13.45.03

Bundesrätin Renate Anderl (SPÖ, Wien)|: Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrter Herr Bundeskanzler! – Der Vizekanzler ist uns jetzt abhandengekommen. – Liebe Minister und Ministerinnen! Liebe Bundesrätinnen! Liebe Bundesräte! Und vor allem alle Zuschauer auf der Galerie und zu Hause vor den Fernsehschirmen! Viel­leicht ein paar Sätze zu meiner Vorrednerin: Ich lade Frau Bundesrätin Schulz herz­lichst dazu ein, an meiner Seite der Wirtschaft auszurichten, dass wir sehr gerne bereit sind, daran mitzuwirken, dass alle Diskriminierungen aus den Kollektivverträgen herauskommen. Ich lade sie dazu ein, das umzusetzen, was einer unserer Forderungs­punkte bei jeder Kollektivvertragsverhandlung ist, nämlich die Anrechnung der Eltern­karenz, und zwar für alle dienstzeitabhängigen Ansprüche. Es ist die Wirtschaft, die ein klares Nein zu diesen Forderungen sagt – und nicht die Gewerkschaften. (Bun­des­rätin Zwazl: Kollektivverträge werden sozialpartnerschaftlich gemacht! – Bundesrat Todt: Solang es sie noch gibt!) – Das weiß ich schon, liebe Frau Präsidentin, aber: Wir hätten gerne die Anrechnung – aber die Wirtschaft sagt Nein dazu. (Bundesrätin Zwazl: Bist du bei allen Kollektivvertragsverhandlungen dabei? Ich glaube nicht!) – In meiner Funktion habe ich aber schon sehr viel Wissen.

Aber jetzt dazu: Ich bin vorhin sehr genau der Rede unseres Bundeskanzlers gefolgt, und wir haben gehört, dass er angesprochen hat, dass in den Siebzigerjahren Sozial­systeme aufgebaut wurden, um die uns heute noch ganz viele beneiden. Ich habe gestern aus den Nachrichten erfahren, dass die Wirtschaft stärker wächst als erwartet und dass die Prognosen für die Zukunft ebenfalls sehr positiv aussehen. Dass aber unser Land so dasteht, wie es derzeit wirklich dasteht, das hat – und das sagt weder die Gewerkschaft noch die Wirtschaft noch eine Partei, sondern das sagen viele Experten und Expertinnen – schon etwas damit zu tun, dass auch die vorangegan­genen Regierungen sich sehr bemüht haben, für unser Land etwas zu tun, nämlich für die Menschen in diesem Land etwas zu tun, damit es uns allen insgesamt besser geht.

Es wurde auch angesprochen, dass Veränderungen Hoffnung schaffen und Chancen bringen. Ein bisschen habe ich Angst, wenn ich dann unserem Vizekanzler zuhöre, der in seiner Ansprache doch viele Bereiche und vor allem in vielen Bereichen Menschen selektiert hat. Menschen werden etwa selektiert, wenn man sagt, Familien mit Kindern – die wir entlasten – sind etwas anderes als Familien, die keine Kinder haben. Wir fragen uns selten, warum andere Familien keine Kinder haben.

Ich fürchte mich, wenn wir beginnen, Kinder zu selektieren, indem wir darüber sprechen, dass Kinder, die Deutsch sprechen, in Zukunft anders gewertet werden sollen als Kinder, die nicht Deutsch sprechen. Vor allem frage ich mich: Wer ent­scheidet das in Wirklichkeit? Und ich frage mich auch, wieso wir mit Menschen, die vollzeitbeschäftigt sind, anders umgehen als mit jenen Menschen, die teilzeitbeschäf­tigt sind.

Ich versuche jetzt einen Blick in das Regierungsprogramm zu werfen, und zwar nur in den Teil betreffend den Bereich Arbeitsmarkt. Ich habe schon erwähnt, wir haben eine Wirtschaft, die sehr gut funktioniert, und auch die Prognosen für die Zukunft sind sehr positiv. Ich denke, das freut uns alle. Ich frage mich nur – auch wenn Monika Mühlwerth heute schon angesprochen hat, dass es ja immer schon möglich war, dass Menschen über acht Stunden hinaus, über zehn Stunden hinaus arbeiten –, warum wir dann jetzt hergehen und unbedingt das Arbeitszeitgesetz verändern müssen. Das ist meine Frage, denn ich glaube, es gibt schon derzeit im Gesetz viele Regelungen, aufgrund deren es jetzt schon viele Menschen gibt, die zwölf Stunden – und manche sogar länger – arbeiten.

Und ja, ich habe es nicht vergessen – ich werde immer wieder darauf aufmerksam gemacht –, dass es im Zusammenhang mit all dem, was im Regierungsüber­einkom­men steht, wenn es darum geht, einen 12-Stunden-Tag zu diskutieren, eine 60-Stun­den-Woche zu diskutieren, immer heißt, dass es da um Freiwilligkeit geht. Es wird immer wieder betont, es sei freiwillig. – Ich bezweifle tatsächlich diese Freiwilligkeit. Ich bezweifle sie, denn ich kann mich sehr gut an jene Zeit erinnern, als Arbeiten am 8. Dezember auch einmal freiwillig war. (Bundesrätin Blatnik: Genau! So ist es! – Bundesrätin Posch-Gruska: Genau!) Und wenn ich an den 8. Dezember dieses Jahres, also vor ein paar Wochen, denke – da war ich vormittags unterwegs zu einer Veranstaltung und musste im Radio hören, dass im Umkreis von Wien, vor allem in Richtung Shopping City Süd, ein Stau aufgetreten war, es gab dort auch keine Parkplätze mehr, und auf der Mariahilfer Straße hatten vom Ring bis zum Gürtel alle Geschäfte offen –, dann frage ich mich tatsächlich, ob das alles freiwillig passiert.

Dann kommt natürlich das Argument: Dafür bekommen sie mehr Zuschläge. – Da frage ich mich schon: Ist es im 21. Jahrhundert wirklich notwendig, dass wir den Menschen ihre Gesundheit mit Geld abkaufen? (Beifall bei der SPÖ.)

Und ich möchte schon noch etwas dazusagen: Ich bezweifle auch nicht, dass es sich der Spitzenfachmann, die Spitzenfachfrau wahrscheinlich leisten kann, zwei-, dreimal zu sagen: Nein, ich kann heute nicht zwölf Stunden arbeiten!, ich frage Sie aber, ob Beschäftigte in Betrieben wie vor allem im Handel, etwa die Kassierin im Supermarkt, es sich leisten können, zwei-, dreimal Nein zu sagen (Bundesrätin Posch-Gruska schüttelt verneinend den Kopf), ob nicht dann der Unternehmer sagt: Ich brauche flexible ArbeitnehmerInnen! Und sie auszutauschen geht dann relativ leicht, denn auf dem Arbeitsmarkt haben wir noch genug Reserve, wie wir heute schon öfters gehört haben. (Beifall bei der SPÖ.)

Ich frage mich bei diesem Thema, ob es da um die Menschen geht oder ob es um die Wirtschaft, um das Kapital geht. Ich glaube, wir haben Regelungen, mit denen wir ganz gut zurechtgekommen sind, und daher kommt es bei mir absolut negativ an, wenn wir jetzt davon reden, einen 12-Stunden-Tag – auf freiwilliger Basis natürlich – einzu­führen.

Weil meine Vorrednerin auch von Frauenpolitik gesprochen hat, möchte ich hier schon festhalten, dass der Genderaspekt genau in diesem Bereich komplett ausgeklammert worden ist. Niemand fragt sich, was die Alleinerzieherin mit ihrem Kind macht. Nie­mand fragt sich: Was machen Mann und Frau mit den Kindern, wenn sie halt beide gerade einmal freiwillig zwölf Stunden arbeiten?

Während andere Länder sich gerade Gedanken darüber machen, ob man nicht einen 6-Stunden-Tag einführen soll, machen wir Rückschritte. Nachdem die Vorkämp­ferIn­nen sich einen 8-Stunden-Tag erkämpft haben, machen wir einen 12-Stunden-Tag daraus. Dieser ist nicht notwendig, denn es gibt genug Menschen, die Arbeit suchen, die arbeitswillig sind, die auf dem Arbeitsmarkt auch Fuß fassen wollen. Das heißt für mich, wir könnten ruhig die vorhandene Arbeit einfach auf mehr Menschen aufteilen. (Beifall bei der SPÖ. – Bundesrat Preineder: Das hören wir auch schon 20 Jahre! ... ist retro ...!)

Um noch einmal auf die Freiwilligkeit zurückzukommen: Immer wieder wird dann auch argumentiert, man habe dann mehr Freizeit, doch das ist leider ein Sand-in-die Augen-Streuen, denn die Freizeit ist nur verschoben: Statt heute vier Stunden freizuhaben, habe ich bei einem 12-Stunden-Tag diese vier Stunden eben morgen frei. Und wenn es heißt, natürlich werden die Überstundenzuschläge bezahlt, dann frage ich – und ich habe das auch schon die Wirtschaftskammer gefragt, ich habe auch schon jene gefragt, die am Verhandlungstisch gesessen sind –: Bleiben die Durchrechnungs­zeit­räume so, wie sie derzeit in Kollektivverträgen festgeschrieben sind? – Es gibt bis heute keine Antwort.

Das heißt: Bei Teilzeit haben wir eine Durchrechnung von drei Monaten. Es gibt kaum jemanden – um nicht zu sagen: gar niemanden –, der jemals einen Zuschlag sieht, nämlich den Mehrarbeitszuschlag, weil die Unternehmen sich mit der Durchrechnung über die Mehrarbeit hinwegschummeln.

Ich möchte nur noch einen kurzen Satz sagen zu etwas, was mir wirklich sehr be­denklich erscheint, wenn wir an unsere Beschäftigten im Tourismus denken: Wenn wir die Ruhepause jetzt von elf Stunden auf acht Stunden reduzieren, dann haben diese Menschen maximal noch fünf Stunden Schlaf. Ich denke aber, wahrscheinlich ist Schlaf etwas, was derzeit überbewertet ist.

Ich möchte daran anknüpfend folgende Frage stellen, weil wir hier auch von direkter Demokratie sprechen: Was treibt einen dazu, plötzlich in einem Regierungsprogramm Jugendlichen, nämlich Jugendlichen, die sich schon 1972 mit über 50 000 Unter­schrif­ten erkämpft haben, dass sie ein Mitspracherecht in Betrieben haben, nämlich durch den Jugendvertrauensrat, dieses Mitbestimmungsrecht, diese direkte Demokratie von Jugendlichen ganz einfach wieder zu streichen? (Beifall bei der SPÖ sowie des Bundesrates Stögmüller.)

Das Thema Aktion 20.000 wurde heute schon angesprochen, ich möchte trotzdem noch ein paar Sätze dazu sagen: Weiß jemand, wie es Menschen über 50 geht, die keinen Job mehr bekommen, obwohl sie einen wollen, weil sie ganz einfach auch wieder Fuß fassen wollen, weil es um eine Wertigkeit geht? Es geht auch darum, dass wir diese Menschen nicht ausschließen. Ich habe unlängst mit einer Frau gesprochen, die genau in so einer Aktion ist – 52 Jahre, bei der Gemeinde beschäftigt –, und ihre Kollegin hat mir dann erzählt, dass sie, als sie den ersten Gehaltszettel erhalten hat, geweint hat. Die Kolleginnen haben dann gefragt: Warum weinst du? Jetzt hast du ein Einkommen, da braucht man nicht zu weinen! – Dann hat sie gesagt, dass sie seit Monaten das erste Mal daran denken kann, dass einmal sie bezahlen kann, wenn sie mit ihrer Freundin zum Chinesen geht. – Das ist die Würde eines Menschen, die man ihm wegnimmt, wenn man eine Aktion, die den Menschen wieder ihre Würde gibt und die ihnen dazu verhilft, ein Teil der Gesellschaft zu sein, dann einfach wieder streicht. (Beifall bei der SPÖ.)

Ich möchte es trotzdem nicht verabsäumen, zum Rauchverbot ein paar Sätze zu sagen. Wir brauchen jetzt nicht lange darüber zu diskutieren, wie ungesund Rauchen ist – darauf will ich gar nicht eingehen. Ich frage mich nur: Wenn gleichzeitig in diesem Regierungsübereinkommen drinnen steht, dass Jugendlichen unter 18 Jahren verboten sein wird, sich in Raucherbereichen aufzuhalten, bedeutet das, dass wir in der Gastro­nomie in Zukunft keine Lehrlinge mehr haben? – Das ist die erste Frage.

Und weil in diesem Zusammenhang auch immer wieder davon gesprochen wird, es müsse mehr Freiheit und dürfe keine Einschränkung geben: Ich wüsste viele Dinge, bei denen ich mehr Freiheit haben möchte. Ich würde lieber schneller auf der Autobahn fahren statt 130. Ich würde lieber ohne Gurt im Auto sitzen – das ist nämlich auch eine Einschränkung meiner Person, und das ist nicht freiwillig. Ich könnte auch sagen, wir könnten als Nächstes die verpflichtenden Kfz-Versicherungen abschaffen, denn wenn ich einen Unfall baue, dann kann ich ja selbst bezahlen, das ist ja alles kein Problem! Und wenn, wie immer gesagt wird, die Freiheit darin besteht, dass man eben dorthin gehen kann, wo man raucht, dann bin aber dadurch ich in meiner Freiheit einge-schränkt, denn wenn ich jene bin, die sich von dem Qualm befreien möchte, dann gibt es einige Lokale, die ich in Zukunft nicht mehr aufsuchen kann. Das nenne ich sicher nicht Freiheit.

Abschließend möchte ich nur sagen, dass ich dieses Regierungsprogramm, so wie einige meiner VorrednerInnen auch schon, als massiven Rückschritt sehe und dass es aus meiner Sicht weit davon entfernt ist, wirklich zu Reformen zu führen, und zwar zu Reformen, die den Menschen helfen und nicht dem Kapital.

Mein Wunsch an die Regierung ist, dass nicht nur Politik für das Kapital gemacht wird. Machen wir parallel dazu auch Politik für die Menschen, denn die Menschen in unse­rem Land haben sich das verdient! (Beifall bei der SPÖ.)

13.57

Vizepräsidentin Sonja Ledl-Rossmann: Als Nächster zu Wort gemeldet ist Herr Bundesrat Gerd Krusche. – Bitte, Herr Bundesrat.