14.42.36

Bundesrätin Dr. Heidelinde Reiter (Grüne, Salzburg): Herr Präsident! Werte Kollegen und Kolleginnen! Das ist jetzt meine endgültig letzte Rede, und ich bin froh, dass das so ist. (Ruf bei der FPÖ: Ich auch!) – Ja, das weiß ich. – Einer der Gründe dafür ist: Was sich hier im Bundesrat in den letzten Monaten verändert hat, ist dramatisch (Bun­desrat Steiner: Der Grund war der Wähler!), und das, was hier vonstattengeht, hat mit einer wirklich tragenden Diskussion oder Ähnlichem über weite Teile leider nichts mehr zu tun. (Bundesrätin Mühlwerth: Da kannst du dich bei deinen Kollegen auch bedan­ken!)

Es ist so, dass ich dankbar für diese Dringliche Anfrage bin, auch im Lichte dessen, dass ja im EU-Ausschuss auch viele andere Handelsverträge, die jetzt zur Behandlung anstehen und die jetzt offensichtlich durchgezogen werden sollen, auf der Tagesord­nung gestanden sind, weil sich natürlich im Bereich Handelspolitik die internationale Lage – aufgrund von Trump – überhaupt dramatisch verändert und auch weil wir uns immer mehr die Frage stellen müssen, inwieweit die Politik angesichts dieser Größe der Konzernmacht, dieser riesigen Konzerne, die aufgrund ihres Budgets, aufgrund ihrer Einflussmöglichkeiten doch sehr bestimmend handeln, überhaupt noch hand­lungsfähig ist. Also inwieweit hüpfen wir hier, in Anbetracht dieser Übermacht, nicht nur sehr komisch herum?

Ich denke, dass sich gerade jetzt, nach der offensichtlich stattfindenden Fusion von Bayer und Monsanto, die Frage stellt: Was heißt das für die Handlungsfähigkeit der Politik? Was heißt das zum Beispiel für die regionale Lebensmittelversorgung, die, wie wir heute gerade gehört haben, auch aus militärischer Sicht angebracht wäre? Was heißt das?

Ich erinnere mich sehr gut an die Debatten rund um die Gentechnik: In welcher Weise gelingt es überhaupt noch der Politik, zum Beispiel zu bestimmen, dass sie Gentechnik nicht auf unseren Feldern haben will oder dass gentechnikveränderte Lebensmittel nicht importiert werden sollen, oder auch zu verhindern, dass die Gentechnik eine tatsächliche Gefahr für die Existenz des Biolandbaus darstellt, weil dieser die Kriterien nicht mehr erfüllen kann? Wie sehr wir da schon an die Grenzen gestoßen sind, zeigt sich auch daran, dass auch dem Vorsorgeprinzip, das zwar in der EU noch gilt, inso­fern Grenzen gesetzt sind, als es einfach auch für einen Staat wie Österreich oder gar für ein Land wie Salzburg nicht möglich ist, die Grundlagen, die wissenschaftlichen Grundlagen zu liefern, die es sozusagen gestatten würden, einem großen Konzern zu verbieten, mit seinen Waren auf den Markt zu kommen und diese dort auch ent­sprechend undeklariert und so weiter abzusetzen. Bezüglich Glyphosat läuft jetzt eine vergleichbare Diskussion, in der es letztlich um die Frage geht: Inwieweit ist die Politik, auch in ihrer Aufgabe der Vorsorge für die Bevölkerung, da überhaupt noch handlungs­fähig?

Die Ökonomen streiten sich und debattieren darüber, inwieweit Freihandelsabkommen eine nachhaltige Entwicklung begünstigen, zulassen oder inwieweit sie sogar in vielen Bereichen sehr kontraproduktiv sind, auch für Länder in verschiedenen Entwicklungs­stadien, sage ich einmal.

Ich meine, Kanada hat ein hoch entwickeltes Rechtssystem, und es stimmt, Ceta ist wahrscheinlich das beste Freihandelsabkommen, das bisher verhandelt wurde. Für mich stellt sich aber auch immer die Frage der Notwendigkeit, denn offensichtlich haben ja die Investitionen und auch der Handel mit Kanada auch bis jetzt funktioniert. Diese Firmen, sowohl in Österreich als auch in Kanada, handeln ja nicht im luftleeren Raum, sondern sind sozusagen in gut entwickelte Rechtssysteme eingebunden. Inwie­weit aber – sozusagen: cui bono? – können dann entsprechende Konzerne mit ent­sprechender Größenordnung noch einmal ganz anders handeln?

Man muss sich nämlich schon vorstellen, dass es natürlich für jeden beklagten Staat – und es gibt ja schon entsprechende Beispiele – ungeheuer schwierig, ja teilweise unmöglich ist, solche Prozesse überhaupt zu führen. Da ist es ziemlich unerheblich, ob die Richter von der Europäischen Union ernannt werden können oder ob das sozu­sagen überhaupt eine private Gerichtsbarkeit ist, denn man braucht jedenfalls große Finanzmittel, um das zu tun, um das durchzustehen. Daher stellt sich die Frage: Inwie­fern machen Staaten dann nicht von vornherein entsprechende Zugeständnisse bezie­hungsweise begeben sich gar nicht in solche Auseinandersetzungen, weil diese mit einem vertretbaren Aufwand oder ohne einen entsprechenden Einsatz von Steuermit­teln nicht zu gewinnen sind?

Ich denke daher, wir alle sollten als Politiker und als politisch Interessierte da sehr aufmerksam sein, sehr kritisch sein und uns wirklich immer wieder fragen: cui bono?, denn auch Ökonomen sind sich nicht sicher, ob unseren KMUs, ob KMUs jener Größen­ordnung, wie wir sie in Österreich haben, solche Freihandelsabkommen wirklich zugutekommen oder ob sie nicht ihre Konkurrenzsituation noch einmal dra­matisch verschärfen und verschlechtern.

Darum denke ich, dass wir noch viel mehr als bisher und immer wieder über diese Handelsabkommen debattieren und sie sehr kritisch betrachten sollten. Ich finde, es ist auch diese Eile, die jetzt an den Tag gelegt wird, nicht wirklich angebracht, denn mit der Zustimmung, die jetzt noch vor dem Sommer erfolgen soll, begibt sich Österreich hinaus aus allen weiteren Vorbereitungsgesprächen zu den Schiedsgerichten oder zu den Detailvereinbarungen. Inwieweit geben wir also damit nicht noch Einflussmög­lichkeiten ab? Das, glaube ich, sollten wir auf gar keinen Fall tun.

Es ist ja auch so, dass mit dieser regulatorischen Zusammenarbeit, also diesen bila­te­ralen Arbeitsgruppen der Wirtschafts- und Industrieverbände, eigentlich ein Filter vor­geschaltet wird, der keineswegs demokratisch ist, wo Interessenverbände natürlich miteinander verhandeln, aber die Demokratie eigentlich weg ist.

Wie gesagt, das Vorsorgeprinzip ist in Ceta nicht enthalten, und inwieweit dieses abge­sichert werden kann, ist nach wie vor offen.

Es ist so, dass es einen europaweiten regionalen Widerstand gegen Ceta gibt, der nicht ausgeräumt ist. Er ist zwar offensichtlich aufseiten der Freiheitlichen verschwun­den und ausgeräumt, nicht aber in der Bevölkerung und in den Gemeinden. Auch die Gemeinden wissen nämlich, dass es natürlich immer schwieriger wird, Ausschreibun­gen so zu machen, dass sie ihre lokale Wirtschaft stützen, die lokale Bevölkerung einbinden, die Daseinsvorsorge absichern. (Bundesrätin Mühlwerth: Das ist aber sehr unterschiedlich! Das stimmt auch eigentlich nicht!) Man weiß aus Erfahrung, dass es immer schwieriger wird, das tatsächlich zu tun.

Diesen Widerstand gibt es also nach wie vor. Ich glaube, dass man die Tatsache, dass es fast 600 000 Unterstützer des Volksbegehrens in diesem Bereich gegeben hat, jetzt nicht einfach vom Tisch wischen kann und soll, nämlich mit dieser doch sehr nebulö­sen Ankündigung, dass diesem Abkommen irgendwelche Giftzähne gezogen wurden. Das sehe ich nicht so. Ich denke, da setzt man sich über den Willen der Bevölkerung sehr mutwillig hinweg.

Ich glaube, dass es hier sehr viel mehr Aufklärungsarbeit, Bewusstseinsarbeit, Infor­mationsarbeit bedürfte, um die Menschen mitzunehmen, anstatt ihnen zu sagen: Was auch immer ihr da gedacht habt, spielt alles gar keine Rolle, das sind irgendwelche komischen Chlorhühner, und die haben wir jetzt nicht im Abkommen drinnen! – So, denke ich, kann und darf man mit dieser Debatte nicht umgehen, wenn bei den Menschen eine völlige Demokratieverdrossenheit nicht noch weiter gefördert werden soll.

Ich würde dringendst dazu raten, dass der Forderung nach einer Volksabstimmung zu diesem Abkommen Folge geleistet wird und dass im Rahmen dieser Debatte jeder, wie er eben glaubt, dass er es am besten kann, für die entsprechende Stimme wirbt. Das würde auch einen entsprechenden Bildungs- und Diskussionsprozess in Gang bringen, der, meine ich, sowohl für die Entwicklung der Demokratie als auch für die Entwicklung weiterer Abkommen bessere Voraussetzungen schaffen würde – nämlich hinsichtlich ihrer Notwendigkeit, hinsichtlich der Frage, wie man Handelsbeziehungen in dieser sehr schwierigen Zeit gestalten soll, wie man sie nachhaltiger machen kann, als sie bisher sind, wie man tatsächlich Nachhaltigkeitsstandards, Klimastandards und so weiter absichern kann.

Das sind ja Herausforderungen, die sehr viel größer sind, als uns vor wenigen Jahren noch bewusst war, wie etwa die Frage: Wie gestalten wir einen weltweiten Freihandel, der klimaverträglich und einer nachhaltigen Entwicklung dieser Welt dienlich ist? So­ziale Verträglichkeit steht in diesem Zusammenhang ja schon länger auf der Agenda, ist uns aber ebenfalls bis dato nicht gelungen.

Ich denke, diese Herausforderungen sind riesengroß, und es stünde uns gut an, die Menschen dabei mitzunehmen. Eine Volksabstimmung über dieses Vertragswerk wäre eine gute Gelegenheit, das zu tun und das auf der Agenda zu behalten, anstatt mit der Ankündigung, die Giftzähne seien gezogen, darüber hinwegzugehen. Die Menschen haben ein Recht darauf, über ihre Zukunft entsprechend informiert zu werden und diese Zukunft auch mitzubestimmen. Daher wende ich mich an Sie mit dem dringenden Appell, das nicht aus den Augen zu verlieren. – Danke. (Beifall bei den BundesrätInnen Dziedzic und Stögmüller sowie bei der SPÖ.)

14.54

Präsident Reinhard Todt: Frau Bundesrätin Mag. Elisabeth Grossmann gelangt zu Wort. Ich erteile es ihr.