9.43.00

Bundesminister für EU, Kunst, Kultur und Medien im Bundeskanzleramt Mag. Ger­not Blümel, MBA: Sehr geehrter Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren Bundesräte! Vielen Dank, dass Sie mir die Möglichkeit geben, heute über die Vorbereitungen des künftigen EU-Ratsvorsitzes von Österreich zu sprechen. Es ist mir ein Anliegen, darüber zu informieren, denn es ist nicht nur eine große Chance, sondern ich erachte es auch als ein Privileg, mit dabei sein zu dürfen, wenn unser Land zum dritten Mal in seiner Geschichte den Ratsvorsitz in der Europäischen Union überneh­men darf.

Die Vorbereitungen laufen auf Hochtouren, es werden sehr, sehr viele Termine wahr­zunehmen sein. Es werden circa 60 politische Tagungen und Räte stattfinden, einer­seits in Brüssel, der Großteil aber in Österreich. 13 informelle Räte soll es in Österreich geben, darunter auch einen informellen Rat der Staats- und Regierungschefs am 20. Sep­tember in Salzburg. Insgesamt werden circa 300 Vorsitzveranstaltungen in Österreich stattfinden.

Das Motto haben wir letzte Woche bereits präsentieren dürfen, der Herr Bundeskanz­ler, Frau Bundesministerin Kneissl und ich gemeinsam, es lautet: „ein Europa, das schützt“, und zwar in mehrfacher Hinsicht. Der Grundzugang, dem wir uns verpflichtet fühlen, ist jener der Subsidiarität. Es ist ja viel über die Frage der Weiterentwicklung Europas und der Europäischen Union diskutiert worden, und da gibt es auch ein soge­nanntes Weißbuch von der Kommission, in dem Präsident Juncker verschiedene Sze­narien dargelegt hat, in welche Richtung sich Europa entwickeln könnte. Wir haben uns in dieser Bundesregierung auch während der Koalitionsverhandlungen dazu bekannt, dass wir das Szenario vier verfolgen, das lautet: weniger, aber effizienter. Das heißt, dass Europa in den wesentlichen Dingen mehr Kompetenzen und Möglichkeiten be­kommen soll, aber in denen, wo es weniger notwendig ist, sich auch etwas zurück­nehmen soll. Das ist aus unserer Sicht so etwas wie die Definition des Prinzips der Subsidiarität.

Es soll während unseres Ratsvorsitzes vor allem drei Säulen geben, die wir auf Basis des Trioprogramms intensiv verfolgen wollen. Bei der einen Säule geht es um Migra­tion und Sicherheit, denn das war letztlich die Debatte, die auch die österreichische innenpolitische Landschaft in den letzten Jahren geprägt hat. Aber nicht nur bei uns, auch in anderen Ländern hat die Debatte dazu geführt, dass es Umwälzungen gege­ben hat, dass Regierungen abgewählt worden sind und dass jene, die das Problem er­kannt und entsprechend aufgezeigt haben, von der Bevölkerung viel Vertrauen bekom­men haben. Dieses Thema soll auch beim Gipfel der Staats- und Regierungschefs am 20. September wesentlich bearbeitet werden.

Eine zweite Säule soll die Frage Wohlstand und Wettbewerbsfähigkeit sein, der Bin­nenmarkt, der schon angesprochen worden ist. Ein interessantes Zitat, ich habe es vorher nicht gekannt: „Niemand verliebt sich in einen Binnenmarkt“; das merke ich mir. – Herr Bundesrat Lindner, ich kann an Sie nur appellieren: Versuchen Sie, Ihre Liebe zum Binnenmarkt zu entdecken, denn er sorgt für Wohlstand (Zwischenruf der Bundesrätin Winkler), er sorgt dafür, dass es in Zukunft Arbeitsplätze geben kann, wenn wirtschaftliches Arbeiten möglich ist. Ich kann an Sie nur appellieren: Versuchen Sie auch, die Liebe zu einem ausgeglichenen Haushalt zu entdecken, denn die Schul­den, die wir für die Zukunft machen, sind jene Probleme, die die zukünftigen Genera­tionen dann abarbeiten müssen, und das trifft die Ärmsten. Schauen wir nach Grie­chenland, was dort passiert ist (Zwischenruf des Bundesrates Weber): Als der Staat überschuldet war und es Einschnitte geben musste, damit sich der Staat nur annä­hernd weiter finanzieren kann, wen hat es da zuerst getroffen? – Es hat die Gehälter der Beamten getroffen, es hat die Pensionen getroffen. Die Ärmsten der Armen sind die, die zuallererst zum Handkuss kommen, wenn die Politik zu viele Schulden macht, eine verantwortungslose Politik für die Zukunft macht. Das heißt, aus meiner Sicht zahlt es sich durchaus aus, an der Liebe zum Binnenmarkt und zum ausgeglichenen Haushalt zu arbeiten. (Beifall bei ÖVP und FPÖ sowie des Bundesrates Zelina.)

Die dritte Säule soll die Stabilität in der Nachbarschaft sein. Wir wissen, dass viele He­rausforderungen um Europa herum liegen, und nur dann, wenn wir dort direkt vor Ort die richtigen Maßnahmen setzen, werden wir langfristig dafür sorgen können, dass sie nicht nach Europa importiert werden. Wir sind daher sehr, sehr interessiert daran, dass auch die Länder des Westbalkans eine Beitrittsperspektive erhalten. Alles, was am Westbalkan gut läuft, ist gut für Europa, alles, was dort nicht gut läuft, ist nicht gut für Europa. Deswegen bemühen wir uns intensiv, diese Beitrittsperspektive aufrechtzuer­halten.

Wir haben sofort mit dem Start dieser Bundesregierung intensiv mit den Vorbereitun­gen für den Ratsvorsitz begonnen. Alle Ministerinnen und Minister, die zu Ratsforma­tionen in Brüssel aufbrechen, treffen dort auch Vertreterinnen und Vertreter des Parla­ments, der Kommission, denn nach dem Vertrag von Lissabon werden ja viele gesetz­liche Vorschläge gemeinsam erarbeitet und beschlossen, in den sogenannten Trilogen. Das heißt, da gilt es auch Vertrauen aufzubauen, die Ausschussvorsitzenden im Parla­ment kennenzulernen, um auch dafür zu sorgen, dass die Ansprechpartner einen be­reits kennen, wenn es darum geht, die verschiedenen Dossiers abzuarbeiten.

Gestern war in einer informellen Sitzung nach dem Ministerrat der Generalsekretär des Rates Jeppe Tranholm-Mikkelsen bei uns, der uns darüber informiert hat, was auf uns zukommen wird, und sich auch intensiv dafür bedankt hat, dass er wahrnimmt, dass die Vorbereitungen seitens Österreichs sehr, sehr gut und professionell ablaufen. Das ist auch unsere große Priorität: dass wir einen professionellen Vorsitz abliefern und unser Land stolz darauf sein kann, einen Teil zur Weiterentwicklung Europas beigetra­gen zu haben. (Beifall bei ÖVP und FPÖ.)

Die Basis für die Schwerpunktsetzung, die wir uns gewählt haben, ist allerdings das so­genannte Trioprogramm. Da hat die Kollegin schon recht gehabt, wenn sie darauf hingewiesen hat, dass dieses Trioprogramm natürlich unter einem SPÖ-Bundeskanzler mit erarbeitet wurde. Wir sind gemeinsam in einer 18-Monate-Präsidentschaft mit Est­land und Bulgarien , wir sind am Schluss dieser Präsidentschaft dran, und die Schwer­punkte, die wir gewählt haben, sind eben aus diesem Trioprogramm, das bereits vor einiger Zeit erarbeitet wurde. Also so schlecht kann da wohl nicht alles sein, denn letzt­lich wurde es damals auch so abgestimmt.

Wir sind die letzte volle Präsidentschaft vor den europäischen Wahlen, und das wird ei­ne sehr spannende und intensive Dynamik erzeugen, denn es liegen ungefähr 190 Dos­siers zur Beschlussfassung auf dem Tisch. Alle handelnden Personen wissen, wenn sie diese Dossiers noch zu Ende bringen wollen, dass unsere Ratspräsidentschaft die letzte wirkliche Möglichkeit dafür ist, denn im Mai nächsten Jahres finden die europäi­schen Wahlen statt, und das ist natürlich eine entsprechende Zäsur. Das heißt, einer­seits erwarten wir höhere Flexibilität bei den einzelnen Playern, wenn es darum geht, Kompromisse zu finden, andererseits wird der Druck natürlich wesentlich größer auf uns als Vorsitzland, hier Kompromisse zu finden.

Die Vorbereitungen laufen deswegen auf Hochtouren, nicht nur auf politischer Ebene, sondern auch auf Beamtenebene. Es gibt eine eigene Lenkungsgruppe, in der nicht nur die verschiedenen Ressorts vertreten sind, sondern auch das Parlament sowie die Bundesländer, unter Vorsitz von Botschafter Alexander Schallenberg. Es gibt ein Exe­kutivsekretariat, das für die organisatorische Vorbereitung zuständig ist.

Wir haben eine eigene Konferenzfazilität reserviert, nämlich das Austria Center Vienna. Da das Hohe Haus hier in der Hofburg tagt, war es nicht mehr möglich, diese Räum­lichkeiten zu mieten, was ich ein bisschen schade finde, denn dadurch werden die Bilder, die um die Welt gehen, vom Austria Center sein und nicht von dieser schönen Hofburg. Ich hätte es gerne ein bisschen anders gehabt, aber es ist halt so. Insofern hoffe ich, dass wir durch ein entsprechendes kulturelles Rahmenprogramm gute Bilder in die Welt senden. Wir wollen durch die verschiedenen informellen Räte, die in den Bundesländern stattfinden sollen, auch die Bundesländer einbinden; auch das soll die Schönheit unseres Landes in die Welt hinaustragen.

Ich selbst darf den Vorsitz im Allgemeinen Rat und im Rat Allgemeine Angelegenheiten (Artikel 50) führen, das ist jener ohne Großbritannien, wo es eben genau darum geht, wie die weiteren Schritte Richtung Brexit aussehen. Der Brexit ist auch eine der großen Thematiken, die uns, obwohl wir sie uns logischerweise nicht zum Schwerpunkt ge­setzt haben wollten, sehr betreffen werden. Vor zwei Wochen war der britische Brexit-Minister David Davis bei mir, der mir erklärt hat: Wir werden gut verhandeln, wir wer­den eine Win-win-Situation sowohl für Großbritannien als auch für die Europäische Union erzielen können. Ich habe ihm diesbezüglich entschieden widersprochen und gemeint, die einzige Win-win-Situation, die es geben könnte, wäre, wenn Großbritan­nien innerhalb der Europäischen Union bliebe, andernfalls können wir nur danach trach­ten, dass die Lose-lose-Situation, die dadurch entsteht, so gering wie möglich ausfällt, aber es wird jedenfalls für beide schlechter werden, als es davor war.

Ich bin aber sehr froh, dass die Verhandlungen seitens der Europäischen Union mo­mentan sehr, sehr gut laufen und professionell durchgeführt werden. Es war zu Beginn eine meiner großen Befürchtungen, dass wir es in Europa nicht schaffen würden, die Einheit der 27 so sicherzustellen, dass ein ordentliches Verhandeln möglich ist. Meine Befürchtung war, dass Großbritannien sich natürlich mit den einzelnen Mitgliedslän­dern treffen wird, versuchen wird, Verhandlungen auf bilateraler Ebene zu führen, und es dadurch unmöglich machen wird, einen harten Verhandlungsprozess seitens der Eu­ropäischen Union aufzusetzen.

Zum Glück hat die Europäische Union, haben alle 27 verbleibenden Mitgliedstaaten diese Gefahr auch erkannt, und das war auch die Möglichkeit für Michel Barnier, den Brexit-Verhandler, für alle 27 gemeinsam mit Großbritannien zu verhandeln. Das ist sehr, sehr wichtig und entscheidend, denn wenn das Signal gesetzt worden wäre, dass Großbritannien sich da die Rosinen aus dem Kuchen herausholen kann und sich da­durch einen Vorteil aus dem Brexit holt, dann hätten die Fliehkräfte, die Europa weiter zerstört hätten, um sich gegriffen und dann wäre es kaum mehr möglich gewesen, den Zerfall Europas aufzuhalten.

Aus meiner Sicht wären wir die dümmste Generation, die je gelebt haben wird, wenn wir dazu beitragen würden, dass Europa zerfällt. Deswegen bin ich sehr, sehr froh, dass es eine harte Verhandlungsposition seitens der EU 27 gegenüber Großbritannien gibt. Das taugt den Briten nicht, das ist richtig, die haben jetzt ihre liebe Müh und Not, auch innerhalb Großbritanniens, einen Verhandlungsweg zu finden, eine Position fest­zulegen, aber das zeigt auch, wie gut der Verhandlungsprozess seitens der EU 27 auf­gesetzt ist, und wir trachten danach, dass diese Strategie auch weiter verfolgt wird. Michel Barnier hat sich bei mir auch persönlich dafür bedankt, dass wir da einen we­sentlichen Beitrag leisten werden.

Eine zweite große Herausforderung, unabhängig von unseren Schwerpunkten, die wir setzen wollen, werden die Verhandlungen zum mehrjährigen Finanzrahmen sein, also das Budget auf europäischer Ebene. Wir sind jetzt gerade dabei, auf österreichischer Ebene ein Doppelbudget für die Jahre 2018 und 2019 zu verhandeln, und das ist sehr herausfordernd, wenn ich das so sagen darf; nächste Woche wird die Budgetrede des Finanzministers im Hohen Haus stattfinden. Mit dem, wie die Gespräche momentan auf europäischer Ebene laufen, sind wir nicht ganz glücklich, denn da wird vor allem seitens der Kommission und auch des Parlaments gesagt: Na ja, diskutieren wir doch über die zukünftigen Schwerpunkte, die es gibt, und wenn wir die kennen, dann kön­nen wir auch sagen, wie viel Budget wir brauchen. Das heißt natürlich, dass es mehr werden wird.

Ich halte das für einen nicht sehr praktikablen Zugang zu Budgetverhandlungen, denn auch wir auf nationaler Ebene müssen es ja anders machen. Wir haben zwei Voraus­setzungen, nämlich erstens die Defizitvorgaben seitens der Europäischen Union – nicht mehr als 0,5 Prozent strukturelles Defizit sind erlaubt, das ist total in Ordnung, aber das ist eine fixe Vorgabe – und zweitens das, was an Steuereinnahmen herein­kommen wird. Auf Basis dieser beiden fixen Daten müssen wir als Bundesregierung Schwerpunkte setzen, wo wir mehr ausgeben wollen, wo wir einsparen müssen. Und aus meiner Sicht ist das auch der beste Weg und der einzig mögliche Weg, ein verant­wortungsvolles Budget aufzusetzen, denn wir könnten genauso fragen: Was sind die Herausforderungen in der Zukunft? – Die werden mehr, wir brauchen mehr Geld!

Aber das wird es so wohl nicht spielen, denn es hat sich gezeigt: Immer mehr Schul­den zu machen führt zu nichts Gutem. Deswegen bin ich auch der Meinung, dass die Europäische Union gut beraten wäre, einen anderen Grundzugang zu den Budgetver­handlungen zu suchen. Ich habe das letzte Woche bei einer Konferenz in Sofia zum mehrjährigen Finanzrahmen auch klargemacht.

Das wird uns noch länger beschäftigen. Die Kommission wird im Mai dieses Jahres einen ersten Vorschlag für das nächste EU-Budget auf den Tisch legen, und auf Basis dessen werden die Verhandlungen auch starten.

Insgesamt hoffe ich, dass wir es schaffen werden, den Vorsitz professionell abzuarbei­ten, dass es auch für Sie möglich ist, stolz darauf zu sein, dass Österreich einen guten Vorsitz abliefert, dass wir Europa ein Stück weit in die richtige Richtung weiterentwi­ckeln können und dass wir am Ende des Tages sagen können: Ja, wir haben das gut erledigt, alle gemeinsam für Österreich. – Vielen Dank. (Beifall bei ÖVP und FPÖ so­wie der Bundesräte Novak und Zelina.)

9.56

Präsident Reinhard Todt: Ich danke dem Herrn Bundesminister.

Ich mache darauf aufmerksam, dass die Redezeit aller weiteren TeilnehmerInnen an der Aktuellen Stunde nach Beratung in der Präsidialkonferenz 5 Minuten nicht überstei­gen darf.

Zu Wort gemeldet ist Herr Bundesrat Dr. Andreas Köll. Ich erteile es ihm.