9.47.23

Bundesrätin Mag. Dr. Ewa Dziedzic (Grüne, Wien)|: Sehr geehrter Herr Bundes­kanzler! Frau Ministerin! Werter Herr Präsident! Werte Kollegen und Kolleginnen! Ab­gesehen davon, dass ihr Koalitionspartner permanente Themenverfehlung betreibt, habe ich bei einem so ernsthaften Thema selten so viel Zynismus und Populismus erlebt. (Beifall bei Grünen und SPÖ.)

Das Perfide bei genau diesem Thema ist noch zusätzlich, dass mit den Emotionen der Opfer gespielt wird. Es wird ihnen vermittelt, dass die Täter in Zukunft härter bestraft werden – und das ist eine Lüge, und das wissen Sie. Das Strafausmaß bestimmen nämlich nicht Sie! (Beifall bei der SPÖ. – Bundesrätin Mühlwerth: Seit wann darf man „Lüge“ sagen? – Bundesrat Mayer: Das ist ein Ordnungsruf!)

Das zweite Perfide ist - - (Bundesrätin Mühlwerth: Seit wann darf man „Lüge“ sagen, Herr Präsident? – Ruf: Der Präsident ist überfordert!) – Ich bin jetzt am Wort! – Das zweite Perfide ist, dass hier permanent die Unterstellung im Raum steht, irgendjemand von uns würde Gewalt tolerieren. Da sind wir uns doch bitte alle einig. Die Frage ist, mit welchen Maßnahmen wir Gewalt bekämpfen. (Beifall bei der SPÖ. – Rufe und Gegenrufe zwischen FPÖ und Grünen.)

Erstens: Sicherheit ist mehr als eine Frage des Strafrechts. Härtere Strafen alleine mögen – das haben wir schon gehört – gute Schlagzeilen bringen, nur: Das Recht von Frauen auf Sicherheit braucht ein Maßnahmenpaket und einen nationalen Aktionsplan in Zusammenarbeit mit den Experten und Expertinnen im Gewaltschutzbereich statt dieser populistischen Schnellschüsse. Die Situation in Österreich ist nämlich tat­sächlich tragisch. Jede fünfte Frau über fünfzehn Jahren ist von körperlicher Gewalt betroffen, jede dritte Frau von sexueller Gewalt und sogar fast drei Viertel – das muss man sich einmal vor Augen führen! – der Frauen von sexueller Belästigung. Um diese untragbaren Zustände zu beenden, braucht es tatsächlich rasch eine Offensive für Gewaltschutz und -prävention. Da sind wir uns einig.

In Österreichs Familien, weil Sie das mit den Ausländern so gerne betonen, werden monatlich mindestens zwei Frauen ermordet. (Bundesrätin Mühlwerth: Ist schlimm genug! Die Frage bei österreichischen Familien ist auch: Welcher Hintergrund?) Oft ist dieser Mord nur ein wirklich trauriger, tragischer Höhepunkt einer langen Gewalt­geschichte, und da sind wir genau bei dem Punkt: Diese Gewaltgeschichte wird sehr oft nicht ernst genommen (Bundesrätin Mühlwerth: Von Politikern wie Ihnen!), von Justiz und Polizei nicht als diese eingestuft, sodass es zu diesen tragischen Fällen kommen kann.

Wir wissen, eine Gruppe von Experten hat im September einen Bericht veröffentlicht, dass die Verurteilungsraten in Österreich bei allen Formen von Gewalt gegen Frauen sehr niedrig sind und die Täter bei häuslicher Gewalt, aber auch anderen Formen von Gewalt gegen Frauen nur selten die strafrechtliche Verantwortung übernehmen müs­sen. Gründe dafür sehen Experten und Expertinnen in der polizeilichen Ermittlung sowie in der Beweiserhebung im Ermittlungsverfahren. Das Problem bei Sexualstraf­taten ist also erstens die hohe Dunkelziffer und zweitens die Einstellungsquote nach erfolgten Anzeigen. Das bedeutet, wir werden die Täter nicht abschrecken, indem wir sagen, da gibt es einen höheren Strafrahmen, wenn die Wahrscheinlichkeit, dass sie erwischt und verurteilt werden, in Österreich unter 5 Prozent liegt. Das sind die Fakten. (Beifall bei Grünen und SPÖ.)

Was es schon dringend braucht, ist aber Opferschutz statt eben diesen Täterschutz. Opfer sexueller Gewalt in Österreich sind im Strafverfahren oft mit sogenanntem Victim Blaming konfrontiert. Gerichte und Behörden müssen Sexualdelikte ernst nehmen, den Betroffenen glauben und sie nicht neuerlich traumatisieren, was leider immer wieder vorkommt. Es kommt auch vor, dass Richter und Strafanwälte Frauen sehr oft subtil die Schuld an dem geben, was passiert ist, und dass Frauen sehr oft mit Verleum­dungsverfahren konfrontiert sind, wenn der Täter der Meinung ist, dass sie die Unwahr­heit sagt. Ich finde, das sollten wir uns genauer anschauen und auch die Verurteilungs­raten genauer analysieren, anstatt hier populistisch etwas anderes zu fordern. (Beifall bei Grünen und SPÖ.)

Drittens – auch das haben wir heute schon gehört – wurde erst 2016 das Strafrecht reformiert. Ich wiederhole nicht alles, aber wir wissen, die Strafen für Gewalttaten wurden deutlich erhöht. Das Strafmaß für absichtliche schwere Körperverletzung wurde mit jetzt zehn Jahren verdoppelt. Der Straftatbestand der sexuellen Belästigung in § 218, dem sogenannten Po-Grapsch-Paragrafen – wogegen Sie sich immer aus­gesprochen haben, im Übrigen auch die ÖVP, ich erwähne nur Marcus Franz als einen Abgeordneten, bei dem das überhaupt kein Thema war –, wurde überarbeitet.

Entwürdigende Berührungen an Körperstellen können seither mit einer Freiheitsstrafe von bis zu sechs Monaten oder mit einer Geldstrafe von bis zu 360 Tagessätzen bestraft werden. Wir wissen, seit der Überarbeitung ist die Zahl der Anzeigen auch deutlich gestiegen: von 1 228 Anzeigen im Jahr 2015 auf 1 918 Anzeigen 2016. Das heißt, es finden immer mehr Frauen auch den Mut, eine Anzeige zu erstatten, aber für die Gewaltausübenden bleibt das weitgehend ohne Konsequenzen, und das ist, glaube ich, genau der Punkt, den Sie hier übersehen. Es kann nämlich nicht sein, dass der Strafrahmen in Österreich im internationalen Vergleich höher ist, aber, solange dieser Strafrahmen nicht ausgeschöpft wird, Opfer von Sexualdelikten wenig oder kaum Gerechtigkeit erfahren, und Sie genau, ich wiederhole es, hier mit dieser Emotion spielen.

Viertens: Juristische Experten und Expertinnen – auch das haben wir heute gehört – kritisieren diese Regierungspläne nicht umsonst. Sie sprechen sich dafür aus, dass evaluiert wird, sie sagen auch, dass es eine plakative Maßnahme ist. Der Präsident des Rechtsanwaltskammertages, Rupert Wolff hat zum Beispiel die Pläne als wenig sinnvoll definiert, weil er auch meint, dass die Opfer de facto gar nichts davon haben. (Bundesrätin Mühlwerth: ... einer eingesperrt ist, würde ich sagen, das Opfer hat schon was davon!)

Die Frage ist also: Was bringt eine weitere Strafrechtsreform ohne die Evaluierung der vorhergehenden und auch dann, wenn die Richter und Richterinnen den Strafrahmen aktuell nicht einmal annähernd ausschöpfen? (Bundesrat Längle: Sie kritisieren jetzt dauernd Richter! Unglaublich!) Deshalb frage ich mich schon, worum es hier geht, ob es hier wirklich um die Absage an Gewalttäter oder um etwas gänzlich anderes geht. Nicht nur Experten und Expertinnen, sondern zum Beispiel auch die Frauenhäuser und Frauenorganisationen – das Frauenvolksbegehren wurde heute erwähnt – sind der Meinung, dass man Täter besser therapieren und betreuen (Bundesrätin Mühlwerth: Ja mit 98 Prozent Rückfallquote!) und die Opfer stärken, sprich empowern sollte und entschädigen muss. Und genau das passiert gar nicht, und genau das sind nicht die Pläne dieser Regierung. (Bundesrätin Mühlwerth: Ja das hat aber noch nie was gebracht!) Wieso nicht? – Weil es Geld kostet. (Ruf bei der FPÖ: Das stimmt nicht! – Bundesrätin Mühlwerth: ... Täter 98 Prozent ...fallen!)

Wir brauchen aber dringend mehr Geld für echten Gewaltschutz, für die rechtliche Absicherung von Frauenhäusern und für Sensibilisierung in Schulen – auch das wurde heute schon erwähnt –, anstatt populistischer Aussagen, dass man da einen Straf-rahmen erhöht, was überhaupt nichts bringt, den Opfern genau nichts bringt. (Beifall bei Grünen und SPÖ.)

Falls Sie sich doch überlegen wollen, was tatsächlich etwas bringen würde, kann ich es kurz zusammenfassen: Es bräuchte einen bundesweiten Ausbau von staatlich finan­zierten und rechtlich abgesicherten, leicht zugänglichen, kostenfreien Einrichtungen und Frauen- und Mädchenberatungsstellen für gewaltbetroffene Frauen und ihre Kinder. Es bräuchte einen Ausbau der Kooperation zwischen Behörden, Gerichten und Gewaltschutzzentren. Es bräuchte verstärkte Sensibilisierungsmaßnahmen in Schulen, der Justiz und der Polizei sowie Präventionsprogramme und Antigewalttrainings für Gefährdende. Für die Täterarbeit war in diesem Staat immer zu wenig Geld da, dafür könnten Sie sich einsetzen. Und wenn Sie bei Geburtstagsfeiern von Journalisten sind – auch das ist ein wichtiger Punkt –, können Sie sie darauf hinweisen, dass die Verharmlosung in den Medien auch ein wichtiger Punkt ist. Wenn Frauen ermordet werden, dann heißt es nämlich in den Zeitungen, es war eine Familientragödie oder eine Beziehungstat. Das sollten wir uns anschauen!

Auch die Autonomen Frauenhäuser, das habe ich bereits erwähnt, halten das für keine sinnvolle Maßnahme. Ich würde meinen, das sollte Ihnen zu denken geben. (Bun­desrätin Mühlwerth: Weil Sie es nicht für sinnvoll halten, sollte es uns zu denken geben?) Jedenfalls hat die Verharmlosung sexualisierter Gewalt in Österreich wenig mit den niedrigen Strafsätzen zu tun, sondern, Sie haben es gesagt, mit patriarchalen Zuständen, durchaus auch in der Gerichtspraxis, und deshalb braucht es genau diese staatlich finanzierten und leicht zugänglichen Beratungsstellen für Betroffene.

Noch etwas beschäftigt ja die Republik in diesem Zusammenhang, auch das wurde erwähnt, nämlich wieso genau da eine weisungsgebundene Staatssekretärin des In­nen­ministeriums vorgeschickt wird und sich nicht der zuständige Minister mit der Causa befasst. Wie kann sie als Regierungsmitglied öffentlich behaupten, der Justiz­minister habe keine Zeit, um sich mit Strafsachen zu beschäftigen? Das muss man sich einmal vor Augen führen! (Ironische Heiterkeit und Beifall bei Grünen und SPÖ.)

Das Innenressort will also die Strafrechtslegistik übernehmen und offenbar auch den Richtern und Richterinnen ausrichten, dass sie sich – und das ist auch ein weiterer Punkt – dem Rechtsempfinden auf Social Media fügen sollten. (Bundesrätin Mühlwerth: Wie viel Redezeit hat sie eigentlich?) Das ist eine gezielte Provokation gegen Josef Mosers Legisten, denen Kompetenz abgesprochen wird, aber auch noch etwas: Da werden die Rechtsstaatlichkeit und die Gewaltenteilung insofern untergraben, als man sich auf Facebook-Postings beruft. (Beifall bei Grünen und SPÖ. – Bundesrat Stögmüller: Da müsste man viel machen in der Regierung!)

Ich frage mich ernsthaft: Wenn dort die Todesstrafe gefordert wird, werden Sie dann auch sagen, na ja, die Masse sagt das, dem müssen wir entsprechen? Wie ernst nehmen Sie sich überhaupt noch? (Beifall bei Grünen und SPÖ. – Bundesrätin Mühlwerth: Wie ernst nehmen Sie sich?)

 

Präsident Reinhard Todt: Frau Bundesrätin, bitte zum Schluss zu kommen!

 

Bundesrätin Mag. Dr. Ewa Dziedzic (fortsetzend): Zusammengefasst (Zwischenrufe bei FPÖ und ÖVP): Nachgewiesenermaßen – und das wissen wir aus Österreich, aus den USA, dazu gibt es Statistiken, bitte schauen Sie sich die an! – führen erhöhte Strafen nicht dazu, dass die Täter von irgendetwas abgehalten werden. Da gibt es genug Beispiele. (Bundesrätin Mühlwerth: Schlusssatz jetzt vielleicht!) Es stimmt mich wirklich nachdenklich, dass die Regierung hier nicht auf die - - (Ruf bei der FPÖ: Schlusssatz! – Bundesrat Stögmüller: Wie oft habt ihr schon überzogen?)

 

Präsident Reinhard Todt: Bitte zum Schluss kommen! Sie haben die Redezeit überzogen. Frau Bundesrätin, kommen Sie bitte zum Schluss! (Bundesrat Stögmüller: Das ist eine freiwillige Vereinbarung! – Ruf: Nein!)

 

Bundesrätin Mag. Dr. Ewa Dziedzic (fortsetzend): Ich bin fertig! Es stimmt mich nachdenklich, dass man nicht auf die Richter, auf die Frauenhäuser hört und eine populistische Politik auf dem Rücken der Opfer betreibt. (Unruhe im Saal.) Jemand hat, mein letzter Satz, diese populistische Debatte auf Social Media gut zusammengefasst (Zwischenrufe bei der FPÖ), ich zitiere, Artikel 1 Bundesverfassung: Österreich ist eine demokratische Republik, ihr Recht geht von Facebook-Postings aus.

 

Präsident Reinhard Todt: Frau Bundesrätin, kommen Sie bitte zum Schluss!

 

Bundesrätin Mag. Dr. Ewa Dziedzic| (fortsetzend): Leider ist das nicht lustig, denken Sie bitte darüber nach! (Beifall bei den Grünen. – Bundesrat Stögmüller: Das werden wir uns merken, auch bei der SPÖ dann!)

 

Präsident Reinhard Todt: Frau Bundesrätin, ich muss Sie jetzt direkt ansprechen: Ich fordere Sie auf, das Wort „Lüge“ zurückzunehmen! (Bundesrätin Dziedzic: Ich nehme es zurück!) – Nehmen Sie es zurück? (Bundesrätin Dziedzic: Ja!) Ich fordere Sie auf, das Wort „Lüge“, das Sie am Anfang Ihrer Rede verwendet haben, zurückzunehmen! (Bundesrätin Dziedzic: Ich ersetze es durch Verzerrung!) – Ich bitte Sie, zum Rednerpult zu kommen und das klar und deutlich zu sagen.

 

Bundesrätin Mag. Dr. Ewa Dziedzic (fortsetzend): Es geht darum, dass, wenn man Opfern klarmachen möchte, dass sie mehr Gerechtigkeit - -

 

Präsident Reinhard Todt: Frau Bundesrätin, es geht darum, dass Sie das Wort zurücknehmen sollen!

 

Bundesrätin Mag. Dr. Ewa Dziedzic (fortsetzend): Ich nehme das Wort „Lüge“ zu­rück, es verzerrt die Realität.

10.00

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Präsident Reinhard Todt: Herr Bundesrat Edgar Mayer hat sich zur Geschäftsbe­handlung zu Wort gemeldet. – Bitte.