10.50.10

Bundesrätin Dr. Heidelinde Reiter (Grüne, Salzburg): Hohes Präsidium! Werte Kolle­gen und Kolleginnen! Werte ZuseherInnen via Livestream! Ich bewerbe mich nicht für einen Schauspielerjob (Heiterkeit bei Grünen und SPÖ), auch wenn ich nach zwei wei­teren Sitzungen aus diesem Gremium leider ausscheiden werde.

Dieser Bericht hat einen sehr umfangreichen allgemeinen Teil, und ich finde es eigent­lich schon bewundernswert, dass das in dieser Form so weitergehen kann, nämlich dass sich hier eine doch europafreundliche Regierung präsentiert. Sieht man nämlich zum Beispiel auf der anderen Seite, was vorgestern in Straßburg bei der Pressekon­ferenz der Lega Nord passiert ist, als die klare Forderung der Lega vorgestellt wurde, aus der EU auszutreten, und gewünscht wurde, eine entsprechende Verfassungsände­rung zu beschließen und aus dem Euro auszutreten, und ein Herr Vilimsky in dieser Pressekonferenz dabeisaß und auch noch gratulierte, so fragt man sich, wie dieses Spannungsfeld auszuhalten ist, gerade im Vorfeld der Ratspräsidentschaft. Gott sei Dank haben wir offensichtlich ausgezeichnete Beamte, die da einen eingeschlagenen Kurs fortsetzen.

Es ist schon gesagt worden, im Zentrum steht immer wieder – auch im Redebeitrag meines Vorredners – die Stärkung der Subsidiarität. Es gibt eine Taskforce, die seit Jänner für weniger EU, aber effizienteres Handeln arbeitet, das heißt, für Zurücküber­tragung von Zuständigkeiten an die Mitgliedstaaten.

Wie das die Seele der EU, die dieses Projekt braucht, stärken soll, ist mir nicht wirklich einsichtig, denn das heißt doch ganz klar: Das, was wir haben, tut zu viel, wir wollen das wieder zurück und wollen die Seele unseres eigenen Bezirks stärken. Aber Vor­sicht davor, die Seele des Ganzen zu stärken! – Das zieht sich wie ein roter Faden durch den Bericht.

Österreich wird bis spätestens Ende April 2018 das Nationale Reformprogramm 2018 und das Stabilitätsprogramm 2017 bis 2022 übermitteln. Darüber, wie sich sozusagen die neue Regierung da wirklich niederschlagen wird, wissen wir nichts Genaues.

Es gibt dieses Weißbuch, das heute schon erwähnt wurde, mit diesen fünf Szenarien, die zur Zukunft der EU zur Debatte stehen. Das erste Szenario lautet „Weiter wie bis­her“ – warum man das überhaupt als Szenario hingeschrieben hat, ist fraglich, das ist natürlich für alle mehr als unbefriedigend –, das zweite Szenario ist: Reduktion auf den Binnenmarkt, das dritte Szenario ist: Mehr integrationswillige Staaten betreiben eine stärkere Integration – das ist vom Tisch für unsere Regierung –, das vierte Szenario ist: Weniger tun, das aber effizienter, und das fünfte Szenario ist: Stärkere Integration aller Staaten.

Das vierte Szenario – weniger tun, das aber effizienter – ist jenes, das verwirklicht werden soll. Der Bericht bleibt aber schuldig, was das wirklich heißt, außer sparsamer zu werden. Das ist an und für sich noch keine Ansage, nämlich sparsamer zu werden und sich auf die wichtigen Bereiche zu fokussieren.

Was sind diese wichtigen Bereiche? – Es ist klar, das Budget muss nach dem Brexit entsprechend angepasst – so steht es in diesem Bericht – und modernisiert werden. Das heißt offensichtlich, es muss reduziert werden, um Spielraum für neue Prioritäten zu schaffen. Dazu möchte ich nur erwähnen, dass jetzt das Europäische Parlament be­schlossen hat, das Budget von 1 Prozent auf 1,3 Prozent anzuheben, also nicht zu re­duzieren. Ich denke, da kommt eine wichtige Debatte auf uns zu.

Spielraum für neue Prioritäten: Dazu muss man sich einen erst kürzlich gefassten Be­schluss ansehen, demzufolge ein Rüstungsfonds eingerichtet wird, der zwei Jahre 500 Millionen Euro und nach 2019 1 Milliarde Euro mehr erhalten wird – ein Rüstungs­fonds! Das heißt, die neuen Prioritäten der EU sind, uns am Wettrüsten, am Aufrüsten zu beteiligen.

Zur Vertiefung der Wirtschafts- und Währungsunion und zur Vollendung der Banken­union: Das wird grundsätzlich befürwortet, aber Fiskalkapazität und europäischen Fi­nanzminister beurteilen wir kritisch. Wie diese Vertiefung tatsächlich erfolgen soll und wie man zu den vorhandenen Vorschlägen steht, dazu bleiben wir einmal kritisch.

Es wird gezögert und gezaudert, obwohl es gerade aufgrund des gegenwärtigen politi­schen Klimas und der bestehenden wirtschaftlichen und politischen Herausforderungen in einer globalisierten Welt, in den Bereichen innere und äußere Sicherheit, im Grenz­schutz, in der Migrationspolitik, in der Stabilisierung unserer Nachbarschaft, im Wachs­tum und in der Beschäftigung, in der Jugendarbeitslosigkeit – wurde heute schon er­wähnt – sowie in der Umsetzung der auf der Klimakonferenz in Paris getroffenen Be­schlüsse konsequente und entschlossene Entscheidungen bräuchte – und nicht: Se­hen wir kritisch, was sich alles vielleicht verändern müsste.

Es bräuchte konkrete Maßnahmen vonseiten der EU. Diese wären notwendig, schei­nen aber unter: Weniger, aber effizienter, keinen Platz zu haben.

In der österreichischen Position wird auch gesagt: Wir wollen aktiver und zuverlässiger Partner zur Weiterentwicklung der EU bleiben und die besonderen Mitgestaltungsmög­lichkeiten, die sich bieten, auch nutzen. – Die besondere Mitgestaltungsmöglichkeit be­schränkt sich aber auf den Kurswechsel zu mehr Subsidiarität.

Zur Sitzverteilung im Europäischen Parlament – auch das hat mein Vorredner schon angeschnitten –: Grundsätzlich ist Österreich für die Einsparung nach dem Brexit, hätte aber gerne selber einen Sitz mehr. – Also das ist schon ein bisschen eine Schlaucherl­argumentation.

Zur Wahlrechtsreform: Die Förderung der Wahlbeteiligung wird grundsätzlich positiv gesehen, aber – wieder das Aber – man ist gegen die Schaffung von gesamteuropäi­schen Wahllisten. Fürchtet man sich da, dass so etwas wie ein europäisches Bewusst­sein bei den Bürgern entsteht, die ein Parlament wählen, in dem es nationenübergrei­fende Wahllisten gibt?

Zur EU-Erweiterung wird eine wirkliche No-na-Position abgeliefert: Man unterstützt die Ziele der EU-Erweiterung in den Westbalkanländern und die Erfüllung der Kriterien durch das jeweilige Kandidatenland ist Voraussetzung für einen EU-Beitritt. – No na! Eine aktive Rolle Österreichs, die ja auch schon wahrgenommen wurde und auch da wahrgenommen werden könnte, vermisse ich auch in diesem Bericht.

Ganz kurz noch zur Kultur, da das auch in diesen Kompetenzen fehlt: Das ist Schwerpunkt im EU-Arbeitsplan für 2015 bis 2018, allerdings merkt man davon leider sehr wenig.

Zu Fragen des Cyberraums: auch da Zögern und Zaudern; es gibt einen Vorschlag für ein Paket zur Cybersicherheit und eine Verordnung für einen Vorschlag für Enisa, die Europäische Agentur für Netz- und Informationssicherheit. Diese soll zwar helfen und sinnvolle Kapazitäten in Europa auf- und ausbauen, aber im operativen Bereich keine aktive, managementrelevante Verantwortung übernehmen und keine eigenen Kapazi­täten dafür aufbauen. Ob man so etwas wie eine europaweite Cyberübung will und für sinnvoll befindet, das prüft man erst. Auch bei dieser Frage, die wirklich ganz Europa betrifft und meiner Meinung nach auch nur europaweit gelöst werden kann und an der nur europaweit weitergearbeitet werden kann, zögern und zaudern wir – das machen wir uns lieber selber.

Lassen Sie mich nur ganz kurz etwas – ich wollte das Resümee länger machen, aber das geht sich nicht aus – zum Kollegen Köll und seiner Begründung, warum das Römi­sche Reich zugrunde gegangen ist, sagen:

Die Stärkung der militärischen Außengrenze ist ein Fokus, zugrunde gegangen ist das Römische Reich an den tiefen sozialen Verwerfungen, die es dort gab. Es gab nämlich die Notwendigkeit, Arbeitskräfte von außen zu haben, es bestand auch die soziale Fra­ge, die durch das Christentum aufgeworfen wurde.

Die Befassung mit der sozialen Frage auf die nächsten Jahrzehnte zu verschieben, wenn wir die Grenzsicherung vielleicht hingebracht haben werden, halte ich für fatal und für grob fahrlässig. Die Zukunft Europas wird sich an der sozialen Frage entschei­den. – Danke. (Beifall bei Grünen und SPÖ.)

11.00

Vizepräsidentin Sonja Ledl-Rossmann|: Bevor wir in der Rednerliste weitergehen, be­grüße ich Herrn Bundesminister für Finanzen Hartwig Löger sehr herzlich bei uns. (All­gemeiner Beifall.)

Als Nächster zu Wort gemeldet ist Herr Bundesrat Peter Samt. – Bitte, Herr Bundesrat.