11.12.36

Bundesrätin Dr. Heidelinde Reiter (Grüne, Salzburg): Frau Präsidentin! Werte Volks­anwaltschaft! Werte Kolleginnen und Kollegen! Ja, der Bericht der Volksanwaltschaft ist sehr eindrucksvoll, was die Zahlen betrifft, und eindrucksvoll ist auch, denke ich, die große Akzeptanz der Volksanwaltschaft in der Bevölkerung. Dadurch kommt es natür­lich zu einer gewissen Erwartungshaltung in der Bevölkerung, die nicht immer erfüllt werden kann. Es wird ja „nur“ – unter Anführungszeichen – bei der Hälfte der Fälle ein Prüfverfahren eingeleitet, aber auch in allen anderen Fällen steckt Arbeit der Volks­anwaltschaft drinnen. Das heißt – sehr positiv in meinen Augen –, die Anfragenden werden auch im negativen Fall nicht einfach im Regen stehen gelassen, sondern kompetent und wertschätzend weiterverwiesen, und auch da wird dann geholfen.

Mein ganz besonderer Dank gilt der Volksanwaltschaft für die präventive Menschen­rechtskontrolle; das ist ja ein relativ neuer Bereich und ein Bereich mit großer gesell­schaftlicher Wirkung. Das wird mit großem Engagement gemacht – über 400 Einsätze im Berichtszeitraum –, mit einem eigentlich sehr erschütternden Ergebnis: In 83 Pro­zent der Fälle wurden Defizite aufgezeigt. Die Einsätze erfolgen unangekündigt und lösen bei den Beteiligten natürlich auch Unruhe aus – das hat meine Vorrednerin Sonja Ledl-Rossmann schon bemerkt und sich damit auseinandergesetzt –, denn gerade jene Menschen, die in dem Bereich arbeiten, fühlen sich dann trotz des hohen Arbeits­einsatzes kritisiert, ungerechtfertigt abgewertet und so weiter. Da besteht Handlungs­bedarf der Politik, denn der ganz zentrale Punkt in den Einrichtungen ist der Personal­schlüssel.

Ich möchte hier nur als Beispiel Schweden erwähnen, wo im Bereich der Pflege die Arbeitszeit auf sechs Stunden reduziert wurde. Dadurch wurden die Krankenstände dieser Menschen reduziert, die Verweildauer im Beruf konnte erheblich gesteigert werden, und die Qualität der Pflege wurde verbessert – und das ohne noch mehr Berichtspflichten oder Kontrollen.

Im gesamten Bereich der Behindertenbetreuung, Kinder- und Altenversorgung wird durch die Volksanwaltschaft entscheidende Bewusstseinsbildung geleistet. Ohne diese wäre es zum Beispiel nicht möglich gewesen, eine große Einrichtung in Salzburg vor ihrer Renovierung sozusagen noch im letzten Moment auf kleine Einheiten aufzuteilen, aus denen heraus Inklusion Behinderter tatsächlich stattfinden kann, eine Schwerst­behinderteneinrichtung zu öffnen, neue Wohnformen in Altenheimen zu realisieren und so weiter.

Ja, das alles kostet Geld; aber ich glaube, wir alle sind uns nicht wirklich bewusst, in welcher ungeheuren Umbruchsituation wir leben. Während der digitale Wandel in aller Munde ist, wird kaum darüber gesprochen, dass – ich sage es etwas flapsig – der Kapitalismus nach allen Formen der Subsistenzarbeit greift, also der Arbeit, die für das Leben unbedingt notwendig ist; damit wir essen können, damit wir sauberes Gewand haben, nicht im Dreck ersticken und so weiter.

Diese Arbeit wird global nach wie vor zu 70 Prozent von Frauen geleistet  und ist daher nichts wert. Sie erfolgt auch bei uns in Form der Hausarbeit noch immer zu großen Teilen unentgeltlich und frauenlastig, aber im Bereich der Betreuung von Kindern, von Schwachen gibt es eine Professionalisierung. Vieles wird aus den Familien outge­sourct – ich sage das völlig wertfrei als Beschreibung –, und das verändert das gesamte Gefüge. Ich bin fest überzeugt, die Arbeit geht uns nicht aus, kein Roboter wird uns die angeschissenen Windeln in einer Qualität, die auch menschenrechts­konform ist, wechseln, aber wir wollen und können die gesellschaftlich notwendige Subsistenzarbeit nicht entsprechend bezahlen. Wir schätzen sie nicht entsprechend wert, und wir verteilen sie nicht so, dass die Menschen, die sie leisten, davon menschenwürdig und adäquat leben können.

Ein weiteres Beispiel ist die 24-Stunden-Pflege, ein Bereich, der für die Volks­an­waltschaft leider nicht oder kaum zugänglich ist, aber auch als Problem gesehen wird. Weitere Kontrollen in diesem Bereich, das greift zu kurz. Die Frage ist: Wird es uns gelingen, die immer weiter aufgehende Schere in der Gesellschaft zu schließen, unsere Lebensform ohne Sklaverei und Ausbeutung aufrechtzuerhalten beziehungs­weise menschenwürdige Bedingungen für alle zu schaffen, auch für die Kinder der 24-Stunden-Pflegenden, die sie in der Obhut einer Oma zurücklassen und denen jetzt auch noch die Kinderbeihilfe zusammengekürzt werden soll, oder bezahlen wir eben für diese Arbeit nichts, weil wir sie zur Gemeinwohlarbeit erklären – Hartz IV und so weiter?

Verzeihen Sie den Sidestepp! Aus dem Bericht ergeben sich wichtige Aufgaben für die Politik, zum Beispiel: Die Bestimmungen zur Heimopferrente müssen novelliert werden, weil bestimmte Gruppen wie Insassen der Jugendpsychiatrie, also nicht Heiminsassen, davon ausgeschlossen sind. Wie geht es weiter bezüglich des medizinischen Einsat­zes von Cannabis? Wird die Clearingarbeit im Rahmen des Erwachsenenschutz-Ge­setzes, also die Klärung der Frage, ob jemand wirklich besachwaltet werden sollte, ausreichend dotiert, gelingt es sozusagen, die Menschenrechte dieser Personen­gruppen auch tatsächlich zu wahren? Wie wirkt sich der Aufwand, den die Bürger zum Zwecke der Spendenabsetzbarkeit leisten müssen, auf die Spendenfreudigkeit aus? Ist das wirklich der Weisheit letzter Schluss, um Missbrauch zu verhindern, oder einfach eine überschießende Regelung?

Auch das ist, denke ich, wichtig: Es gibt über 150 ausgegliederte Rechtsträger, bei denen zwar der Rechnungshof bei einem 25-Prozent-Anteil der öffentlichen Hand nachschauen kann, eine Kontrollmöglichkeit für die Volksanwaltschaft und damit für das Parlament aber fehlt. Ich glaube, da gibt es auch Handlungsbedarf für die Politik.

Dass es Handlungsbedarf hinsichtlich chronisch kranker Kinder im Schulsystem gibt, wurde von einem Vorredner schon erwähnt. Das sind immerhin 190 000 Kinder in diesem Land. Die Volksanwaltschaft schlägt vor, dass deren Unterstützung ein Teil der Dienstpflicht der Lehrer werden sollte, die dafür natürlich auch ausgebildet werden müssen und sollen. Als wünschenswertes Ziel wurde hier genannt, dass es in unseren Schulen so etwas wie School Nurses – ich weiß nicht, wie man das gendergerecht formuliert – wie in England geben soll. Auch das ist, denke ich, ein wichtiges Hand­lungsfeld für die Politik.

Und, nicht zuletzt: Kinder und Jugendliche haben zwar von Gramatneusiedl bis Dornbirn die gleichen Rechte, aber es gibt keinen österreichweit gültigen Standard bezüglich der Fremdunterbringung von Kindern und Jugendlichen. Ich denke, das ist auch etwas, was dringend gelöst werden muss.

Ich danke der Volksanwaltschaft auch sehr für die Arbeit im Ausbildungsbereich. Ring­vorlesung für HörerInnen aller Fakultäten und einschlägige Berufsgruppen zum Thema Gewalt und Gewaltprävention in Wien – ich würde mir wünschen, dass das auch in den Bundesländern durchgeführt werden kann. Wichtig ist auch, glaube ich, die Lehr- und Vortragstätigkeit für die Exekutive – wichtig auch bei dem Thema Gewalt gegen Frauen, das wir schon behandelt haben, wo meine Kollegin Ewa hier darauf hinge­wiesen hat, dass nur 5 Prozent der Anzeigen sozusagen weitergeführt werden und tatsächlich vor dem Richter landen, 95 Prozent der Frauen, die den Mut aufbringen, überhaupt anzuzeigen, sozusagen hier durch den Rost fallen, ja konfrontiert sind mit einem Umgang ihnen gegenüber, der in vielen Fällen erniedrigend ist, was zu Verleumdungsklagen und so weiter führt. Ich glaube daher, dass es ganz wichtig ist, die Exekutive in diesem Bereich entsprechend auszubilden, da Bewusstseinsbildung und so weiter zu leisten.

Noch etwas möchte ich erwähnen: Liebe Kollegen und Kolleginnen aus Nieder­öster­reich, könnten Sie nicht darauf hinwirken, dass die Volksanwaltschaft auch in Nieder­österreich in den Landtag kommt, so wie in anderen Bundesländern im Aus­schuss gehört wird und dass die Materie verhandelt wird? Ich kann Ihnen von den Erfahrungen in Salzburg sagen: Es ist extremely rewarding, die Volksanwaltschaft zu hören und sie auch in die Arbeit des Landtages entsprechend einzubinden. – Danke schön. (Beifall bei den Grünen und bei BundesrätInnen der SPÖ. – Zwischenruf bei der ÖVP.)

11.22

Vizepräsidentin Sonja Ledl-Rossmann: Als Nächster zu Wort gemeldet ist Herr Bundesrat Ferdinand Tiefnig. – Bitte, Herr Bundesrat.