12.35.07

Bundesrätin Doris Hahn, MEd MA (SPÖ, Niederösterreich): Sehr geehrter Herr Präsident! Geschätzter Herr Bundesminister! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Hohes Haus! Wenn die Argumente im Bildungsbereich ausgehen, kommt man gerne zum Wienbashing zurück, das haben wir hiermit wieder sehr eindrucksvoll erlebt. (Bundesrätin Mühlwerth: Die Argumente sind mir ausgegangen?) Das ändert aber nichts an der Tatsache, dass die Wahrheit und die Realität in den Schulklassen eine andere ist. (Bundesrätin Mühlwerth: Das sehen eure sozialistischen Lehrer ein bisschen anders!) Ich stehe tagtäglich in der Klasse und ich weiß, wie es läuft. (Neuer­licher Zwischenruf der Bundesrätin Mühlwerth.) – Hören Sie die nächsten paar Minu­ten zu, dann schärft sich Ihr Bild vielleicht ein bisschen! (Ruf bei der FPÖ: Jawohl, Frau Direktor! – Zwischenruf der Bundesrätin Grimling.)

Ich möchte uns zu Beginn noch einmal ins Gedächtnis rufen, was im Schulorgani­sationsgesetz unter § 2 zu finden ist. Dort heißt es:

„Die jungen Menschen sollen zu gesunden und gesundheitsbewussten, arbeits­tüch­tigen, pflichttreuen und verantwortungsbewussten Gliedern der Gesellschaft und Bür­gern der demokratischen und bundesstaatlichen Republik Österreich herangebildet werden. Sie sollen zu selbständigem Urteil, sozialem Verständnis und sportlich aktiver Lebensweise geführt, dem politischen und weltanschaulichen Denken anderer aufge­schlossen sein sowie befähigt werden, am Wirtschafts- und Kulturleben Österreichs, Europas und der Welt Anteil zu nehmen und in Freiheits- und Friedensliebe an den gemeinsamen Aufgaben der Menschheit mitzuwirken.“ (Bundesrat Spanring: Eindeu­tig versagt!)

Wenn man diese Worte wirken lässt und sich deren aus meiner Sicht doch recht weitereichender Bedeutung bewusst wird, wird man sich fragen – ich weiß, das ist jetzt provokant –, was sich die Bundesregierung bei diesem Gesetzentwurf überlegt und gedacht hat. (Bundesrat Mayer: Mehr als Sie in den letzten zehn Jahren!)

Um ehrlich zu sein, frage ich mich, ob das eine oder andere Mitglied der Bundes­regie­rung all diese Lernziele, die da im SchOG geschildert sind, in seiner Schullaufbahn selbst auch wirklich erreicht hat. Ich befürchte, nicht, denn da kann weder von sozialem Verständnis gesprochen werden noch von einer Aufgeschlossenheit anderen gegen­über, allen voran natürlich betreffend die Deutschförderklassen. (Beifall bei der SPÖ. – Bundesrat Steiner: Das ist der Unterschied! Zuerst unsere, dann alle anderen!)

Natürlich – ich glaube, darüber sind wir alle in diesem Saal uns einig – gehört das Beherrschen der Unterrichtssprache Deutsch dazu. Zu diesem Zweck, das wissen Sie genauso gut wie ich, gibt es – oder besser gesagt: gab es – schon seit Langem, aus meiner Sicht ganz besonders seit dem Jahr 2016/17, sehr erfolgreiche Sprachstart­gruppen und Sprachförderkurse, die mit den entsprechenden Ressourcen ausgestattet waren und den einzelnen Schulen einen gewissen schulautonomen Spielraum in der Organisation eingeräumt haben. (Bundesrätin Mühlwerth: Ein Fünftel kann nicht lesen und schreiben, das ist der Erfolg!)

Ohne dass man diese Maßnahmen wirken lässt und ohne dass man sie einer entsprechenden Evaluierung unterzieht (Bundesrätin Mühlwerth: Ein Fünftel kann nach neun Schuljahren nicht lesen und schreiben!), lässt man sie nun auslaufen und ersetzt sie durch ein – ich zitiere hier die Gewerkschaft der PflichtschullehrerInnen – unzureichend vorbereitetes Gesetz. Ich darf an dieser Stelle daran erinnern, dass die Gewerkschaft zu einem weit überwiegenden Teil nicht unbedingt sozialdemokratisch geprägt ist. (Bundesrat Schuster: Ja, genau!) Dass Gewerkschafter der FCG gemein­sam mit Vertretern der FSG eine Resolution gegen das vorliegende Gesetz verab­schiedet haben, sollte auch Ihnen zu denken geben, wenn Sie ganz ehrlich sind. (Beifall bei der SPÖ. – Bundesrätin Mühlwerth: Ja, ja!)

Im Gesetz ist die Rede von einem eigenen Lehrplan für die Deutschförderklassen – es gibt noch keinen; es ist die Rede von standardisierten Diagnoseinstrumenten – die gibt es auch noch nicht. Wir alle warten sehnsüchtigst auf das Bereitstellen notwendiger zusätzlicher Personalressourcen, Sprachförderlehrer und dergleichen – das Gegenteil ist der Fall, es soll massiv gekürzt werden. Das geschieht zusätzlich zu all dem, was sonst noch so gekürzt wird, etwa dem Integrationstopf – wodurch auch Sozialpäda­gogInnen, interkulturelle Teams und vieles mehr gestrichen werden –, zusätzlich zum de facto gekürzten Ganztagsschulpaket – aus meiner Sicht ein weiterer Schritt ins pädagogische Mittelalter. Moderne und vor allem realitätsnahe Bildungspolitik schaut, glaube ich, anders aus.

Liebe Kolleginnen und Kollegen von der ÖVP und von der FPÖ, können Sie sich eigentlich im Entferntesten vorstellen, was das für die betroffenen Schulen in der Praxis bedeutet? Was das für die Kinder, die selektiert und von den anderen separiert wer­den, rein menschlich und emotional bedeutet, haben wir bereits sehr eindrücklich von meiner Kollegin Gruber-Pruner gehört.

Was heißt das jetzt im Konkreten für die Lehrerinnen und Lehrer, für die Schul­leiterin­nen und Schulleiter im täglichen Arbeiten? – Diese müssen bereits jetzt im Frühjahr ihre Konzepte für das kommende Schuljahr abgeben. Sie müssen gegenüber den Landesschulräten beziehungsweise jetzt den Bildungsdirektionen aufzeigen, welche Lehrer sie brauchen, welche Stundenkontingente sie benötigen. Das sind oft langwie­rige und sehr intensive administrative Tätigkeiten und Planungen, die eben jetzt auf­grund dieser Husch-Pfusch-Aktion wieder über Bord geworfen werden müssen – sozusagen: Planungen wieder zurück an den Start. (Bundesrat Steiner: Der Häupl war bis Dienstag Bürgermeister!)

Im Schulalltag wird es nicht besser ausschauen. Es wird sich die Frage stellen, wer denn diese Sprachförderklassen betreuen wird, wenn es eben nicht die notwendigen Lehrerinnen und Lehrer gibt. Wenn man daran denkt, dass eine Sprachförderklasse bis zu 20 Stunden umfassen sollte, was fast ein ganzer Lehrerposten ist: Woher nehmen, wenn er denn nicht da ist? Soll dafür zum Beispiel – und das befürchte ich stark – in den Neuen Mittelschulen auf die Doppelbesetzungen in den Hauptfächern Deutsch, Mathematik und Englisch verzichtet werden? (Bundesrat Spanring: Wann ist denn die Doppelbesetzung gekommen?) Wie gesagt, ich befürchte es sehr, ich lasse mich aber gerne eines Besseren belehren. Darauf wird es, so fürchte ich, hinauslaufen. Es ist aber auch ganz klar, dass die Qualität im Unterricht darunter leiden wird, das liegt auf der Hand. Ja, so kann man die Neue Mittelschule auch auf subtile Art und Weise aushöhlen. (Bundesrat Mayer: Weil sie nicht Deutsch können!)

Es wird sich auch die Frage stellen, wo man mit der Deutschförderklasse hingeht, wenn es unter Umständen die notwendigen zusätzlichen Räume in den Schulen gar nicht gibt. Da stimme ich natürlich Kollegen Stögmüller zu. In der Praxis wird es so aussehen, dass bei all den widrigen Umständen, die damit einhergehen, die Pädago­ginnen und Pädagogen den Schulmotor sozusagen werden am Laufen halten müssen. Ein großes Dankeschön an dieser Stelle an alle Pädagoginnen und Pädagogen, die, glaube ich, eine wirklich nicht immer leichte, aber umso verantwortungsvollere Aufgabe übernehmen und tagtäglich im Einsatz für unsere Kinder und Schülerinnen und Schüler sind! (Beifall bei der SPÖ und bei BundesrätInnen ohne Fraktionszugehörigkeit.)

Zum zweiten Teil des geänderten Gesetzes, nämlich zu den Schulpflichtverletzungen: Hier wurde deshalb eine neue Regelung geschaffen, weil die derzeitig gültige mit ihrem Fünfstufenplan zur Prävention von Schulpflichtverletzungen der Regierung nicht als tauglich erscheint. – Nun, so ehrlich müssen wir sein: Mit dieser neuen Regelung wird sich am psychisch oder sozial bedingten unentschuldigten Fehlen rein gar nichts än­dern. Was passiert beispielsweise im Pflichtschulbereich, wenn ein Schüler, eine Schülerin unentschuldigt vom Unterricht fernbleibt, etwa – wie es häufig vorkommt – einige Tage vor Ferienbeginn, weil der Flieger billiger ist, weil das Hotel am Urlaubsort günstiger ist? (Bundesrätin Mühlwerth: Das ist alles in Ordnung?) – Man wird halt dann in Zukunft Kopfweh oder Übelkeit als Begründung auf dem Entschuldigungszettel stehen haben. Ich bin mir sicher, dass finanzielle Sanktionen wieder jene Kinder und jene Familien treffen, die das Geld ohnehin nicht haben und die eigentlich schul­psychologische Hilfe bräuchten. (Bundesrätin Mühlwerth: Ja, ja!) Für mich ist das ein weiterer unüberlegter und kurzsichtiger Gesetzesvorschlag. (Bundesrätin Mühlwerth: Die gibt es ja trotzdem! – Zwischenruf des Bundesrates Mayer.)

Herr Bundesminister! Geschätzte Mitglieder des Bundesrates! Genauso unüberlegt und unevaluiert wie die Deutschförderklassen und – nennen wir ihn so – der Schul­schwänzparagraf ist auch die Umsetzung der neuen modularen Oberstufe, weil sie weiter verschoben werden soll. 2012 wurden ja Rahmenbedingungen für einen modularen Aufbau der Oberstufe geschaffen, um einerseits die Kompetenzen der SchülerInnen zu erhöhen und um andererseits auch auf ein mögliches folgendes Studium besser vorzubereiten. Es geht dann nicht mehr darum, Leistungen und Beur­teilungen über ein ganzes Jahr hinweg zu sehen, sondern um eine sinnvolle Aufteilung in semesterweise Module. So wäre im schlechtesten Falle bei einer negativen Beur­teilung nicht gleich ein ganzes Schuljahr verloren, sondern es könnte eben lediglich dieses eine betreffende Modul wiederholt werden.

Viele Schulen haben sich bereits in Richtung dieser neuen Oberstufe entwickelt und entsprechende Maßnahmen gesetzt, was teilweise natürlich mit großem adminis­trativem Aufwand verbunden war und ist. Daher ist es auch in diesem Fall gänzlich unverständlich, warum nun diese Entwicklung noch weiter verzögert werden soll, be­sonders wenn man bedenkt, dass aus diesem Entwicklungsprozess jetzt auch heraus­optiert werden kann.

Alles in allem ist das vorliegende Gesetz aus meiner Sicht in allen drei Bereichen mehr als fragwürdig und erscheint für die Sozialdemokratie in dieser Form nicht durchführ­bar.

Wir hatten heute alle ein Buch auf unseren Plätzen liegen: „Überall ist Zukunft“. Ich darf zum Schluss in diesem Sinne den Titel dieses Buchs ein bisschen umformulieren: In der Schule ist Zukunft. Bildung ist Zukunft, nämlich für eine moderne, offene Gesell­schaft, die niemanden zurücklässt, die Potenziale und Talente fördert, und zwar alle Kinder gleichermaßen fördert. Das sollte, glaube ich, in unser aller Interesse sein, und daher würde ich noch einmal an ein Überdenken dieses Gesetzes appellieren. – Danke. (Beifall bei der SPÖ und bei BundesrätInnen ohne Fraktionszugehörigkeit.)

12.45

Vizepräsident Ewald Lindinger: Zu Wort gelangt Herr Bundesrat Karl Bader. – Bitte.