal einer gewissen Überprüfung nicht standhalten! (Heiterkeit und Beifall bei der ÖVP.)
Zur Sache selbst, bitte, darf ich noch kurz auf den Tätigkeitsbericht des Verwaltungsgerichtshofes eingehen. Die Verwaltungsgerichtsbarkeits-Novelle 2012 hat sich sehr positiv ausgewirkt. Es gibt natürlich eine Zunahme der Tätigkeiten in den Asylverfahren. Noch einmal: Das ist der einzige Konnex, lieber Kollege Raml, den ich heute hier – wirklich sehr nachsichtig – in Ihren Ausführungen zum Bericht des Verfassungsgerichtshofes erkennen konnte.
Die Zahl der Verfahren ist natürlich gestiegen, und zwar auf 5 100 im Jahre 2016. Es gibt auch im aktuellen Jahr, über das noch nicht berichtet wurde, eine Zunahme der laufenden Verfahren, und man kann seitens unserer Fraktion durchaus nachvollziehen, dass die berechtigte Forderung nach personeller und vielleicht auch finanzieller Mehrausstattung des Verwaltungsgerichtshofes im Raum steht.
Alles in allem wird von unseren Höchstrichterinnen und Höchstrichtern hervorragende qualitative Arbeit geleistet; sie haben jetzt aufgrund dieser neuen Novelle in den sogenannten Normalverfahren bekanntlich nur mehr darüber zu entscheiden, wenn eine ordentliche Revision erhoben wird, wenn eine Rechtsfrage von grundsätzlicher Bedeutung für Österreich ist, oder eben bei einer außerordentlichen Revision über die Klärung dieser Frage.
Wir dürfen also hier namens unserer Fraktion den Höchstrichterinnen und Höchstrichtern, allen Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern, Referenten des Verwaltungsgerichtshofes herzlich danken für die großartige Arbeit. Man kann ohne Weiteres konstatieren, dass der Rechtsstaat in Österreich auch weiterhin in guten Händen sein wird. – Danke. (Beifall bei der ÖVP.)
13.58
Vizepräsidentin Ingrid Winkler: Als Nächster ist Herr Bundesrat Dr. Raml zu Wort gemeldet. – Bitte, Herr Kollege. (Bundesrat Stögmüller: Jetzt kannst du deine Doktorarbeit verteidigen!)
13.58
Bundesrat Mag. Dr. Michael Raml (FPÖ, Oberösterreich): Frau Präsidentin! Herr Minister! Geschätzte Kolleginnen und Kollegen! Sehr geehrte Zuseherinnen und Zuseher! Kollege Dr. Köll, ich glaube, wir verlegen diese Diskussion auf die Zeit nach der Sitzung. Insgesamt nur eines: Ich kenne mich bei euch nicht mehr ganz aus, seid ihr jetzt eine Original-Volkspartei oder seid ihr die neue Liste Kurz, die neue Zeit, jetzt erst recht? Ich kenne mich nicht ganz aus, aber besprechen wir das auch nachher! (Zwischenrufe bei der ÖVP.) Ihr wisst es selber nicht, gell? Diskutiert das selber einmal aus, und dann sagt uns das Ergebnis bitte, kurz und bündig! (Weitere Zwischenrufe bei der ÖVP.) – Nein, wir bleiben unserer Linie treu.
Sehr geehrte Damen und Herren, kommen wir zurück zum Bericht des Verwaltungsgerichtshofes. Es ist richtig, wie bereits angesprochen wurde, auch der Verwaltungsgerichtshof ist ein elementarer Bestandteil unseres Rechtsstaates. Beim Erstellen meiner Unterlage habe ich mir gedacht, ich denke voraus, vor mir redet jemand. Ich könnte ja auch sagen: Inhaltlich haben wir dazu heute schon viel gehört! – Nun, Kollege Todt hat im Sinne der Effizienz auf seine Wortmeldung verzichtet.
Herr Kollege Köll, du hast zwar eine Zahl angesprochen. Ein bisschen etwas hat man gehört, nämlich dass die Zahl der Fälle stark angestiegen ist. Es ist aber schon wieder typisch ÖVP, typisch Bundesregierung, dass man halt nicht die ganze Wahrheit sagt, dass man nicht alles ausspricht.
Es stimmt, der Verwaltungsgerichtshof hatte im Jahr 2016 über 10 Prozent mehr Fälle zu bearbeiten. Man fragt sich natürlich, warum das so ist, weil 10 Prozent – gerade in absoluten Zahlen – nicht so wenig sind. Liegt es daran, dass die Österreicher so gerne streiten? Liegt es daran, dass möglicherweise so viele Häuselbauer um ihre Baugenehmigung kämpfen und alle Instanzen durchmarschieren? – Nein, die Frage ist ganz anders, liegt ganz woanders begraben, und die Antwort ist auch mit Hausverstand zu finden.
Dazu müsste man – wenn man nicht will – auch gar nicht in den Bericht reinschauen, denn da braucht man sich nur an das Jahr 2015 zurückzuerinnern. Im Jahr 2015 haben rund hunderttausend Menschen aus aller Herren Länder den Weg zu uns nach Österreich gesucht.
Im Jahr 2015 haben natürlich bei Weitem nicht alle hunderttausend, aber doch viele Zehntausende Menschen zwar gewusst, was sie bei uns wollen – nämlich neben Schutz Sozialleistungen, Frauen, Autos –, sie haben aber damals nicht gewusst, woher sie kommen und wie sie heißen. Viele Menschen haben zwar ein hochmodernes Handy mitgehabt, aber gleichzeitig keinen Reisepass, kein einziges behördliches Dokument.
Bei diesen Menschen bedarf es natürlich der Klärung durch österreichische Behörden, durch österreichische Gerichte. Das hat auch im Jahr 2016 – nicht nur, aber zu einem großen Teil – dazu geführt, dass die Zahl der Verfahren am Verwaltungsgerichtshof so rasant angestiegen ist, und wenn man in den Bericht hineinschaut, sieht man, dass die Tendenz stark steigend ist. (Vizepräsident Gödl übernimmt den Vorsitz.)
Dieses Vorkommen hat zu dreierlei Ergebnissen geführt: Erstens hat diese Überzahl an Asylverfahren mit verursacht, dass wir teilweise in diesen Verfahren extrem lange Verfahrensdauern haben. Zweitens hat es dazu geführt, dass wir dann aufgrund dieser langen Verfahrensdauern oftmals oder manchmal Sonderfälle – auch genannt Einzelfälle – haben, wo durchaus gut integrierte Asylwerber – die aber zu Unrecht zu uns ins Land hereingekommen sind, die zu Unrecht hier geblieben sind – dann vor dem Problem stehen und sagen: Ich bin gut integriert, ich bin nun seit fünf Jahren da, was macht man jetzt mit mir?
Nun, da kann ich nur eines dazu sagen: Es gibt schon Gründe, warum das so ist, warum diese Verfahren so lange dauern. Viele dieser Herrschaften sind nämlich einfach nicht willig, ordentlich zum Verfahren beizutragen. Und sehr viele Herrschaften aus der Anwaltschaft, die von sogenannten NGOs beschäftigt und bezahlt werden, sind durchaus gewillt, immer ein paar Sachen herauszufinden, wie man das Verfahren noch in die Länge ziehen könnte. Ich muss schon sagen, dass da derjenige, der zu uns reinkommt, wirklich dumm ist, wenn er die Wahrheit sagt und dann aber einen negative Bescheid bekommt. Daher meine ich: Man sollte dieses System einmal insgesamt überdenken, ob man da nicht etwas verbessern kann. (Beifall bei der FPÖ.)
Das dritte Ergebnis – und da sind wir wieder beim Bericht des Verwaltungsgerichtshofes – ist, dass diese Verfahren Steuergeld kosten und viele Ressourcen benötigen. Man kann auch aus dem Bericht herauslesen – das hat man aber heute noch so gut wie gar nicht gehört –, und auch in einer Mitteilung der Parlamentskorrespondenz wird das deutlich, dass der Verwaltungsgerichtshof unter der Aktenlast schon buchstäblich stöhnt, man braucht mehr Ressourcen, man braucht mehr Geld.
Es finden sich zu dieser problematischen Situation im Bericht leider – und das ist wirklich ein Anliegen, das ich im Namen unserer Fraktion an Sie herantrage – keine kon-
kreten Zahlen. Was kostet denn das Ganze? Das wird ja draußen immer vergessen, wenn man es den Menschen erzählt. Die „Kronen Zeitung“ hat unlängst einmal geschrieben „Flüchtlinge kosten uns zwei Milliarden Euro“, wobei ich aber davon überzeugt bin, dass da zum Großteil nur die Sozialleistungen inbegriffen sind. Es wird den Menschen draußen aber nicht erzählt, was diese Gerichtsverfahren kosten.
Meine sehr geehrten Damen und Herren, da sitzt ja nicht irgendjemand bei der Behörde, da sitzt ja nicht irgendjemand beim Bundesverwaltungsgericht, und beim Verwaltungsgerichtshof ist das schon gar keine billige Arbeitskraft, denn das sind hochgradig gut ausgebildete Menschen, die natürlich ein entsprechendes Salär dafür bekommen wollen. Es werden tagtäglich Tausende von Aktenseiten, von Schriftsätzen formuliert. Lesen Sie sich das einmal durch, gehen Sie einmal in die Datenbank des Rechtsinformationssystems des Bundes und schauen Sie sich die Urteile an!
Darüber, was das kostet, spricht niemand! Verstehen Sie mich nicht falsch, der Rechtsstaat ist sehr wichtig, der Rechtsstaat muss in Österreich mit allen Mitteln beibehalten werden. Als Gesetzgeber kann man – und muss man – sich aber schon Gedanken machen, wie man dieses System – das offenbar in vielen Fällen ad absurdum geführt wird und den Steuerzahler Unmengen an Geld kostet – im Sinne der österreichischen Steuerzahler reformieren kann, damit das Ganze dann auch wieder verhältnismäßig ist. (Beifall bei der FPÖ.)
Meine sehr geehrten Damen und Herren, dafür kann der Verwaltungsgerichtshof im Großen und Ganzen aber nichts. Der Verwaltungsgerichtshof sucht sich ja seine Fälle nicht aus, sondern er bekommt sie. Er hat aufgrund der Gesetze, die der Nationalrat gemeinsam mit dem Bundesrat verabschiedet, Fälle zu bearbeiten.
Daher werden wir diesem Bericht heute zustimmen, jedoch mit dem Wunsch an die kommende Bundesregierung, dass sie sich dieses Phänomen einmal anschaut, dass die Zahl der Verfahren auffälligerweise gerade in Asylrechtsangelegenheiten so stark steigt, was den Steuerzahler immens belastet. – Vielen Dank. (Beifall bei der FPÖ.)
14.06
Vizepräsident Mag. Ernst Gödl: Als Nächste gelangt Frau Bundesrätin Dr. Reiter zu Wort. – Bitte.
14.06
Bundesrätin Dr. Heidelinde Reiter (Grüne, Salzburg) : Die Reform des Jahres 2012 – die Schaffung der Verwaltungsgerichtshöfe – war sicher eine sehr bedeutende. Es war ein sehr erfolgreicher Schritt.
Die Entwicklung ist eine sehr positive, auch wenn sich das bei meinem Vorredner nicht so dargestellt hat. Sie setzt sich auch im dritten Jahr so fort, obwohl die Zahl der neuen Fälle im Jahr 2016 wieder deutlich angestiegen ist und obwohl im Bericht auch klar zum Ausdruck kommt, dass der Verwaltungsgerichtshof vor dem Hintergrund der Budgetrestriktionen die Grenzen seiner Arbeitskapazitäten erreicht hat. Ohne eine entsprechende Aufstockung der personellen und finanziellen Ressourcen besteht die Gefahr, dass dieses Gericht seine Aufgaben nicht mehr in optimaler Weise erfüllen kann, wodurch auch der Erfolg der Reform infrage gestellt wird.
Im ersten Quartal 2017 hat übrigens die Zahl der neuen Fälle erstmals die Erledigungszahl übertroffen, es wird also vor einem Rückstand und von einer Verlängerung der Verfahrensdauer gewarnt. Es wird auch deutlich in diesem Bericht darauf hingewiesen, dass die Möglichkeiten der internen Effizienzsteigerung inzwischen erschöpft sind. Ich glaube, dass das durchaus eine wichtige Frage ist, mit der man sich wird beschäftigen müssen, und dass es zu personeller und auch finanzieller Aufstockung kommen muss.
Das Ganze nun solcherart auf die Asylverfahren abzuwälzen, wie das mein Vorredner getan hat, halte ich wirklich für unstatthaft, denn der Zugang zum Rechtssystem muss
unabhängig von der Herkunft einer Person gewährleistet sein. Ich kann ja auch kein Thema daraus machen, dass es in der Bevölkerung 0,2 Prozent Querulanten gibt, die im Vergleich zu anderen Menschen das Rechtssystem wohl über Gebühr belasten.
Das heißt folglich – auch im Zuge der Diskussion über Menschenrechte und die Bedeutung der Menschenrechte, die wir geführt haben –, dass es keine Frage sein kann, dass in korrekter Weise verfahren werden muss. Es ist keine Sache der Herkunft, wie diese Verfahren abgeführt werden, denn es gibt dazu gesetzliche Rahmenbedingungen, die eingehalten werden müssen.
Natürlich ist es ein Problem, denke ich, wenn es gerade im Bereich der Asylverfahren zu Schwierigkeiten im personellen Bereich kommt. Wir haben zurzeit die Situation, dass für viele der Erstinterviews beziehungsweise für die Eingänge in die Verfahren aufgrund fehlender personeller Ressourcen Personal mit sehr geringer Qualifikation herangezogen wird. Das sind teilweise nur Maturanten ohne wirkliche zusätzliche Ausbildung, die diese Interviews und die Datenfeststellungen vornehmen. Um das Personal aufzustocken, wird zum Beispiel in Handelsakademien rekrutiert.
Ich denke, dass wir auch im Vorfeld Probleme haben, die dann dazu führen, dass beim Verwaltungsgerichtshof so viele Fälle anhängig werden. Ich glaube auch, dass es ein Problem ist, wenn Menschen nach fünf Jahren erfolgreicher Integration abgeschoben werden, wenn diese Menschen nicht bleiben können, in die ja auch viel investiert worden ist.
Eine Verfahrensverkürzung und eine Verbesserung der Verfahren ist, denke ich, auf allen Stufen anzustreben – sowohl für die Menschen, die auf der Suche nach Schutz und Hilfe hierherkommen, als auch im Sinne des Rechtssystem, das wir haben, und auch im Sinne dessen, was in diese Menschen investiert wird und was ihnen als Hilfe angeboten wird.
Ich denke, der Bericht zeigt deutlich, dass diese Reform eine Erfolgsgeschichte ist, dass im Verwaltungsgerichtshof ausgezeichnet gearbeitet wird, und zwar unter wirklicher Ausschöpfung und Ausnutzung der Effizienzpotenziale, die es intern gibt. Ich glaube aber, dass es notwendig sein wird, personell wie finanziell entsprechend nachzurüsten beziehungsweise sich an die Situation anzupassen, um diese Erfolgsgeschichte weiterzuschreiben. – Wir werden dem Bericht sehr gerne zustimmen. (Beifall bei Grünen und SPÖ.)
14.11
Vizepräsident Mag. Ernst Gödl: Weitere Wortmeldungen liegen dazu nicht vor.
Wünscht noch jemand das Wort? – Das ist nicht der Fall. Die Debatte ist geschlossen.
Wir gelangen nun zur Abstimmung.
Ich ersuche jene Bundesrätinnen und Bundesräte, die dem Antrag zustimmen, den gegenständlichen Bericht zur Kenntnis zu nehmen, um ein Handzeichen. – Das ist die Einstimmigkeit. Der Antrag ist somit angenommen.
Beschluss des Nationalrates vom 20. September 2017 betreffend ein Bundesgesetz, mit dem das Einkommensteuergesetz 1988, das Körperschaftsteuergesetz 1988 und das Studienförderungsgesetz 1992 geändert werden (2280/A und 1769 d.B. sowie 9889/BR d.B.)
6. Punkt
Beschluss des Nationalrates vom 20. September 2017 betreffend ein Bundesgesetz, mit dem das Wohnbauförderungsbeitragsgesetz 2018 erlassen wird und das
Bundesgesetz über die Einhebung
eines Wohnbauförderungsbeitrages sowie
das Finanzausgleichsgesetz 2017
geändert werden (2269/A und 1770 d.B. sowie 9890/BR d.B.)
Vizepräsident Mag. Ernst Gödl: Wir gelangen nun zu den Punkten 5 und 6 der Tagesordnung, über welche die Debatte unter einem durchgeführt wird.
Berichterstatter zu beiden Punkten ist Herr Bundesrat Weber. – Ich bitte um die Berichte.
Berichterstatter Martin Weber: Herr Präsident! Sehr gerne berichte ich aus dem Finanzausschuss, zuerst über den Beschluss des Nationalrates vom 20. September 2017 betreffend ein Bundesgesetz, mit dem das Einkommensteuergesetz 1988, das Körperschaftsteuergesetz 1988 und das Studienförderungsgesetz 1992 geändert werden.
Der Bericht liegt Ihnen in schriftlicher Form vor, ich komme daher sogleich zur Antragstellung.
Der Finanzausschuss stellt nach Beratung der Vorlage am 3. Oktober 2017 mit Stimmeneinhelligkeit den Antrag, gegen den vorliegenden Beschluss des Nationalrates keinen Einspruch zu erheben.
Ich erstatte zudem den Bericht des Finanzausschusses über den Beschluss des Nationalrates vom 20. September 2017 betreffend ein Bundesgesetz, mit dem das Wohnbauförderungsbeitragsgesetz 2018 erlassen wird und das Bundesgesetz über die Einhebung eines Wohnbauförderungsbeitrages sowie das Finanzausgleichsgesetz 2017 geändert werden.
Der Bericht liegt Ihnen ebenso in schriftlicher Form vor, ich komme daher ebenfalls sogleich zur Antragstellung.
Der Finanzausschuss stellt nach Beratung der Vorlage am 3. Oktober 2017 mit Stimmenmehrheit den Antrag, gegen den vorliegenden Beschluss des Nationalrates keinen Einspruch zu erheben.
Vizepräsident Mag. Ernst Gödl: Ich danke für die Berichterstattung.
Wir gehen in die Debatte ein.
Als Erste ist Frau Bundesrätin Dr. Reiter zu Wort gemeldet. – Bitte.
14.14
Bundesrätin Dr. Heidelinde Reiter (Grüne, Salzburg): Erstrednerin zu sein, ist eine sehr ungewohnte Position für mich, weil normalerweise meine Vorredner bereits die Lage erklärt haben, wodurch ich mich immer auf die Punkte beschränken kann, die von unserer Seite kritisiert werden. (Allgemeine Heiterkeit. – Zwischenruf des Bundesrates Krusche.)
Wir stimmen den redaktionellen Änderungen im Einkommensteuergesetz und im Körperschaftsteuergesetz zu, auch stimmen wir der Nachbesserung des Studienförderungsgesetzes zu, weil dadurch rund 300 Studierenden nun doch der Zugang zum Selbsterhalterstipendium möglich wird.
Gott sei Dank wurde dieses Selbsterhalterstipendium ja angehoben, was aber zur Folge hat, dass man in den Jahren davor mehr verdient haben muss, um das Anrecht auf dieses Selbsterhalterstipendium zu bekommen. Um die Übergangsfrist zu verlängern, weil vielleicht viele doch hinsichtlich ihrer Lebensplanung in der Vorbereitung auf dieses Stipendium von den neuen Schwellen eher überrascht sind beziehungsweise sonst hinausfallen würden, erfolgt nun diese Änderung. Wir halten es, wie gesagt, für gut, dass es diesbezüglich zu einer deutlichen Verbesserung für 300 Studienwillige kommt. Dem Tagesordnungspunkt 5 werden wir also zustimmen.
Zum Tagesordnungspunkt 6: Es kommt zu einer Änderung des Finanzausgleichsgesetzes, nämlich zur Umsetzung der Verländerung des Wohnbauförderungsbeitrages. Ab Jänner können die Länder die Höhe des Tarifs festlegen, und sollten sie das nicht tun, bleibt die derzeitige Regelung vorläufig in Kraft.
Ich möchte dazu eigentlich ganz persönlich sagen, dass dieses Schauspiel, die Vorgänge rund um den neuen Finanzausgleich für mich die größte Enttäuschung meiner Arbeit im Bundesrat waren. Erlitten habe ich ja den Finanzausgleich schon als kleine, unbedeutende Kommunalpolitikerin durch viele Jahre, und auch in der Landespolitik.
Ich habe wie viele andere doch viel Hoffnung in den Konvent zur Bundesstaatsreform gesetzt, bei dem zwei Jahre lang wirklich viel Hirnschmalz investiert wurde, bei dem unzählige Expertengutachten gemacht wurden – es gibt zur Reform des Bundesstaates Rechnungshofberichte, Vorschläge und so weiter, die inzwischen wahrscheinlich ganze Zimmer füllen.
Was nun aber bei der Neuverhandlung des Finanzausgleichs herausgekommen ist, der doch eigentlich Dreh- und Angelpunkt einer Bundesstaatsreform ist, das ist nicht einmal das berühmte Mäuslein des kreißenden Bergs, sondern bestenfalls ein Floh oder ein Flatus. (Zwischenruf des Bundesrates Novak.)
Was wurde denn aus dem Einstieg in den Umstieg? (Zwischenruf bei der ÖVP.) Was ist geblieben? (Bundesrat Schennach: Die Gemeinden sind zufrieden!) – Nein, sind sie nicht. Wenn man sich bei der Umsetzung zum Beispiel die aufgabenorientierte Kinderbetreuung ansieht (Bundesrat Schennach – auf Bundesrat Novak deutend –: Aber da ist ein Bürgermeister ...!): Diese sollte bis 1. September 2017 einvernehmlich vorbereitet werden – es bräuchte eine Verordnung – und dann ab 1. Jänner 2018 starten. (Bundesrat Novak: Alles werden wir nicht schaffen!) Die Verordnung gibt es nicht, die Artikel-15a-Vereinbarung in diesem Bereich wurde nun mit viel Krampf und weniger Mitteln für ein Jahr fortgesetzt. Das heißt also, die Planungsgrundlage für die Gemeinden ist eine Katastrophe.
Oder die Grundsteuerreform: Es wurde vereinbart, dass es bis Mitte des Jahres 2017 eine Arbeitsgruppe gibt, die diese Reform vorbereiten und sich mit der Stärkung der Abgabenautonomie der Gemeinden befassen soll. Wissen Sie etwas davon? Gibt es das? (Zwischenrufe bei ÖVP und SPÖ.) – Na alles, viel mehr wurde ja nicht vereinbart, mehr haben wir nicht!
Und nun kommen wir zur Verländerung der Wohnbauförderung, die nun als erster wichtiger Schritt in der Bundesstaatsreform umgesetzt wird. Was bleibt denn davon an politischen Zielen übrig? – Es bleibt die Belastung der Lohnkosten, bei der wir uns, glaube ich, alle einige sind – über viele Parteigrenzen hinweg –, dass man davon wegkommen muss. Das bleibt.
Eigentlich müssten die Länder sie abschaffen (Heiterkeit der Rednerin), sozusagen gegen null fahren, und dafür die politische Verantwortung übernehmen, aber natürlich auch den finanziellen Verlust. Sie unterschiedlich festzulegen, wäre auch ein ziemlicher Humbug, glaube ich – was eigentlich jeder einsieht, denn Unternehmen arbeiten ja auch über Ländergrenzen hinweg –, und hätte eine ziemliche Verkomplizierung des Ganzen zur Folge.
Die Verwaltung der ganzen Geschichte bleibt gleich. Es gibt nach wie vor keine Zweckbindung, also können die Länder die Mittel nach wie vor auch zur Budgetsanierung oder zum Spekulieren verwenden, aber es ist im Paktum vereinbart worden, dass die Länder jetzt zweijährige Wohnbauprogramme mit einer verbindlichen Wohnbauleistung erstellen und dafür ausreichend Mittel binden. Das heißt, sie werden noch mehr gegängelt als bisher. (Heiterkeit des Bundesministers Schelling.)
Für mich stellt sich die Frage: Was passiert, wenn diese Bindungsvereinbarung nicht eingehalten werden kann oder nicht eingehalten wird oder wenn diese Zahlen vonseiten der Länder möglichst tief angesetzt werden, aufgrund welcher Vorgaben werden diese Pläne entwickelt?
Ich bin glühende Föderalistin, ich glaube, dass diese Frage der Subsidiarität nicht nur innerhalb Österreichs, sondern gerade auch innerhalb der EU einer der wesentlichen Punkte ist, um mit der Kooperation im Ganzen auch größere Räume und größere Gemeinschaften zur Kooperation zu bewegen. Wenn sich die Fortschritte in solchen Regelungen erschöpfen oder das alles ist, was dabei herauskommt, ist das viel zu wenig.
Die Hoffnung, dass wir auf diesem Gebiet Besseres erreichen und auch besser handeln und die Kooperation auf bessere Grundlagen stellen können, stirbt zuletzt, aber dieser Punkt lässt die Hoffnung ziemlich im Koma und belebt sie nicht wirklich.
Wir werden der Verländerung der Wohnbauförderung in dieser Form nicht zustimmen. – Danke. (Beifall bei den Grünen.)
14.22
Vizepräsident Mag. Ernst Gödl: Als Nächstem darf ich Herrn Bundesrat Dr. Brunner das Wort erteilen. – Bitte, Herr Bundesrat.
14.22
Bundesrat Dr. Magnus Brunner, LL.M (ÖVP, Vorarlberg): Hohes Präsidium! Sehr geehrter Herr Bundesminister! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Kollegin Reiter hat positiv und richtig die Änderungen im Einkommensteuergesetz – Punkt 5 der Tagesordnung – dargelegt, deshalb kann ich mich auf den zweiten Punkt, den sie nicht so positiv gefunden hat, konzentrieren.
Erstens: Bei dem, was du zur Zweckbindung und zur Gängelung gesagt hast, habe ich den Zusammenhang nicht ganz verstanden. Du hast auf der einen Seite gesagt, du wärst für eine Zweckbindung, aber du glaubst, dass ohne die Zweckbindung eine Gängelung der Länder besteht – da hast du dich vielleicht auch versprochen, das kann natürlich durchaus sein.
So schlecht ist der Finanzausgleich erstens weder für die Gemeinden noch für die Länder gewesen, und zweitens ist, glaube ich, auch diese Beschlussfassung heute zu den Wohnbauförderungsmitteln eigentlich ein sehr bedeutender Schritt für die Länder hin zu mehr Autonomie im Finanzbereich, im Steuerbereich insgesamt. Die Länder werden ab 2018 ermächtigt, diesen Wohnbauförderungsbeitrag autonom festzusetzen und auch einzuheben. Wir fordern seit ewigen Zeiten mehr Autonomie in diesem Bereich.
Der heutige Beschluss ist auch aus Sicht aller Länder toll, nachdem in den letzten Jahren in dem Bereich sukzessive immer mehr Kompetenzen an die Länder gegangen sind, und daher ist die Verländerung der Beiträge eigentlich ein logischer Schritt, der auch in diese Richtung geht. (Bundesrat Schennach: Und wie oft ... in Vorarlberg ...?) – Dazu komme ich gleich, ich werde gleich sagen, was wir in Vorarlberg noch machen werden, zumindest was ich glaube, wenn ich die Gespräche mit dem Landeshauptmann richtig interpretiere.
Ich denke, dass diese Weichenstellung heute eine vorsichtige Hinwendung zu mehr Steuerautonomie der Länder ist. Wir haben das heute Früh ja auch schon intensiv mit dem Herrn Landeshauptmann diskutiert. Das ist ein Einstieg in den Umstieg in diesem Bereich. (Zwischenruf des Bundesrates Stögmüller.) – Wir können gerne nachher, David, noch intensiver darüber reden, oder du kommst selber noch heraus.
Ich möchte nur zwei prinzipielle Sätze zur Steuerhoheit der Länder sagen, denn es geht dabei nicht darum, einen ruinösen Steuerwettbewerb in Gang setzen zu wollen. Eine Steuerautonomie wäre eigentlich zumindest aus Sicht meines Bundeslandes viel-
mehr eine Chance für einen gesunden Wettbewerb unter den Ländern. Auch das, diesen Wettbewerbsföderalismus, haben wir heute Früh ja schon intensiv diskutiert.
Wer die eigenen Gestaltungsspielräume optimal nützt, der wird ja auch die Verwaltungskosten in dem Bereich hoffentlich so niedrig wie möglich halten, und im besten Fall wäre es dann ein Wettbewerb um die besten Ideen und auch um die größte Innovationskraft in diesem Staat. Ich sehe dabei nichts Schlechtes. Man muss aber bei dem heutigen Beschluss auch ein wenig die Kirche im Dorf lassen. Um welches Volumen geht es denn da? – Dieser steuerliche Kompetenzzuwachs, den wir heute haben, ist für die Länder ja nicht wirklich überzubewerten, wenn man ehrlich ist. Was Vorarlberg betrifft: Bei einem Landeshaushalt von 1,7 Milliarden € geht es bei der Wohnbauförderung gerade einmal um 50 Millionen €, also man muss da schon ein bisschen die Kirche im Dorf lassen, aber es ist trotzdem die richtige Entscheidung, den Ländern auf diesem Gebiet mehr Verantwortung zu übertragen. Die Länder sind, glaube ich, auch bereit dazu, mehr Verantwortung zu übernehmen, wir fordern sie auch dauernd, und warum sollten wir diesen Schritt dann nicht positiv bewerten?!
Zum Wohnbauförderungsbeitrag: Er liegt bei 1 Prozent der Bemessungsgrundlage der Sozialversicherung, Sie wissen das alle, Arbeitgeber und Arbeitnehmer kommen eben mit je 0,5 Prozent dafür auf. Ich kann mir – und jetzt komme ich zur Antwort, was Vorarlberg machen wird – natürlich nicht vorstellen, dass es zu einer Erhöhung dieses Beitrags kommt – keinesfalls, das schließe ich aus –, und auch eine Senkung muss natürlich gut durchdacht sein, weil wir, zumindest in Vorarlberg, jeden Cent für die Wohnbauförderung und damit die Sicherung von leistbarem Wohnen benötigen. So schnell wird es da zu keiner Änderung kommen – um die Frage des Kollegen Schennach direkt zu beantworten.
Ich glaube aber, mit dem Thema leistbares Wohnen behandeln wir ein wichtiges Zukunftsthema. Wohnbauförderung ist Ländersache, und konsequenterweise werden die Länder jetzt mit diesem Beschluss auch bei der Finanzierung in die Verantwortung genommen. Das ist gut so, und man kann das, glaube ich, schon als eine Art Meilenstein, einen weiteren Meilenstein in der österreichischen Steuergeschichte sehen. – Danke. (Beifall bei ÖVP und SPÖ.)
14.27
Vizepräsident Mag. Ernst Gödl: Als Nächster zu Wort gelangt Herr Bundesrat Lindinger. – Bitte, Herr Bundesrat.
14.27
Bundesrat Ewald Lindinger (SPÖ, Oberösterreich): Herr Präsident! Herr Bundesminister Schelling! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Zum Tagesordnungspunkt 5 ist schon fast alles gesagt. Man kann ja die Studentinnen und Studenten nicht vor den Kopf stoßen und sagen: Weist uns das Einkommen der letzten vier Jahre nach, und ist es zu niedrig, fallt ihr um das Stipendium um.
Darum ist das Inkrafttreten vom Studienjahr 2018 auf das Studienjahr 2019 verschoben worden, damit sich die betroffenen Stipendienempfänger danach richten und darauf einstellen können. Das ist auch gut so. Immerhin waren um die 300 Studentinnen und Studenten betroffen und wären von einem Stipendium ausgeschlossen gewesen.
Bei der Verländerung des Wohnbauförderungsbeitrags muss man schon vorsichtig sein, denn Wohnen wird ja immer teurer. Dem hat ja auch gestern der Nationalrat Rechnung getragen und die Abschaffung der Vertragsgebühr beschlossen. Das bringt jedem Wohnungsmieter eine Verbesserung von circa 200 bis 300 €.
Es wäre aber möglich, dass man in den Ländern vielleicht sogar das Niveau der Wohnungen herunterschraubt, dass nicht mehr überall ein Lift vorhanden sein muss, man
die Barrierefreiheit etwas anders auslegt und, und, und, also alles, was dem Mieter zugutekommt. In Oberösterreich spüren wir schon, dass das Wohnen teurer wird. Was die Wohnbeihilfe betrifft, so wird nicht die Beihilfe angehoben, sondern die Kriterien, dass man Wohnbeihilfe erhält, sind verschärft worden, und da zahlen hauptsächlich Studentinnen und Studenten, Alleinerzieherinnen und Alleinerzieher drauf, die dann keine Wohnbeihilfe mehr bekommen; das wirkt sich ganz, ganz stark auf jene Gruppen aus, die die Wohnbeihilfe brauchen.
Gerade im Hinblick auf jene müssen wir aber ganz genau aufpassen, was mit diesem Wohnbauförderungsbeitrag in Zukunft geschieht. Auch wenn alle zwei Jahre ein Wohnbauprogramm vorgelegt werden muss, damit auch die Länder nachweisen, was mit diesem Geld geschieht, kann der Bund nicht die Kriterien festlegen und ihnen sagen, was zu machen ist. Darauf müssen wir in den Ländern ganz genau schauen und aufpassen, was mit dem Geld geschieht. (Zwischenruf des Bundesrates Stögmüller. – Bundesrätin Mühlwerth: In Wien zum Beispiel könnten wir schauen!)
Oder: Wenn immer gesagt wird, wir schrauben die Steuern herunter, könnte es sein, dass man vielleicht auch daran denkt, den Wohnbauförderungsbeitrag zulasten des Wohnbaus herunterzuschrauben. Wir wissen, dass es sehr viele Wohnungssuchende gibt. Im Zentralraum, in Linz und auch rund um die Städte brauchen wir neue Wohnungen. Aufgrund alter Wohnbauförderungsgesetze ist es so, dass alte Wohnungen teurer als neue sind; auch durch den Annuitätensprung werden alte Wohnungen teuer.
Das Kuriose ist, dass Personen, Familien in neue Wohnungen einziehen und die alten Wohnungen leer stehen. Das ist ein Problem der Genossenschaften, das ist ein Problem im mehrgeschossigen Wohnbau, dass Familien, junge Menschen in neue Wohnungen einziehen und es gerade im ländlichen Raum in diesem Bereich einen großen Leerstand gibt. Gerade Wohnungen um die 70, 80, 90 Quadratmeter kann sich niemand mehr leisten. Die Mieter sehen sich veranlasst, andere Wohnungen zu beziehen. Das sieht man auch bei den Wohnungsübergaben, die jetzt aufgrund des Wohnbaus stattfinden. Ich spüre es auch in meiner Gemeinde. Ich habe vor Kurzem vier Häuser übergeben, in die fast ausschließlich Personen aus anderen Mietwohnungen eingezogen sind, weil die Wohnungen günstiger werden. Jetzt haben wir das Problem, dass die großen alten Wohnungen mit einem vielleicht nicht mehr so guten Standard teurer sind als die neuen. (Ruf bei der SPÖ: BUWOG!)
Gerade da sind die Länder und die Landeswohnbaureferenten gefordert, das Geld vielleicht auch dafür zu verwenden, dass in Zukunft die Wohnungen, die jetzt bestehen, billiger für die jungen Menschen, für die Familien werden. Gerade deshalb ist es sehr wichtig, dass wir darauf schauen, was bei der Verländerung des Wohnbauförderungsbeitrags geschieht. Es kann auch sein, dass in einigen Ländern das Geld anders verwendet wird, was ja auch positiv sein kann.
Geschätzte Kolleginnen und Kollegen, ich halte es für gut, dass wir gemeinsam darauf schauen, dass das Geld nicht zweckentfremdet, sondern zweckgebunden für den Wohnbau verwendet wird, und darum stimmen wir auch zu. (Beifall bei der SPÖ.)
14.33
Vizepräsident Mag. Ernst Gödl: Nächster Redner ist Herr Bundesrat Pisec. – Bitte, Herr Bundesrat.
14.33
Bundesrat Mag. Reinhard Pisec, BA (FPÖ, Wien): Sehr geehrter Herr Präsident! Sehr geehrter Herr Bundesminister! Sehr geehrte Damen und Herren! Da werden zwei Gesetze unter einem behandelt, von denen eines mit dem Finanzministerium im Grunde überhaupt nichts zu tun hat; das gehört eigentlich zum Bundesminister für Wissenschaft und Forschung, der sich mit Universitäten und Studierenden beschäftigt. Es ist
nur deswegen hier gelandet, weil es ein Reparaturgesetz in letzter Minute ist, da man sich im Frühjahr, als die Novelle des Studienförderungsgesetzes beschlossen wurde, offensichtlich keine genauen Gedanken gemacht hat.
Es ist auch ein Beispiel für eine rückwirkende Gesetzesänderung; so etwas lehnen wir von der FPÖ generell ab, weil das unfair ist. Es ist ein rückwirkendes Gesetz, bei dem es eben zu Fehlern gekommen ist, aber dazu komme ich später.
Ich komme nun zum zweiten jetzt zur Debatte stehenden Tagesordnungspunkt, nämlich zum Wohnbauförderungsgesetz. Es betrifft die Lohnzusatzkosten, die ja einen Teil der Abgabenquote ausmachen, die in Österreich insgesamt bereits 47 Prozent beträgt. Es wird immer von 43 Prozent gesprochen, aber es sind 47 Prozent. 3 bis 4 Prozent sind für die Finanz bereits uneinbringlich, da die Belastung dermaßen hoch ist.
Es ist ein Rucksack von einem Prozent, den je zur Hälfte die Unternehmer tragen müssen, die andere Hälfte wird von den Mitarbeitern getragen. Mit diesem Rucksack muss man vorsichtig umgehen, denn der Beitrag soll natürlich zweckgewidmet eingesetzt werden. Das wäre unser Wunsch gewesen.
Dieses Wohnbauförderungsgesetz ist aber trotzdem ein Gesetz, dem wir zustimmen können, weil das der Beginn der Steuerautonomie ist und wir sehr wohl den Wettbewerb im Visier haben. Herr Kollege Brunner sagte, es solle kein desaströser Wettbewerb sein. – Also davon sind wir bei einer Abgabenquote von 47 Prozent meilenweit entfernt! Von einem desaströsen Wettbewerb zu sprechen beginne ich vielleicht bei 30 Prozent – das ist die heutige Position der Schweiz –, da gibt es also noch jede Menge Spielraum. (Bundesrat Brunner: Innerhalb der Länder, meine ich!)
Es ist ein guter Beginn, wenn der Steuerwettbewerb auch in diesem Sinne geführt wird, aber ich bin da schon ein bisschen skeptisch, denn darin könnte implizit auch eine Steuer- oder Abgabenerhöhung liegen, da die Länder das Recht hätten, mit einem gemeinsamen Beschluss etwa der Landeshauptleutekonferenz – das ist ja praktisch eine informelle Institution ohne Verfassungsrang, eine Art Kartell, würde ich einmal meinen – eine gemeinsame Erhöhung über dieses kleine Österreich mit seinen insgesamt neun Bundesländern hinweg zu beschließen. (Bundesrat Brunner: Wer hat denn gesagt, dass Vorarlberg das nicht macht?)
Da muss man schon Vorsicht walten lassen, wie sich das entwickelt, denn der Wettbewerb in Österreich ist im Allgemeinen ein Problem, da die Wettbewerbsbehörde – das betrifft jetzt nicht diesen Fall – nicht gerade sehr marktgerecht eingreift, siehe Lebensmittelhandel. Die Teuerungsraten werden in erster Linie von diesen Supermarktketten gespeist, wobei in Österreich praktisch der gesamte Lebensmittelhandel auf nur drei Ketten aufgeteilt ist. Daher ist es kein Wunder, dass wir dermaßen hohe Lebensmittelpreise haben.
Zum Thema Bürokratie, weil es Landeshauptmann Wallner erwähnt hat und dabei, wie schon mein Kollege Längle richtig gesagt hat, ziemlich unkonkret gewesen ist: Ich möchte das einmal konkretisieren. Bürokratie bedeutet in erster Linie Zeitaufwand und Kosten, aufgewendete Zeit für Tätigkeiten, die man für etwas anderes produktiver verwenden könnte, und Kosten – und das in erster Linie – für die Berechnung dieser Lohnzusatzkosten.
Insgesamt 14 Lohnnebenkosten – ich würde sie eher mit dem Begriff Arbeitskosten bezeichnen – werden vom Unternehmer berechnet. Der Finanzminister fühlt sich wohl, wenn das Geld hereinkommt, aber die Berechnung – die Kosten, die Gebühren – leisten die Unternehmer, auch die Mitarbeiter. Lohnverrechner ist mittlerweile ein eigener Beruf geworden, der extrem kompliziert ist. Steuerberater finden gar nicht mehr so leicht Lohnverrechner, weil sich mit diesem Wust von Gesetzen auch niemand mehr beschäftigten möchte, obwohl man sich damit beschäftigen muss. In der Verrechnung
passieren auch permanent Fehler – keine bewussten Fehler, sondern unabsichtliche Fehler –, weil das Ganze einfach viel zu komplex ist. Da würden wir von der FPÖ uns endlich eine Steuerbereinigung im Sinne einer Vereinfachung wünschen, und da rede ich noch nicht einmal von einer Senkung, sondern von einer Vereinfachung – einfache Gesetzestexte, einfache Berechnung – und Zusammenlegung der abzuführenden Positionen, um nicht 14 verschiedene Positionen berechnen zu müssen.
Oft wird auch über die Gegenverrechnung gesprochen. Wir von der FPÖ fordern, Steuern und Abgaben zu senken. Wie wird das gegenverrechnet? – Dazu gibt es verschiedene Modelle. Ich will jetzt nicht den Rechnungshof mit den über 600 Vorschlägen zitieren. Sehr geehrter Herr Finanzminister, auch Ihre Finanztransaktionssteuer halte ich für ein vollkommen falsches Signal an den Finanzmarkt Österreich, der dermaßen darniederliegt, dass die Unternehmer praktisch kein Working Capital mehr bekommen können.
Ich denke allein an den Umsatzsteuerbetrug – das ist keine Steuerhinterziehung, das ist ein waschechter Betrug! Da werden über die Umsatzsteuerverrechnung 20 Prozent – um das österreichische Niveau zu nehmen – an Steuer eingenommen und nicht an das Finanzamt abgeführt. Europol berechnet das mit sage und schreibe 100 Milliarden €, die allen Volkswirtschaften in ganz Europa entgehen.
Wenn ich als Maßstab den österreichischen Anteil am europäischen BIP, der 3,25 Prozent beträgt, hernehme, wären dies allein für Österreich 3,25 Milliarden €, die durch den Umsatzsteuerbetrug entgehen. Sehr geehrter Herr Finanzminister, da würde ich mir wünschen, dass man sich in Europa nicht für die Finanztransaktionssteuer einsetzt, die ja nichts anderes als eine Börsenumsatzsteuer ist, sondern dafür, diesen Umsatzsteuerbetrug mit einem anderen Modell, zum Beispiel dem Reverse Charge System hintanzuhalten und zu versuchen, diesem Betrug entgegenzuwirken und die Gegenfinanzierung für einen Teil sicherzustellen. Faktum ist, dass wir eine ganz klare Lohnzusatzkostensenkung wollen.
Zum zweiten Punkt, zum Studienförderungsgesetz: Es wurde im Frühjahr beschlossen, die Studienbeihilfe anzuheben, was natürlich löblich ist. Es gibt aber auch Selbsterhalter – so im Alter zwischen 25 und 30 Jahren –, die bereits davor mindestens vier Jahre gearbeitet haben und diesen Betrag vorweisen müssen, da sie Studienbeihilfe – die jetzt erhöht wurde – beziehen. Gleichzeitig wurde die Mindestzuverdienstgrenze rückwirkend erhöht.
Jetzt haben sie aber in den vergangenen Jahren so viel mit ihrer Mindestarbeitsleistung verdient, damit sie diese Studienbeihilfe, die noch eine geringe war, erhalten können. Beides wurde angehoben, und jetzt fallen circa 300 Menschen durch den Rost. Das wurde hiermit behoben. Das hätte man aber, wenn man das Ganze aufmerksamer verfolgt hätte, durchaus gleich am Anfang korrekt machen können.
Es ist ja im Finanzministerium gelandet, weil es sich in der alten Legislaturperiode, die ja – Gott sei Dank – mit 15. Oktober endlich zu Ende geht – dann werden wir hoffentlich von diesem schwarz-roten System befreit–, nicht mehr ausgegangen wäre, dies zeitgerecht richtigzustellen. Daher ist es jetzt beim Finanzministerium gelandet, müsste aber eigentlich zum Wirtschafts- und Wissenschaftsministerium der ÖVP gehören.
Da darf ich gleich kurz zum Thema Universitäten kommen. Es ist ja interessant, dass Wirtschaft und Wissenschaft zusammengespannt wurden. Ich kann mich noch gut daran erinnern, als ich vor einem Jahr vom ehemaligen ÖVP-Obmann Mitterlehner gescholten worden bin – gescholten jetzt natürlich im diplomatischen Sinne –, weil ich gesagt habe, er hat dieses Institut für Österreichische Geschichtsforschung, das über hundert Jahre beim Bund gewesen ist, mit dem Argument der Kosten – um es so zu sagen – an die Universität zurückgegeben.
Jetzt kommen wir weiter zu den Kosten. Es ist nur ein Detail am Rande, aber in diesem Zusammenhang möchte ich schon diese Einladung zu einem Workshop der Wirtschafts- und Währungsunion der EU im Haus der Europäischen Union in der Wipplingerstraße erwähnen. „Lesson learned from history“, von der Geschichte lernen – das sollte einmal die Bundesregierung, von der Geschichte lernen! Das ist in erster Linie auch Wirtschaftsgeschichte.
Die Kausalität des Zusammenhangs, hohe Steuersätze, hohe Abgaben, hohe Gebühren ist gleich niedriges Wirtschaftswachstum, hätte zumindest bei dieser Bundesregierung irgendwann einmal ankommen müssen. Was macht das Wirtschafts- und Wissenschaftsministerium? – Das hat das Curriculum der Wirtschaftsgeschichte an der Universität Wien vor einem Jahr einfach aufgelöst. Diesen Bildungsweg gibt es nicht mehr, den Herbert Matis genossen hat, den Ben Bernanke, der ehemalige Chef der Federal Reserve mit seiner Habilitation über die Wirtschaftsgeschichte der USA gemacht hat. Diese Ausbildung gibt es in Österreich nicht mehr.
Der Herr Wirtschaftsminister ist jetzt nicht da, aber vielleicht können Sie ihm das vermitteln, sehr geehrter Herr Finanzminister: Warum wird Wirtschaftsgeschichte an der Universität Wien abgeschafft? Das darf doch nicht wahr sein! Beispiel ist das Haus der Europäischen Union in der Wipplingerstraße, das sogar einen Workshop in diese Richtung macht. In Österreich kann man diesen Bildungsnachweis nicht mehr erbringen und diese Bildung nicht mehr genießen, und das ist sicherlich falsch. Offensichtlich wollen Sie, dass man aus der österreichischen Misswirtschaftsgeschichte der großen Koalition nichts lernt. Hoffentlich ist am 15. Oktober Schluss damit. – Danke. (Beifall bei der FPÖ.)
14.43
Vizepräsident Mag. Ernst Gödl: Als Nächster zu Wort gemeldet ist Herr Bundesrat Heger. – Bitte, Herr Bundesrat.
14.43
Bundesrat Peter Heger (SPÖ, Burgenland): Sehr geehrter Herr Präsident! Herr Minister! Geschätzte Kolleginnen und Kollegen des Bundesrates! Werte Zuseher! Für mich als letztem Redner zu diesen Tagesordnungspunkten ist es – auch wenn in diesen zwei Tagesordnungspunkten insgesamt acht Gesetze geändert werden – ziemlich schwierig, noch etwas zu ergänzen. Zudem werden in diesen beiden Tagesordnungspunkten Gesetzesänderungen, beispielsweise im Einkommensteuergesetz, im Körperschaftsteuergesetz und im Stiftungseingangssteuergesetz, behandelt, die eigentlich ausschließlich technische Anträge sind und die Redaktionsversehen beseitigen.
Meine VorrednerInnen haben die vorliegenden Gesetzesänderungen schon, so meine ich, ausreichend kommentiert. Selbstverständlich gibt es – und das war auch im letzten Debattenbeitrag sehr deutlich – gerade in Vorwahlzeiten teilweise äußerst unterschiedliche argumentative Ansätze. Ich möchte mich nochmals mit den Änderungen des Studienförderungsgesetzes 1992 beschäftigen, denn eines der Kernstücke der Maßnahmen ist die Erhöhung der Einkommensgrenzen für das Selbsterhalterstipendium.
Ich denke, über die Voraussetzungen des Anspruchs auf ein Selbsterhalterstipendium wurde ebenfalls schon alles gesagt. Gestatten Sie mir daher nur ein paar Anmerkungen: Das seit 1992 nicht mehr überarbeitete Gesetz bringt ja mit den Änderungen der Höhe der Studienbeihilfe beispielsweise auch eine Neuberechnung der Bemessungsgrundlage mit sich. Anscheinend ist es wirklich so, dass gut Ding manchmal Weile braucht. Diesbezüglich wird nämlich eine deutliche und langjährige Forderung der Österreichischen Hochschülerschaft, die Studienbeihilfe endlich zu erhöhen, wirklich erfüllt.
Jetzt werden tatsächlich absolut wichtige Schritte in die richtige Richtung gemacht. Mit dieser Novelle wird also ein kleiner, aber wichtiger Beitrag zur Verbesserung der Situation der Studierenden geleistet, denn studieren darf kein Privileg sein, sondern muss ein
Recht sein, das allen zusteht. Es muss das Ziel sein, den freien und offenen Hochschulzugang für alle, unabhängig vom sozialen Hintergrund, sicherzustellen.
Meine Fraktion wird den Beschlüssen des Nationalrates zustimmen, damit wir diesem Ziel, den freien und offenen Hochschulzugang für alle, unabhängig vom sozialen Hintergrund, sicherzustellen, auch tatsächlich diesen einen Schritt näher kommen. – Danke. (Beifall bei der SPÖ.)
14.46
Vizepräsident Mag. Ernst Gödl: Nun darf ich zum Abschluss Herrn Bundesminister Dr. Schelling das Wort erteilen. – Bitte, Herr Minister.
14.46
Bundesminister für Finanzen Dr. Johann Georg Schelling: Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Ich habe nur ein paar kurze Anmerkungen. Zum Wohnbau: Ich glaube, dass es richtig ist, dass wir diesen Verländerungsschritt gesetzt haben. Es ist auch nicht so, dass wir die Länder ans Gängelband nehmen, sondern wir stellen durch dieses zweijährige Wohnbauprogramm sicher, dass die Mittel entsprechend eingesetzt sind.
Einer der Gründe ist, dass man nur einen Teil der Mittel zweckwidmen hätte können. Wenn man aber verländert, dann hat der Bund kein Recht mehr, auf einer reinen Landesabgabe eine Zweckwidmung zu machen. Das ist jetzt Aufgabe der Landesregierungen. Frau Dr. Reiter, Sie beziehungsweise Ihre Fraktion sitzt ja in vielen Landesregierungen, und ich nehme doch an, dass Sie dort diese Anträge auch unterstützen werden. (Zwischenruf des Bundesrates Stögmüller.)
Zum Thema Finanzausgleich: Die Aufgabenorientierung für die Elementarpädagogik ist fertig. Vonseiten des Bundes sind wir nicht säumig, aber es gibt ein Bundesland, das nicht zustimmt – auch dort sitzen Sie mit in der Regierung –, das ist Wien, und es gibt Bedenken einzelner Städtebundvertreter und auch Vertreter des Gemeindebundes. Der Bund selbst aber hat das erarbeitet und ordnungsgemäß vorgelegt.
Diese Arbeitsgruppe, die Sie noch angesprochen haben, tagt selbstverständlich, aber da gibt es verfassungsmäßige Diskussionen über die Frage der Grundsteuer, wie man das gestaltet. Sie dürfen nämlich nicht vergessen, dass die Grundsteuer, so wie sie heute gestaltet ist, nur deshalb vom Verfassungsgerichtshof nicht gekippt wurde, weil es sich nach dessen Auffassung um eine Bagatellsteuer handelt. Würde sie verändert werden, ist es keine Bagatellsteuer mehr, und dann muss das gelöst werden. Diese Arbeitsgruppe tagt also auch, ich bitte, das einfach so zur Kenntnis zu nehmen.
Ich bin mir jetzt nicht ganz sicher, zu welchen Tagesordnungspunkten Herr Bundesrat Pisec gesprochen hat, aber ich nehme das so mit. (Beifall bei der ÖVP.) Sie werden vielleicht wissen, wenn Sie sich schon mit Wirtschaftsgeschichte beschäftigen, dass Österreich bereits vor mehr als zehn Jahren den Antrag auf Reverse Charge gestellt hat. Sie werden vielleicht auch wissen, dass ich zu Beginn meiner Tätigkeit als Finanzminister diesen Antrag in der Kommission erneuert habe. Sie werden auch wissen, dass wir das Thema Reverse Charge zur Vermeidung von Umsatzsteuerkarussellbetrug – um diesen geht es nämlich – tatsächlich als Pilotprojekt für zehn Jahre beantragt haben.
Warum steht das Ganze im Moment? – Das steht deshalb, weil die Kommission Reverse Charge nicht will oder weil zumindest einzelne Kommissare es nicht wollen. Daraus resultierend hat die Kommission einen Vorschlag gemacht, der völlig inakzeptabel ist, nämlich: Du kannst Reverse Charge einführen, wenn du nachweisen kannst, dass du 15 Prozent des Umsatzsteueraufkommens durch Karussellbetrug verlierst. Zweitens muss das auf drei Jahre befristet sein. Da bitte ich wirklich um Verständnis: Ich möchte keinem Unternehmen antun, nach drei Jahren das Umsatzsteuersystem wieder umzu-
stellen. Der dritte Punkt ist, die Kommission kann das Verfahren jederzeit stoppen. Das sind Bedingungen, die ich, das werden Sie verstehen, nicht akzeptiere.
Nächste Woche wird ein neues Programm betreffend den Mehrwertsteuerbetrug in Verhandlung genommen. Die Kommission hat einen Vorschlag vorgelegt, der nächste Woche Montag, Dienstag im Zuge des ECOFIN in Luxemburg in Behandlung genommen wird. Dass das ein Thema ist, das behandelt werden muss, ist überhaupt keine Frage, und ich wundere mich ja auch immer wieder, warum man sich da so schwertut. Ich glaube, dass die Bekämpfung des Mehrwertsteuerbetrugs auf allen Ebenen eine ganz wichtige Herausforderung ist. Ob die Zahlen stimmen, die da immer wieder kolportiert werden, weiß niemand so genau, aber die Schätzungen gehen schon in viele Milliarden, die da verloren gehen.
Daher hoffe ich, dass die neue Mehrwertsteuerrichtlinie, die nächste Woche vorgestellt wird, tatsächlich zu einer Verbesserung der Betrugsbekämpfung führt. Ich möchte dazusagen, auch andere Maßnahmen, die von Ihnen permanent kritisiert wurden, führen zur Bekämpfung des Mehrwertsteuerbetrugs in Österreich, und andere Länder werden da folgen.
Was die Frage des Wachstums anlangt, könnten wir auch das ein bisschen historisch betrachten. Sie stellen sich nun in Wahlkampfzeiten hierher und sagen, die Bundesregierung hätte nichts gemacht. Ja, natürlich entsteht Wachstum durch Unternehmen, die investieren. Dafür haben wir aber viel gemacht. Wir haben unter anderem eine Steuerreform mit einer Tarifsenkung von 5 Milliarden € gemacht. Wir haben mehrere hundert Millionen Euro für kommunale Investitionsprogramme inklusive Förderprogramme für kleine und mittelständische Unternehmen ausgegeben, die große Nachfrage haben.
Wir sehen zum ersten Mal, dass wir bei allen drei Wachstumstreibern, nämlich beim Konsum, bei den Investitionen und beim Export, im Plus liegen, was am Ende des Tages dazu führt, dass wir derzeit eine Prognose – möge sie denn auch eintreten, ich bin ja prognosengeschädigt, wie ich immer sage – von 2,8 Prozent Wirtschaftswachstum haben. Das ist deutlich mehr als der europäische Durchschnitt, und es ist deutlich mehr als Deutschland hat.
Wir haben also schon die richtigen Maßnahmen und Signale gesetzt. Dass sie akzeptiert wurden, ist ein Verdienst der Unternehmen, die diese Signale positiv in Konjunktur übersetzen. Ich glaube, dass es mit ein ganz entscheidender Punkt war, diese Signale als Impuls zu setzen. Es soll niemand behaupten, dass die Politik dafür sozusagen allein die Verantwortung trägt, aber die richtigen Maßnahmen scheinen wir gesetzt zu haben.
Daher möchte ich noch einmal kurz zum Wohnbauförderungsbereich zurückkommen. Ja, es ist der erste Schritt in dieser Verländerung. Ja, es gibt Regeln, die übrigens noch immer auf Bundesebene definiert werden. Es gibt keine rückwirkenden Maßnahmen – es darf innerhalb eines Jahres nicht geändert werden, es müssen die Dienstgeber- und Dienstnehmeranteile in gleicher Höhe aufrechterhalten bleiben.
Da gibt es Bundesregelungen, die wir einsetzen, aber ansonsten bin ich vollständig und vollkommen dafür, dass man diese Verländerung durchführt, denn wir müssen doch davon ausgehen, dass in den neun Bundesländern völlig unterschiedliche Situationen im Wohnbau vorhanden sind. Städte und ländlicher Raum sind schon unterschiedlich, große und kleine Gemeinden sind unterschiedlich. Die Länder sollen diesbezüglich die notwendigen Maßnahmen setzen.
Ich würde mich freuen, wenn das in den Bundesländern individuell behandelt wird. Derzeit schaut es ja eher danach aus, dass man es einheitlich belässt. Ich darf aber noch einmal dazu sagen, das ist keine Entscheidung, die wir als Bundesregierung treffen.
Bei einer Verländerung ist das eine Entscheidung, die dann auf der Ebene der Länder getroffen wird. Da können Sie alle, auch als Vertreter der Länder, Einfluss darauf nehmen, wie das in Zukunft gehandhabt wird. Das ist ja der Sinn und Zweck dieser Kompetenzverschiebung vom Bund zu den Ländern. Ich glaube, dass das ein guter und richtiger Schritt ist, und bedanke mich bei allen, die den Anträgen zustimmen.
Sie haben natürlich vollkommen recht, die Stipendienfrage wird hier behandelt, obwohl sie nicht mein Ressort betrifft. Wir haben das gestern auch im Finanzausschuss des Nationalrates gehabt, wo ein Antrag, der heute schon erwähnt wurde, hereingekommen ist, nämlich in der Frage der Vergebührung von Mietverträgen, die eigentlich dem Bautenausschuss zugewiesen ist. Da aber der Bautenausschuss nicht mehr tagt, darf sich der Finanzausschuss damit befassen.
Ich mache darauf aufmerksam, dass wir außer im Finanzausschuss dazu noch keine Beschlüsse haben, weil noch die Rechtsfrage zu klären ist, ob das verfassungsrechtlich überhaupt geht, dass man zwischen privaten und gewerblichen Mietverträgen splittet. Ich darf nur darauf hinweisen, dass wir von ungefähr 140 Millionen € Entfall an Gebühren reden, sollte die gesamte Gebühr fallen. Würde man es nur auf den privaten Wohnbereich beschränken, ist das natürlich weniger.
Wir werden also sehen, was der 12. Oktober noch an Beschlüssen bringt, und dann werden wir weitersehen, wie die Umsetzung erfolgt. Im Gegensatz zu Ihnen bin ich zuversichtlich, dass wir nach dem 15. Oktober die richtigen Entscheidungen treffen werden. (Beifall bei der ÖVP und bei Bundesräten der SPÖ.)
14.54
Vizepräsident Mag. Ernst Gödl: Weitere Wortmeldungen liegen dazu nicht vor.
Wünscht noch jemand das Wort? – Das ist nicht der Fall. Die Debatte ist geschlossen.
Die Abstimmung erfolgt getrennt.
Wir kommen zunächst zur Abstimmung über den Beschluss des Nationalrates vom 20. September 2017 betreffend ein Bundesgesetz, mit dem das Einkommensteuergesetz 1988 und weitere Gesetze geändert werden.
Ich ersuche jene Bundesrätinnen und Bundesräte, die dem Antrag zustimmen, gegen den vorliegenden Beschluss des Nationalrates keinen Einspruch zu erheben, um ein Handzeichen. – Dies ist die Einstimmigkeit. Der Antrag ist somit angenommen.
Nun kommen wir zur Abstimmung über den Beschluss des Nationalrates vom 20. September 2017 betreffend ein Bundesgesetz, mit dem das Wohnbauförderungsbeitragsgesetz 2018 erlassen wird und das Bundesgesetz über die Einhebung eines Wohnbauförderungsbeitrages sowie das Finanzausgleichsgesetz 2017 geändert werden.
Ich ersuche jene Bundesrätinnen und Bundesräte, die dem Antrag zustimmen, gegen den vorliegenden Beschluss des Nationalrates keinen Einspruch zu erheben, um ein Handzeichen. – Dies ist die einstimmige ... (Bundesrat Stögmüller: Nein, nein, nein!) – die Stimmenmehrheit. Der Antrag ist somit angenommen.
Beschluss des Nationalrates vom 4. Oktober 2017 betreffend ein Bundesgesetz, mit dem das Niederlassungs- und Aufenthaltsgesetz, das Fremdenpolizeigesetz 2005, das Asylgesetz 2005, das BFA-Verfahrensgesetz, das Grundversorgungsgesetz – Bund 2005 und das Grenzkontrollgesetz geändert werden (Fremdenrechtsänderungsgesetz 2017 – FrÄG 2017) (2285/A)
Vizepräsident Mag. Ernst Gödl: Wir gelangen nun aufgrund der ergänzten Tagesordnung zum neuen Punkt 7.
Es gibt zu diesem Punkt keine Wortmeldungen.
Wünscht jemand das Wort? – Das ist nicht der Fall.
Damit kommen wir zur Abstimmung.
Es liegt mir der Antrag der Bundesräte Schödinger, Weber, Kolleginnen und Kollegen gemäß § 43 Abs. 1 der Geschäftsordnung des Bundesrates vor, gegen den vorliegenden Beschluss des Nationalrates keinen Einspruch zu erheben.
Ich ersuche jene Bundesrätinnen und Bundesräte, die diesem Antrag zustimmen, gegen den vorliegenden Beschluss des Nationalrates keinen Einspruch zu erheben, um ein Handzeichen. – Es ist dies die Stimmenmehrheit. Der Antrag ist somit angenommen.
*****
Bevor wir zu den nächsten beiden Tagesordnungspunkten kommen, darf ich zwei Begrüßungen vornehmen. Zum einen begrüßen wir auf der Galerie sehr herzlich Herrn Professor Herwig Hösele, Präsident des Bundesrates außer Dienst und Generalsekretär des Zukunftsfonds der Republik Österreich. Grüß Gott! (Allgemeiner Beifall.)
Ebenso begrüßen wir sehr herzlich Herrn Dr. Kurt Scholz, den Vorsitzenden des Zukunftsfonds der Republik Österreich. Herzlich willkommen im Bundesrat! (Allgemeiner Beifall.)
Beschluss des Nationalrates vom 20. September 2017 betreffend ein Bundesgesetz, mit dem das Bundesgesetz über den Nationalfonds der Republik Österreich für Opfer des Nationalsozialismus geändert wird (2270/A und 1772 d.B. sowie 9894/BR d.B.)
9. Punkt
Beschluss des Nationalrates vom 20. September 2017 betreffend ein Bundesgesetz, mit dem das Zukunftsfonds-Gesetz geändert wird (1766 d.B. und 1773 d.B. sowie 9895/BR d.B.)
Vizepräsident Mag. Ernst Gödl: Nunmehr gelangen wir zu den neuen Punkten 8 und 9 der Tagesordnung.
Berichterstatter zu beiden Punkten ist Herr Bundesrat Seeber. Ich bitte um die beiden Berichte.
Berichterstatter Robert Seeber: Hohes Präsidium! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich darf den Bericht des Ausschusses für Verfassung und Föderalismus über den Beschluss des Nationalrates vom 20. September 2017 betreffend ein Bundesgesetz, mit dem das Bundesgesetz über den Nationalfonds der Republik Österreich für Opfer des Nationalsozialismus geändert wird, zur Kenntnis bringen.
Der Bericht liegt in schriftlicher Form vor, ich komme daher sogleich zur Antragstellung.
Der Ausschuss für Verfassung und Föderalismus stellt nach Beratung der Vorlage am 3. Oktober 2017 mit Stimmeneinhelligkeit den Antrag, gegen den vorliegenden Beschluss des Nationalrates keinen Einspruch zu erheben.
Weiters darf ich den Bericht des Ausschusses für Verfassung und Föderalismus über den Beschluss des Nationalrates vom 20. September 2017 betreffend ein Bundesgesetz, mit dem das Zukunftsfonds-Gesetz geändert wird, zur Kenntnis bringen.
Der Bericht liegt ebenfalls in schriftlicher Form vor, ich komme daher sogleich zur Antragstellung:
Der Ausschuss für Verfassung und Föderalismus stellt nach Beratung der Vorlage am 3. Oktober 2017 mit Stimmeneinhelligkeit den Antrag, gegen den vorliegenden Beschluss des Nationalrates keinen Einspruch zu erheben.
Vizepräsident Mag. Ernst Gödl: Danke für die Berichte.
Wir gehen in die Debatte ein.
Als Erster zu Wort gemeldet ist Herr Bundesrat Beer. – Bitte, Herr Bundesrat.
14.58
Bundesrat Wolfgang Beer (SPÖ, Wien): Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Wir behandeln heute zwei Gesetze, die eigentlich von der Materie her sehr ähnlich sind. In beiden Gesetzen geht es auch darum, mehr Geld zur Verfügung zu stellen. Beginnen wir mit dem Nationalfonds der Republik Österreich für die Opfer des Nationalsozialismus. Wir haben es da auch mit der Erhaltung eines wirklich ganz furchtbaren und schrecklichen Konzentrationslagers zu tun. Auschwitz-Birkenau war ein sehr berüchtigtes Lager.
Dieses Lager ist aufgrund des Alters und der doch eher geringen Mittel, die zur Verfügung standen, immer schlechter geworden und, ich will nicht sagen, dem Verfall preisgegeben worden, aber doch in einen sehr, sehr schlechten Zustand gekommen.
Wir haben 6 Millionen € zur Instandhaltung dieser Gedenkstätte zur Verfügung gestellt und hoffen – oder wir wissen, weil mit diesen Geldern sehr sorgsam umgegangen wird –, dass es in Zusammenarbeit mit dem Staatlichen Museum Auschwitz-Birkenau wieder zu einer Restaurierung kommen wird, sodass wir in diesem Bereich dann auch wieder die Möglichkeit haben, dieser schrecklichen Dinge, die dort vor Jahrzehnten stattgefunden haben, zu gedenken.
Zum Bundesgesetz, mit dem das Zukunftsfonds-Gesetz geändert wird: Den Fonds haben wir im Jahr 2005 eingerichtet. Der Fonds wurde mit 20 Millionen € dotiert und ist ein sogenannter verzehrender Fonds. Das bedeutet, dass dieser Verein, sobald die Fondsmittel aufgebraucht sind, seine Aufgaben nicht mehr wahrnehmen kann und dass der Zukunftsfonds hätte aufgelöst werden müssen. Jetzt haben wir aber beschlossen, dass wir ab 1. Jänner 2018 über einen Zeitraum von fünf Jahren einen Betrag in Höhe von 2 Millionen € pro Kalenderjahr zur Verfügung stellen.
Der Zukunftsfonds hat sehr, sehr viele Aufgaben. Er ist dem Gedenken der Opfer geschuldet und soll auch in weiterer Folge für die Zukunft an die Bedrohung durch totalitäre Systeme und Gewaltherrschaften erinnern, mahnen und ganz einfach auch solche, ich will nicht sagen, aufdecken, aber doch erkennen. Im Jahr 2016 hat der Zukunftsfonds 335 Projekte bearbeitet, davon wurden 242 genehmigt.
Ich will mich nicht zu sehr in diese beiden Gesetze vertiefen, da es auch noch ein paar andere Redner gibt, und die sollen auch noch etwas zu sagen haben. Ich bin mir sicher, dass sie auch noch in diesem Bereich näher darauf eingehen werden. Ich möchte nur noch sagen, dass es eine Internetadresse des Zukunftsfonds gibt. Diese lautet – für alle, die sehr interessiert sind –: www.zukunftsfonds-austria.at. Für diejenigen, die daran Interesse haben, sind auf dieser Seite die Projekte aufgelistet, können also auf der Homepage abgerufen werden.
Ich möchte trotzdem noch ansprechen, warum es so wichtig ist, dass wir in diesen Bereichen ganz einfach nicht vergessen, immer wieder daran erinnern und mahnen, was
passiert ist, und vielleicht auch ein bisschen dazu beitragen, zu erkennen, wie es passieren konnte. Wie konnte es eigentlich dazu kommen, dass wir mit diesen Abscheulichkeiten – oder eigentlich nicht wir, nicht die meisten von uns, sondern unsere Großeltern, unsere Eltern – konfrontiert wurden?
Es hat eigentlich in der Zwischenkriegszeit begonnen: Die schlechte wirtschaftliche Lage, die hohe Inflation, die Arbeitslosigkeit und nicht zuletzt die Weltwirtschaftskrise Ende der 1920er-Jahre radikalisierten die Gesellschaft. Eine radikalisierte Gesellschaft ist sehr anfällig für Feindbilder. In der heutigen Zeit, aber auch in der Vergangenheit hat die Religion immer eine zentrale Rolle als Vorwand für ein Feindbild gespielt. Man braucht immer einen Vorwand oder einen Anlassfall für die Diskriminierung von Fremden, und das sind vor allem die Religion und die Kultur.
Wir erleben so etwas in unserer Zeit, zwar nicht in dieser stark ausgeprägten Form wie vor dem Zweiten Weltkrieg, aber doch beginnend. Schauen wir uns einmal das Feindbild an, das wir heute haben: Wir haben Muslime und Flüchtlinge; und weil das noch nicht ganz ausreicht, nehmen wir doch gleich die Sinti und die Roma und vielleicht noch einmal die Juden – die haben wir ja schon gehabt – auch dazu. Es macht ja nichts. Je mehr desto besser! (Bundesrätin Mühlwerth: Und wer macht das? Sag es einfach: Wer macht das?!) – Ach ja: Es gibt ja auch noch die Homosexuellen, nicht? (Bundesrätin Mühlwerth: Ich will ja nur wissen, wen du jetzt meinst! Wer jetzt? Sag’s einfach!) Die wollen ja sogar heiraten. Also: Warum stört das jemanden? (Bundesrätin Mühlwerth: Ich will aber wissen, wer da gemeint ist! Sag es einfach!) Wem tut denn das weh, wenn die heiraten wollen? (Bundesrat Rösch: Was hat das mit dem Thema zu tun?) Und meistens ist derjenige ... (Bundesrätin Mühlwerth: Du kannst ja nicht einfach etwas in den Raum stellen und dann sagen: Ja, nein, weiß ich nicht! – Bundesrat Jenewein: Was ist da eigentlich die Botschaft?) – Weißt du, es ist eigentlich (Bundesrätin Mühlwerth: Ja was jetzt?) immer so, dass derjenige, der bellt und meldet ... (Bundesrätin Mühlwerth: Deshalb will ich ja wissen, wer das macht! Sag es einfach!) – Habe ich irgendjemanden beschuldigt? (Bundesrätin Mühlwerth: Darum frage ich ja!) – Na schau dir doch bitte ... (Bundesrätin Mühlwerth: Darum frage ich ja! Wer macht das?) – Warum bist du so nervös und aufgeregt? (Bundesrätin Mühlwerth: Ich bin überhaupt nicht nervös, ich will es nur wissen!) – Ich habe mit keinem Wort die Freiheitlichen erwähnt. Oder habe ich dazu irgendetwas gesagt? Es ist aber natürlich klar: Diejenigen, die sich betroffen fühlen (Bundesrätin Mühlwerth: Ich weiß: Man hört ja nix, man sagt ja nur!), sind sofort da und schreien, bevor ich überhaupt fertig bin. Das ist ja das Interessante daran. (Bundesrat Rösch: Weil es keinen Sinn macht!)
Es ist so, dass sich diese Haltung quer durch die Bevölkerungsgruppen zieht – angetrieben von der Angst davor, was man nicht kennt, und vor der Überfremdung. Das war immer so und das wird auch immer so sein. Zugegebenermaßen muss ich sagen: Es stört mich auch, wenn es mehr Kebabstände und keine Würstelstände mehr gibt. (Bundesrat Stögmüller: Warum stört dich das?) Diese Bevölkerungsgruppe macht es uns sehr leicht, sie als Feindbild zu erkennen.
Auch da haben wir die Problematik, dass da von der linken Seite gleich wieder welche schreien: „Warum stört dich das?“ – Wir haben hier also sehr vielfältige Interessen, die eigentlich alle für die Bevölkerung nicht mehr richtig zu erkennen sind. Es ist natürlich problematisch, wenn es abgelehnt wird, einer Frau die Hand zu geben oder mit ihr zu sprechen. Wenn eine Parallelgesellschaft entsteht, ist das auch nicht gerade das Beste und das Feine. Man muss von diesen Menschen einfordern, dass sie sich auch an die Gepflogenheiten unseres Landes halten. Sollte dies nicht geschehen, wird es sicher weiter zu einer Radikalisierung der Mehrheitsbevölkerung kommen.
Vorher sind jedoch schon andere Feindbilder geschaffen worden: Arbeiter gegen Angestellte, Arbeitslose gegen Arbeitende, alle gegen die Beamten – mit Desinformatio-
nen über die Gehälter der Beamten. (Bundesrat Rösch: Dienstag Mittag!) Da ist gesagt worden, die hätten 16 Monatsgehälter – das ist kompletter Schwachsinn. Da kamen Aussagen, laut denen wir unserer Jugend die Zukunft stehlen, daher müssen wir die Pensionen kürzen und die Menschen länger arbeiten. Es wurde auch gesagt, die Jungen werden keine Pension mehr erhalten und müssen privat vorsorgen.
Dass wir die Entwicklung solcher Feindbilder eigentlich verhindern müssen, ist uns allen klar, und doch werden diese Vergleiche immer öfter und massiver strapaziert, gerade von Politikern, die ihre Vorstellungen auf diese Weise durchsetzen wollen. Gott sei Dank kennen wir ja solche Politiker nicht, denn die würden sich ja jetzt zu Wort melden und alles als Schwachsinn darstellen.
Die Mechanismen sind immer die gleichen, und wir können, wenn wir wollen, aus der Zeit des Nationalsozialismus Schlüsse ziehen, die es uns ermöglichen, solche Gefahren frühzeitig zu erkennen und zu verhindern.
Darum ist es wichtig, diesen Institutionen mehr Geld zu geben, um in der Zukunft für die Jugend in den Bereichen Bildung, Geschichtsbewusstsein und Ethikbildung reüssieren zu können. Denken wir doch einmal gemeinsam darüber nach. – Ich glaube, das wird uns allen ein wenig gut tun – und nicht immer sofort schreien!
Und zu dir (in Richtung Bundesrätin Mühlwerth): Der Zukunftsfonds hat auch genau diese Aufgaben. (Beifall bei der SPÖ.)
15.10
Vizepräsident Mag. Ernst Gödl: Als Nächster zu Wort gemeldet ist Herr Bundesrat Dr. Köll. – Bitte.
15.10
Bundesrat Dr. Andreas Köll (ÖVP, Tirol): Sehr geehrter Herr Präsident! Geschätzte Kolleginnen und Kollegen! Kollege Beer hat eigentlich über beide Gesetze schon hinlänglich referiert, was deren Inhalt und Intention betrifft. Ich darf noch einmal in Anknüpfung an die durchaus interessanten Diskussionen im zuständigen Ausschuss ein herzliches Dankeschön an die beiden heute hier im Redoutensaal anwesenden Vorsitzenden Dr. Kurt Scholz und Professor Herwig Hösele richten. Es ist eine sehr wertvolle Tätigkeit, die Sie im Dienste der Republik und für unsere Bevölkerung – natürlich auch für unsere Gäste und weit darüber hinaus – wahrnehmen, um das Ansehen Österreichs, das sich in den letzten Jahrzehnten durchaus aufgebaut hat, auch weiterhin auszubauen.
Man kann natürlich vielschichtig diskutieren und viele Zugänge zu diesen schwierigen Themata nehmen, aber, lieber Kollege Beer – ich habe das ein bisschen mitbekommen –: Die Position unserer Fraktion zum Thema Ehe und Verpartnerung von gleichgeschlechtlich orientierten Menschen ist einfach, dass es aus der Sicht des Team Kurz und der Neuen Volkspartei keinerlei Diskriminierung geben darf. Im Dritten Reich, das wissen wir, hat es diese Diskriminierung sogar bis hin zur Verfolgung und zur Vernichtung gegeben, und man muss das sicherlich getrennt von den aktuellen Entwicklungen sehen, weil da zumindest für mich keinerlei Konnex erkennbar ist. (Zwischenruf des Bundesrates Mario Lindner.)
Wir haben sicherlich kein Problem mit einer Dokumentierung von Partnerschaften, aber wir glauben – wahrscheinlich mit großer Mehrheit –, dass die Institution der Ehe andere staatspolitische und grundsätzliche Aufgaben als die Dokumentation einer durchaus zulässigen Lebensform, die nicht diskriminiert werden darf, hat.
Lieber Kollege Beer, Sie haben es zwar gesagt, aber Sie haben vom Thema nicht mehr viel übrig gelassen. So darf ich vielleicht kurz berichten, wie es mir hier im Hause beim Orientierungslauf gegangen ist. Ich bin da zufällig in der Nationalbibliothek auf eines der Museen der Nationalbibliothek, nämlich auf das Papyrusmuseum gestoßen. Sie wer-
den sich jetzt fragen: Was hat das Papyrusmuseum mit diesen beiden Fonds zu tun? – Ich möchte versuchen, einen grundsätzlichen Zugang zu wählen, weil es durchaus nicht nur in der herrschenden Lehre, sondern auch im Umgang mit diesen schwierigen Themen zwei Meinungen gibt: Soll man verschweigen, vergessen, verdrängen? Soll man es aufarbeiten, und mit welchen Instrumentarien soll man das tun?
Sie werden vielleicht einmal während der Beschäftigung mit der Antike oder der ägyptischen Geschichte auf die beiden Begriffe damnatio memoriae oder abolitio nominis gestoßen sein. Sie bezeichnen die Auslöschung bestimmter Symbole, Artefakte, Erinnerungen. Ich möchte das hier einmal völlig wertneutral bekunden. Es geht dabei rein um die Methodik des Zuganges. Wir haben aus den Zeiten des Dritten Reiches Täterorte – das ist vielleicht der Obersalzberg, das ist Nürnberg –, wir haben Opferorte und natürlich auch Täterorte – das ist Auschwitz-Birkenau, das sind viele andere Konzentrationslager –, und wir haben vielleicht auch einen neutralen Ort, das ist Braunau am Inn, der – genauso wie die ganze Region – mit dem Stigma leben muss, dass dort das Geburtshaus Adolf Hitlers steht, das Haus des Herrn Schicklgruber, das sich über einige Jahre auch im Eigentum dieser Familie befunden hat.
Jetzt möchte ich gerne anhand dieses Beispiels dokumentieren, wie wichtig es ist, nicht zu verdrängen, nicht zu vergessen und vielleicht auch, derartige Einrichtungen nicht abzureißen, so wie man das vielleicht im alten Rom oder im alten Ägypten getan hätte. Denken Sie an die Zeit von Echnaton, das war damals der Vorläufer einer Art monotheistischen Religion mit Aton. Es wurde später versucht, sowohl dessen Symbole als auch das Andenken an Echnaton auszuradieren. Das hat beides nicht gewirkt, weil genau das Gegenteil dabei herausgekommen ist, nämlich die Erinnerung an das Vergessen. Ebenso schwierig sind wahrscheinlich auch heute die Zugänge zu diesen Themen: Wie soll man unseren jungen Menschen derartige Themata beibringen, damit so etwas zumindest in Österreich, in den westlichen Demokratien, in der westlichen Welt nie mehr passiert? Darüber hinaus können wir es leider nur völkerrechtlich und über die Vereinten Nationen beeinflussen.
Umso wichtiger ist diese wertvolle Tätigkeit, die da stattfindet. Sie verdient jegliche Unterstützung, auch seitens des österreichischen Parlamentes, des Nationalrates und natürlich auch des Bundesrates, weshalb ich die Zustimmung zu diesen beiden Gesetzentwürfen hier empfehlen darf. – Danke. (Beifall bei ÖVP und SPÖ.)
15.16
Vizepräsident Mag. Ernst Gödl: Als Nächster zu Wort gemeldet ist Herr Bundesrat Jenewein. – Bitte, Herr Bundesrat.
15.16
Bundesrat Hans-Jörg Jenewein, MA (FPÖ, Wien): Meine sehr geehrten Damen und Herren! Herr Präsident! Nach meinem Kollegen Beer und meinem Kollegen Köll ist jetzt wirklich nicht mehr viel da. (Bundesrätin Zwazl: Von den beiden ist schon noch genug da!) – Sie sind schon da, aber inhaltlich ist nicht mehr allzu viel zu sagen. Das wollte ich damit sagen. Es wurde jetzt auch ein großer Bedeutungsbogen in die Antike gespannt. Herr Kollege Beer hat es ein bisschen anders gemacht, er hat von den Würstelständen geredet, und dann waren wir in der Antike. Ich denke – und nehme auch an, dass wir uns dabei einig sind –, die beste Firewall gegen Entwicklungen, die wir alle nicht wollen, ist ein starkes und funktionierendes Parlament, mit funktionierendem Dialog und funktionierender inhaltlicher Auseinandersetzung.
Solange das gegeben ist, mache ich mir um die Demokratie in diesem Land keine Sorgen. Das Problem, das ich vielmehr sehe, ist, dass es Tendenzen vielfältiger Natur gibt, den Parlamentarismus mehr und mehr in den Hintergrund zu drängen, parlamentarische Entscheidungen auszulagern, Verantwortungen auszulagern. Ab dem Zeitpunkt,
an dem wir das Heft des Handelns nicht mehr in der Hand haben – auch in diesem Haus das Heft des Handelns nicht mehr in der Hand haben –, entscheidet jemand anderer. Ab jenem Zeitpunkt können wir selbst nicht mehr entscheiden. – So ist auch mein Appell zu verstehen.
Unsere Fraktion wird dem hier selbstverständlich zustimmen. Wir freuen uns ja auch, dass da speziell mit dem ehemaligen Wiener Stadtschulratspräsidenten Scholz wirklich jemand federführend tätig ist, der sich schon in der Vergangenheit bei all seinen Tätigkeiten, die er nach seiner Tätigkeit als Stadtschulratspräsident im politischen Bereich ausgeübt hat, einen Ruf erarbeitet hat, und zwar den Ruf eines fairen, eines sehr überlegten und mit Fingerspitzengefühl ausgestatteten Menschen. – Es ist gut so, dass dem so ist.
Ich denke nur, wenn wir über diese Themen reden, sollten wir nie den Dialog zwischen den Parteien und den Dialog untereinander gering schätzen, denn ab dem Zeitpunkt, an dem das passiert, sind wir in einer Situation, in der es eigentlich nur mehr ein paar Schritte bis zur Gesprächsverweigerung braucht. Wenn die einmal da ist, dann ist etwas in diesem Land gefährdet, das uns allen sehr am Herzen liegen sollte, nämlich die Demokratie in diesem Land. – Herzlichen Dank. (Beifall bei der FPÖ sowie bei Bundesräten von ÖVP und SPÖ.)
15.18
Vizepräsident Mag. Ernst Gödl: Nun darf ich Frau Bundesrätin Dr. Reiter das Wort erteilen. – Bitte, Frau Bundesrätin.
15.19
Bundesrätin Dr. Heidelinde Reiter (Grüne, Salzburg): Es wurde bei diesen Tagesordnungspunkten wirklich ein großer Bogen gespannt. Ich möchte nur kurz Folgendes dazu bemerken: Ich kenne den Obersalzberg sehr gut und weiß auch, wie sich das über die vielen Jahre entwickelt hat. Ich denke, das Erinnern, das Umgehen mit Geschichte, das Umgehen mit den Orten der Geschichte, wo diese tatsächlich stattgefunden hat, ist auch ein dynamischer Prozess. Am Obersalzberg hat man praktisch alles bis auf das Teehaus abgerissen, aber es gibt dort heute eine ganz tolle Dokumentationsstelle.
Das ist ein Ort, an dem viel passiert: Vermittlung, Darstellung – das hat es zuvor über viele Jahre nicht gegeben –, modernste Museumspädagogik und auch eine Ausbildung der Menschen, die diese Dinge vermitteln und weitergeben.
Also ich denke, dass sich das auch in Zukunft immer wieder verändern wird: Welche Möglichkeiten haben wir, welche hat man oder welche werden genutzt, um Erkenntnisse oder das Lernen aus historischen Prozessen weiterzugeben?
Beim Nationalfonds der Republik Österreich für Opfer des Nationalsozialismus war es einfach so, dass sich die ursprüngliche Tätigkeit auch aufgrund der erledigten Auszahlungen deutlich reduziert hatte. Ändert sich also die Aufgabe und sozusagen auch das Ziel für diesen Nationalfonds? – Mit den jetzt zur Verfügung gestellten Mitteln soll die Ausstellung im sogenannten Österreich-Pavillon in Auschwitz-Birkenau saniert, neu gestaltet und der Betrieb nach der Neueröffnung koordiniert werden. Ich denke, das ist ein sehr wichtiger Prozess, da heute die Ansprüche an eine solche Ausstellung, an die Art der Vermittlung und so weiter andere sind, als sie es noch vor zehn, 15 oder 20 Jahren waren.
Ich denke, es ist auch wichtig, Mittel zur Verfügung zu stellen, damit die Ausbildung der Vermittler, aber auch die Art der Präsentation entsprechend angepasst und verändert werden. Ich danke für diese Tätigkeit und für das Weiterführen dieses wichtigen Projektes; auch die Beratung von Angehörigen von NS-Opfern und so weiter wird weitergeführt.
Zum Zukunftsfonds der Republik Österreich: Dr. Kurt Scholz hat ja Gott sei Dank heute verlautbart, dass der Fonds – der ein verzehrender Fonds ist; diesen Ausdruck habe ich heute gelernt – vor dem Aus stünde. Ich möchte schon mit einigem Stolz vermerken, dass es vor allem wir waren, die tatsächlich versucht haben, auf allen Ebenen Druck zu machen – auch mit Aussendungen und so weiter –, um die Aufmerksamkeit dafür sicherzustellen. Gott sei Dank, und vielen Dank dafür, ist es dann zu einer ganz breiten Unterstützung dieser Arbeit gekommen, denn das Ende hätte auch das Ende zahlreicher erinnerungspolitischer Projekte bedeutet. Vielen Dank also für die einhellige Zustimmung zur Weiterführung dieser wichtigen Arbeit.
Es wurden bisher ungefähr 2 000 Projekte gefördert. Liest man sich den Ausschussbericht durch und stellt sich die Frage: Was ist die Zukunftsorientierung?, so ist diese dort klar als „Förderung von Toleranz und Nicht-Diskriminierung vor allem in Österreich“, aber auch in „den Partnerländern“ definiert. Ich denke, das geht weit über Erinnerungskultur und so weiter hinaus. Ebenso soll die Achtung der Menschenrechte gefördert und in verschiedenen Projekten weitergetragen werden. – Das ist eine immens wichtige und bedeutsame Arbeit.
Ob jedes Projekt zum Erfolg führt, das kann so nicht gesagt werden, aber ich glaube, es ist wichtig, dafür Gelder und einen Rahmen, in dem eine solche Arbeit gemacht werden kann, zur Verfügung zu stellen. Die Arbeit wird sich natürlich über die Jahre auch dynamisch entwickeln, die Ansprüche daran oder die Umgangsweise damit werden sicher in fünf bis zehn Jahren wieder ganz andere sein, auch weil sich die Dinge, die einem zur Verfügung stehen – neue Medien, eine andere und neue Art der Vermittlung und so weiter – entsprechend dynamisch verändern.
Ich danke für die breite Unterstützung für diese Projekte und danke insbesondere auch Herrn Dr. Kurt Scholz, dass er die Initiative ergriffen, auf eine Weiterführung dieses Projektes gedrängt und sich dafür sehr massiv eingesetzt hat. Wünschen wir diesen Projekten viel Erfolg in unser aller Sinn!
Ich danke für Ihre Aufmerksamkeit. Ich glaube, der Beschluss dieser beiden Projekte, dieser beiden Fonds und ihrer Dotierung ist ein schöner Schluss. – Danke. (Allgemeiner Beifall.)
15.24
Vizepräsident Mag. Ernst Gödl: Weitere Wortmeldungen liegen dazu nicht vor.
Wünscht noch jemand das Wort? – Das ist nicht der Fall. Die Debatte ist geschlossen.
Wir kommen zur Abstimmung; diese erfolgt getrennt.
Wir kommen zunächst zur Abstimmung über den Beschluss des Nationalrates vom 20. September 2017 betreffend ein Bundesgesetz, mit dem das Bundesgesetz über den Nationalfonds der Republik Österreich für Opfer des Nationalsozialismus geändert wird.
Ich ersuche jene Bundesrätinnen und Bundesräte, die dem Antrag zustimmen, gegen den vorliegenden Beschluss des Nationalrates keinen Einspruch zu erheben, um ein Handzeichen. – Dies ist die Stimmeneinhelligkeit. Der Antrag ist somit angenommen.
Nun kommen wir zur Abstimmung über den Beschluss des Nationalrates vom 20. September 2017 betreffend ein Bundesgesetz, mit dem das Zukunftsfonds-Gesetz geändert wird.
Ich ersuche jene Bundesrätinnen und Bundesräte, die dem Antrag zustimmen, gegen den vorliegenden Beschluss des Nationalrates keinen Einspruch zu erheben, um ein Handzeichen. – Das ist die Stimmeneinhelligkeit. Der Antrag ist somit angenommen.
. Punkt
10Antrag der Bundesräte Edgar Mayer, Reinhard Todt, Mag. Nicole Schreyer, Kolleginnen und Kollegen betreffend Abhaltung einer parlamentarischen Enquete gemäß § 66 GO-BR zum Thema: „Die Zukunft der EU – aus Sicht der Bundesländer und Regionen“ (240/A-BR/2017)
Vizepräsident Mag. Ernst Gödl: Wir kommen nun aufgrund der ergänzten Tagesordnung zum neuen 10. Punkt der Tagesordnung.
Zu Wort ist dazu niemand gemeldet.
Damit kommen wir zur Abstimmung über den Antrag der Bundesräte Edgar Mayer, Reinhard Todt, Mag. Nicole Schreyer, Kolleginnen und Kollegen betreffend Abhaltung einer parlamentarischen Enquete gemäß § 66 der Geschäftsordnung des Bundesrates.
Ich bitte jene Bundesrätinnen und Bundesräte, die diesem Antrag Ihre Zustimmung geben, um ein Handzeichen. – Dies ist die Stimmeneinhelligkeit. Der Antrag auf Abhaltung der gegenständlichen Enquete ist somit angenommen.
Hinsichtlich des Termins, der Tagesordnung und des Teilnehmerkreises für die soeben beschlossene Enquete darf ich auf den bereits allen Mitgliedern des Bundesrates zugegangenen Selbständigen Antrag 240/A-BR/2017 verweisen.
Die Tagesordnung ist erschöpft.
Verlesung eines Teiles des Amtlichen Protokolls
Vizepräsident Mag. Ernst Gödl: Es liegt mir das schriftliche Verlangen von fünf Mitgliedern des Bundesrates vor, das Amtliche Protokoll hinsichtlich des Tagesordnungspunktes 7 zu verlesen, damit dieser Teil des Amtlichen Protokolls mit Schluss der Sitzung als genehmigt gilt. Dadurch soll die umgehende Beschlussfassung ermöglicht werden.
Ich werde daher so vorgehen und verlese nunmehr den entsprechenden Teil des Amtlichen Protokolls:
„TO-Punkt 7: Beschluss des Nationalrates vom 4. Oktober 2017 betreffend ein Bundesgesetz, mit dem das Niederlassungs- und Aufenthaltsgesetz, das Fremdenpolizeigesetz 2005, das Asylgesetz 2005, das BFA-Verfahrensgesetz, das Grundversorgungsgesetz – Bund 2005 und das Grenzkontrollgesetz geändert werden (Fremdenrechtsänderungsgesetz 2017 – FrÄG 2017) (2285/A)
Die Bundesräte Gerhard Schödinger, Martin Weber, Kolleginnen und Kollegen bringen den Antrag gemäß § 43 Abs. 1 GO-BR (Beilage VII/1), gegen den vorliegenden Beschluss keinen Einspruch zu erheben, ein.
Abstimmung: Antrag der Bundesräte Gerhard Schödinger, Martin Weber, Kolleginnen und Kollegen, keinen Einspruch zu erheben, wird angenommen (mit Stimmenmehrheit).“
*****
Erheben sich Einwendungen gegen die Fassung oder den Inhalt dieses Teiles des Amtlichen Protokolls? – Das ist nicht der Fall.
Dieser Teil des Amtlichen Protokolls gilt daher gemäß § 64 Abs. 2 der Geschäftsordnung des Bundesrates mit Schluss dieser Sitzung als genehmigt.
*****
Geschätzte Damen und Herren, ich darf noch darauf hinweisen, dass auf Ihren Plätzen Zettel aufgelegt wurden, um Anregungen und Anmerkungen zum Betrieb des Bundesrates hier in diesem Sitzungssaal abzugeben.
Wer eine Anregung hat, möge bitte die beiden Urnen an den Seiten verwenden, um diese Zettel einzuwerfen.
Vizepräsident Mag. Ernst Gödl: Ich gebe bekannt, dass seit der letzten beziehungsweise in der heutigen Sitzung insgesamt fünf Anfragen, 3253/J-BR/2017 bis 3257/J-BR/2017, eingebracht wurden.
Eingelangt ist der Entschließungsantrag 239/A(E)-BR/2017 der Bundesräte Werner Herbert, Kolleginnen und Kollegen betreffend Ausgleichsmaßnahmen für besondere Erschwernisse des Exekutivdienstes im Nachtdienst, der dem Ausschuss für Verfassung und Föderalismus zugewiesen wird.
*****
Die Einberufung der nächsten Sitzung des Bundesrates wird auf schriftlichem Wege erfolgen. Als Sitzungstermin wird Mittwoch, der 25. Oktober 2017, 9 Uhr, in Aussicht genommen.
Für die Tagesordnung dieser Sitzung kommen insbesondere jene Beschlüsse in Betracht, die der Nationalrat bis dahin verabschiedet haben wird, soweit diese dem Einspruchsrecht beziehungsweise dem Zustimmungsrecht des Bundesrates unterliegen.
Die Ausschussvorberatungen sind für Montag, den 23. Oktober 2017, 14 Uhr, vorgesehen.
Diese Sitzung ist geschlossen.
Schluss der Sitzung: 15.29 Uhr
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