12.55.06

Bundesrätin Inge Posch-Gruska (SPÖ, Burgenland)|: Sehr geehrter Herr Präsident! Herr Bundeskanzler – nicht mehr da! Herr Vizekanzler! Sehr geehrte Minister und Ministerinnen! Werte Kolleginnen und Kollegen! Sehr geehrte Damen und Herren vor den Fernsehschirmen und natürlich auf der Besuchergalerie! Ich möchte, bevor ich auf die Regierungserklärung eingehe, Folgendes sagen: Monika, das war jetzt direkt schön. Es hat jetzt so einige Punkte gegeben, bei denen ich mir gedacht habe: Ja, richtig staatstragend, jetzt sind die Rollen getauscht. (Bundesrätin Mühlwerth: Na schau! – Heiterkeit bei SPÖ und ÖVP.) Meine Rolle ist jetzt aber auch eine andere, also wird es halt etwas anders werden.

Zur Bildung möchte ich sagen: Monika, es stimmt, dass die Bildung das Wichtigste ist, dass Aufstieg nur über Bildung möglich ist. Dass da die Regierung jetzt Studien­gebühren einführen will – damit wird das ein bisschen leichter werden, nicht? Also da ist man schon in einer etwas verzwickten Position, wobei man das, was man vorher gesagt hat, dann anders macht, wenn man in der Regierung ist.

Zu lange in der Arbeitslosigkeit, diesen Punkt hast du angeschnitten, Monika: Stimmt! Ich habe das schon einige Male hier herinnen gesagt. Bei dem Beschäftigungsprojekt im Bezirk Mattersburg, dem ich vorstehen darf, bei dem wir Langzeitarbeitslose be­schäftigen, sehen wir, wie schwer es für Menschen ist, die lange in der Arbeitslosigkeit sind, wie auch das Selbstwertgefühl schrumpft und wie wichtig es ist, diese zu unter­stützen. Als Antwort darauf die Aktion 20 000 zu kürzen, ist leider auch der falsche Weg; auch das kann es nicht sein. (Bundesrätin Mühlwerth: Das ist ja ein Makula­turprogramm!)

Nach der Schule sofort in die Mindestsicherung, das sei das linke Bild für den Lebens­weg der Menschen, hat der Herr Vizekanzler gesagt. Das mag vielleicht sein linkes Bild sein. Unser linkes, sozialistisches Bild, solidarisches Bild ist ein anderes. Herr Vizekanzler, ich weiß nicht genau: Zuerst habe ich mir gedacht, vielleicht ist die Kreide schon aufgebraucht gewesen, die sowohl Kanzler als auch Vizekanzler geschluckt haben, als sie sich in der Regierungserklärung gegenseitig die schönen Sätze gesagt haben.

Monika hat etwas gesagt, was wirklich stimmt, jedenfalls meiner Meinung nach. Man konnte in der Regierung nicht mehr miteinander. Da muss man auch irgendwann einmal sagen: Ja, stimmt, man konnte nicht mehr!, und man muss dann auch fragen: Okay, welchen Weg wollen wir gehen?

Der jetzige Herr Bundeskanzler ist schon sehr lange in der Regierung, auch wenn man es nicht immer gemerkt hat, aber trotzdem, er ist schon sehr lange in der Regierung. Herr Vizekanzler, Sie waren sehr lange im Nationalrat. Und plötzlich gibt es ein neues Miteinander. Ich weiß nicht: Hängt der Charakter von der Funktion ab oder kann man ein neues Miteinander, etwas Gemeinsames, ein Füreinander auch leben, wenn man gerade nicht Bundeskanzler oder Vizekanzler ist, wenn man Mandatar oder Mandatarin ist und für Österreich etwas verbessern will? Ich denke, das kann man und das sollte man auch. (Beifall bei der SPÖ.)

Ich bin der Meinung – so bin ich in die Politik gegangen und so gestalte ich mein politisches Weltbild –, eine Gesellschaft ist so stark, wie die Schwächsten in der Ge­sellschaft gestützt beziehungsweise unterstützt werden. Auch das hat der Herr Bun­despräsident bei der Angelobung der Regierung gesagt. Ich denke, dass das ein sehr wichtiger Grundsatz ist und dass dieser Grundsatz gelebt werden soll. Ich gestalte meine politische Arbeit nach diesem Grundsatz. Unter dieser Prämisse habe ich auch das Regierungsprogramm gelesen.

Unser Präsident Edgar Mayer hat es heute schon gesagt, der Bundesrat, die Län­derkammer zeichnet sich dadurch aus, dass wir diskutieren, zuhören können und miteinander neue Wege gehen. Daher möchte ich der neuen Regierung gleich zu Beginn ein Lob aussprechen – ein Lob dafür, dass die Mindestpension erhöht worden ist, dass die Mindestpension auf 1 200 Euro erhöht worden ist, und das auch für Teilzeitbeschäftige, sofern ich das richtig gelesen habe. Ich glaube, das ist sehr, sehr wichtig und sehr, sehr gut – wirklich ein Danke dafür!

Ich wollte dann im Regierungsprogramm über die Entlastung von kleinen oder mittleren Einkommen weiterlesen. Leider habe ich da über kleine Einkommen nichts gefunden, über mittlere Einkommen sehr wenig gefunden. Dafür habe ich aber im Regierungs­programm Steuergeschenke gefunden – Steuergeschenke für Großspender, und das sogar in Millionen- beziehungsweise in Milliardenhöhe. (Bundesrat Preineder: Was?) Das hat mich wirklich sehr, sehr verwundert.

Zur direkten Demokratie – auch Sie haben es wieder angesprochen, Herr Vize­kanzler –: Da ist den Menschen viel versprochen worden, viel Mitbestimmung, aber leider nicht viel eingehalten worden. Ich möchte nur TTIP und Ceta kurz nennen, aber auch erwähnen, dass die FPÖ Burgenland, als sie angetreten ist, auch die direkte Demo­kratie als wichtiges Ziel genannt hat, aber es hat seit zweieinhalb Jahren im Burgenland keine Bürgerbefragung gegeben. Ich bin gespannt, wie das die Bundes­regierung halten und es hier weitergehen wird.

Ich möchte jetzt gerne auf einzelne Kapitel eingehen, als Erstes natürlich auf das Kapitel Familie und Frauen. Die für Familien und Frauen zuständige Bundesministerin ist Frau Dr. Juliane Bogner-Strauß. Allein die Zusammenlegung von diesen zwei Ministerien, von den Angelegenheiten Familie und Frauen ist ein Rückschritt, und ich möchte Ihnen auch sagen, warum es meiner Meinung nach ein Rückschritt ist: Wir haben sehr lange und sehr intensiv dafür gekämpft und auch hier im Parlament sehr viele Maßnahmen gemeinsam beschlossen, die Ausdruck dafür sind, dass wir die Familienpolitik nicht nur als Frauenpolitik sehen (Beifall bei der SPÖ), dass wir die Familienpolitik auch für die Männer öffnen wollen, dass wir den Männern die Chance lassen sollen, da dabei sein zu können, dass Familie gleich viel wert und gleich wichtig ist. Wenn jetzt die Frauenpolitik wieder zur Familienpolitik dazukommt – ich weiß, es muss nicht gleich nur einen Rückschritt bedeuten –, dann wird nach außen wieder das Bild vermittelt, und Bilder prägen nun einmal: Frau und Familie, das ist die heile Welt; und da braucht man dann wieder sehr, sehr viel Kraft, um auch den Männern wieder die Möglichkeit zu geben, da dabei zu sein, mitentscheiden und partizipieren zu können.

Der Familienbonus ist heute auch schon angesprochen worden. BezieherInnen von Einkommen unter 1 250 Euro bekommen keinen Bonus. Aber bitte, das sind die, die es brauchen würden, die brauchen diesen Bonus! (Beifall bei SPÖ und Grünen.) Wir wissen, dass die FPÖ hier ganz andere Ansätze gehabt hat. Herr Vizekanzler, ich habe Ihnen sowohl im Nationalrat als auch hier zugehört, und ich weiß, man muss Abstriche machen, aber bitte doch nicht auf dem Rücken der Schwächsten! 1 250 Euro – wissen Sie, wie wenig Geld das ist, mit dem die Leute auskommen müssen? Das geht ja gar nicht! Unter 1 250 Euro gibt es nichts für die Familien, die brauchen es aber! Von der ÖVP, Entschuldigung, Kolleginnen und Kollegen, habe ich mir das fast erwartet, da bin ich jetzt nicht sehr überrascht, weil jeder natürlich seinen Weg verfolgt, aber bei der FPÖ tut es mir schon sehr weh.

Ich hoffe, dass das Zukunftsmotto – ich habe gegoogelt, habe aber leider nichts gefunden – beim Familien- und Frauenministerium, dass das Motto für die Frauen zukünftig in unserem Land nicht sein wird: Frauen zurück an den Herd, Frauen zurück in die Familie!, sondern dass wir die Frauenpolitik, die jetzt aufgebaut wurde, weiter vorantreiben und eine gute Zukunft für die Frauen gestalten können.

Das, was ich noch als positiv hervorstreichen will, ist die Hilfe  18 plus. Im Bundesrat gibt es einen Kinderrechteausschuss, in dem wir schon darüber gesprochen haben, wie notwendig und wichtig diese Hilfe 18 plus ist, speziell für diejenigen, die nicht in einer Familie leben können und weitere Hilfe brauchen. Dieses Programm 18 plus ist sehr wichtig und sehr notwendig und auch im Regierungsprogramm erwähnt. Ich hoffe, dass wir dann in der Diskussion auch noch den Rechtsanspruch hineinargumentieren können, aber ich denke, das ist ein notwendiger und wichtiger Schritt, der hier auch verankert ist. (Beifall bei SPÖ und Grünen.)

Die Kinderrechte werden im Regierungsprogramm leider gar nicht erwähnt. (Vize­kanzler Strache: O ja, das Recht der Kinder auf Mutter und Vater!) – Das Recht der Kinder auf Mutter und Vater – stimmt, Herr Vizekanzler, das habe ich glatt überlesen! (Allgemeine Heiterkeit.) Darauf gehe ich jetzt nicht extra ein, aber die Kinderrechte explizit sind nicht erwähnt. Sie werden als zukünftige Erwachsene genannt bezie­hungs­weise als Asylwerber, und da, denke ich, haben wir auch noch etwas zu tun.

Der Begriff Familie – das passt jetzt eh gut zu dem Recht der Kinder auf Mutter und Vater – ist lange und sehr intensiv bei uns – im Hohen Haus, innerhalb der Parteien – diskutiert worden. Österreich hat einen modernen, einen offenen und vor allem einen vielfältigen Begriff von Familie. Leider ist dieser offene, moderne und vielfältige Begriff von Familie im Regierungsprogramm auch nicht zu finden.

Es gibt nicht nur die Form Mutter, Vater, Kind, es gibt viele Formen. Wir leben nicht mehr - - (Bundesrätin Mühlwerth: Das seht aber nur ihr so!) Nein, ich lebe in der Realität, liebe Monika! Ich lebe in der Realität, und die ist eben so; das zu sehen ist notwendig. (Beifall bei SPÖ und Grünen.)

Es finden sich auf diesen 179 Seiten leider sehr viele Allgemeinplätze. Mag so sein, das ist auch Ihr gutes Recht, weil man ja nicht alles gleich am ersten Tag reinschreiben kann, das gebe ich schon zu, aber es gibt trotzdem sehr viele Allgemeinplätze, die wir hoffentlich noch gut ausbauen können.

Das, was mir aber im Regierungsprogramm Angst macht, ist der Umstand, dass ich drinnen Ansätze lese, in denen das Bild vom wahren Menschen gezeichnet wird. Ich glaube, dass wir das im Jahr 2017 nicht mehr leben können. Das Bild eines wahren Menschen, eines einzigen Menschen, das wir alle verkörpern sollten, wird es nicht geben. Modern, offen und vielfältig – so ist unser Österreich und so soll es auch blei­ben. (Beifall bei SPÖ und Grünen.)

(In den Unterlagen suchend und dabei seufzend:) Die Deckelung der Mindestsicherung will ich noch ganz kurz anschneiden. (Heiterkeit. – Ja-Rufe bei ÖVP und FPÖ.) – Euch geht es auch schon so? Mensch, ich sag’s euch! Dabei hätte ich noch so viel, und ich werde gar nicht fertig damit. – Ganz kurz: Die Deckelung der Mindestsicherung ist eine Maßnahme, die die Armut in Österreich fördert und vor allem den sozialen Zusam­menhalt gefährdet. Und das ist das, was mir am meisten Angst macht, denn dieser soziale Zusammenhalt ist wichtig, den brauchen wir! Wir können kein Auseinan­derdividieren der Gesellschaft zulassen, denn sobald wir auseinanderdividieren, wird es Leute geben, die nicht nur in die Armut gedrängt werden, sondern wirklich an den Rand der Gesellschaft gedrängt werden, und wie es denen dort geht und wie sich die wieder heraushelfen, ist die Frage. Das könnte in die Kriminalität führen. Und genau da sollten wir Präventivarbeit leisten, das wäre wichtig. (Beifall bei der SPÖ.)

Das Wort Kinderarmut fehlt ganz, wie überhaupt Armut in Österreich im Regie­rungs­programm fehlt. Ich möchte zum Thema Armut nur ganz kurz etwas vorlesen – dafür erspare ich euch den Bereich Asyl, darauf gehe ich dann nur mehr mit einem Satz ein –, ich möchte ganz kurz aus einem Beitrag von Julia Ortner in den „Vorarlberger Nachrichten“ zitieren, von einer Vorarlbergerin, Herr Präsident (Präsident Mayer: Wunderbar!):

„Arm ist nicht nur der Obdachlose, der nachts in einer Notschlafstelle Zuflucht sucht. Wenn man in einer feuchten Wohnung leben muss, sich das Heizen nicht leisten kann, chronisch krank ist, abgetragene Kleidung nicht ersetzen kann, wenn ein kaputter Kühlschrank gleich Ausnahmezustand bedeutet – dann pflegt man keinen beschei­denen Lebensstil, dann ist man arm.

Schon jetzt führen die meisten Mindestsicherungsbezieher mit 838 Euro kein schönes Leben, nein, sie überleben. Und wie sollen die anerkannten Flüchtlinge unter ihnen künftig von 520 Euro existieren, wie wohnen, wie essen? Was wird aus den Kindern größerer Familien, die von der Deckelung betroffen sind? Die armen Menschen werden nicht einfach verschwinden, nur weil man Leistungen kürzt.“

Ich glaube, das sollten wir wirklich beachten, das sollten wir mitdenken! Das müssen wir bei jeder Entscheidung einfach mitdenken!

Die Aktion 20 000 habe ich erwähnt – hörts, jetzt bin ich bald fertig. Ich möchte nur einen Satz noch zu den Asylwerbern sagen. (Zwischenrufe bei der FPÖ.) Nur noch einen Satz.

Es war bei der Regierungserklärung so, es ist auch heute ganz kurz gefallen - - (Ruf bei der FPÖ: Das ist nicht kollegial!) – Ich bin eh sonst sehr kollegial. Ein paar Minuten kriege ich jetzt.

 

Präsident Edgar Mayer: Frau Kollegin, es sind schon 14 Minuten!

 

Bundesrätin Inge Posch-Gruska (fortsetzend): Ja, ich bin gleich fertig, Herr Präsi­dent!

Bei der Regierungserklärung im Nationalrat ist es ein paarmal gefallen, heute nur ganz kurz erwähnt worden: Bitte hören wir auf, mit einzelnen Gruppen, die in Österreich sind, Angst zu schüren und Hetze zu schüren! (Beifall bei SPÖ und Grünen.) Die Flüchtlingswelle hat niemanden überrollt, es ist niemand in Österreich ertrunken, wir haben Menschen geholfen, und das sehr gut. (Beifall bei SPÖ und Grünen.)

Ganz zum Schluss noch einen Satz: Ich bin heute vom Burgenland nach Wien ins Parlament gefahren, und da wurde ein Lied im Radio gespielt, das heißt: „I leb in ana Wolk’n“, i leb in meiner eig’nen Welt. – Das Recht, so zu leben, hat jeder und jede, nur an jene, die Verantwortung in Österreich tragen, mein Appell: Bitte werdet munter, bitte seht alle Menschen in Österreich, seht alle die Menschen, die Hilfe ganz notwendig haben, die sozial Schwachen! Aber seht auch klar die Menschen, die Unternehmer sind und den Menschen Arbeit geben! Vergesst nicht auf die sozial Schwachen! Ich wünsche euch diese Erleuchtung zu Weihnachten beziehungsweise spätestens am 6. Jänner. – Danke schön. (Beifall bei SPÖ und Grünen.)

13.09

Präsident Edgar Mayer: Als Nächster zu Wort gemeldet ist Kollege Mag. Gerald Zelina. – Bitte.