10.36.39

Bundesrat David Stögmüller (Grüne, Oberösterreich)|: Wertes Präsidium! Sehr geehr­ter Herr Vizepräsident! Erster Vizepräsidenteneinsatz. Sehr geehrte Frau Ministerin! Sehr geehrte Damen und Herren! Wir besprechen heute den Bericht der Frauen-, Familien- und Jugendministerin zum Arbeitsprogramm der EU-Kommission für das Jahr 2018.

Frau Ministerin, wenn ich mir diesen Vorhabensbericht und die österreichische Position dazu durchlese, wenn ich diese in diesem Bericht überhaupt finde, dann kommt es mir leider so vor, dass Sie in die Fußstapfen Ihrer Amtsvorgängerin treten, die ganz ehrlich nicht besonders schwer auszufüllen sind.

Bei dem großen Schwerpunkt Frauen verweisen Sie durchgängig auf die Zuständigkeit der anderen MinisterInnen. Wenn man sich diesen Bericht durchliest, kommt es einem so vor, als wären Sie als Frauenministerin hier überhaupt nirgends involviert. Sie fehlen hier komplett. Es fehlen teilweise österreichische Positionen in diesem Bericht, wie zum Beispiel bei der Richtlinie zur Anwendung des Grundsatzes der Gleichbehandlung ungeachtet der Religion oder der Weltanschauung, einer Behinderung, des Alters oder der sexuellen Ausrichtung – überhaupt keine österreichische Position bei einem solch wichtigen Thema.

Im Ausschuss hatten wir nicht die Möglichkeit, irgendwelche Fragen zu stellen – es waren ja keine Beamten von Ihnen da. Auch wieder ein Beweis dafür, dass Sie in die Fußstapfen Ihrer Amtsvorgängerin treten werden.

Auch wichtige Themenschwerpunkte und Problemfelder werden ausgeblendet. Ein großes Thema, das wir in Österreich haben, ist die Kinderbetreuung, und da gebe ich Herrn Kollegen Tiefnig überhaupt nicht recht, wenn er sagt, dass wir hier Vorreiter sind. Das sind wir nämlich wirklich nicht. So heißt es im aktuellen Länderbericht 2018 der Europäischen Kommission: Bei den Betreuungseinrichtungen für Kinder unter drei Jahren wurden die Ziele nicht erreicht. Zudem bestehen große regionale Unterschiede zwischen den Bundesländern. Wenn wir uns die aktuelle Statistik in Österreich anschauen, sehen wir ein massives Defizit in der Kinderbetreuung. Frau Ministerin, das Ziel sollte sein, eine flächendeckende Betreuung von Kindern in Österreich zu gewährleisten. Es geht ja um die Vereinbarkeit von Beruf und Familie. Das wäre nötig. Leider hinken wir hier weit nach, wirklich weit nach, Frau Ministerin.

Das EU-Ziel, das sogenannte Barcelona-Ziel, sind 33 Prozent, aktuell haben wir eine Betreuungsquote von 27,9 Prozent, inklusive Tagesmütter und Tagesväter. Eigentlich sollten wir schon seit 2010 – seit 2010! – dieses Ziel erreicht haben. Seit 2010 ist nichts passiert. Es ist jetzt auch nicht neu, dass die für den Jugendbereich zuständige Ministerin der ÖVP angehört, das war auch schon früher so, ich erwarte mir deshalb, dass hier endlich etwas passiert.

Wien ist immerhin mit 45,8 Prozent an der Spitze bei der Betreuung von Kindern. Schlusslicht sind Oberösterreich und die Steiermark. Oberösterreich mit der aktuellen Quote von 17,4 Prozent und die Steiermark mit 19 Prozent sind die Schlusslichter bei der Erreichung des Barcelona-Ziels, das heißt bei der Betreuungsquote der unter Dreijährigen.

Also hier wäre einiges zu tun. Laut dem EU-Vorhabensbericht Ihrer Amtsvorgängerin sollte das schon im Vorjahr, also bereits 2017, in allen Bundesländern umgesetzt wor­den sein. Und wenn ich mir nächstes Jahr wieder den Vorhabensbericht anschaue, wird wieder nichts passiert sein, so wie wir es von den vorhergehenden Vorhabens­berichten schon gewöhnt sind.

Es ist eher das Gegenteil passiert, es wurden sogar noch extra Beiträge für die Nach­mittagsbetreuung in den Kindergärten zum Beispiel in Oberösterreich eingeführt. Dieses Jahr läuft die 15a-Vereinbarung mit den Bundesländern aus, und ich hoffe wirklich, dass wir einen einheitlichen Mindeststandard im Bereich der Kinderbetreuung schaffen und dem Barcelona-Ziel endlich näherkommen beziehungsweise es erfüllen werden.

Ein Thema, das mir persönlich sehr wichtig ist, sind Jugendliche, die besonders schwierige Ausgangs- und Rahmenbedingungen haben. Ich möchte ganz besonders die sogenannten Care Leavers ansprechen. Sie haben im Vorhabensbericht im Punkt Jugendbeschäftigung nur die Jugendlichen angesprochen, denen die finanzielle Mög­lichkeit beziehungsweise auch die dafür nötige Familienstruktur geboten wird, hoch­wertige Qualifikationen zu erlangen, um überhaupt Unternehmergeist zu entwickeln und sich mit der Schaffung von Arbeitsplätzen zu befassen, aber wir müssen allen Kindern und Jugendlichen in Österreich, in Europa die Chance geben, Bildung zu erlangen, um überhaupt eine Chance am Arbeitsmarkt zu bekommen.

Diese Care Leavers haben es besonders schwer. Im Schnitt ziehen junge Erwachsene in Österreich im Alter von circa 24 Jahren von zu Hause aus und erhalten meistens noch finanzielle Unterstützung seitens der Erziehungsberechtigten. Das ist aber nicht so bei jenen, die außerhalb einer Familienstruktur, außerhalb eines Familiengefüges, zum Beispiel in Wohngemeinschaften oder in Pflegefamilien, aufgewachsen sind. Diese müssen schon mit 18 Jahren auf eigenen Füßen stehen, und in genau diesen Fällen sprechen wir von den Care Leavers. Für diese Jugendlichen ist der Start in das Erwachsenenleben wirklich nicht leicht, weil sie eben nicht, so wie wir es gewohnt sind, im Familienverband aufgewachsen sind, und diese Jugendlichen tragen dann, wenn sie die Fremdunterbringung verlassen müssen, ein erhöhtes Risiko, an den Hürden hinein ins Erwachsenenleben zu scheitern oder auf dem Arbeitsmarkt einfach zu versagen.

Es gibt zwar die Möglichkeit der vollen Erziehung, aber es kommt auf das Bundesland an, in dem man aufwächst, und genau darin sehe ich wieder einen wichtigen Punkt, um zu handeln, Frau Ministerin! Wir brauchen Maßnahmen, dass der Rechtsanspruch auf Verlängerung der Wiederaufnahme der Betreuung mindestens bis zum 21. Lebensjahr gewährleistet wird. Ich würde Sie bitten, Frau Ministerin, sich für diese jungen Men­schen einzusetzen. Es braucht ganz dringend Maßnahmen und eine entsprechen­de Novelle des Bundes-Kinder- und Jugendhilfegesetzes 2013. Ich warte auch schon gespannt auf den Evaluierungsbericht Ihres Ministeriums; ich glaube, mittlerweile sind seit dem Entschließungsantrag im Nationalrat bereits mehr als fünf Jahre vergangen. Es hat geheißen, dass er uns im Sommer vorgelegt wird, und ich hoffe wirklich, wir können im Sommer endlich über die Novellierung dieses Gesetzes reden und sie entsprechend umsetzen.

Zurück zum Vorhabensbericht! – Sehr oft lese ich Ihre politischen Floskeln in diesem Bericht wie, Sie begrüßen die Maßnahmen, Sie begrüßen die Maßnahmen nicht. Konkrete Positionen findet man kaum, Begründungen oder ordentliche Kritik der Maßnahmen fehlen oft oder sogar komplett, auch beim großen Thema Jugend. Gerade Ihnen als Jugendministerin sage ich, wir sollten während der nun bevorstehenden Ratspräsidentschaft Österreichs aktive Botschafter für Kinder- und Jugendrechte in ganz Europa sein und uns klar gegen Kinderarmut und Jugendarmut oder gegen Gewalt gegen Kinder aussprechen. Leider verpassen Sie die Möglichkeit, in diese Richtung aktiv zu werden.

Ganz im Gegenteil! Ihr großes Steckenpferd ist die Indexierung der Familienbeihilfe. Wir Grüne sprechen uns seit Aufkommen dieser Idee auf allen Ebenen gegen diesen Vorschlag aus. Sie wissen, dass ein nationaler Alleingang hinsichtlich der Indexierung der Familienbeihilfe für im Ausland lebende Kinder gegen das derzeit geltende Unionsrecht, insbesondere gegen den Artikel 67 der Verordnung zur Koordinierung der Systeme der sozialen Sicherheit, verstößt. Auch für den Fall, dass die geplante Novel­lierung des Familienlastenausgleichsgesetzes beschlossen werden soll, drohen die Einleitung eines Vertragsverletzungsverfahrens durch die Europäische Kommission sowie die Befassung des EuGH durch Gerichte auf Anregung Betroffener im Wege des Vorhabensentscheidungsverfahrens.

Eine Änderung der unionsrechtlichen Vorgaben durch die EU-Verordnung wäre im Falle einer entsprechenden Mehrheitsfindung im Europäischen Rat und im Parlament zwar möglich, würde aber einen Abbau individueller Rechte von WanderarbeiterInnen, die vom Unionsgesetzgeber sowie durch die Judikatur des EuGH über Jahrzehnte ausgeformt wurden, darstellen und damit diametral dem Geist des Binnenmarktes widersprechen.

Das Wichtigste dazu aber ist: Es geht zum Großteil um Frauen, die hier in Österreich arbeiten, unsere Eltern und Großeltern versorgen und pflegen, die hier Steuern zahlen und oftmals sehr prekär in eine Scheinselbständigkeit gedrängt werden.

Auch ansonsten finden wir im Kapitel Jugend keine ordentliche Begründung dafür, warum Sie beziehungsweise Österreich bei den einzelnen Vorhaben der Europäischen Union Vorbehalte haben oder sie darin unterstützen; Beispiel: das Europäische Soli­daritätskorps. Diese Möglichkeit ist ja noch ganz frisch, sie wurde erst im März 2018, glaube ich, im Europäischen Parlament verabschiedet und ist gerade Teil der Trilog­verhandlungen. Also wir Grüne unterstützen die Möglichkeit für 18- bis 30-Jährige, sich im Rahmen des Europäischen Solidaritätskorps für Freiwilligen- und auch Beschäfti­gungsprojekte zu engagieren. Die Kommission hat vorgeschlagen, dieses Solidaritäts­korps zu 80 Prozent für Freiwilligenarbeit und zu 20 Prozent für Praktika und Jobs einzusetzen. Wir Grüne werden uns auf EU-Ebene eher für eine Reduzierung des Praktikumsbereiches einsetzen, denn es gibt bereits andere gut funktionierende Pro­gramme, die für Aus- und Weiterbildung eingesetzt werden; unserer Meinung nach sollte dieses Solidaritätskorps auch tatsächlich für europäische Freiwilligenarbeit eingesetzt werden.

In der Frage der Budgetierung dieses Programms sind wir Grüne dafür, dass frisches Geld eingesetzt wird und nicht Geld von bestehenden und zum Teil gut funktio­nierenden Programmen wie etwa Erasmus+ oder auch dem Europäischen Sozialfonds abgezogen wird, so wie die österreichische Regierung oder so wie Sie es gerne hätten.

Frau Ministerin! Es gäbe im Frauen-, Jugend- und Familienbereich genügend zu tun, vor allem was das Thema Vereinbarkeit von Beruf und Familie oder den Übergang vom Jugendlichen- ins Erwachsenenleben betrifft.

Wir Grüne werden diesen Bericht heute nicht zur Kenntnis nehmen. – Danke schön. (Beifall bei BundesrätInnen ohne Fraktionszugehörigkeit sowie der Bundesrätin Gruber-Pruner.)

10.46

Vizepräsident Dr. Magnus Brunner, LL.M.: Als Nächste zu Wort gemeldet ist Frau Bundesrätin Rosa Ecker. Ich erteile es ihr.