12.15.17

Bundesrätin Mag. Daniela Gruber-Pruner (SPÖ, Wien)|: Hohes Präsidium! Sehr ge­schätzte Frau Volksanwältin! Sehr geehrter Herr Volksanwalt! Geschätzte Kolleginnen und Kollegen! Dieser Sonderbericht der Volksanwaltschaft zu den Rechten von Kin­dern in öffentlichen Einrichtungen behandelt – meine Kollegin hat es erwähnt – einen sehr empfindlichen und sensiblen Bereich in unserer Gesellschaft – es geht hier um eine besonders vulnerable Bevölkerungsgruppe –, nämlich den Umgang unserer Gesellschaft mit jungen Menschen, die von Institutionen abhängig sind. Das sind im­merhin 20.000 Kinder und Jugendliche in Österreich.

Im gesamten Bericht geht es um jene Kinder und Jugendliche, die es im Leben nicht besonders leicht haben, weil beispielsweise ihre Ursprungsfamilie nicht die notwen­digen Ressourcen hat, um dem jeweiligen Kind eine förderliche Umgebung zu bieten, weil das Kind mit oder ohne Familie flüchten musste, weil das Kind eine Behinderung oder eine psychische Erkrankung hat, weil der junge Mensch straffällig geworden ist. All das sind Lebensumstände, die das Kind und seine Umwelt enorm fordern. Es ist die Aufgabe einer Gesellschaft, sich speziell um diese jungen Menschen im besonderen Maße zu kümmern.

Dass aber solche Einrichtungen beziehungsweise solche Systeme ein besonders hohes Risiko bergen, dass Macht in irgendeiner Form auch ausgenutzt wird und möglicherweise in Gewalt, in welcher Form auch immer, umschlägt, ist ja mittlerweile hinlänglich bekannt. Ich denke, dass uns allen noch die Veranstaltung Geste der Verant­wortung in Erinnerung ist, wo wir stellvertretend für die vielen Hunderten Fälle mit ein paar wenigen grauenhaften Schilderungen konfrontiert worden sind, was institutionelle Gewalt anrichten kann. Ich denke, wir haben uns damals alle miteinander geschworen, dass so etwas nicht mehr vorkommen darf.

Trotzdem zeigt dieser Sonderbericht der Volksanwaltschaft leider an so vielen Stellen auf, dass wir noch immer keine optimalen, geschweige denn gewaltfreien Lebens­umstände für Kinder und Jugendliche in unseren Einrichtungen anbieten können. Das ist natürlich für uns Politiker und Politikerinnen nicht tragbar. Da sind wir alle, inklusive der Regierung, gefordert zu handeln.

An dieser Stelle möchte auch ich mich für diesen sehr umfangreichen, sehr einfühl­samen Bericht bedanken. Ich finde es auch sehr begrüßenswert, dass es hier einen Extrateil, verfasst von den Kinder- und Jugendanwaltschaften, gibt – sie haben einen Bericht beigesteuert –, weil ich überzeugt davon bin, so wie ich die Arbeit der Kinder- und Jugendanwaltschaften erlebe, dass sie das Ohr sehr nahe bei den Anliegen von Kindern und Jugendlichen haben und die Anliegen und das Leid dieser Altersgruppe auch sehr genau kennen.

Generell – das passt jetzt hier dazu – möchte ich sagen, dass ich überzeugt davon bin, wenn wir diese verschiedensten Problemfelder angehen wollen und die Behebung dieser Missstände vorantreiben wollen, dann kann das nur in einem Zusammenspiel der vielen beteiligten Institutionen, Berufsgruppen, aber eben auch durch uns als Gesetzgeber und Gesetzgeberinnen gelingen. Diese Kooperationen in diesem Bereich sind weiter auf allen Ebenen auszubauen und zu fördern.

Was sich durch alle angeführten Themenbereiche dieses Sonderberichts zieht, ist die Tatsache, dass Kinder und Jugendliche in Österreich offensichtlich nicht gleich behan­delt werden. Je nach Bundesland, in dem sie wohnen, gelten unterschiedliche Bestim­mungen. Selbst dort, wo es gleiche Bestimmungen gibt, gibt es unterschiedliche Um­setzungen. Das ist nach meinem Empfinden rechtswidrig. Auch die UNO sagt, dass dieses Nichtdiskriminierungsgebot einfach eine Tatsache ist, die befolgt werden muss. Dessen Nichtbefolgung wird schon seit vielen, vielen Jahren von der UNO bemängelt. Meine Kollegin Reiter hat das vorhin schon erwähnt. Wir brauchen ganz dringend diese gleichen Qualitätsstandards in der Kinder- und Jugendhilfe. Das muss über alle Bundesländergrenzen hinweg ein für alle Mal auf ein gleiches Niveau gebracht werden. (Beifall bei der SPÖ.)

Es gibt einzelne Bereiche – ich weiß es aus den sozialpädagogischen WGs –, wo schon der Anlauf unternommen wurde, solche Standards zu erarbeiten. Auf dem kann aufgebaut werden, das muss österreichweit ausgerollt werden. Dass beispielsweise – Kollegin Hackl hat es erwähnt – Konzepte zur Gewaltprävention, zur Sexualpädagogik in jeder Einrichtung Standard sein müssen, erscheint sonnenklar, das muss schleu­nigst umgesetzt werden.

Die Kinder- und Jugendanwaltschaften bieten in ihrem Bericht nicht nur eine Analyse der Situation, sondern sie bieten auch Best Practice und Empfehlungen aus den Bundesländern an. Ich denke, es ist für uns in den Bundesländern sehr einfach, diese Empfehlungen aufzugreifen, sie ernsthaft mit der Volksanwaltschaft zu diskutieren und tatsächlich in die Umsetzung zu gehen.

Ein zweites Thema, das sich durch den ganzen Bericht durchzieht, ist die Frage der Ressourcen. Wir brauchen ausreichend Personalressourcen. Frau Brinek, Sie haben das vorhin schon erwähnt. Wir brauchen gut ausgebildetes Personal. Wir brauchen kleinere Gruppengrößen. Wir brauchen bessere Betreuungsverhältnisse. Nur so kann Qualität gesteigert werden. Wir brauchen adäquate räumliche Situationen; auch das haben Sie bereits geschildert. Adäquate Raumsituationen können Stress vermindern, können für alle Beteiligten eine entspanntere Atmosphäre bringen. Auch das ist eine Ressourcenfrage.

Eine ganz konkrete Forderung der Kinder- und Jugendanwaltschaften betrifft externe Kindervertrauenspersonen, die für jedes Bundesland gewünscht werden. Es muss die Möglichkeit für Kinder geben, sich sehr einfach und kontinuierlich an Menschen wen­den zu können, die Lobbyisten für ihre Anliegen sind. Ein solches Pilotprojekt gibt es zum Beispiel bereits in Wien; auf diese Erfahrungen könnte man bundesweit zurück­greifen.

Ressourcen betreffen aber beispielsweise auch den Bereich der ambulanten psychia­trischen Struktur. Wir wissen, dass wir flächendeckend viel mehr ambulante Angebote für psychisch kranke Kinder brauchen, und zwar auf Kassenvertrag. Immerhin sind 165 000 Kinder und Jugendliche von psychischen Krankheiten betroffen. Das heißt, hier besteht dringender Handlungsbedarf.

Eine weitere Ressourcenfrage ist die Frage, wie man mit der Obsorge für unbegleitete minderjährige Flüchtlinge umgeht. Die Spitze des Eisbergs war im vergangenen Jahr ein elfjähriger Bub, der sich aus lauter Überforderung das Leben nehmen musste. Da muss man ganz konsequent die Strukturen verbessern, die Obsorge für alle Kinder und Jugendliche ab dem ersten Tag regeln. Es braucht auch adäquate Unterbringung für die rund 650 Häftlinge in Österreich zwischen 14 und 20 Jahren und vieles mehr. Die Ressourcenfrage ist, denke ich, eine der dringendsten, die man aber mit politischem Willen auch angehen kann.

Ein dritter Aspekt, der immer wieder vorkommt und der sich aus meiner Sicht sehr stark auf die Kinderrechtskonvention bezieht, ist die Frage der direkten Beteiligung und Teilhabe von Kindern und Jugendlichen. Es geht nicht nur darum, sie gut zu versorgen, sondern auch darum, sie an Entscheidungen zu beteiligen. Dieser Aspekt der Mitbestimmung beinhaltet auch den Anspruch, dass alle Kinder über ihre Rechte zuerst einmal Bescheid wissen und sie dadurch auch einklagen können oder sich gegenseitig bei der Wahrnehmung dieser Rechte helfen können.

Wir wissen aus der Elementarpädagogik, dass die Kinderrechtskonvention durchaus ein Reflexionstool für alle Einrichtungen darstellen kann, und das Wissen über die Rechte ist eine wesentliche Voraussetzung dafür, dass sich Gewalt auch reduziert. (Vizepräsident Lindinger übernimmt den Vorsitz.)

Ein letzter Punkt – das Licht blinkt schon – ist das Thema, das wir auch bei unserem Bundesratsbesuch in Tirol sehr eindringlich vermittelt bekommen haben, nämlich das Thema der jungen Erwachsenen. Kinder und Jugendliche, die eine besonders schwere Kindheit erlebt haben, schleppen einen Rucksack mit sich, der gar nicht so leicht zu tragen ist. Wir wollen oder wir müssen diesen jungen Menschen ein bisschen mehr Zeit gönnen, wenn sie erwachsen und eigenständig werden sollen. Daher ist es auch notwendig, die Maßnahmen und die Angebote für diesen Bereich der 18- bis 21-jährigen jungen Erwachsenen auszubauen. Das haben sie sich verdient, das sind wir ihnen schuldig. (Beifall bei SPÖ und Grünen.)

Als Allerletztes noch etwas Positives: Es wurde in diesem Bericht nämlich auch er­wähnt, dass im Bereich der praktischen Umsetzung, dort, wo die Menschen vor Ort arbeiten, eine hohe Sensibilisierung im Zugang zu den Kindern und Jugendlichen in der Problemanalyse festgestellt wird. Ich wünsche mir, dass wir diese Menschen, die vor Ort diese schwierigen Aufgaben erfüllen, bestmöglich unterstützen, indem wir ihnen gute Rahmenbedingungen für ihre Arbeit und dieses Zusammenleben ermöglichen. Ich wünsche mir, dass die Familienministerin auch da beherzte Angebote macht und beherzte Initiativen startet. – Herzlichen Dank. (Beifall bei SPÖ und Grünen sowie bei BundesrätInnen der ÖVP.)

12.25

Vizepräsident Ewald Lindinger: Ich danke.

Zu Wort gemeldet ist Frau Bundesrätin Rosa Ecker. Ich erteile ihr dieses.