14.09.09

Bundesrat David Stögmüller (Grüne, Oberösterreich)|: Wertes Präsidium! Kanzler und Vizekanzler sind nicht mehr da – Frau Mühlwerth hat das auch immer kritisiert, heute ist sie ein bisschen ruhiger –, dafür freut es mich, dass der Herr Infrastruktur­minister, der Herr Kanzleramtsminister und die Frau Wirtschaftsministerin da sind; das freut uns ganz besonders. (Bundesrat Schennach: Der Krusche hat so viele ver­trie­ben, das ist das Problem!)

Meine Kolleginnen und Kollegen sind schon auf viele Redebeiträge eingegangen, ein Thema ist aber ein bisschen untergegangen, nämlich das Thema Bildung, und auf dieses möchte ich eingehen. Der Herr Bildungsminister, Herr Faßmann, ist heute nicht da, vielleicht können wir auch einmal mit ihm hier im Plenum über das gesamte Regie­rungsprogramm diskutieren. Die großen Schlagwörter dieser blau-schwarzen Regie-rung im Bereich Bildung sind Zwang, Selektion und Bestrafung.

Zwang, Selektion und Bestrafung, das sind die großen Schlagwörter, die ich aus die­sem schwarz-blauen Regierungsprogramm herausgelesen habe. Es geht um Vernich-tung von Chancen, um Demotivation, Ungleichheit und Entsolidarisierung und auch um mehr Verwaltungsaufwand.

Insgesamt nimmt der Bereich Bildung neun Seiten in diesem Regierungsprogramm ein. Das hört sich nach viel an, das meiste davon aber ist redundant und beschreibt nur ganz unbestimmt irgendwelche Vorhaben. Im Grunde soll das gesamte Bildungswesen auf allen Ebenen und an allen Institutionen evaluiert und umgebaut werden; auch das hört sich nicht so schlecht an, aber das Umbauen bezieht sich hauptsächlich darauf, irgendwelche Reformschritte wieder zurückzunehmen. Es entsteht nicht irgendetwas Neues, sondern man nimmt einfach Altes wieder her und macht halt Retropolitik. (Bundesrätin Mühlwerth: Manchmal ist auch etwas Altes etwas Neues!)

Auch wer die zahlreichen Evaluierungen und standardisierten Testungen, die im Pro­gramm vorkommen, machen soll, ist unklar, denn das zuständige Bildungsfor­schungs­institut, das Bifie, soll ja aufgelöst werden. Wer das Ganze machen soll, ist unklar, nichts davon steht im Regierungsprogramm, es ist auf diese Frage keine Antwort zu finden, nichts.

Wir sehen auch wieder eine Zunahme der Verwaltung: Es wird eine neue Leis­tungs­bewertung ab dem vierten Lebensjahr geben. (Vizekanzler Strache nimmt auf der Regierungsbank Platz.) – Ah, der Herr Strache, grüß Gott! Ich spreche gerade über Bildung, und die großen Schlagwörter betreffend Bildung – ich sage es Ihnen auch noch einmal – sind Zwang, Selektion und Bestrafung, wie ich dem Regierungspro­gramm entnehme, und es entsteht auch ein extremer Verwaltungsaufwand.

Es wird neue Leistungsbewertungen geben: ab dem vierten Lebensjahr durchgehend bis zum Ende der Sekundarstufe I. Es soll digitale Leistungs- und Bildungsdokumen­tationen geben, die mit dem dritten Geburtstag angelegt werden, sie sollen auch noch ärztliche Atteste aus dem Kleinkindesalter beinhalten. Ärztliche Atteste in den Leistungs- und Bildungsdokumentationen! Wir bewegen uns also geradeaus Richtung gläserner Mensch. Früher hieß es von der Wiege bis zur Bahre, jetzt ist es – nicht mehr in SPÖ-Diktion – sozusagen der gläserne Mensch.

Also ich weiß nicht, wer diesen Verwaltungsaufwand erledigen soll. Uns Grünen ist es wichtig, dass Lehrerinnen und Lehrer dort tätig sind, wofür sie ausgebildet worden sind und wofür sie gebraucht werden, nämlich bei den Kindern. Sie sollen sich nicht ständig mit Bewertungen und Evaluierungen beschäftigen, sondern vor Ort bei den Kindern sein. Ich sehe da keinen Hausverstand, Herr Strache, wenn die Lehrerinnen und Lehrer noch mehr Verwaltungsaufwand bewältigen müssen. Sie haben von Hausver­stand gesprochen – für mich ist da kein Hausverstand zu sehen.

Ich muss noch auf etwas eingehen in diesem Regierungsprogramm ist kein Wort dazu zu finden –: Im Bildungsbereich fehlen 600 Millionen Euro. Ich weiß nicht, wie Sie das Ganze finanzieren wollen, kein Wort dazu steht im Regierungsprogramm. 600 Mil­lionen Euro fehlen im Budget! Das haben wir schon bei der schwarz-roten Regierung immer kritisiert, dass es da kein Ziel gibt. Auch jetzt gibt es keinen Plan, wie das Ganze finanziert werden soll. Ein solcher Plan fehlt.

Es gibt keine Angaben, wie zusätzliche Maßnahmen – die geplanten Testungen, Deutschklassen, das ergebnisorientierte Besoldungsrecht für Lehrkräfte, Förderklassen nach der Pflichtschulzeit, die Begabtenschule – bei 600 Millionen Euro Defizit über­haupt finanziert werden sollen, ich verstehe es nicht. Auch die Mittelzuteilung an den Schulen fehlt. Es ist komplett offen, wie das passieren soll.

Nach wie vor fehlt ein Chancenindex, der nach ganz klaren Kriterien die Budgetmittel auf die Schulen verteilen soll. Diejenigen, die sie benötigen, brauchen mehr Geld, das ist eigentlich nicht so schwer zu verstehen. Auch die individuelle Förderung, Zeit für Entwicklung, Freude am Lernen, gegenseitiges Vertrauen zwischen Schülern und Lehrkräften, das wird mit diesem Regierungsprogramm systematisch auf der Strecke bleiben. Dafür herrschen Druck und Angst vor Sanktionen, letztlich nicht nur schulisch, sondern auch familiär, nämlich in finanzieller Hinsicht.

Vorweg möchte ich gleich einmal sagen: Ich bin auch der Meinung und es ist mir wichtig, dass man jungen Menschen die regionalen Kulturen, ein Demokratiever­ständ­nis, die Gleichberechtigung von Mann und Frau näherbringt, das ist überhaupt keine Frage für mich. Ich halte das für ganz, ganz wichtig. Das sollen junge Menschen lernen, das soll ihnen auch in der Schule beigebracht werden.

In diesem Regierungsprogramm wird immer wieder die Einhaltung unserer Werte eingefordert. Komplett offen bleibt aber, welche Werte überhaupt gemeint sind. Ich finde sie nicht. Wer, bitte, definiert diese Werte? Die FPÖ? – Ich weiß es nicht, ich finde nichts darüber. Und wer kontrolliert überhaupt die Einhaltung dieser Werte, die immer wieder eingefordert wird? – Das ist alles schwammig, alles bürokratisch, es wird mehr Bürokratieaufwand geben.

Dieses Bildungsprogramm von Schwarz und Blau ist voll mit Standards, Prüfungen, Noten, Kontrollen und Sanktionen, es bleibt in diesem Programm kein Platz für Unter­richt und Bildung. Monika, du hast das oft genug kritisiert. (Bundesrätin Mühlwerth: Das macht’s ja aus!) Du hast das immer wieder kritisiert und hast gefordert, dass die LehrerInnen bei den Schülern sein müssen. Jetzt auf einmal bist du ruhig. (Bundesrätin Mühlwerth: Ist ja nicht wahr!)

Dieses Bildungssystem wird zu einer gigantischen Sortieranlage, statt ein Treibhaus für Talente und ein sicherer Raum für die Entwicklung jedes einzelnen Menschen zu sein. Das Programm ist schulischer Klassenkampf von oben, nichts anderes.

Das Ganze hört aber nicht bei der Schule auf, es geht noch viel weiter, bis zu den Unis: Studiengebühren, Streichung des allgemeinpolitischen Mandats der ÖH – das freut natürlich Kollegen Raml, das hat er ja schon dazumal gefordert. (Zwischenruf der Bundesrätin Mühlwerth.)

Das Programm dieser Regierung ist nur für die Reichen und die Wohlhabenden in diesem Land. Aber nicht nur SchülerInnen und StudentInnen sind die Opfer, sondern auch die Lehrlinge. Frau Kollegin Anderl – ich habe sie jetzt nicht im Blick – hat es auch schon erwähnt: Nicht die Stärkung der Gewerkschaften steht in diesem Regie­rungs­programm. Sie, Herr Strache, haben sogar noch herausgestrichen, wie wichtig die Lehre ist. Was steht aber im Regierungsprogramm, was tun wir? – Wir streichen den jungen Menschen in der Lehre, den Lehrlingen, den Jugendvertrauensrat.

Der Jugendvertrauensrat setzt sich in den Betrieben für die Interessen der jungen Menschen ein. Der kommt weg, das steht ganz klar im Regierungsprogramm: Weg mit den Vertretern der jungen Lehrlinge! – Unglaublich, wirklich unglaublich! (Bundesrat Tiefnig: Hast du überhaupt etwas gelernt?) – Ich habe schon etwas gelernt, keine Angst, ich habe zehn Jahre gearbeitet, bevor ich als Quereinsteiger in die Politik ge­gan­gen bin. Hat Sebastian Kurz schon etwas gelernt? – Ich weiß es nicht. (Zustim­mungsbekundung durch Klopfen auf den Tisch bei BundesrätInnen der SPÖ. – Ruf bei der ÖVP: Mehr wie du!)

Der Jugendvertrauensrat, wie gesagt, wird gestrichen; und es geht weiter: Die FPÖ behauptet ja immer, für den einfachen Mann – ich habe es ganz bewusst nicht gegendert – da zu sein. Ein Beispiel dafür, dass das nicht richtig ist: Ein Arbeiter am Bau oder ein Maurer, die gehen ja meistens im Winter stempeln, weil sie in der Winterzeit keine Arbeit finden oder weil es einfach nicht möglich ist, zu arbeiten. Das ist in dieser Berufssparte ganz normal, das gibt es aber nicht nur am Bau. Mein Bruder ist Maurer, wenn jemand Fragen hat, da weiß ich sehr gut Bescheid. Diese Stempelzeit wurde dazumal immer für die Frühpension angerechnet, da kommen einige Monate zusammen. Jetzt steht in dem Regierungsprogramm: In Zukunft machen wir das nicht mehr! Die maximale Anrechnungszeit der Teilversicherungszeiten beträgt 24 Monate. – Unglaublich! Gerade in den Berufen, die eh körperlich schon so belastend sind, gibt es von dieser Regierung nichts für den kleinen Mann!

Weiter geht die Horrorstory dieses Regierungsprogramms, schauen wir zum Familien­bonus Plus: Die Förderung ist nichts anderes als eine Umverteilung von unten nach oben – das heißt, je mehr Geld man verdient, umso mehr hat man von dem Ganzen. Wenigverdiener haben gar nichts davon, Gutverdiener umso mehr, denn durch die fehlende Negativsteuerfähigkeit profitieren weite Gruppen der Bevölkerung nicht.

Ein Drittel aller ArbeitnehmerInnen profitiert nicht, 45 Prozent der Frauen verdienen so wenig, dass sie gar keine Steuern zahlen und vom sogenannten Familienbonus über­haupt nichts haben. 45 Prozent der Frauen! Das sind genau diese kleinen Einkommen, die Sie, Herr Strache, heute schon angesprochen haben, die bekommen nichts von diesen 1 500 Euro.  Diese Maßnahme ist auch aus frauenpolitischer Sicht schlicht abzu­lehnen. (Vizekanzler Strache: Bei Steuerentlastungen kann man nur dort entlas­ten, wo Steuern gezahlt werden!) – Ja, aber die brauchen ja auch etwas! Ich halte es ja allgemein für ein schlechtes Konzept, ich kann das überhaupt nicht unterstützen.

Ich komme noch dazu, warum es auch aus frauenpolitischer Sicht schlicht abzulehnen ist: Durch die Streichung der Absetzbarkeit für Betreuungskosten wird weniger Anreiz zur Aufnahme einer Erwerbstätigkeit gesetzt, mit negativer Auswirkung bis hin zu fehlenden Pensionsansprüchen.

Wenn das noch nicht genug Argumente sind, appelliere ich als Bundesrat in der Bun­desländerkammer und als Gemeinderat gerade auch an die ÖVP: Dieser Familien­bonus, den Sie planen, belastet auch gravierend die finanziellen Budgets der Länder und vor allem auch der Gemeinden. Die müssen mit einem Einkommen­steuer­entfall von bis zu 2 Milliarden Euro rechnen. Das ist keine grüne Berechnung, das steht im ÖVP-Wahlprogramm von diesem Jahr: 2 Milliarden Euro. (Zwischenrufe der Bundes­räte Preineder und Tiefnig.)

Das muss auch im Wege des Finanzausgleichs von den Gemeinden getragen werden, das heißt dann ganz konkret: minus 2,4 Prozent der Bundesertragsanteile. Das be­deutet zum Beispiel, damit es ein bisschen anschaulicher ist: 70 Milliarden Euro pro Jahr weniger Landesbudget, 36 Millionen Euro weniger für die oberösterreichischen Gemeinden, weniger Geld für Kinderbetreuung, weniger Geld für Vereine, für das Ehren­amt, weniger Geld für Sportstätten, für die Straßenbauten und so weiter. Jeder Bürgermeister und jede Bürgermeisterin, jeder Gemeinderat weiß, wie hart es in den Gemeinden da draußen jetzt schon ist, überhaupt noch über die Runden zu kommen, und das ist das ganz große Problem da draußen. (Beifall bei den Grünen und bei BundesrätInnen der SPÖ.)

Wir Grüne fordern diese Regierung auf, auf jene Menschen zu schauen, die wenig Geld haben, die jeden Tag ums Überleben kämpfen, damit alle Menschen in Öster­reich – und das ist die Besonderheit  faire und gerechte Chancen haben. 

Ich bringe daher folgenden Antrag ein:

Entschließungsantrag

der BundesrätInnen David Stögmüller, Kolleginnen und Kollegen betreffend „Familien­bonus“

Der Bundesrat wolle beschließen:

„Die Bundesregierung wird aufgefordert, von den vorliegenden Plänen zur Einführung eines sogenannten ‚Familienbonus‘ aus den in der Begründung genannten sozial- und frauenpolitischen Gründen und aus Rücksichtnahme auf die finanziellen Belastungen für die Gemeinden Abstand zu nehmen.

Stattdessen wolle die Bundesregierung dem Parlament entsprechende Gesetzes­ent­würfe vorlegen, die eine sozial gerechte Familienförderung über alle Einkommens­gruppen hinweg sicherstellen. Die finanziellen Auswirkungen auf die Gemeinden sollen dabei im Wege des Finanzausgleichs abgefedert werden.“

*****

Ich möchte abschließend auch noch erwähnen, wie unglaublich geschickt diese Regie­rung die Angriffe auf den föderalen Bundesstaat beziehungsweise auf die Kompeten­zen der Bundesländer versteckt hat. Zum Beispiel soll gänzlich abgeschafft werden, dass der Bund ein Grundsatzgesetz macht und die Länder die entsprechenden Aus­führungsgesetze verabschieden, 15a-Vereinbarungen – Bund-Länder-Vereinbarun­gen – sollen evaluiert werden, hingegen sollen Bereiche wie zum Beispiel das Bundes­sozialamt oder die Wildbach- und Lawinenverbauung in die mittelbare Bundesver­wal­tung abgegeben werden und von den Ländern getragen werden, was dem Bund Kosten erspart.

Das soll eine massive Kritik in Richtung neue Regierung vonseiten des Bundesrates sein. Deswegen kann ich diesen heutigen Antrag der ÖVP so gar nicht unterstützen. Ich weiß nicht: Ihr verratet eure Länder durch dieses Regierungsprogramm massiv, und von ihnen kommt auch schon massiver Widerstand. Das sind zentralistische, auto­ritäre und ausgesprochen wirtschaftsliberale Züge (Vizepräsidentin Ledl-Rossmann gibt das Glockenzeichen), und der Grundtenor ist ganz klar: Wirtschaftsinteressen stärken, damit sich diese durchsetzen, und Staat reduzieren, außer natürlich bei Militär und Polizei. Von uns Grünen gibt es ganz klar keine Zustimmung zu diesen Punkten. – Danke schön. (Beifall bei Grünen und SPÖ. – Bundesrätin Blatnik: Bravo, David!)

14.21

Vizepräsidentin Sonja Ledl-Rossmann: Der von den Bundesräten Stögmüller, Kolle­ginnen und Kollegen eingebrachte Entschließungsantrag betreffend „Familien­bonus“ ist genügend unterstützt und steht demnach mit in Verhandlung.

Als Nächster zu Wort gemeldet ist Herr Bundesrat Michael Raml. Ich erteile es ihm.