13.20.28

Bundesminister für Bildung, Wissenschaft und Forschung Dr. Heinz Faßmann: Herr Präsident! Sehr geehrte Damen und Herren Bundesräte, danke für die abermals gute Diskussion! Ich habe mich schon einmal als Bundesratssympathisant deklariert und bleibe dabei, auch wenn manche Reden vielleicht argumentativ gut angefangen haben, dann aber in einer gewissen Oberflächlichkeit endeten; Herr Stögmüller, ich wollte Sie nicht extra hervorheben. (Heiterkeit und Beifall bei ÖVP und FPÖ.)

Wir diskutieren heute nicht zum ersten Mal das Konzept der Deutschförderklassen. Wir haben das im Unterrichtsausschuss, im Plenum des Nationalrates und auch in vielen öffentlichen Diskussionen gemacht. Wir kommen zu dem Punkt: We agree to disagree, wenn auch vielleicht nicht darin, wenn wir sagen: Eigentlich muss etwas geschehen, wir haben einen Aufholbedarf im Bereich der Sprachbildung, der Sprachförderung ins­gesamt und der Förderung der Unterrichtssprache im Speziellen. Das gilt für alle Schüler und Schülerinnen, besonders aber für jene, die neu in das Bildungssystem einsteigen.

Auf die diversen Testergebnisse zur Legitimierung meiner Argumentation möchte ich hier nicht mehr eingehen; diese wurden von meinen VorrederInnen bereits erwähnt. – Danke schön. Einigkeit besteht darin, dass etwas geschehen muss. Über das Wie sind wir politisch uneins. Das heißt also: Wir stimmen überein, dass wir uneins sind. Das ist eine interessante Perspektive.

Der Gegensatz lautet kurz zusammengefasst: Nur nicht separieren, nur keine Tren­nung! – Was mich dabei immer wundert, ist: Warum übersehen Sie das, was wir vorgeschlagen haben? Warum übersehen Sie – wenn Sie so wollen – den Spin, den ich dieser Sache gegeben habe, indem ich sage: eine Vorbereitung so kurz wie mög­lich und dann so kompetent wie notwendig in das Regelschulsystem überführen? Das ist ein wesentlicher Unterschied zu dem, was manchmal in der – nicht böse sein – oberflächlichen Diskussion dargestellt wird. Es handelt sich um eine kurzfristige Maßnahme; auf der Uni sagen wir Vorbereitungslehrgänge dazu, wenn Studierende kommen, die den Vorlesungen nicht folgen können.

Ich bestreite den Wert von Peer Learning, des Lernens voneinander, überhaupt nicht, genau deshalb habe ich die Maßnahme so vorgeschlagen. Es ist eine Maßnahme, die innerhalb der Klassen, innerhalb der Schulgebäude stattfindet, und Kinder sind anei­nan­der interessiert und begegnen einander auf vielfältige Weise. Ich bitte Sie also abermals – während Sie mich bitten, das andere zu sehen –, zu sehen, dass es eine teilintegrative Maßnahme ist, die auch eine zeitliche Befristung kennt. (Beifall bei ÖVP und FPÖ.)

Herr Wanner, Sie haben das Bild aus dem Fußball gebracht; der Sport ist offensichtlich ein dankbares Feld, um auch andere Bilder zu bringen. Mein Bild wäre das Bild eines Nichtschwimmers, dem ich nicht raten würde, sofort in das tiefe Becken zu gehen (Beifall bei ÖVP und FPÖ), und ich würde ihm oder ihr nicht sagen: Du wirst das Schwimmen schon von den dich umgebenden Schwimmern lernen! (Heiterkeit bei Bundesräten der FPÖ.) Ich würde dem Nichtschwimmer zuerst erklären und vorzeigen, wie das Schwimmen so einigermaßen funktioniert (Bundesrat Schennach: Beim Trockentraining auf der grünen Wiese lernt man auch nicht schwimmen ...!), und dieses Vorzeigen des Schwimmens müsste ich auch separiert machen, weil der Schwimmer an den Grundbegriffen, die zu vermitteln sind, nicht interessiert wäre. (Beifall bei ÖVP und FPÖ.)

Es gibt zwei Argumente, die manchmal vorgebracht werden: Wir geben zu viel aus!, oder: Wir geben zu wenig aus! Das kann man sich ja meistens aussuchen. Das Argument, dass wir zu viele Ressourcen, die nicht vorhanden sind, benötigen, höre ich auch. Es bezieht sich insbesondere darauf, dass keine Klassenräume zur Verfügung stünden oder die Lehrer zur Umsetzung dieser Maßnahmen fehlten.

Herr Stögmüller, ich muss Ihnen sagen, wir haben mit dieser Maßnahme keinen ein­zigen Schüler, keine einzige Schülerin neu erzeugt. Sie sind alle schon im System. Wir haben eine Änderung der Organisation vorgenommen, aber an der Zahl nichts geän­dert. Die Schüler und Schülerinnen mussten ja vorher schon untergebracht, beschult und von Lehrern und Lehrerinnen unterrichtet werden. Dahin gehend kann ich die Aufregung zwar verstehen, aber rational nicht nachvollziehen.

Mein Ministerium hat in vielen exemplarischen Einzelfällen durchexerziert, wie so eine Maßnahme gemanagt werden kann, vorausgesetzt natürlich, dass man das auch will. Das Wollen ist da ein ganz wichtiger Punkt, denn es gibt auch Bundesländer, die eindeutig sagen: Das wollen wir eigentlich so nicht haben, das ist eine Maßnahme, die von der türkis-blauen Regierung kommt, und wir verstehen uns als ein Gegenmodell zur türkis-blauen Regierung! – Ich bin also sicher, es wird noch ein interessanter Herbst werden, wenn ich beobachte, wie das in einzelnen Bundesländern – bezie­hungsweise eigentlich nur in einem Bundesland – wahrscheinlich nur mit Knirschen umgesetzt werden kann. (Zwischenruf bei der FPÖ: Das ist sicher Vorarlberg!) – Es ist nicht Vorarlberg. (Heiterkeit des Redners.)

Manche sagen schließlich: Das ist alles übereilt! – Das habe ich heute auch gehört. – Warum warten wir nicht? Es gibt keine Lehrpläne! – Es gibt Lehrpläne. Deutsch als Zweitsprache ist ein Lehrplan, der angewendet wird. Oder: Es gibt keinen fertigen Test! – Ja, der Test braucht noch Zeit, wir übernehmen aber die derzeitige Einstufung als a.o. Schüler und Schülerin.

Herr Stögmüller, da können Sie fragen, was denn diese derzeitige Einstufung als a.o. Schüler wert ist. Da stimme ich Ihnen auch zu, weil ich meine Zweifel habe, dass es so viele a.o. Schüler in Österreich gibt. Ein Fünftel eines Jahrganges als a.o. Schü­ler einzustufen ist eine erheblich große Zahl, und wenn ich weiß, dass mit der Einstufung als a.o. Schüler auch so etwas wie eine Ressource verknüpft ist, kann ich mir vorstellen, in welche Richtung es geht. Wir brauchen dahin gehend ganz dringend ernsthafte, faire und valide Tests, damit das nicht verknüpft wird: mehr a.o. Schüler einzustufen und mehr Geld für ein bestimmtes Bundesland zu erhalten. Das alles ist aber eigentlich auf dem Weg.

Als einer, der die Migrationsgeschichte Österreichs gut kennt, muss ich Ihnen auch sagen, dass wir uns in diesem Bereich wirklich lange – eigentlich zu viel und zu lange – Zeit gelassen haben. Ich wüsste nicht, worauf wir jetzt noch warten sollen, warten nämlich auch zulasten der Zugewanderten. (Beifall bei ÖVP und FPÖ.)

Frau Mag. Gruber-Pruner, Sie haben mir den Brief einer Volksschule oder Neuen Mit­telschule – was auch immer – gegeben; ich habe ihn inzwischen durchgelesen. Viele dieser Maßnahmen sind weiterhin zu realisieren: Lerninseln, Lernoasen bilden, am Nachmittag einen zusätzlichen Unterricht einrichten. Wir werden nichts verbieten, was den Schülern und Schülerinnen zusätzlich dient, um möglichst rasch die Kompetenz der Unterrichtssprache Deutsch zu erwerben. Dahin gehend ist es auch kein Gegen­satz zur Autonomie, denn die Autonomie wird nicht ausgeschaltet. Man braucht aber bestimmte Eckpunkte, denn sonst würde die Autonomie in kurzer Zeit zerfleddert werden und keiner wüsste mehr, was eigentlich zu tun ist.

Ich kann auch versichern, dass das Bildungsministerium und das Bildungssystem insgesamt sicherlich lernende Systeme sind. Wenn wir nach der Implementierung dieser Maßnahme diese oder jene Verbesserungsnotwendigkeit sehen, wird das geschehen; das ist gar keine Frage. Ich bleibe aber dabei: Wir müssen anfangen, und es war Zeit, dass wir angefangen haben.

Darf ich mein Statement vielleicht folgendermaßen zusammenfassen: Wir wollen mit diesem expliziten Deutsch-als-Zweitsprache-Unterricht Startnachteile ausgleichen. Wir wollen letztlich – da begegnen wir uns auch wieder – für mehr Chancengerechtigkeit sorgen. Ein einfaches Weiter-so-wie-bisher erscheint mir und uns nicht ratsam. Letzt­lich realisieren wir nur, was in vielen europäischen Staaten und auch in manchen Städten – die Willkommensklassen wurden zitiert – so gehandhabt wird. Wir ziehen hier gleich. Ich glaube, dass über diese Notwendigkeit der Vorbereitung für den Unter­richt gar nicht so viel zu diskutieren ist.

Ich habe im Plenum des Nationalrates ein Zitat aus einem Essay von Vladimir Vertlib gebracht. Vladimir Vertlib ist 1966 in Sankt Petersburg zur Welt gekommen. Er kam dann 1972 als Sechsjähriger nach Österreich; die Familie wollte zuerst nach Israel aus­wan­dern, hat sich aber dann entschlossen, von Israel nach Österreich zu gehen. Vla­dimir Vertlib hat ein Essay über die Art und Weise geschrieben, wie jemand empfindet, der nicht Deutsch kann, aber in die Schule gehen muss und sozusagen dort hinein­geschubst wird. Er hat dieses Essay mit „Du fremdes, stummes Kind“ bezeichnet und 2012 verfasst, als wir damals erstmals eine Debatte über Deutschförderklassen hatten. Er schreibt – ich zitiere –:

„Es war keine schöne Zeit, und nachträglich betrachtet hätte ich viel dafür gegeben, wenn ich damals einen Crashkurs hätte besuchen können, der die allmähliche Inte­gration in die gemischte ‚Nicht-Ghetto-Klasse‘ beschleunigt hätte. [...] Ich selbst hätte viel lieber einen Unterricht in einer Vorschule gehabt, bei dem es wirklich primär um den Spracherwerb gegangen wäre – zusammen mit anderen Kindern, die in derselben Lage waren wie ich, denen ich mich nicht hätte unterlegen fühlen müssen, und mit einer Lehrkraft, die sich voll und ganz auf meine Sprachprobleme und Bedürfnisse ein­ge­stellt hätte.“ – Das schreibt Vladimir Vertlib. (Präsident Todt übernimmt den Vorsitz.)

Diese Stichprobe, Frau Kollegin Dziedzic, ist nur n ist gleich 1. Sie haben Ihr Beispiel gebracht, das war auch nur eine Stichprobe, n ist gleich 1 – beides ist nicht repräsen­tativ, aber dennoch interessant, weil es auch andere Perspektiven in die Diskussion hineinbringt.

Ich glaube, wir sollten insgesamt ein klein wenig von tradierten und manchmal auch ideologisch fundierten Vorbehalten weg, hin zu einer effektiven Förderung im Interesse der schulischen Integration der Kinder gehen. So lautet wahrscheinlich mein Plädoyer, aber auch das Plädoyer insgesamt. – Herzlichen Dank. (Beifall bei ÖVP und FPÖ.)

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